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Eye Of The Storm

“Verdammt!”, schrie ich quer durch den Marktplatz, als ich dort entlang rannte. Das war so was von typisch für mich! Immer wieder hetzte ich von einem Ort zu dem nächsten und das nur für meinen Job, der daher auch ziemlich stressig war. Der Gipfel des Ganzen war die Tatsache, dass ich nach der Tortur, pünktlich in den Agenturen zu erscheinen, noch nett in die Kamera lächeln musste. Oder wie auch immer.
Richtig, ich war nichts anderes als Model. Ein ziemlich angesehenes, wenn ich das mal so sagen darf. Bitte verurteilt mich jetzt nicht als eingebildetes Miststück, das nur auf das Äußere achtet. Ich pflege mich nun einmal sehr gerne und außerdem bekomme ich immer wieder Komplimente. So schlimm kann ich also gar nicht sein und außerdem habe ich wahre Freunde, die mich nicht nur wegen dem bisschen Ruhm, den ich durch das Modeln genieße, mögen. Sie mögen mich für das, was ich bin: Eine ganz normale junge Frau, die so ist wie jeder andere Mensch. Außerdem finanziere ich mit dem Modeln auch mein Studium, doch dazu vielleicht später mehr.
Ich hatte es nämlich nicht mehr so weit zu der Agentur, ich musste nur noch diesen einen Kilometer laufen. Warum ich statt mit dem Auto zu fahren, lieber lief? Ganz einfach, ich wohnte nicht einmal drei Kilometer von der Agentur entfernt. Außerdem war das Wetter viel zu herrlich, um sich in so eine große Blechbüchse zu setzen. Die Temperaturen lagen nämlich schon jetzt über zehn Grad und das obwohl es erst Anfang März war.
Ich sah auf die Uhr und fluchte erneut laut auf. Es war kurz nach ein Uhr Mittags und ich musste bereits um halb zwei da sein! Oh verdammt! Giulia, ermahnte ich mich, wenn du so weiter machst, dann wird deine Modelkarriere irgendwann den Bach hinunter gehen! Das würde sie zwar so oder so, aber schneller als ich denken konnte, wenn ich weiterhin so viel hetzte.
Nur noch durch diesen stillen Platz und dann hätte ich es nicht mehr weit, doch ich stoppte kurz. Irgendwie war mir leicht komisch zumute. Mir war so, als ob mich jemand verfolgte. Ich drehte mich um, doch da war niemand. Den Marktplatz hatte ich schon fast hinter mir gelassen. Nach den Brunnen links abbiegen und schon war ich in dem wunderschönen Park. “Ist das jemand?”, fragte ich laut, doch nur der leichte Wind antwortete mir.
Du bist paranoid Lia, schoss es mir durch den Kopf und ich musste über meine eigene Dummheit lachen. Was nur wieder in mir gefahren ist, dass ich ernsthaft geglaubt hatte, dass ich nicht alleine war! Seelenruhig ging ich weiter. Ich sollte mir lieber Gedanken um das Shooting machen, das schon bald stattfinden würde und da konnte ich mir keine Angst oder Ähnliches leisten.
Sicherlich war ich eine starke Frau, daran hatte ich keine Zweifel. Wenn ich mich so mit Krystal, meiner guten Freundin und die Frau von meinem besten Freund Tizian verglich, da hatte ich eindeutige Vorteile. Ich mochte Krys wirklich, aber was Stärke anging, da war sie noch ziemlich unsicher, auch wenn Tizi ihr half. Die beiden waren sowieso das Traumpaar schlechthin.
Es war einfach nur zu süß gewesen, wie Tizian immer wieder mich um Rat gefragt hatte, nur um dieses einst so störrische Mädchen zu verstehen. Ich kicherte fröhlich vor mich hin. Letztendlich hatte alles seinen Lauf genommen und es kam zusammen, was zusammen gehörte. Ich freute mich total für die beiden. Nur hätte ich auch mal wieder gerne jemanden, der sich so rührend um mich kümmerte. Zu meinem Leid fiel es mir sehr schwer, Vertrauen in andere Menschen zu fassen. So schlimm wie bei Krystal war es bei mir aber nicht.

Ich sog scharf die Luft ein, da sie so verdammt frisch war. Schon fast wie ein kleines Kind tänzelte ich um den Brunnen, der sich am Ende des Marktplatzes befand. Meine Güte, ich benahm mich gerade absolut nicht wie eine Sechsundzwanzigjährige! Na und, was machte das schon? Ich hatte nun einmal Spaß an meinem Leben und konnte auch stolz auf mich sein.
Allein ich war es gewesen, die sich als Model etwas aufgebaut hatte. Den sehnlichen Wunsch meiner Eltern, Medizin zu studieren, erfüllte ich aber trotzdem. Gut, anfangs war ich nicht so sehr begeistert davon gewesen, doch wenn ich es mir nun genauer überlegte, war es das Richtige.
Eigentlich waren Riccardo und Cecilia - mein Vater und meine Mutter - ziemlich entspannt, aber was das mit dem Studium anging, da hatten sie mir schon fast keine andere Wahl gelassen. Und schließlich das mit Tizian. Das nahmen sie uns noch immer etwas übel, aber letztendlich hatten sie eingesehen, dass er und ich nur Freunde waren. Das wusste ich genau.
Da fiel mir gleich ein, dass ich sie mal besuchen könnte. Ich hing sehr an Florenz, meiner Heimat. Dort war das Wetter viel besser als hier im trüben Deutschland. Hier waren aber nun einmal die besten Voraussetzungen für eine Karriere als Medizinerin und da ich so verdammt gute Noten in Italien gehabt hatte, schickten mich meine Eltern hierher.
Mir fiel kaum etwas schwer, selbst Deutsch konnte ich ausgezeichnet sprechen. Wäre schließlich dumm gewesen, wenn ich mich geweigert hätte, die Sprache des Landes, in dem ich mich weiterbilden wollte, zu lernen. Wieder entwich mir ein heiteres Lachen. Ja, ich hatte schon einen dezenten Dachschaden, aber ich kam damit klar.
Jedenfalls hatte ich trotz der Sache mit dem Studium und Tizian ein blendendes Verhältnis zu meinen Eltern. Mir persönlich war das sehr wichtig. Ich liebte Rico und Lia über alles auf dieser Welt. Außerdem war ich ihr einziges Kind, daher musste ich auch Acht auf meine Eltern geben. Sie taten es schließlich auch bei mir.

Abrupt blieb ich stehen. Wieder war mir so, als ob mich jemand verfolgte. Dabei war ich doch schon so gut wie im naheliegenden Park! Ja genau in dem Park, in dem sich Tizian und Krystal kennen und vermutlich auch lieben gelernt hatten. Wirklich gruselig, dass ich mich ausgerechnet hier erneut panisch umdrehte.
Du hast es ja bald geschafft, dachte ich und bemühte mich schneller zu laufen. Umso schneller ich lief, umso früher war ich da. Ganz einfach. Dumm nur, dass ich das nicht zu entscheiden hatte. Innerhalb von wenigen Sekunden huschte etwas hinter mir hervor und zog mich mit sich. Es war ein Mann, so viel konnte ich in der Panik, die mich mit einem Mal übermannte, sagen.
Verzweifelt versuchte, ich mich von ihm loszureißen, doch mir war klar, dass er das um nichts auf der Welt zulassen würde. Jetzt, wo er mich doch hatte. “Lass mich sofort los, du Perversling!”, schrie ich hysterisch und begann um mich zu schlagen. Sofern das überhaupt ging. Noch immer hatte ich keinerlei Ahnung, wer mich da verschleppen wollte.
Wir stolperten immer tiefer in den Park, genau zu der Statue hin. Der Mann blieb stehen und drehte sich um. Meine Pupillen weiteten sich drastisch. Konnte es denn wirklich sein? “Ja … Ja…?”, fing ich stammelnd an, doch der Mann meinte sichtlich unbeeindruckt: “Ganz genau. Jakob Di Izmir”. “Was … was willst du denn von mir?”, fragte ich stotternd und war froh, dass ich allmählich meine Sprache wieder fand.
Zudem machte er mir wirklich Angst. Unwillkürlich musste ich an damals denken und wich ein paar Schritte zurück. Süffisant antwortete er mit einer Gegenfrage: “Was werde ich wohl von dir wollen, Giulia?”. Daraufhin riss ich meine braunen Augen weit auf. “Das willst du nicht, du willst mich doch nicht im allem Ernst hier…?”, hauchte ich wie in Trance ohne das letzte Wort auszusprechen.
Mein Gegenüber schien das erste Mal eine Regung von sich zu zeigen. Seine Augen zuckten, aber nur ganz leicht und ehe ich ihn genauer betrachten konnte, um mich von der Echtheit zu überzeugen, sah er mich wieder ganz ruhig an. Dann wollte er überaus gleichgültig wissen: “Du meinst wirklich, dass ich dich vergewaltigen will? Oh bitte, Giulia. Irgendwann wirst du darum betteln, dich von mir vögeln zu lassen”.
Nach diesen Worten schnappte ich nach Luft und setzte mich an dem Rand der Statue. Warum ich nicht wegrannte wusste ich nicht. “Du kennst meinen Namen”, murmelte ich vor mich hin und hoffte inständig, dass es das Einzige war, was er von mir wusste. “Natürlich”, sagte Jakob ohne mit der Wimper zu zucken. Gott, dieses Gespräch war schon jetzt alles andere als toll.

Mein Gegenüber sah mich erwartungsvoll an, was ich nicht verstehen konnte. “Warum starrst du mich so an?”, fragte ich, woraufhin er meinte: “Weil du früher oder später zu mir angekrochen kommen wirst. So wie alle Weiber eben”. “Findest du das nicht ein wenig kindisch? Wir sind erwachsen, keine Teenager mehr!”, regte ich mich über sein dämliches Verhalten auf.
Jakob hatte aber nur ein freches Lachen für mich übrig. “Danke für das Kompliment, Baby. Nur genieße ich mit meinen zweiundzwanzig Jahren mein Leben und gründe keine Familie, so wie es mein werter Halbbruder tut”, bemerkte er herablassend. Das machte mich wütend. Er machte mich wütend.
Kein Wunder also, dass ich ihn finster ansah. Dann sage ich spitz: “Ja, man merkt wirklich, dass du erst Anfang zwanzig bist. Tizian ist im Gegensatz zu dir ein sehr höflicher und warmherziger Mensch, der nicht nur an Sex denkt, du Möchtegern-Casanova!”. Langsam aber sicher verlor ich wahrhaftig die Geduld, das merkte ich schon jetzt. Dieser kleine Kindskopf gehörte doch verboten!
Da fiel mir gleich noch etwas ein. “Was sollte das eigentlich mit dem Kuss?”, wollte ich sauer wissen, bevor er auch nur irgendetwas erwidern konnte und klang dabei wie eine Polizistin, die den Angeklagten ins Kreuzverhör nahm. Damit hatte er mich nämlich in arge Bedrängnis gebracht. “Hat er dir gefallen, Baby? Ich habe es genau gefühlt, wie dir der Kuss bis in die Zehenspitzen ging”, meinte Jakob nur lässig.
Verdammt, dachte ich, woher weiß er das? Ja, er hatte recht. Mit beidem sogar. Er konnte verdammt gut küssen! Mir war es bis heute nicht gelungen, diesen albernen Kuss zu vergessen. Schließlich war ich da nichts weiteres als sein Versuchskaninchen gewesen. Warum er mir aber auflauerte war mir schleierhaft.
Auf einmal war mir Jakob verdammt nah. Zu nah. Instinktiv wollte ich mich befreien, doch dummerweise schnitt er mir die Fluchtwege ab. “Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch du mir verfallen bist! Du bist wie jedes Weib. Ihr mögt es doch, wenn wir Kerle euch umwerben wie eine Trophäe, nicht wahr? So läuft das aber bei mir nicht! Ich hole mir meinen Spaß, wann immer ich will”, flüsterte er nur matt.

Wieder platzte mir fast der Kragen. “Du bist ja völlig wahnsinnig! Ich brauche keine Bestätigung von anderen und schon gar nicht von dir!”, schrie ich ihn an. “Nach deiner Reaktion zu beurteilen schon”, bemerkte er monoton. “Pah”, keifte ich, “ich bin eines der besten Models meiner Zeit, da habe ich das bestimmt nicht nötig!”. Nach meinen Worten lachte Jakob auf.
Höhnisch, geradezu gefährlich meinte der Mann: “Ach nein? Das sehe ich aber anders, Baby. Gerade weil du Model ist, brauchst du diese Aufmerksamkeit”. “Nein”, beharrte ich einen Ticken leiser und schluckte schwer. War ich wirklich so eine? Ich war mir so verdammt sicher gewesen, dass das für mich nur eine Art Hobby war.
Umso mehr ich darüber nachdachte, desto mehr geriet ich ins Schwanken. Was ist, wenn er Recht hatte? “Siehst du. Damit fängt es schon an, du grübelst”, hörte ich Jakob sagen. Ach, dachte ich, stirb doch an deiner Arroganz und wollte schon weiter gehen, doch er hielt mich auf. Natürlich.
Er drückte mich gegen die Statue, sodass ich erschrocken an dem Rand stieß, an dem ich zuvor gesessen hatte. Was würde denn nun kommen? “Also, was ist nun? Kommst du nun mit mir?”, fragte er mich, woraufhin ich ihn irritiert anblinzelte. Genervt meinte er: “Na mit mir eine Nummer schieben”. Dieser ätzende Kerl gab einfach nicht auf. Na warte, das würde er bereuen!
Mit zuckersüßer Stimme druckste ich: “Es ist wirklich süß, wie selbst überzeugt du von dir bist. Nur such dir doch bitte ein dummes Weib in deinem Alter. Du bist wahrhaftig nicht meine Liga”. Um meine Worte zu unterstreichen grinste ich ihn noch an. Das schien ihm leider nicht zu gefallen, denn seine Augen verengten sich schlagartig. Oh oh, das war gar nicht gut.
Jakob trat noch mehr auf mich zu, obwohl ich dachte, dass das gar nicht mehr möglich war und zischte: “Nimm das sofort zurück, du Drecksweib!”. “Nein”, blieb ich bei dem, was ich zuvor gesagt hatte. Das machte ihn nur noch wütender. Seine sonst so wunderschönen grünen Augen - ja, das musste man ihm wirklich lassen! - schimmerten überaus zornig.
Blitzschnell nahm er jedoch meine Handgelenke ohne dabei den Blick von mir zu nehmen. Was zur Hölle sollte das? Verdutzt starrte ich darauf, doch dann schrie ich vor Schmerz auf. “Oh, habe ich da zu fest zugegriffen? Na das tut mir aber leid”, frotzelte Jakob so herablassend, dass ich schon wieder austicken hätte können. Leider erlaubte mir das meine Lage nicht.
Meinen Mund ließ ich mir aber dennoch nicht verbieten. “Hör zu, du Möchtegern-Casanova, lass mich einfach gehen und gut ist!”, verlangte ich von ihm und sah ihm wieder in die Augen. Diese blitzten belustigt auf. “Und was ist, wenn ich das nicht möchte?”, fragte er mich. “Dann muss ich wohl oder übel den ganzen Park mit ohrenbetäubenden Schreien überfallen”, antwortete ich.
Im nächsten Moment lachte Jakob süffisant auf. “Was war daran so lustig?”, wollte ich sofort zynisch wissen. Mich würde er bestimmt nicht klein kriegen, jawohl! Seine Mundwinkel zuckten noch immer, als er mir mit seinen Lippen immer näher kam. Er wollte doch nicht…?
Kurz bevor er mich küssen konnte, hielt der Mann inne. Dicht vor mir sagte er: “Eines Tages wirst du es sein, die mich küssen will”. “Ganz bestimmt nicht”, entgegnete ich überaus lahm. Diese Nähe behagte mir ganz und gar nicht. “Oh doch, das ist nämlich ein Versprechen”, hauchte Jakob mir zu und rührte sich noch immer nicht.

Wollte er denn gar nicht mehr gehen? Pure Panik überkam mich, wie so oft, wenn mir jemand zu nahe kam. Besonders wenn es ein Mann war. Verdammt Giulia, dachte ich, du bist doch nicht mehr sechzehn! Das ist schon so lange her, herrschte ich mich selbst innerlich an und atmete tief ein und aus.
Beruhigung, genau das war jetzt angesagt. Mein Gegenüber sah das aber ganz anders. “Ich werde dich schon noch ins Bett bekommen!”, säuselte er mir bedrohlich zu. “Nein, ich bin kein billiges Flittchen”, verteidigte ich mich. Nicht, dass ich Krystal für so etwas hielt, aber Frauen, die auf so einen arroganten Typen hereinfielen, waren meiner Meinung nach einfach zu bekommen.
Wieder veränderten sich die Augen von Jakob. In ihnen schien sogar ein Sturm zu toben, was mich noch unruhiger werden ließ. “Und du wirst eines davon sein!”, schrie er mich auf einmal an, woraufhin ich betroffen zusammenzuckte. Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Er machte mir Angst. Solche Angst.
Stark bleiben, ermahnte ich mich und sagte mit fester Stimme: “Vergiss es! Wie oft soll ich dir das noch sagen? Ich bin kein Papagei!”. Damit hatte ich ihn nur noch mehr gereizt, was ich lieber nicht hätte tun sollen. Jakob rastete förmlich aus und drückte mich mit roher Gewalt gegen die Statue. Als ich anfing zu schreien, legte er seine Hände um meinen Hals und drückte zu. Ob ich das überleben würde?

Save Me Once Again

 Ich schrie wie am Spieß und hoffte inständig, dass mich jemand hörte, auch wenn dieser Platz hier alles andere als belebt war. Längst rannen mir glühend heiße Tränen über die Wangen. Verzweifelt versuchte ich mich zu bewegen, um Jakob von mir zu stoßen, doch leider nützte mir das überhaupt nichts. Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl, dass er immer fester zudrückte. 

Warum geriet ich eigentlich ausschließlich an Psychopathen? Der Kerl war doch echt nicht mehr normal! Warum hatte er es auf mich abgesehen? An mir gab es nichts Besonderes. Okay, ich war vielleicht reich, aber er war es doch genauso! Soweit ich wusste, hatte er mehr Geld als ich. Daran konnte es also nicht liegen.

Mit der Zeit wurde die Luft immer knapper. Meine Schreie hatte Jakob längst im Keim erstickt. Ich war wie eine Puppe, die sich nicht von selbst bewegte und mit der man alles machen konnte, was man wollte. In meinem Fall war es Jakob Di Izmir, der Frauenaufreißer schlechthin, der mit mir gerade das machte, was er wollte.

Ich sah in seine grünen Augen, die noch immer vor Zorn blitzten. Ich fragte mich, ob in seinem Inneren ein Gewitter tobte. “Du wirst das machen, was ich will!”, schrie er mich auf einmal an, woraufhin ich zusammenzuckte. Sofern das überhaupt ging. Als ich mit dem Kopf schüttelte, fluchte er wild rum.

Natürlich war das in meiner auswegslosen Lage alles andere als richtig, sich dem Täter zu widersetzen, aber ich hatte auch so etwas wie Stolz. Italienischen Stolz, der immer wieder zum Vorschein kam. Dumm nur, wenn der Angreifer ebenfalls aus Italien kam. Oder zumindest zur Hälfte.

Meine Gedanken schweiften zu Krystal, die ebenfalls in so einer Situation, in der ich mich jetzt befand, gewesen war. Im Gegensatz zu mir hatte sie das Glück gehabt, Hilfe zu bekommen. Darauf konnte ich wohl nicht hoffen. Und doch wurde ich gerettet. Urplötzlich wurde Jakob nämlich von mir weggezogen und gegen die Wand, die sich gegenüber der Gasse befand, gedrückt. Ich dagegen ging zu Boden und hielt mir meinen Hals.

 

Sofort kniete sich mein Retter vor mir und ich erschrak. “Du, aber was machst du denn hier?”, fragte ich völlig in Trance und hustete mir schon fast die Seele aus dem Leib. Tizian antwortete: “Ich scheine wohl irgendwie sehr beliebt zu sein, Frauen aus der Patsche zu helfen”. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Grinsen, auch wenn ich in seinen Augen lesen konnte, dass er besorgt war.

Im nächsten Moment war ich es aber, die ihn warnen musste. “Hinter dir!”, schrie ich und war erstaunt, dass mein bester Freund so schnell reagieren konnte. Sofort hatte er Jakob im Schwitzkasten genommen, der darüber sichtlich wütend war. “Nicht du schon wieder!”, schnaubte der Jüngere der Männer, woraufhin der Ältere fragte: “Was wolltest du von Lia? Reicht es dir denn nicht, dass du meine Krystal so übel behandelt hast?”.

Stimmt, da hatte er recht. Da fiel mir erst ein, dass er zuerst ihr etwas Böses wollte. Jetzt war wohl ich an der Reihe. Nicht mit mir! “Du solltest lieber auf sie Acht geben und vor allem auf den Zellhaufen, der in ihr wächst!”, drohte Jakob Tizian, woraufhin es im nächsten Moment still wurde. Natürlich hatte es sich so rasch wie ein Lauffeuer verbreitet, dass die Frau von Tizian von Falkenstein, einem sehr bekannten Adeligen, ein Kind von ihm erwartete.

Tizian machte eine bedenkliche Pause, ehe er leise, aber ebenso bedrohlich fragte: “Wie bitte?”. Ich konnte genau erkennen, wie fuchsteufelswild er war und große Mühen hatte, sich zurückzuhalten. Jakob schien das aber ziemlich locker zu nehmen, denn er lachte hell auf und befreite sich aus dem Griff von Tizi.

Dann klopfte er sich seine Kleidung zurecht und sagte lachend: “Du bist schon so ein Kerl, mein großer Bruder!”. Wollte er etwa Tizian provozieren? Das konnte nicht gut ausgehen, das wusste ich bereits. Schließlich war ich selbst dabei gewesen, als mein bester Freund ihn und Justin vermöbelt hatte.

Gespannt darauf wartete ich, was sie als nächstes sagen würden. Es war Jakob, der erneut das Wort erhob. “Nutzt du sie schön aus? Ich kann dir nur aus Erfahrung dazu raten. Wenn sie dich erst einmal liebt, frisst sie dir aus der Hand. Oh ja und wie!”, meinte er und zog damit meine Freundin in den Dreck.

 

Das konnte ich nicht unkommentiert lassen! “Du bist krank!”, keifte ich ihn an und sah, wie mich die Männer erstaunt ansahen. Anscheinend hatten sie mich vergessen. “Ach Baby, dich werde ich auch noch bekommen. Mach dir da mal keine Sorgen”, säuselte Jakob sanft, doch ich wusste, dass er das alles andere als gut meinte.

Ich schürzte die Lippen und meinte zuckersüß: “Wie gut, dass allein ich das zu entscheiden habe, mit wem ich in die Kiste gehe oder nicht und du gehörst eindeutig nicht in mein Beuteschema”. Es tat gut, ihn vor Tizian bloßzustellen, doch irgendwie tat er mir auch leid. Das durfte ich ihn aber auf keinen Fall zeigen, sonst würde er nur denken, dass er mich doch haben konnte.

Jakob sah mich mit geweiteten Pupillen an, doch ich sagte dennoch: “Du haltest dich im allen Ernst für den Besten, dabei bist du nur eine kleine Nummer, ein Möchtegern-Casanova!”. “Wo sie Recht hat, hat sie Recht”, stand Tizian mir bei. Wartend sah ich zu seinem kleinen Bruder, der mich nur anstarrte.

Oh je, dachte ich, habe ich da etwa wieder etwas Falsches gesagt? Eigentlich war der Mann ganz süß, also vom Aussehen. Er war größer als ich, so um die zwei Meter und hatte die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Seine blonden Haare hatte er leicht gegellt und gepflegt sah er auch aus. Sein Körper war gut gebaut und auch das, was er trug, gefiel mir.

Die zerrissene Hose ließ ihn wie ein Rockstar aussehen, die Lederjacke, die er trug, ebenso. Bestimmt wickelte er so viele Frauen um den Finger. Ich wollte aber nicht eine von vielen sein. Definitiv nicht. Da konnte er noch so viele Sprüche klopfen und mich immer wieder bedrohen. Ich würde mich nicht ihm hingeben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit gab Jakob wieder etwas von sich. “Na und? Ich werde dich trotzdem ficken und wenn ich dich dafür in mein Bett zerren muss!”, fluchte er wild. Entsetzt starrte ich ihn an. “Warum schaust du mich wieder so an? Ich habe dir schon vorhin gesagt, dass ich niemanden dazu zwinge!”, schrie mich der Mann an, was mich nur noch mehr verängstigte.

Zum Glück war Tizian da, der sich sofort schützend vor mich stellte. “Es reicht! Halte dich einfach von Giulia fern! Du hast doch nur zu gut bemerkt, dass sie absolut kein Interesse an dir hat, also schau zu, dass du Land gewinnst!”, sagte er scharf zu seinem Bruder, dessen Blick sich prüfend auf mich gelegt hatte.

 

Wieder stahlen sich Tränen in meinen Augen, die ich versuchte wegzublinzeln. Dumm nur, dass mich Jakob noch immer ansah. “Du verbirgst doch etwas!”, meinte der Mann zu mir, woraufhin ich rasch mit dem Kopf schüttelte. Was für Geheimnisse sollte ich schon haben?

Aufgrund meiner Modelkarriere war ich ähnlich bekannt wie Tizian. Vielleicht sogar noch mehr, da man mich immer wieder auf den Titelseiten diverser populärer Magazine sah. Wahrscheinlich war es allein Jakob, der ein Mysterium war und nicht ich. Ganz bestimmt nicht.

Die Situation schien allmählich wieder brenzliger zu werden, da ich nur zu deutlich hören konnte, wie Jakob vor Wut kochte. Immer wieder gab er ein mächtiges Schnauben von sich, als ob er eine Antwort von mir erwarten würde. Oder zumindest ein Statement.

Immerhin griff Tizian erneut ein. “Jake, was soll das denn nun? Wir alle haben doch unsere Leichen im Keller, selbst du”, sagte er zu seinem Bruder, dessen Augen sich weiteten. Mit geballten Fäusten erwiderte er: “Wie hast du mich da gerade genannt? Es gibt nur eine Person, die mich so nennen darf und das bist nicht du! Und mit Leichen im Keller kennst du dich ja nur zu gut aus, nicht wahr?”.

Gut, mein bester Freund hatte eine echt grausame Kindheit und Jugend, schließlich habe ich das das ein oder andere selbst mitbekommen, doch ganz bewusst auf tiefe Wunden von anderen Menschen herumzustochern war echt nicht nett. “Mich würde es nicht im Geringsten wundern, wenn du Soraya genauso mies behandelst, wie alle anderen Frauen und was meine Vergangenheit betrifft hast du keinen blassen Schimmer”, wies ihn Tizi in die Schranken.

Im nächsten Moment wurde Jakob kreidebleich im Gesicht. Es erstaunte mich, dass er so eine derartige Gefühlsregung zeigen konnte. “So-Soraya? Halt meine Mutter da raus!”, stammelte der Mann noch immer sichtlich mitgenommen, klang dabei aber dennoch sehr wütend.

Anscheinend hatte Tizian seinen wunden Punkt getroffen, was ich nicht in Ordnung fand. Aber was sollte ich schon machen? Das Einzige, was ich jetzt tun konnte, war nur dem Gespräch der beiden stumm zuzuhören. Außerdem war ich froh, dass mich Tizian aus der Schusslinie genommen hatte.

Gespannt wartete ich darauf, was mein bester Freund dazu sagen würde, doch dann näherte sich Jakob ihm immer mehr. Blitzschnell hatte er Tizian im Schwitzkasten genommen, nun war es also umgekehrt. “Du Bastard hast doch keine Ahnung!”, schrie er Tizi an, woraufhin ich zurückwich. Ich hatte Angst vor dem, was als Nächstes passieren würde.

 

Erstaunlicherweise blieb Tizian ruhig und lachte. Ja, er lachte. Bitterböse, aber auf der anderen Seite auch ziemlich vergnügt. “Natürlich bin ich ein Bastard. Wir beide sind teilweise vom selben Blut, interessant, nicht wahr?”, hauchte er und ich war mir nicht mehr sicher, in welche Richtung diese Begegnung gehen würde.

Gut, mittlerweile wusste auch ich über seine schlimme Vergangenheit Bescheid, doch vermied ich dieses Thema so gut es ging. Und was machte Jakob? Natürlich darauf herumreiten! Versteht doch einmal die Männer! Besagter Mann holte gerade zu einer Ohrfeige aus, als mein bester Freund den Schlag rechtzeitig stoppte. Damit nicht genug hatte er sich mit einer geschickten Bewegung aus dem Schwitzkasten seines Bruders befreit.

Warum war ihr Verhältnis überhaupt so schlecht? Ich konnte mir daraus einfach keinen Reim machen. Jakob war mächtig sauer auf Tizian, als er ihm die vorgesehene Firma weggenommen hatte. Tizi wiederum fand dessen Verhalten gegenüber von Frauen nicht akzeptabel. Nur war ich mir - warum auch immer - sehr sicher, dass da noch mehr dahinter steckte.

Innerlich ermahnte ich mich überaus streng. Anstatt nachzudenken, sollte ich mich lieber auf die jetzige Situation konzentrieren. Manchmal war ich eben doch nicht ganz bei der Sache. “Wenn du nicht wärst, hätte Tiziano Soraya doch nie verlassen!”, spie Jakob verächtlich.

Oh, das waren nun ganz neue Töne, die der Blonde von sich gab. Dafür hatte Tizian aber nichts übrig, denn er meinte von den vorherigen Worten sichtlich unbeeindruckt: “Darüber solltest du lieber froh sein, du Blindgänger!”. Bestimmt spielte Tizi auf seine Vergangenheit an, denn ich war schon froh darüber, dass ich nicht so eine zerrüttelte Familie hatte wie die beiden. Letztendlich waren sie nämlich doch Brüder. Differenzen hin oder her, ihre Verwandtschaft konnten sie nicht leugnen.

Immerhin war in den Medien nicht bekannt, dass die beiden irgendeine Verbindung zueinander hatten. Das war auch gut so, denn sonst würden sich die Reporter nur irgendetwas zusammenreimen und das wäre nicht sehr schön. Von wegen, es würden Machtkämpfe zwischen ihnen herrschen oder wie auch immer.

 

Meinen Gedanken wurden jäh ein Ende gemacht, als ich spürte, wie sich zwei starke Arme um mich schlangen. Bestürzt sah ich mich um und atmete einen mir unbekannten Duft ein. Limette und Schokolade, eine bittersüße Kombination. “Was…?”, begann ich völlig neben der Spur, wurde aber durch einen festen Griff, der sich um meinen Hals gelegt hatte, gestoppt.

Jakob, dieser Rowdy, war es gewesen, der mich in einen Moment der Unachtsamkeit zu sich gezogen hatte. “Lass sie los!”, schrie Tizian ihn an und wollte sich uns nähern, doch sein jüngerer Bruder tadelte: “Aber, aber, großer Bruder. Du möchtest doch sicherlich nicht, dass deiner besten Freundin etwas passiert, oder?”. Um seine Worte Wirkung zu verleihen, drückte er seinen Arm leicht auf meinen Hals, woraufhin ich hörbar nach Luft rang.

Nun hatte er die gewünschte Wirkung, Tizi blieb abrupt stehen. “Ian, daran merke ich, wie klein du letztendlich bist”, meinte Jakob überaus höhnisch, lockerte seinen Griff um mich aber. Es machte mich aber sofort stutzig, dass er den Dunkelhaarigen Ian genannt hatte. Das hatte ich in all den Jahren, in denen ich mit Tizian befreundet war, noch nie gehört.

“Kann kaum atmen”, murmelte ich und merkte, wie ich meine Umgebung leicht gedämpft wahrnahm. “Bedanke dich bei deinem besten Freund”, sagte Jakob nur und machte keinerlei Anstalten mich freizulassen. Dann musste ich es selbst versuchen, nur wie?

Gegen den Blonden war ich doch nur ein kleiner Fisch, so groß wie der war. Da nützte es mir auch nichts, dass ich eine Modelgröße von knapp einen Meter achtzig hatte. Spontan kam mir eine Idee. Ich rammte meine Fingernägel blitzschnell in seine Hände, biss ihm dabei in den Arm, der sich direkt an meinem Mund befand und trat um mich. Davon total überrascht taumelte der Riese so sehr, dass ich es schaffte, zurück zu Tizian zu gelangen, der sich sofort erneut schützend vor mich stellte.

“Du verdammte Schlampe!”, fluchte Jakob so sehr, dass ich schon fast bereute, mich von ihm befreit zu haben. “Lass mich in Ruhe!”, keift ich ihn ebenso an und hoffte, dass er allmählich verstehen würde, dass ich nichts mit ihm zu tun haben wollte. Oder so in der Art. Eigentlich freute ich mich, dass ich ihn wiedersah, denn der Kuss mit ihm wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.

Nein, er schien mich regelrecht zu verfolgen und insgeheim hatte ich mir doch nichts sehnlicher gewünscht, als ihn wiederzusehen. Jetzt, wo das endlich geschehen war, fragte ich mich, warum ich so viel über ihn nachdachte. Genau genommen war es der Kerl überhaupt nicht wert. Ich war mir sicher, dass ich jemand Besseres als ihn verdient hatte.

 

Die Situation nahm erneut eine Wendung, dieses Mal war es die Heftigste. “Sie ist keine Schlampe!”, nahm mich Tizian ohne zu zögern in Schutz und fügte noch hinzu: “Was man von dir nicht behaupten kann, Jake”. Die Pupillen von Jakob weiteten sich abermals drastisch, auch wenn sein Gesichtsausdruck nach wie vor gleichgültig war. Dann fragte er: “Willst du mich etwa provozieren?”.

Nach dieser Frage tauchte ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen von Tizian auf. Er antwortete: “Darauf würde ich doch niemals kommen”. “Es reicht!”, schrie Jakob und rannte auf ihn zu. Da ich bereits ahnte, was passieren würde, ging ich ein paar Schritte zurück.

Natürlich bewahrheitete sich meine kleine Vorahnung. Die Männer gerieten erneut aneinander. “Dich mache ich fertig!”, sagte der Jüngere der beiden, wobei ich da meine Zweifel hatte. Gut, Kobi, wie ich ihn schon leicht spöttisch nannte, war sichtlich größer als Tizian, doch besaß dieser mehr Kraft.

Kein Wunder also, dass Jakob einen empfindlichen Schlag in den Magen wegstecken musste. “Eigentlich wollte ich nur etwas für Krystal besorgen, aber dank dir verspäte ich mich, herzlichen Dank auch!”, giftete der Dunkelhaarige genervt und gab seinen kleinen Bruder einen Kinnharken.

Oh je, dachte ich, wohin sollte das nur hinführen? Mich wunderte es nur, dass keine Menschen von dem Krach, den wir hier veranstalteten, etwas mitbekamen. Irgendwie war es auch idiotisch. Sie waren erwachsen und prügelten sich wie kleine Kinder oder junge Erwachsene. Dabei waren sie schon längst keine Teenager mehr.

Gut, Kobi war zwar der Jüngste unter uns, doch setzte ich voraus, dass man mit zweiundzwanzig Jahren etwas reifer war. Bei ihm stieß man da auf Granit. Absolute Fehlanzeige. Im Gegenteil, er schien noch immer in der Pubertät zu sein. Oder er hatte einen Knacks in der Psyche. Ach, ich wusste doch gar nichts über ihn. Zumindest zu diesem Zeitpunkt.

Besagter Mann sagte gerade zu meinem besten Freund, dass seine kleine und dämliche Vogelscheuche eben warten müsste. Das war nicht clever von ihm gewesen, denn ich wusste genau, wie sensibel Tizian war, wenn es um Krystal ging. Das konnte ich ihm in keinster Weise verübeln, schließlich war sie nach all den Streitigkeiten und den ans Licht gekommenen Geheimnissen seine Frau geworden.

Zu meiner tiefsten Verwunderung reagierte Tizi aber ziemlich ruhig. “Im Gegensatz zu dir achte ich nicht nur aufs Äußere und nebenbei ist sie wunderschön, aber dass du das nicht siehst ist mir klar. Für dich zählen doch nur ein großer Po, ebenso große Brüste und blonde Haare!”, konterte er überaus geschickt.

Irgendwie tat es weh, zu hören, dass Jakob das mochte. Ich war dagegen anders. Gut, was Hintern und Brüste anging konnte ich schon bei einigen mithalten, aber ich war nicht blond. Absolut nicht und ich hatte auch nicht vor, es zu werden. Meine Haare fielen mir in sanften Locken und in einem exotischen Braunton über die Schultern. Manch einer sagte auch sie seien kastanienbraun.

 

“Verschwinde endlich!”, herrschte Tizian seinen Bruder an, als dieser immer noch nichts sagte. Dieser sah mich erneut an. Mir war das so unangenehm, dass ich in eine andere Richtung blickte. Er hatte nichts Besseres zu tun, als mir in so einer gefährlichen Situation lüsterne Blicke zuzuwerfen.

Erst als Jakob einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf spürte, realisierte er, dass er damit aufhören sollte. “Ich wollte doch nur zu Giulia!”, versuchte er sich zu rechtfertigen und klang dabei wie ein beleidigtes Kind. So eine hohle Nuss. Ich verdrehte genervt die Augen und meinte: “Ja und jetzt warst du bei mir und kannst auch wieder gehen! Schönen Tag noch und auf Nimmerwiedersehen!”. Danach stampfte ich einfach davon, da ich keine Lust mehr auf diesen Kindergarten hatte.

“Warte”, hörte ich Kobi leise murmeln und blieb abrupt stehen. “Was soll das? Ich muss zu einem Fotoshooting!”, blaffte ich ihn an. Mittlerweile hatte Tizian ihn in einem Griff genommen, aus dem sich der Blonde nicht mehr befreien konnte. “Ich möchte dich aber! Jetzt. Sofort”, sagte er. Bitte? Ich hatte mich doch verhört! Der Kerl hatte echt einen an der Klatsche!

Mit dem Kopf schüttelnd entfernte ich mich immer mehr von dem Geschehnis und hörte nur noch, wie Jakob einen Schlag abbekam. Anscheinend hatte er doch versucht, mir hinterherzulaufen. “Wir werden uns wiedersehen, das schwöre ich dir!”, hörte ich ihn brüllen, ehe ich wahrnehmen konnte, dass er wegrannte. Mit einem erleichterten Seufzer glitt ich schließlich doch an einer nahegelegenen Wand herunter und vergrub mein Gesicht in beide meiner Hände.

Angel's Tale

  Warum hat mir dieser Kerl aufgelauert? Warum sagte er all die schrecklichen Dinge, von wegen ich würde ihm so oder so verfallen? Warum fühlte ich mich in diesem Moment so schrecklich? Ich war es doch gewohnt, von irgendwelchen Männern angesprochen zu werden. Nur war Jakob nicht irgendein Mann.

Er war unheimlich attraktiv, aber ebenso mies. “Giulia, alles in Ordnung mit dir?”, riss mich die Stimme von Tizian aus meinen Gedanken. Er hatte mir viel Zeit gelassen, still vor mich hin zu weinen und zu schluchzen, bis er mich angesprochen hatte. Er kannte mich nur zu gut. Nur von diesem einen Geschehnis hatte ich ihm nichts erzählt. Es war besser so.

Langsam hob ich schließlich meinen Kopf und sah Tizian an. “Geht so, ich frage mich, was er von mir wollte. Die Begegnung im letzten Jahr ist auch schon ein halbes Jahr her”, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. Der Mann, der vor mir in die Hocke ging, schien nachzudenken. Dann meinte er: “Das ist eine durchaus berechtigte Frage. Normalerweise läuft er niemanden hinterher, es ist eher umgekehrt”.

Na super, dachte ich, verfolgt mich Jakob etwa nun immer? “Vielleicht solltest du dir Personenschutz nehmen”, sagte Tizian. Nun fragte ich mich, ob mein bester Freund Gedanken lesen konnte. Energisch erwiderte ich jedoch: “Nein! Ich werde mein Leben doch nicht von ihm kontrollieren lassen. Ich bin eine starke Frau, dieser Kindskopf wird schon sehr bald merken, dass er bei mir an der falschen Adresse ist”.

Um meine Worte zu betonen, erhob ich mich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. “Wo willst du nun hin?”, fragte mich Tizian, woraufhin ich antwortete, dass ich ein Shooting hätte. “Du gehst mir da nicht hin! Entschuldige, wenn ich das so offen sage, aber du schaust echt fertig aus und du solltest dich lieber ausruhen”, sagte dieser und sah mich an.

Er hatte ja Recht. Ich senkte meinen Blick und murmelte: “Na gut”. “Wie wäre es denn, wenn wir uns einen schönen Nachmittag bei mir machen? Krystal würde sich bestimmt auch freuen. Ist schon eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal zu dritt getroffen haben”, schlug Tizian mir unvermittelt vor und ich ging dankend auf das Angebot ein.

Zuvor gingen wir aber noch zu der Agentur, bei der ich eigentlich die Fotos hätte machen sollen. Am Empfang sah die Dame hinter dem Tresen sofort, dass etwas passiert war. “Guten Tag, ich bin Giulia De Lorenzi und sollte eigentlich Modell stehen, doch ich wurde Opfer eines Übergriffes”, sagte ich und war etwas peinlich berührt.

Die Frau sah mich mitleidig an und meinte: “Sie sehen in der Tat nicht gut aus. Wann hätten sie denn Zeit, um das Shooting nachzuholen?”. “Wann ginge es denn bei Ihnen?”, antwortete ich mit einer Gegenfrage. Mir war das so nämlich viel lieber. Die Brünette guckte auf ihren Computer und sagte dann: “Morgen um die selbe Zeit hätten wir noch einen Termin frei”. Ich ging schließlich darauf ein und war froh, als ich in dem Auto von Tizian saß. 

 

Nachdem wir noch einen kurzen Abstecher in das riesige Einkaufszentrum gemacht hatten, fuhren wir zu der Villa. Als ich das riesige Gebäude betrat, war ich erstaunt darüber, dass sich nicht viel geändert hatte. Mein bester Freund führte mich auf dem direkten Weg in das Wohnzimmer. Dort hatte es sich Krystal auf dem Sofa bequem gemacht.

Sofort hellte sich ihre Miene auf, als sie uns erblickte, aber auch so machte sie einen sehr glücklichen Eindruck. “Da bist du ja wieder”, sagte sie an Tizian gewandt und wollte aufstehen, doch mit schnellen Schritten war er bei ihr und meinte: “Natürlich und du gönnst dir schön Ruhe”. Danach gab er ihr einen Kuss auf die Stirn.

Die beiden waren richtig beneidenswert. Von so einer traumhaften Ehe konnte ich nur träumen. Gut, sie hatten ein Jahr voller Turbulenzen gehabt, bis sie endlich ein Paar wurden, doch dafür gaben sie sich jetzt nicht mehr her. Das merkte ich daran, dass sie auch rasch den Bund der Ehe eingegangen waren.

“Giulia, schön dich mal wieder zu sehen. Wie läuft es denn bei dir so?”, erkundigte sich die Frau bei mir. Wahnsinn, wie reif Krys doch geworden war! Einst hatte mir Tizian gesagt, sie sei eine tickende Zeitbombe. Seitdem sie aber mit ihm zusammen war, war sie die Ruhe selbst. Richtig erstaunlich.

Mit einem gequälten Lächeln auf dem Gesicht antwortete ich: “Eigentlich ganz gut. Ich hatte vorhin eine sehr … skurrile Begegnung mit Jakob”. “Jakob? Was wollte der denn von dir?”, fragte sie mich überaus besorgt. “Ach, das weiß ich doch auch nicht. Er meinte, dass ich ihm früher oder später eh verfallen werde. Er kann wohl nicht mit Abfuhren umgehen”, meinte ich.

Ich hoffte inständig, dass Krystal nicht zu heftig drauf reagierte. Zu meinem leichten Erstaunen sagte sie nur: “So ist es richtig. Jetzt kannst du mit ihm machen, was ich nie machen konnte”. Ein kleines Grinsen schlich sich auf ihre Lippen, was ich ziemlich teuflisch fand. “Oh ja, ich werde ihm zeigen, wie es ist, wenn man nicht das bekommt, was man will”, feixte ich.

Um nicht zu sehr von ihrer Frage, wie es bei mir so läuft, abzuschweifen, meinte ich: “Ansonsten hat sich mein Leben nicht großartig verändert. Wobei ich ehrlich gesagt überlege, zurück nach Italien zu gehen”. “Was? Ist das dein Ernst?”, fragte sie mich etwas geschockt, woraufhin ich nickte. “Ja, mich hält hier nichts mehr und ich vermisse Florenz. Außerdem würde ich meine Eltern sehr gerne wieder sehen”, rechtfertigte ich mich schon fast bei ihr wegen meiner Überlegung.

Immerhin war ich mit meinem Medizinstudium schon fast fertig, eigentlich wartete ich nur darauf, meine letzte Prüfung zu schreiben. Danach würde ich wieder in meine geliebte Heimat gehen. Zwar gefiel mir Deutschland, aber ich wusste, dass ich nach Italien gehörte.

Zu meinem Glück schien mich Krystal zu verstehen. “Du wirst uns aber bestimmt trotzdem besuchen kommen, oder? Und dich melden?”, wollte sie von mir wissen, was mich zum Kichern brachte. Ich antwortete ihr: “Na klar, das ist doch klar. Ich werde meine besten Freunde doch nie vergessen und außerdem ist Fabrizia auch schon drauf und dran ihre Kisten zu packen”.

 

Nach diesem Namen sah mich Krys fragend an. Oh, das hatte ich ganz vergessen. Die beiden kannten sich noch gar nicht. Das musste ich auch mal ändern. “Fabi ist meine Sandkastenfreundin, also so etwas wie Tizian. Außerdem modelt sie auch, wir sind sogar bei der selben Hauptagentur unter Vertrag”, klärte ich sie auf.

Die Frau, die auf ihrem Sofa lag schien zu verstehen. Tizi war während des ganzen Gespräches in die Küche gegangen und hatte uns kleine Happen zubereitet. Noch war er nicht zurück. “Ach so, ist sie auch so eine tolle Frau wie du?”, fragte Krystal mich, was mich rot werden ließ.

Sie fand mich toll? Das war ein sehr schönes Kompliment. “Danke und ja, ist sie. Du musst sie unbedingt mal kennenlernen”, plapperte ich munter weiter und kam mir vor wie im Tal der Engel. Hier war alles so verdammt friedlich und harmonisch, daran könnte ich mich glatt gewöhnen.

Leider hatte ich nicht so einen tollen Mann wie meine Freundin. Würde ich wohl nie haben, dachte ich und merkte, wie mich die Trauer darüber überkam. “Und nun zu dir. Erzähl mal, wie es dir so erging in den letzten Wochen”, lenkte ich das Gespräch bewusst auf Krystal ab, damit niemand merkte, wie ich mich gerade fühlte.

Das Lächeln, welches sich auf ihre Lippen gelegt hatte, wurde größer. Ihr Augen hatten diesen unverkennbaren Glanz, der mich immer wieder faszinierte. Also ich war nicht lesbisch oder bisexuell, aber das fiel bei ihr total auf. Ja, Krys konnte wirklich mit den Augen lächeln. Als mir das Tizian einmal erzählt hatte, hatte ich ihn für einen Träumer gehalten, bis ich es schließlich mit eigenen Augen gesehen hatte.

Besagte Frau sagte: “Wie du sicherlich siehst, werde ich immer fetter. Ich gehe echt auf wie ein Hefekloß”. Danach musste ich kichern, bis ich schließlich in schallendes Gelächter ausbrach. “Allerdings. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, warst du wirklich spindeldürr. Tut dir also mal ganz gut”, gab ich ihr Recht.

Auch Krystal lachte und ich musste sagen, dass es wirklich schön war, dass sie über ihren Gewichtszuwachs lachen konnte. Daran war auch nichts schlimm, schließlich war sie im sechsten Monat schwanger. “Alessandro scheint aber ein Brocken zu sein”, sagte Krys und legte eine Hand auf ihren Bauch.

Genau in dem Moment kam Tizian mit einem Tablett hinein. Er stellte es auf die Mitte des Tisches und bat uns darum, uns daran zu bedienen. “Es wird also ein Junge?”, fragte ich interessiert, woraufhin Tizi ebenfalls eine Hand auf den Bauch seiner Frau legte und sichtlich stolz antwortete: “Ja, aber im Gegensatz zu mir wird Sandro eine schöne Kindheit haben”.

 

Nach diesen eher nachdenklichen Worten herrschte einen Moment Stille, die ich aber gekonnt zu durchbrechen wusste. “Alessandro also. Schöner Name, ihr bleibt dem Italienischen also treu”, meinte ich und hoffte, dass die Stimmung wieder ausgelassener wurde. “Ich fand den Namen schon immer schön”, sagte Tizian.

Da fiel mir etwas ein. “Du hast schon als Kind zu mir gesagt, dass du so deinen Sohn nennen würdest. Irgendwie sehr niedlich, dass du das noch immer machen möchtest”, meinte ich leicht nachdenklich und dachte an alte Zeiten. Die Miene von meinem besten Freund erhellte sich, ehe er sagte: “Stimmt und ich bin froh, dass ich dazu die richtige Frau habe”.

Sein Blick glitt zu Krystal, die überglücklich lächelte. Dann gab er ihren einen Kuss auf den Mund. Am Liebsten hätte ich vor Freude geweint, denn diese Szene erinnerte mich an kitschige Liebesfilme. Ich besinnte mich aber und gluckste: “Ihr seid einfach so verdammt süß zusammen!”. Die beiden fuhren etwas erschrocken auseinander, ehe sie ebenfalls lachten. Dann meinte Krys: “Wer hätte das gedacht?”. “Es ist schön zu sehen, wie zusammenkommt, was zusammen gehört”, murmelte ich. “Was ist denn los?”, fragte sie mich sofort. “Ihr seid so ein tolles Team, eine Einheit. Da darf man doch ein wenig sentimental und neidisch werden”, zog ich meinen Neid ein wenig ins Lächerliche.

Ja, ich war wirklich neidisch und hatte keine Probleme, das auch vor den beiden zuzugeben. Sie wussten, dass ich ihnen ihr Glück gönnte und das war das Wichtigste, denn es entsprach der Wahrheit. “Du wirst bestimmt auch noch einen Mann finden”, meinte Tizian und als er sah, dass ich missmutig mit den Schultern zuckte, sagte er noch: “Hey, du bist wirklich hübsch und der Kerl, der dich eines Tages heiratet, kann sich verdammt glücklich schätzen”.

Wow, das nenne ich doch mal ein Kompliment! Und das Schöne daran war, dass ich wusste, das Tizian das ernst meinte und Krystal überhaupt nicht eifersüchtig war. Gut, am Anfang dachte sie, dass er und ich ein Paar wären, aber das hatten wir in dem Park sofort erklärt.

 

“Und wie läuft es sonst bei dir? Was ist mit deinem Abitur? Soweit ich weiß, wolltest du das nachholen”, wandte ich mich an meine Freundin. “Keine Sorge, dafür tue ich schon etwas, denn ich meine es ernst, dass ich mein Abi haben möchte und ohne das kann ich nie Architektin werden”, beschwichtigte sie mich sofort.

Eine Frage brannte mir aber noch auf der Seele. “Wie machst du das mit dem Baby dann?”, wollte ich von ihr wissen. Sie antwortete: “Darüber haben Tizian und ich schon gesprochen. Wenn ich eh hier lerne, werde ich auch Zeit für den Kleinen haben. Außerdem arbeitet Tizi die meiste Zeit hier, da können wir uns auch mal abwechseln”. Die Lösung war gar nicht mal so schlecht.

Sie waren wirklich eine Einheit geworden. “Das ist gut so”, stand ich ihnen bei. “Ja und nebenbei werde ich seine Sekretärin”, kicherte Krystal ausgelassen. Mir war auch aufgefallen, dass sie ihren Mann mittlerweile mit dessen ungeliebten Spitznamen ansprechen durfte ohne das dieser beinahe den Verstand verlor.

Das war nämlich eine lustige Geschichte zwischen den beiden gewesen. Als die beiden sich erst kennengelernt hatten und Krys noch ziemlich aggressiv von ihrem Charakter her war, wollte Tizian partout nicht, dass sie ihn Tizi nannte. “Du hast dein Leben wirklich in den Griff bekommen, Respekt”, sagte ich anerkennend.

Sichtlich stolz nickte Krystal, dann meinte sie: “Es wird schwer werden, aber ich bin bereit, diese Herausforderung anzunehmen und außerdem habe ich ja Beistand”. Damit meinte sie vor allem Tizian und mich. Nicht umsonst sah sie mich lächelnd an. Es tat gut, zu wissen, dass sie mir vertraute und in mir eine Freundin sah.

Der Nachmittag zog sich dahin, wir redeten noch über so viele Dinge, dass ich das Gefühl hatte, noch nie so viel gesprochen zu haben. Ich blieb sogar noch bis zum Abendessen. Tizian war so ein begnadeter Koch und ich aß sehr gerne das, was er zubereitet hatte. Wir vergaßen die Zeit vollkommen, denn schon bald war es dunkler Abend. Es war Zeit, nach Hause zu gehen.

It's My Life

 Die kühle Luft, die ich einatmete, tat unheimlich gut. Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich durch ihr besser. Als ob mich etwas befreit hätte. Eigentlich war ich mit meinem Leben zufrieden, doch irgendwie überkam mich gerade völlig unerwartet die Einsamkeit. Dabei war alles in Ordnung gewesen. Bis vor Kurzem.

Natürlich steckte hinter meinen Stimmungsschwankungen ein bestimmter Mann. Oder sollte ich lieber zurückgebliebener Junge sagen? Nach unserer ersten intensiveren Begegnung war ich sehr beunruhigt. Ich hoffte nur, dass es die letzte war. Und doch kam alles ganz anders.

Ich war keine fünf Minuten von dem Grundstück von Tizian entfernt, als ich neben mir eine Gestalt ausmachen konnte. Glücklicherweise lief ich gerade an einer Laterne vorbei und sah sein blondes Haar in dem Licht nur so funkeln. Vielleicht konnte ich ja so tun, als ob ich ihn nicht wahrnahm.

Bitter lachte ich vor mich hin, woraufhin Jakob sagte: “Ich habe dir gesagt, dass wir uns wieder sehen. Nein, ich habe es dir sogar geschworen, Baby!”. “Was du nicht sagst”, meinte ich nur und lief schneller. Natürlich hielt er meinem Tempo locker mit. “Was willst du noch von mir? Ich werde ganz bestimmt nicht mit dir eine Nummer schieben!”, ging ich gleich zur Sache. “Ich mag solche bissigen Frauen wie dich”, gab Jake unter einem Grinsen zu.

Was sollte ich dazu nur sagen? Seufzend murmelte ich: “Lass mich doch einfach in Ruhe”. “Schlaf doch einfach mit mir”, konterte der Mann völlig unbeeindruckt und wagte es doch tatsächlich, mich mit meinen eigenen Waffen zu schlagen. “Nein!”, schrie ich ihn auf einmal an und sah, wie er erstaunt zusammenzuckte. Ehrlich gesagt war ich auch ein wenig überrascht von mir, denn eigentlich sah mir so ein Verhalten überhaupt nicht ähnlich.

So schlecht war das aber auch nicht, denn ich hatte Köbi vorerst zum Schweigen gebracht. Das war mir auch viel lieber. “Stalkst du jede Frau?”, fragte ich ihn, als es mir zu still wurde. “Nein, nur welche, die ich echt heiß finde”, antwortete mir Jakob. Auch wenn mir das Kompliment schmeichelte, erwiderte ich nichts darauf. Er sollte sich bloß nicht einbilden, dass ich auf seine Masche hereinfiel.

Plötzlich blieb er abrupt stehen. Aus Reflex tat ich es ihm gleich und sah ihn fragend an. Der Mann blickte mir genau in die Augen und sagte: “Ich werde einfach nicht über dein Verhalten fertig”. “Was meinst du?”, fragte ich leicht irritiert nach, doch er meinte nur unbekümmert: “Du weißt genau, was ich meine. Das ist schließlich nicht unsere erste Begegnung und es wird garantiert auch nicht die letzte sein”. 

 

Er ließ wirklich nicht locker! “Nein”, erwiderte ich dennoch, woraufhin der Mann nur überaus ernst sagte: “Jetzt lügst du aber”. Ich war gerade im Begriff weiterzugehen, doch seine Worte erschwerten mir das Gehen. Völlig überrumpelt davon wäre ich wohl auch noch auf den harten Backsteinboden gefallen, wenn Jakob nicht seine Arme um meine Hüften geschlungen hätte.

Mein Herzschlag schien einen Moment auszusetzen, denn ich konnte diese Hitze spüren, die sich mit einem Mal in meinem Inneren ausgebreitet hatte. Völlig entgeistert starrte ich Jakob an, der mich ebenfalls mit seinen grünen Augen fixierte. Ich würde noch verrückt werden!

Ganz langsam beugte er sich leicht zu mir herab und flüsterte: “Du bist schon jetzt dabei, mir hoffnungslos zu verfallen und dann wird es ein Leichtes sein, dir einen Kuss zu entlocken”. Um seine Worte zu unterstreichen, legte er seine Lippen ganz leicht auf meine und verharrte einige Sekunden in dieser Position.

Dummerweise war ich nicht in der Lage auch nur irgendwie zu reagieren. Nein, diese Situation schien mir alle Sinne zu rauben, ebenso meinen Verstand. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn nach wie vor mit meinen großen braunen Augen anzustarren. So blieb es auch, obwohl seine eine Hand über meinen Rücken fuhr.

Was machte dieser Mensch nur mit mir? Wieso konnte er mich so leicht beeinflussen? Nie würde ich mich in ihn verlieben oder ihn auch nur in kleinster Weise entgegen kommen! Nein, niemals! Sollte er sich doch ein anderes dummes Mädchen suchen, aber ich würde ihm den Gefallen sicherlich nie tun.

Erst da wurde mir klar, wie nah ich ihm eigentlich gekommen war. Mit hitzigem Kopf stieß ich ihn von mir und atmete tief durch. Dann meinte ich: “Was sollte das denn jetzt? Musste das wirklich sein?”. “Ja, musste es und das weißt du. Tu nicht so, als ob es spurlos an dir vorbei gegangen wäre”, entgegnete Jake.

Verdammt, dass er auch alles wahrnahm! Eigentlich war das eine ziemlich gute Gabe, doch mir war das sichtlich unangenehm. “Ich tue auch nicht so, es ist die Wahrheit”, beharrte ich auf meiner vorherigen Aussage. Seine Augen blitzten auf, ja, ihm passte es wirklich nicht, dass ich nicht zugab, was in mir vorging. Zumindest leugnete ich es vor dem Mann.

 

Natürlich machte ich ihm erneut einen Strich durch die Rechnung. Das ließ er nicht auf sich sitzen. “Giulia, ich werde dir noch zeigen, wie es ist, so jemanden wie mich zu haben”, sagte er, doch mir kam es so vor, als ob das eine Art Versprechen war und er es sich selbst gegeben hatte oder wollte.

Wie auch immer, ich würde ihm nicht verfallen. “Warum sollte ich? Du brichst Frauen reihenweise das Herz”, erwiderte ich, woraufhin er hinterhältig grinste. “Was soll ich denn sonst machen? Ihr liebt es doch, wenn man euch nachstellt, euch Geschenke macht und euch unsere volle Aufmerksamkeit widmet. Ihr Weiber seid doch alle aus dem selben Holz geschnitzt!”, warf er mir bitter an den Kopf.

Ein Schauer nach den anderen suchte mich nun heim. Warum war er wieder so kalt? Ich hatte nämlich eine winzige Sekunde daran gedacht, dass er auch anders konnte. Doch da hatte ich mich natürlich getäuscht. “Ach ja? Ich kann nichts dafür, dass du so denkst, aber nur über meine Leiche würde ich mich dir ergeben!”, widersprach ich ihm und sah ihn feindselig an.

Irgendwie versetzten mir seine Ansichten einen mächtigen Stich. Als ob man mit sehr spitzen Pfeilen auf eine Dartscheibe zielen würde. Nur war ich das Ziel. “Du denkst also, du seiest anders? Oh bitte, Lia!”, sagte Jakob und sah mir genau in die Augen. Ich hielt seinem Blick stand und um das auch noch zu unterstreichen meinte ich: “Ich denke das nicht nur, ich weiß es! Seit jenem Ereignis habe ich niemanden mehr an mich herangelassen!”.

Im nächsten Moment legte ich beide Hände auf meinen Mund, nur um dann panisch aufzuschreien. Jake dagegen sah mich etwas irritiert an. “Von welchen Ereignis redest du?”, wollte er wissen, doch ich antwortete ihm nur: “Das geht dich gar nichts an! Lass mich einfach in Ruhe, ich habe kein Interesse, dich in meinem Leben zu haben!”.

Warum war meine Zunge auch schneller als mein Verstand gewesen? Jetzt hatte ich ihm nämlich indirekt bestätigt, dass es da etwas gab, was ich verbarg. Nur sprach man über solche Themen nicht. Außerdem, was sollte es mir nützen, wenn ich jetzt, nach zehn Jahren darüber sprach?

 

Jakob sah mich unentwegt an. “Was? Habe ich irgendetwas an mir, was dir nicht passt?”, fragte ich ihn, um vom Thema abzulenken. “Ich bin einfach nach wie vor der Meinung, dass du etwas verbirgst!”, warf er mir an de Kopf und mir kam es so vor, als ob er der eifersüchtige Ehemann wäre.

Was sollte ich dazu nur sagen? “Natürlich verberge ich etwas, du bist aber auch nicht besser!”, schoss es unüberlegt aus mir heraus. Im nächsten Moment biss ich mir auf die Lippe. Damit hatte ich mich nur noch mehr in Bedrängnis gebracht. Mir war klar, dass er jetzt nicht nachgeben würde, bis er wusste, was für ein Geheimnis ich hatte.

Wider Erwarten sagte er jedoch: “Allerdings. Jeder hat Dinge, die man lieber für sich behält”. “Und warum fragst du mich dann immer wieder danach?”, wollte ich wissen, woraufhin er antwortete: “Wer sagt, dass ich es wissen will?”. “Warum solltest du mich sonst damit löchern? Da macht es auch keinen Unterschied, ob ich nun etwas habe, was ich verschweige oder nicht”, meinte ich irritiert

Der Mann vor mir atmete scharf die Luft ein und aus. Bestimmt wollte er sich damit beruhigen. “Giulia, irgendwann wirst du es mir so oder so erzählen”, erwiderte er nur monoton, was mir einen noch heftigeren Stich als zuvor versetzte. “Nein”, krächzte ist, da mir die Kräfte zu schwinden drohten.

Purer Schwindel überkam mich und aus lauter Verzweiflung klammerte ich mich an keinem Geringeren als Jakob. Sonst wäre ich wohl noch ohnmächtig geworden. “Du wirst schon bald allein mir gehören”, raunte er mir in mein linkes Ohr zu. Sein heißer Atem traf dabei auf meine Haut, woraufhin mich eine heftige Gänsehaut durchfuhr. Himmel, was machte dieser Kerl nur mit mir?

Aus einem jämmerlichen Versuch, ihn zu widersprechen, nuschelte ich: “Nein”. Es war kaum merkbar und doch hatte mich Jakob nur zu gut gehört. Zudem lehnte ich mich noch immer an ihm und krallte mich mit meinen Händen in seine Jacke. Kein Wunder also, dass er annahm, ich würde schwach werden.

Der Kindskopf, der sich gerade trotz allem ziemlich erwachsen benahm, strich mir meine umherwehenden Haare aus dem Gesicht. Ich sah zu ihm auf, um zu erkennen, wie sich seine Miene veränderte. Irgendwie sah er gerade wirklich warmherzig aus, aber vermutlich war mir so schwindelig, dass ich es mir nur einbildete.

Seine Stimme war dennoch glockenklar. “War dieses Ereignis so schlimm?”, wagte er es doch tatsächlich mich unverblümt zu fragen! “Ich wünschte mir manchmal nichts sehnlicher, als daran gestorben zu sein”, brachte ich mich erstickter Stimme hervor, woraufhin sich seine Pupillen weiteten.

 

Damit nicht genug, Jakob japste nach Luft, nahm mich aber in eine tiefe Umarmung. “Nein Giulia, sag bitte nicht so etwas. Es reicht schon, wenn ich so denke”, flüsterte er und verkrampfte sich eigenartig schwer in meinen Haaren. Leicht verunsichert blickte ich zu ihm hoch und wieder legte sich sein Blick auf mich.

Leider war dieser wunderschöne Augenblick schnell verflogen, denn dieses Mal war er es, der Abstand nahm. Er schüttelte mit dem Kopf und murmelte etwas davon, dass es nicht so weiter gehen könne. Bevor ich ihn aber danach fragen konnte, was er meinte, sagte Jakob: “Wir können unsere Sorgen einen Augenblick vergessen”.

Danach horchte ich auf. “Wie soll das gehen?”, fragte ich ihn dieses Mal direkt. Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, ehe er antwortete: “Schlaf mit mir und ich werde dir für einen Moment all deine Sorgen aus deinem Gehirn ficken”.

Darum ging es ihm also. Hätte ich mir denken können. Natürlich. Wie dumm konnte ich nur sein, um zu glauben, dass es ihm ernsthaft interessierte, was in mir vorging? Dafür würde ich mich am liebsten schlagen. Da es aber vor Jake komisch aussehen würde, ließ ich es sein.

Lieber ballte ich meine Hände zu Fäuste und trat einen großen Schritt zurück. “Glaubst du im allen Ernst, dass ich so dumm bin und mich von dir zu so etwas Blödes hinreißen lasse?”, wollte ich sichtlich angesäuert von dem Mann wissen. “Weißt du was dein Problem ist, Lia? Du bist so verdammt prüde! Anstatt du einfach versuchst, das, was passiert ist, zu vergessen, denkst du nur daran, vernünftig zu sein!”, blaffte er mich auf einmal von der Seite an.

Die Stimmung war mächtig gekippt. Mal wieder. Dennoch blieb ich ruhig und zischte: “Du hast doch keine Ahnung, du Arschloch!”. “Werde bloß nicht trotzig!”, fluchte der Mann, woraufhin ich meinte: “Oh doch, du bist doch nur beleidigt, weil ich mir dir widersetze! Gewöhn dich schon mal daran! Würde ich mit dir darum wetten, hättest du schon verloren!”.

Jetzt blitzte etwas extrem Hinterhältiges in seinen Augen auf. “Okay, die Wette gilt”, sagte er triumphierend. “Hey, das war überhaupt keine Wette!”, erwiderte ich, doch wenn ich genauer darüber nachdachte, hatte der Arsch recht. “Oh doch, du wolltest es doch anders gar nicht. Nun, in spätestens einer Woche habe ich dich”, meinte Jakob matt.

Schnaubend sah ich ihn an und widersprach ihm. “Nie und nimmer! Vergiss sofort, was ich zu dir gesagt habe! Du machst mich einfach nur wütend!”, versuchte ich mich herauszureden, was mir vollkommen misslang. “Wie ich schon sagte, ich gebe dir höchstens eine Woche und in dieser einen Woche wirst du mich zumindest geküsst haben. Egal wie, ich werde die Wette gewinnen und bis dahin definitiv nicht ruhen”, ließ er mich mit so einer Entschlossenheit in der Stimme wissen, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte.

 

Trotz allem übernahm mein italienisches Temperament in mir das Kommando. “Nichts da! Das ist mein Leben und ich werde es bestimmt nicht von dir kontrollieren lassen!”, schrie ich ihn an, was ihn nur zum Lachen brachte. “Was ist daran so lustig?”, wollte ich wissen. Jakob antwortete: “Du hast schon verloren und ich werde dir nicht verraten, was ich für den Gewinn der Wette will. Das werde ich dann tun, wenn ich sie gewonnen habe”.

Meine Pupillen weiteten sich daraufhin. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn überaus geschockt und mit offenem Mund anzustarren. “Wieso?”, fragte ich atemlos, da mich seine Sicherheit so überrascht hatte. Er kam mir bedrohlich nahe, legte seine Hände schon fast besitzergreifend auf meine Schultern und flüsterte ernst: “Ich werde dich verbrennen. Wie Feuer. Ich bin gefährlich, gemeingefährlich und wenn ich etwas möchte, dann bekomme ich es auch”.

Meine Güte, dachte ich, was für ein verwöhnter Schnösel. Ihm gegenüber erwähnte ich diesen Gedanken aber nicht. Seine Worte hallten immer wieder in meinem Kopf. Er wollte mich verbrennen. Das klang schon fast nach einer Drohung, aber in gewisser Weise hatte ich sie mir auch selbst zuzuschreiben. Was musste ich auch so dumm sein und das Wort Wette erwähnen?

Plötzlich lachte Jakob auf. Mein Blick schnellte nur noch mehr zu ihm hoch und ich konnte zu deutlich fühlen, wie mein Herzschlag immer unruhiger wurde. Es schlug so laut, dass ich dachte, dass er es hören konnte. Glücklicherweise tat er es nicht und selbst wenn, vermutlich würde er sich einbilden, ich wäre in ihn verliebt. Aber das würde mir nie und nimmer passieren! Jawohl.

Jakob war es, der mich aus diesen irrsinnigen Gedanken riss, in dem er bedrohlich hauchte: “Denk ruhig über meine Worte nach. Denk ruhig über mich nach. Ich werde mich in dein Leben bohren und mich ganz tief in dein Inneres schleichen”. “Nein”, krächzte ich und stieß ihn von mir.

Der Mann lachte bitter böse und schien unberechenbar zu sein. “Du wirst dir schon bald nichts sehnlicher wünschen, als mir nie begegnet zu sein. Danke Giulia, du vertreibst mir die Langeweile. Man sieht sich”, sagte er unbeeindruckt und entfernte sich mit so einem hinterhältigen Lachen von mir, dass es mich schüttelte.

I'm A Mess

 Ich sah Jakob sehr lange hinterher und fragte mich, ob er meine Blicke, die sich schon fast förmlich in seinen Rücken brannten, spüren konnte. Bestimmt, schoss es mir durch den Kopf. Lässig schlenderte der junge Mann weiter von mir weg und ich sah immer noch in die Richtung, in die er verschwand. Selbst als ich ihn nicht mehr sehen konnte, war ich nicht in der Lage, meinen Blick abzuwenden.

Er machte mich schon jetzt vollkommen verrückt! Wie es wohl in einer Woche sein würde? Was wohl passieren würde? Leider musste ich erst besagte Woche abwarten, bis ich mehr wusste. Verdammt, das war so gemein! Warum konnte ich nicht einfach in die Zukunft schauen? Das wäre viel einfacher.

Nach diesem unsinnigen Gedankengang musste ich lachen. Irgendwie war das ja auch lustig. Vor allem die Tatsache, dass Jakob im allen Ernst dachte, dass ich ihm verfallen würde. Niemals! Sollte er doch bis in alle Ewigkeiten daran denken. Am besten solange, bis er alt und grau war.

Soweit würde es aber nie kommen, denn ich kannte seinen Ruf nur zu gut. Bestimmt machte er sich jetzt, in diesem Moment, ein naives Mädchen klar, dass dachte, es sei seine große Liebe. Zum Scheiterhaufen damit! Sicherlich hatte es schon einige Männer in meinem Leben gegeben, mit denen ich eine Beziehung führte, doch der Richtige war nie dabei gewesen. Ist ja auch kein Wunder, sonst wäre ich wohl kaum Single.

Männer konnten mir so oder so gestohlen bleiben, daher fragte ich mich ernsthaft, warum Jakob mich nicht einfach in Ruhe lassen konnte. Vermutlich sendete ich ihm falsche Signale. Oder ihm gefiel mein abweisendes Verhalten. Es soll Menschen geben, die das durchaus interessant fanden.

Dennoch glaubte ich nicht, dass Jake dazugehörte. So wie ich ihn kannte, wollte er nur einmal Sex und das war es auch. Es musste wirklich an seinem Ego kratzen, dass ich mich ihm nicht ergeben hatte. Warum sollte ich auch? Im Gegensatz zu ihm besaß ich Niveau. Außerdem war er jünger als ich und das um ganze vier Jahre. Er sollte bloß schnell aufhören zu glauben, ich würde ihm verfallen. Einst wurde mir gesagt, dass man nur an Dinge glaubte, die nicht existierten.

 

Langsam setzte ich mich endlich in Bewegung. Ich fand es schon peinlich, dass ich nur wegen Jake wie angewurzelt stehen geblieben war. Zum Glück wusste er nichts davon, daher war es halb so wild. Was war aber, wenn er mir erneut auflauern würde? Ihm traute ich mittlerweile fast alles zu.

Warum sollte er sich aber dann von mir verabschiedet haben? Umsonst hatte er das wohl kaum getan, oder? Ach verdammt, dieser Typ brachte mich schon jetzt total durcheinander! Bestimmt machte er das mit Absicht. Und dann würde er sich das holen, was er schon von Anfang von mir wollte: Eine Nacht.

Noch hatte ich da aber ein Wörtchen mitzureden. Noch. Die Betonung lag auf dieses eine Wort. Mich gruselte es schon, wenn ich nur daran dachte, mich ihm förmlich an den Hals zu schmeißen. Das hätte er wohl gerne. Mistkerl. Da war er aber bei mir, Giulia De Lorenzi, an der falschen Adresse.

Irgendwann kam ich mir echt noch vor wie ein Papagei, der alles nachbabbelte, was die Menschen sagten. Das war aber nicht ich. Ganz und gar nicht. Ich war eine junge, erwachsene Frau, die wusste, was sie wollte und was nicht. Oder besser gesagt, wen sie haben wollte und wen nicht. Nur leider schien das der betroffene Mann nicht zu akzeptieren.

“Beruhige dich”, sagte ich zu mir selbst in die Dunkelheit und beschleunigte meine Schritte. Ich wollte nicht noch einmal von irgendjemanden überfallen werden, schon gar nicht von Jakob. Mein Haar flatterte im Wind leicht umher und ich war froh, dass die Luft so angenehm frisch war.

Irgendwann, ich konnte mir auch nicht erklären, warum ich das tat, rannte ich einfach drauf los. Ich wollte weg. Weg, von der Öffentlichkeit und einfach nur alleine sein. Zu meinem Glück hatte ich es nicht weit zu der Wohngemeinschaft mit Justin. Auch wenn ich das, was er letztes Jahr mit Jakob gemacht hat, nicht vergessen, geschweige denn ihm verzeihen konnte, war er ein guter Freund für mich.

Ich kannte Jus schon ewig und schließlich war er für mich da gewesen, als ich ihn am meisten brauchte. Auch wenn ich wusste, dass er dafür nichts verlangte, so war es so etwas wie meine Pflicht, ihm zur Seite zu stehen. Das hieß aber nicht, dass ich alles gut fand, was er machte. Das wusste er auch. Schließlich sagte ich ihm, wenn mich etwas störte oder wenn ich etwas nicht in Ordnung fand.

 

Besagte Person erwartete mich bereits in unserer überschaubaren Wohnung. “Giulia, ich warte schon eine ganze Weile auf dich”, begrüßte mich Justin und ich konnte nur zu deutlich den besorgten Ton in seiner Stimme wahrnehmen. “Dein Cousin stalkt mich!”, kam ich gleich zur Sache.

Fragend sah Jus mich an, woraufhin ich meinte: “Na Jakob, dieser Idiot!”. “Ach der”, sagte der Mann vor mir nur seelenruhig. “Wenn es nur so wäre! Ich glaube langsam wirklich, dass er einen psychischen Schaden hat”, gab ich meine Meinung über ihn offen kund.

Neben mir lachte Justin, warum konnte ich mir nicht erklären. “Er ist nun einmal ein totaler Draufgänger”, verteidigte er schon fast diesen Spinner von Jake. In mir begann es bereits leicht zu brodeln, obwohl ich das nicht wollte. Schließlich war er ein guter Freund von mir und das musste daher auch nicht sein.

Ruhig Blut, dachte ich und meinte ganz unverblümt “Das kannst du wohl laut sagen. So etwas Niveauloses habe ich noch nie gesehen”. Nach diesen Worten klappte der Mund von Justin auf. Ehe ich ihn nach den Grund fragen konnte, brach er auch schon in schallendes Gelächter aus.

Da ich absolut nicht wusste, was an meiner Aussage so komisch gewesen war, fragte ich: “Was ist?”. “Nichts, nichts”, beschwichtigte mich Justin sofort, wobei es mir eher wie ein missglückter Versuch vorkam, etwas zu vertuschen. Skeptisch beäugte ich ihn, was der Mann ernst zur Kenntnis nahm.

Irgendetwas hatte sich verändert. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber mir kam mein guter Freund wie ein Fremder vor. “Jakob weiß, dass ich ein Geheimnis habe”, sagte ich dennoch und sah, wie Jus mich erstaunt ansah. “Haben wir das nicht alle?”, stellte er mir eine Gegenfrage, woraufhin ich erwiderte, dass Jake genau das ebenfalls gesagt habe.

Zu meiner Verwunderung aber schien das Justin nicht weiter zu beeindrucken, denn er erklärte mir nur, dass er seinen Cousin besser kennen würde. “Was für ein Wunder, ihr kennt euch ja auch schon ewig”, gab ich etwas spitz von mir und verdrehte die Augen. Zum Glück nahm mir Jus nicht übel, dass ich gerade etwas zickig war. Lieber fragte er mich, ob ich nicht etwas essen mochte, was ich dankend bestätigte.

 

Während er uns etwas zubereitete, saß ich ratlos in unserer überschaubaren Küche herum. Mein Körper bebte leicht, was mir nur noch mehr Angst machte. Ich hatte allen Grund so zu zittern, doch den Grund musste keiner wissen. Niemals wollte ich an das denken, was vor zehn Jahren geschehen war.

Eine Hand auf meiner Schulter holte mich aus meiner Trance zurück. “Ganz ruhig”, flüsterte Justin und meinte: “Auch wenn Jakob so ein Draufgänger und Aufreißer ist, der den Mädchen reihenweise das Herz bricht, kann ich dir versichern, dass er genau weiß, wo seine Grenzen sind”.

Seine Worte waren nur ein schwacher Trost, denn natürlich fühlte ich mich noch immer hundsmiserabel. “Und warum ausgerechnet ich? Warum will er mich stalken?”, wollte ich wissen. Die Fragen waren mir nur stockend über die Lippen gekommen. Meine Sicht war leicht verschwommen, da sich glühend heiße Tränen in meinen Augen stahlen.

Ich war froh, dass Justin diese nicht sehen konnte, da ich stur auf den Boden starrte. “Wie du weißt, möchte dich Jake unbedingt rumkriegen. Ich denke mal, dass ihn das nur weiter anspornt, wenn du ihn immer wieder ablehnst. Vielleicht kannst du ihn endlich bekehren”, mutmaßte mein Mitbewohner, was mich wieder etwas hellhöriger werden ließ.

Meine Gedanken überschlugen sich beinahe. Es ging sogar schon so weit, dass ich nicht mehr klar denken konnte. “Du meinst also, dass er damit aufhören könnte, Frauen das Herz zu brechen, wenn ich ihn weiterhin abblitzen lasse?”, fragte ich unüberlegt, woraufhin Justin triumphierend mit den Händen klatschte.

Mir war diese These nicht ganz geheuer. “Warum sollte es das?”, gab ich meine Skepsis offen preis. “Nichts ist langweiliger für uns Männer, als Frauen, die sich uns bedingungslos fügen, außer der Mann heißt Christian Grey. Giulia, du bist dagegen anders. Du bist eine Herausforderung und gerade das ist sehr interessant”, sagte Jus mit einem kleinen Schmunzeln.

Sein Versuch, mich zum Grinsen zu bringen, funktionierte. Wenn ich schon allein nur an die Anspielung an die Trilogie um Christian Grey und Anastasia Steele dachte, musste ich ein Kichern unterdrücken. “Wir sind hier aber nicht bei Shades Of Grey und zudem ist Jakob bestimmt auch so ein krankes Schwein. Warum sollte er denn sonst jeden Tag eine andere haben?”, erwiderte ich wieder ernst.

Nun war es still. Justin schien ernsthaft über meine Worte nachzudenken. Dann meinte er aber: “Eigentlich ist er ganz zahm, wenn du ihn erst einmal genauer kennst, wirst du dasselbe von ihm sagen können”. “Wie bitte? Ich habe überhaupt kein Interesse, ihn genauer kennenzulernen! Er nervt mich und soll mich einfach nur in Ruhe lassen!”, schrie ich meinen Mitbewohner schon fast an. Sofort entschuldigte ich mich bei ihm, was er auch annahm.

Die restliche Zeit, die wir in der Küche verbracht hatten, sprechen wir über andere Dinge. Es gab schließlich Wichtigeres als einen zweiundzwanzigjährigen Typen, der im Geiste noch nicht einmal erwachsen war. Und doch war dieser dafür verantwortlich, dass ich total durcheinander war.

 

Das merkte ich auch am nächsten Morgen. Als ich ein Geräusch hörte, schreckte ich aus meinem ohnehin schon unruhigen Schlaf hoch und blickte sofort mit geweiteten Pupillen zu meiner Zimmertür. Erst einige Augenblicke später realisierte ich, dass es nur mein Wecker war, der mich aus den Schlaf gerissen hatte.

Erleichtert ließ ich mich kurz zurück in mein weiches Kissen fallen. Es war zehn Uhr, Zeit zum Aufstehen. Ich musste frühstücken und duschen, denn heute hatte ich das Fotoshooting. Da wollte und konnte ich mir keine Patzer leisten. Außerdem war es schon fast lächerlich nur wegen Jakob so aufgewühlt zu sein.

Diesen Morgen saß ich alleine in der Küche, da Justin bereits zu seiner Frühschicht aufgebrochen war. Das kam mir auch ganz gelegen, da ich sowieso allein sein wollte. Zudem gab es damit auch keine Probleme im Bad. Gut, der Mann und ich hatten eine unausgesprochene Hausordnung, doch kam es manchmal vor, dass sich unsere Wege im Bad kreuzten und das konnten wir Frauen überhaupt nicht gebrauchen.

Gedankenverloren wie eh und je stieg ich schließlich unter die Dusche, nachdem ich mir ein ausgiebiges Frühstück gegönnt hatte. Meine Figur würde sicherlich nicht darunter leiden, es war schon immer so gewesen, dass ich ziemlich alles essen konnte ohne Angst haben zu müssen, zuzunehmen.

Für mich war es wie ein Segen, das warme Wasser auf meiner Haut zu spüren. Ich fühlte mich besser, was vielleicht auch daran liegen konnte, dass ich die Tür des Zimmers abgesperrt hatte. Es mochte zwar paranoid sein, doch dadurch wusste ich mich in Sicherheit. Nichts hasste ich mehr, als alleine irgendwo zu sein. Als das mit dem Duschen erledigt war, schmiss ich mich in Schale, damit die Visagisten und die Kollegen gleich beim Shooting nicht unnötig Zeit verschwendeten, um mich noch aufzubrezeln.

Leider wollte mir das nicht so gelingen. Immer wieder rutsche ich mit dem Eyeliner ab und musste mich neu schminken. Im Spiegel konnte ich auch nur zu gut den Grund für dieses Szenario ausmachen: Ich zitterte am gesamten Körper. Vor Aufregung war ich bestimmt nicht so im Eimer, nein, mich ließ einfach nicht das Gefühl los, dass ich verfolgt wurde.

Das konnte aber auch nicht sein, ich war mir sicher, dass das von Jakob gestern nur eine primitive Drohung war. Und doch ließen mich seine Worte nicht mehr los. Es war geradezu unglaublich, dass ich mich davon so sehr beeinflussen ließ, was ich auch selbst beim Shooting merkte.

 

Nach einer halben Ewigkeit hatte ich es endlich geschafft, mich einigermaßen passabel zurechtzumachen und an der Agentur anzukommen, doch schon wurde ich zur Maske geschliffen. “Was ist denn los?”, wollte ich etwas verängstigt wissen, woraufhin mir geantwortet wurde, dass mein Look geradezu grauenhaft sei.

Als ich vor dem Spiegel saß, blieb mir fast die Luft weg. Ich sah wirklich alles andere als gut aus. Es fing schon damit an, dass der Eyeliner etwas verschmiert war, ebenso das bisschen Wimperntusche, was ich noch draufgemacht hatte.

Weiter ging es mit dem Puder, das unschöne Flecken auf meinen Wangen hinterlassen hatte und mit dem Ende, dass ich ziemlich angsteinflößende Augenringe hatte. Kaum hatte das meine beste Freundin Fabrizia, die ihre Sachen holte, gesehen, sprach sie mich an. “Himmel, Giulia! Wie schaust du denn aus?”, fragte sie mich, woraufhin ich nur ratlos mit den Schultern zucken konnte. “Du schaust schrecklich aus, ist etwas passiert?”, bohrte sie weiter nach und obwohl ich eigentlich keine Lust hatte über die Geschehnisse der letzten Zeit zu reden, antwortete ich: “Nein, außer das ich so einen kleinen Stalker habe, der zufällig Jakob Di Izmir heißt”.

Nachdem sie diesen Namen gehört hatte, weiteten sich ihre Pupillen. Natürlich war er auch ihr nicht unbekannt. “Ach nein, der Kleine also. Gott, dieser Hosenscheißer ist so was von nervig!”, zischte sie. Ich konnte nichts weiter tun, als sie kurz argwöhnisch anzublicken. “Er hat mich in unserer Bar angemacht, aber ich habe ihn abblitzen lassen, nachdem er mir ein paar Getränke spendiert hat. So ein Träumer, hat wirklich gedacht, dass ich mit ihm ins Bett gehe”, gab sie süffisant zu.

So war sie eben, meine beste Freundin. Ich musste aber auch dazu sagen, dass sie seit Jahren geradezu vergeblich auf irgendeinen Mann wartete, der ihr einst versprach, dass sie sich irgendwann wiedersahen. Ich wagte es erst gar nicht, sie darauf hinzuweisen, dass es kaum ein Junge ernst mit einem Mädchen meinte, wenn er ein Teenager war. So nutzte sie die Männer aus, um sich von ihrer höllischen Sehnsucht abzulenken. Arme Fabrizia.

“Ich muss dann auch wieder. Auch wenn ich hier nur noch ein halbes Jahr bin, so möchte ich mich nicht ausruhen. Du kannst dich ja gerne mal melden, wenn du über dein Problem mit Jakob reden willst. Ciao”, verabschiedete sich Fabi von mir. Ich nickte ihr nur lächelnd zu. Sie sollte nicht sehen, dass ich voller Sorgen war.

 

Dafür nahmen das meine Kollegen nur zu gut wahr. “Stillhalten”, sagte Miguel, mein Visagist und trug mir neuen Eyeliner auf. Zuvor hatte er sich noch mit den anderen beraten, welcher Look mir am besten stehen könnte. Immerhin ging es in dem Shooting um die Sommerkollektion.

Der Mann war mir so nahe, dass ich unwillkürlich an Jakob denken musste und - wie sollte es anders sein - zusammenzuckte. “Giulia!”, ermahnte er mich, woraufhin ich nur entschuldigend den Kopf schütteln konnte. Im Spiegel sah mein Kollege und Kumpel, dass sich Tränen in meinen Augen befanden.

Sofort legte er seine Utensilien ab und fragte ruhig, ob alles in Ordnung sei. “Ja”, log ich ihn an und blinzelte die Tränen weg. Ich musste mich zusammenreißen. Schließlich hatte mein Job nichts mit meinem Privatleben zu tun und ich war schon immer ein Mensch gewesen, der das gut trennen konnte.

Einen kurzen Moment sah er mich noch an, ehe er seine Arbeit wieder aufnahm. “Du zitterst”, bemerkte er schon bald und war im Begriff, das Zeug erneut zur Seite zu legen, doch ich meinte: “Mach bitte weiter, sonst sitzen wir hier noch bis morgen früh. Es ist wirklich nichts”.

Miguel tat, was ich ihm sagte. Im Gegenzug versuche ich krampfhaft nicht mehr an Jakob zu denken und dachte an meine wunderschöne Heimat. Das tat ich auch, während die Fotografen massenhaft Fotos von mir schossen. Zuvor hatte man mir noch wunderschöne rote Rosen ins Haar gesteckt.

Ich wechselte die Klamotten so oft, dass ich dachte, dass ich im Lotto gewonnen hätte. So viele Kleider! Das war der absolute Wahnsinn. Ebenso wie ein gewisser Herr Di Izmir. Und das meinte ich nicht im positiven Sinne. “Nicht so verkrampft, du tust sonst noch Blätter von dem Baum reißen”, hörte ich plötzlich Miguel sagen.

Oh, wir waren bereits draußen. Irgendwie war das alles an mir total vorbeigerauscht. Ist gut, dachte ich, jetzt wird posiert, so wie ich es sonst auch immer tat. Kaum hatte ich das gedacht, schenkte ich meinem Kumpel mein schönstes Lächeln, woraufhin er mir mit einen nach oben gezeigten Daumen signalisierte, dass ich es so richtig machte. Es ging so weiter und schon bald war ich wieder voll in meinem Element.

“Die Fotos sind richtig gut geworden”, wurde ich gelobt und man reichte mir ein Glas Sekt. Das war bei uns ein unausgeschriebenes Ritual. Nach jedem Shooting bekam jeder, der daran mitgearbeitet hatte, ein Gläschen. Was mich aber doch etwas stutzig machte, war die Tatsache, dass es mir im Gegensatz zu sonst völlig egal war, ob ich meinen Job gut gemacht hatte oder nicht. Und daran war nur ein gewisser Jakob Schuld. Warum musste er mich auch so derart durcheinander bringen?

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 Es dauerte nicht lange, bis ich schon auf dem Weg nach Hause war. Die Sonne zeigte sich von ihrer besten Seite und das schon seit heute Morgen. Kein Wunder, dass die Bilder vom Fotoshooting so gut geworden sind. Sogar die Rosen hatte ich noch im Haar, da ich sie total toll gefunden hatte. Mit ihnen kam ich mir schon fast wie eine Prinzessin vor.

Das Modeln war eine gute Ablenkung für mich gewesen. Mittlerweile war ich nämlich wieder etwas ruhiger geworden. Ich pfiff sogar leise vor mich hin und spazierte durch den schönen Park. Wie ich mich doch auf den Sommer freute! Ich war das typische Sommermädchen. Sommer, Sonne und heiße Temperaturen - das war so herrlich! Am meisten freute ich mich darauf, dass sich das trübe Wetter größtenteils in Luft auflösen würde.

Ich kam auch mit dem Frühling zurecht. Es gab keine Jahreszeit, die mir nicht taugte. Manchmal kam ich mir durch das Modeln wie ein Chamäleon vor. Immerhin mussten wir uns auf jedes Shooting individuell vorbereiten. Die frische Luft, die ich bei meinem kleinen Spaziergang einatmete, tat ungeheuer gut. Sie stärkte mich von innen heraus und entspannte mich sichtlich. Dafür überlegte ich , was ich mit den frühen Abend noch anstellen könnte. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und auch die Sonne war schon dabei unterzugehen.

Vielleicht sollte ich mich etwas beeilen, mir behagte es ganz und gar nicht, alleine in der Dunkelheit spazieren zu gehen. Noch mehr hätte ich aber auf meine Umgebung achten sollen. Mir war nicht klar gewesen, dass ich den Park verlassen hatte und schnurstracks auf eine von Autos gut befahrene Straße zuging.

Das Geräusch von Motoren riss mich nämlich aus meinen Gedanken. Ehe ich mich umsehen konnte, sah ich, wie ein roter Ferrari mit einer sehr hohen Geschwindigkeit auf mich zufuhr. “Oh Gott, bitte nicht!”, schrie ich und war so geschockt, dass ich mich nicht bewegen konnte.

Geh weiter, dachte ich, na los, beweg dich! Meine Gedanken waren wie weggefegt, ich konnte mich nach wie vor nicht von der Stelle bewegen, obwohl ich das hätte tun sollen. Eigentlich hatte ich gar nicht vor, mit nur sechsundzwanzig Jahren zu sterben, anscheinend sah das eine höhere Macht anders.

Hätte ich doch bloß auf meine Umgebung geachtet, wie ich es auch sonst immer tat! Aber nein, ich dumme Kuh musste natürlich in meiner Traumwelt abdriften. Das war auch so etwas an mir, was ich nicht so ganz leiden konnte. Ich war eine Träumerin aus Leidenschaft und daher musste es irgendwann einmal so kommen. 

 

Und doch meinte es das Schicksal gut mit mir. Blitzschnell warf sich etwas auf mir, legte seine Arme etwas grob um mich und rollte mit mir auf die Seite. Dabei stieß ich mir den Kopf und auch die armen Rosen waren zerfetzt. Das Wichtigste war jedoch an der ganzen Sache, dass mir und meinem Retter nichts passiert war. Oder besser gesagt Stalker.

Als ich nämlich hinauf sah, weiteten sich meine Pupillen. Sein Blick lag ebenfalls in meinen Augen. “Ist alles in Ordnung mit dir?”, fragte er mich, doch ich nahm seine Stimme nur gedämpft wahr. Längst rannen mir Tränen über die Wangen, was ich auf meine Sensibilität schob.

Sanft strich er sie mir weg und blickte mich fragend an. Ich wollte ja antworten, doch mein Mund war staubtrocken und daher wollte es mir einfach nicht gelingen, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen. Seine Arme waren noch immer an meinen Schultern.

Sein Gesichtsausdruck wurde besorgt. “Sprich doch bitte mit mir, Giulia. Hast du einen Schock? Soll ich dich ins Krankenhaus bringen?”, redete Jakob weiter auf mich ein und irgendwie hörte er sich wirklich so an, als ob er sich ernsthafte Sorgen um mich machte. Endlich konnte ich halbwegs reagieren. Ich schüttelte heftig mit dem Kopf und hustete. Sein Gewicht wurde mir allmählich doch zu schwer.

Dennoch bewegte ich mich nicht, dafür war dieser ungewohnte Moment der Nähe einfach zu schön. Es sollte mehrere Momente wie diesen geben. Seine Augen hatten nach meiner eher kargen Reaktion einen unverkennbaren Glanz angenommen. Er schien sogar sichtlich darüber froh zu sein.

Meine Erleichterung wich mir aber im nächsten Augenblick aus dem Gesicht. An seiner linken Wange hatte er nämlich eine böse Schramme. Doch nicht etwa wegen mir? Ein Gutes hatte die Entdeckung aber: Ich hatte endlich wieder meine Sprache gefunden. “Was machst du denn hier?”, fragte ich atemlos.

Seine Mundwinkel verzogen sich nach oben, aber leider nur ganz leicht. Dann sagte er leise: “Ist nicht wichtig. Viel wichtiger ist, dass du wieder auf die Beine kommst”. Ich wurde rot im Gesicht, da er noch immer auf mich lag und keine Anstalten machte, aufzustehen, obwohl er gerade im Prinzip nichts anderes gesagt hatte. Wenn auch nur indirekt.

Etwas peinlich berührt meinte ich: “Ähm, ja… Kannst du bitte…?”. “Was?”, fragte er mich. Anscheinend verstand er wirklich nicht, dass ich nicht aufstehen konnte, wenn er noch mit seinem Gewicht auf mich lag. Zudem schien er mir etwas verwirrt zu sein. “Na … runter von mir. Sonst äh, kann ich nicht wieder auf die Beine kommen wie du es wünschst”, stammelte ich und konnte förmlich spüren, wie mir die Röte in die Wangen schoss.

Immerhin rührte sich endlich Jakob, wenn auch etwas langsam und noch immer nicht ganz zu sich gekommen. Vermutlich ging das auch nicht an ihm spurlos vorbei. Er reichte mir sogar eine Hand, die ich dankend annahm. Nachdem wir uns den Dreck von den Klamotten abgeklopft hatten, sah ich auf ein paar geköpfte Rosenblüten.

Ein wenig traurig meinte ich: “Schade um die schönen Rosen, die haben mir so gut gefallen”. Ohne zu zögern bückte sich der Mann vor mir hin und sammelte die drei Blüten ein. Zwei davon drückte er mir in die Hand, ehe er mit der anderen meinen Haaren immer näher kam.

Zuerst verstand ich gar nicht, was er machen wollte, doch dann dämmerte es mir. Er wollte sie mir in mein Haar, das durch seine Rettungsaktion total zerzaust war, stecken. Das war ja so süß! Ich begann schon fast dahinzuschmelzen und versuchte verkrampft stillzuhalten.

Die erste Rose war schon wieder schnell positioniert, die zweite musste er jedoch erst etwas glatt streichen. “Passt die so?”, fragte er mich überaus höflich, woraufhin ich nur ein leises Ja hauchte. Auch die hatte er rasch in mein Haar angebracht, ebenso die dritte.

 

Ich sah mich um. Von dem Fahrer, der mich fast überfahren hatte, war nichts mehr zu sehen. Das rege Treiben auf der Straße ging einfach normal weiter, als ob nichts gewesen wäre. “Dieses Arschloch!”, hörte ich Jakob neben mir zischen und als ich ihn etwas entsetzt ansah, meinte er: “Entschuldige, aber … du weißt selbst, dass es hier ziemlich gefährlich ist”.

Wollte er mir etwa einen Vorwurf machen? Seltsamerweise war mir das gerade richtig egal. “Du hast mir vermutlich das Leben gerettet”, gab ich unüberlegt vor ihm zu, woraufhin er sich leicht verlegen über die Haare strich. Natürlich waren sie perfekt gegellt, anscheinend konnte er nicht auf Gel verzichten.

Er atmete etwas hilflos ein, dann flüsterte er kaum hörbar: “Ist das denn nicht so etwas wie eine Pflicht, anderen Menschen zu helfen? Ist doch klar, dass ich nicht einfach vorbeigehe”. Nach seinen Worten wurde ich etwas weiß im Gesicht. Er kam mir schon fast wie ein Fremder vor, wie Justin vorhin.

Ehrlich gesagt hätte ich Jake so eine Denkweise nicht einmal im Traum zugetraut. Umso mehr erstaunte er mich jetzt. “Das sehen leider nicht viele Menschen so wie du”, sagte ich. “Ich weiß, mach’s gut Giulia”, erwiderte er und wollte schon gehen, doch ich konnte, nein, ich wollte ihn nicht gehen lassen. Nicht, nachdem er mir das Leben gerettet hatte.

So ging ich ihm hinterher und hielt ihm am Arm fest. Sein Blick bohrte sich in meinen, doch er war nicht etwa sauer oder triumphierend - ich hatte nicht vergessen, dass er mich nur flachlegen wollte -, sondern so weich, dass ich schon fast Angst hatte, dass er zerfallen könnte.

Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit, dachte ich. “Ähm, ich möchte mich doch bei dir bedanken! Es kommt nicht alle Tage vor, dass ich in Lebensgefahr bin und du mich rettest. Und außerdem…”, begann ich und musste einen großen Kloß hinunter schlucken. “Und außerdem? Ist doch etwas mit dir?”, wollte Jakob sofort wissen und durchsuchte mein Gesicht nach Schrammen. Wie süß! “Und außerdem möchte ich jetzt nicht alleine sein”, murmelte ich und hoffte, dass er es nicht verstanden hatte.

Leider hatte er das sehr wohl. “Ist gut”, sagte er. “Zum Dank möchte ich dich in ein Café einladen. Am besten wäre es sofort”, meinte ich und konzentrierte mich darauf, wieder so normal wie möglich zu klingen. Erstaunlicherweise antwortete Jakob: “Sehr gerne, aber du sollst wissen, dass ich dich ohne zu Zögern jederzeit wieder retten würde”.

Bei seinen Worten wurde mir ungeheuer warm ums Herz. Es war lange her, dass sich ein Mann so respektvoll gegenüber mir verhalten hat. Umso unverständlicher war es für mich, dass Jakob sonst der Playboy aus dem Bilderbuch war. Trotzdem war ich nach wie vor vorsichtig bei ihm. Das hinderte mich aber nicht daran, etwas auf seine Antwort zu erwidern. “Danke, das ist gut zu wissen”, sagte ich nur, woraufhin er meinte, dass er ein ganz nettes Café kennen würde.

 

“Geht es dir auch wirklich gut?”, durchbrach Jake diese unangenehme Stille, die sich zwischen uns ausgebreitet hatte, als wir auf dem Weg zu dem Café waren. Irgendwie war ich ziemlich froh darüber, dass er mit mir reden wollte. “Ja, es ist echt nichts. Ich mache mir nur etwas Sorgen um deine Schramme”, entgegnete ich mit einem kurzen Blick auf seine betroffene Wange.

Jakob sah mich daraufhin lächelnd an. Dann sagte er: “Brennt nur ein bisschen und das wird auch verheilen. Hauptsache ist doch, dass du in Sicherheit und nicht verletzt bist”. Langsam aber sicher beschlich mich das Gefühl, dass er etwas vorhatte, doch da ich dafür keinen einzigen Beweis hatte, schob ich diesen Gedanken in den Ecken meines Verstandes.

Ich überlegte schon fast fieberhaft, was ich nur darauf sagen könnte. Zum Glück übernahm der Mann erneut das Wort. “Ich bin wahnsinnig froh, dass dir nichts passiert ist, das hätte ich mir nie verziehen”, meinte Jakob. “Wieso das denn nicht?”, wollte ich leise wissen, da ich nicht glauben konnte, was er da eben gesagt hatte. “Ganz einfach, weil es niemand verdient hat. Na gut es gibt da ein paar Personen, bei denen mir das nicht so nahe gehen würde, aber du gehörst nicht dazu und beschreien möchte ich es auch nicht”, gab er vor mir zu.

Warum konnte er nicht einfach immer so nett sein? Er verwirrte mich mit seinem seltsamen Verhalten total. Zuerst war er ein notgeiler Macho und jetzt war … ja, er war ein normaler Mensch. Ich war nicht dumm. Mir war klar, dass das vermutlich nur eine Masche von ihm war, aber irgendetwas tief in meinem Inneren sagte mir, dass er wirklich keine Hintergedanken hatte.

Vielleicht war ich auch nur gutgläubig, ich wusste es nicht. Dennoch misstraute ich ihm nach wie vor. Ich kannte diesen Typ doch gar nicht. Was wusste ich schon großartig von ihm? Er hieß Jakob Di Izmir, war zweiundzwanzig Jahre alt und der kleine Bruder von Tizian, meinem besten Freund.

 

Eben dieser Mann war es, der mich aus meinen Gedanken holte. “Wir sind da. Wo möchtest du dich hinsetzen?”, fragte mich Jake, als wir am Eingang eines wirklich schicken Cafés standen. “Ich würde vorschlagen, dass wir uns in eine ruhigere Ecke verziehen, sonst heißt es in den Medien noch, wir seien ein Paar”, schlug ich mit einem kleinen Grinsen vor, welches er sogar erwiderte.

Ich stand weiterhin an Ort und Stelle, da ich darauf wartete, dass er endlich mal hinein ging. Schließlich stand er nicht umsonst vor mir. “Nach dir”, sagte er etwas unsicher und trat zur Seite. Er wollte mir den Vortritt lassen? Okay, jetzt war ich mir sicher, dass er etwas genommen hatte. Immerhin war er teilweise auch dafür bekannt, dass er nicht ganz der Charmeur war.

Mit leicht wackeligen Beinen trat ich schließlich doch an ihm vorbei, während er mich genau beobachtete. Schon fast zu genau für meinen Geschmack. “Danke”, nuschelte ich dennoch so leise, dass er es eigentlich nicht verstehen konnte, was er aber sehr wohl tat. Er meinte nämlich, dass das kein Problem sei.

Schnell suchte ich eine ruhige Ecke, die ich sogar fand und keine Minute später saßen wir uns am Tisch gegenüber. Die Wände des Cafés waren in ein sanftes Rot gestrichen worden. Die Fensterbänke dagegen Kobaltblau. Der Raum wurde mit ziemlich edlen Kronleuchtern beleuchtet, die mir auf Anhieb gefielen. Selbst die dunkelbraunen Möbel schienen Antiquitäten zu sein.

Bewundernd sah ich mich weiterhin um, doch dann sagte Jakob: “Genau deswegen liebe ich dieses Café so”. “Weil es so alt eingerichtet ist?”, wollte ich wissen. “Genau. Irgendwie fand ich den Stil schon immer schön, das habe ich wohl von Ian”, sprach er doch tatsächlich seinen älteren Bruder an. Da ich aber Angst vor einer Änderung seiner Laune hatte, wenn ich ihn auf Tizian ansprechen würde, meinte ich euphorisch: “Geht mir genauso. Ich finde dieses Café echt edel”.

Im nächsten Moment widmete ich mich aber der Karte. Diese zeigte mir eine reichliche Auswahl, sodass ich erst einmal darüber nachdenken musste, was ich nehmen sollte. Mein Gegenüber dagegen warf keinen einzigen Blick darauf. Anscheinend kannte er sich so gut aus und wusste bereits, was er nehmen wollte.

Hilflos schnellten meine Augen weiterhin über allerlei Angebote. “Wenn ich dir einen Tipp geben darf, nimm auf jeden Fall den Eiskaffee. Der hier ist mit Abstand der beste, den ich je getrunken habe”, beriet mich Jake, wofür ich ihm ziemlich dankbar war. “Ich hätte aber auch noch Lust auf eine Kleinigkeit zum Verzehren, weißt du da zufällig auch weiter?”, erkundigte ich mich bei ihm.

Er schien etwas zu überlegen, dann aber hellte sich seine Miene auf. Begeistert wie eh und je sagte Jakob: “Die machen hier sehr gute Putenschnitzel mit Paprika und die Soße ist echt der Hammer!”. “Eigentlich wollte ich nur eine Kleinigkeit”, erwiderte ich lachend über seine Begeisterung. “Wenn du möchtest, dann können wir es uns teilen. Da wird es mit dem Personal hier keine Probleme geben”, ließ er mich etwas altklug wissen. Natürlich sagte ich dem zu.

Ein Kellner kam zielstrebig auf uns zu und nahm unsere Bestellung auf. Jetzt mussten wir nur noch auf unser Bestelltes warten. Dummerweise wusste ich nicht, wie ich mich gegenüber Jakob nun verhalten sollte. Diese Begegnung mit ihm war bis jetzt nämlich sehr schön, nur konnte ich da leider noch nicht wissen, dass die Verabschiedung alles andere als das sein würde.

Lonely

 “Erzähl doch mal etwas über dich”, bat mich Jakob, nachdem ich unruhig auf meinen Stuhl hin und her gerutscht war. Anscheinend hatte er bemerkt, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Da konnte ich mich schon glücklich schätzen, dass er nicht so sehr auf dem Mund gefallen war, wie ich in diesem Moment.

“Was möchtest du denn über mich wissen?”, fragte ich ihn, da mir seine Bitte etwas zu ungenau war. Er antwortete mir, dass er gerne wissen würde, wo genau ich aus Italien kam, wie meine Kindheit und Jugend war, was es mit dem Modeln auf sich hatte und so weiter und sofort. “Ich wurde am 24. August 1986 in Florenz geboren. Leider bin ich ein Einzelkind, aber keineswegs verwöhnt. Riccardo und Cecilia, meine Eltern, haben zu mir ein gutes Verhältnis und mit dem Modeln finanziere ich mir mein Studium”, meinte ich und sah, wie mir der Mann interessiert zuhörte.

Lächelnd fragte er: “Was studierst du denn und wie lange schon?”. “Ich studiere Medizin und bin im August voraussichtlich fertig”, antwortete ich ihm. “Und willst du danach Ärztin werden?”, wollte er wissen. Meine Güte, er war total gesprächig! Das fand ich aber auch gut, denn so wusste ich, was ich sagen konnte.

Kurz überlegte ich, ehe ich meinte: “Nein, jedenfalls nicht hier. Ich möchte zurück nach Italien. Eigentlich haben mir meine Eltern das Studium aufgedrückt, aber mittlerweile macht es mir wirklich Spaß”. “Oh, wieso willst du Deutschland verlassen?”, lautete sofort seine nächste Frage. In seinem Blick konnte ich deutlich lesen, dass er darüber geknickt war. Warum wusste ich allerdings nicht.

Ich atmete tief durch und erwiderte: “Hier hält mich nichts mehr. Außerdem geht meine beste Freundin ebenfalls wieder nach Florenz und ich möchte auch nicht, dass das Verhältnis zu meinen Eltern noch mehr gestört wird”. “Erklär mir das doch bitte etwas genauer”, bat er mich sanft und schien keineswegs gelangweilt von meinen Erzählungen zu sein.

Er war wirklich neugierig, das musste ich zugeben. Also gut, dann mal weiter, dachte ich. “Mir gefällt Deutschland zwar schon, aber Italien ist meine Heimat. Ich war doch nur hier, weil ich in Florenz so gute Noten hatte und außerdem sollte ich…”, begann ich, stockte aber, da ich ein ziemlich unangenehmes Thema ansprach. Fragend sah mich Jakob daraufhin an, was mir nicht ganz behagte.

So ein Dussel wie ich war, versaute ich noch das ganze Gespräch. Obwohl ich wusste, dass er überhaupt nicht gut auf seinen Bruder zu sprechen war, endete ich schließlich doch den Satz mit den Worten, dass ich eigentlich Tizian heiraten sollte, wir aber nur beste Freunde waren.

Kein Wunder also, dass die Augen von Jakob ein wenig gefährlich aufblitzten. Er schien mir dennoch erstaunt über die Tatsache zu sein.“Und was kannst du sonst noch so über die erzählen, Giulia? Was magst du und was nicht?”, überging Jake einfach den Teil mit der Heirat, wofür ich ihm sehr dankbar war.

Sichtlich erleichtert meinte ich: “Ich bin total kitschig, was aber nicht heißt, dass ich mich gleich jemanden an den Hals schmeiße, der mir beispielsweise einen Strauß Blumen schenkt. Außerdem träume ich sehr gerne vor mich hin. Und ich habe ein wahres Faible für Asien! Besonders Japan hat es mir angetan. Dagegen mag ich Menschen nicht, die denken, sie müssten einmal mit den Fingern schnippen und schon bekommen sie das, was sie wollen”. 

 

Nach meinen letzten Worten, mit denen ich auch ihn gemeint hatte, war es still. Ich wusste, dass Jake ahnte, dass ich ihn damit ansprach, doch wider Erwarten sagte er nichts dazu. Im Gegenteil, seine Miene hellte sich sogar auf, da der Kellner mit den Getränken und Essen kam. Tatsächlich war das Paprikaschnitzel halbiert worden und ich musste zugeben, dass es köstlich roch.

Mein Hunger war daher gewaltig gewachsen. Manchmal war ich schon etwas verfressen, aber das sah man mir zum Glück nicht an. “Einen guten Appetit wünsche ich der Dame und dem Herrn”, verabschiedete sich der freundliche Kellner von uns und warf mir noch ein schnelles Lächeln zu, welches ich sogar erwiderte.

Sofort machte ich mich über das Essen her. Kaum hatte ich den ersten Bissen genommen, wäre ich am liebsten glatt dahingeschmolzen. Jakob hatte echt nicht übertrieben, als er mir sagte, dass es köstlich schmecken würde! “Also, ich glaube, du solltest wirklich so etwas wie Essensberater werden”, nuschelte ich, während ich mir den nächsten Bissen in den Mund schob. Lachend sagte er, dass er ja gesagt habe, dass es einen gut münden würde.

Den Eiskaffee mochte ich auch. Darüber wunderte ich mich aber nicht im Geringsten, schließlich war ich so etwas wie ein Kaffeejunkie. Ohne meinen Kaffee konnte man mit mir so gut wie gar nichts anfangen. Ich brauchte den, um auf Touren zu kommen. Es war also klar, dass ich mir einen zweiten bestellte.

Das Essen zog sich ganz schön in die Länge. “Möchtest du nicht auch etwas über dich erzählen?”, wollte ich von dem Mann, der mir gegenüber saß, wissen, woraufhin dieser etwas unbeholfen wirkte und sich ertappt zu fühlen schien. “Also gut, ähm”, begann er schließlich, stoppte aber kurz.

Was war denn los? “Ich bin ebenfalls aus Florenz, wurde dort am 13. Oktober 1990 geboren und ich arbeite als Mediengestalter für Digital und Print”, antwortete er mir ziemlich selbstsicher. Anscheinend hatte er sich wieder gefangen. “Und was machst du da genau?”, fragte ich, da es mich wirklich brennend interessierte, was er so aus seinem Leben machte.

Er trank einen kleinen Schluck aus seinem Eiskaffee, ehe er sagte: “Da gibt es Einiges. Ich gestalte beispielsweise Flyer für die Firma oder entwerfe Plakate”. “Klingt nicht schlecht”, meinte ich anerkennend, woraufhin sich etwas in seinen Augen veränderte. Selbst seine Haltung war nicht mehr dieselbe.

Bevor ich aber nach den Grund fragen konnte, verzogen sich seine Lippen zu einem süffisanten Grinsen. Dann zischte er überaus abfällig: “Ja, da hast du recht, nur leider meint mein Cousin, mir Befehle geben zu können, obwohl er nicht mein direkter Vorgesetzter ist!”. “Wieso das denn?”, wollte ich vorsichtig wissen, woraufhin er antwortete: “Justin ist nichts weiter als der Leiter der Mediengestaltung. Er muss lediglich kontrollieren, ob ich meine Arbeit gemacht habe und pünktlich fertig geworden bin. Für alles weitere ist Ian zuständig!”.

 

Die Situation geriet mächtig ins Wanken. Was sollte ich dazu nur sagen? Zu meiner Verwunderung aber wollte Jakob wissen, wer meine beste Freundin sei. “Fabrizia Da Ferro. Sie ist auch Model, aber ich denke mal du wirst sie nur zu gut kennen”, spielte ich auf das an, was sie mir vor dem Fotoshooting erzählte.

In der Tat wusste Jake, wer sie war. Seine Pupillen hatten sich aber dennoch geweitet. Dann zischte er: “Dieses arrogante Miststück ist deine beste Freundin? Ist das dein Ernst? Ich hätte dir da etwas Besseres zugetraut, Giulia”. Oha, er schien wirklich nicht gut auf sie zu sprechen zu sein.

Unsicher sah ich auf meinen leeren Teller. “Äh, wie kommst du darauf?”, wollte ich wissen und wagte erst gar nicht, meinen Blick auf ihn zu richten. Dennoch bat er mich darum, ihn anzusehen. Dann meinte er so kalt wie Eis und voller Abscheu: “Sie meint nämlich, dass sie die Schönste wäre. Zugeben, sie ist verdammt sexy, aber das hindert mich nicht daran zu sagen, dass sie ein egoistisches Biest ist, das andere Menschen ausnutzt”.

Nun musste ich doch etwas schmunzeln. Fragend sah mich mein Gesprächspartner an, woraufhin ich meinte: “Du bist doch auch nicht besser. Du willst die Frauen auch nur ins Bett bekommen und sie danach eiskalt fallen lassen”. “Natürlich, aber ich behaupte auch nicht, besser zu sein”, gab er sogar zu. “Dann verstehe ich aber nicht, warum du dich darüber aufregst”.

Einen Moment blieb er ruhig, ehe er sich entspannt nach hinten lehnte und sagte: “Ich rege mich nicht darüber auf, ich wollte dir lediglich nur sagen, dass ihr überhaupt nicht als beste Freundinnen zusammenpasst. Außerdem liegt mein Augenmerk ganz allein auf dich, Baby”. Okay, anscheinend war er wieder im Arschloch-Modus. Na super. “Ach? Wie gut, dass es meine Sache ist, mit wem ich befreundet bin und mit wem nicht! Im Gegensatz zu dir kenne ich Fabrizia nämlich gut genug, also versuch erst gar nicht, sie vor mir schlecht zu machen”, stand ich ohne zu zögern zu meiner besten Freundin.

Das auch aus gutem Grund. Immerhin war sie immer für mich da. Sie war es, die mich in meiner schlimmsten Zeit aufgebaut hat, mich versucht hat abzulenken. Ich konnte mit ihr über alles reden, also würde ich wohl kaum so dumm sein und das aufgeben. „Für mich ist sie nichts weiter als ein verruchtes Miststück“, packte Jakob weiter vor mir aus. Meine Pupillen weiteten sich daraufhin ins Unermessliche. „Wie bitte?“, fragte ich zur Sicherheit, um zu überprüfen, dass ich mich nicht verhört hatte.

Der Mann vor mir lachte geradezu höhnisch auf, ehe er meinte: „Du hast schon richtig gehört. Ich erzähl dir mal etwas. Ich kenne viele Typen, die denken dasselbe über sie. Kein Wunder, wenn sie mit ihren Wimpern klimpert und nicht zu vergessen mit ihrem Arsch wackelt, nur um etwas zu bekommen. Diese Frau ist so was von gerissen, aber ebenso heiß und genau deswegen fallen auch so viele auf sie herein. Eigentlich wären sie und ich ja das perfekte Paar, nicht wahr?“.

Nach seinen Worten lief ich unwillkürlich rot an. Nicht nur das, mir schoss die Hitze nur so durch den gesamten Körper. „Ich, äh... ja, vielleicht verhält sie sich den Männern gegenüber nicht immer richtig, aber das hat doch nichts mit ihrer und meiner Freundschaft zu tun. Es ist allein ihre Sache, was sie macht“, stammelte ich und hoffte, dass er nicht bemerken würde, dass mich einzig allein sein letzter Satz so in Aufruhr versetzte. Die beiden und zusammen? Niemals!

 

Dummerweise aber schien er genau das zu wissen, denn er sagte sichtlich vergnügt: „Schade, dass sie nicht mit mir ins Bett wollte, wäre bestimmt heiß geworden. Anderseits scheint das ganz gut zu sein, denn dich stört es wohl gewaltig, dass ich es bei ihr versucht habe. Keine Sorge Baby, du bist meine Nummer Eins und daran kann auch keine Fabrizia Da Ferro etwas ändern“.

Langsam aber sicher setzte mir das Gespräch ziemlich zu, denn ich musste schwer schlucken. Nicht nur das, ich verschluckte mich auch noch an meiner eigenen Spucke, was zur Folge hatte, dass ich mir halb die Seele aus dem Leib hustete. Wenigstens war mein Gegenüber so freundlich und drückte mir etwas zu Trinken in die Hand. Als es wieder ging, meinte ich: „Danke, aber sag mal, warum bist du wieder so gemein zu mir?“. „Was ist daran gemein? Wenn es danach ginge, wäre das ganze Leben gemein“, erwiderte Jakob – wie mir schien, leicht geknickt – und nahm unbekümmert einen Schluck aus seinem Glas.

War das jetzt eine rhetorische Frage von ihm gewesen oder erwartete er eine Antwort von mir? Meine Güte, ich wusste gar nicht, wo mir der Kopf stand. „Zuerst rettest du mir das Leben, redest daraufhin sogar normal mit mir, aber nun bist du wieder ganz der Alte“, meinte ich vorsichtig und hoffte, ihn nicht wütend gemacht zu haben oder ähnliches. Glücklicherweise nahm er das locker hin, indem er sagte: „Tja, so bin ich halt“. Dabei grinste er mich verschmitzt an.

Ich dagegen wusste gar nicht, wie mir geschah. Damit hatte ich nämlich nicht gerechnet. Er schien friedlich zu sein, doch misstraute ich ihm nach wie vor. Bei ihm wusste man doch nie, wie seine Vorgehensweise war. Da war ich mir sicher. Jakob Di Izmir umgaben viele Rätsel, die mich zunehmend neugierig machten und mich zu ihm in die Dunkelheit führten. Diese dunkle Aura, die von ihm ausging erinnerte mich daran, dass Krystal genau das einst bei Tizian dachte. Im Gegensatz zu ihr kannte ich aber Tizi zu gut und wusste, dass er ziemlich harmlos war.

Leider konnte man das nicht von seinem jüngeren Bruder sagen. Dieser war nämlich drauf und dran mich immer mehr in den Abgrund zu ziehen. Obwohl das ganze Chaos mit ihm erst am Anfang war, war ich mir verdammt sicher, dass sich das alles noch total zuspitzen würde. Das Drama nahm bereits schon jetzt seinen Lauf. Noch nie war ich bei einem Fotoshooting so unkonzentriert wie vor ein paar Stunden gewesen.

 

„Gib mir deine Handynummer“, forderte mich Jakob auf einmal auf. „Ähm, wieso das denn?“, wollte ich misstrauisch wissen und dachte, dass ich meinen Ohren nicht trauen würde. Viele Mädchen und Frauen träumten nämlich davon, dass der Mann ihnen genau die Frage stellte. Denn das hieß nichts anderes, als dass er jene Auserwählten wieder sehen wollte.

Ich fragte mich jedoch, ob ich das wollte. Eine Hand, die sich auf meiner gelegt hatte, ließ mich aufsehen. Es war Jake, der mich so süß anlächelte, dass ich dachte, mein Herz würde stehen bleiben. Nicht mit mir! „Nein“, sagte ich daher. Auf seinem wunderschönen Gesicht bildeten sich Falten und selbst seine Pupillen weiteten sich. Anscheinend konnte er nicht glauben, dass ihm jemand eine Abfuhr erteilte oder, dass ich mich nach wie vor nicht von ihm einlullen ließ.

Er rührte sich nicht von der Stelle, sondern sah mich unentwegt an. „Ist etwas?“, wollte ich daher wissen. Irgendwie fühlte ich mich ziemlich unwohl, warum musste er mich auch so derartig intensiv anstarren? „Ja, ich habe keine Nummer von dir und auch keine Lust, dich ständig zu verfolgen. Also erleichter mir doch bitte die Suche und rück schon damit raus“, antwortete er mir, woraufhin ich stark mit dem Kopf schüttelte.

Der Mann, der mir gegenüber saß, beugte sich zu mir und wedelte mit dem Finger seiner freien Hand durch die Flamme der Kerze. Er schien mich mit seinem Blick über das Feuer hinweg zu durchbohren. „Das werde ich nicht“, meinte ich leise und war fasziniert von dem, was er tat. Jetzt blitzte etwas ziemlich Hinterlistiges in seinen Augen auf. Ehe ich reagieren konnte, sagte er seelenruhig: „Ich kann mir natürlich auch die Mühe machen und meinen allerliebsten Cousin fragen“.

Erpresste er mich etwa schon wieder? „Was soll das? Was erhoffst du dir davon, wenn ich dir meine Nummer gebe?“, wollte ich etwas geschockt wissen. Mich erschütterte es geradezu, wie weit Jakob ging. Dabei schien es ihm gar nicht zu interessieren, dass er mich gegen meinen Willen darzubringen wollte, ihm meine verdammte Handynummer zu geben. „Hast du etwa Angst, ich könnte dich auch dort stalken? Hast du etwa Angst, ich könnte sie weiter geben?“, fragte er mich süffisant und beugte sich noch weiter hinunter.

Langsam aber sicher machte ich mir Sorgen, dass er sich seine Haare an der Flamme der Kerze verbrannte. Oder irgendetwas anderes. Er kam ihr nämlich gefährlich nahe. „Angst? Nein, die nicht. Ich wundere mich nur darüber“, gab ich ehrlich zu. „Ganz einfach, ich werde so lange nicht ruhen, bis du dich dir mir ergeben hast“, stellte er mir seine Beweggründe offen dar. „Dann küss mich doch einfach und die Sache ist erledigt“, spielte ich auf unsere dämliche Wette an.

Augenblicklich später verdunkelte sich sein Blick. Er beugte sich zurück und lachte schelmisch. Dann säuselte er: „So läuft das nicht, Baby. Du sollst mich natürlich küssen. Hätte ich dich küssen wollen, hätte ich das nämlich schon längst getan“. „Das ergibt keinen Sinn. Du willst mich nicht küssen, aber ich soll es tun?“, erwiderte ich matt, woraufhin er die Luft scharf einzog. „Das verstehst du nicht, Baby. Wie ich schon sagte, du wirst mir verfallen und dann kannst du dich auf etwas gefasst machen. Ich habe viel mit dir vor und ich bin mir sicher, dass es dir gefallen wird. Bis auf das Ende natürlich“, konterte er überaus schlagfertig.

Es ging sogar so weit, dass ich ihn einen kurzen Moment mit offenem Mund anstarrte. Blitzschnell kam er meinem Gesicht sehr nahe und flüsterte: „Wie fühlt es sich eigentlich an, mein Objekt der Begierde zu sein?“. Nach diesen Worten, weiteten sich meine Pupillen. Damit nicht genug lief ich knallrot an und spürte die Panik, die mich mit einem Mal überkam. „Das hast du nicht eben gesagt“, hauchte ich beinahe atemlos und spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. „Doch, aber nur weil ich es schon immer wissen wollte“, bestätigte mir Jakob seine vorherigen Worte.

Ich war wie in Trance und wusste gar nicht wie mir geschah. Wortlos griff ich in meiner Hosentasche und holte mein Handy hervor. Es war kein Iphone oder ein vergleichbares, sondern ein etwas vereinfachtes. Ich brauchte nämlich kein Facebook auf dem Handy und auch Whatsapp würde ich mir nie anschaffen. Jakob nahm es mir lächelnd entgegen und tippte meine Nummer, die ich ihm freundlicherweise auf dem Display geschrieben hatte, auf sein ultramodernes Black Berry ab.

 

„Warum ist Tizian nicht hier?“, schoss es unüberlegt aus mir heraus, als ich mein Handy wieder hatte. „Weil dieser Trottel nicht unsere Liga ist. Er kann dich nun nicht vor mir retten. Du bist mir schutzlos ausgeliefert, Baby“, antwortete mir Jakob finster. „Ich verstehe nicht, wieso ihr euch so sehr verabscheut, ihr seid doch Brüder“, meinte ich nachdenklich, woraufhin der Mann geradezu belustigt meinte: „Halbbrüder bitteschön, Baby“. „War euer Verhältnis schon immer so schlecht?“, wollte ich wissen. „Was soll das denn jetzt werden? Dieses Gespräch wird mir unsympathisch!“, beschwerte sich Jake säuerlich und schien dabei etwas hilflos zu sein.

In einem Punkt hatte er aber recht: Unsere Unterhaltung war alles andere als toll. Aber irgendwie musste ich herausfinden, weshalb sich die Brüder so verachteten. „Weißt du eigentlich, was Tizi alles durchmachen musste?“, fragte ich Jakob direkt. Das schien ihm gar nicht zu gefallen, denn er zischte: „Das interessiert mich doch nicht! Dank diesem Bastards hat mein Vater mich geradezu enterbt. Ich sollte es sein, der die Firma leitet und nicht er!“. „Du bist total von Hass zerfressen“, stellte ich schockiert fest.

Mein Gegenüber lachte höhnisch auf. „Hass ist gar kein Ausdruck dafür!“, bestätigte er mir sichtlich stolz meine Feststellung. Traurig sank ich den Blick und murmelte etwas davon, dass ich nicht glauben konnte, dass sie schon immer so ein schlechtes Verhältnis zueinander gehabt hatten. Leider Gottes schien Jakob genau das gehört zu haben. „Natürlich nicht, Baby. Er hat sich doch kaum um mich gekümmert! Er ist ein miserabler Bruder! Er war lieber mit Lernen beschäftigt! Nur selten kam er mal zu mir und hat mit mir gespielt!“, polterte er. Ich war froh, dass er nicht die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf uns zog. Immerhin waren wir nach wie vor in dem schicken Café.

Dummerweise wusste ich aber nichts auf seine harten Worte zu sagen. „Er hat dich doch nur beschützen wollen“, flüsterte ich den Tränen nahe, da mich dieses Gespräch mitnahm. Mir war klar, dass Jakob nichts von all den Grausamkeiten, die Tizian in seiner Kindheit und Jugend über sich ergehen lassen musste, wusste. Sonst würde er definitiv nicht so barsch sein. Leider konnte ich ihm schlecht davon erzählen.

„Pah, das ich nicht lache!“, zischte er und glaubte mir natürlich kein Wort. Wieso denn auch? Für ihn war ich nichts weiter als ein Objekt, dass vermutlich viel zu gefühlsbetont war. „Selbst wenn, wieso hat er mir nie etwas davon gesagt?“, wollte Jakob tatsächlich von mir wissen. Kleine Tränen rannen mir daraufhin über die Wangen. „Schon mal daran gedacht, dass er dir Leid ersparen wollte? Wieso sonst hätte er dich sonst letztens als Blindgänger bezeichnen sollen?“, entgegnete ich nur schluchzend. „Warum wohl? Er denkt sowieso, dass ich total scheiße bin!“, redete sich der Mann schon fast in Rage.

Anderseits vernahm ich aber auch einen Funken Trauer in seiner Stimme, was mich dazu veranlasste, seine Hand zu nehmen. Irritiert sah er mich daraufhin an, wovon ich mich aber nicht beirren ließ. Dann flüsterte ich: „Es tut mir so leid für dich, dass du nicht weißt, dass dein großer Bruder dich gerettet hat“. Dabei sah ich ihm genau in die Augen. „Was soll der Mist? Bist du genau so eine Psychotante wie er, Baby? Ich habe auf so etwas keine Lust!“, stammelte Jakob durcheinander und erhob sich. „Wo willst du hin?“, fragte ich sofort, da in mir ein ungutes Gefühl aufkam.

Einen Augenblick lang musterte er mich stumm, ehe er antwortete: „Sorry, aber ich bin kein Weichei, also spar die dein sentimentales Zeug“. Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab und verließ das Café. Ja, er ließ mich allein zurück. Und erneut verspürte ich diese gewisse Einsamkeit, die mich auch nach unserem letzten Treffen heimgesucht hatte.

Blind Romance

 

Was sollte ich denn nun tun? Ich war alleine in dem Café und wusste nicht, wie mir geschah. Warum war Jakob wieder gegangen? War ich etwa so abscheulich? Dabei wollte ich doch nur wissen, wie es in seinem Inneren aussah. Mein Herz wurde schwer, es kam mir schon fast gebrochen vor. „Alles in Ordnung bei Ihnen, Miss De Lorenzi?“, wandte sich auf einmal der freundliche Kellner, der uns unsere Bestellung gebracht hatte, an mich. Zuerst sah ich ihn verwirrt an, da er meinen Namen wusste, doch dann wurde mir klar, dass es kein Wunder war, da ich nun einmal gut bekannt war.

„Ja, … schon gut“, antwortete ich und meinte sogleich, dass ich zahlen mochte. „Sagen Sie mal, gäbe es eine Chance, dass ich Sie treffen könnte?“, fragte der Mann mich. Ich musterte ihn still. Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, was ihm wirklich gut stand. Seine Augen waren stahlblau und seine Haare hatten einen warmen schokoladenbraunen Ton. Zugegeben, er sah nicht schlecht aus, doch gegen Jakob sah er ziemlich schlaksig aus. Was dachte ich denn da schon wieder? Was hatte der freundliche Kerl, der zu mir hinunter sah, mit dem notgeilen Casanova zu tun?

Ganz einfach: Jake hatte sich in kürzester Zeit geradezu zu dem Mittelpunkt meines Lebens gemacht. War ja auch kein Wunder, wenn er mir ständig auflauerte. „Ähm, wieso?“, harkte ich nach, da ich überhaupt keine Ahnung hatte, weshalb er mich treffen wollte. „Sie sind einfach nur wunderschön“, gab er ehrlich zu, woraufhin ich innerlich die Augen verdrehte. War klar, dass ich so eine primitive Antwort bekam. „Nein“, sagte ich mit fester Stimme. „Kommen Sie schon, ich habe ernsthaftes Interesse an Ihnen“, versuchte mich der Fremde zu überreden.

Ha ha, natürlich! Fast hätte ich laut losgelacht, doch ich besinnte mich und meinte: „Ich kenne nicht mal Ihren Namen“. „Allerdings und das ist sehr unhöflich von mir, verzeihen Sie mir bitte. Mein Name ist Tommy Forster“, erwiderte er ohne zu zögern. „Zugegeben, der Name ist echt schön, aber ich werde trotzdem nicht mit Ihnen ausgehen“, entgegnete ich skeptisch. Seine Augen verdunkelten sich ganz kurz, ehe er breit lächelnd meinte: „Es wäre doch nur ein Drink im Principado. Ich möchte Sie wirklich nicht belästigen, aber ich musste einfach so eine hübsche Frau wie Sie ansprechen“.

Was bildete er sich ein? „Ja, das finde ich auch sehr nett von Ihnen, Tommy, aber ich habe Nein gesagt. Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass das Principado die Stammbar von meiner besten Freundin und mir ist. Vielleicht trifft man sich dort mal aus Zufall“, verriet ich dem Schönling, dessen Augen mich nun anstrahlten. „Ist gut“, sagt er, „hier ist Ihr Wechselgeld, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“. „Behalten Sie es, auf Wiedersehen“, meinte ich und verließ das Café.

 

Mein Weg führte mich zu meiner Wohnung. Dieses Mal erwartete mich Justin nicht, denn er schien geradezu zu wissen, dass ich mich mit Jakob getroffen hatte. „Und wie war es mit unserem lieben Jake?“, wollte er sofort wissen. „Oh, sag bloß, er hat damit vor dir geprahlt und auch noch gesagt, dass ich doch mit ihm in die Kiste gestiegen bin!“, keifte ich etwas ungehalten, woraufhin er etwas auf Abstand ging. Er wusste nur zu gut, wenn man mich provozierte, dass man meist den Kürzeren zog.

„Ach was, nein. Ich wollte heute mit ihm etwas unternehmen, aber er meinte zu mir, dass er zu dir wollte“, beschwichtigte mich Justin sofort. Meine Stirn legte sich in Falten. „Hat der Kindskopf auch gesagt, was er von mir wollte?“, fragte ich natürlich nach. Jus schüttelte den Kopf und antwortete: „Er wollte es mir partout nicht sagen, denn ich habe mich auch schon darüber gewundert“. Seltsam, dachte ich, irgendetwas war hier doch verdammt faul.

Als ich später in meinem Bett lag überschlugen sich meine Gedanken. Ich hatte einfach nicht den blassesten Schimmer, weshalb Jakob mich verfolgte. So hartnäckig konnte er doch nicht sein. Vor allem nur weil ich nicht mit ihm schlafen wollte. Es gab schließlich genügend andere Frauen, die das taten. Nicht umsonst konnte man genau das immer wieder in diversen Zeitungen lesen. Ich glaubte nicht im Geringsten, dass das nur ein Fake war.

 

Am nächsten Tag war es an der Zeit, einkaufen zu gehen. Justin und ich wechselten uns damit ab, also war ich dieses Mal dran. Das machte mir aber nichts aus, denn es tat wirklich gut, etwas Normales zu tun ohne Angst haben zu müssen, dass ein gewisser Jakob Di Izmir meinen Weg kreuzte. Ich parkte meinen Wagen – ein rotes Cabrio – in der Nähe vom Eingang des riesigen Einkaufszentrums.

Es gab nur einen Laden, in dem ich hier einkaufte. Zumindest was den Einkauf für meine Wohnung anging. Mit einem Einkaufswagen ausgestattet begab ich mich auch sofort dorthin. Ich ging bedächtig langsam durch die vielen Gänge, denn das entspannte mich. Dabei ging ich die Punkte auf der Liste, die ich jedes Mal aufs Neue mit Justin erstellte, durch und packte das entsprechende Zeug in den Wagen.

Auf einmal aber stieß ich gegen etwas weißes. „Oh, entschuldigen Sie, ich...“, begann ich, brach aber dann ab, als sich der Mann zu mir umdrehte. Erst da sah ich so richtig auf und musste im nächsten Moment lachen. „Giulia, na das ist aber eine Überraschung! Alles klar bei dir?“, begrüßte mich Tizian ebenso lachend wie ich ihn.

Das war aber wirklich auch ein Zufall, dass ich ausgerechnet ihn fast über den Haufen gefahren hätte. „Wie man es nimmt, bei dir?“, fragte ich ihn und sah an ihm vorbei. Auf uns kam Krystal mit einem Einkaufswagen zu. „Das ist aber gar nicht nett, deiner schwangeren Frau das Ding schieben zu lasen“, neckte ich meinen besten Freund, als Krys neben ihm zu Stehen gekommen war. „Ich wollte ihn ihr ja abnehmen, doch dann hat sie ihre Krallen ausgefahren und gemeint, ich soll ihr doch um Gottes Willen nicht diese Stütze nehmen. So kann sie entspannter voran gehen, wobei ich sie nie drängen würde, aber nein, meine kleine Kratzbürste würde sich trotzdem so fühlen“, feixte Tizian.

Neben ihm lachte Krystal amüsiert über unser Gespräch auf. Dann meinte sie: „Oh ja, mein Liebster“. „Ihr seid also auch einkaufen“, stellte ich mit einem Blick auf den ziemlich vollen Wagen fest. „Jep, das muss sein“, bestätigte mir die schwarzhaarige Frau meine Aussage. Lächelnd sagte ich: „Ihr seid so unglaublich süß zusammen, wisst ihr das?“. Nach meinen Worten errötete Krys sichtlich und sah verlegen zu ihrem Mann hoch.

Es klang noch immer total unwirklich, dass Tizian den heiligen Bund der Ehe eingegangen war. Manchmal hatte ich mich gefragt, ob er überhaupt noch je heiraten würde. Dabei brauchte ich gar nichts sagen. Die zwei Jahre, die ich jünger als er war, sprachen Bände. Vermutlich war ich diejenige, die es nie vor dem Traualtar schaffen würde. Kein Wunder, wenn ich niemanden vertraute.

„Also dann“, sagte ich aus meinem Schwermut heraus, „ich wünsche euch noch viel Spaß beim Einkaufen. Man sieht sich“. „Danke, dir auch. Bis bald“, sagte Krystal und ich drehte mich um. Als ich schon fast in den nächsten Gang abgebogen wäre, hörte ich plötzlich Tizi meinen Namen sagen. Etwas verwundert drehte ich mich zu ihm um. Ehe ich fragen konnte, weshalb er mich aufhielt, meinte er auch schon: „Wir geben am Freitag einen Maskenball in der Villa und wollten dich fragen, ob du nicht Lust hättest hinzugehen“.

Stirnrunzelnd sah ich die beiden an. Wie kam man denn bitte auf so eine Idee? „Ähm.., okay“, antwortete ich daher ziemlich verdutzt. „Hier hast du Informationen über den Ball. Wir wollten nach dem Einkauf eh zu dir fahren und dir das Blatt zukommen lassen“, wies mich Tizi auf das Stück Papier, dass er nebenbei aus seiner Taschen geholt hatte, hin. „Wer kommt denn da noch so?“, fragte ich interessiert nach. „Jeder ist eingeladen, es ist nur schwer in die Villa zu kommen“, sagte Tizian und zwinkerte dabei.

Anscheinend fanden so etwas wie Kontrollen statt, was ich ziemlich gut fand. Danach ging ich aber wirklich, da ich Kohldampf hatte und es kaum erwarten konnte, diesen Einkauf zu beenden und nach Hause zu fahren. Dort würde ich mir etwas Ordentliches zu Essen gönnen.

 

Die ganzen nächsten Tage hatte ich heute – Freitag, dem Tag des Maskenballs – entgegen gefiebert. Solche Veranstaltungen machten mich immer auf's Neue nervös. Wenigstens wusste ich schon, als was ich hingehen wollte. Mein Styling würde zwar ewig dauern, doch das machte mir nichts aus. Mir ging es gut und außerdem freute ich mich total auf den Abend.

Meinen schlanken Körper zierte ein pinker Kimono, der an den Rändern schwarz war, nachdem ein wunderschönes Blumenmuster dorthin führte. Der Obi, also der breite Gürtel, mit dem mein Outfit zusammengehalten wurde, war ebenfalls schwarz. Ich fand, dass das eine gute Mischung war. Die ebenso dunkle Perücke, in denen ich kunstvoll Lotus- und Hibiskusblätter und Stäbchen gesteckt hatte, war einfach nur entzückend. Ich trug einen Hikizuri, also einen Kimono für jüngere Menschen, der diese auch kindlicher wirken ließ. Er war also perfekt für mich.

Zwar ging ich langsam aber sicher schon auf die Dreißig zu, doch war ich zu jung, um als eine traditionelle Geisha, die in der Regel schon älter war, zu gehen. Meine hohen schwarzen Plateauschuhe waren ebenso ein Indiz dafür, dass ich ziemlich verspielt war. Mein Gesicht schminkte ich mir weiß und betonte meine Augen sowie meine Lippen rot, aber nur ganz leicht, schließlich wollte ich nicht übertreiben.

Um Punkt zwanzig Uhr stand ich vor der beleuchteten Villa meiner besten Freunde. Es herrschte schon reges Treiben und ich war daher nur umso neugieriger, was mich innen erwartete. Kontrollen fanden keine statt, was mich doch etwas verwunderte. Da hatte mich Tizian wohl auf den Arm genommen, schließlich hatte er dabei auch gezwinkert und das bedeutete nichts anderes, als dass er einen Scherz machte.

Als ich schließlich den ersten Schritt in die Eingangshalle machte, klappte mir fast die Kinnlade hinunter. Wahnsinn, das hier war heller Wahnsinn! Hier sah es aus wie auf einer Party. Überall waren Menschen und es gab kleine Büffets und Tische mit Getränken. Von Krystal und Tizian war aber weit und breit nichts zu sehen. Wo sie wohl waren? Bestimmt war Krys oben, da es dort ruhiger zuging. Die Treppen waren nämlich abgesperrt. Für eine schwangere Frau im Sechsten Monat war das bestimmt ziemlich viel auf einmal.

„Darf ich bitten, Madame?“, hörte ich auf einmal jemanden sagen und sah genau vor mir einen Mann in einem mir undefinierbaren Kostüm. Er trug einen schwarzen Mantel und eine weiße Maske. Seine Perücke – oder doch seine echten Haare? - waren blond. Sie erinnerten mich schon fast an die von Jakob, doch er konnte es unmöglich sein. Tizian würde nie und nimmer seinen verkorksten Halbbruder einladen.

Der Fremde hielt mir jedenfalls eine Hand hin und forderte mich so zu einem Tanz auf. Das war kein Problem für mich, in meiner ehemaligen Schule in Italien hatte ich Tanzunterricht nehmen müssen. Und so schnell vergaß ich nichts. Während wir tanzten, erkannte ich, dass viele Blicke der Männer an mir hafteten. Gott, musste das sein? Ich war nur eine Geisha, mehr nicht!

 

Kein Wunder, dass ich den Tanz auch relativ schnell abbrach. Ich begab mich lieber an die Seite zu einem der Büffets. Es gab so viele Kuchen, dass ich keinerlei Ahnung hatte, welchen ich nehmen sollte. „Der Nusskuchen dort drüben ist sehr lecker, junge Dame“, sagte auf einmal eine Frau neben mir. Misstrauisch fuhr ich herum, doch im nächsten Moment breitete sich ein breites Lächeln auf meinen Lippen aus.

Vor mir stand niemand Geringeres als Krystal, die ein wunderschönes rotes Kleid trug, welches ihren doch schon auffälligen Bauch elegant betonte. „Hey Krys“, begrüßte ich sie lässig, woraufhin sie mich überrascht ansah. „Giulia?“, fragte sie mich ungläubig. „Ja genau die“, antwortete ich vergnügt. „Wow, ich hätte dich echt nicht erkannt, wenn ich nicht deine Stimme gehört hätte“, gab sie erstaunt zu.

Kichernd meinte ich: „Das ist ja auch der Sinn eines Maskenballs“. „Habt ihr die Kuchen alle selbst gemacht?“, fragte ich, woraufhin sie mich sichtlich stolz annickte. „Wehe es schmeckt dir nicht, das war harte Arbeit“, gluckste sie und brach in schallendes Gelächter aus. Es war einfach nur schön, sie so derartig lachen zu hören. Von der früheren Krystal war gar nichts mehr übrig. Es war wirklich faszinierend, wie sehr sich Menschen doch ändern konnten, wenn sie es wollten.

Besagte Frau verabschiedete sich daraufhin von mir, da sie eine Runde machen wollte, um nach den Rechten zu sehen. Daher widmete ich mich wieder den Kuchen oder besser gesagt, ich wollte es. Mein Blick glitt zuvor nämlich noch durch die Menge, woraufhin ich erstarrte. Er war so ziemlich genau in der Mitte der Eingangshalle. Seine Augen hafteten auf mir und ich war mir sicher, dass sie es nicht seit gerade eben taten.

Der Unbekannte lächelte mich an. Ich lächelte ziemlich verlegen zurück. Verdammt, sah der gut aus! Er hatte schwarze Haare und trug ein Samuraikostüm. Sein Gesicht hatte er mit Stofftücher verhüllt, somit sah ich nur seine wunderschönen Augen, die in allen Farben zu glitzern schienen. Ich erkannte aber auch, dass er eine Maske oberhalb seines Gesichtes trug. Er stand einfach nur da, die Arme ganz lässig ineinander verschränkt und starrte mich unentwegt an. Dieser Kerl machte eine verdammt gute Figur!

 

Keine Ahnung wieso, aber meine Beine machten sich selbstständig und so bahnte ich mir den Weg durch die Menge. Umso näher ich ihm kam, desto unsicherer wurde ich. Als ich endlich genau vor ihm stehen geblieben war, erkannte ich, dass seine Augen aus Rubinen sein mussten. Natürlich waren das nur Kontaktlinsen, aber diese ließen ihn nur noch kriegerischer erscheinen.

Er war kaum einen Kopf größer als ich, was wohl daran lag, dass ich Plateauschuhe trug. „Wer bist du?“, fragte ich leise und bewunderte ihn ganz offensichlich. Seine Mundwinkel schnellten nach oben, ehe er mir mit einer rostigen Stimme entgegen hauchte: „Wer ich bin, möchte die Hikizuri wissen? Ich bin nichts weiter als ein Kämpfer“.

Woher um alles in der Welt wusste er den japanischen Ausdruck für meinen Kimono? Vermutlich kannte er sich ebenfalls mit Japan aus. Wer würde sonst so eine professionelle Samurairüstung tragen? Ihm war es mit dem Maskenball anscheinend genauso ernst wie mir. Langsam glitt meine Hand zu seinem Gesicht. Seine Pupillen weiteten sich daraufhin. Sanft strich ich ihm über die linke Wange, woraufhin er sich ganz leicht an meine Hand schmiegte.

Es war schon ziemlich verrückt, dass ich so dermaßen mit einem Fremden flirtete, doch ich konnte mich nicht von ihm abwenden. Irgendwann nahm er meine Hand in seine, seine andere hingegen glitt zu meinem Rücken. Er wollte wohl tanzen, also tat ich es ihm gleich. Obwohl wir uns nicht abgesprochen hatten, waren wir uns einig, dass wir den langsamen Walzer tanzen wollten.

Der Mann roch ziemlich süßlich. Sein Duft erinnerte mich an Nelken. Es war himmlisch, sich einfach fallen zu lassen und alles andere zu vergessen. Es ging sogar schon so weit, dass ich daran dachte, ihn zu küssen, doch dann meldete sich mein Verstand zurück. Küsse nie jemanden, den du nicht kennst, Giulia! Wieder brach ich den Tanz ab, sagte aber noch: „Arigatou“. Dabei verbeugte ich mich, da es bei Asiaten aus Höflichkeit so üblich war und auch dazu passte, weil wir uns beide so kostümiert hatten. „Dou itashimashite“, meinte der Samurai und verbeugte sich ebenfalls vor mir.

Mich verschlug es an die frische Luft. Meine Beine hatten sich während des Tanzes in der Halle wie Wackelpudding angefühlt und auch innerlich war ich total unruhig. Die Gänsehaut, die ich die ganze Zeit gehabt hatte, wollte einfach nicht von mir weichen. Die Begegnung mit dem Samurai glich schon einer blinden Romanze. Und ich war mittendrin. Leise schlich ich mich zu dem Brunnen, den Krystal und Tizian erst neu angelegt hatten und lehnte mich an den Rand. Gegenüber von mir sah ich eine der imposanten Außenwände der Villa. „Alles in Ordnung mit Ihnen, Mademoiselle?“, fragte mich urplötzlich jemand. Ich sah mich um, obwohl mir klar war, dass ich nicht viel erkennen würde, da es hier keine Beleuchtung gab. Nur die am Eingang der Villa ließ mich etwas sehen. Außerdem brannte helles Licht aus dem Gebäude.

Erschrocken stellte ich mich auf die Beine und drehte mich immer wieder im Kreis. Da war niemand. Dann, ganz bedächtig langsam, sah ich jemanden aus den Schatten zu mir treten. Es war wieder ein Mann. Dieser jedoch trug ein Kaiserkostüm. In seinem Hut steckte eine Feder und er trug sogar Absatzschuhe, was zu der Zeit Napoleons normal war. Anscheinend ging er als der große Kaiser der Franzosen.

Der Mann kam mir immer näher. „Ist irgendetwas?“, fragte ich verunsichert und wollte mich von ihm abwenden, aber ich dumme Kuh musste ja genau vor der Wand stehen. Mit seinen Armen, die sich auf meine legten, nahm er mir jeden Fluchtweg. Ich war gefangen, denn er drückte mich auch noch gegen die Wand. Sein widerlicher Atem, der leicht nach Alkohol roch, kam mir unweigerlich näher. Hektisch versuche ich mich wenigstens mit den Beinen zu wehren, doch der Widerling stellte sich einfach dazwischen.

„Du siehst einfach nur scharf aus“, sagte der Mann und begann, meinen Hals zu küssen. „Lass mich los!“, schrie ich ihn an und versuchte krampfhaft, mich zu befreien, doch er hielt spielend dagegen. Verdammt, ich hätte damals doch einen Selbstverteidigungskurs machen sollen, so wie es mir meine ehemalige Therapeutin geraten hatte!

Jetzt war es aber dafür auch zu spät. Meine Situation war ausweglos. Wie sollte uns jemand hören, wenn im Inneren der Villa laute Musik ging und der Außenbereich geschlossen wurde? Da war nichts und niemand, der mich noch hätte retten können. Ich schrie wie am Spieß, was den Fremden sichtlich vergnügte. „Ja Baby, schrei für mich!“, keuchte er und drückte sich noch mehr auf mich. An wen war ich da nur geraten?

Es geilte ihn ernsthaft auf, dass ich voller Panik war? Anscheinend schon, denn ich spürte ganz deutlich, dass er eine Erektion hatte. Tränen rannen mir über die Wangen, glühend heiße Tränen waren es, die mir die Sicht versperrten, worüber ich auch ziemlich froh war. So musste ich es wenigstens nicht mitansehen, wie er sich an mir vergriff. Ich konnte nur hoffen, dass er kein Sadist war, denn das würde bedeuten, dass er mir bittere Schmerzen zufügen würde.

Keep Your Heart Broken

 

Immer wieder drückte mir der Fremde Küsse aufs Gesicht. Als er bei meinem Mund angekommen war, drehte ich mich weg. „So nicht, Baby!“, sagte er laut und nahm mein Gesicht in eine seiner Hände. Im nächsten Moment sah ich auf seine Augen, die mich eiskalt ansahen. Sein Griff war so grob, dass immer mehr Tränen über mein Gesicht kullerten.

Ich gab auf, da gab es nichts mehr, was mich noch retten konnte. Das schien auch mein Peiniger zu merken, denn er ließ von mir ab und machte sich an seiner Hose zu schaffen. Ich schloss meine Augen, denn ich konnte es mir absolut nicht mit ansehen, wie er mich vergewaltigte. Seine Hände glitten flink über den Stoff meines Kimonos, anscheinend wollte er mit mir spielen.

„Du bist so schön, Giulia“, raunte mir der Mann zu, was mich erneut aufschluchzen ließ. Wieso musste ich auch so bekannt sein? Im nächsten Moment aber weiteten sich meine Pupillen. Woher wusste er meinen Namen? Mein Kostüm war ziemlich gut, nicht einmal Krystal hatte mich erkannt. „Ich habe jeden Zeitungsartikel über dich. Jedes Bild, einfach alles von dir hängt an den Wänden meiner Wohnung. Ich vergöttere dich, Baby!“, säuselte er und riss mich damit aus meinen Gedanken. Gott, dieser Kerl war so krank! „Ich werde dir die unvergesslichste Nacht deines Lebens bescheren!“, schwor er mir, woraufhin ich mich vor Ekel fast übergeben musste.

Seine Hände fuhren zu meinen Brüsten, über denen er abermals strich. „Du bist so wunderschön“, wiederholte er, während er meinen Kimono mit Gewalt aufmachen wollte. „Es ist alles andere als charmant, einer jungen Frau aufzulauern und sie zu begrapschen“, hörte ich plötzlich eine mir bekannte Stimme sagen. Konnte es sein, dass...? Ebenso schnell wie ich die Stimme hörte, ebenso schnell wurde mein Peiniger gepackt und von mir weggeschliffen.

Ich glitt zu Boden und kauerte mich zusammen. „Ich würde dir bloß raten, jetzt ja nicht frech zu werden, sonst sehe ich mich gezwungen, dich in Stücke zu reißen!“, zischte der Unbekannte und drückte ein Schwert gegen den Hals meines Angreifers. Dieser wusste gar nicht wie ihm geschah und rang nach Luft. Im Gegensatz zu mir bemerkte er aber nicht, dass der Neuankömmling seine Waffe nicht gezogen hatte. Sie war nach wie vor in der Verpackung, der Schwertscheide. „Also wirklich, du bist so ein Schwein!“, schrie mein Retter, während er ihn weiter von mir weg schliff.

Er ging in Richtung Licht, wo ich ihn endlich erkannte. Der Samurai! Er war es wirklich! „Was mache ich nur mit dir, hm?“, fragte er den Kaiser. „Lass ihn gehen, bitte tu ihm nichts!“, mischte ich mich ein. Der Samurai sah mich an. Mit rostiger Stimme meinte er: „Warum sollte ich?“. „Es... es ist schon schlimm genug, was bisher passiert ist, da muss man es nicht noch schlimmer machen“, stammelte ich und vergrub mein Gesicht in beide Hände.

Skeptisch blickte er mich an, ehe er sich an den Widerling wandte. „Ich warne dich nur ein Einziges Mal: Wenn du auch nur noch einer einzigen Frau so etwas Perverses antust, dann werde ich dich persönlich köpfen, ist dir das klar?“, drohte er ihm offensichtlich und stieß ihn von sich. Dann zog er sein Schwert und sagte: „Siehst du diese wunderschöne Klinge? Mit ihr kann ich dich wie Butter ohne Mühe zerstückeln!“. Geschockt sah ihn der Kaiser an und begann zu zittern. „Verschwinde!“, schrie der Samurai noch immer außer sich vor Wut und der Fremde tat, was ihm befohlen wurde.

 

Endlich war es entgültig vorbei. Eine Welle der Erleichterung überschwamm mich. Vorsichtig näherte sich mein Retter mir, doch ich wollte zurückweichen. Als er aber bei mir ankam, konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Ich sprang ihm schon fast in die Arme, die er schützend um mich legte. Ich sog seinen vertrauten Duft nach Nelken ein und fühlte mich etwas besser.

„Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert“, murmelte er in mein Haar. „Danke“, schniefte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. „Er … er war auf einmal da“, sagte ich völlig durch den Wind. Der Samurai meinte: „Zum Glück bin ich dir doch gefolgt“. „Wieso wolltest du mir folgen?“, wollte ich sofort wissen. Er zuckte nur mit denn Schultern.

Das war nun auch egal. Das Wichtigste war, dass ich in Sicherheit war. Irgendetwas in meinem Inneren sagte mir, dass ich dem Fremden vertrauen konnte. Es war total absurd. Eben wurde ich überfallen und im nächsten Momente heulte ich mich bei einem Unbekannten aus. „Es wird alles gut“, tröstete mich dieser und strich mir sanft eine Strähne aus dem Haar. „Ich... ich will nach Hause“, sagte ich, woraufhin mich der Samurai sofort fragte, ob er mich begleiten sollte.

Natürlich verneinte ich, doch als ich aufstehen wollte, fühlte ich mich so schwach, dass ich mich gegen die Wand lehnte. „Es wäre wohl besser, wenn ich noch ein wenig bei dir bleiben würde. Komm, lass uns ins Licht gehen“, sagte der Samurai und nahm sachte meine Hand. Ich ließ ihn gewähren, denn er ging mit mir zu dem Brunnen, von dem aus uns andere Leute sahen. Anscheinend war es schon spät geworden, denn viele gingen aus der Villa. Mir konnte also nichts passieren.

Erschöpft ließ ich mich gegen den Brunnen fallen und war froh, dass ich nicht alleine war. „Hier“, sagte der Samurai und zog eines seiner Stofftücher von seinem Gesicht. Leider verdeckte noch eins seinen Mund. „Danke“, nuschelte ich und wischte mir damit die Tränen aus dem Gesicht. Auf dem Stoff blieben weiße Flecken zurück. Verdammte Schminke. „Es... es ist total dreckig, tut mir leid“, entschuldigte ich mich bei ihm, woraufhin er lachte und sagte: „Kein Problem, behalt es“. „

Es schaut aber ziemlich edel aus“, bemerkte ich skeptisch. Als ich es ihm doch geben wollte, wehrte er mit der Hand ab. „Es schaut nicht nur edel aus, es ist edel. Das ist Honanseide, ein ganz wertvoller Stoff aus Japan. Wenn du genauer hinsiehst, dann erkennst du, dass er an den Rändern mit Platin- und Goldfäden durchzogen ist“, informierte mich der Samurai. „Dann kann ich es erst recht nicht annehmen. Es ist viel zu wertvoll“, entgegnete ich, doch er meinte: „Ich möchte es dir aber geben. So hast du etwas, das dich immer an mich erinnert“.

Während ich mir das Tuch letztendlich doch um den Hals band, glitt mein Blick zu seinen Augen und traf die seine. „Weißt du eigentlich, dass du wunderschöne braune Augen hast?“, flüsterte der Samurai. Mir wurde etwas warm ums Herz. Irgendwie konnte er mich total schnell aufheitern, obwohl er mich gar nicht kannte. „Ist das Schwert eigentlich echt?“, sprach ich sein Mitbringsel an, dass er sich wieder an seiner Hüfte geheftet hatte.

Er nahm es erneut in die Hand. Auf der schwarzen Schwertscheide waren Drachen eingeschnitzt, was mir ganz gut gefiel. „Ja, es bedeutet mir ziemlich viel. Dabei spielt es keine Rolle, dass es teuer war“, beantwortete der Samurai meine Frage. „Darf ich es sehen?“, fragte ich. Wortlos reicht er es mir, woraufhin ich das Schwert zog. Es war gut einen Meter lang und sah in der Tat ziemlich scharf aus. Ich glaubte ihm auf Anhieb, dass man damit Menschen töten konnte.

Fasziniert betrachtete ich die Schleifkunst. „Wahnsinn“, hauchte ich atemlos. „Es ist mein ganzer Stolz“, bestätigte mir mein Flirt von vor ein paar Minuten meine Aussage. „Kannst du damit eigentlich auch umgehen?“, wollte ich interessiert wissen. „Natürlich. Ich war einige Male in Japan und habe mich dort weiter gebildet“, verriet mir der Fremde. Ich stieß einen bewundernswerten Pfiff aus. „Du bist übrigens die Erste, die meinen größten Schatz in die Hand nehmen darf“, wies er mich darauf hin, dass es ihm alles bedeutete.

Ich fühlte mich geehrt. „Danke“, sagte ich und gab ihm Küsse auf die Wangen. Ich tat es auch, weil ich ihm dankbar war, dass er mich gerettet hatte. Anscheinend hatte ich meinen Gesprächspartner mit meiner Tat überrumpelt, denn er blieb stocksteif sitzen und rührte sich einfach nicht. „Schon gut“, winkte er dann doch ab und stand auf.

 

Nachdem er sein Schwert wieder eingesteckt hatte, wollte er gehen, doch ich hielt ihn auf. Irgendetwas in meinem Inneren sagte mir, dass ich ihn auf keinen Fall gehen lassen sollte, auch wenn ich es kurz darauf bitter bereute. Der Samurai blieb jedenfalls mitten auf der Wiese stehen. „Lass mich bitte nicht alleine“, bat ich ihn und wollte ihm hinter her laufen.

Dummerweise stolperte ich aber und landete genau in seinen Armen. „Vorsichtig, meine Schöne“, raunte er, was mich unwillkürlich etwas den Verstand verlieren ließ. Ich blickte ihm genau in die Augen, die in dem Mondlicht wie Edelsteine funkelten. Seine Arme umschlossen meinen Rücken. Er zog mich in so eine intensive Umarmung, dass ich schon fast das Gefühl hatte, dass ich sterben würde. „Du solltest gehen“, flüsterte mein Retter, doch ich erwiderte: „Ich kann nicht“.

Das stimmte sogar. Mein Körper sehnte sich nach seiner Nähe. Das war das Einzige, was für mich nun zählte. „Ich bin nicht gut für dich“, sagte der Mann und wollte sich von mir entfernen, was ich aber nicht zuließ. Ich neigte meinen Kopf zurück und sah ihm erneut in die Augen. „Nicht aber, bevor ich das hier getan habe“, murmelte ich. Mein Verstand hatte in diesem Moment vollkommen ausgesetzt und so näherte ich mich ihm immer mehr.

„Ach du“, murmelte er, „wieso willst du nicht einfach auf mich hören?“. Es war mir gerade egal, was er davon hielt, ich musste es einfach tun. „Ich kann mich nicht von dir fernhalten, du ziehst mich magisch an“, gab ich zu und bevor er etwas sagen konnte, war ich ihm so nahe, dass er es erst gar nicht wagte, auch nur irgendetwas zu erwidern. Langsam und vorsichtig entfernte ich das Stofftuch von seinem Mund. Gespannt fixierte er mich weiterhin, zog mich aber dann doch zu sich heran. Meine Finger glitten über seine vollen Lippen, die so warm waren, dass ich es einfach wissen musste. So näherte ich mich immer mehr dem Mittelpunkt seines Gesichtes. Desto näher ich ihm kam, umso mehr vergaß ich, was ich hier eigentlich tat.

Ich blendete das vorherige Geschehnis mit meinem Peiniger aus und genoss diese so wohltuende Nähe. Dann endlich kam ich bei seinen Lippen an. Bedächtig langsam erkundete ich mit meiner Zunge den Eingang zu seinem Inneren. Ich wusste, er würde mir Einlass gewähren und so schloss ich auch meine Augen. Als sich unsere Zungen trafen, breitete sich die Hitze in mir in Sekundenschnelle aus.

Der Samurai erwiderte meinen Kuss voll und ganz. Auch er erkundete mich. Er war ein sanfter und vorsichtiger Küsser, was mein Herz noch wärmer werden ließ. Das war noch untertrieben, er entfachte ein Feuer in mir, von dem ich überhaupt nicht wusste, dass es existierte. Aus dem Feuer entstand ein gewaltiges Feuerwerk, dass immer intensiver wurde. Dabei wurde mein Retter keineswegs aufdringlich oder fordernd.

 

Im Gegenteil, ich konnte förmlich spüren, dass ihn unser Kuss ziemlich aufwühlte. Sein Herz schlug kräftig gegen meine Brust, was mir einen Schauer nach den anderen durch den Körper jagte. Leider dachte ich aber nicht daran, mein Herz vor einem Bruch zu bewahren. Anfangs bekam ich gar nicht mit, dass ein Kichern aus der Kehle des Samurais drang. Erst als er in schallendes Gelächter ausbrach, wurde mir klar, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Während er sich mit einem Ruck die Maske von seinem Gesicht riss, frotzelte er: „Ich würde sagen, dass ich die Wette gewonnen habe. Nicht wahr, Giulia?“. „Bitte..., was soll das?“, stotterte ich und sah mit geweiteten Pupillen in das Antlitz von Jakob. „Hattest du unsere Wette etwa wirklich schon vergessen?“, fragte er mich. „Hast du das alles etwa eingefädelt?“, stammelte ich wie in Trance, woraufhin er höhnisch lachte.

Dann nahm er mich erneut in seine Arme. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich bekomme“, sagte er überaus höhnisch und wollte seine Lippen auf meine drücken. „Du bist so ein hinterhältiges Arschloch!“, schrie ich ihn an und gab ihm eine kräftige Ohrfeige. „Wie … wie um alles in der Welt konntest du mir das nur antun?“, fragte ich und merkte, dass mir etwas heißes über die Wangen floss. Es waren glühend heiße Tränen, die auf meinen Wangen brennende Male zurückließen. So fühlte es sich jedenfalls an.

Schelmisch antwortete mir Jakob: „Oh bitte, sag bloß, dir hat dieser Kuss mehr bedeutet? Meine Güte, Baby, das war nichts weiter als eine Wette und ich sagte dir doch, dass du mich freiwillig küssen würdest“. „Ja, aber da konnte ich nicht wissen, dass du so etwas hinterlistiges machst!“, warf ich ihm an den Kopf und taumelte zurück. „Gewonnen ist gewonnen, da spielt es auch keine Rolle mehr, wie ich es getan habe. Du musst aber schon zugeben, dass dir der Kuss erneut gefallen hat, oh ja Baby, du bist drauf und dran dich in mich zu verlieben“, wies er mich süffisant darauf hin, dass er die Wette gewonnen hatte.

Vor Wut schubste ich ihn kräftig und schrie: „Ja, aber dass du es ausgerechnet so machst, hätte ich dir nicht zugetraut. Ich wette, du wurdest gar nicht auf den Maskenball eingeladen, sondern hast dich hineingeschlichen und als Samurai hast du dich nur verkleidet, weil du geahnt hast, dass ich als Asiatin dort hingehe. Immerhin war ich so dumm gewesen und habe dir von meiner Faszination gegenüber diesem Kontinent erzählt! Damit nicht genug, du hast eiskalt deine Stimme verstellt. Mich würde es nicht im Geringsten wundern, wenn du den Widerling von vorhin extra dafür engagiert hast. Das, mein lieber, ist selbst unter deinem ohnehin schon niederträchtigen Niveau!“. „Also wirklich, Baby. Warum machst du jetzt so ein Drama aus der Sache?“, erwiderte er nur sichtlich unbeeindruckt. Erst dachte ich das erste Mal so richtig nach.

Das war eine ziemlich gute Frage. Ich konnte es mir nicht selbst erklären. „Das tut doch jetzt auch nichts zur Sache, du hast, was du hattest. Jetzt kannst du mich endlich in Ruhe lassen!“, wich ich seiner Frage einfach aus. „Wer hat denn bitte gesagt, dass ich dich in Ruhe lassen werde, nachdem ich die Wette gewonnen habe?“, wollte er von mir wissen und zog eine beleidigte Schnute.

Gott, er sah so verdammt sexy aus! Warum musste er auch in dem Samuraikostüm so gut aussehen? Es stand ihm ausgezeichnet. „Du sollst mich nicht sabbernd angaffen, sondern mir meine Frage beantworten!“, herrschte er mich auf einmal an. Wie bitte? Ich sabberte? Verlegen wischte ich mir über dem Mund, doch da war nichts. Mein Gegenüber lachte bitterböse auf und sagte: „Interessant, du reagierst also auf mich. Wie ich schon sagte, du bist dabei dich in mich zu verlieben, wenn du es schon nicht längst getan hast“. Meine Lippen bebten. „Wieso tust du mir das an?“, brachte ich mit zitternder Stimme hervor. „Ich sagte dir doch, dass ich nicht gut für dich bin. Wenn du nicht auf mich hörst, dann ist das deine Schuld und nicht meine“, erwiderte er unbeeindruckt auf meine Frage. „Ich hasse dich“, flüsterte ich leise, woraufhin Jakob mich mit geweiteten Pupillen ansah. „Ich hasse dich!“, sagte ich etwas lauter.

Seine Hand schloss sich leicht um mein Handgelenk. „Oh ja, ich hasse dich, Jakob Di Izmir!“, schrie ich ihn an, während ich mich von ihm los riss und auf seine Hand schlug. „Wie bitte?“, fragte er mich völlig verdutzt. „War das etwa nicht deutlich genug?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage. Sein Blick traf den meinen. Wütend, aber ebenso verletzt funkelte ich ihn enttäuscht und traurig an. Dann suchte ich resigniert das Weite.

It's Over Now

 

Völlig durch den Wind hastete ich quer durch die halbe Stadt. Irgendwann konnte ich aber einfach nicht mehr rennen. Dummerweise gab es da nämlich noch etwas, was mich eben doch noch zu Jakob führte. Ich musste leider zugeben, dass er Recht hatte. Unsere Wette basierte lediglich darauf, dass ich ihn innerhalb einer Woche küsste. Näheres hatten wir nicht ausgemacht.

Mir war klar, dass ich das vor ihm zugeben musste. Eher würde dieser Idiot wohl nicht ruhen. Zudem wusste ich gar nicht, was er als Wetteinsatz wollte. Das war mir im Moment auch egal, da ich am ganzen Körper zitterte. Daran war nicht nur die Kälte Schuld, sondern Jakob selbst. Hätte ich ihn doch nie geküsst!

Im nächsten Moment wusste ich immerhin, was ich zu tu hatte. Den schlimmsten Teil dieser Wette über die Bühne bringen. Meine Hand glitt zu meiner Handtasche, die ich die ganze Zeit über dabei hatte. Erst da fiel mir ein, dass ich mich damit vor dem Perversling hätte verteidigen können. War klar, dass es mir erst einfiel, wenn es zu spät war. Mit zitternden Händen wählte ich schließlich die Nummer von Jake.

Natürlich ließ er nicht lange auf sich warten. „Welch Überraschung, Baby! Ich habe schon auf deinen Anruf gewartet. Was gibt’s denn?“, flötete er gut gelaunt ins Handy. „Ähm, können wir uns bitte treffen?“, fragte ich direkt, woraufhin ich ihn erstaunt die Luft einatmen hörte. „Nur um das mit dem Wetteinsatz zu klären“, schob ich hinterher, damit er erst gar nicht auf die Idee kam, zu denken, dass ich mit ihm in die Kiste wollte.

Ich wusste, dass ihm ein kleines Lächeln entwich, da er sich ein Kichern kaum unterdrücken konnte. Es dauert nicht lange, bis er wieder ernst wurde. „Wo bist du?“, fragte er mich. „Nun … etwas außerhalb der Stadt. Beim Industriegelände am Wald“, antwortete ich ihm. „Was machst du denn da?“, wollte er verwundert wissen, woraufhin ich meinte: „Ich … ich, ach egal. Also was willst du nun als Wetteinsatz?“. Jakob schwieg kurz, ehe er sagte: „Das klären wir bei mir. Ich bin gleich bei dir. Sieh aber zu, dass du wieder in die Stadt gehst. Am besten wäre, du gehst an der Hauptstraße entlang“. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf.

Meine Güte er war ziemlich selten dämlich, wenn er wirklich dachte, dass ich ihm entgegen laufen würde. Anderseits würde es ewig dauern, bis ich wieder bei mir war. Verdammt, schoss es mir durch den Kopf, woher wusste dieser Idiot, dass ich sein dämliches Angebot annehmen und das tun würde, was er sagte?

 

Jakob ließ nicht lange auf sich warten. Ich war keine viertel Stunde unterwegs, schon sah ich ein Auto zu mir brausen. Ein schwarzer Lamborghini. Dass er auch immer den reichen Pinkel mimen musste! Meine Güte, das ging mir total auf die Nerven! Er hielt neben mir und stieg zu meiner leichten Überraschung aus.

Was sollte das denn? Er kam zu zu mir und musterte mich still. „Ist etwas?“, fragte ich, doch er schüttelte mit dem Kopf. Dann hielt er mir wortlos die Beifahrertür auf. Wieder wusste ich nicht, wie mir geschah. Er benahm sich gerade schon fast wie ein Gentleman. Zum Glück wusste ich nur zu gut, dass er alles andere als das war.

Schweigsam stieg ich schließlich ein und hörte, wie er die Tür mit einem sanften Schlag zufallen ließ. Die ganze Fahrt über sprach ich kein Wort, im Gegenteil, ich schämte mich schon fast. Ich sah total mies aus. Die Schminke war total verschmiert und auch mein Kopfschmuck hatte einiges von den Szenarien, die sich auf dem Maskenball abgespielt hatten, abbekommen.

Selbst Jakob hielt eisern seinen Mund, warum konnte ich mir absolut nicht erklären. Vielleicht ging er ausnahmsweise mal darauf ein, was andere wollten und sah mir an, dass ich keine Lust zum Reden hatte. Ich wusste es nicht, war ihm aber trotzdem sehr dankbar dafür. Und obwohl ich nicht wusste, wohin er mich bringen würde, vertraute ich darauf, dass er es letztendlich gut meinte. Dafür hatte er beim Telefonat vor ein paar Minuten zu besorgt geklungen.

Wir fuhren gar nicht so lange, wie ich dachte. Keine halbe Stunde später hielten wir vor einer imposanten Villa. Es war nicht nur irgendeine, sondern die Villa schlechthin! Ich hatte schon viel von ihr gehört, dass aber ausgerechnet Jake hier wohnte, war mir völlig neu.

„Würdest du bitte aussteigen?“, fragte er mich auf einmal und erst da realisierte ich, dass er neben der Beiführertür, die er mir freundlicherweise geöffnet hatte, stand. „Wir sind nun alleine, schätze ich. Du kannst aufhören, so zu tun, als ob du ein Gentleman wärst“, meinte ich matt und erhob mich, doch zu meiner leichten Überraschung sagte Jakob nur ganz nüchtern: „Ich bin kein Gentleman. Das war ich noch nie und werde ich auch nie sein“.

Obwohl mir seine eiskalte Ehrlichkeit alles andere als behagte, erwiderte ich dazu nichts. Ich ließ mich lieber zu seiner Villa führen und verglich diese eifrig mit der von Tizian. Der Garten war schon einmal nicht so riesig wie der von meinem besten Freund, genau wie die Villa. Da war ich mir sicher. Anscheinend lebte Jakob nicht ganz so protzig.

 

Dafür erstaunte mich das Innere seiner Bleibe nur umso mehr. Jakob legte ziemlich viel Wert auf Eleganz. Die gesamte Innenausstattung wurde in Weiß, Silber und Schwarz gehalten. „Wow“, entfuhr es mir ungläubig, woraufhin Jake meinte: „Willkommen in meinem Zuhause“. Dabei spie er das letzte Wort geradezu voller Verachtung aus.

Man musste ihm aber wirklich zugestehen, dass er Stil hatte. Seine Villa gefiel mir sogar besser als die von Tizian. „Du scheinst aber nur ein Stockwerk zu haben, wenn ich das richtig sehe“, vermutete ich und versuchte, so viele Eindrücke wie möglich einzufangen. „Da hast du Recht. Ich habe mir lieber einen Dachpool anlegen lassen“, ließ mich Jakob wissen und führte mich in die Küche.

Die gefiel mir sofort am besten, obwohl ich noch gar nicht alles gesehen hatte. Sie war im edlen Schwarz gehalten, glänzte aber so sehr, dass man meinen könnte, man würde vor einem Spiegel stehen. Die Griffe waren allesamt silbern. Und der Boden weiß. Schneeweiß. Ich hatte schon fast Angst, dass ich durch meine Socken dunkle Abdrücke hinterlassen würde, so sauber war es bei Jakob.

Wir setzen uns auf die Barhocker, die an einer Arbeitsplatte standen. „Und nun?“, fragte ich, da ich keinerlei Ahnung hatte, was ich hier sollte. „Erst einmal gönne ich mir etwas zu trinken. Willst du auch etwas?“, antwortete mir der Blonde, woraufhin ich nur zaghaft nicken konnte. Bereits nach kurzer Zeit hatten wir beide einen alkoholfreien Cocktail in der Hand. Dann führte er mich zum Wohnzimmer, das gegenüber der Küche lag.

Dort saßen wir uns nun gegenüber. Komischerweise hatte er noch Kerzen angemacht und das Licht gedämpft. Damit konnte ich nichts anfangen, im Gegenteil, ich ahnte etwas ganz Übles. Sein überhebliches Grinsen, das seine vollen Lippen umspielte, war da keine Beruhigung. Daher keifte ich leicht ungehalten: „Okay, anscheinend hast du etwas ganz Mieses mit mir vor. Ich werde auf gar keinen Fall mit dir ins Bett gehen oder sonst etwas machen, was in die Richtung geht!“.

 

Jakob brach in schallendes Gelächter aus. Es ging sogar schon so weit, dass ich Angst hatte, dass er seinen Cocktail verschütten würde, da der Tisch schon leicht wackelte. „Komisch, dass du der Einzige bist, der lacht. Ich wüsste nicht, was an meinen Worten so lustig gewesen war'“, meinte ich matt, woraufhin der Mann sich beruhigte.

Seine grünen Augen, die in dem Kerzenlicht wie Smaragde aufblitzten, fixierten mich so sehr, dass ich Angst hatte, dass er durch mich hindurch blicken könnte. Dass er wusste, was mir in meinem Leben schon so passiert war. Er sagte jedoch nur: „Nein, Giulia. Das habe ich gewiss nicht vor. Du sollst mich lediglich zu einer Veranstaltung begleiten“.

Dieses Mal war ich es, die lachte. Zynisch wie eh und je sagte ich: „Natürlich. Bestimmt soll ich irgendwelche schmierigen Geschäfte von dir in einem Bordell oder sonst wo abhalten“. Ich machte wirklich keinen Hehl daraus, was ich über Jakob dachte, dessen Augen sich verfinsterten. Mit einem Zug trank er sein Glas aus und erhob sich. Als er zu dem Kühlschrank ging, um sich einen neuen Cocktail zu mixen, meinte er: „Interessant, was du mir so zutraust“.

Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Lieber nippte ich selbst an dem bauchigen Glas, dessen Inhalt noch zur Hälfte vorhanden war. Selbst Jakob war still. Allgemein wurde es mir in seiner Villa zu still. Viel zu still. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. „Nein Lia, es ist lediglich ein Firmentreffen. Nicht mehr und nicht weniger“. „Und … und was habe ich damit zu tun?“, fragte ich mit angehaltenem Atem.

Der Mann schlang beide Arme um meinen Körper, schmiegte schon fast seinen Kopf an meinen und antwortete mir gehässig wie eh und je: „Du sollst meine Freundin spielen“. Bei dem Gedanken, an das, was mir somit bevor stand, zog sich mein Herz unweigerlich zusammen. Tränen stahlen sich in meinen Augen und ich fragte mich, warum er so verdammt verbittert war.

Was konnte es schon demütigenderes geben? Wenn er wollte, konnte er sehr nett sein, aber sonst war er das Arschloch aus dem Bilderbuch. Wie sollte das nur mit meinem Jakob weiter gehen? Was dachte ich denn da! Als ob er mir gehören würde! Da fror eher die Hölle zu, als dass er so jemanden wie mich näher in seinem Leben hineinlassen würde. Auch, so glaubte ich, würde ich ihm so oder so nie verfallen.

Im nächsten Moment aber stellte sich das als totaler Reinfall heraus. Mein Herz zog sich erneut unweigerlich zusammen. Es schien einen Salto nach dem anderen zu machen und mir war beinahe so, als ob es schon fast aus meiner Brust heraus hüpfte, so schnell schlug es. Dass genau er mich auch noch berührte verschlimmerte das alles nur noch.

Und da verstand ich. Es war vorbei. Ich hatte verloren. Ich hatte nicht nur diese bescheuerte Wette mit ihm verloren, sondern auch mein Herz. An keinem Geringeren als an Jakob Di Izmir, dem Frauenheld schlechthin.

 

Mit einem Mal überkam mich die Kälte so sehr, dass es mich richtig heftig schüttelte. Jakob wich etwas erstaunt zurück. „Ist etwas? Ich möchte dich nur daran erinnern, dass ich die Wette gewonnen habe und so schlimm ist der Wetteinsatz nun auch wieder nicht. Immerhin hattest du gedacht, dass ich pervers bin“, meinte der Mann zu mir.

Seine Stimme klangt ziemlich vorwurfsvoll und so beschloss ich, ihm direkt meine Meinung zu sagen. „Nun ja, schließlich hast du dich mir kaum anders präsentiert. Muss ich dich erst daran erinnern, dass du meintest, ich würde so oder so zu dir angekrochen kommen und mir bald nichts sehnlicher wünschen, als mir von dir meine Sorgen aus dem Gehirn vögeln zu lassen?“, erwiderte ich leicht gereizt. Damit nicht genug, ich war so sauer, dass ich das Stofftuch, dass er mir kurz nach dem Angriff des Perverslings geschenkt hatte, von meinem Hals losriss und es ihm genau vor die Füße schmiss. Ja, er sollte sehen, was ich verdammt nochmal von ihm hielt. Nämlich nichts.

Absolut gar nichts. Dieser blickte verdutzt auf den Boden, auf dem man das dunkle Tuch gerade so noch erkennen konnte und hob es auf. Nachdenklich betrachtete er es und sah mich an. Oh je, dachte ich, was habe ich da nur wieder angerichtet? Zu meinem Erstaunen blieb Jakob aber ruhig und sagte: „Da hast du Recht, Baby. Nur betonte ich dabei, dass du es sein wirst, die mich darum anbetteln wird und nicht ich“. Wie konnte er nur so unbeeindruckt auf meine vorherigen Worte reagieren? Was bildete sich dieser Idiot überhaupt ein? „Ist gut, dann kann ich ja endlich wieder hinaus in die Freiheit gehen“, entgegnete ich zischend, doch anscheinend hatte der Herr andere Pläne mit mir.

Mit sanftem Druck, den er auf meinen Schultern ausübte – und mir damit beinah den Verstand raubte! - und einem leisen Kichern flüsterte er: „Halt, nicht so schnell. Wir müssen noch einige Details besprechen. Du weißt nicht einmal, wann und wo der Flug geht und wie du dich zu verhalten hast“. Am Liebsten hätte ich ihm eine geknallt, doch ich besinnte und schluckte den dicken Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, sofort hinunter.

Dafür drehte ich mich aber um und sah ihm genau in die Augen. Auch sein Blick lag genau auf mir. Er schien mich zu mustern, denn er brauchte eine kleine Weile, um auch nur irgendetwas zu sagen. „Also … gut. Unser Flug geht morgen um sechs Uhr in der früh an dem großen Flughafen hier. Unser Zimmer ist schon gebucht, du brauchst dich um nichts kümmern“, informierte er mich überaus abwesend.

Daran konnte ich aber auch nicht weiter denken, denn ein Detail machte mir Sorgen. „Wie bitte? Du hast nicht im Ernst ein Zimmer für uns beide gebucht? Boah, du musst es ja echt verdammt nötigt haben!“, keifte ich schon fast außer mir vor Wut, woraufhin Jakob lachte. Dann meinte er locker: „Keine Sorge, ich gehe dir schon nicht auf dem Leim und sei lieber froh, dass wir getrennte Betten haben“. „Will ich auch hoffen für dich“, entgegnete ich nur beleidigt und drehte mich wieder um.

 

Da mir einige Fragen in den Kopf schossen, war ich es, die erneut das Wort ergriff. „Sag mal, wohin fliegen wir überhaupt und wie lange sind wir dort?“, wollte ich vorsichtig wissen. Hoffentlich war es nicht zu weit weg. „Gut, dass du fragst. Es geht nach Tokyo, der japanischen Hauptstadt“, antwortete er mir sichtlich vergnügt.

Mir verschlug es glatt die Sprache. Er wollte mit mir genau dorthin, wohin ich schon immer fliegen wollte? Bisher hatte ich leider nie die Zeit gehabt, um nach Tokio zu fliegen, immerhin dauerte der Flug zwölf Stunden und bei der Arbeit die ich mit dem Studium sowie dem Modeln hatte, kam ich eben nie dazu. „Als ob ich nicht wüsste, dass das die japanische Hauptstadt ist“, fluchte ich leicht und verdrehte genervt die Augen.

Zum Glück konnte Jake es nicht sehen, doch im nächsten Moment machte ich ihn genau neben mir aus. Lässig lehnte er sich an seinem Tisch, der aus schwarzem Marmor war. Da ich nur mit Mühe Luft bekam, hustete ich heftig. Warum musste er mir auch so nahe sein? „Sonst noch irgendetwas, was ich wissen sollte?“, fragte ich. „Ja“, sagte er sofort.

Erwartungsvoll blickte ich ihn an. Was wohl jetzt kommen würde? „Ich freue mich schon jetzt darauf, dir meine Welt zeigen zu können. Im Flieger werde ich alles Weitere mit dir besprechen“, hauchte Jakob sichtlich ergötzt über das bevorstehende Wochenende. Wenigstens einer von uns freut sich, schoss es mir durch den Kopf.

Das hieß aber auch, dass er vermutlich fertig war mit seinem Gerede. „Na dann kann ich ja endlich gehen. Du hast meine Handynummer, falls etwas sein sollte“, meinte ich und trank meinen Cocktail mit einem Zug leer. „Der war übrigens sehr lecker“, sagte ich mit einem Blick auf das Glas. Jakob schüttelte nur mit dem Kopf und begleitete mich zur Tür.

„Mach's gut und bitte zerbrech dir nicht zu sehr den Kopf über den Perversling. Du solltest noch schön schlafen und dich ausruhen“, flüsterte der Mann leise und ließ es sich nicht nehmen, mich zu umarmen. Da wurde mir schon fast warm ums Herz, aber nur fast. Schön und gut, dass ich mich irgendwie in ihn verliebt hatte, aber das hieß noch lange nicht, dass ich mich täuschen ließ.

Natürlich misstraute ich ihm nach wie vor, wofür ich auch gute Gründe hatte. „Ähm ja, alles klar, mach ich. Bis dann“, verabschiedete ich mich von ihm. Als ich die ersten Meter gelaufen war und mir sicher war, dass er die Tür geschlossen hatte, wurde ich eines Besseren belehrt. „Giulia, warte bitte“, hörte ich ihn sagen. Ich drehte mich verwundert um. „Darf … soll ich dich nach Hause fahren?“, fragte er mich doch tatsächlich.

Diese eine Frage stiftete ziemlich viel Verwirrung in mir. Erstaunt drehte ich mich um und sah ihm in die Augen. Sollte ich oder sollte ich nicht? Nein, schoss es mir durch den Kopf. Es ist schon schlimm genug, dass er wusste, wo ich wohnte. Immerhin wohnte ich noch gar nicht lange mit Justin zusammen. „Es geht schon, danke“, meinte ich wild entschlossen und machte mich auch schon auf dem Weg zu der Wohngemeinschaft, bevor ich es mir doch anders überlegte.

Love Is Just A War

 

Aufgewühlt wie ich eh und je ging ich schließlich nach Hause. Ich war froh, dass mir Justin nicht sofort entgegen kam, als ich die Tür zu unserer Wohnung aufschloss. Es hatte sich also gelohnt, sich so leise wie eine Maus zum Badezimmer zu schleichen. Das hatte ich bitter nötig. Als ich mich im Spiegel betrachtete, traf mich schon fast der Schlag.

Mein Gesicht war weiß, etwas rot und schwarz. Zudem konnte man an den Augen meine Haut sehen, die durch die Schminke hindurch schimmerte. Kein Wunder, ich hatte mir ziemlich oft die Augen gerieben, nachdem ich geweint hatte. Rasch nahm ich mir Abschminktücher und entfernte damit die Schminke sanft.

Gerade noch rechtzeitig, wie mir schien. Denn just in dem Moment, als ich die Unmengen an Tüchern in den Mülleimer neben dem Waschbecken geschmissen hatte, hörte ich Schritte, die sich mir näherten. Als es zaghaft an der Tür klopfte, sagte ich: „Du kannst eintreten“. Das ließ sich mein Mitbewohner nicht zwei mal sagen. „Was machst du überhaupt hier? Ich habe eher damit gerechnet, dass du bei Tizian und Krystal schläfst“, begrüßte er mich.

Mein Blick glitt zu ihm. Ich suchte irgendetwas Verdächtiges an ihm, fand jedoch nichts. Dennoch meinte ich schmunzelnd: „Wieso nicht? Hast du etwa Damenbesuch hier?“. „Ach was, nein. Du weißt doch genau, dass ich seit Ewigkeiten nach der großen Liebe suche“, floskelte Justin geschickt, woraufhin ich sagte: „Ja genau und ich bin wirklich eine Geisha“.

Nach meinen Worten lachten wir beide, obwohl es stimmte, dass Jus nicht der große Frauenheld wie manch ein anderer Mann war. „Die Schönheit hättest du dafür alle Male“, machte er mir ein sehr schönes Kompliment, was mich etwas verlegen werden ließ. „Danke“, druckste ich und hoffte, dass ich nicht rot im Gesicht geworden war.

Justin setzte sich an dem Rand unserer Badewanne und musterte mich eingehend. „Erzähl schon, wie war die Party“, bat er mich. Oh Gott, alles nur nicht diese Frage! Sollte ich ihm von dem Vorfall erzählen oder nicht? Verdammt, ich wusste es nicht. Anderseits kannte er mich ziemlich gut und würde sofort wissen, dass etwas nicht stimmte.

Also doch die Wahrheit. „Schön, bis auf die Tatsache, dass mir ein Perversling an die Wäsche wollte und Jakob sich als das größte Arschloch des Universums entpuppt hat“, antwortete ich sarkastisch. Nach meiner kurzen Erzählung sah Justin mich überaus geschockt an. Er schien nach Worten zu ringen, denn aus seinem Mund kamen nur irgendwelche unverständlichen Wortfetzen. Ein wenig amüsiert darüber, meinte ich: „Beruhige dich, es ist alles in Ordnung so weit“.

 

Mein guter Freund atmete hörbar erleichtert aus. Dann sagte er: „Bist du sicher? Möchtest du mir Details nennen oder ziehst du es vor darüber zu schweigen?“. „Schon gut, jetzt weißt du doch eh schon, dass der Maskenball alles andere als toll war“, beschwichtigte ich ihn sofort. Dann begann ich zu erzählen: „Ich wurde von vielen Männern angestarrt und einer lauerte mir draußen auf, als ich frische Luft schnappen wollte. Nun ja, ein Mann im Samuraikostüm, mit dem ich zuvor getanzt habe, kam mir zur Hilfe“.

Jus nickte mir wissend zu. Mir war klar, dass er wusste, was nun folgen würde. „Natürlich war es Jake. Ich komme mir so hintergangen vor“, endete ich kurz und knapp. Ich hielt es nämlich für besser, dass niemand von der bescheuerten Wette wusste, die ich dummerweise auch noch verloren hatte. Das war ziemlich peinlich für mich.

Daher zog ich es vor, mich in mein Zimmer zu verschanzen. Zum Glück merkte Justin nicht, wie aufgewühlt ich war. Jetzt hieß es für mich erst einmal packen. In weniger als fünf Stunden erwartete mich ein gewisser Herr am Flughafen. So hohl wie er war, hatte er mir nicht gesagt, wo ich auf ihn warten sollte. Mich beschäftigte gerade aber doch mehr die Frage, was ich überhaupt mitnehmen sollte.

Es war zwar nicht kalt, doch fand ich es übertrieben, wenn ich schon mit Shorts oder ähnlichem bei ihm aufkreuzen würde. Da es ein geschäftlichen Treffen war, kam ich nicht drum herum, etwas Elegantes aus meinem Kleiderschrank zu suchen.

Nach langem Hin und Her entschied ich mich für mein rotes Cocktailkleid. Es war bodenlang und betonte meine Größe. Nicht nur das, es war mein absolutes Lieblingskleid. An dem Ausschnitt war es sogar mit Diamanten besetzt. Am Ende war es leicht faltig. Zudem hatte es keine Träger. Wenn das Jakob nicht gefällt, war es sein Problem, nicht meins. Dazu packte ich die dazugehörigen roten Schuhe ein, die mit einen leichten Absatz versehen waren.

Meinen restlichen Koffer stopfte ich mit Alltagsklamotten voll, die so oder so ziemlich edel waren. Ich war nun einmal eine Shopping-Queen. Nicht alles war aber von Gucci, Armani, Bruno Banani oder wie sie alle hießen. Mir reichte es auch völlig aus, wenn es nur edel aussah, was auch nicht immer sein musste. Am Wichtigsten war für mich, dass ich mich darin wohl fühlte. Alles andere war egal.

Als ich endlich mal in meinem Bett lag, bekam ich kein Auge zu. Es war einfach nur mies! Ich malte mir schon allerlei Szenarien aus, wie mich Jakob vor seinen Geschäftspartnern bloßstellte. Dennoch nahm ich mir vor, dass ich mir das ganz bestimmt nicht gefallen lassen würde. Und doch kam alles ganz anders, als ich dachte.

 

Natürlich fand ich in dieser kurzen Nacht keinen Schlaf. Dann würde ich ihn mir eben im Flugzeug holen. Sicherheitshalber steckte ich meine riesigen Kopfhörer in meine große Handtasche. Wenn Jakob es wagen würde, mich auch nur einmal anzusprechen, würde ich Musik hören. Dann war ich völlig abgeschottet, von allem, was um mich herum geschah.

Pünktlich kam ich schließlich am Flughafen an und wartete mit meinem Koffer und den Kopfhörern um meinen Hals auf den Mann. Natürlich wartete ich beinahe ewig auf ihn. „Ach, schön, dass du auch mal hier bist“, begrüßte ich ihn säuerlich, als er aus einer weißen Limousine heraustrat. „Sorry, aber sonst würden mich die Paparazzi stalken und darauf habe ich keine Lust“, sagte er, woraufhin ich spitz meinte: „Allerdings, du stalkst lieber andere“.

Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle, während er mich fragte, ob ich schon lange auf ihn warten würde. „Nein, nur drei Stunden. Schließlich musste ich noch mein Gepäck einchecken, du Hirni“, antwortete ich frech. Wieder lachte er, dann sagte er: „Das wäre doch gar nicht nötig gewesen, Baby. Denkst du denn im allen Ernst, dass ich in einem öffentlichen Flugzeug fliege? Wir nehmen natürlich ein Privates“.

Nach seinen Worten klappte mein Mund weit auf. „Kannst du vielleicht einmal in deinem Leben aufhören, den klischeehaften Bonzen heraushängen zu lassen?“, wollte ich schon fast hysterisch von ihm wissen. Bah, der Kerl widerte mich so an und das obwohl ich in ihn verliebt war! „Wir sind beide ziemlich bekannt, hättest du lieber Lust darauf, dich von irgendwelchen Fremden anquatschen zu lassen?“, erwiderte er stumpf.

Dummerweise hatte dieser Idiot recht. „Ach, lass mich doch in Ruhe“, meinte ich beleidigt und setzte mir meine Kopfhörer auf. Keine Minute später dudelte daraus Supergirl von Reamonn. Jake zuckte schweigend mit den Schultern und lief an mir vorbei. Natürlich musste ich ihm hinterher laufen und schleppte meinen Koffer, den ich zurückfordern musste, ziemlich ungeschickt mit.

 

Das kleine Privatflugzeug, das uns nach Japan bringen sollte, war leicht abseits der riesigen Flugzeuge, die sich hier befanden. Im Inneren unserer Maschine staunte ich nicht schlecht. Sah es von außen ziemlich schlicht aus, so war es innen umso luxuriöser. Die dunkelblauen Sitze konnte man ohne große Probleme zu Betten machen, ohne dass man Angst um seine Privatsphäre haben musste.

Über den Fenstern befanden sich Decken sowie Stauräume für das Gepäck. Verzweifelt versuchte ich, meinen Koffer darauf zu legen, doch es wollte mir einfach nicht gelingen. Jakob dagegen hatte sein Gepäck mit einer respektablen Leichtigkeit auf den Stauraum bekommen und sah überaus vergnügt zu mir. Anstatt mir zu helfen erfreute er sich lieber meinen Anblick oder besser gesagt den Anblick meines Pos.

Genervt wie eh und je nahm ich schließlich meine Kopfhörer ab und zischte: „Kannst du auch etwas anderes tun, als mich so unverblümt anzugaffen?“. „Nein, was denn, Baby?“, erwiderte er betont unschuldig, woraufhin ich meinte: „Du könntest dich zum Beispiel einmal in deinem abgefuckten Leben nützlich machen und meinen Koffer dorthin befördern, wo er hingehört!“.

Okay, vielleicht war ich etwas zu hart gewesen, aber dieser Idiot regte mich so sehr auf, dass ich nicht anders konnte. Jedenfalls fühlte ich mich von meinem Verdacht bestätigt, als sich seine Pupillen schlagartig weiteten und er mir wortlos mein Gepäck aus der Hand nahm. Er war tatsächlich meiner gehässigen Bitte nachgekommen.

Kein Wunder also, dass ich mich nun schlecht fühlte. „Danke“, brachte ich stammelnd zusammen, doch sein Blick war nach wie vor nicht ganz normal. „Spar dir deine falsche Freundlichkeit, du hast auch noch nie im Dreck gewühlt, wie ich es seit Jahren tue“, erwiderte Jake überaus bitter, was mir nur noch mehr ein schlechtes Gewissen machte. „Entschuldige“, murmelte ich niedergeschlagen und hoffte, dass er mich nicht gehört hatte.

Einen Augenblick an sah der Mann mich noch an, ehe er den Kopf schüttelte und sich auf seinen Sitz niederließ. „Kannst du mich bitte vorbei lassen?“, bat ich ihn, da ich absolut keine Lust hatte, neben ihn zu sitzen. „Nein, das kann ich nicht. Wenn dich meine Anwesenheit so stört, dann steig doch einfach über mich“, antwortete er mir nur überaus barsch.

Dieser verdammte Idiot wusste, dass ich das auf keinen Fall tun würde. Oder wollte. Also versuchte ich es doch. Jakob sah mir genau in die Augen, während ich einen großen Schritt über ihn machte. Natürlich musste er es sich besonders gemütlich machen und den Sitz in die Schlafposition hinunter klappen. Grummelnd wollte ich mich aus dem Staub machen, doch der Kindskopf sah das anders. Blitzschnell hatte er seine Arme um mich gelegt und mich zu sich gezogen.

Geschockt betrachtete ich ihn. Er hatte nicht mehr als ein dreistes Lächeln für mich übrig. „Was soll denn der Scheiß?“, fluchte ich, wobei meine Stimme brach. „Du schaust aus, als bräuchtest du jemanden zum Kuscheln“, entgegnete er nach einer halben Ewigkeit mit so einem zweideutigen Unterton, dass ich mich darüber nur maßlos aufregen könnte. Leider Gottes nahm er mir mit seinen Worten den Wind aus den Segeln.

 

Im nächsten Moment riss ich meine Augen aber ganz weit auf. Wollte er etwa mit mir kuscheln? Nein, dachte ich im nächsten Moment, er will mich nur flachlegen. Zum Glück war mein Verstand wieder zu mir zurückgekehrt. Es war eben doch nicht alles rosarot, schon gar nicht bei mir. Immerhin wurde mir vor Jahren das Wichtigste genommen.

Vor meinem inneren Augen tauchten jene Bilder auf. Jene, die mich noch immer verfolgten. Ich schüttelte belanglos mit dem Kopf und riss mich von Jakob los, was dieser verwundert zur Kenntnis nahm. „Du vielleicht, aber ich auf keinen Fall und selbst wenn, ich würde lieber mit einem Stein kuscheln als mit so jemanden wie dir!“, keifte ich ihn ungehalten an.

Da der Herr Di Izmir darauf zu bestehen schien, dass ich neben ihn sitzen blieb, ließ ich mich auf den Sitz plumpsen. Es dauert nicht lange und die Maschine hob ab. Endlich. Ich döste vor mich, bis auf einmal ein Handy zu klingeln begann. Keine halbe Minute später ging Jakob ran. „Hey Süße, was verschafft mit dir Ehre?“, fragte er heiter in sein Handy.

Wie schleimig! Sofort begann er zu flirten was das Zeug hält. „Nein... Süße, ich bin auf dem Weg nach Japan“, plapperte er fröhlich weiter und fuhr sich mit seiner linken Hand durch das gegelte Haar. „Das geht jetzt nicht, neben mir sitzt eine weitere Schönheit und außerdem bin ich nicht für halbe Sachen zu haben“, säuselte er, woraufhin mir schlecht wurde.

Mir entging nämlich nicht, dass es sich bei dem Anrufer um eine Frau handelte. Diese versuchte ihn wohl am Handy zu verführen. Ihre Stimme klang zumindest danach. „Bah, du bist so widerlich“, gab ich von mir und drehte mich nach rechts, um aus dem Fenster sehen zu können. Natürlich ließ er sich von meinen bissigen Worten nicht stören, im Gegenteil, er vertröstete die Schlampe an seinem Handy damit, dass er ja bald zurück sein würde.

Nachdem er das Telefonat schnell beendet hatte, wandte er sich zu mir. „Kann es sein, dass ich aus deiner lieblichen Stimme Eifersucht vernehme? Baby, warum sagst du denn nichts zu mir? Wir haben ganz viel Zeit“, schnurrte er mich an, woraufhin ich ihm eine Ohrfeige gab. „Glaub das bloß nicht! Bevor ich deine ganzen Schlampen beneide, bin ich schon längst tot!“, zischte ich, was Jake die Sprache zu verschlagen schien.

 

Der Flug zog sich immens in die Länge. Was mich aber am meisten störte, war die Tatsache, dass es bei dem Mann neben mir nicht bei diesem einen Telefonat blieb. Etliche Male klingelte sein Handy, wobei ich immer dachte, dass es verboten war, während eines Fluges zu telefonieren. Anscheinend konnte er sich alles erlauben. Mistkerl.

Jedenfalls reichte es mir irgendwann und ich steckte mir erneut meine Kopfhörer auf dem Kopf. In voller Lautstärke ertönte meine Playlist. Ich hörte so ziemlich alles an Musik, selbst japanische. Gerade war ich bei Polaris von MUCC. In dem wunderschönen Lied ging es um eine verflossene Liebe. Daher war es auch ziemlich traurig. Obwohl ich mit voller Lautstärke Musik hörte, war ich nach kürzester Zeit eingeschlafen.

Ein Ruckeln weckte mich. Müde blinzelte ich auf, um herauszufinden, was passiert war. „Na du, endlich aufgewacht?“, vernahm ich eine leise Stimme direkt neben mir. Ich lag auf etwas weichem und im nächsten Moment fuhr ich erschrocken hoch. Bitte alles nur nicht das! Hatte ich mich im allen Ernst an die Schulter von Jakob gelehnt, während ich im Land der Träume war? Das war so peinlich!

Das schien ihn aber nicht gestört zu haben, im Gegenteil, er musterte mich wortlos, wobei sein Blick ziemlich … sanft war. Rasch hatte ich mich in seinen wunderschönen grünen Augen verloren, die mich nach wie vor fixierten. Meine Kopfhörer, mit denen ich eingeschlafen war, lagen an der kleinen Fensterbank. Da ich keine Ahnung hatte, was ich zu dieser seltsamen Szene sagen sollte, die sich gerade abspielte, beschloss ich kurzerhand, mich ausgiebig zu strecken. „Wo ist mein geliebter morgendlicher Kaffee?“, fragte ich, woraufhin Jake belustigt auflachte.

Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, antwortete er: „Wir sind in Tokio gelandet. Ich würde vorschlagen, wir begeben uns zum Hotel und richten uns kurz ein. Dann können wir etwas trinken gehen“. „Ich will aber meinen Kaffee!“, zischte ich mit einem Anflug von schlechter Laune. „Ist ja gut“, gab sich der Mann sofort geschlagen.

Mit einem Grinsen auf den Lippen stieg ich aus der Maschine. Ich hätte nicht gedacht, dass er so schnell nachgeben würde. Vermutlich hatte Justin ihm erzählt, dass ich ohne meinen Kaffee so ungenießbar wie ein verdorbener Fisch war. Jeder Mensch hatte nun mal seine Macken und meine war eindeutig das braune Getränk.

 

„Du möchtest also dann ins Hotel und dich einrichten?“, wollte ich sicherheitshalber von Jake wissen, als wir in einem der zahlreichen Cafés im Flughafen saßen. Er nickte mir nur zu. Schon bald waren wir in unserem Zimmer oder besser gesagt Apartment. Ich staunte nicht schlecht. Unsere Betten waren in unterschiedlichen Räumen, wobei ich darauf bestand, das hintere zu nehmen, da man nur durch das andere dorthin gelangen konnte.

Das war das erste Mal, dass ich total froh war, dass Jakob den verwöhnten Bonzen raushängen ließ. Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen, von dem aus ich einen fantastischen Blick auf einen Teil der belebten Stadt hatte. Der Himmel färbte sich in wunderschönen Farben. Schon bald würde die Sonne aufgegangen sein.

Natürlich gingen Jakob und ich schlafen. Das Geschäftsessen fand noch am selben Abend in unserem Hotel statt. Ausgeschlafen stand ich schließlich um siebzehn Uhr auf. Ich musste noch baden und mich schön machen. Schließlich war das ein Essen, bei dem ich einen guten Eindruck hinterlassen musste. Die Tür schloss ich sicherheitshalber ab. Bei so einem Perversling wie Jakob wusste man nie.

Nach einer halben Stunde kam ich frisch aus dem Bad getapst, wobei mir Jake sofort entgegen kam. „Frauen“, sagte er „müssen sich immer stundenlang schön machen. Und am Ende sieht man eh nicht so viel. Ich hoffe für dich, dass wir pünktlich um zwanzig Uhr im Restaurant sind“. „Ach, fick dich doch!“, blaffte ich ihn an und meinte, ehe er etwas erwidern konnte: „Ich war gerade mal dreißig Minuten im Bad und ich werde mich ganz bestimmt nicht für dich schön machen!“. Danach verschanzte ich mich sofort in mein Zimmer.

Die Ausstattung des Hotels war Luxus vom Feinsten. Daher hatte ich einen Spiegel im Zimmer, vor dem ich mich hinsetzen konnte, um mich schön zu machen. Ich tat es doch, aber nur, um Jake nicht zu blamieren. Schließlich wusste ich nicht, wie wichtig dieses blöde Geschäftsessen war. Zumal ich eventuell noch Tizian schaden könnte. Ihm gehörte die Firma und Jakob arbeitete für ihn.

Nachdem ich meine Haare geföhnt hatte, verpasste ich ihnen leichte Locken, die ich mit einem Haarspray fixierte. Entweder Jake hatte an alles gedacht oder die Ausstattung hier war wahrhaftig so, dass man hier glatt wohnen könnte ohne auch nur irgendetwas kaufen zu müssen. Mein Gesicht schminkte ich leicht mit Puder und zudem machte ich mir schon fast übersehbare Smokey Eyes. Zudem trug ich mir roséfarbenen Lippgloss auf.

Während ich mich im Spiegel betrachtete musste ich zufrieden grinsen. Mein Look war einfach nur perfekt. Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. „Bist du endlich mal fertig? Ich habe keine Lust wegen dir zu spät zu kommen!“, rief Jakob gegen die Tür. „Ja ja, immer schön mit der Ruhe, du Blödmann!“, gab ich von mir und musste mir ein Lachen verkneifen.

 

Leider Gottes musste ich aber nun wirklich raus. Dabei dachte ich, dass ich mehr Zeit hätte, um mich seelisch und moralisch auf das bevorstehende Essen vorzubereiten. Als ich die Tür aufschloss und sich die Blicke von Jake und mir trafen, war es still. Dieser Kindskopf hatte tatsächlich seine rockstarähnlichen Klamotten gegen einen schwarzen Anzug ausgetauscht. Dummerweise stand ihm der ausgesprochen gut.

Beruhige dich, dachte ich, wenn du ihn so weiter anstarrst, fängst du bald noch wirklich an zu sabbern. Ich schmunzelte. Jakob dagegen sah mich mit geweiteten Pupillen und offenem Mund an. Es ging sogar schon so weit, dass er kreidebleich geworden war. Er wollte etwas sagen, doch aus seiner Kehle wollte ihm kein vernünftiger Laut entweichen. Es war eher Gestottere.

Okay, dann musste ich wohl eingreifen. „Können wir dann?“, fragte ich, während ich an ihm vorbei ging. Als ich merkte, dass er noch immer wie angewurzelt da stand, blieb ich stehen und stupste ihn an. Erst da reagierte er und meinte: „Klar... aber den solltest du noch tragen“. Bevor ich ihn fragen konnte, was er meinte, hielt er mir einen Ring entgegen.

Stirnrunzelnd sah ich abwechselnd zwischen ihm und dem silbernen Schmuckstück. Was sollte das denn? Dennoch streckte ich ihm wie selbstverständlich meine rechte Hand entgegen. Als er sie berührte und den Ring um den Ringfinger schob rannen mir etliche Schauer über den Rücken. Bei einem Blick auf seine Hände erkannte ich, dass er ebenfalls einen Ring trug. „Wenn wir schon auf ein glückliches Pärchen tun, können wir auch einen gemeinsamen Ring tragen. Sonst verstehen die Menschen gleich, dass das alles nur ein Bluff ist“, ließ er mich mit einem kessen Grinsen auf den Lippen wissen.

Darauf erwiderte ich nichts. Lieber nahm ich den Ring genau unter die Lupe. J 22.09.2012 G las ich in feinster Schnörkelschrift. „Wir sind also seit jenem zweiundzwanzigsten zusammen? Ist ja interessant, aber warum weiß dann niemand etwas davon?“, wollte ich verwirrt wissen. „Ganz einfach, weil unsere Beziehung geheim ist“, antwortete der Mann mir.

Nach seiner Antwort schwieg ich, merkte jedoch im nächsten Moment das er mich dicht an sich drückte und einen Arm um mich gelegt hatte. „Hey! Was soll das denn?“, fuhr ich ihn leicht säuerlich an. Jakob seufzte entnervt auf, sagte aber dann: „Entspann dich, wir sind hier, um ein Paar zu spielen und da gehört das dazu. Du müsstest dich doch mit Schauspielerei auskennen, schließlich bist du ein angesagtes Model“.

Hat er mir da gerade ein Kompliment gemacht? Irgendwie freute es mich sehr, dass Jakob unsere Flunkerei so ernst nahm. Außerdem sprach eigentlich nichts dagegen. Ich konnte die Nähe zu ihm genießen ohne darauf zu achten, dass er merken könnte, dass ich in ihn verliebt war. „Na gut, Schatz“, sagte ich schließlich und kicherte, was ihm ein süßes Grinsen entlockte.

 

Aufgeregt betrat ich mit Jakob das Restaurant, was Stil hatte. Es überraschte mich aber nicht mehr im Geringsten. Es war in warmen Farben eingerichtet. In der Mitte befand sich sogar ein kleiner Springbrunnen. Jake machte sehr schnell seinen Geschäftspartner ausfindig. Als sie uns zusammen sahen, fielen den beiden fast die Kinnladen hinunter.

Elegant standen sie auf und wir begrüßten uns. „Ich wusste gar nicht, dass Sie mit Miss De Lorenzi zusammen sind“, meinte der Mann, der ebenfalls einen schwarzen Anzug trug überaus erstaunt, aber ebenso anerkennend. „Das ist auch so gewollt, wir wollen unsere Beziehung nicht öffentlich machen. Unsere Privatsphäre ist uns heilig“, entgegnete Jakob locker und log den Herren, der sich mir als Logan Landford vorgestellt hatte, eiskalt ins Gesicht.

Seine Frau Nora dagegen begutachtete uns kritisch. War klar. Wir Frauen merkten sofort, wenn etwas nicht stimmte. Kein Wunder, dass sie ihre Stimme erhob. „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, Herr Di Izmir, aber sind Sie nicht dafür bekannt, dass Sie viele … Affären haben?“, wollte sie tatsächlich von ihm wissen.

Verdammt! Wie wollte er das bitte richtig stellen? Jakob lächelte galant, ehe er meinte: „Ja, das ist richtig. Um ehrlich zu sein, ist das alles nur PR. Ich bin jung und schaue gut aus, da ist es doch nur richtig, wenn ich mir ein solches Image zu lege. Außerdem halten sich so viele Frauen von mir fern, wenn sie denken, ich würde ihnen das Herz brechen. Zudem muss ich zugeben, dass Giulia und ich noch nicht lange zusammen sind“.

Dieser Teufelskerl log wie gedruckt! Und das ohne dabei rot zu werden. Wahnsinn, wie machte er das nur? Ich hätte nicht gedacht, dass er sich so leicht aus dieser heiklen Frage winden könnte. „Das ist ziemlich schlau von Ihnen“, gab Logan anerkennend zu und auch Nora schien mir um Einiges sympathischer zu werden, da sie ihrem Mann beistand.

Sie trug eine edle weiße Abendrobe, die aus feinstem Samt zu sein schien. Um ihrem Hals trug sie eine ziemlich übertriebene Halskette, die bestimmt schon fast ein halbes Kilogramm schwer war. Sie sah nämlich total klopsig aus. Um ihr linkes Handgelenk trug sie dagegen ein schlichtes Armband.

 

„Wie haben Sie sich eigentlich näher kennengelernt?“, fragte die Frau weiter. Meine Güte, musste sie unbedingt so neugierig sein und alles wissen? Ich empfand es als nervig und schon fast dreist, das so unverblümt zu fragen. Ein Lächeln schlich sich auf die Lippen von Jakob. Dann antwortete er betont schwärmend: „Das ist eine ziemlich kitschige Geschichte, aber ich werde sie Ihnen gerne erzählen“.

Oh je, schoss es mir durch den Kopf, was für einen Mist würde er ihnen denn nun erzählen? „Es war ein ziemlich verregneter Septembertag im letztes Jahr. Wir trafen uns bei einem ihrer Shootings. Als ich sie das erste Mal sah, dachte ich, dass ich sie unbedingt kennenlernen musste. Ihre Ausstrahlung hat mich umgehauen“, begann er strahlend.

Es war gruselig, wie schamlos er sie anlog. Dennoch blieb ich ruhig und lächelte ihn an. Er erwiderte es. Dann fuhr er fort. „Bei dem Shooting ging es hinter den Kulissen ziemlich turbulent zu. Zuerst wollte man sie ersetzen, da sie einen Fehler gemacht hat, aber ich setzte mich für sie ein und so bekam sie allein wegen mir diesen wichtigen Modeljob. Aus Dankbarkeit lud sie mich zu einem schicken Essen ein“.

Boah, das war einfach nur eine verdammte Frechheit von ihm! Wie konnte er es wagen? Sanft legte er daraufhin eine Hand auf meine und übte leichten Druck darauf aus. Er schien bemerkt zu haben, dass ich sie in eine Faust geballt hatte. Ruhig Blut, dachte ich, du willst ihn ja nicht blamieren. „Oh ja und dafür bin ich dir noch heute sehr dankbar, Liebling“, warf ich lächelnd in den Raum und mimte die Stolze. Um das zu bestätigen, verschränkte ich meine Hand in seine.

Die Blicke unserer Gesprächspartner lagen nun genau darauf. Demonstrativ kuschelte ich mich an seine Schulter, was Jakob sogar zuließ. Er endete mit den Worten, dass aus diesem einem Essen immer mehr wurden und wir schließlich zusammenkamen. „Eine sehr schöne Geschichte“, sagte Logan lächelnd. „Ja, seitdem kann ich mir ein Leben ohne Giulia gar nicht mehr vorstellen. Dank ihr hat das Wort Liebe für mich eine ganz neue Bedeutung und durch mich ist sie nach wie vor sehr gut im Geschäft“, bemerkte er nebenbei matt und machte damit die Übertreibung des Jahrhunderts, Quatsch, des Jahrtausends!

„Liebe ist nur Krieg“, murmelte ich mit gesenkten Blick, doch dummerweise hatte Jakob mich verstanden. „Liebe, was ist das schon? Liebe ist natürlich Krieg, deswegen habe ich mich ihr auch entsagt. Nur Narren verlieben sich“, raunte er mir nur zu, während er sich nach hinten zu mir lehnte und mir einen sanften Kuss auf mein Haar gab. Dann widmete er sich wieder lächelnd seinem Geschäftspartner. Meine Hand ließ er jedoch nicht los.

Heart Of Misery

 

Das Essen zog sich so dermaßen in die Länge, dass ich schon fast kurz davor war, Jakob vor versammelter Mannschaft zur Sau zu machen. Nur mit Mühe und Not konnte ich meinen Zorn auf ihn unterdrücken. Dabei hatte der missratene Idiot genau das verdient. Ich war einfach viel zu gut für ihn.

Um kurz nach Mitternacht kam endlich meine Erlösung. Kaum hatten Jakob und ich unser Apartment betreten, knallte ich die Tür hinter mir zu und schubste ihn auf sein Bett, das zufällig in der Nähe der Eingangstür war. „Uh Baby, das ist aber eine Überraschung. Hätte ich gewusst, dass du dich von mir flachlegen willst, dann hätte ich Kerzen für dich angezündet“, sagte er total erfreut und zog sich sein Jackett aus.

Mit einem Satz war ich bei ihm und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Das war wohl so etwas wie Normalität geworden, aber ich konnte einfach nicht anders. „Was bildest du dir eigentlich ein, du überheblicher Macho?“, schrie ich ihn an, woraufhin er mich unschuldig ansah. „Du bist so was von selbstverliebt, dass ich kotzen könnte! Als ob ich durch dich an den Modeljob gekommen wäre, das ich nicht lache!“, machte ich meinen Ärger weiter Luft.

Eigentlich wollte ich ihm erneut einen Schlag geben, doch er nahm grob meine Handgelenke und drückte mich gegen die Tür. Was sollte das denn bitte? „Oh bitte, regst du dich im allen Ernst nur deswegen auf? Was hätte ich denn sonst sagen sollen?“, erwiderte er gehässig. „Alles, aber nur nicht das! Wegen dir ist mein Ruf ruiniert, ist dir das klar?“, gab ich etwas kleinlaut von mir, da er mir verdammt nah war.

Das schien ihn aber nicht im Geringsten zu beeindrucken, im Gegenteil, er lachte amüsiert auf. Dann meinte er: „Denkst du wirklich, dass die Landfords damit an die Öffentlichkeit gehen? Da brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen, denn dann erfahren die Menschen, dass dieses ach so gute Ehepaar nichts als Heuchler sind!“.

Okay, seine Reaktion war schon ziemlich heftig, aber ebenso selbstsicher. Er war sich seiner Sache wohl wirklich sicher. „Woher soll ich das denn wissen? Dir würde es doch bestimmt auch nicht gefallen, wenn ich sagen würde, dass Tizian dein Bruder ist“, sagte ich, woraufhin sich die Griffe um meine Handgelenke verstärkten. „Er ist immer noch mein Halbruder, mehr nicht!“, zischte Jakob, mäßigte jedoch den Druck, mit dem er mich anpackte.

Beschämt sank ich den Blick und versuchte ihn auf Distanz zu bringen, was mir sogar gelang. „Ich verstehe dich einfach nicht“, sagte ich abwesend, woraufhin er meinte: „Das wird auch niemand schaffen. Wie du schon richtig sagtest, ich bin total abgefuckt!“. „Ist gut, wann geht unser Flieger zurück nach Deutschland?“, fragte ich kopfschüttelnd. „Schon Morgen. Ich muss so schnell wie möglich einen gewissen Herrn von Falkenstein über das Ergebnis dieses verdammten Essens informieren und du kommst mit“, antwortete er mir. Meine Augen wurden größer. „Wieso das denn?“, lautete meine berechtigte Frage. Jakob raunte nur, dass das der letzte Teil des Wetteinsatzes sei. Grummelnd nahm ich das zur Kenntnis und ging in mein Zimmer.

 

Die Nacht verlief schon fast schlaflos, was ich aber auf dem Rückflug nachholte. Zum Glück ließ Jake mich in Ruhe. So konnte ich endlich mal etwas entspannen und war froh, als ich zurück in Deutschland war. Wieder wurden wir von der weißen Limousine abgeholt. Wir machten uns auch sofort auf dem Weg zu der Villa meines besten Freundes. Anscheinend wollte Tizian wirklich keine Zeit verlieren.

Als wir vor seiner Tür standen, wartete ich nervös darauf, dass uns geöffnet wurde. Nach einer halben Ewigkeiten trat Tizi hervor. Sein Blick schnellte sofort zu mir. „Guten Abend Giulia, was machst du denn hier?“, fragte er sichtlich verwirrt, was natürlich berechtigt war. Verdammt, daran hatte ich gar nicht gedacht!

War klar, dass mich Jakob in so eine Zwickmühle bringen musste. „Äh, nun ja“, stammelte ich, meinte aber dann von einem Geistesblitz getroffen: „Ich wollte dich besuchen und bin zufällig auf deinen perversen Bruder getroffen. Ist das etwa schlimm?“. Flehend warf ich Jake einen Seitenblick zu, der seltsamerweise seinen Mund hielt und nur genervt in den Himmel starrte.

Glücklicherweise schien mir Tizian zu glauben, denn er sagte: „Na dann hoffe ich, dass er anständig geblieben ist, kommt rein“. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Der ältere der beiden Brüder führte uns in die Küche, in der der Tisch für drei Personen gedeckt war. Als Krystal mich erblickte, strahlte sie über das ganze Gesicht und holte noch für eine vierte Person entsprechendes Besteck. Sie hatte sofort verstanden, dass ich bleiben würde.

Danach kam sie auf mich zu und umarmte mich. Vorsichtig tat ich es ihr gleich. „Ich hoffe doch, dass dir das keine Umstände macht“, zog ich sie mit einem grinsenden Blick auf ihren dicken Bauch auf. „Nein nein, mit Alessandro ist alles in Ordnung“, erwiderte sie lachend und nickte Jakob kurz zu, der zur Begrüßung die Hand hob.

Sein Blick ruhte aber trotzdem auf die Frau von Tizian, die sich in Schale geschmissen hatte. Sie trug ein dunkles Kleid, das ihre Schwangerschaftsfigur herrlich betonte. Zudem trug sie wie ich dezente Schminke. Ich fragte mich, weshalb Jakob sie unentwegt anstarrte. Hatte er endlich erkannt, wie hübsch sie war?

Genau er war es, der mich aus meinen Gedanken holte. „Schön zu wissen, dass es dem wachsenden Zellhaufen gut geht“, sagte er leicht vergnügt. Mir kam es aber eher so vor, dass er sie nur hatte necken wollen. Schnell verwarf ich meine unsinnige Theorie. Schließlich hasste er meine Freundin, was auf Gegenseitigkeit beruhte.

Krystal lächelte zuckersüß, ehe sie unbeschwert meinte: „Tja, dazu musst du es erst mal bringen. Aber hey, du würdest dich lieber aus dem Staub machen, anstatt Verantwortung zu übernehmen“. Nach ihren Worten brach ich in schallendes Gelächter aus, ebenso wie Tizian und auch sie kicherte fröhlich vor sich hin. Nur Jakob verzog keine Miene. „Nichts lieber als das. Darauf verzichte ich nämlich auch sehr gerne. Ich mag schreiende Bälger nicht. Außerdem machen sie nur Dreck und kosten einen Unmengen an Geld, Zeit und Nerven“, entgegnete er eiskalt und ignorierte unser Gelächter gekonnt.

 

Nun kamen wir aber endlich zum Essen, das ich auch bitter nötig hatte. Zuvor nahm ich aber einen kräftigen Schluck von dem Rotwein, den es zum Essen gab. Bestimmt war das die Idee von Krystal gewesen. Sie war bei uns dafür bekannt, dass sie diese Art von Wein vergötterte. Dafür liebte ich das Essen umso mehr. Es gab schmackhaften Sauerbraten. Wie ich Tizi für seine Kochkünste vergötterte! Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass es je etwas gegeben hatte, was mir nicht geschmeckt hatte von ihm. So aßen wir alle genüsslich.

Nachdem das erledigt war, kam Jake sofort zum geschäftlichen Teil. „In Tokio läuft alles gut“, begann er damit. „Sicher? Du weißt genauso gut wie ich, dass dieser Auftrag ziemlich wichtig für die Firma ist“, erkundigte sich Tizian skeptisch, was auch meiner Meinung nach berechtigt war. Bei Jake wusste man doch nie.

Dieser trank aus seinem Glas. „Komm schon, Falkenstein, die Landfords könnten doch nie und nimmer ertragen, dass ihr gut gehütetes Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangt. Sie haben mir praktisch aus der Hand gefressen, nachdem ich ihnen einiges Privates über mich erzählt habe“, floskelte Jakob herablassend.

Tizian beugte sich nach vorne und sah seinem Bruder genau in die Augen. Dann flüsterte er bedrohlich: „Das möchte ich auch hoffen für dich. Du hast wahnsinniges Glück, so ein verdammtes Genie in der Gestaltung und im Reden zu sein“. „Um was für einen Auftrag geht es überhaupt?“, wollte ich wissen, um die Situation zu entschärfen, die mir mit einem Mal total bedrohlich vorkam. Hoffentlich würden sie das schlucken.

Augenblicklich später entspannte sich Tizi wieder und wandte sich an mich. „Es geht um unser neuestes Projekt. Es hat sich herumgesprochen, dass meine Firma die beste Werbung macht und da die Landfords in dieser Hinsicht so gut wie gar nichts auf die Reihe kriegen, hätte ich den Auftrag gerne in der Tasche. Außerdem zahlen sie gut“, teilte er mir mit.

 

Wir sprachen noch eine Weile über das Geschäftliche, ehe die Stimmung immer lockerer wurde. Das lag bestimmt auch daran, dass sich Jakob so ziemlich die ganze Zeit aus dem Gespräch heraushielt. „Sag mal Lia, was ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte, was ist das für ein schöner Ring an deinem Finger? Gibt es vielleicht etwas, das du uns mitteilen möchtest?“, wollte Krystal auf einmal wissen.

Mist! Ich Idiotin hatte den Ring völlig vergessen. Sofort glitt mein Blick zu den Händen von Jakob, der sie ineinander verschränkt hatte. Von seinem Schmuckstück war nichts zu sehen. Wow, er konnte tatsächlich professionell reagieren. „Ja, da gibt es jemanden. Es ist aber noch nicht sicher und daher möchte ich auch nicht näher darauf eingehen“, gab ich mit einem verträumten Lächeln zu.

Oh man, ich hasste es, sie anzulügen, doch auf die Schnelle war mir nichts Besseres eingefallen. Ich hätte ja schlecht sagen können, dass ich eine Wette mit ihrer ersten große Liebe verloren hatte und seine Freundin in Tokio spielen musste. Außerdem gab es ja wirklich jemanden, dem ich mein Herz geschenkt hatte.

„Zeig mal her“, sagte Krystal, woraufhin ich ihr meine Hand ausstreckte. Sie drehte meinen Arm und meinte lächelnd: „Der einundzwanzigste September letzten Jahres also. Da haben wir uns kennengelernt“. „Wie bitte?“, meinte auf einmal Tizian überaus geschockt. Seine Stimme hörte sich so an, als ob er sofort wusste, dass der Ring von Jakob stammte, warum konnte ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. Ich konnte von Glück reden, dass Krys scheinbar nichts von den Buchstaben bemerkte, die sich vor und hinter dem Datum befanden.

Tizi sah abwechselnd zwischen seinem Bruder und mir, dann wandte er sich an Jakob: „Komisch, das ist ausgerechnet das Datum, an dem du sie geküsst hast“. Es war klar, dass sich Tizian noch genau an dem Tag erinnerte, an dem er seine Krystal vor ihm gerettet hatte. Moment mal! Das hieße ja, dass wir da das erste Mal so richtig aufeinander getroffen sind. Ich verstand nun überhaupt nichts mehr. Als ob Jakob sich das gemerkt hätte!

Dieser lachte nur bitter. „Du müsstest doch nur zu gut wissen, dass mir der Kuss nichts bedeutet hat. Außerdem lernt Giulia bestimmt viele Männer kennen“, widerlegte er sofort den Verdacht von Tizian. Innerlich atmete ich erleichtert auf. Er war wirklich ein Genie im Lügen. „Und da sagst du mir im allen Ernstes, dass das mit euch noch nicht sicher ist? Mensch, Lia, der Typ ist doch total in dich verknallt!“, plapperte Krys dazwischen.

Ich wurde feuerrot. Wenn sie nur wüsste! Das Einzige, was Jakob von mir wollte, war, mich in seiner Sammlung seiner Eroberungen im Bett zu bekommen. Ich war gefangen in meinem Herzen, dass dank Jakob nun nur noch aus einem gefährlichem Elend bestand. „Ganz bestimmt nicht. Es ist wirklich noch nicht sicher und sagt mal, findet ihr nicht auch, dass es hier ziemlich warm geworden ist?“, druckste ich herum und nahm einen kräftigen Schluck aus meinem Glas Rotwein.

 

Mein Ablenkungsmanöver funktionierte, da Tizi meinte: “Das dürfte dich auch nicht wundern. Hast du mal gezählt, wie viel Gläser Wein du schon getrunken hast?“. „Mhhhh“, machte ich langsam und lachte. „Ehm, fünf?“, fragte ich, während ich auf den Stuhl, auf den ich saß, zappelig hin und her rutschte.

Mein bester Freund erhob sich von seinem Platz, um das leere Geschirr in die Küche zu bringen. Kichernd sagte er: „Falsch. Du bist schon beim Siebten und ziemlich angetrunken. Es wäre besser, wenn du nichts mehr trinken würdest“. „Was? Nein!“, widersprach ich ihm schon fast hysterisch und gab wüste Bemerkungen von mir.

Zum Glück hatte er mich nicht mehr gehört, da ich ziemlich leise gesprochen hatte. Nur Jakob lachte neben mir herzhaft auf. Zu herzhaft für meinen Geschmack. „Warum lachst du? Bilde dir bloß nicht ein, dass du du mich flachlegen kannst, nur weil ich etwas getrunken habe“, fuhr ich ihn an, woraufhin Jake meinte: „Das habe ich gewiss nicht vor. Nichts ist abtörnender als besoffene Frauen, die sich einem an den Hals schmeißen“.

Obwohl er damit recht hatte, war ich mit seinen Worten unzufrieden. „Kannst du nicht ein einziges Mal Humor zeigen? Sei mal ein bisschen lockerer“, wies ich ihn darauf hin, dass mir sein Verhalten überhaupt nicht gefiel. „Tizilein, könntest du bitte noch eine Flasche Rotwein holen? Mein Glas ist alle“, bat ich den Mann, der wieder in Hörweite gekommen war.

Er sah mich skeptisch an. Da ich mir nicht anders zu helfen wusste, setzte ich mich gerade hin und schenkte ihm eines meiner schönsten Lächeln. Krystal wusste, dass das keine Anmache sein sollte, sondern kicherte kaum merklich vor sich hin. Immerhin funktioniert es und Tizian kam meiner Bitte nach.

„Wuhu, er holt mir meinen Wein“, sang ich fröhlich vor mich hin, bis ich einen leichten Klaps auf dem Hinterkopf spürte. „Benimm dich mal“, flüsterte mir Jakob zu, da ich ihn natürlich ziemlich verdutzt anblickte. „Nö, wieso denn? Kann dir doch egal sein, wie ich drauf bin“, keifte ich ihn laut an, sodass Krystal uns etwas verwirrt ansah.

 

Ich legte einen Arm um Jakob und zog ihn zu mir. Dann sagte ich: „Kryyys? Kryyys? Willst du mit kuscheln? Komm, wir machen unseren eigenen Kuschelclub auf“. „Nein, lass mal. Du solltest lieber wirklich auf dich aufpassen“, lehnte sie sofort entschieden ab, bevor sie sich das erste Mal an dem Abend direkt an Jakob wandte. „Wehe du wagst es und nutzt ihre Angetrunkenheit eiskalt aus. Wir alle kennen deinen miesen Ruf nur zu gut, Di Izmir“.

Der Mann neben mir verkrampfte sich schlagartig. Ich hatte schon ernsthafte Angst, dass er ausrasten könnte und Krystal oder mir etwas antun würde, doch er rührte sich nicht. Nach einer halben Ewigkeit entgegnete er nur mit einem süffisanten Lächeln: „Kein Bedarf, ich bin nicht so wie mein Halbbruder und schaffe mir eine kleine Hure an“.

Auch wenn ich angetrunken war, entging mir sein überaus dreister Spruch nicht. Ehe Krys auch nur einen Ton von sich geben konnte, gab ich Jakob eine schallende Ohrfeige. „Himmel, was ist denn hier los?“, ertönte auf einmal die Stimme von Tizian und bevor ich seinem unhöflichen Bruder noch weiter wehtun konnte, zog er mich von ihm weg.

Natürlich protestierte ich, aber gegen meinem besten Freund hatte ich keine Chance. „Er hat aber deine süße Frau als kleine Hure bezeichnet!“, versuchte ich mich zu rechtfertigen. Es wirkte, der Blick von Tizian änderte sich nur allzu deutlich. „Ist das wahr?“, erkundigte er sich gefährlich ruhig, was mich unruhig werden ließ.

Man hörte sogar seinen Kiefer knacken. Glücklicherweise griff Krystal ein. „Ja, aber daran sieht man doch nur, dass er nie das haben wird, was wir haben. Wir sind überglücklich und was hat er? Nichts weiter als zahlreiche Affären. Er wird nie wissen, wie es ist zu lieben und geliebt zu werden“, sagte sie mit so einer Festigkeit in der Stimme, dass es mich umhaute.

Triumphierend klatschte ich in meine Hände und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Wahre Worte, Süße!“, stand ich ihr bei. Danach widmete ich mich endlich der Flasche Rotwein, die Tizi in seiner anderen Hand hielt. Oder besser gesagt, ich wollte es. Leider sah er das nämlich nun anders. „Du hast genug, Giulia. Es wäre besser, wenn du nach Hause gehen würdest oder ihr. Ich fahre dich heim“, riet er mir.

 

Vermutlich hatte er Recht. Das Treffen war dank mir ziemlich aus den Fugen geraten. „Muss das sein?“, schmollte ich dennoch wie ein kleines Kind. „Ja, muss es“, antwortete mir Jake mit einem tiefen Seufzer. „Na los, mach dich fertig. Ich bringe dich nach Hause und nicht er“, forderte er mich auf, mich von meinem Platz zu erheben.

Im nächsten Moment wurde er von allen angestarrt. Einschließlich mir. „Du? Wieso das denn?“, lautete meine berechtigte Frage. Ich wusste, dass genau das auch Tizian und Krystal durch den Kopf ging. Innerlich freute ich mich natürlich total, aber ich war nicht naiv. Außerdem traute ich ihm nach wie vor kein Stück.

Besagter Mann zuckte nur mit den Schultern, ehe er antwortete: „Ich fahre doch eh in der Nähe deiner WG vorbei und da kann ich dich auch gleich nach Hause bringen. Ist doch nichts dabei, oder? Und wie ich schon sagte, ich fülle Frauen nicht ab, wenn ich sie ins Bett bekommen möchte“. Was er sagte klang durchaus logisch und so sagte ich sogar zu.

Nur das Ehepaar sah ihn misstrauisch an. „Bist du dir da sicher?“, wollte Tizian wissen. Sein Bruder nickte. „Ganz sicher?“, hakte er sicherheitshalber nach. „Ja doch!“, blaffte Jakob meinen besten Freund nun an. „Wehe, wenn nicht. Dann endet das ganz schön bitter für dich. Und nur damit du es weißt, ich werde mich bei Lia darüber erkundigen, ob du sie nicht doch angefasst hast“, warnte Tizi ihn eindringlich. „Keine Sorge“, sagte Jake leise, „Noch bitterer kann es für mich gar nicht mehr werden“.

It's Your Night

 

Nachdem wir uns von Krystal und Tizian verabschiedet hatten, verließen Jakob und ich das riesige Grundstück. Ich setzte mich auf den Bürgersteig, der direkt vor der Villa war, woraufhin der Mann stehen blieb. „Willst du nicht weiter gehen?“, fragte er mich. „Ich denke mal, du hast deinen Chauffeur angerufen“, beantwortete ich ihm seine Frage.

Jake kam auf mich zu und meinte: „Nein, das habe ich nicht“. „Wie jetzt? Ich dachte du willst mich nach Hause bringen!“, keifte ich ihn sofort an. Jakob lachte, ehe er sagte: „Das möchte ich auch, nun steh schon auf“. Widerwillig tat ich, was er von mir verlangte.

Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander umher, bis ich schließlich die Stille brach. „Danke übrigens, das war sehr nett von dir“. „Was meinst du?“, verständnislos sah er mich an. „Dass du ihnen nicht gesagt hast, dass der Ring von dir ist und du ihn sogar abgelegt hast“, murmelte ich.

Irgendwie bedrückte es mich, dass er nicht mehr als Schauspielerei ins uns sah. „Ich habe ihn nicht abgelegt“, ließ Jakob mich matt wissen und streckte mir die Hand aus, an die er den Ring trug. Tatsächlich, er war noch da. „Meine Reaktionsgabe erlaubte es mir, ihn blitzschnell zu verdecken, bevor ihn auch nur irgendjemand sehen konnte“.

Er war sogar noch ein besserer Schauspieler als ich dachte. „Verstehe, könntest du nun mal deinen Chauffeur rufen?“, bat ich ihn. „Nein, wieso?“, stellte er mir eine Gegenfrage. War das sein Ernst? Unsicher antwortete ich: „Ich … ich dachte, du wolltest mich...“. Er unterbrach mich jedoch. „Glaubst du wirklich, ich habe einfach aus Mitleid nichts gesagt von den Ringen?“.

Panik machte sich in mir breit. „Ich denke schon“, flüsterte ich und starrte auf den Boden. „Sieh mich an“, forderte er mich auf einmal auf. Als ich tat, was er verlangte, sagte er überaus sachlich: „Falsch, ich möchte eine Gegenleistung von dir“.

Hätte ich es mir doch bloß gedacht! Blitzschnell löste ich mich von seinem Blick und rannte einfach los. Das war leider nicht so einfach, da ich nach wie vor angetrunken war. Kein Wunder, dass mich Jakob rasch eingeholt hatte. Mit verdrehten Augen sah ich zu ihm auf. „Ich will aber nicht mit dir schlafen!“, schrie ich ihn hysterisch an, woraufhin er abermals tief seufzte. „Wann wirst du endlich verstehen, dass ich kein Interesse an alkoholisierten Frauen habe?“.

 

Er schien es wirklich ernst zu meinen. Was wollte er dann von mir? Natürlich wollte ich das von ihm sofort wissen, aber mit dieser Antwort hätte ich nie und nimmer gerechnet. „Ich möchte mit dir nur spazieren gehen. Nicht mehr und nicht weniger“. „Was erhoffst du dir davon?“, fragte ich, da mir seine Idee ganz und gar nicht geheuer war.

Wir setzten einen Schritt nach den anderen, wobei es natürlich kein Wir gab. Der unberechenbare Mann und ich. Anscheinend musste er sich erst etwas Ausgeklügeltes zusammenreimen. „Einfach nur … Ruhe“, lautete sein überraschender Beweggrund. Sollte ich mich damit zufrieden geben oder nicht?

Ach man, das war einfach nur mies. Konnte dieser Idiot nicht einfach normal sein? „Also gut“, stimmte ich schließlich zu, da ich ein klein wenig Ruhe gut gebrauchen konnte. Die kühle Luft gab auch ihr Bestes, um mich Jake nicht ganz hinzugeben. Irgendwie hätte ich nämlich gerade nichts dagegen, wenn er mich anfassen würde.

Besagter Mann bog nach links ab. Er führte mich über zig Straßen zu dem Marktplatz. Nach wie vor wusste ich nicht, was er vor hatte. Falls er überhaupt auch nur irgendetwas vor hatte. Bei ihm wusste man doch nie. Scheiß Alkohol, warum konnte ich mich bei Rotwein auch nicht zurück halten?

In der Hinsicht war ich genau wie Krystal, die ihn auch gerne trank, was aber natürlich nicht mehr ging, da sie schwanger war. Sie nahm ihre Schwangerschaft ziemlich ernst, was auch gut war. Nur hatte ich manchmal etwas Mitleid mit ihr, wenn sie das Getränk bei unseren Treffen sehnsüchtig ansah.

 

Vor meinen Augen tauchte der wunderschöne Park auf. Jener, in dem ich Jakob kennenlernte. „Was wollen wir denn hier? Du weißt schon, dass es hier ziemlich verlassen ist? Nein, da komme ich bestimmt nicht mit! Wer weiß, was du mit mir vorhast“, stänkerte ich und verschränkte beide Arme vor der Brust.

Der Mann seufzte abermals entnervt auf. Dann nahm er mein Handgelenk und schliff mich einfach hinter sich her. „Lass mich los!“, schrie ich ihn an, doch er dachte nicht einmal im Traum daran. Er schliff mich an die düsteren Bäumen, Hecken und Büschen vorbei. „Bitte, tu mir nichts“, flehte ich ihn an und kniete sogar vor ihm nieder.

Mittlerweile war er nämlich stehen geblieben und hatte mich los gelassen. Direkt vor einer mächtigen Statue. „Himmel, Giulia, was soll das? Steh auf, ich will dir doch wirklich nichts böses“, stammelte Jakob sichtlich entsetzt, als ich zu ihm aufsah. Sollte ich ihm Glauben schenken oder nicht? Ich hatte keine andere Wahl und so tat ich, was er von mir verlangte.

Zittrig lehnte ich mich an den kalten Stein der Skulptur. Ich schloss meine Augen. Dann fragte ich leise: „Wieso hast du mich ausgerechnet dort hingeführt, wo wir uns das erste Mal so richtig gesehen haben?“. „Ganz einfach, weil ich hier gerne spazieren gehe oder mich hinsetze“, antwortete er sogar auf meine Frage. „Wieso?“, harkte ich nach, woraufhin er meinte: „Zum Nachdenken. An diesem Ort gibt es nichts und niemand, was mich stören könnte“.

Seine Ehrlichkeit war einfach nicht zu überhören. Daher beschloss ich, nichts weiter dazu zu sagen. Ich wollte nicht, dass er es sich doch noch anders überlegte und mir doch etwas antat. Mich beschäftigte nur die Frage, warum er ausgerechnet mit mir hier her kam. Während ich um die Statue tänzelte, fragte ich: „Und wieso hast du mich dann mitgenommen, wenn du hier lieber allein sein willst?“.

Der Mann, der mir hinterher ging, antwortete: „Schon gut, wenn du lieber nach Hause willst, dann sag es mir“. „Nein, so habe ich das auch nicht gemeint. Ich … ups“, fing ich an, landete aber dann auf meinen Hintern im feuchten Gras. Sofort war Jakob zur Stelle und hielt mir seine Hand hin. Während er mich hochzog, meinte er: „Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so lebenslustig wie du ist“.

Seine Worten hallten immer wieder in meinem Kopf. Da ich mir nicht anders zu helfen wusste, meinte ich: „Quatsch, das ist nur der Alkohol“. Um meinen Worten Glaubwürdigkeit zu verleihen, lachte ich hysterisch. Uns konnte sowieso niemand hören, daher war es auch egal.

 

Mit schnellen Schritten stand Jakob direkt vor mir. Im Mondlicht, das durch die dichten Bäume sanft herein schien, konnte ich erkennen, dass er selig lächelte. Seine grünen Augen hatten einen unverkennbaren Glanz angenommen, der nicht von dieser Welt zu sein schien. Kein Wunder, dass ich mich geradezu in seine Arme warf.

Wie selbstverständlich lehnte ich mich an ihm, während er seine Hände um meinen Bauch legte. Eine Weile verharrten wir wortlos in dieser Position, ehe Jake flüsterte: „Nein, das ist nicht der Rotwein. Das bist einfach du“. Damit griff er meine vorherigen Worte auf, was mich überraschte. Ich hätte nämlich gedacht, dass er darauf noch eine Reaktion zeigen würde.

Irgendwie war ich davon gerührt, dass er mich für lebenslustig hielt. Dabei hatte er keine Ahnung, was ich durchgemacht habe oder noch immer durchlebte. Wie auch immer, er würde so oder so nie davon erfahren. „Ach Jake, wenn du nur wüsstest“, sagte ich leise, geradezu abwesend und schmiegte mich an seine starke Brust.

Der Mann legte leicht seinen Kopf auf meinen. Ich genoss es, von ihm so berührt zu werden. Meine Hormone gingen mit mir durch. Oh ja, sonst würde ich das wohl kaum als so schön empfinden. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass es ziemlich lange her war, dass ich einem Menschen so nahe sein wollte.

Mein Herzschlag ging unkontrolliert, ebenso meine Atmung. Irgendwie hatte er mich mit seiner Aktion total überrumpelt. Zum Glück wurde ich immer klarer im Kopf. Schließlich war auch schon einige Zeit vergangen. „Mir ist ganz schön mulmig zumute“, meinte ich auf einmal und hätte mir am Liebsten auf die Zunge gebissen.

Na super, jetzt brauchte ich mich nicht wundern, wenn er wieder auf Distanz ging! „Wieso denn? Kann ich irgendetwas für dich tun?“, nahm ich seine überaus sanfte Stimme ganz nah an meinem rechten Ohr wahr. Anscheinend kam es ihm erst gar nicht in den Sinn, Abstand von mir zu nehmen. Darüber war ich sehr froh.

Nur konnte ich ihm seine erste Frage nicht wirklich beantworten. „Ich weiß es nicht. Kennst du das, wenn es dir nicht gut geht, du dir aber absolut nicht erklären kannst, warum, weshalb, wieso?“, entgegnete ich etwas geknickt. So erging es mir nämlich gerade wirklich. Jakob schien etwas zu überlegen, doch dann meinte er: „Eigentlich nicht. Ich weiß schon seit Jahren, weshalb es mir nicht gut geht“.

Er klang dabei so traurig, dass ich schon kurz davor war, ihn nach den Grund zu fragen. „Wenn du darüber reden willst, dann scheu dich nicht“, murmelte ich und bereute es auch sofort wieder. „Nein, Giulia. Das würde eh niemand verstehen und außerdem bin ich nicht der große Redner“, erwiderte Jakob und erstickte meine Hoffnung, dass er sich mir öffnen würde, im Keim.

 

Trotzdem hatte ich eine neue Information über ihn. Er war kein großer Redner. Interessant. In der Hinsicht waren wir beide gleich. „Und was möchtest du nun tun?“, wollte ich wissen, damit er nicht Verdacht schöpfte, dass ich über seine Worte nachdachte. „Nichts. Ich möchte einfach nur hier sein und zu dem Himmel blicken oder besser gesagt zu den Bäumen“, antwortete mir Jake.

Skeptisch wollte ich mich aus seiner Umarmung, die schon viel zu lange andauerte, wenn man bedachte, dass er mich nicht liebte, befreien, was Jakob aber nicht zuließ. Was war denn mit dem los? Warum war er denn auf einmal so derartig auf Kuschelkurs? Dachte er etwa, er könnte mich so einlullen, dass ich ihm dann bedingungslos verfalle?

Obwohl ich noch immer keinerlei Ahnung hatte, was Jakob damit bezweckte, rührte ich mich nicht vom Fleck. Ich versuchte die unerwartete Nähe zu ihm zu genießen. Sollte er mir doch zu nahe kommen, so würde ich das Gelernte aus dem Selbstverteidigungskurs anwenden müssen. Und darin war ich verdammt gut. So schnell machte mir da niemand etwas vor.

Vorsichtig lehnte ich mich an dem Mann, der nach wie vor seine Arme um mich geschlungen hatte. Ich hatte schon fast vergessen, wie gut das eigentlich tat. Ich fühlte mich darin bestätigt, als mir Jakob einen sanften Kuss auf mein Haar gab. „Geht es dir besser?“, hörte ich ihn leise, aber ebenso besorgt fragen. „Ja, danke der Nachfrage“, antwortete ich ihm und legte meine Hände auf seine starke Brust.

Bei meiner Berührung verkrampfte sich Jakob schlagartig. Im Glauben, etwas falsch gemacht zu haben, entfernte ich mich wieder von ihm oder besser gesagt, ich wollte es. „Schon gut“, sagte er aber nur und zog mich noch enger an sich. Hörbar schnappte ich nach Luft, da mich sein Handeln sehr überrascht hat.

Wie konnte er nur so … paradox sein? Dieser Kerl war ein Widerspruch für sich. Harte Schale weicher Kern. Zumindest war das meine Vermutung. Und doch hatte ich keine Ahnung von ihm. Wie denn auch, wenn er mir die meiste Zeit, in der wir uns sahen, stets die kalte Schulter zeigte und mich herablassend behandelte?

Dennoch liebte ich ihn. Vielleicht gerade wegen seinem Paradoxon. Er war so verdammt verrucht. Und sexy. Einfach Jakob Di Izmir. Ja, ich verstand, weshalb ihm die Frauen zu Füßen lagen. Nur gefiel mir nicht, dass er das eiskalt ausnutzte. Eigentlich passte ich gar nicht in sein Beuteschema. Von Tizian und Krystal wusste ich nämlich, dass er Blondinen bevorzugte, die ziemlich freizügig waren.

Welcher Kerl fand das nicht heiß? Für uns Frauen war das dagegen purer Horror. Wir wollten nicht als irgendwelche Objekte angesehen werden, sondern als Menschen. Schließlich waren wir auch nichts anderes als das. Vielleicht sollte ich mir meine Haare blondieren. Nur konnte ich mir seine Reaktion überhaupt nicht vorstellen. Was dachte ich eigentlich da für einen Unsinn? Ich war kein liebeskranker Teenager mehr, sondern eine erwachsene junge Frau, die schon bald auf die dreißig zugehen würde!

 

Anderseits, was machte das noch für einen Unterschied? Ich war ihm so oder so hoffnungslos verfallen. Und die Tatsache behagte mir überhaupt nicht. Trotz allem besaß ich aber noch meinen bloßen Verstand. Der war zwar noch immer von dem Rotwein benebelt, doch falls Jakob mir nur einmal zu nahe kommen sollte, würde ich um mich schlagen.

Ach verdammt, dachte ich, in was für ein Schlamassel bin ich da nur hineingeraten? Konnte nicht alles so wie früher sein? In dem ich einfach mein Leben lebte ohne einen Mann, der mir das Herz brechen könnte und es auch sicherlich tun würde, wenn er wüsste, was ich für ihn empfand? Das war wohl viel zu viel verlangt. „Ich sollte gehen“, sagte ich aus diesem Gedanken heraus.

Jake rührte sich aber nicht. Ich beschloss, ruhig zu bleiben und seine Reaktion abzuwarten. Mein Herz schien mir schon fast aus meinem Brustkorb zu schlagen. Meine Atemzüge kamen mir mit einem Mal so unendlich laut vor. Der Mann hinter mir schluckte hörbar. „Das möchte ich aber nicht. Bitte bleib hier, Giulia“, stammelte, nein flehte Jakob schon fast.

Wieso um alles in der Welt wollte er, dass ich ihm Gesellschaft leistete? „Wieso?“, fragte ich leise. „Weil ich es gerade einfach nur satt habe, immer alleine zu sein“, hauchte der Mann in den Wind. Seine Worte hallten in meinem Kopf immer und immer wieder. Wie Echos, die einfach nicht verhallen wollten.

Dank seiner Antwort wurde mir klar, wie einsam er sich zu fühlen schien. Vielleicht sollte ich ihm Gesellschaft leisten. Wenn auch nur für eine Nacht. Einfach nur bei ihm bleiben, sonst nichts. „Dann lass uns zu dir fahren“, stotterte ich und hoffte, dass er das nicht als ein unmoralisches Angebot verstand.

Meine Hoffnung war umsonst, auch wenn seine Reaktion doch gänzlich anders als gedacht war. „Ich werde nicht mit dir schlafen“, sagte Jake genervt. „Das möchte ich auch gar nicht. Ich … ich wollte doch einfach nur für dich da sein“, entgegnete ich vorsichtig. Natürlich gefiel ihm das gar nicht. „Giulia, ich brauche niemanden, der für mich da ist, verstanden?“, blieb er überaus hart, was mir einen Stich nach den anderen versetzte.

 

Aus einem plötzlichen Impuls heraus beschloss ich, darauf einzugehen, dass ich eigentlich mit ihm schlafen wollte. „Man hört immer wieder, was für ein grandioser Liebhaber du bist. Da wollte ich eben auch mal wissen, ob das stimmt“, redete ich mich schon fast um Kopf und Kragen. Seine Pupillen weiteten sich. Leicht entschieden schob er mich von sich.

Als wir uns gegenüberstanden, fragte er ungläubig: „Du, Giulia De Lorenzi, ziehst es tatsächlich in Erwägung mit mir, Jakob Di Izmir, einem abgefuckten Macho, zu schlafen?“. „Ja“, antwortete ich einfach nur. Um meinen Worten Glaubwürdigkeit zu verleihen, näherte ich mich ihm.

Der Mann vor mir spannte sich augenblicklich später an. Anscheinend schien es ihm wirklich sehr aufzuwühlen, dass ich einen Schritt nach dem anderen auf ihn zu ging. Als ich endlich bei ihm angekommen bin, nehme ich seine Hand und lege sie auf meine Wange. „Was tust du da?“, fragte er sichtlich verwirrt.

Mein Herzschlag beschleunigte sich nach seiner Frage. Während ich seine Hand direkt über meinen Herzen legte, antwortete ich: „Das ist deine Nacht. Du kannst mit mir machen was du willst, ich werde dir kein Kontra geben“. Kaum hatte ich das gesagt, lief Jakob feuerrot an. Und da wusste ich, dass er mich ernst nahm.

Trotz allem schien er mir nicht so recht zu glauben. „Nein, Giulia. Du solltest gehen. Nein, ich … ich bringe dich nach Hause“, nuschelte er total durcheinander. Ich rührte mich jedoch nicht vom Fleck. „Ich wusste gar nicht, dass du so schüchtern sein kannst“, kicherte ich und zog ihn damit unverhohlen auf.

Jake setzte gerade an, sich von mir zu entfernen und etwas zu erwidern, doch ich war schneller. Mit einer raschen Bewegung, zog ich ihn zu mir und drückte ihn mit all meiner Kraft an mich. Dann legte ich eine Hand auf seinen Nacken während ich die andere in seine Haare vergrub. Lächelnd meinte ich: „Wenn du es nicht anders verstehst, dann wirst du es eben danach tun“.

Bedächtig langsam näherte ich mich ihm mit meinem Kopf. Da ich mir verdammt sicher war, dass er nicht Nein zu einem Kuss sagen würde, schloss ich meine Augen. Schließlich würde er die Distanz zwischen uns nicht umsonst ebenfalls verringern. Ich konnte seine Lippen schon fast auf meinen spüren...

Stormy End

 

Ich konnte seine Lippen schon fast auf meinen spüren, doch dann räusperte sich Jakob betont auffällig. Verwirrt blinzelte ich auf, um zu sehen, dass er sogar einen Schritt rückwärts machte und mich somit los ließ. Seine Hände waren zuvor nämlich doch noch auf meinen Rücken gelandet. Erst da begriff ich, was ich hatte tun wollen. Meine Pupillen weiteten sich drastisch. Unsicher fuhr ich mir mit meiner rechten Hand durch die Haare.

Was sollte ich denn nun jetzt machen oder sagen? Glücklicherweise übernahm Jake für mich den nächsten Schritt. Oder sollte ich doch lieber unglücklicherweise sagen? Er brach nämlich in schallendes Gelächter aus. Wenn es nur das wäre! Er lachte schon fast wie ein Wahnsinniger. Noch nie hatte ich einen Menschen so höhnisch lachen gesehen.

Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, ehe er sich endlich wieder gefangen hatte. Dann sagte er eiskalt: „Du solltest weniger trinken, Baby. Sonst landest du irgendwann doch noch in mein Bett.“. „Ähm, wie bitte?“, fragte ich sicherheitshalber nach, um ausschließen zu können, mich nicht verhört zu haben.

Leider Gottes erstickte Jake meine Hoffnung sofort im Keim. „Du hast schon richtig gehört. Wenn du so weiter machst, habe ich schneller das bekommen, was ich von dir will, als du denkst“, hörte ich seine Stimme klar in die dunkle Nacht sprechen. Seine Nettigkeit hatte also mal wieder ein ziemlich stürmisches Ende genommen.

Dafür reagierte ich aber umso besser. Unbeeindruckt meinte ich: „Tja, hättest du es mal lieber getan. Aber wie ich mir schon dachte, bist du nur ein kleiner Möchtegern-Casanova“. „Bin ich nicht!“, sagte er sofort energisch, woraufhin ich lachen musste. Er ließ sich ja wirklich schnell aus der Reserve locken.

Zornig funkelte er mich mit seinen wunderschönen grünen Augen an. „Du bist genauso wie deine beste Freundin nur ein hinterhältiges Miststück!“, schleuderte er mir entgegen. „Ich wüsste zwar nicht, was das mit Fabrizia zu tun hat, aber wenn du meinst. Mir kann es egal sein, denn ich weiß ja, dass das nur sinnloses Gefasel von dir ist. Außerdem brauchst du nicht andere Menschen mit dir zu vergleichen“, entgegnete ich nur ruhig.

Mein Gegenüber verschränkte die Arme vor der Brust, was mich schmunzeln ließ. „Ja und jetzt reagierst du wie ein kleines Kind. Ich sagte doch, dass du nur ein Kindskopf bist“, setzte ich noch einen drauf und hoffte inständig, dass Jakob nicht ausrasten würde. Bei dem konnte man doch für gar nichts garantieren, so wechselhaft wie seine Launen waren.

 

Besagter Kerl atmete vor mir hörbar ein und aus. Anscheinend wollte er sich damit beruhigen, denn mir war nicht entgangen, dass er seine Hände zu Fäusten geballt hatte. Ich glaubte nicht daran, dass er Frauen schlagen würde. Nein, er würgte sie lieber oder hielt sie gegen ihren Willen fest. Oder sie waren so dämlich und ließen sich freiwillig das Herz brechen. Das stimmte wohl eher.

Ich würde jedenfalls nicht eine in seiner zahlreichen Sammlung werden. Lieber wollte ich die Eine für ihn sein. Es war zwar vergeblich, doch trotzdem hegte ich diese kleine Hoffnung. Vermutlich würde ich nie so etwas haben, was Tizian und Krystal hatten. Schwermut übermannte mich mit einem Mal.

Natürlich freute ich mich für die beiden, doch beneidete ich sie ebenso sehr. Warum meinte es das Schicksal so derartig schlecht mit mir? Wie gerne ich doch einen Mann an meiner Seite hätte, der mich so gut behandelte wie Tizian es bei Krystal tat. Die beiden ergänzten sich so toll, dass ich es manchmal kaum ertragen konnte, sie zu sehen.

Gegen die beiden war ich total einsam und alleine. Welche Frau wollte denn keinen Mann haben, der sie umsorgte und liebte? Nur hatte ich den Fehler begangen, mich in jemanden zu verlieben, der mir das nie geben konnte, was ich brauchte. Mein Verstand schwand von Tag zu Tag immer mehr, egal wie sehr ich mich dagegen wehrte.

Früher dachte ich immer, man sollte auf sein Herz hören. Nun hatte ich den besten Beweis, dass es manchmal fatale Entscheidungen traf. So wie vor zehn Jahren. Das war absolut falsch. Am besten wäre es, wenn ich mir Jakob so schnell wie möglich aus meinem Kopf schlagen würde. Ein zweites Mal könnte ich den Schmerz bestimmt nicht ertragen. Auch wenn es eine andere Art von Schmerz war. Doch daran dachte kaum jemand.

In schwachen Momenten würde ich am liebsten alles hinwerfen. Mein Studium, mit dem ich fast fertig war. Mein Karriere als Model, die mehr als nur gut lief. Einfach alles. Es gab Zeiten, in denen ich allein sein wollte, als auch nur irgendeinem Menschen zu begegnen. Kein Wunder, dass mir gerade dann meine geliebte Heimat Italien fehlte.

Dort war ich zwar auch total bekannt, doch da hatte ich wenigstens meine Eltern. Riccardo und Cecilia. Was sie wohl gerade machten? Vielleicht sollte ich sie mal demnächst besuchen. Bis zu meiner letzten Prüfung in der Medizin lagen noch ein paar Wochen dazwischen. So würde ich ein wenig Abstand von Jakob und dem Leben hier in Deutschland gewinnen, was ich auch bitter nötig hatte.

 

Das spöttische Lachen von Jake riss mich aus meinen Gedanken. „Weißt du eigentlich, wie heiß du ausschaust, wenn du nachdenkst?“, baggerte er mich unverblümt an. Oh man, ich dachte, er würde einmal etwas Sinnvolles bringen, aber nein, natürlich musste er sich wie ein kompletter Idiot benehmen.

Herausfordernd starrte ich ihn an. Mit erhobenem Haupt meinte ich: „Weißt du eigentlich, wie egal mir das ist, was du von mir hältst?“. Ich hatte ihn sofort. Erbost knirschte er mit den Zähnen, was mich leicht schmunzeln ließ. „Sehr witzig“, kommentierte er meine Reaktion, woraufhin ich es war, die in schallendes Gelächter ausbrach.

Eigentlich war er ganz süß, wenn er kurz vor dem Ausrasten war. Selbstverständlich wollte ich ihn nicht zu sehr provozieren, denn ich hatte nach wie vor ein bisschen Angst vor ihm. Meine Angst war auch nicht ganz unbegründet, schließlich hatte er mich schon gewürgt und mich ziemlich wüst angeschrien.

Griffe um meine Taille ließen mich schlimmes ahnen. Wider erwarten tauchte das Gesicht von Jakob ganz nah vor meinem auf. Perplex sah ich zu ihm auf, die Gänsehaut breitete sich in Sekundenschnelle aus. Hörbar schnappte ich nach Luft, als ich seinen unwiderstehlichen Duft einatmete. Er war so köstlich und gleichzeitig so verdammt gefährlich.

Kaum hörbar flüsterte Jake: „Genau das meine ich. Du hast sofort auf mich reagiert, Giulia. Am besten du gestehst dir so schnell wie möglich ein, dass ich es geschafft habe, dich zu brechen“. Das war ja wohl nicht sein Ernst! Dachte er wirklich, ich wäre so dämlich und würde genau das tun? Rasch schubste ich ihn von mir weg, ehe ich sagte: „Du bist nicht mehr ganz dicht. Ich würde dir raten, dich so schnell wie möglich wieder auf dem Boden der Tatsachen zu begeben“.

Zornig funkelten mich seine grüne Augen, die wie Smaragde aussahen, an. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und entspannte mich. Entnervt atmete Jakob aus. „Warum machst du es uns nur so verdammt schwer?“, wollte er tatsächlich wissen. Ich schluckte. Wenn er doch nur wüsste, wie viel es mir bedeutete, dass er uns als ein Ganzes betrachtete!

Verständnislos blickte ich ihn an. „Was … was meinst du?“, fragte ich stotternd und würde mich am liebsten dafür ohrfeigen. Vermutlich war das nur wieder so eine Art Test von ihm, um zu sehen, wie ich auf ihn reagierte. Verschmitzt lächelnd meinte er: „Baby, du brauchst es genauso wie ich. So verklemmt wie du bist, bist du wahrscheinlich nur untervögelt“.

Im nächsten Moment prallte meine flache Hand auf seine linke Wange. „Wie bitte? Verklemmt und untervögelt? Sag mal, spinnst du? Du weißt gar nichts über mich, also sei verdammt noch mal ruhig!“, schrie ich ihn wie von der Tarantel gestochen an und wollte noch ein zweites Mal kräftig zuschlagen, doch dieses Mal konnte Jake meinen Schlag abfangen.

Erneut war er mir verdammt nah, was mich abermals um meine Fassung brachte. „Ich finde es sehr erotisch, wie du immer austickst. Dein Temperament macht mich total an“, säuselte er dicht an meinem Ohr, woraufhin mir ganz anders wurde. Wenn er so weiter machen würde, hätte er mich schneller als ich dachte.

Warum musste seine Anziehungskraft auch so verstörend groß sein? Wie ich diesen Kerl verfluchte! Ich verfluchte ihn für sein hinreißendes Lächeln, mit dem er mich immer wieder in seinen Bann zog. Ich verfluchte ihn für seine wunderschönen grünen Augen, von denen ich einfach nicht meinen Blick abwenden konnte. Ich verfluchte ihn für sein goldblondes Haar, in das ich am liebsten immer meine Hände vergraben würde. Ich verfluchte ihn für seine gelassene Ausstrahlung, die mich oft aus der Fassung brachte. Doch am meisten verfluchte ich ihn dafür, dass er es schaffte, dass ich mich mehr und mehr in ihn verliebte.

 

Im nächsten Moment besinnte ich mich aber wieder. Nein, ich würde nicht weiter über ihn nachdenken, auch wenn das verdammt schwierig werden würde. Ich durfte mich nicht von ihm zu sehr einlullen lassen. Das war nicht ich. Zu mir passten eher Schlagfertigkeit und Standhaftigkeit. Eigentlich war ich immer sehr kontrolliert, doch Jakob schaffte es einfach immer wieder, mich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit innerlich so sehr aufzuwühlen, dass ich gar nichts dagegen tun konnte.

Also musste ich so schnell wie möglich wieder ruhig sein. Kein Wunder, dass ich mit zuckersüßer Stimme fragte: „Hast du denn keine anderen Weiber am Start, denen du so einen Schwachsinn erzählen kannst?“. Es funktionierte. Sein Grinsen war ihm wie ein Windhauch aus dem Gesicht gestrichen worden.

Er stand noch ein wenig unschlüssig da, ehe er antwortete: „Nein, habe ich nicht. Die sind alle nicht einmal halb so interessant wie du“. Auch wenn mir sein Kompliment unheimlich schmeichelte, mimte ich vor ihm die Unbeeindruckte. „Ist das so? Dann tut es mir schon fast sehr leid für dich, dass ich dafür keinerlei Beachtung habe“, sagte ich mit eiskalter Stimme und um dem noch das gewisse Etwas zu geben, verzog ich meine Lippen zu einem Lächeln.

Mein Gegenüber sah das leider nicht so amüsant wie ich, im Gegenteil, Jake stampfte wütend auf den steinigen Boden. Einige der Steine flogen daraufhin meterweit von uns weg. Ich starrte ihnen ein wenig fasziniert hinterher. Ob er mich wohl auch eines Tages einfach so wegschmeißen würde? Verdammt, was zur Hölle dachte ich da schon wieder? Ich wollte mich doch von ihm losreißen und nicht schon fast darum betteln, dass er mir weiterhin hinterher lief.

Seine glockenklare Stimme holte mich aus meinen Gedanken. „Aber aber, Baby. Das braucht dir doch nicht leid tun. Das einzige, was dir leid tun sollte, ist, dass du versucht hast, mich anzulügen“, meinte er selbstsicher. Woher um alles in der Welt wusste er das? Sah man mir das etwa an? Oder konnte ich einfach nur verdammt schlecht lügen? „Du solltest wirklich mal üben, wie man gut lügt“, hörte ich ihn sagen. Ruhig erwiderte ich jedoch: „Dann weißt du allerdings mehr als ich“. Um meinen Worten Glaubhaftigkeit zur verleihen, stellte ich mich genau vor ihm, reckte mein Kinn in die Höhe und sah ihm mit erhobenem Haupt genau in die Augen.

Es funktionierte. Der Mann vor mir schluckte kaum merklich und spannte sich an. „Es hat noch nie eine Frau gewagt, ausgerechnet mir die Stirn zu bieten“, zischte er finster und sah auf mich herab. „Dann wurde es ja mal wirklich Zeit“, entgegnete ich bissig. Jakob seufzte entnervt auf. „Was mache ich nur mit dir?“, murmelte er, woraufhin ich antwortete: „Na das, was du eigentlich schon längst hättest tun sollen“.

Sofort wurde er hellhörig. Wie ein kleines Kind, das sich unheimlich freute, fragte er: „Dich endlich flachlegen? Na endlich, das wurde auch echt mal Zeit“. Während ich ihm eine schallende Ohrfeige gab, fauchte ich: „Nein, du schwanzgesteuerter Kindskopf!“. Jake, der sich über seine verletzte Wange fuhr, schmollte. Ebenso beleidigt meinte er: „Was meinst du dann?“. „Mich nach Hause bringen?“, fragte ich schon fast schreiend.

 

Irgendwie liebte ich es, ihn in die Schranken einzuweisen, doch manchmal tat er mir schon etwas leid. So wie auch jetzt. Er sah mich mit einem Blick an, bei dem ich glatt denken könnte, er sei ein in die Enge getriebenes Tier, das Angst hatte, dass man ihm etwas antat. „Ist ja schon gut“, sagte er grummelnd und fuhr fort, in dem er meinte, dass wir jetzt auch laufen könnten, womit er auch Recht hatte.

Endlich, dachte ich und lief zu einem der Steinwege. „Ihr Weiber seid echt anstrengend, weißt du das?“, wollte er auf einmal überaus kühl von mir wissen, als wir nebeneinander immer weiter aus dem Park gingen. „Wieso?“, fragte ich verständnislos, da ich überhaupt nicht verstand, worauf er hinaus wollte.

Abermals seufzte Jakob entnervt auf. „Normalerweise frisst ihr mir doch aus der Hand. Ich brauche euch eigentlich nur zum Essen einzuladen oder euch Komplimente zu machen und schon werde ich euch nicht mehr los. Bei dir funktioniert das aber seltsamerweise nicht“, gab er mir eine klare Antwort. Seine Worte stimmten mich etwas nachdenklich, dennoch sagte ich: „Wie ich schon sagte, im Gegensatz zu all den Frauen, denen du vorher begegnet bist, habe ich Niveau. Abgesehen von Fabrizia und Krystal natürlich“.

Damit schnitt ich ein ziemlich brisantes Thema an. Der Mann neben mir stieg darauf ein. „Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich sie kennenlernte. Ich glaube das war auf der Straße. Sie war mir sofort verfallen. Schade, dass ich sie nicht ins Bett bekommen habe“, schwelgte er vor mir eiskalt in Erinnerungen.

Irritiert sah ich ihn an. „Wen meinst du von den beiden?“, fragte ich. „Na Krystal natürlich“, zischte er, was mir einen kleinen Stich versetzte. „Fabrizia dagegen hat mich nur benutzt. Diese miese kleine Schlampe“, ärgerte er sich. Tief einatmen, dachte ich und ganz ruhig bleiben. Ganz matt meinte ich: „Du nennst sie eine Schlampe, obwohl du selbst eine männliche bist? Sie schläft nicht mit jedem Mann, mit dem sie sich trifft. Dazu kommt noch, dass du den Frauen falsche Hoffnungen machst, in dem du so tust, als seist du mit ihnen zusammen. Krystal ist da leider ein sehr gutes Beispiel“.

Gespannt darauf wartete ich auf eine Reaktion von ihm ab. Jakob ballte seine Hände zu Fäusten. Er fletschte mit den Zähnen. Sein sonst wunderschönes Gesicht, auf dem ich ein paar Bartstoppeln ausmachen konnte, was ihn unglaublich sexy machte, glich nun dem einer Bestie. „Dir ist schon klar, dass du dich da auf ein gefährliches Terrain begibst?“, fragte er mich ganz direkt mit einem bedrohlichem Unterton.

Eiskalte Schauer rannen mir über den Rücken, es fröstelte mich schon fast. Schützend legte ich meine Arme um mich. Das war für mich aber noch lange kein Grund, dieses Thema sein zu lassen. Daher meinte ich lässig: „Gewiss, gewiss. Du magst es nur nicht, wenn man dich kritisiert. Du solltest einfach damit aufhören, Fabrizia bei mir schlecht zu machen oder es zu versuchen. Wie gesagt, sie tut nicht so, als würden ihr Männer etwas bedeuten. Bei dir sieht das aber ganz anders aus. Dein Frauenverschleiß ist so hoch, dass es mich manchmal wundert, dass du überhaupt noch bei mir ankommst. Irgendwann müsstest du doch mal genug davon haben“.

 

„Giulia, ich warne dich! Übertreib' es bloß nicht!“, fluchte Jakob, doch ich setzte meinen Weg einfach fort. Auch wenn es mich sehr verwunderte, dass er mich tatsächlich mit meinen Namen angesprochen hatte. Das tat er sonst nie. „Dann rate ich dir, mich endlich mal nach Hause zu bringen und nicht immer so zu trödeln“, kommentierte ich seine Drohung dann doch. „Wie du willst“, ging er tatsächlich auf meine etwas unverschämte Bitte ein.

Der Mann beschleunigte sein Tempo und lief schon bald mit mir Gleichschritt. Dazu kam noch, dass er es endlich vorzog, zu schweigen. Es war einfach nur herrlich! In diesem Moment war ich schon fast der glücklichste Mensch der Welt. Da gab es nichts, was mich auf die Palme brachte. Ich lächelte sogar ein wenig in mich hinein.

Mein Lächeln erstarb jedoch sofort, als sich Jakob neben mir rührte. Warum musste er auch alles ruinieren? „Irgendwann werden wir zusammen in einem Bett liegen und ich werde zu dir sagen, dass ich endlich das von dir habe, was ich schon so lange will“, raunte er mir zu, woraufhin es mich sichtbar schüttelte. „Dann kannst du darauf so lange warten, bis du alt und grau bist“, ließ ich ihn ohne zu zögern wissen.

Er lachte, woraufhin ich ihn erstaunt ansah. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Jake herzhaft lachte. Und doch war dieses Lachen reinste Süffisanz. Ebenso herablassend sagte er: „Nein, Baby. Ich werde dich so lange verfolgen, bis du endlich zustimmst“. „Meine Güte, du hast es wirklich nötig. Wie gut, dass ich deine Stalkerei zur Anzeige bringen kann und wenn du so weiter machst, werde ich das auch“, erwiderte ich seelenruhig.

Das gefiel meinem Gegenüber natürlich überhaupt nicht. Sofort beschwichtigte er mich damit, dass er mir nicht die ganze Zeit nachstellen würde. „Das möchte ich auch sehr hoffen für dich. Es ist schon schlimm genug, dass ich mich überhaupt mit so etwas wie dir abgebe“, ließ ich auch einmal die eingebildete Frau heraushängen.

Der Atem von Jakob ging schneller. Ich konnte es nur zu gut hören. „Und wieso das?“, fragte er stattdessen so leise, dass ich ihn kaum verstand. „Weil solche Kerle wie du für mich Abschaum sind. Man sollte nie mit den Gefühlen von anderen spielen, aber davon verstehst du eh nichts“, antwortete ich ihm ehrlich.

Anscheinend war das zu viel Ehrlichkeit gewesen. Zumindest für ihn. Er blieb stehen und sah mir bestürzt in die Augen. „Ich verstehe davon nichts? Nein Giulia, du verstehst nichts. Du verstehst mich nicht. Niemand versteht mich“, flüsterte er mit einem gewissen Schwermut in der Stimme, was mich doch ein wenig traurig stimmte.

Leider waren wir schon fast an meiner Wohnung angekommen. Ich hatte also nicht mehr viel Zeit, auch nur irgendetwas aus ihm herauszubekommen. „Du weißt genauso wenig über mich wie ich über dich also urteile nicht über mich. Über mich wird nämlich nichts Negatives herum erzählt, was man von dir nicht behaupten kann. Da würde ich mal, wenn ich du wäre, meine Lebensweise überdenken“, sagte ich leicht abwesend.

Jake zuckte nur mit den Schultern. Dann meinte er: „Wie ich schon sagte, ich bin total abgefuckt, einfach völlig durch mit alles und jedem“. Nun standen wir genau vor der Wohnung. Perplex starrte ich auf sein Auto. Aha, er hatte es wohl irgendwie geschafft, seinen Chauffeur hierher zu bestellen. Anscheinend war er sich zu fein, um mich nach Hause zu fahren oder er wollte Zeit schinden. Ehe ich auch nur ein Wort darauf erwidern konnte, winkte Jakob zu seinem Auto und wandte sich ein letztes Mal an mich. „Meine Aufgabe wäre hiermit erfüllt“.

Wie es sich für eine höfliche Dame gehörte, wollte ich mich natürlich noch bei ihm bedanken. Ich konnte nicht einmal ein Wort sagen, da hatte sich Jakob schon umgedreht und mich einfach stehen gelassen. Verdutzt sah ich ihm hinterher. Er schien kurz mit dem Chauffeur zu sprechen, der aus dem Wagen stieg – und sich als älterer Mann herausstellte -, um selbst am Steuer zu sitzen. Damit nicht genug, Jake brauste mit quietschenden Reifen davon und ließ mich völlig verwirrt allein zurück.

Tears And Rain

Wie betäubt stand ich nun da. Noch immer. Was sollte das denn? Wieder einmal verstand ich überhaupt nicht, was Jakob mit der Aktion bezwecken wollte. Oder allgemein mit seinem seltsamen Verhalten. Ihm umgab ein Rätsel nach dem anderen. Ich fragte mich, wie ich sie nur lösen könnte. Eins nach dem anderen. Wobei mir alle auf einmal dann doch lieber wären.

Da tauchte allerdings die nächste Frage auf. Nämlich die, ob es vielleicht nicht besser wäre, wenn ich doch nicht mehr über ihn herausfand. Schließlich wird Jakob nicht ohne Grund gesagt haben, dass ihn niemand kennt und es auch besser so ist. Meine Bedenken wurden mit einem seiner letzten Sätze bestärkt. War er wirklich so 'abgefuckt' wie er behauptete?

Ich wusste gar nicht, was das Wort für eine Bedeutung für ihn hatte. Für mich hatte es jedenfalls die, dass jemand total fertig mit der Welt war, wie man so schön sagte. Damit meinte ich aber keine Kleinigkeiten, die nach ein paar Tagen oder Wochen vergingen. Mein Geheimnis trug ich schon seit zehn Jahren mit mir herum, dennoch würde ich mich nie als gebrochenen Menschen bezeichnen. Mein Leben war soweit nämlich völlig in Ordnung.

Was machte einem Menschen eigentlich zu einer verbitterten Marionette seiner selbst? Immer wieder fragte ich mich, wie Jake als Kind gewesen war. Vielleicht sollte ich Tizian mal danach fragen. Er wusste sicherlich mehr. Wobei das dann doch eher unwahrscheinlich war. Er musste viel in seinem Zimmer lernen, weit abgeschottet von allem, was auch nur im Geringsten nach Spaß aussah. Sei es nur die schönen Sonnenstrahlen genießen.

Eine neue Frage beschäftigte mich somit. Was um alles in der Welt hatte dann Jakob all die Jahre gemacht, während Tizian brav in seinem Zimmer gewesen war? Darauf wusste ich keine Antwort. Vermutlich war Jake ziemlich einsam. Kurz nachdem dieser Gedanke in meinem Kopf war, spürte ich etwas glühend Heißes auf meinem Gesicht.

Erschrocken lief ich ein paar Schritte nach vorn und stand genau vor dem Zaun, durch den ich zuvor mit Jakob gegangen war. Im schwachen Mondlicht tastete ich mit meinen Händen über meine Wangen. Diese waren im nächsten Moment nass. Ich weinte. Damit nicht genug spürte ich auch Tropfen auf meinem Kopf niederprasseln.

Geradezu bestürzt blickte ich zu dem Himmel, der kurz zuvor noch wolkig gewesen war. Er weinte. Weinte mit mir und das obwohl ich noch vor einer Minute den Mond gesehen hatte. Es war schon seltsam, wie schnell das Wetter umschlagen konnte, aber mit der Stimmung von Menschen sah es da nicht anders aus.

 

Wenigstens konnte ich meinen Tränen noch mehr freien Lauf lassen. Kaum jemanden würde es im strömenden Regen auffallen, wenn jemand weinte. Mein Gesicht war also so oder so völlig nass. Dasselbe galt für meine Kleidung, die nun wie schwere Last an meinem Körper klebte. Das Gefühl war einfach nur ekelhaft.

Trotzdem rührte ich mich nicht vom Fleck. Als ob ich Wurzeln geschlagen hätte. Ein trauriges Kichern entfuhr mir, was sofort durch einem heftigen Schluchzen ersetzt wurde. Meine Güte, wenn ich hier so weiter machen würde, dann würde ich mir noch die Seele aus dem Leib weinen. Oder meine Tränensäcke wären leer.

Manchmal war das Leben wirklich ungerecht. So wie jetzt. Sonst würde ich wohl kaum wegen so einem Idioten wie Jakob weinen. Immerhin sah er mich nicht. Vermutlich würde er mich auslachen oder mir wieder unmoralische Angebote machen. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als von ihm in den Arm genommen zu werden.

Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Giulia, was machst du denn da unten? Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, aber es schüttet wie aus Eimern. Du solltest lieber hoch kommen, sonst erkältest du dich noch“, hörte ich Justin zu mir rufen. Erschrocken sah ich zu seinem Fenster, aus das er sah.

Verdammter Mist! Hoffentlich sah er nicht, dass ich weinte. Dennoch tat ich, was er zu mir sagte. Zudem war es auch wirklich sehr lieb von ihm, dass er sich so um mich sorgte. Ich sagte ja, dass er eigentlich ein ganz netter Kerl war. Nur mit einem gewissen Jake benahm er sich wie das letzte Arschloch. Was er sich davon erhoffte wusste ich nicht.

Träge tapste ich also die Treppen nach oben, wo mich Jus bereits erwartete. „Geht es dir gut?“, fragte er mich sofort. „Ja … ja, alles gut. Ich werde mir noch eine Dusche nehmen und dann auch schlafen gehen“, winkte ich sofort ab und war froh, dass meine Tränen versiegt waren. Einen Moment lang blieb sein Blick noch auf mein nasses Gesicht hängen, ehe er mich in unsere Wohnung zog.

 

Sofort rannte ich in mein Zimmer und suchte mir neue Unterwäsche zusammen. Dann nahm ich noch einen Kimono und ging rasch ins Badezimmer. Zum Glück ließ Justin mich in Ruhe. Ob er gesehen hatte, dass es mir alles andere als gut geht? Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Nur hoffte ich, dass mein Kumpel nicht darauf herumreiten würde.

Alles, was ich jetzt brauchte, war Ablenkung. Und da war eine ausgiebige Dusche genau das Richtige. Zitternd vor Kälte stellte ich die Heizung auf höchste Stufe ein. Es war für mich sehr befreiend, endlich die klitschnassen Klamotten loszuwerden. Noch besser fühlte ich mich allerdings, als das warme Wasser auf meinen Körper traf.

Mir kam es so vor, als ob all die Pein, die seit einiger Zeit dank Jakob an mir haftete, mit einem Schlag fortgespült wurde. Wenn auch nur für diese kleinen Moment. Langsam rieb ich mich mit meinem Lieblingsduschgel ein. Schon bald roch ich nach Lotus. Es war einfach nur himmlisch. Danach waren meine langen Haare an der Reihe. Für sie nahm ich ein Shampoo, das meine wellige Pracht glänzend sowie voluminös machte. Zudem versorgte die Haarwäsche meine Haare mit vielen wichtigen Pflegestoffen.

Nach einer halben Stunde stieg ich frisch geduscht aus der Kabine. Natürlich hätte ich mich auch in die Badewanne legen können, doch dann würde ich mich wahrscheinlich bis morgen früh darin entspannen. Außerdem hatte die Dusche mir sehr gut getan. Ich konnte sogar schon wieder lächeln. Weitere zehn Minuten vergingen bis ich schließlich wieder in meinem Zimmer war.

Leider erlitt meine gute Laune hier einen mächtigen Dämpfer. Ich war wieder alleine. Schrecklich einsam und alleine. Und natürlich musste sich genau der Mann, der mir so viel Kummer bereitete, in meinen Kopf einnisten. Oh Jakob. Wieso warst du nur so verdammt verbittert?

Träge zog ich mir eine dreiviertel Hose und ein altes T-Shirt zum Schlafen an. Danach kippte ich das Fenster, das sich direkt an meinem Bett befand und legte mich hin. Ich wusste nicht, wie lange ich schon still da lag, aber Fakt war, dass ich meine Augen einfach nicht schließen konnte. Zu sehr dachte ich an Jake, der vermutlich keinen einzigen Gedanken an mich verschwenden würde. Wenn, dann nur, um zu überlegen, wie er mich am besten in sein Bett bekam.

Hätte ich ihn doch nur unter anderen Umständen kennengelernt. Wahrscheinlich hätte das keinen großen Unterschied gemacht. Da hätte ich ich ihn schon in seiner Kindheit kennenlernen müssen. So wie Tizian. Natürlich war es klar gewesen, dass ich nur den Größeren der beiden Brüder zu Gesicht bekommen würde.

Bestimmt hatten unsere Eltern Angst gehabt, dass ich mich nachher noch in Jakob verlieben würde. Welch Ironie! Genau das war passiert. Zwar ein paar Jahre später, doch es war geschehen. Da würde mich brennend interessieren, was Riccardo, Cecilia, Tiziano und Tatjana dazu sagen würden. Es war aber besser so, wenn sie nichts davon wussten. Das würde nur Streit geben. Ich meine, es hörte sich doch schon komisch an, wenn mich mit meinem versprochenen Ehemann nur eine tiefgründige Freundschaft verband und ich mich ausgerechnet in dessen kleinen Halbbruder verliebte.

Dazu kam noch, dass mich Jake eh nur als Betthäschen ansah. Das konnte einfach nicht gut gehen. Für ihn und mich gab es keine gemeinsame Zukunft. Vergessen konnte ich ihn aber trotzdem nicht. Wie denn auch, wenn er ständig meinen Weg kreuzte? Und dann war da auch noch sein perfider Plan. Es würde Ewigkeiten dauern, bis er einsah, dass ich nicht an ihm interessiert war. Nein, so schnell gab dieser Kerl ganz bestimmt nicht auf.

 

Das sanfte Prasseln des Regens ließ mich zu meinem Fenster starren. Es war ziemlich groß und so hatte ich einen guten Blick über den Garten, der sich auf der Rückseite des Hauses befand. Justin und ich hatte unsere Zimmer extra so gewählt, dass der andere jeweils eine gute Privatsphäre hatte. Er brauchte mich nicht zu fragen, ob ich lieber auf der Vorderseite des Hauses sein wollte oder nicht. Er wusste, dass ich Ruhe bevorzugte.

Diese hatte ich auch jetzt bitter nötig. Dafür herrschte in meinem Inneren nur noch mehr Chaos. Mein Blick war weiterhin auf den Garten gerichtet, der schon bald in neuer Blüte erstrahlen würde. Der Regen wollte einfach nicht aufhören. Ich musste daran denken, als er mich zusammen mit meinen Tränen geradezu überfallen hatte.

Es wollte einfach nicht aufhören. Es gab sogar noch ein Gewitter, was mich sehr verwunderte. Schließlich war es erst März und daher noch nicht sonderlich warm. Irgendetwas war hier ziemlich verkehrt. Trotzdem starrte ich das Naturschauspiel an. Es war sehr faszinierend, zu sehen, wie der Blitz auf den Donner folgte und es nach wie vor wie aus Eimern schüttete.

Ein wenig ängstlich zog ich meine kuschelige Decke aber dann doch über meinen Kopf. Ich hatte keine Angst vor Gewittern, aber ich fühlte mich einfach so schrecklich, dass ich mich dadurch bestätigt fühlte. Als ob es genau Jakob wäre, der dieses Grollen und Blitzen steuern würde. Nur um mich zu bestrafen.

Meine Güte, was hatte ich da nur wieder für eine blühende Fantasie? Das kam eben davon, wenn man nicht einschlafen konnte. Vielleicht sollte ich mich meiner Münzsammlung mal wieder widmen? Das hatte ich lange nicht mehr getan. Und schon war ich mit schnellen Schritten zu der Tür gelaufen und betätigte den Lichtschalter. Sofort wurde mein Zimmer mit gedämpften Licht förmlich überflutet.

Einen Moment lang blieb ich stehen, um es zu mustern. Mein Himmelbett, das an den Ecken mit roten Vorhängen dekoriert wurde, war mit dem Fensterbrett auf einer Höhe. So konnte ich mich darauf setzen, um aus dem Fenster zu blicken. Das war für mich mein persönliches Highlight. Der Boden war mit weißem Laminat ausgelegt worden.

Meine Schränke waren allesamt ebenfalls – rot. Ich liebte diese Farbe einfach. Sie passt sehr gut zu mir. Ich glaubte trotz allem, was ich bereits erlebt hatte, noch an die Liebe und hatte – wie Jakob dummerweise richtig sagte – ganz schön viel Temperament in mir. Außerdem ließ ich mir nichts gefallen. Die Wände hatte ich dagegen weiß gelassen. So war mein Zimmer ein Mix aus rot und weiß.

Schließlich begab ich mich dann doch zu einem der Schränke, in denen ich mein Zeug sorgfältig eingeordnet hatte. Dabei musste ich unwillkürlich an Jake denken. Wäre ich nicht in seiner Villa gewesen, würde ich denken, dass bei ihm Chaos herrschte. Das galt aber nur für seinen Kopf und seinem Leben.

Kaum hatte ich meinen Ordner mit den Münzen in der Hand, setzte ich mich auf mein Bett. Wie lange hatte ich nicht mehr auf meine Sammlung, auf die ich so stolz war, geblickt? Mir kam es vor wie Jahre, doch es war tatsächlich kurz bevor ich mit Justin zusammen gezogen bin. Die zwölf ersten Euroländer hatte ich allesamt voll. Die Münzen von der Slowakei hatte ich auch schon und bei Slowenien fehlten mir nur noch die zwei Cent. Und und und.

Nach kurzer Zeit wurde mir jedoch langweilig. Was war nur mit mir los? Früher betrachtete ich meine Sammlung mindestens eine halbe Stunde, ehe ich sie beiseite legte. Und jetzt? Jetzt landete sie bereits wieder in den Schrank. Das gedämpfte Licht schaltete ich auch wieder aus. Nur zu meinem Bett kehrte ich zurück.

 

Ich wollte das Gewitter hautnah beobachten. Was sollte ich auch anderes tun, wenn ich nicht schlafen konnte? Da fiel mir ein, dass ich noch Chips hatte, die ich auch mitnahm. Es musste zwar ziemlich komisch aussehen, wenn eine junge Frau am Fenster saß und mit Chips ein Gewitter beobachtete, aber das war mir egal.

Mir fiel einfach nichts Besseres ein, was ich gerade hätte tun können. Natürlich könnte ich es mir auch ganz einfach machen und mich vor dem Fernseher setzen und irgendetwas Schwachsinniges gucken, doch das wollte ich nicht. Das Einzige, was ich mir so ansah, war Formel 1 und anderen Sport wie Biathlon oder eine der beiden Olympiaden, wenn denn gerade welche stattfanden.

Für Nachrichten war es zwar nie zu spät, aber welchem Medium konnte man heutzutage noch Glauben schenken? Egal ob TV, Radio oder ganz klassisch die Zeitung – Journalisten reimten sich aus ihren Informationen das zusammen, was sie wollten. Deswegen interessierte es mich auch kaum mehr, was die Menschen sagten oder schrieben.

Nur alten Büchern schenkte ich noch meinen Glauben. Außerdem interessierte es mich, was in der Vergangenheit so passiert war. Meine Gedanken gingen zu Tizian, der Geschichte seit kurzem fertig studiert hatte. Oft hatte ich mich mit ihm über Dinge unterhalten, die den Menschen egal waren. 'Es ist Vergangenheit' hieß es immer wieder.

Wie unsinnig dieser Gedanke doch war! Nein, aus der Vergangenheit entstand nämlich die Zukunft und die Gegenwart befand sich dazwischen. Ursprünglich wollte mein bester Freund nämlich Geschichte an Schulen unterrichten, doch seitdem er die Firma seines Vaters übernommen hatte, war dafür leider keine Zeit mehr. Wenigstens konnten wir uns noch darüber austauschen, wobei Krystal auch gerne mit von der Partie war. Sie interessierte sich genauso für Geschichte wie wir und daher veranstalteten wir ab und zu Abende, an denen wir uns trafen, um darüber zu quatschen.

Sofort zog sich mein Herz überaus schmerzhaft zusammen. Wieder und wieder rannen mir Tränen über die Wangen. „Verdammt“, schimpfte ich über mich selbst „warum musste ich auch nur an die beiden denken?“. Sie waren so verdammt glücklich miteinander. Es war dasselbe wie immer. Ich beneidete sie und war alleine. Den Kerl, den ich haben wollte, bekam ich nicht. Wie denn auch? Ich würde bestimmt nie einer seiner zahlreichen One Night Stands werden!

Wenn ich ihn doch nur bekehren könnte! Das war vermutlich unmöglich, da mir Tizian selbst gesagt hatte, dass er schon immer ein Macho war, der eine Frau nach der anderen haben musste. Jake war aber auch ein Mistkerl. Ein verdammt gutaussehender. Und rücksichtsloser. Und doch war ich mir sicher, dass ganz tief in ihm eine andere Seite schlummerte.

Eine Seite, von der niemand wusste. Eine, die so zuvorkommend und fürsorglich war, dass es ihm wohl selbst weh tat, gar fast umbrachte, wenn sie an die Oberfläche geraten würde. Oder er war so gebrochen von seiner Kindheit und Jugend, einfach seinem bisherigen Leben, dass er davon die Schnauze voll hatte.

 

Aber was wusste ich schon? Für ihn war ich nur ein Objekt, dass er so schnell wie möglich in sein Bett bekommen wollte. Mehr nicht. Diese Tatsache schmerzte ungemein. Da konnte ich mir noch so viel Mühe geben, ich würde es nie schaffen, ihn zu verändern. Wer wollte das schon? Er schien sehr zufrieden mit seinem Leben zu sein, abgesehen davon, dass ich ihn manchmal mit meinen Worten traf.

Jene, in denen ich ihn immer wieder versuchte klarzumachen, dass er mich nicht bekommen würde. Nur wusste er nicht, dass ich mich unsterblich in ihn verliebt hatte. Das würde er auch nie erfahren. Niemand, um genau zu sein. Das war ein Geheimnis, von dem ich nicht einmal Tizian erzählen konnte. Immerhin war Jakob zur Hälfte sein Bruder. Und der Kerl, der seiner Frau in jungen Jahren das Herz gebrochen hatte.

Da würde es schon ziemlich bescheuert sein, wenn ich ihnen sagen würde, dass Jake genau der war, den ich an meiner Seite haben wollte. Das war so verwerflich. Ich wusste nicht, weshalb ich mich ausgerechnet in ihn verlieben musste. Konnte man sich nicht ganz einfach wieder entlieben? Das wäre doch mal eine Idee!

Lustlos griff ich in meine Chipstüte und merkte, dass diese schon fast leer war. Vor mir spielte sich dagegen noch immer das Gewitter ab, auch wenn es schon weitergezogen war und ich unaufhörlich das Donnern und Blitzen wahrnehmen konnte. Ein Gähnen entfuhr mich. Ja, es wäre eigentlich besser, wenn ich schlafen gehen würde.

Das wollte ich jedoch nicht. Ich wollte einfach weiterhin meinen Gedanken hinter hängen. Daher setzte ich mich auf mein Bett und stützte meine Ellbogen an dem Fensterbrett ab. Da mir nach einiger Zeit kalt wurde, murmelte ich mich in meine Decke ein. Sie spendete mir Wärme und auf einer unbeschreiblichen Art und Weise sogar Trost.

Nun hing ich wieder meinen Gedanken hinterher. Die Melanchonie war stets bei mir. Wenn ich doch nur meine sensible Seite ablegen könnte wie eine Maske. Das würde einiges verändern. Dann wäre ich nicht mehr so verletzlich. Jakob machte mich noch fertig. Und trotzdem wollte ich ihn. Ich wollt ihn so sehr, dass ich mich schon fast nach ihm verzerrte. Das war auf Dauer absolut nicht gut für mich. Trotzdem war mir das egal. Er war der einzige, der mich richtig glücklich machen konnte und es auch sollte.

Ich dachte an den Abend bei ihm. Oder an das Essen im Restaurant und auch an Tokio. Schon viele Male hatte mir der Kerl gezeigt, dass er sehr lieb sein konnte. Wenn er wollte. Und darin bestand das Problem. Nie würde er das wollen! Dafür war er viel zu verbittert und auch stur. Zu etwas drängen wollte ich ihn auch nicht. Das würde nur in einem Desaster enden. In diesem Desaster befand ich mich bereits. Und so übermannte mich auch mit einem Schlag die Müdigkeit wie der Tsunami im Dezember 2004 die Länder am indischen Ozean und ich driftete in einen tiefen Schlaf, aus dem ich so schnell nicht mehr heraus kommen sollte.

No More Sorrow

Es war ein wunderschöner Sommertag im August. Alles strahlte in den schönsten und kräftigsten Farben, die ich je gesehen hatte. Es roch wunderbar nach Blumen. Der Himmel war so blau wie das Meer. Einfach nur wunderschön. Man konnte keine einzige Wolke am Horizont erkennen. Die Bäume spendeten Schatten, der einen vor der Sonne, die schon fast wie Feuer auf der Haut brannte, beschützte.

Ungeduldig wartete ich an der Statue im Park. Er hatte mich um ein rasches Treffen gebeten, bei dem ich nicht nein sagen konnte. Außerdem wollte ich ihm heute sagen, was mir schon seit fast einem Jahr auf der Seele lag. Dafür hatte ich mich auch extra schick gemacht. Nur um ihm zu gefallen. Ich trug ein weißes Kleid, dass mir bis zu den Knien ging. Es war mit Schmetterlingen verziert. Meine Haar waren mit einer Haarklammer hochgesteckt. Nur vereinzelte Strähnen fielen mir ins Gesicht.

Wo bleibt er denn nur? Meine Geduld wurde überstrapaziert. Am Handy hat er noch ganz dringend geklungen, schon fast bettelnd. Als ich gerade gehen wollte – immerhin wartete ich schon eine halbe Stunde auf ihn! - sah ich ihn dann doch auf mich zukommen. Er sah fantastisch aus! Er trug ein schwarzes T-Shirt mit japanischen Zeichen und eine weiße Hose, die ihn bis über die Knie ging. Eine Sonnenbrille bedeckte seine grünen Augen.

Lässig wie eh und je schlenderte mein Kumpel zu mir. Ja, wir waren Kumpels. Und das schon seit über vier Monaten. Als er mich gefragt hatte, ob wir nicht all unsere Differenzen beiseite legen wollten, stimmte ich ohne zu zögern zu. Er hatte auch recht. Außerdem war ich es leid, mich immer und immer wieder mit ihm zu streiten.

Wir unternahmen hin und wieder etwas zusammen, was mir sehr gefiel. Bei unseren Treffen konnte ich mich fallen lassen und war einfach nur überglücklich. Mittlerweile glaubte ich auch an eine gemeinsame Zukunft für uns. Nicht umsonst hatte er sich in den letzten vier Monaten so rührend um mich gekümmert.

 

Mein Herz schlug unaufhörlich in die Höhe. Mir kam es sogar schon vor, als ob es einen Salto nach den anderen machte. Als Jakob endlich vor mir stehen geblieben war, umarmten wir uns innig. Diese Gefühle, die diese Umarmung in mir hervorrief, waren mit keinem Wort der Welt zu beschreiben. Ich fühlte mich bei ihm pudelwohl, was auch klar war, da ich unsterblich in ihn verliebt war.

Erwartungsvoll, aber auch ein bisschen schüchtern blickte ich ihn an. „Was haltest du davon, wenn wir hier einen leckeren Eisbecher essen gehen? Hier gibt es das beste Eis der Stadt“, meinte er zu mir und ich war dabei, dahinzuschmelzen. Deswegen hatte er mich hier her bestellt? Er war ja so süß! „Sehr gerne“, sagte ich lächelnd. Jake vergrub seine Hände in seine Shorts, woraufhin ich mich bei ihm einharkte.

Das war zwischen uns schon Normalität gewesen. Justin sagte immer, dass wir das perfekte Paar wären, was ich genauso empfand, aber ich wusste gar nicht, wie Jakob darüber dachte. Wenn er überhaupt darüber nachdachte. Noch immer wusste ich kaum etwas über ihn. Das heikle Thema Vergangenheit umgingen wir beide.

Es zählte auch nicht, was früher einmal war. Es zählte nur das Hier und Jetzt. Und das gefiel mir. Tizian und Krystal waren zwar gar nicht begeistert davon, dass ich andauernd etwas mit Jake machte, aber was sollte ich sonst tun? Ich liebte ihn wirklich und da wollte ich mich nicht von ihm fernhalten. Auch wenn das besser gewesen wäre.

So gingen wir also Arm in Arm zu dem Eiscafé, das nicht sehr weit von der Statue zu finden war. Es herrschte reges Treiben und doch hatten Jake und ich Glück. Wir setzten uns an den letzten freien Tisch, der im Schatten stand. Danach warfen wir einen Blick in die Speisekarte. „Du siehst übrigens hinreißend aus“, machte mir Jakob ein Kompliment, was mich leicht erröten ließ. „Danke, das ist sehr lieb von dir“, sagte ich und lächelte ihn an.

Schon kam ein Kellner auf uns zu, den ich von irgendwoher kannte. „Ciao“, begrüßte er uns und grinste breit. Ich konnte strahlend weiße Zähne erkennen, die mich anstrahlten. Jake sah mich fordernd an, er wollte mir also den Vortritt lassen. „Ich hätte gerne einen Erdbeereisbecher“, meinte ich und dann war mein Gegenüber an der Reihe. Seine Wahl verwunderte mich etwas. „Für mich bitte einen After-Eight-Eisbecher“.

ch dachte immer, dass er Pfefferminze nicht mochte, da Tizi total darauf stand. Verwundert blickte ich ihn an. „Ist etwas?“, fragte er mich schmunzelnd, was mich etwas erschrocken hochfahren ließ. Ich räusperte mich etwas, um meine Nervosität zu vertuschen. „Nun ja, ich wundere mich nur darüber, dass du gerade die Sorte an Eis genommen hast“, meinte ich leicht stammelnd.

Jakob lachte. Es war kein fieses Lachen, sondern ein verdammt schönes. Der Kellner von eben war schon längst weggegangen, von daher gab es niemanden, der uns so richtig belauschen konnte. Die anderen Gäste waren zu vertieft in ihre eigenen Gespräche. Jake holte mich aus meinen Gedanken zurück, in dem er sagte: „Soll das eine Anspielung auf Ian sein? Er interessiert mich nicht weiter. Niemand interessiert mich. Alle Menschen sind langweilig“.

Da war er wieder, mein Schwarm. Ich wusste, dass er mich damit nicht meinte. Dafür war er immer zu lieb zu mir gewesen. Daher schloss ich aus seinen Worten, dass er einfach so seinen Eisbecher gewählt hatte.

 

Für kurze Zeit herrschte angenehmes Schweigen zwischen uns, ehe Jakob fragte, wie es mir ging. Ich antwortete ihm, dass es mir sehr gute gehe und wollte natürlich auch seinen Gemütszustand wissen. Immerhin war er ein guter Kumpel von mir geworden. Auch wenn er mehr war als das. Viel mehr. Er meinte, es ginge ihm ebenso gut wie mir, was mich sehr freute.

Nach einer viertel Stunde kam der Kellner, der unsere Bestellung aufgenommen hatte, wieder an unserem Tisch, um sie uns zu bringen. Dankar nahmen wir unsere Eisbecher entgegen. Sofort merkte ich, dass an meinem etwas anders war. Unter der zitronengelben Servierte guckte ein kleiner Zettel hervor. Neugierig nahm ich in die Hand und las die wunderschöne Schrift:

Miss De Lorenzi,

erinnern Sie sich nicht mehr an mich?

Ich bin es – Tommy Forster.

Wir haben uns vor gut einem halben Jahr in einem Restaurant kennengelernt.

Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie gerne treffen.

Falls Sie Interesse haben, sprechen Sie mich bitte darauf an.

Ihr T.

Ein wenig überrascht starrte ich darauf. Jetzt fiel es mir wieder ein, na klar! Das war er wirklich, doch wollte ich mich nach wie vor nicht mit ihm treffen. Daher steckte ich den Zettel zurück unter die Servierte. Jakob sah mich derweil neugierig an. „Der Kellner“, meinte ich nur, woraufhin er mich argwöhnisch anblickte.

Um ihn zu besänftigen, sagte ich: „Ich bin mit dir hier, mit sonst niemandem. Ich wollte mit dir hier nur das schöne und warme Wetter genießen, mit dir reden und für einen kurzen Moment alles andere vergessen. Nicht umsonst habe ich den Zettel nicht in meine Tasche gesteckt“. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Seine grünen Augen blitzten mich triumphierend an. Den Grund dafür wusste ich allerdings nicht.

 

Lieber widmete ich mich meinen Eisbecher, der nur darauf wartete, von mir verspeist zu werden. „Dann mal frohes Naschen“, sagte ich zu Jakob gut gelaunt und steckte mir eine Erdbeere in den Mund. Als ich mir über die Lippen leckte, klebte sein Blick auf ihnen. Damit entlockte er mir ein schelmisches Grinsen.

Unsere Blicke trafen sich. Meine Wangen färbten sich in ein zartes Rosa, was bestimmt ziemlich lustig aussah bei meinem leicht dunkleren Teint. Im nächsten Moment weiteten sich meine Pupillen jedoch. Jakob kam mir mit seinem Gesicht immer näher. „Du hast da noch etwas an der Lippe, ich werde dafür sorgen, dass es dieses Mal wirklich weg ist“, raunte er mir zu und ehe ich mich versah, lagen seine Lippen auf meine.

Dieser Kuss fühlte sich verdammt gut an! Augenblicklich später wollte ich mehr davon. Kein Wunder also, dass ich ihn noch dichter an mich heran zog, als er sich von mir entfernen wollte. „Du bist ganz schön unersättlich, Baby“, bemerkte Jakob süffisant, kam aber meiner Bitte, mir Einlass in seinen Mund zu gewähren, nach.

Mir war es egal, ob die Menschen um uns herum uns schon anstarrten. Immerhin war ich gerade dabei, mir einen der heißesten Männer zu angeln. Und dazu gehörte Jake eindeutig dazu. Erst kürzlich habe ich gehört, dass er ein Modelangebot abgelehnt hatte. Das Angebot kam sogar von Prada! Wie ich hörte auch von Chanel.

Warum dachte ich eigentlich ausgerechnet jetzt darüber nach? Ich sollte mich lieber fallen lassen, was ich auch tat. Sein Kuss raubte mir all meine Sinne. Auch wenn schon zig andere Frauen an seinen Lippen geklebt waren, so wollte ich gar nicht mehr damit aufhören. Irgendwann musste aber auch Schluss damit sein.

Das sah auch Jakob ein. Nach unseren Küssen sah er mich mit geschwollenen Lippen und einem dreisten Lächeln an. „Du ahnst ja nicht, wie sehr ich dich begehre“, sagte er direkt zu mir, was mir ein mulmiges Gefühl gab. Ich ignorierte es aber gekonnt und nahm mir einen großen Löffel von meinem Eis. Lieber meinte ich: „Ich denke mal, du solltest dein Eis aufessen, sonst schmilzt es noch“.

Etwas verdutzt sah Jake mich an. Dann schweifte sein Blick zu seinem Becher, den er zuvor reichlich angerührt hatte. Das änderte sich aber nun. Selbstgefällig grinste er weiterhin und steckte sich ein After Eight in den Mund. Gott, diese Geste war total erotisch! Überall in meinen Körper kribbelte es.

 

Der Tag zog sich in die Länge, was mir sehr gefiel. Ich verbracht gerne Zeit mit Jakob. Nicht nur aus Liebe. Er war total lebhaft, woraus ich schloss, dass es mit ihm nie langweilig werden würde. Er war immer für Action zu haben. Ihn zog es von einem Ort zu den nächsten. Wie auch jetzt. „Unsere Eisbecher sind beide leer, wir können ja noch in dem Park hier spazieren gehen“, schlug der Mann vor.

Natürlich ging ich darauf ein, immerhin kam es nicht sehr oft vor, dass er so in sich gekehrt war. Nachdem er die Rechnung ganz der Gentleman bezahlt hatte, liefen wir auch schon los. Wieder gingen wir Arm in Arm durch die Gegend, was der Kellner – ich meine Tommy – mit einem bösem Blick bedachte.

Das war mir aber egal, immerhin war ich in Jakob verliebt und nicht in ihn. Jake und ich sahen uns die mächtigen Bäume an, deren Blätter in dem Wind hin und her tanzten. Es war wunderschön. Ebenso der Mann, der mich zu unserer Statue führte. Als wir sie erreichten, löste ich mich von ihm und setzte mich auf den Rand.

Jake baute sich genau vor mir auf, um mich festzuhalten, aber auch um ganz andere Dinge mit mir zu machen, wie ich sofort erfuhr. Seine Lippen befanden sich nämlich wieder an meinen und erneut spielten wir ein Spiel mit unseren Zungen. Ich schloss lächelnd meine Augen und schlang beide Arme um ihn, während seine Hände zu meinem Po glitten.

Damit hatte ich überhaupt kein Problem. Der Stein der Statue war eh – trotz der Hitze – ziemlich kühl gewesen. „Meine Güte, du machst mich total verrückt“, gab Jakob unter einem zufriedenen Seufzen zu, was mich ziemlich stolz machte. „Du mich erst“, tat ich es ihm gleich, woraufhin sich seine Hände auf Erkundungstour begaben.

Ich wusste zwar nicht, worauf er hinaus wollte, sagte aber nichts dagegen. Erst als sich eine Hand von ihm auf meinen einen Oberschenkel befand, rührte ich mich. „Stopp, ich denke das reicht“, keuchte ich schwer atmend, da er eindeutig viel zu gut küssen konnte. „Du ahnst ja nicht, wie gerne ich dich hier flachlegen würde“, murmelte er total erregt von unserem leidenschaftlichen Kuss, was mich skeptisch werden ließ.

Leise meinte ich: „Wären wir ein Paar, dann wäre das etwas ganz anderes“. „Wieso das denn? Du weißt genau, dass ich nicht für Beziehungen bin“, sagte er noch immer nicht ganz er selbst. Jetzt war es an der Zeit, ihm endlich reinen Wein einzuschenken. Aufgeregt wie eh und je holte ich tief Luft und flüsterte: „Verstehst du es denn wirklich nicht? Ich liebe dich, Jakob. Schon seit dem Tag, an dem wir uns das erste Mal gesehen haben, gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf“.

Abwartend sah ich ihn an. Der Mann entfernte sich von mir, woraufhin ich mich wieder auf das Gras stellte. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Was ist denn? Das war kein Witz“, meinte ich misstrauisch, doch Jakob wollte sich einfach nicht mehr beruhigen. „Meine Güte, du bist wirklich naiv. Dachtest du etwa wirklich, ich würde dasselbe für dich empfinden? Oder dich gar mögen?“, begann er mich mit Füßen zu treten.

Sofort sammelte sich eine Armee von Tränen in meinen Augen. „Wie meinst du das?“, fragte ich zur Sicherheit nach. Er lieferte mir prompt eine ausführlichere Antwort: „Ach Baby, ich war doch nur so lieb zu dir, um dich endlich ins Bett zu bekommen“. „Was?“, wollte ich weinend wissen, da ich meine Tränen einfach nicht mehr zurückhalten konnte.

Gehässig wie eh und je meinte Jakob: „Die ganze Nummer mit der Freundschaft war allein deswegen. Du bist genauso dumm wie Krystal, das ist ja richtig lustig“. Damit hatte er sogar recht. Nun saßen Krys und ich im selben Boot. Dabei hätte ich doch lieber auf meinen Verstand hören sollen! Nun war es zu spät, da ich dumme Kuh ihm unbedingt sagen musste, dass ich schon seit fast einem Jahr unsterblich in ihm verliebt war!

 

Das war eine totale Erniedrigung für mich. Und doch konnte, wollte ich nicht glauben, was er zu mir gesagt hatte. „Das kannst du doch nicht wirklich ernst meinen! Bedeutet dir die Zeit, die wir zusammen verbracht haben wirklich nichts?“, fragte ich mit bebender Stimme und zwang mich, ihm in die Augen zu blicken.

Mein Gegenüber lachte nur noch mehr, ehe er antwortete: „Nein, gar nichts. Du bedeutest mir gar nichts. Niemand. Ich wollte nur meinen Spaß, sonst nichts. Merk' dir eins, Baby, wir Männer brauchen euch Weiber nur fürs Bett und den Haushalt. Für etwas anderes seid ihr gar nicht zu gebrauchen!“.

Damit hatte er es geschafft: Ich brach weinend vor ihm zusammen. Ich glitt die Statue hinunter und meine Tränen wollten gar nicht mehr aufhören, mir unentwegt über die Wangen zu kullern. Er hatte all das geschafft, was zuvor noch niemand geschafft hatte oder zumindest auf einer anderen Art und Weise. Ich war gebrochen. Gebrochen von all dem, was er soeben gesagt hatte.

Damit nicht genug, für mich war das Leben soeben von purer Finsternis umringt. Die strahlende Sonne gab es nicht mehr und für mich würde sie es ganz bestimmt nicht mehr geben. Nein, Jake hatte sie mir genommen, ebenso meinen Lebensmut, meine Würde – einfach alles. „Siehst du nun endlich ein, dass das Leben grausam ist?“, hörte ich seine Stimme nur leise an mein Ohr dringen. „Ja, denn du hast mir alles genommen“, hauchte ich wie in Trance.

Jakob ging vor mir in die Hocke und holte etwas hervor. Eine Rasierklinge. „Möchtest du es beenden? Ich kenne da einen Ort, an dem dich jemand wissen möchte“, sagte er zu mir und drückte mir das silberne Stück in die Hand. Mit leeren Augen starrte ich ihn an. „Was für ein Ort und wer möchte mich da sehen?“, fragte ich völlig durch den Wind.

Sein Gesicht tauchte vor meinem auf und während er mir einen Kuss auf die Stirn – was überhaupt nicht zu der Situation passte! - gab, meinte er: „Manche nennen ihn Jenseits, doch ich nenne ihn Himmel und wer dich da sehen will? Jeder Mensch, Baby. Niemand braucht dich hier“. Er hatte so Recht! Aber so was von. Ich hatte hier niemanden.

Alle wollten nur etwas von mir oder verletzten mich. Meine Eltern wollten mich eigentlich an der Seite von Tizian sehen, der mir nur wehtat, in dem er immer und immer wieder vor meinen Augen mit Krystal herumturtelte und der Mann, den ich habe wollte, hasste mich. Meine beste Freundin meldete sich auch nur, wenn sie etwas wollte oder nur um mir zu erzählen, dass sie mal wieder den und den Mann an der Angel hatte, um ihn eiskalt fallen zu lassen. Und Justin? Vermutlich wollte er mich auch nur ins Bett bekommen.

Es war alles so sinnlos! „Na los, mach' schon“, forderte mich Jake auf. „Oder hast du etwa Angst?“. Langsam ging ich mit der Klinge über meine rechte Pulsader. Seine Worte hallten in meinen Kopf wider. Es stimmte so was von. „Ich sollte meinem tristen Dasein endlich ein Ende bereiten“, stammelte ich leise, woraufhin Jake mich zustimmend annickte.

Rasch und ohne Pause glitt die Klinge über meinen Arm. Dieser begann sofort höllisch wehzutun und zu bluten. Das war mir egal. Sofort hatte ich dasselbe nämlich mit meinen linken Arm gemacht. Ich riss meine Augen so weit ich konnte auf und nahm nur zu gut wahr, wie schnell mein einst so schneeweißes Kleid von dem roten Blut ertränkt wurde. Die Klinge behielt ich in der Hand, damit jeder sehen konnte, was passiert war. Während ich mich schon fast im Jenseits sehen konnte, bemerkte ich nur leicht, wie Jakob über mich herfiel...

 

Bestürzt wachte ich schweißgebadet auf und schrie laut auf. Damit nicht genug, mein Gesicht fühlte sich total nass an. Ehe ich herausfinden konnte, weshalb das so war, wurde schon mit einem Ruck meine Tür aufgerissen und das Licht angemacht. Es war Justin, der mich mit geweiteten Pupillen ansah. „Himmel Giulia! Was ist denn mit dir passiert? Wie siehst du denn aus?“, bombardierte er mich sofort mit Fragen.

Zitternd legte ich meine Decke um mich und senkte den Kopf. „Ich … ich habe total schlecht geträumt“, sagte ich nur. Jus kam auf mich zu und gab mir ein Taschentuch von der Packung, die auf meiner Kommode lag. „Danke“, schniefte ich und schnäuzte erst einmal kräftig meine Nase und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.

Mein Mitbewohner, der mich noch immer total geschockt ansah, meinte: „Alles wird gut, ich bin bei dir. Was hast du denn geträumt?“. „Nun ja... ich … ich habe geträumt, d-das ich Selbstmord begehe, weil Jakob mir eingeredet hätte, dass es das beste wäre“, stammelte ich total aufgelöst und erlitt einen weiteren Weinanfall.

Sofort war Justin zur Stelle. Er nahm mich in den Arm und ließ mich weinen ohne mich dabei zu stören. Vermutlich wusste er selbst nicht, was er dazu sagen sollte. Ich wusste selbst nicht, obwohl es ein Stück weit meine eigenen Schuld war. Immerhin hatte ich ihm den wichtigsten Teil – dass Jake und ich in meinem Alptraum Freunde waren und ich ihm ein Liebesgeständnis gemacht habe – weggelassen.

„Soll … kann ich irgendetwas für dich tun?“, fragte mich mein guter Freund, woraufhin ich nur mit dem Kopf schüttelte, dann aber doch sagte: „Es wäre nett, wenn du mich alleine lassen würdest. Ich … ich muss das erst einmal verarbeiten, okay?“. „Natürlich, wenn etwas ist, dann melde dich. Versuch jetzt zu schlafen. Es ist noch nicht einmal hell“.

Damit hatte er recht. Erst jetzt glitt mein Blick zu den Fenstern, die mir zeigten, dass es draußen stockdunkel war. Tief atmete ich durch, ehe ich meinte: „Danke, das ist äußerst lieb von dir. Ich werde jetzt versuchen, zu schlafen“. Jus lächelte mich an, strich mir aufmunternd über die Schultern und ließ mich dann alleine.

Die restliche Nacht verbrachte ich fast nur damit, wach zu liegen. Nur selten bekam ich meine Augen zu und wenn, dann dauerte mein Schlaf nur einige Minuten. Natürlich dachte ich über den verdammten Traum nach. Nein, so weit wollte ich es ganz bestimmt nicht kommen lassen! Ich würde mir ganz bestimmt nicht von Jakob meinen Lebensmut nehmen lassen.

Ja, ich hatte etwas heftiges geträumt, was meine sensible Seele schwer belastete, doch das war noch lange nicht das Ende. Nicht mein Ende. Der Alptraum hatte mich auch ein Stück weit wachgerüttelt. So wusste ich nämlich nur noch mehr, dass ich mich auf keinen Fall von Jake um den Finger wickeln lassen sollte. In dieser Nacht beschloss ich, keine Trauer mehr wegen ihn zu verspüren. Das schwor ich mir sogar schon fast.

 

Das merkte ich auch am nächsten Morgen und in den darauffolgenden Wochen. Die Nummer von Jakob hatte ich gelöscht. Ich wollte einen Neuanfang, in dem es keinen Jakob Di Izmir gab. Daher bat ich auch Justin, dass Thema Jake zu vermeiden. Ich war mir sicher, dass er meinen Wink verstand und auch zu seinem Cousin sagte, dass er mich in Ruhe lassen solle. Komischerweise schien sich dieser daran zu halten.

Mit der Zeit erblühten auch die Blumen zu neuem Leben. Wie sehr ich das doch liebte! Für mich war es immer wieder total faszinierend zu sehen, wie sie allmählich ihre Knospen bekamen und sich daraus Blüten entwickelten, die nur darauf warteten, ihre volle Pracht den Menschen und Tieren zu zeigen. Mittlerweile hatten war es fast Mai, was also hieß, dass viele Blumen schon zu neuem Leben erwacht waren.

Nur selten dachte ich noch daran, was ich geträumt hatte in jener Nacht, als es so heftig gewitterte. Im Gedanken sagte ich mir auch selbst, dass ich nicht alleine war, was auch stimmte. Tizian würde mich nie aus Absicht verletzen, ebenso wie Krystal und Fabrizia war kein egoistisches Miststück, die nur zu mir kam, um mir zu erzählen, was für Typen sie doch ausnutzte. Meine Eltern nahmen mir es auch nicht so sehr übel, dass ich Tizi nicht heiraten würde.

Mein Leben war soweit also wieder ganz okay. Das Lernen fürs Studium lief super und auch das Modeln war für mich keine große Hürde. Modeln war ein gutes Stichwort. Morgen hatte ich wieder einen Auftrag zu erledigen. Darauf freute ich mich sehr. Zumal meine beste Freundin auch dabei sein würde.

Wir beide standen sehr gerne gemeinsam vor der Kamera. Immerhin galten wir als die hübschesten Frauen aus Italien. Zugegebenermaßen war Fabi aber eindeutig mehr fotogen, was vermutlich auch daran lag, dass sie überhaupt nicht schüchtern war. Das konnte ich nicht von mir sagen, manchmal war ich total in mich gekehrt, schon fast eine graue Maus.

Abends lag ich gut gelaunt in meinen Bett und malte mir schon aus, wie der morgige Tag sein würde. Meine Vorstellungskraft war dabei von großem Wert. Das war auch klar, schließlich konnte niemand in die Zukunft blicken und mir sagen, was mich am nächsten Tag erwartete. Dass ich ausgerechnet auf den Mann traf, den ich unbedingt vergessen wollte, kam mir erst gar nicht in den Sinn.

You Don't See Me

 

Der nächste Morgen brach an. Ausgeschlafen und mit bester Laune ging ich duschen. Schminke trug ich danach nicht auf, da ich es nun vollständig Miguel, meinem Visagisten, überließ. Er wusste schon, was zu mir passte und was nicht. Außerdem kannte er mich viel zu gut und würde mir schon nicht etwas verpassen, womit ich aussah wie eine Nutte.
Ein Schmunzeln umspielte meine Lippen. Ich freute mich total auf das bevorstehende Shooting. Daher zog ich eine türkisfarbene Hose und eine schwarze Bluse an. Mein Haar ließ ich offen, womit Miguel einiges anstellen konnte. Als letztes zog ich mir meine schwarzen Ballerinas an. Insgesamt sah ich also ganz gut aus, wenn ich mir das mal eingestehen durfte.
Pünktlich um zwölf Uhr kam ich an der Agentur an. Wie immer begrüßte ich alle meine Kollegen mit einem freundlichen Lächeln und begab mich sofort in die Maske. „Wie geht es dir, Lia?“, fragte mich mein Visagist, woraufhin ich antwortete: „Mir geht es super und dir?“. Auch ihm ging es gut, was mich freute. „Erzähl schon, was hast du für mich geplant?“, erkundigte ich mich nach dem Look, den Miguel für mein Shooting geplant hatte.
Er schien auf diese Frage gewartet zu haben. Während ich völlig relaxed in mein Spiegelbild blickte, grinste er spitzbübisch und meinte: „Du und Fabrizia habt ja das Thema Italien und da das eure Heimat ist, habe ich mir gedacht, dass ihr als wunderschöne Maskenträgerinnen in Venedig eine sehr gute Figur abgeben würdet“.
Sein Satz versetzte mir einen gehörigen Stich ins Herz. Meine Gedanken schweiften natürlich zu dem Maskenball, an dem ich durch meine Dummheit und Naivität die Wette mit Jakob verloren hatte. An diesem Ereignis fällte ich mein Urteil. Das Urteil, in ihn unsterblich verliebt zu sein. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Miguel sagte: „Dazu werdet ihr einen Adonis umgarnen, der im Mittelpunkt des Shootings stehen wird“.
Das war auch kein Problem für mich, doch als er mir den Namen nannte, sprang ich von meinem Sitz auf. „Alles nur nicht das!“, schrie ich empört und erweckte damit Aufsehen. „Ich sagte ja, dass es keine gute Idee ist, den Hosenscheißer als Schönling zu nehmen, aber du wolltest nicht auf mich hören“, vernahm ich die Stimme von Fabrizia, die sich mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck zu mir gesellt hatte.
Na super! Sie hatte also die ganze Zeit gewusst, dass es ausgerechnet Jakob war, mit dem wir gemeinsam vor der Kamera posieren sollten. „Mama mia! Lia, jetzt ist das Puder verwischt“, bemerkte Miguel lieber, anstatt mir Rede und Antwort zu stehen. Beleidigt verschränkte ich beide meiner Arme vor der Brust und fragte: „Was soll das? Warum ausgerechnet Jake?“. „Weil er der neue Stern am Himmel der Models ist“, antwortete mein Visagist.
Ich runzelte die Stirn. Seit wann modelte er bitte? „Ich dachte, er arbeitet in der Firma von Tizian“, murmelte ich vor mich hin, doch Fabrizia sagte: „Das tut er auch weiterhin, aber er hat nebenbei Fuß in unserer Branche gefasst“. Die hatte mir gerade noch gefehlt! „Ach so und wann hättest du es für nötig gehalten, mir davon etwas zu erzählen?“, fuhr ich sie etwas scharf an, woraufhin sie nur gekränkt mit den Schultern zuckte.
Okay, das war vielleicht nicht die feine englische Art von mir gewesen, sie deswegen gleich so anzugehen, doch immerhin war sie meine beste Freundin! „Du weißt doch genau, dass ich nicht mit ihm zurecht komme“, warf ich ihr dennoch vor. „Das ist richtig, aber was hätte ich tun sollen? Du wärst doch erst gar nicht hier her gekommen, wenn du schon vorher gewusst hättest, dass Jakob mit von der Partie ist“.
Mein Blick legte sich auf den ihren. Ein unterdrücktes Grinsen umspielte ihre Lippen. „Du kennst mich einfach zu gut“, meinte ich schließlich lachend und umarmte meine beste Freundin. Diese sagte: „Es tut mir wirklich leid, aber mir ist nichts Besseres eingefallen. Wir schaffen das schon und wenn er etwas Dummes sagt, dann weise ich ihn schon in seine Schranken“.

 

Natürlich verzieh ich Fabrizia, schließlich wusste ich nur zu gut, dass sie es nicht böse mit mir meinte. „Wann muss ausgerechnet der Vollidiot da sein? Weiß er überhaupt, dass er mit uns gemeinsam vor der Kamera stehen muss?“, fragte ich sie, woraufhin sie antwortete: „Er ist schon hier, er wird im entsprechenden Raum für Männer zurecht gemacht und ehrlich gesagt kann ich dir nicht sagen, ob er sich im Klaren darüber ist, dass wir auch da sein werden“.
Dankbar sah ich meine beste Freundin an, die mir ermutigend zuzwinkerte. „Sag mal, seid ihr euch nicht über dem Weg gelaufen?“, wollte ich wissen. „Nein, ich bin hier schon seit einer Weile und der Kindskopf war schon fast zu spät da“, winkte sie rasch ab. Leise murmelte ich: „Oh Gott, hoffentlich überlebe ich die Begegnung mit ihm. Eigentlich wollte ich ihn nie wieder sehen“. „Weshalb eigentlich?“, lautete da die berechtigte Frage von Fabi.
Jetzt war es für mich an der Zeit, die erste Person in meiner aktuellen Gefühlswelt einzuweihen. Leicht peinlich berührt meinte ich: „Nun ja, ich … ich liebe ihn...“. Ich wagte es erst gar nicht, meinen Satz zu beenden, da ich sowieso wusste, wie Fabrizia reagieren würde. Mit geweiteten Pupillen sah sie mich an. Sie wollte etwas sagen, doch aus ihrem Mund kam kein Ton. Okay, die Reaktion hatte ich nicht ganz erwartet.
Dafür hatte sie sich im nächsten Moment wieder gefangen. „Oh Lia! Das tut mir wirklich leid für dich, aber irgendwie habe ich es schon erahnt“, stand sie mir sofort bei und legte einen Arm um mich. „Schon gut, zum Glück bist du für mich da. Also lass uns das Shooting gut über die Bühne bringen“.
Kaum hatte ich das gesagt, erhob ich mich. Immerhin redete ich schon fast eine halbe Stunde mit ihr, obwohl wir schon längst fertig gestylt waren. Während ich mich beruhigt hatte, hatte es Miguel nämlich geschafft, das Puder gleichmäßig auf meinem Gesicht aufzutragen und auch den Rest hatte er reibungslos hinbekommen.
Als wir zu der Bühne gingen, an der das Shooting stattfand, sah ich Jakob schon vom Weiten. Er sah fantastisch aus! Der junge Mann erinnerte mich nur zu gut an einem stinkreichen Adeligen, was er auch war. Seine Kleidung war dunkel, wobei sie an den Ränder kunstvoll mit silbernen Fäden verziert war.
Die Maske von ihm war ebenfalls dunkel, wodurch seine blonden Haare perfekt zur Geltung gebracht wurden. Am Liebsten hätte ich ihm den Kopf getäschelt, doch ich hielt mich zurück, was ziemlich schwer war, da er verdammt gut aussah. „Los jetzt“, flüsterte Fabrizia, die – wie ich – ein rotes Gewand trug und von da aus blendete ich all die persönliche Differenzen mit ihm aus, da ich schließlich arbeiten war.

 

Ich hoffte nur, er würde mich nicht allzu früh erkennen. Das konnte ich mir aber abschminken, denn kaum schritt ich auf ihn zu, sagte er: „Wow, Baby! Du siehst wunderschön aus!“. „Scheiße, woher hat er mich nur erkannt?“, fragte ich eine Spur zu laut, denn Jake antwortete: „Ich würde dich immer erkennen, selbst wenn du einen Kartoffelsack über deinen gesamten Körper tragen würdest“. Was für ein süßes Kompliment!
Leider konnte ich das auch nicht ganz ernst nehmen, da er mich sowieso nur fürs Bett haben wollte. „Spar dir deine Heuchlerei, du bekommst mich nicht. Wir werden jetzt das Shooting machen und gut ist. Bilde dir also bloß nicht ein, dass es mir mehr bedeutet oder ich nur wegen dir hier bin“, erwiderte ich kühl. Einen kurzen Augenblick war es still, doch dann raunte Jakob: „Gut, dann nehme ich eben alles zurück, obwohl keins meiner Worte gelogen war. Außerdem weiß ich selbst, dass du nur fürs Arbeiten hier bist“.
Täuschte ich mich oder klang seine Stimme wirklich ein bisschen verletzt? Ganz ruhig Giulia, schoss es mir durch den Kopf, nur weil du dir nichts sehnlicher wünscht, als, dass er sich endlich mal gut benimmt, musst du nicht sofort denken, dass er das bei der ersten Gelegenheit tut. „Sehr schön, ich frage mich eh, was du hier machst. Sonst arbeitest du nur für Tizian“, mimte ich trotzdem die Unbeeindruckte.
Mein Gegenüber sagte nur: „Warum sollte ich mir mein gutes Aussehen nicht anderwertig zu Nutze machen? Diese Agentur hier gehört schließlich nicht umsonst mir und da ist es ein Leichtes für mich, mal eben bei einem Shooting dabei zu sein“. Nach seinen Worten setzte mein Herz einen Schlag lang aus. Wie bitte? Das konnte er nicht ernst meinen!
Mit tonloser Stimme hauchte ich: „Deine... die Agentur gehört dir? Aber... ich habe dich noch nie hier gesehen!“. Jake bückte sich mir herab, strich mit seinen Fingern über den harten Gips meiner Maske und meinte: „Dieses Projekt hier ist auch äußerst geheim. Nicht einmal so ein hohes Tier wie Miguel weiß, dass eigentlich ich der Inhaber bin, was ebenfalls so bleiben soll“.

 

Wow, das musste ich erst einmal sacken lassen! Ich wusste, dass mein guter Kumpel teilweise als Geschäftsführer fungierte, womit er es ziemlich weit gebracht hatte. Da überraschte es mich nur umso mehr, dass er nicht wusste, dass ausgerechnet Jakob sein Chef war. Zumindest der oberste Chef. Trotzdem respektierte ich, dass Jake nicht wollte, dass er darüber Bescheid wusste. Fabrizia, die unserem Gespräch nur schweigend zugehört hatte, wies uns darauf hin, dass es nun los gehen würde.
Mittlerweile war nämlich alles soweit startklar. Jakob setzte sich auf einen Hocker, der vorne in der Mitte der Bühne stand, hin. Fabrizia und ich stellten uns jeweils links und rechts neben ihn und stützten uns mit einem Arm seitlich auf seine Schultern ab. Hinter uns dagegen gab es ausnahmslos weißgekleidete Tänzer, die wiederum vor einer Leinwand, die Venedig im Sommer zeigte, waren. Lampen ließen alles in hellsten Farben erstrahlen.
Die Fotografen schossen ein Foto nach dem anderen. Dabei war Jakob stets im Mittelpunkt. Als ob er die Sonne wäre und wir die Planeten, die um ihn herum kreisen. Der Mann ließ es sich auch nicht nehmen, seine Hände um unsere Taillen zu legen, wodurch seine Rolle als Adonis nur verstärkt wurde.
Nachdem alles vorbei war, war ich außerordentlich erleichtert. Ich hatte es geschafft, mich überaus professionell gegenüber ihm zu verhalten, was Fabrizia sehr lobte. Das machte mich ungeheuer stolz und so stahl sich immer wieder mal ein Lächeln auf meinen Lippen. Trotzdem war ich froh, als ich wieder meine normalen Klamotten trug. So fühlte ich mich einfach am Wohlsten.
Zusammen sahen wir uns alle die Fotos an. „Du schaust so toll aus!“, sagte ich zu Fabrizia, was auch stimmte. Sie hatte schwarze lange Haare, die wie Seide glänzten. Sie lächelte mich entzückt an, es erstarb jedoch, als Jakob hinter uns auftauchte und meinte: „Sie ist nichts gegen dich, Baby!“. „Ehm, lass das mal bitte meine Sorge sein“, versuchte ich ihn abzuwürgen, was mir leider nicht gelang. „Ach ja? Guck euch doch mal an. Ihr sieht man doch schon die Arroganz auf hunderte Meter Entfernung an, du dagegen bist so natürlich wie Mutter Natur“.
Was war denn mit dem los? Das schien sich auch meine beste Freundin zu fragen, denn sie zischte: „Und du bist ein Heiliger, was? Dir kann es echt egal sein, was Lia und ich miteinander reden, also halte dich da gefälligst raus!“. „Du bist eh nur sauer, weil ich deine Freundin hübscher finde als dich“, entgegnete Jakob, woraufhin Fabi erwiderte: „Und du bist beleidigt, weil ich nicht mit dir in die Kiste gestiegen bin!“.
Okay, vielleicht sollte ich eingreifen. „Es reicht! Euer Gebabbel kann man sich keine Minute länger mehr mit ansehen, ich würde vorschlagen, wir gehen jetzt getrennte Wege“, schlug ich ihnen vor. Kaum hatte ich das gesagt, verabschiedete sich auch Fabrizia schon von mir. Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts und schon war sie weg. „Ciao“, meinte Jakob lediglich zu mir, als er sich von mir abwandte und in eine andere Richtung ging.

 

Meine Neugier war geweckt. Wohin ihn wohl sein Weg führen würde? Ich beschloss spontan, ihn zu verfolgen. Anscheinend hatte er es ziemlich eilig, denn für meine Begriffe rannte er schon fast. Nach und nach aber konnte ich schon erste Vermutungen aufstellen, wo er hin wollte. Und vor allem zu wem.
„Na, ihr Süßen! Da bin ich“, flötete er gut gelaunt zu zwei Frauen, die sich ihm sofort an den Hals schmissen. Ich unterdrückte mit aller Macht den Brechreiz, der mich mit einem Mal total übermannt hatte. „Oh Jakob, wie gut du aussiehst“, sagte die Platinblonde mit den kurzen Haaren. Das weiß ich selber, dachte ich. „Das weiß ich selber, aber danke“, hörte ich Jake lachen.
Gruselig, dass er und ich dasselbe dachten, obwohl er keinerlei Ahnung hatte, dass ich ihm gefolgt war. Die andere Frau, die ebenfalls grellblonde Mähne hatte, aber dafür lange und deutlich größer als die andere war, meinte: „Linda, du kannst ihn loslassen. Jetzt bin ich an der Reihe“. Bah, wie tussig die beiden doch waren! Die Angesprochene tat jedenfalls, was ihr die andere zuvor gesagt hatte. „Na gut, Sabrina. Immerhin wollen wir shoppen und unser lieber Jakob hat uns ja etwas versprochen“, lenkte sie ein.
Natürlich, hätte ich mir auch denken können. Vermutlich würde er den beiden Damen die Einkäufe bezahlen, um sie ins Bett zu bekommen. Dieser Idiot war so widerlich! Auf jeden Fall schreckte mich das nicht ab, obwohl ich schon lieber gegangen wäre. Welcher Frau gefiel es schon, wenn der Mann, den sie liebte, sich zwei andere Frauen förmlich kaufte?
Das Trio ging in das Kaufhaus, vor dem es sich getroffen hatte. Ich behielt ausreichend Abstand von den dreien, denn Jakob sollte bloß nicht merken, dass ich ihn verfolgte. Bestimmt würde er dadurch noch mehr denken, dass ich ihm verfallen war. Das stimmte zwar, aber nur über meine Leiche würde ich das vor ihm zugeben. Also gar nicht.
Die Damen zogen den Schönling in einem Laden, der nur für Dessous war. Da ich bereits von außen erkannte, dass es dort nicht viel zu kaufen gab, ging ich erst gar nicht hinein. Lieber setzte ich mich auf eine Bank, von der man aus das Geschäft gerade so noch sehen konnte. Mein Blick schweifte kurz zu den umliegenden Läden und blieb schließlich an einen mit Perücken hängen. Rasch ging ich hinein und kaufte mir eine mit rotem Haar. Danach holte ich mir auch noch neue Kleidung und zog diese sofort an, nachdem ich bezahlt hatte. Sogar eine Brille legte ich mir zu, jedoch eine ohne Sehstärke. Als das erledigt war, ging ich wieder auf die Pirsch.
Nun konnte ich nämlich Jake direkt beobachten. Vermutlich würde er mich eh nicht mehr erkennen, das ich meine Haare unter der Kurzhaarperücke versteckt hatte. Außerdem bezweifelte ich stark, dass er mich in der schwarzen zerrissenen Röhrenjeans, dem königsblauen Top und der weißen Jacke erkennen würde. Zudem hatte ich auch noch die Brille, die mich wie eine Lehrerin aussehen ließ.

 

Vollen Übermutes ging ich also doch in den Laden, von dem ich das Gekicher der Frauen schon am Eingang hören konnte. Du meine Güte! Sag bloß, die machten mit Jakob in einer Umkleidekabine rum? Das war wirklich abartig! Keine Sekunde später bemerkte ich aber, dass dem nicht so war. Jake stand nämlich vor einem Spiegel und betrachtete sich. Schon fast nachdenklich sah er sein makelloses Spiegelbild an. Ich fragte mich, was in ihm vorging. Leider Gottes konnte ich nicht mit ihm sprechen, da er mich vielleicht an meiner Stimme erkennen würde.
Genau bei diesem Gedanken drehte er sich um. Er sah mir genau in die Augen. In seinen dagegen lag ein fragender Ausdruck. Ich dagegen lief knallrot an und griff einfach nach irgendetwas und hoffte, dass es nichts Unsinnes war. Verdammt, ich hatte aufgrund meiner Nervosität nach einem roten Unterwäscheset gegriffen. Wobei er sich bestimmt eh nicht mehr daran erinnern konnte, dass ich ihm davon berichtet hatte, dass das meine Lieblingsfarbe war.
Ein zweideutiges Lächeln umspielte seine Lippen, doch aus seinem Mund kam kein Laut. Wortlos sahen wir uns weiterhin an. Verdammt, warum sagte er nichts? Wartete er etwa darauf, dass ich den ersten Schritt machte? Meine Güte, er verunsicherte mich in diesem Moment total. Sonst sagte er doch immer etwas zu mir, also worauf wartete er?
Nervös tippte ich von einem Fuß auf den anderen. „Jaaakoooob“, ertönte es auf plötzlich aus den Umkleiden, doch er rührte sich nicht. Im Gegenteil, er schien erstarrt zu sein wie Glas. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Die Rufe wurden lauter und penetranter, aber der Mann machte trotzdem keinerlei Anstalten, sich zu bewegen.
Erst als sich die kurzhaarige Blondine vor uns mit Dessous präsentierte, reagierte er. „Wer ist das denn?“, fragte sie, was fast an mir vorbei ging. „Sie? Nun... sie erinnert mich an jemandem, schau sie dir doch mal an, Linda“, antwortete Jakob, woraufhin ich ungeheuer nervös wurde. „Keine Ahnung, noch nie gesehen“, sagte sie.
Das schien ihm nicht zu interessieren, er musterte mich weiterhin. Da ich nicht auffliegen wollte, blieb ich stumm. „Jeder erkennt doch, was für eine klassische Schönheit sie ist. Sie ist ein Bild, das nur die Zeit zaubern kann, nur scheint sie bei ihr ziemlich schnell voranzuschreiten“, meinte er leicht verträumt, was mich erschaudern ließ.
Hatte er mich etwa erkannt? Scheiße, alles nur nicht das! Rasch wandte ich mich ab und verließ überstürzt den Laden. Dabei beachtete ich erst gar nicht seine Rufe. Das Kompliment ging mir bis ins Mark. Nicht nur, dass er mich für hübsch hielt, nein, er sagte auch noch, dass ich es immer mehr wurde. Vielleicht sollte ich lieber ganz abhauen, schoss es mir durch den Kopf.

 

Tränen rannen mir übers Gesicht. Ich war verdammt froh, dass ich keinerlei Schminke mehr trug. Erst als ich eine Hand spürte, die sich um mein Handgelenk legte, realisierte ich, wie dämlich ich mich überhaupt benahm. Und da überkam mich die Wut. „Was ist?“, schrie ich Jakob auch schon an, der mich nur stumm ansah.
Er schien zu überlegen, nahm jedoch dann die Perücke von meinem Kopf. Meine langen Haare fielen mir sofort über die Schultern. Ein zufriedenes Lächeln zierte sein wunderschönes Gesicht. Vermutlich hatte er es schon vorher geahnt oder gar gewusst, dass ich, Giulia De Lorenzi, sich hinter all der Maskerade befand. Wobei das heißen würde, dass er mir die Komplimente aus purem Wissen gemacht hatte.
Verwirrt blinzelte ich auf. „Ach Baby, du bist wirklich süß. Jetzt verfolgst du mich schon“, sagte Jake amüsiert. „Du Spinner, glaubst du das denn wirklich im Ernst?“, wollte ich schnippisch von ihm wissen, woraufhin er höhnisch lachte. Lässig meinte er: „Deswegen hast du mich seit der Agentur nicht aus den Augen gelassen und dir sogar ein völlig neues Outfit zugelegt, was zwar echt heiß aussieht, aber überhaupt nicht zu dir passt. So primitiv bist du nämlich nicht“.
Wortlos sah ich ihn an. Meine Augen klebten nun an meinen Klamotten. Ich fand, dass mir die Klamotten ziemlich gut standen und auch zu mir passten. „Anscheinend hälst du dich für so toll, dass du dir so etwas einbildest“, erwiderte ich matt. „Pah, dein Argument hat überhaupt kein Gewicht“, schnaubte er.
Ein wenig belustigend fand ich die Situation schon. „Weißt du was? Das ist mir total egal“, kicherte ich unverblümt und ließ ihn damit total auflaufen, was ihn nur noch wütender machte. „Du bist so was von nervig!“, warf er mir mitten auf der Straße an den Kopf. „Und du total unberechenbar! Das ist nervig und nicht ich! Echt mal, ich weiß bei dir überhaupt nicht, was du ernst meinst und was nicht!“, schmetterte ich ihm entgegen.
Überrascht sah er mich an. Oh Gott, hoffentlich hatte ich nichts Falsches gesagt! „Ich wüsste nicht, was an meinen Worten so undeutlich war, aber wenn du meinst“, sagte er matt. „Dann ist ja alles gut“, versuchte ich ihn zu besänftigen, doch er ließ mich nicht. Erbost feixte er: „Du bist so geil, dass ich dich am liebsten hier flachlegen würde. Warum um alles in der Welt musst du verklemmt sein?“. „Du bekommst mich nicht, verstanden? Du. Bekommst. Mich. Nicht“, mimte ich die Starke und Unbeeindruckte, obwohl in mir alles bebte.
Ich wandte mich zum Gehen um und hätte ihn auch so stehen gelassen, wenn er nicht noch etwas gesagt hätte. „Die Frage ist nur, wie lange du mir noch stand haltest. Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern, bis du vor mir dahinschmilzt und zu Wachs in meinen Händen wirst“. „Lass ja deine schmierigen Hände von mir, du Perversling!“, zischte ich.
Jakob dachte aber gar nicht daran, sondern ging noch einen Schritt weiter. Er zog mich in eine feste Umarmung, dann hauchte er mir in mein Ohr: „Glaub' mir, du möchtest nicht, dass ich dich los lasse“. „Warum siehst du mich einfach nicht?“, flüsterte ich betrübt, aber mit fester Stimme. Der Mann antwortete mir: „Warum siehst du einfach nicht, dass ich dich schon längst gesehen habe?“. Darauf fiel mir nichts ein und daher blieb ich stumm.
Trotzdem löste ich mich aus dieser unerwarteten Nähe. Mit meiner wiedererlangten Freiheit kam auch meine Stimme wieder zu mir zurück. „Du solltest zu deinen zwei Frauen gehen. Sicherlich finden sie es nicht so schön, wenn du sie in dem Laden alleine lässt“, wies ich ihn darauf hin, dass er zu gehen hatte. „Die gibt’s ja auch noch. Stimmt, schließlich gehe ich nicht umsonst mit den beiden shoppen. Bye bye, Giulia“, sagte er, wobei er seine wahren Hintergedanken erst gar nicht versteckte, sondern mir mit einem zweideutigen Grinsen und Zwinkern unverfroren signalisierte, dass er sie nur ins Bett kommen wollte und es auch schaffen würde.
Tapfer zwang ich mich zu einem gütigen Lächeln, ehe ich mich endlich von ihm entfernte. Oh ja, wäre ich noch einige Minuten länger geblieben, dann wäre ich ihm vermutlich an die Gurgel gegangen, da er einfach nicht verstand, wie sehr er mich mit seinem Verhalten verletzte. Ich kam aber erst gar nicht auf die Idee, dass ausgerechnet Jakob jemandem brauchte, der ihn rettete.

Wait And Bleed

Seitdem ich Jakob verfolgt hatte, waren einige Tage vergangen. Es wurde immer wärmer, kein Wunder, schließlich war es Anfang Mai und der Frühling somit in seiner vollsten Blütezeit. Traurig blickte ich aus meinem Fenster. Wie sehr ich Jake doch vermisste! Ich wartete nur darauf, etwas von ihm zu hören, doch er meldete sich nicht bei mir.
Warum sollte er auch? Immerhin habe ich ihm immer wieder zu verstehen gegeben, dass er mich gefälligst in Ruhe lassen soll. Dazu gehörte natürlich auch, meine Handynummer zu löschen oder mir nicht mehr aufzulauern. Wie dumm war ich eigentlich, den Mann, den ich liebte, von mir zu stoßen? Es lag auf der Hand, weshalb ich das tat.
Niemand hatte Lust, von der Person, die man liebte, nur als eine Art Trophäe in dessen Sammlung angesehen zu werden. Mehr war ich auch nicht für Jakob. Dabei wollte ich mehr sein. So viel mehr. Vermutlich viel zu viel. Vermutlich hatte er nicht den blassesten Schimmer davon, wie man mit Frauen umging.
So oder so konnte ich mir kein richtiges Urteil über ihn erlauben. Ich wusste nicht einmal, wie er seine bisherigen Lebensjahre verbracht hatte. Ich konnte nur mit Sicherheit sagen, dass er sich von Tizian ungeliebt fühlte und es auch noch immer tat. Das Traurige an der ganzen Sache war jedoch, dass Jakob keinerlei Ahnung hatte, was sein großer Bruder alles für ihn getan hatte.
Vielleicht war der Jüngere der beiden deshalb so verdammt verbittert. Er war total unwissend. Ich fragte mich aber auch, weshalb Tizi ihn nicht darüber aufklärte, was in der Vergangenheit so schief gelaufen war. Das Verhältnis zu Tizian war seit jeher schon so schlecht, aber was war mit seinen Halbschwestern, Tabitha und Tara? Ich fand die beiden Frauen ganz nett, was soweit ging, dass ich sogar ab und zu etwas mit ihnen unternahm.
Jakob schien niemanden so richtig gehabt zu haben, der stets an seiner Seite war, abgesehen von seiner Mutter. Da stellte sich mir jedoch die Frage, wo sie lebte. Soweit ich wusste, war Jakob bei seinem Vater, der auch gleichzeitig der von Tizian war, aufgewachsen, damit niemand auf die Idee kam, dass es noch eine andere Frau in dem Leben von Tiziano Di Falcenstein gab.
Die gab es jedoch. Es war natürlich die Mutter von Jakob, Soraya. Mein bester Freund hatte mir erzählt, dass es eigentlich sie sein sollte, die an der Seite von seinem Vater war. Zum Leidwesen vom Signore Di Falcenstein war aus einer Affäre Tizian entstanden und da er der langersehnte erste Sohn war, hatte er Soraya verstoßen.
Ganz schön verwirrend, selbst für mich, die Tizi schon ewig kannte. Ich nahm an, dass diese doch ziemlich ernüchternden Zustände auch bei Jakob seine Spuren hinterlassen hatten. Anders konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären, weshalb er so widersprüchlich war. Nun ja, dachte ich, es wird Zeit, in die Stadt zu gehen. Fabrizia würde nicht ewig auf mich warten.

 

Meine beste Freundin und ich waren in einer viertel Stunde in der Stadt verabredet, um genau zu sein, an jenem Einkaufszentrum, in dem ich so dumm gewesen war und Jakob verfolgt hatte. Na ja, sich darüber zu ärgern, brachte mir jetzt auch nichts mehr, aber ich tat es trotzdem. Zum Glück war ich pünktlich, was ich meinem Auto zu verdanken hatte, mit dem ich ausnahmsweise fuhr. Sonst wäre ich zu spät dran und das wollte ich nicht.
Als ich schließlich ankam, erkannte ich Fabi schon vom Weiten. Sie trug stets elegante Kleidung, was einfach super zu ihr passte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie in der Öffentlichkeit je mit einer Jogginghose oder Ähnlichem gesehen zu haben. Die Frau, der ich immer näher kam, legte sehr großen Wert darauf, ein gutes Äußeres zu haben.
Das hatte sie auch. Es gab kaum Frauen, die an ihrem Aussehen heran kamen. Dazu kam auch noch ihre verdammt tolle Ausstrahlung. Ich war mir sicher, dass sie jeden Mann haben konnte, den sie wollte. Sie war einfach von Natur aus wunderschön. Selbst wenn sie weinte, sah sie umwerfend aus. Eigentlich konnte sie die Schminke, die sie stets auf ihrem Gesicht trug, weglassen. Nur leider hörte sie nicht auf mich.
Na gut, ich konnte ihr das nicht verbieten, was ich manchmal schon gerne tun würde. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen, als wir uns gegenüberstanden. „Na, alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie mich und lächelte. Ich nickte und fragte nach ihrem Gemütszustand. „Alles super, soweit. Ich freue mich total darauf, bald wieder in Italien zu leben und dann kann meine Suche beginnen“, meinte sie.
Mein Grinsen erstarb. „Du gibst wohl nicht auf, oder? Glaube mir, ich wünsche dir nichts mehr, als dass du deinen Traumprinzen von vor zehn Jahren findest, aber findest du nicht auch, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist?“, schnitt ich das brisante Thema um ihre ewige Liebe an. Meiner besten Freundin entfuhr ein Seufzen.
Sie schien noch etwas zu überlegen, bis sie sagte: „Ich kann es einfach nicht gut sein lassen. Das war der beste Sommer meines Lebens und irgendetwas in mir sagt, dass auch Claudio mich sucht“. Traurig sank ich meinen Kopf. „Hast du nicht selbst gesagt, dass er ziemlich distanziert zu dir war?“, wollte ich von ihr wissen.
Daraufhin sah sie mich mit weit aufgerissenen Augen an. Oh je, hoffentlich war das nicht zu heftig für sie gewesen. Das wollte ich nämlich überhaupt nicht. Fabrizia blieb jedoch ruhig, auch wenn ich ihr nur zu gut ansah, wie angespannt sie war und flüsterte: „Ja, das stimmt. Er war aber nicht immer so zu mir. Er hat mich oft minutenlang umarmt und als er ging, da hat er mir einen Kuss auf die Stirn gegeben und mir versprochen, dass wir uns wieder sehen werden und er mich auf Händen trägt. Außerdem sagte er, dass er mir eines Tages einen Stern vom Himmel holen würde“.
Bei den Worten sammelten sich leichte Tränen in meinen rehbraunen Augen. „Er schien wirklich ein Traumprinz gewesen zu sein, nur frage ich mich, ob er das auch ernst gemeint hatte. Du weißt, wie Jungs mit sechzehn sind“, stammelte ich und schluckte den dicken Kloß, der mit einem Mal in meinem Hals war, runter.
Fabi sah mich an und sagte: „Du hast Recht, mit beidem. Nur lasse ich mir davon nicht meinen Glauben nehmen und ich bin dir da auch nicht böse. Wir sind schließlich hier, um endlich mal wieder ordentlich shoppen zu gehen“. Das stimmte und so ließen wir das Gespräch über Claudio sein.+

 

Wir gingen schließlich in den ersten Laden hinein. Fabrizia hatte mir erzählt, dass sie dringend neue Unterwäsche brauchte. Das ging jeden Monat so. Wenn sie so weiter machte, dann hatte sie schon bald alles, was es an Unterwäsche und Dessous gab. Das klang vielleicht übertrieben, aber es war schon ziemlich seltsam. Oder sie war einfach nur eine klischeehafte Adelige, die ihre Kleidung nur einmal trug.
Das konnte ich aber auch ausschließen, zumindest was die sichtbaren Klamotten anging. Ein kleines Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Über was ich schon wieder nachdachte! Zum Glück holte mich keine geringere als Fabi selbst aus meinen Gedanken. „Wie findest du das? Ist das nicht heiß?“, wollte sie von mir wissen. Ja, sie nahm kaum ein Blatt vor den Mund. Warum auch? Wir waren beste Freundinnen, von daher brauchte ihr überhaupt nichts unangenehm sein.
Schließlich musterte ich ihre neueste Errungenschaft in ihrer linken Hand. Es waren schwarze Overknee Strümpfe, die ziemlich verrucht aussahen. Ich musste aber auch zugeben, dass Fabi so etwas ausgezeichnet stand. Ihr Teint war wesentlich dunkler als meiner, zudem besaß sie schwarze Haare, die stets wie Seide glänzten. Außerdem hatte sie das nötige Selbstbewusstsein, um darin super auszusehen. Was man von meiner Wenigkeit nicht behaupten konnte. Das hieß aber nicht, dass ich auf reizvolle Unterwäsche verzichtete.
In der rechten Hand hielt sie einen BH und den dazugehörigen Tanga. Beide Teile waren schwarz mit silbernen Schnörkeln, die mitunter an Strasssteinchen endeten. Insgesamt sah es also sehr schön aus. Mit einem nach oben zeigenden Daumen signalisierte ich meiner besten Freundin, dass sie da etwas Gutes gefunden hatte. Mit einem Lächeln verschwand sie schließlich in den Umkleiden.
Da stand ich nun alleine in dem Laden. Wie ein kleines verlorenes Kind sah ich mich um, nur um im nächsten Moment schon fast zu Stein zu erstarren. Das konnte nicht sein! Sicher bildete ich mir nur ein, dass da ausgerechnet Jakob mit einer Frau in den Shop kam. Dummerweise konnte ich meine Augen nicht von ihm nehmen. Verdammt, er sah noch immer fantastisch aus!
Selbst sein Blick legte sich auf mich. Er schien überrascht zu sein, ausgerechnet mich hier zu sehen, doch fing er sich wieder schnell. Zu schnell für meinen Geschmack. Viel zu schnell. Lieber widmete er sich seiner weiblichen Begleitung, die verliebt zu ihm aufsah. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Hatte er etwa eine ernsthafte Beziehung? Nein, das konnte und durfte nicht wahr sein!
Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich hatte Angst, dass mein unregelmäßiger Herzschlag meinen Brustkorb sprengen würde, so miserabel fühlte ich mich auf einmal. Meine Beine schienen nachzugeben, woraufhin Jakob mich doch noch einmal ansah. Geschockt weiteten sich seine Pupillen, als er nach wie vor nicht den Blick von mir nehmen konnte und nur zu gut erkannte, dass ich völlig neben mich stand. Er machte einen großen Schritt auf mich zu, während ich ihm hilflos in die Augen sah.
Plötzlich wich er aber von mir zurück und drehte sich wortlos um. Diese traurige Szene, die sich hier soeben abspielte, ließ mich kraftlos um Luft schnappen. Wäre Fabrizia nicht in den Moment aus der Umkleidekabine gekommen und hätte mich aufgefangen, wäre ich wohl auf den kalten Steinboden gefallen.

 

Meine beste Freundin stützte mich und brachte mich zu den Umkleiden, in denen es einen kleinen Hocker gab, auf dem man sich setzen konnte. Daraufhin verschwand sie kurz, nur um mit einem Glas Wasser zurückzukehren. „Trink das, danach wird es dir bestimmt besser gehen“, befahl sie mir und drückte es mir in die Hand. „Danke“, nuschelte ich und nahm es mit leicht zittrigen Händen entgegen.
Ich trank das Glas zügig aus und in der Tat fühlte ich mich kurz darauf besser. „Alles in Ordnung mit dir? Du hast mir echt einen Schrecken eingejagt. Du hättest dein Gesicht sehen müssen“, sagte Fabrizia leise, woraufhin ich meinte: „Es geht schon, danke und damit habe ich nicht nur dich erschreckt“. Den letzten Teil hatte ich nur gemurmelt, doch Fabi hatte mich natürlich gut genug verstanden.
Sie schien etwas zu grübeln. Es interessierte mich brennend, über was sie nachdachte. Nur leider blieb ihr Mund versiegelt. „Ähm, sah mein Gesicht denn sehr schlimm aus?“, fragte ich vorsichtig. Meine beste Freundin sah mich einen kurzen Moment verwirrt an, fing sich aber dann wieder und antwortete: „So aschfahl habe ich noch nie jemanden gesehen“.
Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass mit Fabrizia etwas nicht stimmte. Als ich sie danach fragte, meinte sie: „Ich wundere mich nur, was Jakob hier gemacht hat“. „Ach, der war mal wieder mit einem seiner Weiber unterwegs. Nun ja, sein Verhalten macht mich auch leicht stutzig. Er hat genau gesehen, dass es mir nicht gut ging und doch hat er mich wieder ignoriert“, legte ich auch meine Skepsis offen dar.
Als wir Schritte hörten, beendeten wir unser Gespräch kurz und sahen zu der Verkäuferin, die auf uns zu kam. Sie erkundigte sich über meinen Gesundheitszustand, was ich sehr lieb von ihr fand. Mit einem schwachen Lächeln sagte ich ihr, dass es mir wieder gut ging. Mit einem erleichterten Ausdruck auf dem Gesicht signalisierte sie mir, dass sie eine hohe Anteilnahme hatte.
Auffordernd sah ich Fabrizia daraufhin an, die noch immer die Unterwäsche und Strümpfe in der Hand hielt, woraufhin wir zur Kasse gingen. Nachdem wir bezahlt hatten, gingen wir an die frische Luft. Dort sprachen wir weiter über Jakob. „Hast du ihn etwa schon vorher gesehen?“, wollte Fabi von mir wissen und war wieder voll dabei. Ich nickte, dann antwortete ich: „Ja, er hat mich überrascht angestarrt, als er mit dieser Frau in den Laden ist. Dann hat er mich auch schon ignoriert. Er muss mich wohl dann gehört haben, wie ich um Luft gerungen habe. Mir war so, als ob er mir helfen wollte, doch aus irgendeinen Grund hatte er sich zurückgehalten und sich schließlich aus dem Staub gemacht“.
Auch sie konnte mir nicht helfen, das Verhalten von Jake zu entschlüsseln und so verbrachten wir noch ein paar Stunden in dem Einkaufszentrum, wobei ich mir auch das ein oder andere kaufte. Am Ende unserer Shoppingtour fuhr mich Fabrizia nach Hause, nachdem ich heftig protestiert hatte. „Ich werde dich bestimmt nicht alleine nach Hause gehen lassen. Wer weiß, ob du noch einmal so einen heftigen Schwächeanfall erleidest und so weiß ich wenigstens, dass du in deinen vier Wänden bist“, hatte sie gesagt und mir somit keine andere Wahl gelassen.
Angekommen bedankte ich mich dafür und fragte sie, wie sie nun zu ihrer schicken Villa kommen wollte, da sie mich mit meinem Auto zu mir gefahren hatte. Das Einkaufszentrum war eindeutig näher an ihrem Anwesen. „Ich werde laufen oder du fragst Justin, ob er mich nicht fahren möchte. Halt, das mache ich selbst“, meinte sie und zwinkerte sie mir zu. Da kam das kleine Biest mit ihr durch.
Sie wusste genau, dass mein Mitbewohner Interesse an ihr hatte. Trotzdem hielt sie das nicht davon ab, ihn nach Strich und Faden zu benutzen. Fabrizia mochte ihn zwar, doch sah sie in Männern nur Spielzeuge, um sich die Zeit zu vertreiben. Selbst Jakob hatte Justin schon gewarnt, doch Jus meinte, dass sie schon noch erkennen würde, wie gut er für sie war, wenn er stets das tat, was sie von ihm wollte. Und natürlich sagte mein Mitbewohner nicht nein dazu, als ihn Fabrizia mit einem strahlenden Lächeln danach fragte, ob er sie nicht nach Hause fahren könne.

 

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, ehe der Blonde zurück war. Sofort gesellte er sich zu mir und schien gar nicht mehr aus dem Strahlen herauszukommen. Ich brauchte ihn erst gar nicht nach den Grund zu fragen, denn er plapperte schon munter los: „Diese Frau ist der helle Wahnsinn! Sie hat mir doch wirklich jeweils einen zarten Kuss auf meine beiden Wangen gegeben und mir versichert, dass wir uns wieder sehen werden“.
Verstand Justin denn absolut nicht, dass Fabrizia nur mit ihm spielte? Sicher, er war ein guter Freund von mir und mein Mitbewohner, doch hatte ich meiner besten Freundin versprochen, nichts gegen ihre Spielchen zu unternehmen. „Wie wäre es eigentlich, wenn du mal von deinem hohen Ross hinunterkommst und der Realität ins Gesicht siehst? Mensch Jus, das geht doch schon seit Monaten so! Glaubst du ernsthaft, dass sie Interesse an dir hat? Du bist wirklich nett, aber...“, begann ich und brach dann ab, da ich schon viel zu weit gegangen war.
Geknickt sah mich der Mann an, der mir mit einem Mal ziemlich leid tat. „Tut mir leid, ich, das wollte ich nicht, aber ich bin selbst ziemlich durcheinander“, flüsterte ich. „Schon gut“, meinte Justin ebenso leise wie ich und zog mich in eine Umarmung. Das rechnete ich ihm sehr hoch an. Obwohl ich schon ziemlich gemein zu ihm gewesen war, sah er darüber hinweg und nahm mich in den Arm.
Anscheinend hatte er bemerkt, dass es mir nicht sehr gut ging. „Fabrizia hat mir auch erzählt, was im Einkaufszentrum passiert ist und daher werde ich heute und morgen ganz besonders Acht auf dich geben“, sagte er sanft. Natürlich! In diesem Moment würde ich meiner besten Freundin am liebsten den Hals umdrehen, doch dann musste ich lächeln.
Aus Fabrizia wurde man manchmal wirklich nicht schlau. Ich wusste, dass sie das auch aus Eigennutz getan hatte. Sie wollte sich so Justin vom Leib halten. Sie war ziemlich raffiniert, das musste ich ihr lassen. „Danke“, meinte ich daher nur.
„Sag mal, seit wann reagierst du so heftig auf Jakob?“, fragte Jus mich, was mich in Bedrängnis brachte. „Ich habe doch nicht auf ihn reagiert, also wirklich“, empörte ich mich aus Absicht gespielt theatralisch, was an ihm zum Glück vorbei ging. Etwas vorsichtiger sagte er: „Lia, ich kenne dich doch gut genug. Du schaust selbst jetzt noch total fertig aus“. „Was weißt du schon, du hast doch eh nur die ganze Zeit Augen für Fabrizia, wenn du sie siehst“, nuschelte ich.
Mein Mitbewohner verstärkte die Umarmung, ehe er meinte: „Das sei mal dahingestellt, du weißt, sie ist verdammt heiß, aber das heißt nicht, dass ich übersehe, wie miserabel es dir geht“. Nach seinen Worten blieb mir fast erneut die Luft weg. Es erstaunte mich schon sehr, dass er sehr wohl bemerkt hatte, dass es mir alles andere als gut ergangen war.

 

Ruckartig befreite ich mich aus der Umarmung. Während ich vor ihm Auf und Ab ging, grübelte ich laut. „Nehmen wir mal, dieses Arschloch hätte in der Tat etwas mit meinen Launen zu tun, was würdest du mir raten?“, warf ich in den Raum. Mit einem kleinen Grinsen auf dem Gesicht antwortete Jus: „Habe ich es doch geahnt. Tja, jetzt sitzen wir im selben Boot. Du und ich wollen jemanden haben, der unerreichbar für uns ist“.
Seine Reaktion machte mich mit einem Mal ziemlich wütend. „Hast du echt nichts Besseres zu tun, mir das zu sagen, als mir vielleicht einen Tipp zu geben, wie ich mein Problem in den Griff bekomme?“, zischte ich, woraufhin auch Jus sich erhob. „Doch, Lia. Dir nämlich zu sagen, dass du Jake gut genug kennst, um zu wissen, dass er sich nie auf eine ernsthafte Beziehung einlassen würde!“, erwiderte er überaus hart.
Was war denn mit dem los? Er sollte mir einen Rat geben oder mehrere und mir nicht die bittere Realität entgegenschleudern. Doch wenn ich genauer darüber nachdachte, hatte er natürlich Recht. Das gab ich aber ganz bestimmt nicht vor ihm zu. Nicht, nachdem er mir so barsch gezeigt hatte, dass Jakob nur mit Frauen spielte.
„Ich weiß doch auch nicht, was ich tun soll“, gab ich schließlich etwas nach. „Ihn vergessen. So schnell wie möglich“, hörte ich Justin sagen, woraufhin ich „Niemals!“, entgegnete. „Lia, du musst wissen, dass ich dir nur das Beste wünsche, doch du solltest einsehen, dass du da bei Jakob auf dem Holzweg bist“, sagte Jus eine Spur sanfter.
Er schien wohl nicht zu wissen, dass ich mich durch seine Worte provoziert fühlte. Da konnte er es noch so gut mit mir meinen. „Was weißt du schon, hm? Ich kenne ihn auch anders! Ich weiß, dass er ein gutes Herz hat!“, schrie ich ihn schon fast an, woraufhin er mich etwas überrascht ansah. Kopfschüttelnd nuschelte er: „Du bist wirklich von allen guten Geistern verlassen“.
Daraufhin konnte ich für gar nichts mehr garantieren. Ich ging auf Justin zu und schlug einfach auf ihn ein. „Du weißt gar nichts!“, spie ich schon fast und die ersten Tränen kullerten über meine Wangen. Mein Mitbewohner unternahm gar nichts gegen meinen Angriff, obwohl ich mir sicher war, dass ich ihn das ein oder andere Mal schon hart getroffen hatte. Er ließ mich still meine Wut herauslassen, bis ich schließlich selbst aufgab.
Während ich vor ihm auf dem Boden sank, schluchzte ich: „Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich mich ausgerechnet in so ein Arschloch verlieben musste“. Für das, was Justin im nächsten Moment tat, hätte ich ihm am Liebsten einen Kuss nach dem anderen verpasst: Er ging in die Hocke und drückte mich abermals an sich.
Dann meinte er beruhigend: „Shh, Lia. Ganz ruhig. Man kann niemanden einen Vorwurf dafür machen, dass sich jemand verliebt. Egal in wen. Wenn es passiert, dann passiert es“.

 

Wie Recht er damit hatte! „Das stimmt“, gab ich auch vor ihm zu und schniefte. Sofort ging Justin zu meiner Kommode an meinem Bett und drückte mir eine Packung Taschentücher in der Hand. Er kannte mich ziemlich gut, schon fast zu gut, was aber auch in Ordnung war. So brauchte ich nicht um den heißen Brei herumreden, was in mir vorging.
„Danke“, sagte ich und putzte einmal kräftig meine Nase, was Jus zu einem Lachen hinriss. Auch wenn er es lustig fand, ich wie lauthals in dem Taschentuch hineinrotzte, blieb er ernst. „Danke übrigens, dass du mir nicht böse bist, dass ich dich... nun ja, geschlagen habe. Tut mir wirklich sehr leid“, entschuldigte ich mich peinlich berührt bei ihm.
Mein Mitbewohner half mir wieder auf die Beine zu kommen und zog mich auf mein Bett. „Schon gut, ich war zu hart gewesen“, räumte er ein, woraufhin ich sagte: „Aber ehrlich“. Daraufhin lachten wir beide. „Ich muss aber zugeben, dass du wirklich Power hast“, lobte mich Justin, was mich etwas rot werden ließ.
Immerhin hatte ich ihn doch ein paar Mal hart getroffen und was machte er? Er machte mir ein Kompliment! „Wahrscheinlich möchte Jakob, dass ich warte und blute“, lenkte ich das Thema zurück auf den Mann, den ich liebte, aber niemals haben konnte. „Wie kommst du darauf?“, wollte Justin interessiert wissen. „Er meldet sich überhaupt nicht mehr bei mir. Sonst nervt er mich und rennt mir hinterher. Natürlich hat es mich am Anfang sehr genervt, doch seitdem mir klar wurde, dass ich ihn liebe, da … nun ja, tut es mir auf irgendeiner Art und Weise sehr gut, ihn zu sehen“, gab ich Jus eine ausführlichere Antwort.
„Du scheinst ihn sehr zu vermissen“, murmelte der Blonde, der neben mir saß. Das stimmte auch, daher war es kein Wunder, dass ich nickte. „Jede einzelne Sekunde ohne ihn ist eine Höllenqual“, beschrieb ich meine Gefühle. Mitfühlend strich mir mein guter Freund über den Rücken und fragte: „Wie wäre es, wenn du dich mal bei ihm meldest?“.
Sofort schüttelte ich energisch mit dem Kopf. „Er soll bloß nicht denken, dass ich zu ihm angekrochen komme. Was er braucht, ist eine Frau, die ihm Kontra gibt und die bin ich“, ließ ich Jus wissen, woraufhin er bewundernd mit den Zähnen pfiff. „Wow, das nenne ich mal Stärke. Finde ich aber super, nur frage ich mich, ob er sich dann bei dir meldet. So wie ich ihn kenne, wartet er nämlich darauf, dass du es tust“.
Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Kaum jemand kannte Jakob so gut wie Justin, daher konnte ich ihm Glauben schenken. „Nun, dann kann er so lange warten, bis er alt und grau wird oder er meldet sich selbst bei mir“, sagte ich mit fester Stimme, was Justin erst gar nicht daran zweifeln ließ, dass ich diese Worte mehr als nur ernst meinte.

Chasing Cars

Wieder verstrichen einige Tage, in denen ich bitter litt. Jakob hatte sich nach wie vor nicht bei mir gemeldet. Es war Freitag, der 24. Mai und obwohl ich starke Sehnsucht nach den Mann hatte, konnte ich den Morgen mit einem Lächeln begrüßen. Mir gab das wunderschöne Wetter aus irgendeinem Grund Kraft.
Leise pfiff ich vor mich, während ich aus meinem Bett stieg und zu meinen Schrank lief. Nach kurzem Grübeln entschied ich mich schließlich für eine rote Röhrenjeans und ein türkisfarbenes Top. Danach schlüpfte ich in meine Flip Flops, um nach der Post zu sehen. Das hätte ich vielleicht nicht tun sollen, denn es befand sich tatsächlich ein Brief für mich. Leider ohne Absender, wobei ich mir hätte denken können, von wem die Post stammt.
Jedenfalls ging ich verwundert in die Küche, wo Justin bereits Frühstück für uns beide zubereitet hatte. „Mhh, das duftet aber gut!“, begrüßte ich ihn lächelnd und setzte mich an den Tisch. Jus kochte aus Leidenschaft gerne, was ein sehr großer Vorteil für mich war. So musste nicht nur ich mich um das Essen kümmern.
Nachdem ich mir zwei Brötchen, die für den herrlichen Duft verantwortlich waren, geschmiert mit Butter und belegt mit Spiegeleier mit Schinkenstückchen auf meinem Teller gelegt hatte, widmete ich mich dem seltsamen Brief. „Warum bist du so nervös?“, fragte mich Justin, der gerade genüsslich in ein Brötchen biss. „Na ja, ich weiß nicht, wer mir da geschrieben hat und auch so fühlt sich der Umschlag ziemlich robust an oder der Inhalt“, antwortete ich ihm, woraufhin auch er ziemlich gespannt war, um was es sich in meiner Hand handelte.
Im nächsten Moment hätte ich am liebsten laut aufgeschrien, doch ich starrte nur mit offenem Mund auf das Formel 1 – Ticket, dass sich in dem Umschlag befunden hatte. „Was ist denn?“, wollte Jus sofort besorgt wissen. Ich konnte ihm keine Antwort geben, da ich einfach total überrascht darüber war, dass man mir für das Rennen in Monaco ein VIP-Ticket zukommen lassen hat.
Erst als es mir mein Mitbewohner aus der Hand nahm, war ich fähig mich zu rühren. „Das … das ist doch echt unglaublich!“, stieß ich schließlich mit unregelmäßigen Atemzügen hervor. Meine Güte, ich sollte echt mal lernen, mich vernünftig zu artikulieren! Die Augenbrauen von dem Mann, der mir gegenüber saß, schossen verwundert in die Höhe.
Nach kurzer Zeit wirkte Justin aber ziemlich unbeeindruckt. „Wirst du hingehen?“, fragte er mich. Ich antwortete ihm, dass ich gar keine Ahnung hatte, welcher Flieger wann nach Monaco fliegen würde. Kaum hatte ich das gesagt, blickte ich noch einmal in den Briefumschlag und bekam einen kleinen Zettel zu fassen. Dort stand in der allerschönsten Schrift, die ich bis dato gesehen hatte, folgendes:

 

Liebe Giulia,

 

ich erwarte Dich morgen, am Samstag, den 25. Mai, um acht Uhr am Flughafen.
Es würde mich wirklich sehr freuen, Dich dort zu sehen.
Ich weiß genau, dass Du Dich genauso sehr wie ich für Formel 1 interessierst.
Also warum nicht mal ein Rennen live zusammen ansehen?
Du wirst davon nicht enttäuscht werden, das verspreche ich Dir.
Außerdem erwartet Dich noch mehr, viel mehr.

 

Bis dann.

„Hm … der Absender scheint ja sehr davon überzeugt zu sein, dass ich tatsächlich hingehe, pah“, machte ich meinen leichten Ärger sofort Luft. Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht von Justin, ehe er meinte: „So kenne ich dich, aber mir ist auch klar, dass du neugierig bist, nicht wahr? Wie wäre es, wenn ich dich morgen bis zum Flughafen begleite? Wenn dir nicht gefällt, was du siehst, können wir beide auch gerne wieder gehen“.
Nach seinen Worten grübelte ich leicht. Ich war auch ein wenig verdattert. Er kannte mich einfach gut! Wie ich immer so schön sagte, zu gut, viel zu gut. „Keine Ahnung. Ich gehe packen“, sagte ich, womit ich indirekt zusagte, was Jus mit einem erfreuten Gesichtsausdruck entgegennahm.

 

Als ich in meinem Zimmer ankam, begann ich auch schon sofort nachzudenken. Wer könnte schon Interesse daran haben, mit mir nach Monaco zu fliegen, um dort ein Formel 1 – Rennen zu sehen? Zudem schien der Absender etwas geplant zu haben, denn nicht umsonst hätte er geschrieben, dass mich noch mehr erwarten würde, viel mehr.
Natürlich wünschte ich mir, dass es Jakob war, der mir da geschrieben hatte, doch ich war sehr sicher, dass er dafür viel zu stolz war. Vermutlich wartete er noch immer darauf, dass ich den ersten Schritt machte und mich bei ihm meldete. Das konnte er aber vergessen! Er war so ein Arschloch, aber ebenso toll. Das musste man ihm lassen.
Konnte denn nicht einmal alles unkompliziert sein? Nein, es musste natürlich alles schwierig sein! Das war ziemlich frustrierend. Seufzend nahm ich einen kleinen Koffer, in dem ich Klamotten für zwei Tage hineinlegte. Ich nahm an, dass ich spätestens am Montag wieder hier sein würde, da es nur um das Rennen in Monaco zu gehen schien.
Bedächtig steckte ich Kleidung für hitzige Frühlingstage in meinen roten Koffer. Wenn es hier in Deutschland schon fünfundzwanzig Grad Celsius hatte, dann würden es in Monaco bestimmt fast dreißig sein. Immerhin war der Staat am Mittelmeer und dort war es sowieso wärmer als im trüben Deutschland. Zumindest meistens. Jedenfalls war ich nach einer halben Stunde fertig mit dem Packen und ließ mich auf mein Bett sinken.
Meine Gedanken gingen erneut zu Jake, der mir einfach nicht aus den Kopf gehen wollte. Warum sollte ausgerechnet er mich nach Monaco einladen? Das war absurd. Und doch beschlich mich das Gefühl, dass genau er es war, der mich morgen am Flughafen erwartete. Nur fragte ich mich, was er von mir wollte. Wer sonst sollte mich schon in aller Frühe sehen wollen?
Ein Klopfen an meiner Tür ließ mich erschrocken hochfahren. „Ja?“, fragte ich und blickte zu meinem Zimmereingang. „Wie ich sehe, bist du schon fertig mit packen. Das ging ja schnell“, begrüßte mich Justin, woraufhin ich ihm einen Platz auf meinem Bett anbot. Dankend nahm er mein Angebot an und meinte: „Bist du schon sehr aufgeregt?“.
Das war eine berechtigte Frage und natürlich war ich das, was ich ihm mit einem raschen Nicken bestätigte. „Ich möchte wissen, wer das ist. Eigentlich gibt es nur eine Person, der ich das zutrauen würde, aber anderseits warum sollte er sich melden? Außerdem habe ich ihm nie erzählt, dass ich Formel 1 mag“, sagte ich und hatte Jus unbewusst verraten, dass ich den Verdacht hatte, dass sein bester Freund dahinter steckte.
Mein Mitbewohner schien das dagegen nicht zu überraschen. Allgemein verhielt er sich in letzter Zeit sehr merkwürdig. „Hoffentlich ist dir klar, dass ich sehr wohl merke, dass du ziemlich komisch bist“, meinte ich sofort zu dem Mann, der nicht einmal mit einer Wimper zuckte. „Kann sein. Muss wohl daran liegen, dass deine bezaubernde beste Freundin nächste Woche Geburtstag hat und ich keine Ahnung habe, was ich ihr schenken könnte“, gestand er mir.
Der hatte vielleicht Sorgen! Ich verschränkte die Arme vor der Brust, dann sagte ich: „Okay, stimmt. Du hast Recht. Vor lauter Jakob hier, Jakob da, hätte ich auch noch ihren Geburtstag vergessen. Danke dir“. „Das trifft sich wirklich gut, dass du in Monaco bist...“, fing Jus an, doch ich unterbrach ihn. „Keine Angst, ich bringe ihr etwas mit. Dann kannst du sagen, es sei von dir. Ich werde es nämlich auch nicht anders machen und ihr etwas von meinem kurzen Trip mitbringen“. „Danke, du bist wirklich die beste Mitbewohnerin, die man haben kann!“, quietschte Justin schon fast hocherfreut auf, was ziemlich lustig war und mich letztendlich auch zum Lachen brachte.

 

Am nächsten Morgen war es soweit: Endlich würde ich die Person sehen, die mich so kurzfristig nach Monaco eingeladen hatte. Meine Laune war ziemlich gut, da ich mich auch auf das Meer und die Sonne freute. Es war schon eine Weile her, seitdem ich das letzte Mal den unverkennbaren Duft von Salz und Wasser einatmen durfte.
Als wir am Flughafen ankamen, meinte ich aus einem plötzlichen Impuls heraus: „Mir wird schon nichts passieren, du kannst schon jetzt wieder nach Hause fahren. Danke, dass du mich hergefahren hast“. „Bist du sicher?“, fragte mich Justin, woraufhin ich ihm in die Augen blickte. „Okay, also ja. Dann wünsche ich dir viel Spaß“, nahm er mir meine Antwort mit einem Lächeln ab, woraufhin ich ihn umarmte. „Bis dann“, verabschiedete ich mich und sah, wie er schließlich wegfuhr.
Jetzt stand dem Treffen mit dem Absender nichts mehr im Wege. Hoffentlich erkannte dieser mich auch. Ich trug weiße Shorts, was bei meinem leicht dunkleren Teint ziemlich gut aussah und dazu ein T-Shirt, was mich eindeutig als Formel 1 – Fan identifizierte. Es war dunkelblau und die Aufschrift Red Bull Racing Formula One Team war nicht zu übersehen. Ich war also bereit nach Monaco zu fliegen, doch wie sah es mit dem Unbekannten aus, der noch nicht erschienen war und auf sich warten ließ?
Kaum hatte ich an diesen gedacht, wurden zwei Hände auf meine Augen gelegt. Meine Knie wurden weich, als ich diesen unverkennbaren Duft einatmete. Schokolade und Limette – noch immer war das für mich eine bittersüße Kombination. „H-Hey … Jakob!“, machte ich stotternd und war froh, als ich wieder etwas sehen konnte. „Na Giulia? Du siehst aber heute toll aus“, sagte er zu mir und sein Blick glitt über meinen gesamten Körper.
Ich sah ihn ein wenig verwundert an und ehe ich aussprechen konnte, was mich mit einem Mal beschäftigte, konnte ich eine einzelne, wunderschöne Tulpe in der linken Hand von ihm ausmachen. Zudem war er mir zuvorgekommen und ergriff als erster das Wort. „Also … ich bin überhaupt nicht gut, so etwas zu sagen, wenn ich es ernst meine, aber … aber … Es tut mir leid, Giulia“, flüsterte Jakob und ehe ich etwas dazu sagen konnte, meinte er: „Ich … also sieh das bitte nicht als billige Anmache, aber ich habe mir gedacht, dass ich dir eine rote Tulpe mitbringe, da sie genauso feurig ist wie du und ja, außerdem ist Rot deine Lieblingsfarbe“.
Er hatte sich tatsächlich gemerkt, dass ich die Farbe mochte? Wow, das überraschte mich dann doch. Jake übergab mir schließlich die Tulpe, woraufhin ich daran roch. Sie war am Zenit ihrer Blüte gekommen und sah wunderschön aus. Ich fragte mich, ob der Mann vor mir, der mich reumütig wie eh und je anstarrte, wusste, dass genau die Blume, die ich nun in meinen Händen hielt, die japanische Blume der Liebe war.

 

Schüchtern lächelte ich ihn an und war gerührt von seiner Entschuldigung. Ich sagte ja, er konnte richtig süß sein, wenn er wollte. Die Betonung lag auf die letzten drei Wörter. Und gerade war er das. Aber total! Kein Wunder, dass aus meinem Lächeln ein Strahlen wurde, was ganz allein ihm galt und sagte: „Das ist wirklich sehr süß von dir. Danke“. Um meinen Worten Glaubhaftigkeit zu verleihen, schlang ich beide Arme um den Blonden, der diese Geste zaghaft erwiderte.
Ich löste mich schließlich von ihm. Somit konnte ich ihn mustern, denn auch er war ziemlich sommerlich gekleidet. Er trug eine schwarze kurze Hose, die seine Knie ganz bedeckte und ziemlich locker saß, dazu ein schwarzes T-Shirt auf dem ENERGIE stand. Was auch immer das zu bedeuten hatte, ich konnte mir daraus keinen Reim machen. Jedenfalls stand ihm das Outfit ausgezeichnet. An seinem T-Shirt war zudem eine Sonnenbrille eingeharkt.
„Wollen wir dann zum Jet?“, fragte er mich, woraufhin ich etwas zusammenzuckte. Musste er mich dabei stören, wie ich vor mich hin träumte? „Ist gut, also ja“, antwortete ich und versuchte meine Unsicherheit mit einem kleinen Lächeln zu vertuschen. „Du solltest wahrhaftig immer lächeln“, sagte er und nahm meinen Koffer. Der Blonde selbst hatte ebenfalls nur einen kleinen Koffer. Ganz locker schob er diese zu dem Flugzeug, das so wie in Tokio ein Privates war.
Der Flug verlief sehr ruhig, was mir ganz gelegen kam. Es tat mir gut, einfach mal die Augen schließen zu können ohne mit dem Menschen, den ich so sehr liebte, aneinander zu geraten oder genervt von ihm zu sein. Vielleicht sah das Jakob genauso, denn als ich einen kurzen Blick auf ihn erhaschte, hatte er die Augen geschlossen und lächelte. Es war hinreißend. So wie er. Einfach nur zauberhaft.
Das Flugzeug kam zum Stillstand, oh anscheinend waren wir schon da. „Kommst du oder willst du hier übernachten?“, fragte mich Jakob und grinste. „Bin schon da“, antwortete ich und setzte mich rasch in Bewegung. Dummerweise musste ich stolpern und landete genau in seinen Armen. Ich hatte vergessen, was für eine schnelle Reaktionsgabe er hatte.
Besagter Mann meinte jedenfalls zu mir: „Vorsicht, ich möchte nicht, dass du dir wehtust und du sicherlich auch nicht“. Wie übertrieben nett er auf einmal war! „Danke“, stammelte ich daher nur und war froh, als ich festen Boden unter meinen Füßen spürte.
Wir beide gingen schließlich durch den Flughafen, an dessen Ende schon ein Auto bereit stand. Es war ein sportliches Cabrio in silberner Farbe. Mir gefiel es auf Anhieb und als ich darin saß wurde ich auch nicht enttäuscht. Jakob, der einen auf Gentleman machte, hatte zuerst mir die Beifahrertür aufgehalten und dann unsere Koffer in den Kofferraum verstaut.
Während der Fahrt sprachen wir kaum ein Wort. In Monaco herrschte fantastisches Wetter, meine Vorhersage, von gut dreißig Grad Celsius hatte sich nämlich erfüllt. Dazu kam noch, dass der Himmel wolkenlos war und in einem satten Blau strahlte. So griff ich in meine rote Handtasche und holte meine Sonnenbrille hervor, was Jake mir gleich tat. Ohne große Schwierigkeiten auf den Verkehrt zu achten, glitt seine Hand zu seinem T-Shirt und keine halbe Minute später hatte er ebenfalls eine Brille auf.
Mein Blick blieb daraufhin an ihm kleben. Meine Güte, er sah so verdammt gut aus! Das brachte mich noch in Teufelsküche. Es war schon fast ein halbes Weltwunder, dass ich meine ruhige und gefasste Fassade vor ihm aufrecht erhalten konnte.
„Steht dir übrigens“, sagte Jakob auf einmal und sah kurz zu mir rüber. „Du siehst wie eine Sommergöttin aus, die die wärmende Sonne genießt und auch den Wind, der die Haare sachte tanzen lässt“, machte er mir ein schönes Kompliment, woraufhin ich leicht rot wurde. Ich konnte es genau spüren! „Danke“, stammelte ich daher abermals, was er mit einem Grinsen quittierte.

 

Die Fahrt zu unserem Hotel dauerte nicht lange, was mich nicht verwunderte, da Monaco ein sehr kleiner Staat war. Als wir schließlich vor einem riesigen Gebäude hielten, hielt ich den Atem an. Konnte es sein, dass...? „Sag mal, ich träume jetzt aber nicht, oder?“, fragte ich völlig verdattert und schnappte mir die kleine Trinkflasche, die ich in meiner Handtasche verstaut hatte. Ich trank einen großen Schluck, wobei ich mich derartig verschluckte, dass Jakob mir sogar auf dem Rücken klopfen musste.
„Alles in Ordnung mit dir?“, wollte Jake von mir wissen, als ich mich halbwegs wieder beruhigt hatte. „Das könnte ich dich fragen, also wirklich! Du … du hast wirklich ein Apartment direkt an der Strecke mit Meerblick gebucht? Also wirklich, du … du bist...“, stammelte ich wirr, woraufhin der Mann vor mir lachte und den Satz von mir damit beendete, dass er unglaublich sei. Vor lauter Verwirrung ächzte ich: „Oh ja und wie! Du bist wahrhaftig unglaublich! Vielen Dank, dass du mich hierher gebracht hast!“.
Ehe Jakob auch nur ein Wort sagen konnte, harkte ich mich bei ihm unter die Arme, da er seine Hände lässig in die Hosentaschen seiner Hose vergraben hatte. „Kein Problem, aber das ist nicht einmal annähernd gut genug für dich“, erwiderte er schließlich, woraufhin ich ihm einen sanften Klaps auf den Hinterkopf verpasste. „Blabla, nicht mal annähernd gut genug für mich, du spinnst“, plapperte ich wild darauf los und meinte: „Das übertrifft alles, was je ein Mann für mich gemacht hat und daher weiß ich das besonders zu schätzen“.
Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, sah ich ihm genau in die Augen, schlang beide Arme um ihn und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf den Mund, wobei ich ihn mit meinen Lippen nur federleicht berührte. Während ich das tat, versteifte er sich völlig, was zur Folge hatte, dass ich fast gegen ihn gelaufen wäre, da auch ich nicht mehr klar denken konnte. Sonst hätte ich das wohl kaum getan, glaubte ich zumindest.
Als wir uns voneinander gelöst hatten, flüstere Jakob: „Das hättest du nicht tun brauchen, Giulia. Das war nie meine Absicht, ich wollte mich einfach nur bei dir entschuldigen, nicht mehr und nicht weniger. Das heißt aber nicht, dass es mir nicht gefallen hätte“. „Ja klar, schon gut“, winkte ich ab und versuchte dabei lässig zu wirken, was sogar zu funktionieren schien.
Wir betraten schließlich die Lobby, in der wir sofort begrüßt und auf unser Apartment gebracht wurden. Dort angekommen, kam ich gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Die Ausstattung war ziemlich luxuriös, was mich eigentlich nicht wundern brauchte. Und doch war es so. Ich sah mich um und erkannte, dass Jakob und ich getrennte Schlafzimmer hatten, wobei ich an seinem vorbei musste, um in meins zu gelangen.
Immerhin überließ er mir Privatsphäre, was ich ihn doch hoch anrechnete. „Ich würde vorschlagen, dass wir erst einmal unsere Schlafzimmer einrichten und wenn du möchtest, könnten wir dann die Gegend besichtigen. Das hätte ich nämlich vor“, schlug Jakob mir vor und war wirklich sehr charmant. Da konnte ich einfach nicht nein sagen.

 

Ich nutzte die erste Zeit, um mich in der Miniwohnung umzusehen. Sie war ziemlich edel eingerichtet. Man könnte schon fast meinen, dass das hier eine Suite wäre. Dem war aber nicht so, was völlig in Ordnung war. Die Wände in meinem Schlafzimmer waren in einem sanften hellgrün gestrichen, was sehr beruhigend auf mich wirkte und die großen Fenster mit Meerblick herrlich betonten. Der Blick war sowieso mit das Highlight.
An den Fenstern waren weiße Gardinen angebracht, die samtig weich waren. Der Boden war wie die Eingangshalle von Tizian ein Schachbrett, wenn man so wollte. Die Möbeln dagegen waren relativ dunkel, bestimmt waren sie aus Mahagoni. Jedenfalls gefiel mir das Nachtlager, was Jake für uns ausgesucht hatte, auf Anhieb.
Natürlich wollte ich die Räume einzeln betrachten, ich fing mit meinem Zimmer an, das als einziges den Meerblick hatte. Ich fühlte mich dadurch aber nicht in meiner Privatsphäre gestört, denn ich konnte jederzeit die Gardine zuziehen, zudem sah ich auch einen Teil der Formel 1 – Strecke, auf die ich mich schon riesig freute.
Mein Weg ging schließlich zum Bad, das ich schon jetzt in mein Herz geschlossen hatte, da es einfach das schönste Zimmer war. Es war schier riesig. In dem Raum befand sich eine Dusche, sowie eine Eckbadewanne, in der locker vier Personen hineinpassten und dazu gab es einen Whirpool, den ich mir garantiert nicht entgehen lassen würde. Die Toilette stand direkt neben der Dusche. Das Badezimmer war in einem schicken Rot eingerichtet, was mich immer wieder schmunzeln ließ. Das könnte glatt eine Anspielung auf meine Lieblingsfarbe sein, die nun einmal Rot war.
Ich machte weiter mit der Küche, die hell erleuchtet wurde, da das Sonnenlicht des frühen Mittags hineinschien. Stilistisch gesehen war auch sie ein absoluter Volltreffer. Die Möbel hier waren weiß-türkis, was mich sehr an das Meer erinnerte, das ich in Deutschland so sehr vermisste und auf das ich mich total freute. Essen konnte man in der Küche auf zwei Barhockern, die an dem dazu gehörigen Tisch standen.
Meine vorletzte Station war das Wohnzimmer, das sogar noch größer als das Bad war. Als erstes fiel mir der riesige Kronleuchter an der Decke auf, der den Raum mit Licht förmlich zu überfluten schien, wenn man den Lichtschalter betätigte. An einer der Wände prangte ein riesiger Plasmafernseher, unter dem Lowboards standen. Mein Blick glitt darüber und ich erkannte, dass es zu dem Fernseher 3D Brillen gab.
Kopfschüttelnd wandte ich mich schließlich dem Rest des Raumes zu. Mit 3D konnte ich nämlich gar nichts anfangen, da ich mich auch schon mit einem uralten Röhrenfernseher zufrieden gab. Nun ja, ich war hier um Urlaub zu machen und wenn schon die anderen Zimmer eine höhere Ausstattung hatten, warum auch nicht dieses hier?
Daher wunderte ich mich erst gar nicht mehr darüber, sondern sah zu der Wand gegenüber, an der eine graue Wohnlandschaft stand. Ich setzte mich kurz darauf und stellte fest, dass sie sehr weich war und wäre am liebsten gar nicht mehr aufgestanden, aber ich wollte unbedingt noch den Balkon sehen oder besser gesagt die Terrasse. Im Wohnzimmer gab es sonst eh nichts Besonderes mehr, nur den riesigen Glastisch, der vor der Wohnlandschaft war.
Als ich zu der Terrasse hinaus ging, zu der man nur durch das Wohnzimmer gelangte, kam ich mir wieder einmal vor wie im Himmel. Es gab einen kleinen Pool, an dem zwei Liegen waren, die zum Sonnen einluden. Direkt darüber konnte man einen Sonnenschirm spannen, wenn man lieber den Schatten bevorzugte.
Das war also das Apartment, in dem ich für ein oder zwei Tage leben würde. Wahnsinn! Und kaum war ich fertig mit meinen kleinen Rundgang, hörte ich auch schon, wie Jakob mich rief. Ups, ihn gab es ja auch noch! Das hatte ich fast vergessen und so begab ich mich rasch zurück in das Innere der Kleinwohnung.

 

Angekommen sah ich, wie sich sofort die Miene von Jake erhellte, als er mich erblickte. „Ach, hier bist du. Ich dachte schon, du seist weggelaufen“, machte er einen lockeren Scherz, woraufhin ich kichern musste. „Ich habe mir das Apartment angeschaut“, klärte ich ihn darüber auf, weshalb er mich nicht so schnell finden konnte.
Selbstverständlich wollte der Mann wissen, was ich davon hielt. „Es ist wunderbar, wobei du wissen sollst, dass ich mich auch mit einem einfachen Hotelzimmer zufrieden gegeben hätte“, gab ich ihm eine ehrliche Antwort, worüber er sich sichtlich freute. „Das ist schön, was haltest du davon, wenn wir uns die Gegend ansehen?“, schlug er mir vor, woraufhin ich sagte: „Super Idee, ich freue mich eh schon total auf den Strand. Ich packe nur noch schnell eine kleine Tasche und dann kann es losgehen“.
Schon wollte ich Richtung Küche gehen, doch Jakob hielt mich sanft am Arm fest. „Das dachte ich mir schon und daher habe ich bereits etwas gepackt“, wies er mich lächelnd darauf hin, dass er mir bereits zuvorgekommen war. Dafür lobte ich ihn auch, jedoch musste ich trotzdem noch in mein Zimmer, um mir meinen Bikini anzuziehen. Das wollte ich nicht unbedingt vor ihm machen, da ich mir noch immer nicht ganz sicher war, was er nun von mir wollte oder ob er etwas mit dem Trip hier bezweckte.
Zehn Minuten später gingen wir am Strand entlang. Das Outfit von Jakob hatte sich nicht sehr verändert. Bis auf die schwarzen Badelatschen und der schwarz-weiß karierten Schwimmshorts trug er immer noch dasselbe. „Ist schwarz deine Lieblingsfarbe?“, fragte ich daher. Er antwortete mir: „Ja, aber ich finde auch weinrot sehr schön“.
Das erinnerte mich an Rotwein und schließlich daran, wie ich vor ihm angetrunken war. „Hast du vielleicht nachher noch Lust auf ein Eis? Ich kenne hier eine sehr gute Eisdiele, die würde ich dir schon mal sehr gerne zeigen“, lud er mich dazu ein, mit ihm Eisessen zu gehen. Ich erinnerte mich an den Traum von vor einigen Wochen, in dem ich genau das mit ihm getan hatte, bevor ich ihm meine Liebe gestanden hatte und schließlich in seine Falle getappt war, woraufhin ich mir das Leben genommen hatte.
Ein leichter kalter Schauer rann mir über den Rücken. Es schüttelte mich etwas. Sofort schaltete sich Jake ein. „Ist dir bei dreißig Grad kalt?“, wollte er von mir wissen. „Nein nein, ich habe nur an etwas gedacht“, winkte ich sofort ab. Bevor er aber danach fragen konnte, meinte ich: „Zu der Idee mit dem Eisessen sage ich natürlich nein“. „Sehr gut“, sagte Jakob erfreut, was mich leise erleichtert aufatmen ließ.
Eine Weile blieben wir am Strand und schwammen sogar noch im Meer, bis die Sonne schließlich den Himmel orange färbte. Schon bald würde die Nacht anbrechen und bis dahin wollte ich in dem Apartment sein. Zuvor gingen wir aber noch in die besagte Eisdiele, die Jake so sehr mochte. Ich wurde wirklich nicht enttäuscht. Das Eis schmeckte dort so lecker, dass ich mir sogar noch ein zweites bestellt hatte.
Abends kamen wir dann leicht erschöpft in unserer Kleinwohnung an. Natürlich hatte ich mich noch in die vielen Läden, die am Strang gewesen waren, umgesehen. Die Geburtstagsgeschenke für Fabrizia hatte ich nämlich nicht vergessen. Ich war so groggy von dem heutigen Tag, dass ich sofort in mein Bett fiel, nachdem ich meinem Mitbewohner noch eine gute Nacht gewünscht hatte.

 

Der nächste Morgen brach an. Kaum hatte ich ein Auge aufgemacht, sprang ich schon fast aus meinem Bett. Nachdem ich mich rasch angezogen hatte, machte ich die Tür mit einem Ruck auf. Ich sah, wie sich Jakob die Augen rieb, was verdammt süß aussah. „Oh, habe ich dich etwa geweckt? Das tut mir leid“, begrüßte ich ihn. „Mh?“ machte er total verschlafen, woraufhin ich leicht schmunzelnd meinte: „Ach, egal. Ich mache uns Frühstück“.
Schon war ich davon gelaufen. Das Zubereiten ging ziemlich fix und auch Jakob ließ nicht lange auf sich warten. „Na? Bist du jetzt richtig wach?“, fragte ich ihn und musste grinsen. „Es geht schon, aber wir wollen ja nicht allzu spät beim Rennen da sein. Außerdem dürfen wir uns vorab in der Boxengasse umsehen“, sagte er, was mich freudig aufschreien ließ.
Es dauerte nicht lange, bis wir endlich dort waren, wo ich schon so lange sein wollte. Mit unseren VIP-Tickets bekamen wir einen Pass um den Hals gehängt, der es uns so vieles ermöglichte. Dazu gehörte die Autos vom Nahen zu betrachten oder den Mitarbeitern beim Arbeiten zuzusehen und so vieles mehr. Wir hatten sogar manchmal Glück und konnten mit einigen Fahrern kurz reden.
Das war wirklich super und das Rennen erst! Als ich die Motoren das erste Mal live hörte, war es für mich so, als ob ich ganz weit weg von dieser Welt wäre und das obwohl es schon ziemlich laut in der Boxengasse war. Wann immer ich die Autos über die Start-Ziel-Gerade donnern hörte, waren sie für mich keine Rennautos mehr, sondern welche, die sich gegenseitig jagten.
Nico Rosberg war von der Pole Position gestartet, der das Rennen auch vor Sebastian Vettel und Mark Webber gewann. Das Rennen war also ein voller Erfolg für die beiden deutschen Fahrer gewesen, was mich sehr freute. Ich freute mich besonders für den Gewinner, da es erst sein zweites Rennen gewesen war, dass er gewonnen hatte.
Jakob und ich blieben noch eine ganze Weile, bis auch wir uns auf dem Weg zurück ins Apartment machten. Dabei kam ich gar nicht mehr aus dem Strahlen heraus. „Ich habe Autogramme von meinen Lieblingen, hihi“, trällerte ich wie ein kleines Kind vor mich hin, was Jake hin und wieder leicht genervt die Lust aufatmen ließ. Aber hey: Wer konnte schon von sich behaupten, von Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg und Kimi Räikkönen ein Autogramm sowie ein gemeinsames Bild mit dem jeweiligen Fahrer zu haben?

Heartbreaker

„Das Rennen war doch echt toll, oder?“, fragte ich Jakob, als wir in unserem Apartment ankamen. Dieser antwortete matt: „Oh ja, vor allem die Fahrer“. Wie kam er denn nun darauf? Ich fragte lieber nicht nach. Vermutlich meinte er es nicht so ernst wie er geklungen hatte. Warum auch? Schließlich war er ebenfalls ein Fan von Formel 1 und wie ich auch während des Rennens erfahren hatte, feuerte er auch gerne Sebastian Vettel an.
„Nun ja, hast du jetzt noch etwas geplant oder fliegen wir schon zurück nach Deutschland?“, wollte ich lieber von Jake wissen, anstatt auf seine vorherigen Worte einzugehen. Er meinte: „Gut, dass du das erwähnst. Ich habe für heute Abend auf jeden Fall geplant, dich in ein Restaurant auszuführen. Da ich einen Tisch für halb neun reserviert habe und wir somit noch drei Stunden haben, kannst du ruhig entscheiden, was wir mit der restlichen Zeit machen“.
Das fand ich zwar alles schön und gut, doch beantwortete es mir nicht die Frage, wann der Rückflug gehen würde. Außerdem fiel mir noch etwas anderes ein. „Oh, äh ich habe aber leider nichts Schickes eingepackt“, warf ich in den Raum, woraufhin Jakob triumphierend lächelte. Was würde denn jetzt kommen? „Das habe ich mir schon gedacht und daher habe ich dir einige Kleider gekauft. Du kannst sie dir ja gerne mal ansehen, vielleicht gefällt dir eins und dann hättest du auch etwas zum Anziehen“, sagte er wieder ganz ruhig.
Wow, das hätte ich ihm wirklich nicht zugetraut! Nur stellte sich mir jetzt die Frage, was für Kleider er gekauft hatte. Ich würde mich bestimmt nicht in einem Fummel begeben, bei dem man fast alles von meinem Körper sah. Und da er nun mal leichte Frauen bevorzugte, bezweifelte ich, dass mir auch nur ein einziger gefallen würde.
Trotzdem wollte ich ihm eine Chance geben und bat ihn daher, mir seine gekaufte Ware zu zeigen. Nachdem er mir sie übergeben hatte, ließ er mich allein. Er wolle sich überraschen lassen, hatte er mit einem kessen Augenzwinkern gemeint.
Nun war ich also alleine in meinem Zimmer mit einem beachtlichen Haufen an Kleidern. Ich fing damit an, die Kleidungsstücke, die mich schon optisch nicht ansprachen, auszusortieren. Weiß behagte mir schon einmal gar nicht, da hatte ich immer Angst, dass man etwas durchsehen konnte. Auch mit Braun oder Grau konnte ich nichts anfangen, es war so gut wie Sommer und da hatten solche tristen Farben einfach nichts zu suchen.
Nach einer Weile hatte ich die meisten Klamotten in den entsprechenden Tüten, in denen sie mir Jakob gebracht hatte, gelegt. Mein Augenmerk fiel bei den übrig geblieben Teilen auf ein Türkises. Immerhin war das nach Rot meine Lieblingsfarbe und da ich zufälligerweise auch noch Ballerinas in der Farbe dabei hatte, entschied ich ich dann vorzeitig für das Kleid.
Es ging mir gut bis zu den Knien, hatte keine Träger und die schwarze Schleife an der Taille sah einfach nur zu süß aus! Das Kleid wirkte daher auf keinen Fall billig, obwohl es sehr schlicht war. Meine Wahl gefiel mir ziemlich gut und ich fragte mich, was Jakob zu meinem Outfit später sagen würde. Da er mir aber angeboten hatte, dass wir noch vorher etwas machen könnten, ging ich zu ihm.

 

Vorsichtig ging ich aus meinem Schlafzimmer und sah, wie er auf seinem Bett entspannte. Er trug Kopfhörer in – wer hätte das gedacht – weinroter Farbe. Der Mann hatte also nicht gelogen, dass er die Farbe mochte. Die Augen hatte er geschlossen. Sollte ich mich einfach zu ihm setzen oder ihn anstupsen? Ich wusste nicht, was ich machen sollte.
Unschlüssig ging ich in seinem Zimmer auf und ab, dass er mich dabei beobachtete kam mir erst gar nicht in den Sinn. Erst als ich seine Stimme hörte, zuckte ich zusammen. „Was machst du denn hier? Bist du etwa schon fertig mit deiner Wahl?“, fragte er mich, woraufhin ich auf sein Bett stolperte.
Na, das hatte ich mal wieder super gemacht! Warum musste ich auch so tollpatschig sein? Eines Tages würde er noch denken, dass ich das immer mit Absicht machte! „Sorry, ähm, ja. Und ich dachte mir, dass wir wieder zum Strand gehen könnten? Natürlich nur, wenn du willst“, stammelte ich, was ihn zum Schmunzeln brachte. „Klar, sehr gerne“, ging er sogar auf meinen Vorschlag ein und stand auf, während ich mich überhaupt nicht rührte.
Erst als ich seine eine Hand sah, die er mir ausstreckte, wurde mir klar, dass ich noch immer auf seinem Bett saß. „Kommst du?“, fragte er mich lächelnd und ich nahm seine Hand schließlich an. Mit einem Ruck zog er mich hoch, wobei ich gegen ihn stieß. Ich sog scharf die Luft ein und war dabei mich zu entschuldigen, obwohl es seine Schuld gewesen war, doch Jakob meinte: „Dir scheint ganz schön heiß zu sein“.
Pah, dachte ich mir, von wegen! Du bist heiß und zwar wahnsinnig heiß. Spontan beschloss ich, ihn zu necken, indem ich sagte: „Ist ja auch kein Wunder, draußen sind auch dreißig Grad“. Seine Mundwinkel zuckten, bis ihm schließlich doch seine Gesichtszüge entglitten. „Natürlich“, bemerkte er überaus ironisch, was mich zum Lachen brachte.
Er stimmte mit ein und mit bester Laune gingen wir zum Strand, an dem noch immer viele Leute waren. Trotzdem konnten Jakob und ich einen guten Platz erwischen, der relativ nah am Wasser war. „Kannst du mir bitte den Rücken eincremen?“, bat ich ihn und hielt eine Flasche Sonnenmilch in der Hand.
Der Blonde, der es sich mit einem Handtuch neben mir bequem gemacht hatte, sah mich sehr überrascht an. „Ich soll was?“, fragte er völlig verdattert, was mich etwas erröten ließ. „Ähm, mir den Rücken eincremen. Nicht mehr und nicht weniger“, antwortete ich ihm leicht stammelnd und hoffte, dass er nicht bemerkte, wie nervös er mich mit seiner Reaktion gemacht hatte.

 

Jakob stand schließlich auf und setzte sich neben mich. Dann nahm er die Sonnenmilch und ließ einige Tropfen davon auf meinen Rücken aufkommen. Für mich war das eine angenehme Kühlung, da mir die Hitze doch ein wenig zu Schaffen machte. Sanft glitten die Hände von dem Mann, den ich liebte über mein Kreuz, was mich wohlig aufseufzen ließ.
Oh ja, das machte er verdammt gut! Damit nicht genug, er massierte mich sogar. Dabei hatte ich keineswegs das Gefühl, als wolle er mir auf die Pelle rücken. Immerhin saß er neben mir und nicht auf meinem Po. „Das scheint dir richtig gut zu tun“, bemerkte Jake, woraufhin ich meinte: „Da gibt es auch nichts dran auszusetzen. Ehrlich mal, du solltest Masseur werden“.
Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle, was sich unheimlich sexy anhörte. „Wenn du möchtest, kann ich gerne dein Privatmasseur werden“, bot er mir noch immer lachend an, was mich schon fast zum Glühen brachte. Wie gerne hätte ich dem zugestimmt, doch ich erwiderte: „Du Scherzkeks, soll das etwa eine Anmache sein?“.
Einen kurzen Moment hielt der Blonde inne, eh er leicht abwesend murmelte: „Nein … natürlich nicht“. Enttäuschung machte sich in mir breit. Hatte er etwa völlig das Interesse an mir verloren? Vorher wollte er mich wenigstens flachlegen, doch jetzt? Jetzt war ich ihm nicht einmal das Wert, also gar nichts mehr.
Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Was hatte ich mir auch dabei gedacht, ihn danach zu fragen, ob er mich massieren könnte? Das war ein Schuss in den Ofen gewesen. Ich wusste nicht, wie ich auf seine vorherigen Worte reagieren sollte. „Wobei du auf jeden Fall eine Augenweide bist, so wunderschön wie du bist“, hörte ich Jakob sagen und hatte das Gefühl, dass er meine Gedanken gelesen hatte.
Das wollte ich nicht wahr haben, es war geradezu absurd. „Ehm, danke“, sagte ich daher leise und versuchte zu entspannen. Sofern das überhaupt möglich war. „Bitte, immer wieder gerne“, meinte Jake nur. Dabei wirkte er völlig normal, er schien also nicht bemerkt zu haben, dass sich meine Gedanken förmlich überschlugen.
Daher bohrte ich auch nicht weiter über seine Bemerkung nach, dass er mich nicht anbaggerte. Was bildete ich mir überhaupt ein? Schon allein daran merkte ich, dass ich eine Gefangene meiner eigenen Gefühle war oder noch besser: Eine Gefangene der Liebe, geradezu eine Sklavin, die nichts dagegen tun konnte.

 

Eine gefühlte Ewigkeit später, obwohl es eine beachtliche halbe Stunde war, beendete Jakob seine Massage. Danach kam ich mir wie neugeboren vor. Die Entspannung hatte mir wirklich gut getan, was ich ihm auch sagte. „Das freut mich“, ließ er mich mit einem stolzen Grinsen, welches er versuchte zu verstecken, wissen. „Auf ins Wasser!“, meinte ich voller Vorfreude und rannte auch schon zum Meer.
Das ließ sich Jake nicht zwei mal sagen, denn er griff nach meinem Handgelenk und schliff mich schon fast ins Wasser, da er sprintete. „Hey, immer schön mit der Ruhe, ich laufe dir schon nicht weg“, sagte ich lachend und beschleunigte mein Tempo. Puh! Es war schon etwas schwer, mit ihm mitzuhalten.
Als er schließlich in das kühle Nass ankam, nahm er mich auf seinen starken Armen und war im Begriff, mich loszulassen, doch ich machte ihm einen gehörigen Strich um die Rechnung. Ich schlang meine Arm noch enger an seinem Hals und zog ihn zu mich heran. Das war zwar eine unfaire Taktik, doch war mir einfach danach.
Vorsichtig drückte ich meine Lippen an seine und bat ihm um Einlass mit meiner Zunge. Mein Plan funktionierte, er hielt mich noch stärker fest, doch am meisten freute ich mich darüber, dass er mir Einlass gewährte. Wir – ich meinte Jakob und ich – vertieften unseren Kuss immer mehr und das obwohl wir in aller Öffentlichkeit waren.
Das interessierte aber niemanden, weder Jake noch mich. „Du machst mich echt noch fertig“, hauchte der Mann, als wir eine kurze Pause einlegten. Sanft knabberte ich an seinen Lippen, was ihn ein leises Stöhnen entlockte. Meine Güte, er hörte sich verdammt sexy dabei an! In diesem Moment fand ich die Liebe einfach nur wunderschön.
Für mich fühlte es sich an, als ob man all meine Sorgen mit einem Mal wegwischen würde. Ich war glücklich. Glücklicher denn je. Selbst als Jake und ich aufhörten uns zu küssen, strahlte ich über das ganze Gesicht. Mir tat es wirklich gut, dass ich mich so gut mit ihm verstand. War auch nicht sehr verwunderlich, da sich jeder wünschte, ein gutes Verhältnis zu dem Menschen, den man liebte, zu haben.
Jener Mann, dem ich mein Herz geschenkt hatte, ohne dass dieser davon wusste, setzte mich schließlich in das kühle Wasser, welches mir bis zu den Knien ging, ab und strich mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Keiner von uns sagte etwas, was vermutlich daran lag, dass jeder seinen eigenen Gedanken hinterher hing.
Jakob schwamm in dem seichten Wasser mit so einer Eleganz, dass ich mich nicht von der Stelle rühren konnte. Er faszinierte mich immer mehr. Glücklicherweise schien er aber von all dem nichts zu bemerken. Ich gab auch mein Bestes, dass er erst gar nicht dahinter kam. Irgendwann konnte ich mich schließlich dann doch von meiner Starre lösen und tauchte in das kühle Nass ein.

 

„Ich würde vorschlagen, dass wir uns auf dem Weg zu unserem Apartment machen. Es ist schon spät und wir möchten ja beide pünktlich sein“, meinte Jakob irgendwann, als wir uns auf unseren Handtüchern sonnten, nachdem wir aus dem Wasser gegangen waren. Neugierig fragte ich: „Was hast du überhaupt mit mir vor? Ist das wirklich nur ein Essen in einem Restaurant?“.
Als ob Jake die ganze Zeit nur auf diese Frage gewartet hätte, lächelte er mich mit einem Mal unglaublich geheimnisvoll an und antwortete: „Das wirst du schon noch sehen“. Ich schmollte und wir packten schließlich unsere Sachen zusammen. Innerlich war ich aufgeregt wie eh und je, doch wollte ich mir nichts anmerken lassen.
Im Apartment gönnten Jakob und ich uns erst einmal nacheinander eine Dusche. Er ließ mir sogar den Vortritt, obwohl ich ihn gar nicht darum gebeten hatte. Dafür beeilte ich mich umso mehr und war nach einer halben Stunde fertig. Mich schminken konnte ich auch in meinem Zimmer, wobei ich das sein lassen ließ.
Wer mich ohne Schminke nicht wollte, verdiente mich auch nicht mit. So einfach war das. Mit einem Blick auf meinem Handy stellte ich fest, dass ich noch eine gute Stunde hatte. Jake hatte mir nämlich gesagt, dass er um Punkt zwanzig Uhr los machen wollte. Bis dahin würden meine Haare schon längst getrocknet sein. Daher schmierte ich meinen Körper mit Creme, die nach Erdbeere roch, ein.
Danach legte ich mich auf mein Bett und grübelte. Ich konnte mir nach wie vor nicht vorstellen, was mich erwartete. Anderseits musste es doch etwas Wichtiges sein, da Jakob mir eine große Auswahl an Kleidern überlassen hatte. Davon wirkte keines billig, was mich noch immer wunderte. Ich hatte mich zwar für ein Türkises entschieden, aber die anderen trotzdem genauer unter die Lupe genommen. Selbst der Stoff schien ziemlich edel zu sein.
Was auch immer Jake vorhatte, ich war vorbereitet. Zumindest was das Outfit betraf. Dennoch wuchs meine Aufregung und schon bald war ich in das Kleid geschlüpft. Meine Haare ließ ich offen, wobei ich mir aber eine Haarspange ins Haar steckte. Es war eine offene Hibiskusblüte, die – wer hätte das gedacht – türkisfarben war.
Als ich fertig war, sah ich erneut auf mein Handy. Mich traf schon fast der Schlag, als ich feststellen musste, dass es bereits viertel vor acht war. Hatte ich mir wirklich so viel Zeit gelassen mit dem Nachdenken und Zurechtmachen? Ich beschloss kurzerhand, mich in den Flur zu begeben. So war ich pünktlich und brauchte keine Angst haben, dass ich die Zeit vergaß.

 

Aufgeregt wie eh und je wartete ich schließlich auf Jakob. Ich ging auf und ab, da ich einfach keine Ruhe finden konnte. Wie denn auch, wenn mich etwas Ungewisses erwartete? Zudem fragte ich mich, was Jake zu meinen Outfit sagen würde. „Türkis also. Steht dir ausgezeichnet“, vernahm ich die Stimme von ihm, die sich förmlich zu überschlugen schien.
Mit einem Ruck drehte ich mich erstaunt um. Im Bruchteil von weniger als einer Sekunde weiteten sich meine Pupillen. Verdammt, er sah einfach nur fantastisch aus! Er trug einen schwarzen Anzug mit Nadelstreifen, der mich ziemlich sehr an den von Tizian erinnerte. Darunter erkannte ich ein blütenweißes Hemd.
Am Meisten verwundert war ich aber über die Tatsache, dass er seine Haare nicht gegellt hatte. Sie fielen ihm locker in das Gesicht, was ihn aber keineswegs kindlicher aussehen ließ. Er wirkte dadurch eher … weicher, viel weicher und vor allem sympathisch. „Du siehst aber auch sehr gut aus“, machte ich ihm ebenfalls ein Kompliment, was er mit einem zaghaften Lächeln zur Kenntnis nahm.
Er fuhr sich mit der Hand durch seine Frisur und meinte: „Danke, ich dachte mir, dass das mal etwas anderes ist“. Dabei klang er ziemlich verunsichert, was bei seiner sonst so spritzigen Art sehr süß war. „Allerdings“, stand ich ihm bei, woraufhin er sagte: „Dann lass uns mal gehen“. Schon hielt er mir die Tür, die aus unserem Apartment führte, auf.
Jakob und ich gingen schließlich aus dem Hotel, wo uns die Abendluft etwas Kühlung spendete, wobei es noch immer recht warm war. Im Vergleich zum Tag war das aber eine super Abwechslung. Der Blonde führte mich schließlich an einige Häuser entlang, doch plötzlich blieb er vor einem großen Gebäude stehen.
Ehe ich etwas sagen konnte, meinte er: „Es ist zwar nichts Neues, aber ich dachte mir, dass ich dich in ein schickes Restaurant ausführe“. Das war also seine Überraschung? Ich war in der Tat sehr überrascht, denn von außen sah dieses hier sehr edel aus, ließ mir das aber nicht zu sehr anmerken. „Das ist sehr lieb von dir, vielen Dank“, sagte ich und ging als Erste durch die riesige Eingangstür, die mir schon einen kleinen Einblick in das Innere des Hauses gewährte.
Kaum hatten wir das riesige Restaurant betreten, kam auch schon ein Kellner auf uns zu, der mir ein nettes Lächeln schenkte und uns begrüßte. Danach führte er uns zu unserem Tisch und übergab uns die Karten. „Wer die Wahl hat, hat die Qual“, murmelte ich vor mich hin, da es so viele Gerichte gab, die mich in Entscheidungsnot brachten. „Wir könnten uns eine Sushi-Platte teilen“, schlug Jakob mir vor, worauf ich dankend einging. Dazu bestellte er Champagner.
Glücklich lehnte ich mich zurück und sah mich um. Ja, der Saal, in dem wir schon bald speisen würden, sah wirklich edel aus. Der Boden war dunkelblau, wohingegen die Wände in ein elegantes Weinrot gehalten wurden. Das wunderte mich auch nicht weiter, denn wie ich in der Zwischenzeit bemerkt hatte, handelte es sich hier um ein asiatisches Restaurant.
An den Seiten standen immer wieder mächtige Säulen oder Figuren. Die mit den Drachen gefielen mir eindeutig am Besten. In der Mitte des Restaurants gab es sogar einen kleinen Teich, in dem man ab und zu Fische schwimmen sehen konnte, wenn man ein bisschen Geduld besaß. „Schön, oder?“, riss mich Jakob aus meinen Gedanken. „Wunderschön“, hauchte ich völlig fasziniert und horchte im nächsten Moment auf. „Mag sein, doch all das ist nicht einmal annähernd so wunderschön wie du“, flüsterte Jake und sah mir dabei genau in die Augen.

 

Bevor ich aber auch nur ein Wort dazu sagen konnte, kam ein fremder Mann auf uns zu. Dieser sagte zu mir: „Was für ein schönes Kleid Sie doch haben und wie gut es Ihnen schmeichelt. Sie sind mir sofort aufgefallen, als Sie das Restaurant betreten haben“. Perplex starrte ich ihn an. Da ich nicht so genau wusste, was ich tun sollte, räusperte ich mich etwas und meinte etwas schüchtern: „Ehm, danke für das Kompliment. Fragen Sie doch meine Begleitung, er hat mir das Kleid besorgt“.
Leider Gottes funktionierte mein Ablenkungsmanöver nicht, denn er würdigte Jakob keines Blickes, der den dunkelhaarigen Unbekannten finster anstarrte. „Was halten Sie davon, wenn wir an die Bar gehen?“, wollte er doch tatsächlich von mir wissen, woraufhin ich ihn etwas empört ansah. Manche Männer hatten überhaupt keine Manieren!
Glücklicherweise kam mir aber blitzschnell eine Idee. Ich legte eine Hand auf die von Jake, der gar nicht wusste wie ihm geschah. Das erkannte ich daran, dass er ungläubig auf unsere Hände, die nun übereinander waren, sah. Dann meinte ich: „Tut mir ja sehr leid, aber ich bin bereits an einen Mann vergeben und daher interessieren mich andere Männer nicht“.
Ich atmete erleichtert aus, als der Fremde schließlich enttäuscht abzog. Wie ich sogar sehen konnte, machte ihm eine Frau – ich vermutete sie waren ein Paar oder sogar verheiratet – eine große Szene. „Danke und entschuldige vielmals, dass ich dich da mit hinein gezogen habe“, wandte ich mich nach einem letzten Blick an Jake, der noch immer auf den Tisch sah.
Erst da wurde mir klar, dass wir uns nach wie vor berührten. Sofort spürte ich, wie mir die Hitze in das Gesicht schoss und zog meine Hand rasch zurück. „Und dafür entschuldige ich mich natürlich auch“, druckste ich unsicher und war sehr froh, als ich sah, dass der Kellner, der unsere Bestellung aufgenommen hatte, auf uns zu kam.
Das Gespräch von Jakob und mir hatte erst einmal ein Ende gefunden. Wir widmeten uns lieber dem Essen und ich musste zugeben, dass das Sushi hier ausgezeichnet schmeckte. Es gab nichts daran auszusetzen, überhaupt gar nichts. Dasselbe galt für den Champagner. „Ich glaube, da möchte noch jemand mit dir reden“, sagte Jakob plötzlich, woraufhin ich den Kopf von meinem Essen hob. In der Tat, ein weiterer Mann kam auf mich zu. Was er wohl wollte?

 

Mein Blick lag nach wie vor auf den Neuankömmling, der mich siegessicher ansah. Er kam mir sogar bekannt vor. Ich war mir verdammt sicher, dass ich diese dunklen Haare schon einmal gesehen hatte. Nur wo?
„Guten Abend, die hübsche Dame. Hätten Sie vielleicht Lust, mit mir in den Tanzbereich zu gehen?“, fragte mich dieser, woraufhin ich Jake verwirrt ansah. Dieser meinte dann: „Nein, hat sie nicht“. „Das haben Sie zu entscheiden?“, wollte der Unbekannte doch wirklich von ihm wissen. „Gewiss, denn immerhin bin ich es, der die liebliche Dame zum Essen ausführt. Außerdem wollte ich danach mit ihr tanzen gehen und sonst niemand“, zischte Jakob süffisant.
Dem Fremden schien ein Licht aufzugehen. Sichtlich entgeistert wollte er von Jake wissen: „Ach, haben Sie überall auf dem Parkett rote Tulpen verteilt und den Tanzbereich sperren lassen, Herr Di Izmir?“. „Vielen Dank, dass Sie meine Überraschung zunichte gemacht haben! In der Tat wollte ich meiner bezaubernden Begleitung etwas Gutes tun“, fluchte der Mann, den ich liebte.
Was hatte er gesagt? Er … er hatte sich wirklich so viel Mühe für den Abend gegeben?“. „Zeig mir trotzdem, was du für mich vorbereitet hast. Bitte“, hauchte ich beinahe atemlos und richtete mich auf. Sofort sahen beide Männer zu mir. „Jetzt weißt du doch eh schon, was ich für dich geplant habe“, maulte Jakob, doch ich stand schließlich auf und packte ihm am Handgelenk.
Eigentlich eine ganz lustige Szene, wenn man daran dachte, dass eigentlich er es war, der mich stets hinter sich hergezogen hatte. „Du führst mich jetzt sofort zum Tanz!“, bestand ich eisern darauf und wandte mich an dem Fremden. „Und was Sie betrifft, vergessen Sie es. Ich bin hier mit Jakob und sonst niemandem“. „Frau De Lorenzi, Ihnen ist schon klar, dass er bekannt ist für seine zahlreichen Affären? Denken Sie im Ernst, dass er da für Sie eine Ausnahme macht?“, fragte mich der Fremde, was mich sichtlich wütend machte.
Nachdem ich ganz tief Luft geholt hatte, keifte ich ungehalten: „Hätten Sie vielleicht die Güte und würden mich sowie Jake in Ruhe lassen? Sie haben doch eh keine Ahnung!“. Entgeistert starrten die Männer mich erneut an. „Ihnen ist echt nicht zu helfen“, murmelte der Unbekannte mit bedenklich laut knirschenden Zähnen, was ich gekonnt ignorierte. Immerhin hatte er sich von Jakob und mir abgewandt. Endlich hatten wir unsere Ruhe vor dem unverschämten Mann.
Noch immer leicht durch den Wind stampfte ich durch das Restaurant, Jake dagegen war ziemlich ruhig. Viel zu ruhig für meinen Geschmack. Mittlerweile hatte ich ihn auch losgelassen. Ich kam mir dann doch etwas komisch vor, wenn ich ihn hinter mich her zog. „Wir … ich meine du und ich müssen durch die Tür“, hörte ich ihn leise sagen. Was war denn mit dem auf einmal los?
Gespannt ging ich ihm hinterher. Mir war nicht entgangen, dass er uns zuerst als Eins betitelt hatte. Mein Herz schlug höher als gewohnt. Er schaffte es immer wieder mit nur wenigen Worten, mich dermaßen aus dem Konzept zu bringen, sodass ich große Mühe hatte, mich neu zu ordnen.

 

Als ich mich endlich wieder einigermaßen beruhigt hatte, stockte mir der Atem. In der Zwischenzeit war Jakob nämlich neben mich getreten, um mir den Vortritt zu überlassen. Kaum hatte ich die Tür aufgemacht, sah ich wahrhaftig die beste Überraschung, die mir je gemacht wurde. Anscheinend lag es ihm im Blut, sich wieder und wieder selbst zu übertreffen.
Mit zittrigen Knien betrachtete ich das Werk von ihm. Vor mir sah ich ein Blumenmeer aus roten Tulpen, nur in dem Zentrum des Raumes war der Boden zu sehen und auf dem Weg, der dorthin führte. Zudem waren an den weinroten Wänden Kerzen angebracht worden, die den Raum in ein seichtes Licht tauchten.
Es war … unglaublich und wunderschön. Ganz langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Dabei drehte ich mich immer wieder um mich selbst. „Wow, ich … ich bin echt überwältigt. Das hat noch nie jemand für mich getan“, hauchte ich beinahe atemlos, was Jakob mit einem kleinen Lächeln zur Kenntnis nahm.
Zwar wunderte ich mich nach wie vor über sein skurriles Verhalten, doch war ich in diesem Moment zu überrascht von dem, was sich mir hier bot. Ich hielt ihm eine Hand hin, woraufhin er mich verwundert ansah. „Na los, ich möchte tanzen. Das hattest du doch vor, oder nicht?“, meinte ich, doch Jake zuckte nur mit den Schultern.
Ein Räuspern ließ mich erschrocken herumfahren. An der Tür stand doch tatsächlich einer der beiden Kerle, denen ich zuvor eine Abfuhr erteilt hatte! „Was machen Sie denn hier?“, wollte ich total verdutzt wissen. Es war der zweite Mann, der total hartnäckig gewesen war. Er antwortete mir mit einem triumphierenden Lächeln: „Wenn Ihre Begleitung nicht tanzen möchte, dann tanzen Sie doch mit mir“, bot er mir an.
Am Liebsten wäre ich ausgerastet. Ehrlich mal, was erlaubte er sich? „Ich sagte bereits nein und dabei bleibe ich“, erwiderte ich gefährlich ruhig, was auch Jakob eindeutig verstehen konnte. Er kannte mich eben besser als der Typ an der Tür. „Hören Sie, ich würde vorschlagen, Sie lassen Giulia endlich mal in Ruhe!“, zischte Jake.
Oha, anscheinend verlor auch er langsam die Geduld. „Wenn Sie nicht tanzen wollen, ist das Ihre eigene Schuld“, meinte der Unbekannte unverblümt. „Ganz bestimmt nicht, Tommy“, sagte Jakob. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen! „Sie?“, fragte ich völlig verdattert, woraufhin er sich zu erkennen gab.
„Sie haben ganz schön lange gebraucht, um mich zu erkennen“, kommentierte der Fremde, nein Tommy, überaus unverschämt meine Reaktion. Was machte er überhaupt hier? Ich dachte, er sei nur ein einfacher Kellner? „Ich lasse euch dann mal alleine“, schaltete sich plötzlich Jake ein und war im Begriff zu gehen.

 

War das sein Ernst? Er wollte einfach so gehen? „Sag mal, spinnst du?“, schrie ich ihn hinter her, woraufhin er sich umdrehte. „Warum sollte ich? Du hast doch einen anderen Typen, mit dem du dich vergnügen kannst“, entgegnete Jake monoton. Mit schnellen Schritten hatte ihn eingeholt. „Was redest du da für einen Unsinn?“, fragte ich beinahe schluchzend und holte mit meiner Hand aus.
Manche Dinge änderten sich einfach nie. Das hatte ich soeben gemerkt. Jakob sah mich nämlich mit geweiteten Pupillen an. „Sorry, aber die hast du dir gerade echt verdient. Ehrlich mal, als ob ich mit einem anderen Mann mitgehe“, sah ich meinen Fehler sofort ein, musste ihn aber gleichzeitig eines Besseren belehren und richtete mein Wort an Tommy, der uns regungslos ansah: „Ich werde nie mit Ihnen essen oder tanzen gehen, verstanden? Lassen Sie mich endgültig in Ruhe, sonst sehe ich mich gezwungen, die Polizei zu alarmieren“.
Das setzte. Der Dunkelhaarige nuschelte irgendetwas von einer Entschuldigung und verließ sofort den Raum. „Pass doch auf die wunderschönen Blumen auf!“, ermahnte ich ihn, doch er hörte nicht auf mich. Kaum war er weg, widmete ich mich wieder Jakob. „Der Abend war bis auf die nervigen Kerle wunderschön. Möchtest du wirklich nicht mehr tanzen?“, fragte ich leise.
Seine Reaktion war sehr ernüchternd. Er schüttelte heftig mit dem Kopf. „Lass uns gehen“, schlug er mit eiskalter Stimme vor. „Aber...“, setzte ich an, doch er unterbrach mich überaus barsch: „Was ist denn noch? Möchtest du lieber wieder zu einem deiner Typen?“. „Wie bitte? Nein, ich wollte doch nur, dass du mir hilfst, die Tulpen aufzusammeln“, sagte ich total verdattert.
Daraufhin entgleisten die Gesichtszüge von Jakob total. Perplex starrte er abwechselnd von mir zu dem Blumenmeer. Dann bückte er sich und fing an, die ersten Tulpen in die Hand zu nehmen. „Was willst du damit überhaupt?“, wollte er von mir wissen. Ich antwortete ihm: „Na, ich nehme sie mit, was denkst du denn? Du hast dir solche Mühe gegeben, das lasse ich bestimmt nicht so einfach stehen. Ich werde sie in der WG mit Justin schön verteilen“.
Sichtlich erstaunt hielt er inne. Bis ich ihn jedoch nach dem Grund fragen konnte, widmete er sich wieder den Blumen. Ich beließ es einfach dabei. Jakob signalisierte mir nur zu deutlich, dass er gerade nicht reden mochte. Nach gut zehn Minuten waren wir fertig damit. Nachdem wir im Restaurant nach Tüten fragen, legten wir das Grünzeug sorgfältig hinein.

 

Weitere Minuten verstrichen, bis wir schließlich in unserem Apartment ankamen. Ich bedankte mich bei Jakob für den schönen Abend und gab ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange, was er mit einem wohligen Seufzen quittierte. Dann verschwand ich auch schon in meinem Zimmer.
Natürlich dachte ich an den ganzen Tag zurück, an dem ich so viel erlebt hatte, wie schon lange nicht mehr. Erst das Rennen und dann schließlich das Essen. Zudem tat es mir sehr gut, dass ich mich mit Jake so gut verstand. Vielleicht kam er allmählich zur Vernunft. In meinem Kopf sah ich verschiedene Szenarien vor mir.
Wie er mir eine Liebesklärung machte, mich vor anderen Männern beschützte und und und. Am Liebsten hätte ich mir für diese Gedanken eine Ohrfeige nach der anderen verpasst. Verdammt! Warum musste ich auch so eine Träumerin sein? Ich konnte nur von Glück reden, dass ich schnell einschlief, da der Tag schon ziemlich anstrengend gewesen war.
Leider dauerte mein Schlaf nicht lange. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Mein Lächeln hatte ich aber behalten. Mir kam plötzlich ein Gedanke. Mich interessierte es brennend, wie Jake so schlief. Ob er eher ruhig schlief oder sich – so wie Tizian – panisch drehte. Als ich jedoch die Tür, die zu ihm führte, aufmachte, stockte mir der Atem.
Er schlief, jedoch nicht alleine. Er lag zwischen zwei Frauen, die sich an ihn schmiegten. Sie waren alle nackt. Splitternackt. Mein Herz zerbrach in tausende von blutenden Scherben. Ein dicker Kloß bildete sich in meinen Hals und ich merkte, wie mir glühend heiße Tränen über die Wangen rannen. Warum um alles in der Welt tat er mir das an, nachdem wir einen so tollen Tag gehabt hatten?
Mein Blick schweifte verschleiert über das Zimmer von Jakob. Ich konnte viele Flaschen, die einen erhöhten Gehalt von Alkohol besaßen, ausmachen und vor allem zerstreute Klamotten. Daraufhin drängte sich mir die Frage auf, seit wann die Frauen hier waren. Hatte er sie etwa auf sein Zimmer
bestellt, nachdem ich eingeschlafen war?
Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich war nicht fähig, diese auch nur annähernd zu ordnen. Nur mein Herz hämmerte wild gegen meinen Brustkorb. Ich legte eine Hand darauf und verschloss die Tür. Als ich das tat, glitt ich an ihr herunter und überließ meinen Tränen endgültig die Macht über mich.
Liebe war nie einfach. Nein, sie konnte einen ins Licht tragen oder einen verletzen. Letzteres war mir soeben widerfahren. Das war auch kein Wunder, immerhin war Jakob ein Herzensbrecher aus dem Bilderbuch. Und ich? Ich war nun nichts weiter als sein Spielzeug. Er machte mit mir, was er wollte. Ich konnte nur hoffen, dass er davon nichts ahnte. Denn dann war ich wirklich erledigt.

In The End

 Ich konnte es einfach nicht fassen. Was dachte sich Jakob dabei nur? Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Nur weil er sich bei mir entschuldigte, hieß das noch lange nicht, dass er es sein ließ, Frauen massenhaft das Herz zu brechen. Vermutlich hatte ich mich da gehörig in etwas verrannt und das, weil ich ihn liebte.
Aus diesen Gedanken heraus, schluchzte ich laut auf und hätte mich dafür am liebsten geohrfeigt. Was ist, wenn Jakob mich gehört hatte? Anderseits konnte ich das ausschließen, denn sonst hätte er mich schon vor ein paar Minuten bemerkt, als ich ihn mit den Frauen sehen musste. Wenn ich doch nur wüsste, was in ihm vorging! Das würde so Vieles einfacher machen.
Nur leider sah die Realität ganz anders aus. Sie war für mich leidvoll und das nur, weil ich mich in das größte Arschloch auf Erden verliebt hatte. Mein Kopf wusste nur allzu gut, dass die Gefühle für Jakob total sinnlos waren, doch mein Herz sehnte sich nach seiner Nähe. Jede einzelne Faser meines Körpers wollte diesen einen Mann und keinen anderen.
Es war auch meine eigene Schuld. Ich hatte von Anfang an gewusst, was für ein Mensch er doch war. Schon da hätte ich alle nötigen Vorkehrungen treffen sollen, um ihn auf Abstand zu halten. Leider Gottes hatte er sich aber immer mehr in meine Gedanken geschlichen, bis er mir schließlich mein Herz gestohlen hatte.
Vermutlich hätte ich mich sogar eher damit anfreunden können, mich in Justin oder Tizian verliebt zu haben, das wäre weniger leidvoll gewesen, da sie keine Arschlöcher waren. Ersterer vielleicht, aber ich kannte ihn gut und lange genug, um zu wissen, dass das alles nur eine Art Fassade war. Wenn Jus Menschen wirklich mochte, dann war er auch sehr nett zu ihnen.
Das konnte man von Jake wohl nicht behaupten. Wen mochte er schon großartig? Ich dachte über alle Begegnungen, die ich mit ihm hatte, nach und wurde schnell fündig. Seine Mutter! Er hatte ziemlich theatralisch auf Tizian reagiert, als dieser sie erwähnt hatte. Nur war ich mir sicher, dass ich von meinem besten Freund auch nichts herauskitzeln konnte. Ich wusste, dass er sie kannte, aber der Kontakt zwischen den beiden war auch sehr dünn und außerdem wusste sie vermutlich gar nicht, was für ein Aas Jakob war.

 

Mit einem Ruck stand ich schließlich auf. Mir wurde klar, wie wackelig ich auf den Beinen war und so warf ich mich geradezu auf mein Bett. Ich kuschelte mich eng an meine Decke und grübelte weiterhin. Irgendwie musste ich Jake eine Lektion erteilen. Er sollte bereuen, dass er den beiden Frauen, die in seinem Bett waren, mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als mir.
Just in den Moment kam mir eine Idee. Er war ein Mann und wie konnte man als Frau besser dessen Aufmerksamkeit erlangen, wenn man nicht etwas Haut zeigte? Nein, ich würde mich so leicht nicht geschlagen geben! Ich hatte zwar einen folgenschweren Entschluss gefasst, aber bevor ich diesen in die Tat umsetzen würde, würde ich Jakob sehen lassen, was er an mir verpasste.
Zittrig ging ich zu meinem Kleiderschrank und suchte nach etwas Leichtem. Zum Glück wurde ich schnell fündig. Ich beschloss, meinen dunkelroten Kimono morgen früh zu tragen, da dessen Farbe relativ nah an der Lieblingsfarbe von Jakob herankam. Zudem konnte man den Kimono schon fast als Morgenmantel bezeichnen, dafür war er auch eher gedacht.
Oh ja, ich würde mich ziemlich gut zurecht machen und dann würde Jake das Wasser im Munde zusammenlaufen. Schmollend suchte ich schon einmal alles zusammen, was ich für meinen großen Auftritt benötigte. Meine Finger- und Fußnägel lackierte ich schon jetzt rot. Meine Augen würde ich zu Smokey Eyes machen, aber nicht zu übertrieben, sondern nur leicht.
Auch wenn es mir miserabel ging, stahl sich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. Es wurde immer breiter desto mehr mein Plan an Gestalt annahm. Erst recht, als ich die roten Tulpen sah, die noch immer in den Tüten lagen. Zum Glück hatte ich Wasser in die Tüten geschüttet, so sahen die Blumen noch immer wunderschön aus. Das würde auch noch morgen früh der Fall sein, also konnte ich mir davon welche in mein Haar stecken.
Während dieser Nacht drehte ich mich unruhig hin und her in meinem Bett. Manchmal lauschte ich auch in die Stille hinein, um mich zu vergewissern, dass sich Jakob nicht noch eine Runde mit den Frauen vergnügte. Sie sahen noch ziemlich jung aus. Sicherlich hatten sie gerade erst einmal die Schule beendet.
Arme Mädchen, dachte ich, wenn ihr wüsstest, dass ihr nur für eine Nacht gut gewesen wart. Anderseits fragte ich mich, wie man nur so töricht sein konnte, um mit Jake in die Kiste zu steigen. Vermutlich war es genauso dumm von mir, sich in ihn zu verlieben, doch war ich ihm nicht bedingungslos verfallen, auch wenn ich das manchmal ernsthaft glaubte. Nein, dafür besaß ich viel zu viel Verstand und außerdem würde sonst wohl ich eben ihm auf dem Bett liegen und nicht diese beiden Frauen oder wohl eher Mädchen.

 

Während dieser Nacht schlief ich kaum. Zu sehr dachte ich an Jakob und an dem Denkzettel, den ich ihm schon bald verpassen würde. Um neun Uhr setzte ich schließlich meinen Plan in die Tat um. Mit dem Zeug, was ich dafür benötigte, tapste ich schließlich an Jake und seine zwei Frauen vorbei und bestellte schon einmal ein ausgewogenes Frühstück, dass man uns um Punkt zehn Uhr bringen würde.
Danach ging ich ins Bad und nahm ein Bad, was mir seelisch ziemlich gut tat, jedoch nicht die Augenringe an meinen Augen linderte. Da half wohl nur noch Schminke. Jake sollte nämlich bloß nicht denken, dass es mir anders als sonst ging. Nein, ich würde so tun, als wäre nichts gewesen und doch würde ich ihm anders gegenüber treten.
Nachdem ich meine Haare geföhnt und mit den Tulpen verziert hatte, cremte ich meinen Körper mit meiner Lieblingslotion ein. Schon bald roch ich wunderbar nach Erdbeeren, was meine Laune ungemein verbesserte. Danach zog ich den dünnen Morgenmantel an und schminkte mich. Als ich das Klingeln an der Apartmenttür hörte, kam ich gar nicht mehr aus dem Grinsen heraus.
Ein Kellner stand mit dem Essen und Trinken, was ich bestellt hatte, vor mir und gaffte mich an. „Ih-Ihre Bestellung, M-Miss“, stammelte er, woraufhin ich ihn anlächelte und meinte: „Vielen Dank dafür“. Danach bat ich ihn herein und zeigte ihm die Küche. Dort half ich ihm dabei, die Bestellung auf den großen Tisch zu legen, doch der arme junge Mann bekam kaum ein Wort heraus, sondern erledigte so rot wie eine Tomate seine Arbeit. Für seine Tapferkeit bekam er daher nur noch mehr Trinkgeld, was ihn schon fast ohnmächtig werden ließ.
Die Show kann also beginnen, schoss es mir durch den Kopf. Als ich Geräusche hörte, die immer lauter wurden, fühlte ich mich nur noch mehr darin bestärkt. Lässig wie eh und je saß ich auf meinem Stuhl, die Beine ebenso entspannt übereinander geschlagen, sodass man sie glänzen sehen konnte und wartete darauf, dass ich endlich am Zug war.

 

Jakob schritt voran, blieb aber stehen als er mich sah. Seine Augen wanderten weit aufgerissen von dem gedeckten Tisch zu mir und blieben schließlich an mir hängen. Seine Pupillen weiteten sich und er starrte mich mit offenem Mund an. Hinter ihm konnte ich nur zu gut sehen, wie seine zwei Betthäschen gegen ihn stießen und erschrocken aufschrien.
Das schien aber Jake kein bisschen zu beeindrucken, lieber sah er weiterhin mich an, was mir ein anzügliches Grinsen entlockte. „Guten Morgen“, flötete ich daraufhin übertrieben gut gelaunt und trank einen Schluck aus meinem Tee. Kaum hatte ich das gesagt, schlüpften seine Begleiterinnen hinter ihm hervor und sahen mich ziemlich verwirrt an.
Man, das machte wirklich Spaß! „Wollt ihr nicht vielleicht frühstücken? Ich habe uns extra etwas bestellt und ich kann mir vorstellen, dass man nach so einer Nacht ziemlich aus der Puste ist“, bot ich den dreien einen Platz mit einem kessen Zwinkern an. Die Frauen setzten sich schließlich vorsichtig an den Tisch, nur Jakob war wie angewurzelt stehen geblieben. „Ich habe auch dich gemeint, Jakob“, säuselte ich verführerisch, aber ebenso kühl und konnte nur zu gut hören, wie er nach Luft schnappte und unbeholfen schluckte.
Tja, mit mir legte man sich nicht an, das würde er noch zu spüren bekommen. „Hey, ihr braucht nicht so schüchtern sein. Greift ruhig zu“, sprach ich die Frauen an, die mich verlegen ansahen. „Ich bin übrigens Giulia und ihr?“, stellte ich mich sogar vor und tat so, als ob es mich brennend interessierte, wie sie hießen. „Äh, ich bin Sofia und das ist Juanita“, sagte die Größere von den beiden, die sich rechts vor mir gesetzt hatte. Die andere nickte nur kaum merklich.
Genüsslich biss ich in ein Brötchen und beachtete Jake gar nicht mehr. „Das sind ja schöne Namen. Geht es euch gut? Ihr seid ziemlich ruhig“, sagte ich, woraufhin Sofia meinte: „Nun ja, wir wundern uns nur, dass hier noch eine andere Frau ist und dann gleich so eine hübsche“. „Oh, danke. Ach, mich braucht ihr eigentlich gar nicht weiter beachten. Ich frage mich trotzdem, wann sich euer Freund zu uns setzen will“, sprach ich damit wiederholt Jakob an, der sich endlich mal aus seiner Starre löste.
Abwesend ließ er sich genau an einem der freien Plätze neben mir nieder, obwohl er sich ganz gut auch neben den anderen beiden Frauen hätte setzen können. Noch immer sah mich der Mann an, was mich zufrieden stellte. Hoffentlich bereute er, dass er sich lieber um Juanita und Sofia anstatt um mich gekümmert hatte.

 

„Möchte jemand einen Tee oder lieber Kaffee oder etwas anderes zu Trinken?“, fragte ich lieber und würdigte Jakob keines Blickes. Genau dieser antwortete als Erster: „Tee wäre nicht schlecht, mein Kopf droht mir schon fast zu explodieren“. Danach raufte er sich durch die Haare, was unheimlich sexy war. Ruhig Blut, dachte ich, du darfst dich davon nicht von deinem Plan abhalten lassen. Dafür war er einfach zu gut.
Die Frauen antworteten schließlich, dass sie einen Kaffee mochten. Mit einem Ruck stand ich auf, wobei der Morgenmantel sich leicht um mich bauschte, jedoch nicht so sehr, dass man sehen konnte, was für Unterwäsche ich trug. Trotzdem hörte ich Jake hinter mir nach Luft schnappen. Grinsend setzte ich meinen Weg zur Küchentheke fort, an der ich frischen Tee und Kaffee gemacht hatte.
Mit den drei Tassen kehrte ich schließlich an dem Tisch zurück, wobei ich diese betont langsam vor die jeweilige Person hinstellte und da ich auf der Seite von Jakob war, musste ich mich sogar leicht zu Juanita und Sofia beugen, um ihnen ihre Tasse zu geben. Dabei streifte ich den Arm von Jakob, der mich wortlos anstarrte.
So kannte ich ihn überhaupt nicht. Normalerweise hätte er schon längst einen dummen Spruch geklopft, von wegen ich könnte den Morgenmantel gleich ausziehen. Nun ja, ich schloss schließlich den Akt mit dem Auftischen damit ab, dass ich mich kurz an seiner Schulter abstützte, damit ich nicht noch ausrutschte.
Auch da zeigte Jake eine Reaktion. Er zuckte überaus deutlich zusammen und sah mich perplex an, dabei verschüttete er sogar etwas Tee. Rasch holte ich ein Tuch und wischte die Sauerei weg, wobei ich zu ihm sagte: „Dir scheint die letzte Nacht ja wirklich noch in den Knochen zu liegen“. Wider Erwarten antwortete er nicht er, sondern Juanita, die bis jetzt ziemlich ruhig gewesen war. „Das wundert mich nicht. Jakob, wenn du magst, können Sofia und ich dich noch einmal verwöhnen. Wie wäre es mit einer ausgiebigen Massage?“, bot sie ihm schnurrend an.
Natürlich konnte ich mir denken, was er dazu sagen würde. Das dachte ich zumindest, denn mit seiner Reaktion überraschte er mich wirklich. Er erwiderte nämlich ziemlich schroff: „Nein, danke. Ich bin entspannt genug“. Die beiden Spanierinnen sahen ihn völlig perplex an und auch ich hatte große Mühe meine Verwunderung darüber zu vertuschen.
Dafür beschloss ich kurzerhand, Jakob ein wenig beizustehen. Mit kühler Stimme meinte ich: „Oh, da will wohl jemand einfach nur normal frühstücken“. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, nahm ich mir noch ein Brötchen und beschmierte es mit Kräuterbutter. Genüsslich biss ich hinein, wobei mir danach einige Brotkrümel an den Mundwinkeln kleben blieben. Ich konnte genau sehen, wie Jake mich deswegen anstarrte, daher leckte ich mir betont langsam mit meiner Zunge über die Lippen, ohne jedoch den Blick von ihm zu nehmen.
Abermals musste er schlucken, was mich ebenso oft zufrieden stellte. Plötzlich wackelte der Tisch leicht. Juanita hatte sich aufgesetzt und schien mich mit ihren folgenden Blicken erdolchen zu wollen. „Was ist denn?“, fragte ich und spielte das brave Mädchen. „Haben Sofia und ich mit ihm die letzte Nacht verbracht oder du, du falsche Schlange?“, stellte sie mir schnippisch eine Gegenfrage. Mit einem Grinsen auf den Lippen trank ich einen Schluck Tee und erkannte, dass mich alle abwartend ansahen. Kaum hatte ich die Tasse wieder auf den Tisch gestellt, antwortete ich: „Ihr natürlich, denn ihr seid für ihn nicht mehr als ein Zeitvertreib“.

 

Fassungslos sahen mich die Frauen an, woraufhin mir ein leises Kichern entkam. Sogar Jakob musste sich ein Schmunzeln verkneifen, ich jedoch erkannte genau, dass seine Mundwinkel leicht nach oben zuckten. Schließlich brach er dann doch in schallendes Gelächter aus, was mich auch zum Lachen brachte.
Vermutlich sahen wir ziemlich komisch aus, denn die anderen Frauen rümpften die Nase. „Meine Güte! Giulia, du bist echt einmalig!“, sagte Jake zwischen seinen Lachkrämpfen und hatte sogar schon Tränen in den Augen. „Sorry, aber das musste einfach sein“, entgegnete ich schon ganz aus der Puste.
Eigentlich gaben er und ich ein gutes Team ab, zumindest in diesem Moment. Schade, dass nicht immer alles so schön sein konnte, wie man es wollte. Daher kostete ich das gute Zusammenspiel von uns ausgiebig aus, jedoch nicht zu sehr, denn schließlich war all das nur Maskerade. Das brachte mich nicht davon ab, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Das würde jedoch erst in Deutschland geschehen.
Juanita und Sofia fanden das Gelächter von Jake und mir überhaupt nicht lustig. Im Gegenteil, sie sahen uns sehr wütend an. „Es reicht! Komm Sofia, wir gehen!“, übernahm Juanita erneut das Kommando. Die Angesprochene nickte nur bekräftigend und erhob sich. Zum Schluss meinte sie jedoch noch zu Jakob: „Du wirst noch bereuen, dass du nur mit uns gespielt hast!“.
Diesen schien das nicht weiter zu beeindrucken, denn er lachte einfach weiter und sah mich die ganze Zeit dabei an. Selbst als die Frauen die Tür zu unserem Apartment mit einem unüberhörbaren Knall zuschlugen, hörte er nicht auf damit. Erst nachdem ich mich beruhigt hatte und einen weiteren Schluck Tee trank, war er verstummt.
Das restliche Frühstück verbrachten wir damit über die Frauen zu lästern. Wobei es eher der Mann war, der sich über sie lustig machte. Von wegen, was sie sich eingebildet hatten, nur weil er mit ihr eine Nacht verbracht hatte. Ich dagegen sagte kaum etwas, was meine Wut auf ihn nur noch größer machte.
Nachdem wir fertig gegessen hatten, packten wir unsere Koffer. Immerhin würde es schon bald wieder nach Deutschland gehen. Oh, wie ich mich darauf freute! Dann konnte ich ihm endlich all das an den Kopf werfen, was mir schon seit einiger Zeit auf der Seele brannte.

 

Immerhin tat mir der Flug ganz gut. Da konnte ich mich nämlich innerlich sammeln sowie mich auf das bevorstehende Szenario vorbereiten. „Ist irgendetwas?“, fragte mich auf einmal Jakob, was mich dazu veranlasste mich von dem Fenster, aus dem ich noch gestarrt hatte, zu ihm zu drehen. „Nein, wie kommst du denn darauf?“, stellte ich ihm überaus kühl eine Gegenfrage.
Er schien sich nicht sicher zu sein, ob er wirklich darauf antworten sollte, tat es aber dann doch. Vorsichtig meinte er: „Du bist komisch. Es ist so, als ob dich etwas beschäftigen würde. Ich beobachte dich schon seit einiger Zeit, doch du siehst nur abwesend aus dem Fenster“. Machte er sich wirklich Sorgen um mich oder war das nur wieder eine seiner Maschen?
Verdammt, damit hatte er mich wahrhaftig überrumpelt! Unsicher stammelte ich schließlich: „Ich … ähm, nein! Alles in Ordnung und selbst wenn es das nicht wäre, was geht dich das an?“. Oh je, ich war ziemlich unfreundlich zu ihm gewesen. Hoffentlich fing er nicht an herumzuzicken. Das konnte ich gerade absolut nicht gebrauchen.
Zum Glück sah er mich nur verwirrt an und sagte nur mit den Schultern zuckend: „Tut mir leid, ich wollte nur … ach, egal. Ich will dich nicht weiter stören“. Und schon hatte er sich von mir abgewandt, woraufhin ich ein schlechtes Gewissen bekam. Das durfte ich ihm aber nicht zeigen, denn dann würde er bestimmt denken, dass er mich so kleinkriegen konnte.
Als ich den ersten Schritt auf deutschem Boden machte, atmete ich erleichtert aus. Das Wetter war sogar besser als ich dachte. Mir war ein wenig warm in der langen Hose und der Strickjacke, die ich trug. Mein Gepäck befand sich in meinen Händen. Ich hatte also alles, was ich brauchte und konnte nun endlich aufhören, so still zu sein. Immerhin wartete Justin auf mich und wenn ich Jakob erst einmal meine Meinung gegeigt hatte, würde ich sofort zu meinem besten Freund rennen.

 

„Ich hoffe, dass dir unser kleiner Trip gefallen hat. Wenn du magst, können wir das sehr gerne wiederholen“, sagte Jakob und lächelte leicht, was mich die Augen verdrehen ließ. „Ach Jake, sei kein Heuchler“, erwiderte ich nur spitz. Seine Gesichtszüge entgleisten ihm nach meinen Satz vollkommen.
Das brachte mich erst richtig in Fahrt. „Komm schon, du hast das doch alles nur gemacht, um mich ins Bett zu bekommen und als du gemerkt hast, dass da nicht funktioniert, hast du dir halt Sofia und Juanita klargemacht“, meinte ich mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht. Er schien wirklich verwirrt zu sein, denn erst einmal sah er mich nur mit offenem Mund an.
Dann sagte er: „Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Ich wollte dir nur etwas Gutes tun, nicht mehr und nicht weniger. Und zu den beiden Damen kann ich nur sagen, dass du genau weißt, dass ich diesen Lebensstil bevorzuge. Du hast damit überhaupt nichts zu tun“. Ein ungehaltenes Kichern entfuhr mir, ehe ich entgegnete: „Meine Güte, bist du dämlich, wenn du wirklich glaubst, dass ich dir all das abkaufe. Du hast schließlich oft genug gesagt, dass du mich nur für eine Nacht willst, aber ich kann dir nur wieder sagen, dass daraus nichts wird“.
Jakob schien überhaupt nicht zu begreifen, was ich da eben gesagt hatte. Beinahe tonlos hauchte er: „Was denkst du da von mir?“. „Das willst du nicht wirklich wissen, aber ich werde es dir trotzdem sagen und höre genau zu, mein Lieber. In meinen Augen bist du ein narzisstisches und gefühlloses Arschloch, dass Frauen nur als Objekte ansieht. Ehrlich mal, du bist so was von erbärmlich und dein Ego ist größer als der Äquator der Erde. Du denkst auch, alle Frauen liegen dir zu Füßen. So ist das aber nicht, ich bin immerhin ein sehr gutes Beispiel“, fing ich an, ihn in einer Tour all die Dinge an den Kopf zu werfen, die ich schon so lange los werden wollte.
Ungläubig starrte er mich an. Nach einer halben Ewigkeit fragte er: „Ist das dein Ernst? Denkst du so wirklich über mich?“. „Natürlich, was denkst du denn? Sonst hätte ich das alles wohl kaum gesagt“, antwortete ich mit eiskalter Stimme und hätte im nächsten Moment am liebsten nach Luft geschnappt, doch ich tat es nicht, da ich endlich mit ihm abschließen wollte. Seine Augen fühlten sich mit Trauer, grenzenloser Trauer.
Mir war so, als ob er gar nicht wusste, wie ihm geschah. Das stimmt auch mich ein wenig ruhiger ein. Mit fester Stimmte flüsterte ich: „Ich habe dir schon fast vertraut. Ich dachte, dass du ein guter Mensch sein kannst, der sich um andere Sorgen kann oder so etwas wie Gefühle besitzt. Am Ende ist jedoch wie immer dasselbe herausgekommen. Wie immer hast du mir letztendlich bewiesen, dass du ein egozentrischer Mistkerl bist“.
Mühevoll schnappte der Mann vor mir nach Luft. „Warum sagst du all diese grausamen Dinge zu mir, obwohl auch dir unser Trip gefallen hat?“, wollte er verzweifelt wissen, während er sich mit den Händen durch das dichte Haar fuhr. Mit leichten Tränen in den Augen, antwortete ich: „Weil sie wahr sind und dir das vermutlich noch niemand gesagt hat. Wenn ich so daran denke, was du alles getan hast, dann könnte ich mich übergeben. Dabei kenne ich noch längst nicht deine vielen Facetten, die sich vermutlich nur darauf beschränken, mit den Gefühlen von anderen Menschen zu spielen“.
Schweigend sah mich Jakob schließlich an, doch bis er auch nur ein Wort sagen konnte, sagte ich: „Lösche meine Handynummer, deine habe ich übrigens auch schon längst gelöscht und lasse mich bloß in Ruhe. Für immer“. „Giulia, ich … du weinst ja“, stammelte er und wollte mich sanft am Handgelenk festhalten, doch ich wich einen Schritt zurück. „Fass mich nicht an!“, schrie ich ihn an und merkte dabei selber, wie mir unaufhaltsam die Tränen über das gesamte Gesicht liefen.
Jake tat, was ich ihn befohlen hatte und machte keine weiteren Anzeichen, mir auf die Pelle zu rücken. „Ich wünschte, ich wäre dir niemals begegnet!“, warf ich ihm an den Kopf, woraufhin er eine Hand in meine Richtung ausstrecke, die ich ihm aber sofort weg schlug. „Du hast doch eh schon längst was du wolltest!“, wies ich ihn darauf hin, dass ich ihn geküsst hatte.
Seine Miene veränderte sich dabei. War er vorher sichtlich verwirrt und geschockt, so war er jetzt wieder ernst. „Das reicht mir aber nicht. Noch lange nicht“, ließ er mich wissen. „Ach ja? Gefällt es dir, so einen Psychoterror zu machen und das nur, um mit mir eine Nacht zu verbringen? Du bist doch wirklich krank! Man sollte dich in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen!“, sagte ich einem Zusammenbruch nahe. „Wenn es nur das wäre...“, murmelte er überaus geknickt, was mich jedoch nicht im geringsten beruhigte. „Es ist alles gesagt worden, auf Nimmerwiedersehen!“, meinte ich weinend und obwohl er mich nochmals sanft festhalten wollte, riss ich mich von ihm los, nahm meinen Koffer und rannte schließlich los.
Ich kam jedoch nicht weit, da mir Justin bereits nach wenigen Metern entgegen kam. Anscheinend hatte ich total die Zeit vergessen, doch das war mir nun egal. Er sah mich eh total perplex an, was mich jedoch nicht davon abhielt, ihm nur mein Gepäck bis auf meine Handtasche in die Hand zu drücken. Danach schluchzte ich irgendetwas von einer Entschuldigung und lief ziellos durch die Gegend ohne zu wissen, wohin mich mein Weg führen würde.

Somehwere I Belong

 

Planlos wie eh und je trugen mich meine wackeligen Beine irgendwohin. Es kam mir wie ein Wunder vor, dass ich noch nicht zusammengebrochen war. Mich nahm das Geschehen rund um Jakob viel zu sehr mit. Ich hatte keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte. Dabei vermisste ich den Herzensbrecher schon jetzt so sehr, dass es mir schier die Luft zum Atmen raubte.
Schon allein der Gedanke an ihm machte mich fertig. Dank ihm war ich völlig neben der Spur. Zum Glück wusste er nichts von dem Desaster, in dem ich mich seit Wochen durch ihn befand. Nein, diesen Sieg über mich wollte ich ihn nicht überlassen. Es war schon schlimm genug, dass ich unsere dämliche Wette verloren und vor ihm geweint hatte.
Letzteres war ein gutes Stichwort. Noch immer wollten meine bitteren Tränen, die ich ganz allein wegen Jake vergoss, nicht versiegen. Meine Sicht war so schnell verschleiert, dass ich sie mir ständig mit den Handrücken aus meinen Gesicht wischen musste. Ich wollte gar nicht wissen, wie scheiße ich aussah. Danke Jakob!
Es war kein Wunder, dass ich deswegen nicht auf meine Umgebung achtete. Warum sollte ich auch? Vermutlich starrten mich die Menschen total entgeistert an und das wollte ich nicht unbedingt sehen. Sie sollten mich einfach nur in Ruhe lassen. Das hatte ich bitter nötig. Nur weil ich ein bekanntes Model war, hieß das noch lange nicht, dass ich mich verstellte. Das tat ich nur bei ganz offiziellen Auftritten.
Wenn ich so darüber nachdachte, glich mein Leben einem Scherbenhaufen. Ich liebte einen Mann, der meistens im Kopf noch ein Teenager war, belog deswegen meinen besten Freund und eine gute Freundin von mir; schlechter konnte es also gar nicht laufen. Was nützten mir jetzt noch meine Erfolge beim Studium und Modeln, wenn es privat überhaupt nicht gut lief?
Dass auch alles immer so verdammt kompliziert sein musste! Meine Gedanken machten mich nur noch trauriger. Meine Beine konnten gar nicht mehr und doch konnte ich ebenso wenig stehen bleiben. Meine Atem ging immer schneller und unregelmäßiger, was mich an die Begegnung mit Jakob im Dessousladen erinnerte.
Ich muss hier weg, schoss es mir abermals durch den Kopf. Leider Gottes würde es noch fast zwei Monate dauern, bis ich endlich wieder in Italien war und Jake vielleicht vergessen konnte. Es musste einfach funktionieren! Sonst war ich wahrhaftig geliefert. Allmählich wusste ich sowieso nicht mehr, was ich gegen meine Gefühle für Jakob tun konnte.

 

Ein lautes Schluchzen entfuhr mir und als ich gegen jemanden stieß, erschreckte ich mich fast zu Tode. „Sorry“, stammelte ich und wollte auch schon weiter laufen, doch die Person konnte mich gerade so noch an meinem Arm erwischen und mich so aufhalten. Welch rasche Reaktionsgabe. „Mein Gott, Giulia! Ich hätte dich fast gar nicht erkannt, wie siehst du denn aus?“, hörte ich die Person sagen.
Erst da hob ich meinen Kopf. Im nächsten Moment weiteten sich meine Pupillen. Nein, bitte nicht sie! Ihr konnte ich gerade mit am wenigsten in die Augen blicken. „Krystal“, stotterte ich sichtlich überrascht, aber auch wehmütig. Im Gegensatz zu mir sah sie fantastisch aus. Sie trug ein blaues Kleid, dass ihren kugelrunden Bauch sehr schön betonte. Als ich ihr wieder in das Gesicht blickte, sah ich eine junge Frau, die sehr sehr glücklich war.
Diese sah mich noch immer besorgt an. Ich wusste auch, dass ich ihr eine Antwort schuldete. Eine ehrliche und ausführliche natürlich. „Hast du gerade zufällig nichts weiter vor? Ich müsste ganz dringend mit dir reden und ich denke, dass das länger dauern wird“, erkundigte ich mich danach, ob sie Zeit für mich hatte. „Klar“, antwortete sie mir sofort, nahm ihr Handy aus ihrer schwarzen Handtasche und tippte etwas in ihr Handy.
Als das erledigt war, lächelte sie mich an und sagte: „So, ich habe Tizi kurz Bescheid gesagt“. „Danke. Lass uns am Besten zu einer Bank gehen“, schlug ich vor und wir beide steuerten die nächste an. Erstaunt sah ich mich das erste Mal um. Erst da wurde mir klar, dass wir uns im Stadtpark befanden und ich somit ziemlich weit durch die Gegend gehastet war.
Ich stieß schließlich einen erleichterten Seufzer aus, als ich mich auf die hölzerne Bank niederließ.
Das hatte ich auch wirklich nötig. Das war reinster Luxus! Meine Freundin setzte sich auch und sah mich erwartungsvoll an. „Gott... wie fange ich am Besten an“, stammelte ich und knetete nervös meine Finger. Krys sah mich mitfühlend an, obwohl sie keine Ahnung hatte, was überhaupt mit mir los war.
Leise meinte ich: „Du musst mir aber vorher etwas versprechen“. „Alles, was du willst. Ich sehe es dir doch an, dass es dir hundsmiserabel geht“, versprach Krystal mir ohne zu zögern und strich sich liebevoll über den prallen Bauch. Sie sah einfach umwerfend aus! Leider konnte ich mir über ihr Aussehen keine weiteren Gedanken mehr machen, denn ich musste dafür sorgen, dass ich unsere tolle Freundschaft nicht kaputt machte.
„Okay, also du musst mir versprechen, dass du mich nach unserem Gespräch nicht hasst oder mir aus dem Weg gehst. Ich mag dich wirklich sehr und es würde mir noch den Rest geben, wenn ich dich verlieren würde“, brachte ich mühsam hervor und war froh, dass die Schwarzhaarige meine Hände in ihre nahm und mir in die Augen sah.
Dann sagte sie: „Nichts und niemand kann unsere Freundschaft gefährden, Giulia. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so eine gute Freundin wie dich finde. Egal, was es ist, ich stehe hinter dir“. Ihre Worte rührten mich so sehr, dass mir nur noch mehr Tränen über die Wangen liefen. „Also, was ist los?“, fragte sie mich und nun war der Moment der Wahrheit gekommen.

Ich sank meinen Blick auf den Boden. Meine Hände hatte ich mittlerweile an den Rand der Bank gekrallt. „IchhabemichinJakobverliebt“, murmelte ich schnell, woraufhin Krystal kaum hörbar fragte: „Wie bitte?“. „Ich … ich habe mich in Jakob verliebt!“, stieß ich mit leicht schriller Stimme hervor. Neben mir war es still, was vielleicht auch besser war.
Vorsichtig hob ich meinen Kopf und hätte fast laut aufgeschrien. Meine Freundin war nämlich sehr kreidebleich im Gesicht. „Oh … das ist … Ich dachte, ich habe mich beim ersten Mal verhört. Schade, dass dem nicht so ist“, sagte sie leise, blieb aber nach wie vor bei mir. „Bitte, hasse mich nicht dafür! Ich weiß doch auch nicht, wie mir das passieren konnte“, schluchzte ich Rotz und Wasser weinend.
Das, was Krystal als nächstes tat, würde ich ihr auf ewig danken. Sie nahm mich einfach in den Arm und meinte: „Ich denke mal, dass du weißt, was für eine Art von Mensch er ist. Daher brauche ich dir nicht sagen, dass du dich in das größte Arschloch auf Erden verliebt hast“. „Ja, das weiß ich. Nur gab es auch Momente, in denen er ein ganz lieber Mensch war“, flüsterte ich.
Meine Gesprächspartnerin wollte dagegen wissen, seit wann ich denn Gefühle für Jake hegte. „Kannst du dich noch daran erinnern, als wir zu viert in deiner Villa gespeist haben? Es ging um die Firma von Tizian, in der Jakob arbeitet“, half ihr etwas auf die Sprünge und konnte nur zu gut erkennen, wie erstaunt sie darüber war. War auch kein Wunder, immerhin war das auch schon eine ganze Weile her.
„Nun ja, es war kurz davor. Mir wurde klar, dass ich ihn liebe, als ich diese bescheuerte Wette gegen ihn verloren hatte“, gab ich schließlich zu. Natürlich hatte Krystal viele Fragen, die ich ihr auch beantwortete. „Was für eine Wette?“, fragte sie. „Es ging darum, ob ich ihn innerhalb von einer Woche küsse oder nicht. Ich habe es schließlich getan, wobei er auch mit unfairen Mitteln gespielt hat“, sagte ich. „Wie soll ich das verstehen?“, bohrte sie nach, woraufhin ich meinte: „Er war auch auf eurem Maskenball. Er hat mich vor einem Typen beschützt, der mich bedrängt hat. Na ja, er war verkleidet und die Verkleidung als Samurai stand ihm außerordentlich gut. Wir haben noch ein paar Minuten gesprochen und ja … ich konnte nicht widerstehen. Kaum hatte ich ihn geküsst, hat er sich zu erkennen gegeben“.
Das Mädchen neben mir, was sich in kürzester Zeit zu einer echten Frau gemausert hatte, schnaubte verächtlich. Dann sagte es: „Dieser Mistkerl!“. „Ich weiß schon. Als Wetteinsatz wollte er, dass ich bei dem Firmentreff in Tokio seine Freundin spiele und schließlich, dass ich mit zu euch gehe“, gab ich ihr Recht und gleichzeitig eine Auskunft darüber, weshalb ich damals bei dem Essen dabei war. „Das erklärt einiges. Und wie ging es dann so weiter?“, harkte Krystal interessiert nach.

 

Erst fragte ich lieber nach einem Taschentuch, um mir die Tränen aus den Augen zu wischen. Ich musste zugeben, dass mir dieses Gespräch wirklich gut tat. Endlich konnte ich über all das mit jemanden reden, was mir schon so lange auf der Seele brannte. Dankbar nahm ich die Packung mit den Taschentüchern von Krys an und machte mich etwas zurecht.
Als das erledigt war, antwortete ich natürlich auf ihre Frage. „Er hat mich schon vorher gestalkt und mich zweimal aus brenzligen Situationen gerettet. Da hatte ich immer das Gefühl, dass er eigentlich ein ganz netter Kerl ist, was sich auch wieder als falsch entpuppt hat, weil ich ihn immer wieder mit anderen Weibern sehen musste. Sogar in Monaco“.
Damit sprach ich das jüngste Ereignis an. Ehe Krystal mich danach fragen konnte, was es damit auf sich hatte, meinte ich nämlich schon: „Er hat mich zu einem Formel 1 – Rennen eingeladen, um sich bei mir zu entschuldigen. Er hat sich dafür auch tierisch ins Zeug gelegt. Es war so süß und schön von ihm! Da hat er mir gezeigt, wie romantisch er sein kann. Letztendlich habe ich ihn aber mit zwei Weibern oder besser gesagt Mädchen im Bett gesehen“.
Gegen Ende sank ich meine Stimme. Neue Tränen brannten mir in die Augen, doch ich blieb tapfer und ließ nicht zu, dass sie mir über die Wangen liefen. Ich sah schon mies genug aus. „Sein Verhalten ist ziemlich paradox. Und du bist dir sicher, dass du dir nicht nur eingebildet hast, dass er lieb zu dir war? Ich denke nämlich, wenn er das wirklich war, dann nur, um dich ins Bett zu bekommen“, versuchte Krystal das Benehmen von Jakob zu deuten.
Ich schüttelte mit dem Kopf und fuhr mir mit zittrigen Händen durch mein Haar, was sehr zerzaust war. „Ich weiß doch auch nicht, was ich von ihm denken soll. Mein Herz sagt mir, dass er da eine ganz andere Seite von sich gezeigt hat. Mein Kopf jedoch denkt genauso wie du, nämlich, dass er das alles nur macht, um mich um den Finger zu wickeln“, legte ich meine Gedanken offen vor meiner guten Freundin dar.
Diese strich mir beruhigend über den Rücken und sagte: „Ich bin dir da wirklich nicht böse. Du weißt selbst, dass es ein großer Fehler war, sich in ihm zu verlieben und da zweifle ich auch nicht an deiner Loyalität zu mir“. „Danke, das ist sehr lieb von dir. Ich weiß gar nicht, wie ich dir das je danken soll“, murmelte ich völlig überrumpelt von ihren lieben Worten.
Krystal lächelte mich an, während sie meinte: „Du brauchst dich deswegen nicht bei mir bedanken. Ich frage mich nur, wie es jetzt mit dir weiter gehen soll“. „Ich weiß es auch nicht. Ich fühle mich so mies“, murmelte ich betrübt und sah abermals auf den Boden. „So kenne ich dich in der Tat kein bisschen. Sonst bist du immer ein Sonnenschein mit einem Lächeln auf den Lippen“, stand Krys mir nachdenklich bei.

 

Für mich war erst einmal alles gesagt worden, was es im Zusammenhang mit Jakob zu sagen gab. „Wie geht es dir eigentlich so? Wenn ich mir deinen Bauch so ansehe, dürfte es bald so weit sein“, wechselte ich daher das Thema und erkundigte mich über das Wohlergehen meiner Freundin. Diese strahlte nun über das ganze Gesicht und nickte bekräftigend, ehe sie antwortete: „Da hast du Recht. Mitte oder Ende Juni ist es so weit und dann wird der kleine Alessandro das wunderschöne Licht dieser tollen Welt erblicken“.
Schade, dass ich ihr nicht ganz zustimmen konnte, obwohl ihre Formulierung am Ende ihres zweiten Satzes wirklich schön war. „Ich freue mich sehr für dich“, sagte ich, wobei ich schon wieder neue Tränen in meinen Augen spürte. Trotzdem waren meine Worte ernst gemeint. Nur weil ich unglücklich war, hieß das noch lange nicht, dass ich mich nicht mehr mit anderen freuen konnte. Außerdem war Krystal mir sehr wichtig.
Wenn ich so darüber nachdachte, kannte ich kaum einen Menschen, der es mehr als sie verdient hatte. „Danke und du wirst auch noch einen tollen Mann kennenlernen und dann wirst auch du auf Wolken schweben“, meinte Krys mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. Bevor ich auch nur ein Wort erwidern konnte, redete sie weiter: „Tizi und ich haben auch einiges in der Villa umgestellt, damit es kinderfreundlicher ist“.
Das waren nun ganz neue Töne. „Oh, was denn?“, fragte ich interessiert nach, woraufhin die kleine Frau mir antwortete: „Unser ehemaliges Schlafzimmer fungiert nun als äh du weißt schon“. „Als Sexzimmer?“, prustete ich laut los, was ihr ein wenig unangenehm zu sein schien, da sie so rot wie eine Tomate wurde.“Was habt ihr denn noch so gemacht?“, wollte ich wieder ganz sachlich wissen und konnte nur zu gut erkennen, dass sie sich noch immer nicht ganz gefangen hatte. Wie süß! Da ich sie aber nicht in dieser für sie peinlichen Situation lassen wollte, beschloss ich kurzerhand, ihr etwas zu helfen.
Freundschaftlich legte ich ihr eine Hand auf den Rücken und sagte: „Mensch, das braucht dir doch nicht peinlich sein. Wir alle habe nun mal unsere kleinen schmutzigen Geheimnisse“. Nach meinen Worten musste auch sie laut los lachen, fing sich aber wieder schnell und meinte: „Wir haben das Zimmer als normales Schlafzimmer verlassen, weil ein Kind natürlich auch Tageslicht braucht. Und es komisch wäre, zuerst durch die Gänge zu laufen, wir sind ja keine Steinzeitmenschen. Dafür ist mein ehemaliges Schlafzimmer nun unser Zimmer. In dem haben wir auch schon ein Kinderbett stehen, so sind wir gleich zur Stelle, wenn etwas ist“.
„Das klingt doch alles wirklich super und vernünftig. Ihr werdet bestimmt viele schlaflose Nächte haben“, gab ich ihr Recht, konnte es mir aber nicht verkneifen, sie etwas aufzuziehen. Diese sah mich gespielt empört an, lächelte aber erneut. „Das nehmen wir gerne in Kauf. So bauen wir auch eine enge Bindung zu unserem kleinen Jungen auf“, konterte sie ziemlich clever.

 

Mein Blick glitt zu meinem Handy, dass ich kurz aus meiner Handtasche genommen hatte. Es war kurz nach siebzehn Uhr. „Ist etwas?“, fragte mich Krystal, als sie sah, dass ich meine Augen weit aufgerissen hatte. „Nein, alles in Ordnung soweit. Das mit Jakob weißt du nun, was für mich eine enorme Erleichterung ist. Ich wollte dir nie ins Gesicht lügen“, wiegelte ich ab und entschuldigte mich gleichzeitig für meine Geheimnistuerei.
Dabei kannte sie nicht einmal mein größtes Geheimnis. Es war auch besser so. Es war schon fast ein Wunder, dass ich Fabrizia noch in die Augen blicken konnte. Immerhin war sie es, die mich so sehen musste. Keine andere Person würde es erfahren. Niemals. „Jemand da? Giulia?“, hörte ich plötzlich Krystal leicht aufgeregt fragen.
Leicht verwirrt drehte ich mich zu ihr und sah, wie sie erleichtert ausatmete. „Was ist denn?“, wollte ich wissen. Sie antwortete: „Ich habe dir gesagt, dass es in Ordnung ist, was du getan hast“. „Was meinst du?“, fragte ich abermals verwirrt. Meine Freundin hob eine Augenbraue und sah mich kritisch an. Dann sagte sie: „Na, weil du meintest, dass du mir nie ins Gesicht lügen wolltest. Es ist auch ein Stück weit verständlich“.
Verdammt, nur weil ich gerade meinen Gedanken nachgegeben hatte, war ich aus dem Gespräch mit meiner guten Freundin herausgekommen! So etwas dufte mir nicht noch mal passieren. „Na ja, ich weiß nicht so recht. Er hat dir ja wirklich übel mitgespielt und ist noch immer ein abscheuliches Arschloch, aber auch so verdammt attraktiv“, legte ich meine Gedanken dieses Mal offen vor ihr dar.
Ich konnte ihr förmlich ansehen, wie sehr sie grübelte. „Das lässt sich nun auch nicht mehr ändern und du weißt auch, dass ich davon nicht begeistert bin. Nur, was würde es schon bringen, wenn ich mich von dir distanzieren würde? Das würde dir noch den Rest geben und außerdem ändert das nichts an der Tatsache, dass du ein toller Mensch bist“, machte sie mir ungeheuer Mut, wofür ich ihr sehr dankbar war.
Das konnte sie daran merken, dass ich sie in eine feste Umarmung zog. „Du bist echt klasse!“, sagte ich ganz begeistert und fühlte mich gleiche ein Stückchen besser. „Weißt du, als ich mich in Tizian verliebt habe, dachte ich mir auch, in was für einen Menschen ich mich da verliebt hatte. Und jetzt bin ich darüber sehr froh. Man kann Gefühle niemanden verbieten, auch nicht dir“, meinte Krystal leicht nachdenklich.
Bestimmt dachte sie darüber nach, wie sich das alles mit ihrem Mann, der gleichzeitig mein bester Freund war, abgespielt hatte. „Ehrlich gesagt vermisse ich es leicht, wenn Tizi mich gefragt hat, wie ich dein Verhalten deuten würde“, gluckste ich auf einmal wild herum. „Und was hast du so dazu gesagt?“, harkte sie interessiert nach.
Ich dachte kurz über die Zeit nach, ehe ich antwortete: „Ich konnte ihm auch nicht so wirklich helfen. Ich war mir nur sicher, dass du viele Geheimnisse verbirgst, was auch wahr war“. „Ich finde es sehr süß, dass er sich Rat bei dir geholt hat“, gab Krystal verträumt zu. Oh ja, da hatte sie Recht! Ich wünschte, dass Jakob dasselbe tun würde, aber die Halbbrüder waren total zerstritten oder besser gesagt: Sie machten sich nichts daraus, dass sie miteinander verwandt waren, was ich sehr traurig fand.
„Du solltest jetzt lieber nach Hause gehen und das Gespräch auf dich wirken lassen und dich endlich mal ausruhen“, sagte Krys auf einmal. „Vermutlich... Und es ist wirklich alles zwischen uns in Ordnung? Wenn nicht, dann musst du mir das unbedingt sagen. Ich kann auch verstehen, wenn du dich erst mal von mir fernhalten möchtest“, erkundigte ich mich danach, ob die Schwarzhaarige mich meiden wollte oder nicht.
Sie schüttelte den Kopf, stand auf und umarmte mich innig. „Ich denke, das sollte Antwort genug sein“, zwinkerte sie, woraufhin ich meinte: „Danke, danke, danke! Wir sehen uns“. So trennten sich also unsere Wege vorerst.

 

Während ich nach Hause lief wurde ich jedoch wieder ziemlich schwermütig. Die Angst breitete sich in mir in sekundenschnelle aus. Was war, wenn sie sich doch von mir entfernen würde? Und vor allem: Wie würde Tizian darauf reagieren, wenn er erst einmal von meinen Gefühlen zu seinem Halbbruder erfuhr?
So vieles schoss mir gerade durch den Kopf. Ich fragte mich auch, wohin ich gehörte. Ich hatte das Gefühl, dass ich hier keinen Schritt voran kam. Ich konnte nur von Glück reden, dass ich schon bald mein Studium abschließen würde. Natürlich durfte ich das Lernen nicht wegen einen Typen wie Jakob vernachlässigen.
Ab August wohnte ich eh in Florenz, dann konnte er mir nichts mehr anhaben. Ich war mir sicher, dass meine Freunde ihm kein Wort sagen würden. Auch Justin nicht. Er wusste, dass ich ihm das nie verzeihen könnte. Das stimmte auch, immerhin wusste er ebenso wie nun Krystal, wie sehr ich unter Jake litt.
Da fiel mir ein, dass ich die einzige war, die sich mit den drei Männern mehr oder weniger verstand. Wenn Jakob nicht immer so ein wechselhaftes Verhalten hätte, dann wäre es perfekt. Vielleicht konnte ich die drei eines Tages näher zusammenbringen. Ach, was dachte ich da eigentlich? Ich würde es nie schaffen. Ich konnte froh sein, wenn ich mich mit Jakob verstand.
Leider war das kaum der Fall und das nur, weil er sich einbildete, mich wie Dreck zu behandeln. Ein tiefer Seufzer entfuhr mir. Es wurde wirklich Zeit, dass ich endlich in meinem Zimmer ankam. Dann würde ich mir eine schöne Dusche gönnen und auf meinem Bett entspannen. Außerdem hatte ich noch gar nichts gegessen seitdem ich wieder in Deutschland war.
Nach meiner Flucht vor Jakob war ich erst einmal eine ganze Weile durch die Gegend gerannt und auch die Begegnung mit Krystal hatte viel Zeit in Anspruch genommen. Kaum dachte ich an Essen, machte sich mein Magen bemerkbar. Er knurrte fürchterlich! Es hörte sich sogar geradezu wie ein gewaltiges Grollen an.
Ist ja gut, dachte ich mir, wenn ich gleich daheim bin, dann esse ich so viel, dass du bis morgen keinen Murks mehr von dir geben wirst. Morgen war ein gutes Stichwort. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch gar nicht wissen, was sich diesen Abend abspielen würde. Denn genau das würde mit einem Schlag alles ändern. Wenn auch nur für kurze Zeit.

Midnight Run

 Zielstrebig lief ich zu meiner Wohnung. Etliche Male musste ich mir die glühend heißen Tränen, die mir ununterbrochen über das Gesicht flossen, wegwischen. Hoffentlich war Justin nicht da. Ich wollte einfach mit niemanden reden, auch nicht mit ihm. Leider wurde ich enttäuscht. Kaum hatte ich nämlich auch nur einen Fuß in mein Eigenheim gesetzt, lief der Blonde mir entgegen. Rein zufällig natürlich.
Eigentlich wollte ich trotzdem an ihm vorbei gehen, doch er hielt mich sanft am Handgelenk fest. „Hey“, begrüßte er mich, woraufhin ich nur ein „Hallo“ murmelte. „Warum bist du im Flughafen vor Jakob weggelaufen und warum weinst du?“, fragte er mich. War klar, dass er mich sofort ausquetschen musste und darauf hatte ich überhaupt keine Lust. Eigentlich wollte ich einfach nur meine Ruhe, doch weil ich wusste, dass mein Mitbewohner es nur gut mit mir meinte, stand ich ihm doch Rede und Antwort.
Wir machten es uns schließlich in unserem gemütlichen Wohnzimmer bequem. Jus war noch so nett gewesen und hatte Gläser sowie eine Flasche Himbeersaft geholt. Mit einem zaghaften Lächeln bedankte ich mich bei ihm, denn wenn mir etwas schmeckte, dann das. „Wo fange ich am Besten an“, begann ich schließlich leicht grübelnd, woraufhin mir mein Mitbewohner freundschaftlich eine Hand auf die Schulter legte.
Wie tröstlich diese kleine Geste doch war! Seine Worte, die darauf folgen, waren es aber noch mehr. „Tue dir keinen Zwang an, Giulia. Nehme dir so viel Zeit wie du möchtest, ich werde dir geduldig zur Seite stehen“, sagte er sanft, was mir eine gehörige Portion Mut gab. „Du weißt, dass Jakob mich nach Monaco eingeladen hat“, lenkte ich mit brüchiger Stimme ein.
Der Blonde nickte und konnte mir somit folgen. Dann meinte ich abermals den Tränen ergeben: „Vermutlich hat er das nur gemacht, um mich ins Bett zu bekommen und nicht, um sich bei mir zu entschuldigen, wie er es vorgegeben hatte“. „Hast du nicht eine Sekunde daran gedacht, dass du sein Verhalten vielleicht komplett falsch deutest?“, harkte Jus nach, was mich ziemlich verwirrte. Wie kam er darauf?
Als ich ihn danach fragte, was er meinte, wich er mir aus, in dem er von mir wissen wollte: „Wie kommst du darauf, dass Jake dich nur flachlegen will?“. „Das weißt du doch. Er hat es mir immer wieder gesagt, es mir sogar letztendlich geschworen. Außerdem habe ich ihm letzte Nacht mit zwei Frauen im Bett gesehen. Zum Glück haben sie schon geschlafen“, antwortete ich ihm schluchzend.
Mein guter Freund stand auf und reichte mir eine Küchenrolle, die ich dankend annahm und mir sofort ein paar Papiere davon abriss. Danach schnäuzte ich kräftig darin und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, was mir nichts brachte, da ich einfach nicht aufhören konnte und wollte zu weinen. „Das ist verdammt hart. Hast du denn keine andere Idee, weshalb er das getan hat?“, grübelte der Blonde laut.
Ich zuckte nur mit den Schultern, ehe ich stammelte: „Also er hatte mich nach Monaco eingeladen, um sich bei mir zu entschuldigen. Wir haben ein super Formel 1 – Rennen gesehen und auch der Nachmittag war schön. Am frühen Abend hat er mich zu einem schicken Restaurant ausgeführt und stelle dir mal vor: Er hat nur für mich einen Raum gemietet, in dem er die Tulpen verteilt hat, die ich dir am Flughafen in die Hand gedrückt habe. Es sollte wohl eine Überraschung sein, aber ein Gast, der mit mir tanzen wollte, hat es eiskalt ausgeplaudert noch bevor ich sein Werk überhaupt gesehen habe“.

 

Die Miene von Justin hellte sich auf. „Da haben wir doch den Grund! Er war geknickt darüber, dass ihm jemand in die Quere gekommen ist und hat sich daher mit den beiden Frauen vergnügt, weil er Ablenkung brauchte“, schrie er aufgebracht, ja schon fast euphorisch. „Glaube ich nicht“, murmelte ich und fuhr fort: „Ehrlich gesagt wäre es der perfekte Abend gewesen, um mit ihm zu schlafen oder zumindest mit ihm rumzumachen“.
Im nächsten Moment lief mein verständnisvoller Zuhörer knallrot an, obwohl eigentlich ich es sein müsste, der das unangenehm war. Sonst war ich nämlich nie so derartig offen. „Ähm … okay. Also ...na ja, ich kann mir auch gerade keinen anderen Reim aus seinem Verhalten machen“, stotterte Justin wild herum. Unter anderem Umständen hätte ich das bestimmt sehr witzig gefunden, doch im Augenblick war mir dazu überhaupt nicht zumute.
„Ich hätte mich einfach nie in ihm verlieben sollen“, murmelte ich lieber schon fast ertrunken von meinen Tränen. „Wo die Liebe eben hinfällt, wobei ich finde, dass ihr ein ziemlich schönes Paar abgeben würdet“, meinte mein Mitbewohner, bei dem ich mich gerade fragte, wovon er nachts so träumte. Das war nämlich völlig absurd!
Kein Wunder also, dass ich unter meinen Tränen bitter auflachte. „Optisch vielleicht ja, aber sonst auch nicht“, gab ich dann etwas verhaltener von mir, woraufhin Jus sagte: „Ich glaube, er braucht genau so eine Frau wie dich an seiner Seite. Eine, die ihm nicht hoffnungslos verfallen ist, auch wenn du das anders siehst. Er braucht eine Frau, die ihm auch Konter geben kann und nicht nur das tut, was er möchte. Und genau so bist du“.
Nach seinen Worten war ich sichtlich gerührt. Da weinte ich nur noch mehr und umarmte ihn kräftig. „Das ist sehr lieb von dir, danke“, schluchzte ich von meinen Gefühlen total übermannnt. Justin gab mir abermals ein neues Taschentuch und ließ mich einfach weinen, was ich ungeheuer toll von ihm fand. Schade, dass er keine Frau an seiner Seite hatte, die das zu schätzen wusste und in ihn viel mehr sah, als so viele andere Menschen.
Ich dagegen wusste, dass er das Herz am richtigen Fleck hatte. Auch wenn mir nach wie vor unklar war, weshalb er sich so viel mit Jakob abgab. Die Männer waren ziemlich verschieden. Vielleicht empfand ich das nur deshalb, weil ich Justin nur zu gut kannte, was man von Jake nicht behaupten konnte. Er war mir nicht nur unbekannt, nein er war mir geradezu ein Mysterium.
Nach einer gefühlten Ewigkeit gingen mir die Worte aus und so beschloss ich, meinen armen Mitbewohner nicht weiter mit meinem Leid zu bequatschen. „Ich denke, ich sollte nun mal meine Sachen auspacken, damit ich wieder etwas Normales mache“, meinte ich schließlich. Jus erwiderte: „Du musst nicht, wenn du nicht willst. Du kannst auch gerne weiter mit mir reden“.
Genau das meinte ich! Er war so ein lieber und netter Kerl, da war es doch wirklich sehr schade, dass er keine Freundin hatte. Jede Frau wünschte sich doch so einen aufmerksamen Partner. Auch ich. Nur leider musste ich mich in das größte Arschloch auf Erden verlieben. Hast du wirklich super gemacht, Giulia!
„Nein danke, ich wollte eh schon die ganze Zeit meine Sachen wieder an ihren gewohnten Plätzen haben“, machte ich meinen Gedanken ein jähes Ende, da ich mich gerade etwas beruhigt hatte und nicht mehr hemmungslos weinte. „Ist okay“, sagte Justin, woraufhin ich ihn in eine intensive Umarmung zog und flüsterte: „Ich danke dir aus tiefstem Herzen, dass du so für mich da warst. Das ist sehr toll von dir. Danke“. „Schon gut, das mache ich doch gerne für meine beste Freundin“, winkte er sofort ab.

 

Rasch begab ich mich in mein Zimmer und fing endlich an, die alte Ordnung wieder herzustellen. Die Wäsche war schnell erledigt, doch bei den Tulpen stockte ich. Wollte ich die wirklich hier haben? Erinnerungen an den schönen Abend stiegen in mir hoch. Ein seliges Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, das im nächsten Moment von einem markaberen Schluchzen erschüttert wurde.
Mist, jetzt liefen mir schon wieder die Tränen! Beruhige dich, dachte ich, alles wird gut. Wer weiß, ob es das wirklich würde. Im Moment konnte ich mir das natürlich nicht vorstellen. Ich sah die Tulpen – die japanische Blume der Liebe – an und wischte mir erneut über die Augen. Sicherlich wusste Jakob nichts von ihrer tiefen Bedeutung, ich dafür umso mehr und so beschloss ich trotz gebrochenem Herzen, sie in meinem Zimmer zu verteilen.
Nach meiner Dekorationsaktion erblühte mein Raum in eine wunderschöne Wohlfühloase. Meine Blumen hatten den Flug super überstanden, worüber ich mich sehr freute. Hoffentlich würden sie nicht so schnell verblühen. Da sich noch immer mein Magen lautstark zu Wort meldete, ging ich in die Küche, wo ich im Kühlschrank einen Salat vorfand. Auf mehr hatte ich sowieso keine Lust, auch wenn ich doch ungeheuren Hunger verspürte.
Lustlos stocherte ich in dem Grünzeug herum und merkte nicht einmal, dass mein Mitbewohner auch in der Küche war. Erst als ich eine Hand genau vor meinem Gesicht ausmachen konnte, fuhr ich erschrocken zusammen. „Was ist denn?“, fragte ich eine Spur bissiger als gewollt. „Hast du dich mal im Spiegel betrachtet? Du siehst fürchterlich aus“, antwortete Justin. „Wow, wie nett von dir“, zischte ich beleidigt.
Das konnte doch echt nicht sein Ernst sein. Er wusste genau, wie mies es mir ging und hatte nichts Besseres zu tun, als an mir oder besser gesagt meinem Aussehen herumzunörgeln. „Ach Lia, ich wollte dich doch nur necken. Außerdem siehst du wirklich blass aus und deine Haare hatten auch schon mal mehr Glanz“, versuchte er mich zu besänftigen.
Angewidert schob ich den Salat von mir weg und sagte: „Das ist mir doch egal“. „Wie wäre es denn, wenn du dich schick machst und wir ins Principado gehen?“, schlug der Blonde vor. Zynisch erwiderte ich: „Als ob ich jetzt irgendwohin gehen würde! Ich will einfach nur alleine sein und niemanden sehen! Und wenn ich doch die Wohnung verlassen möchte, dann gehe ich so raus wie es mir passt!“.
Auf einmal schlug Justin mit seiner flachen Hand auf den Tisch. Meine Güte, der konnte ganz schön zuschlagen. „Mein Gott, Giulia! Sei nicht so kindisch! Ja, du hast Liebeskummer und ja, Jakob verhält sich dir gegenüber alles andere als gut, aber deswegen solltest du dich nicht so derartig gehen lassen, dass ich das Gefühl habe, ich wohne mit einer fünfzigjährigen zusammen, die nichts außer ihren Katzen hat!“.
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich ihn an und fragte beinahe tonlos: „Was hast du da eben gesagt?“. „Ich … entschuldige, ich habe das nicht so - „, fing er an, doch ich unterbrach ihn, indem ich mich ruckartig von meinem Platz erhob. „Du hälst mich also schon fast für eine Frau mit grauen Haaren, die sich aus Einsamkeit an Katzen klammert? Ehrlich mal, so verletzende Worte hätte ich eher von Jakob erwartet als von dir“, meinte ich überaus geknickt, aber mit einem Hauch von Wut, die sich immer mehr den Weg nach oben bahnte.
Mein Mitbewohner wusste nicht, wie ihm geschah. Das sah ich ihm nur zu deutlich an. „Es tut mir leid“, murmelte er kleinlaut, doch damit konnte ich gerade wirklich nichts anfangen. „Lass es erst einmal gut sein, okay? Ich gehe ins Principado, aber ohne dich. Auf dich kann ich erst mal echt verzichten und wage es bloß nicht, da aufzutauchen", entgegnete ich nur und verließ den Raum. Er rief zwar immer wieder meinen Namen, doch ich hörte nicht weiter auf ihn.

 

In zwei Punkten stimmte seine Aussage sogar, die er zuvor gemacht hatte. Meine Haare sahen schon einmal besser aus und mein Gesicht war aschfahl. Daher beschloss ich, mir eine Dusche zu gönnen, die nur zehn Minuten dauerte. Ich hatte keine Lust, mich großartig hübsch zu machen. Daher schminkte ich mich auch nicht und nahm auch nur irgendein altes Kleid aus meinem Schrank.
Bei genauerem Betrachten fiel mir aber auf, dass es eigentlich Fabrizia gehörte, denn so kurze Kleidung hatte ich bestimmt nicht. Außerdem sah es ziemlich toll aus. Es war zwar schwarz, war dafür aber mit weißen Rosen verziert. Na gut, dachte ich, dann ziehe ich eben das an. Ich wusste zwar nicht, wohin mich mein Weg führen würde, doch mit dem Ding sah ich immerhin nicht aus wie eine Vogelscheuche.
Nach etwa zwei Stunden war ich im Principado. Sofort wurde ich von allen Seiten angestarrt. Noch bevor ich an dem Bartresen ankam und mich an einem der freien Plätze niederließ, schrie ich: „Zwei doppelte Ouzo!“. Der Barkeeper hielt inne, sah mich völlig perplex an, machte sich aber dann an sein Werk.
Mir war es egal, wie schief mich die Leute anstarrten, sollten sie doch. „Danke“, sagte ich, als ich meine Bestellung hatte, exte sie sofort und gab dem jungen Mann zehn Euro. Die restlichen zwei Euro durfte er behalten. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er mich und ich nickte ihn mit einem falschen Lächeln an.
Er kannte mich zwar schon etwas, weil ich hier öfters war und dutzte mich auch, doch brauchte er trotzdem nicht wissen, dass bei mir im Moment alles schief lief. „Machst du mir bitte noch ein paar Ouzo?“, fragte ich Lars, den Barkeeper, lieber und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Dieser musterte mich skeptisch. Dann wollte er wissen, ob ich mir im Klaren war, dass die griechische Spirituose ziemlich stark war was seinen Alkoholgehalt anging, woraufhin ich ihm erklärte, dass ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren schon alt genug war.
Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf, während er mir ein neues Glas machte und sagte: „Das ist mir schon klar, aber ich habe auch eine gewisse Verantwortung zu tragen. Stelle dir mal vor, du würdest hier zusammenbrechen, weil du so viel getrunken hast, dann hätte ich auch eine Mitschuld zu tragen“.
Ich schmollte etwas vor mich hin, ehe ich meinte: „Stimmt, doch kannst du mir vertrauen. Ich war hier schon so oft und mir ist nie etwas passiert“. „Danke“, fuhr ich fort, ehe Lars etwas sagen konnte und exte mein drittes Schnapsglas. Um ihn nicht in Sorge zu versetzen, beließ ich es erst einmal dabei.
Lieber sah ich mich um und bemerkte, wie voll es hier inzwischen war. Kein Wunder, es war schon dreiundzwanzig Uhr durch. Die Leute hier redeten ausgelassen, wobei mir auch einige Blicke zuwarfen. Sofort drehte ich mich um. Das hielt sie dennoch nicht davon ab, mich anzusprechen. Jemand tippte mir auf der Schulter. „Ja bitte?“, fragte ich und drehte mich um.
Vor mir stand ein Mann, der glatt ein Double von Jakob sein könnte. „Darf ich Sie auf einen Drink einladen?“, wollte er wissen, doch ich erwiderte: „Nein und jetzt zieh Leine“. Damit hatte er nicht gerechnet, denn er sah mich perplex an, ließ mich aber dann in Ruhe. Lars vor mir lachte nur und kümmerte sich um die anderen Gäste.
Kaum war er weg, kam auch schon der nächste Mann zu mir. Er kam mir irgendwie bekannt vor, doch durch den Alkohol, der sich auf einmal wie Feuer in meinem Kopf ausbreitete, konnte ich ihn nicht zu einem Namen und einer Person zuordnen. Er hatte dunkle Haare und sah an sich ziemlich attraktiv aus. „Miss De Lorenzi, schön Sie hier zu sehen. Was machen Sie alleine am Tresen?“, wandte sich der Dunkelhaarige an mich. Ich zuckte nur mit den Schultern. War klar, dass er mich kannte. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“, wollte er von mir wissen, doch ich zuckte erneut mit den Schultern und so machte er es sich neben mich bequem.

 

Während diesem Gespräch fühlte ich mich immer besser, ja, ich wurde schon viel lockerer und konnte sogar Jake vergessen. Der Dunkelhaarige brachte mich immer wieder zum Lachen. Mit der Zeit war ich schon ziemlich besoffen, kein Wunder, ich war bei meinem siebten doppelten Ouzo. Irgendwie hatte ich heute Abend ganz schöne Lust auf den Anisschnaps. „Isch bin mal kurz auf der Toilette“, lallte ich, nachdem ich mir noch einen Ouzo bestellt hatte und machte mich mit wackligen Beinen auf den Weg.
Als ich wieder da war, freute sich mein Gesprächspartner sichtlich über meine Rückkehr. „Kennscht du dasch Gefühl zu fliehgen?“, fragte ich ihn lachend, woraufhin er antwortete: „Nein, möchten Sie es mir zeigen?“. Dabei legte er eine Hand auf meinen Oberschenkel, was mir unter dem Einfluss vom Alkohol nichts ausmachte.
Damit nicht genug, ich zog seinen Kopf zu mir heran und küsste ihn ohne Hemmungen. Dieser hatte überhaupt nichts dagegen, im Gegenteil, seine Hände flogen nur so über meinen Körper. Ich musste zugeben, dass er ziemlich gut küssen konnte. Nach einiger Zeit löste ich mich von ihm und rang nach Atem. Danach griff ich nach meinen Ouzo, den ich mir bestellt hatte, bevor ich auf der Toilette gewesen war und trank diesen mit einen Schluck aus.
Ein hinreißendes Lächeln stahl sich auf den Lippen des Dunkelhaarigen, den ich zur Tanzfläche zog. „Du siehst sogar umwerfend aus, auch wenn du keine Schminke trägst“. „Dankeeee“, lallte ich und zog das Wort nur so in die Länge. „Und du bischt sowieso escht heiß“, kicherte ich, hielt im nächsten Moment inne.
Irgendwie ging es mir mit einem Mal ziemlich komisch. „Geht es dir nicht gut? Soll ich dich lieber nach Hause bringen?“, fragte er mich, doch ich schüttelte mit den Kopf. „Komm schon, ich sehe doch, dass es dir schlecht geht. Bei mir wird es dir ganz sicher gut gehen“, bestand er darauf, mich mitzunehmen.
Was sollte ich schon tun? In meinem komischen Zustand konnte ich bestimmt nicht nach Hause gehen. Also lehnte ich mich an ihn, woraufhin er seinen Arm um meine Taille schlang. Dann flüsterte er mir ins Ohr: „Weißt du schon, wie lange ich darauf warte? Wie sehr ich dich begehre? Endlich bin ich am Ziel!“. Ich konnte nur gedämpft hören, was er da sagte und verstand daher auch nicht so richtig den Sinn von seinen Worten.
Draußen angekommen wurde mir erst mal das Ausmaß meines Alkoholkonsums bewusst. Vielleicht hätte ich mich einfach meinen Problemen stellen sollen, anstatt zu versuchen, diese in Alkohol zu ertränken. Übermäßiges Feiern brachte nur Ärger, das sah ich nun ein.
„Gar nicht gut...“, murmelte ich und übergab mich in den nächstbesten Busch. „Wir haben es bald geschafft“, raunte er mir zu. „Giulia!“, rief plötzlich jemand meinen Namen, doch in mir drehte sich alles so schnell, dass ich keine Ahnung hatte, wer es war.
„Gott, mir ischt so schlescht“, stammelte ich und merkte, wie das Bild vor mir immer dunkler wurde. Neben mir vernahm ich nur leise, dass jemand meine Begleitung zu Boden zerrte und diese anschrie. „Hilfe“, murmelte ich und taumelte umher. „Lia!“, sprach erneut eine melodische Stimme zu mir, doch davon bekam ich kaum etwas mit.
Ich merkte nur noch den freien Fall, bis ich auf etwas weichem landete. Danach hatte mich auch schon die Dunkelheit komplett umhüllt.

Smile In Your Sleep

Jakob's Sicht!
Anfangs war ich überhaupt nicht begeistert davon gewesen, in diese verdammte Bar zu gehen. Schon allein der Name Principado klang nach einem Club für Frauen. Was sollte ich da schon groß machen außer Frauen abzuschleppen?
Mürrisch war ich schließlich doch hingegangen, in der Hoffnung, dass es vielleicht doch die ein oder andere heiße Braut gab, die ich mit nach Hause nehmen konnte. Daraus wurde aber nichts. Ich befand mich fast am Eingang, als ich sah, wie ein Mann einer stark alkoholisierten Frau nachstellte. Eigentlich konnte es mir egal sein, doch es war nicht irgendeine Frau, sondern Giulia.
Wer war dieser verdammte Kerl, der sie stützte und immer wieder begrapschte? Vorsichtig näherte ich mich den beiden, nur um zu sehen, dass ich diesen schmierigen Typen kannte. Wenn auch nur vom Sehen und Gesprächen am Arbeitsplatz. Jedenfalls dämmerte es mir in Sekunden, was da vor sich ging und schon schrie ich auch schon den Namen von Giulia.
Sie schien zwar wahrzunehmen, dass ich nach ihr rief, hatte aber nicht die Kraft, um zu reagieren. Also stand es schlimmer um sie als es aussah. Mist! Ich konnte sie nur leise reden hören oder besser gesagt stammeln. Mit schnellen Schritten war ich bei ihr, nahm den Kerl, der sie bedrängte, in den Schwitzkasten und zerrte ihn auf den Boden. „Lia!“, sprach ich sie erneut an, doch da kam ihr auch der Boden immer näher.
Blitzschnell reagierte ich und fing sie auf, ehe sie auf das Gras landen konnte. Ich zog meine Jacke aus und legte sie ihr um, ehe ich sie behutsam auf den Boden legte. Dann widmete ich mich wieder dem Mann, der ihren Zustand ausnutzen wollte. Der sie schon stalkte. „Du Arschloch, was fällt dir ein?“, schrie ich ihn wie von der Tarantel gestochen an.
Angesprochener sah zu mir auf, vermutlich traute er sich nicht, aufzustehen. War auch besser für ihn. So wütend wie ich gerade war, wusste ich nicht, was passieren würde, wenn er es wagte, mich auch nur anzufassen. „Das könnte ich dich fragen! Immer bist du bei ihr! Ich möchte sie auch mal haben!“, fluchte der Schwarzhaarige.
Dachte er etwa, dass ich …? „Außerdem bist du doch derjenige, der Frauen reihenweise abschleppt und nicht ich!“, warf er mir an den Kopf, woraufhin ich meinte: „Ich würde aber nie, hörst du, nie einen so schlechten Zustand einer Frau ausnutzen, so wie du es tun wolltest“. Ehe er auch nur ein Wort sagen konnte, schrie ich: „Du widerst mich so was von an! Lass sie verdammt noch mal in Ruhe! Du musst doch selbst gemerkt haben, dass sie dich nicht will!“.
Der Mann hatte für mich nur ein Lachen übrig. „Was ist daran so komisch?“, wollte ich sofort wissen. Er antwortete: „Jakob Di Izmir, der edle Retter, dass ich nicht lache!“. Dann rappelte er sich auch schon auf und stürzte sich auf mich. Er wagte es also tatsächlich! Rasch wich ich ihm auf, um ihn dann einen kräftigen Kinnharken zu verpassen.
Eigentlich wollte ich mich gar nicht prügeln, doch dieser Schuft ließ mir keine andere Wahl. „Ich hätte dich beim Maskenball töten sollen!“, schrie ich ihn weiter blind vor Wut an. Das nutzte er dummerweise ziemlich clever aus. Er holte aus uns gab mir zwei kräftige Fäuste, sodass ich aus dem Mund und aus der Nase blutete. Das würde er bitter bereuen.
Nebenbei musste ich aufpassen, dass wir nicht zu nah bei Giulia waren. Ihr durfte einfach nichts passieren. Wieder musste ich einen empfindlichen Schlag einstecken. Dieses Mal in den Magen. Scheiße, wenn ich weiterhin so viel nachdachte, dann würde ich verlieren. Das konnte und wollte ich nicht zulassen. Ich würde mir nie verzeihen, wenn Lia wegen mir etwas passieren würde.
Also schob ich alle Gedanken beiseite und konzentrierte mich. Es funktionierte, ich bekam immer mehr die Kontrolle des Kampfes. Schon bald hatte ich den Typen k.O. geschlagen. Um uns herum hatte sich eine Traube von Menschen versammelt, die allesamt nur zusahen. „Was gibt’s da blöd zu gaffen?“, fuhr ich sie noch immer wütend an, was sie dazu veranlasste, wegzugehen.
Na also, geht doch. In diesen Moment schämte ich mich schon fast für die Gesellschaft, in der ich lebte. Keiner hatte auch nur im Traum daran gedacht, die Polizei oder einen Krankenwagen zu rufen. Vielleicht war das auch besser so. So wie ich Giulia einschätzte, wollte sie auf keinen Fall Aufsehen erregen. Also beließ ich es auch selbst dabei und trug sie zu einer nahegelegenen Bank. Danach rief ich meinen Chauffeur an, der uns schnellstmöglich abholte. Der Abend war für mich also gelaufen.

 

Während der Fahrt zu meinem Anwesen sprach ich kein Wort. Ich sah nur zu Giulia, die friedlich schlief. Zumindest sagte mir das meine Erfahrung, der ich vertraute. Früher einmal hatte ich ständig exzessive Partys gefeiert und kannte die Gefahr Alkohol nur zu gut. Hätte Lia eine Vergiftung, dann hätte sie mich gar nicht wahrgenommen. Außerdem war es etwas anderes gewesen, was ihr die Kontrolle über sich selbst genommen hatte. Ja, auch damit hatte ich Erfahrungen machen müssen, unfreiwillig.
Als ich endlich bei mir ankam, trug ich sie in mein Schlafzimmer. Zugegeben, es war für mich sehr ungewöhnlich, eine Frau dorthin mitzunehmen ohne dass ich sie flachlegte, doch war Giulia nicht irgendeine Frau. Sie war ganz speziell. Zumindest für mich. Vorsichtig legte ich sie auf mein Bett und überlegte, ob ich sie ausziehen sollte oder nicht.
Ich wollte nicht, dass sie am nächsten Morgen dachte, dass ich mit ihr geschlafen hatte. Wenn sie diese Klamotten aber weiterhin anhaben würde, dann würden aber nur schmutzige Fantasien mit mir durchgehen. Daher beschloss ich, ihr einfach Klamotten von mir anzuziehen. So fest wie sie schlief, würde sie eh nicht merken, dass ich sie berührte. Weit gefehlt.
Denn als ihr auch nur die Träger von dem schicken Kleid, was sie trug, herunter schob, schlug sie im Schlaf um sich. „Nein!“, nuschelte sie überaus panisch, woraufhin ich inne hielt. War sie etwa schon wach? Als ich sie ansprach, rührte sie sich nicht. Komisch, dachte ich, machte mich aber weiter ans Werk.
Kaum befanden sich meine Hände auf ihrer Haut, erzitterte sie. „Ich tue dir doch nichts“, murmelte ich betrübt und beschloss vorsichtiger zu sein, was zum Glück funktionierte. Ich konnte sogar meine Augen in Schach halten. Ja, sie sah fantastisch aus. Wie eine Prinzessin. Schade, dass ich nicht ihr Prinz sein konnte. Dafür war ich das Arschloch aus dem Bilderbuch, wie sie pflegte zu sagen.
Ein trauriges Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich den Blick von ihr nahm und zu meinem Schrank ging. Daraus nahm ich mein schwarzes T-Shirt, was ich in Monaco angehabt und ihr so gefallen hatte. Dazu zog ich ihr eine schwarze Sporthose an, die ihr fast bis zu den Knien ging. Das dürfte gehen.
Erleichtert atmete ich aus. Es war geschafft und zwar ohne dass sie noch einmal von einer mir unbekannten Panik übermannt wurde. Dafür hustete sie gewaltig und mir schwante Übles. Leider bestätigte sich mein Verdacht. Giulia übergab sich und das auf meinem Bett. Es stank fürchterlich und bevor mir auch noch schlecht wurde, nahm ich die Decke und ging mit dieser ins Bad.
Ich beeilte mich, damit ich Lia nicht zu lange alleine lassen musste. Kaum hatte ich meine grüne Lieblingsdecke von der Kotze befreit, war ich wieder in meinem Schlafzimmer. Ich würde sie später waschen, wenn der Tag angebrochen war. Erst einmal musste ich mich um Giulia kümmern, der ich den Mund mit einem Taschentuch gesäubert hatte. Außerdem hatte ich ihre Haare nach hinten gelegt. Zur Sicherheit hatte ich aber trotzdem einen Eimer und Handtücher aus dem Bad mitgenommen. Jetzt konnte sie so viel kotzen wie sie wollte, ich war ausgerüstet.

 

Mittlerweile hatte ich es mir am Rande meines Bettes bequem gemacht und ließ die Frau nicht mehr aus den Augen. Sie erinnerte mich abermals an eine schlafende Prinzessin. Dornröschen oder so. Keine Ahnung, jedenfalls machte ich mir weitere Gedanken. Wenn ich nett zu ihr war, dann war sie es auch zu mir. Vielleicht sollte ich also mein Verhalten überdenken.
Anderseits frage ich mich, was es mir brachte. So abstoßend wie ich ihr war, würde sie sicherlich nicht mit mir Zeit verbringen. Was konnte ich also dann tun? Ich war nun einmal nicht ihr Typ, daran hatte ich keine Zweifel. Und ja, es kratzte gewaltig an meinem Ego, dass sie mich immer wieder zurückwies, wenn es darum ging ihr näher zu kommen.
„Warum machst du es mir nur so verdammt schwer?“, fragte ich Giulia und konnte nur zu gut erkennen, dass sie im Schlaf lächelte. Wow, das hatte ich zuvor noch nie gesehen, geschweige denn davon gehört. Ich konnte nichts anderes, als sie anzustarren. Ob sie wohl die ganze Nacht so schön lächeln würde?
Leider musste ich das zunichte machen. Meine linke Hand machte sich selbstständig und ehe ich etwas dagegen ausrichten konnte, hatte ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen. Ich ging sogar noch weiter, indem ich ihr etliche Küsse auf ihre braune Mähne gab. Genug, sagte ich mir schnell selbst und entfernte mich von ihr, da sie auf mich den Eindruck machte, als ob es ihr nicht passte. Sie würde schon nicht umsonst ein leises Wimmern von sich gegeben haben.
Lieber kümmerte ich mich um eine neue Decke für sie, die ich zuvor ganz vergessen hatte. Dann eben eine rote. Wenn ich mich nicht täuschte, war das sogar ihre Lieblingsfarbe. Sanft deckte ich sie damit zu und hoffte, dass sie diese nicht vollkotzen würde. Leicht belustigt über mich selbst schüttelte ich den Kopf. Es gab Schlimmeres, oh ja und wie.
Was sollte ich nun machen? Es war mitten in der Nacht und ich war mir sicher, dass sie so schnell nicht aufwachen würde. Mit einem Mal kam mir aber dann doch eine Idee. Ich musste nämlich noch für die Arbeit eine Präsentation vorbereiten. Tizian würde mich einen Kopf kleiner machen, wenn ich ihm diese nicht demnächst vorlegte.
Das musste ich ihm lassen, er war ein sehr gewissenhafter Chef. Trotzdem konnte ich es nicht tolerieren, dass er mir die Firma weggeschnappt hatte. Immerhin stand diese mir zu. Nur konnte ich nichts dagegen machen. Vermutlich genoss er es, dass ich für ihn arbeiten musste und nicht umgekehrt. Hätte ich schon da gewusst, was es damit auf sich hatte, dann hätte ich mich sofort vor ihm verneigt.

 

Schließlich fing ich mit meiner besagten Arbeit an. Dafür hatte ich meinen Laptop genommen und mich ausnahmsweise auf mein Bett gesetzt, damit ich ja Giulia im Augen behalten konnte. Zum Glück hatte ich schon eine Stoffsammlung gemacht und so musste ich die Daten nur in ein Dokument von PowerPoint eingeben.
Dabei hatte ich einiges zu beachten. Die Schrift musste gut lesbar sein, die Daten stichpunktartig und doch verständlich sein. Alle Folien mussten ein Ganzes ergeben, eine Einheit. Und so weiter und sofort. Immer wieder sah ich dabei zu Giulia, die weiterhin schlief. Etliche Male unterbrach ich meine Arbeit, um sie einfach nur anzustarren.
Wenn das so weiter ging, dann würde ich hier die ganze Nacht an dieser läppischen Präsentation sitzen! Bei der Frau, die neben mir lag, auch kein Wunder. Vermutlich war sie sich darüber nicht im Klaren, aber wenn sie wollte, dann konnte sie fast jeden Mann an ihrer Seite haben. Dazu kam noch, dass sie verdammt liebenswürdig war. Mir schien es so, als würde sie die Sonne in ihrem Herzen tragen.
Egal wohin sie auch ging, sie ließ alles in Licht erstrahlen und wenn es doch einmal Schatten gab, dann strahlte sie umso heller. Trotzdem wusste ich, dass sie ein düsteres Geheimnis umgab. Nur was für eins? Wenn ich sie darauf ansprach, dann erkannte ich nur zu gut, wie nervös sie das machte. Würde es mich vermutlich auch, wenn man mich auf meine Vergangenheit ansprach. Erst da fiel mir ein, dass Giulia mich noch nie auf meine früheren Zeiten angesprochen hatte.
Warum sollte ich auch über mich sprechen? Nein, dafür war ich viel zu stur und … schüchtern. Ja, es fiel mir sehr schwer über meine Gefühle zu reden und über das, was mich bewegte. Außerdem war es mir ein Rätsel, weshalb Giulia so bissig zu mir war. Wer konnte denn schon einen gutaussehenden jungen Mann wie mir widerstehen?
Diese Frau machte mich wirklich verrückt. Na gut, sie war älter als ich, was für mich kein Problem war, denn man sah ihr das überhaupt nicht an. Im Gegenteil, manchmal hielt ich sie für ein zartes Mädchen, dass mitten in seiner Blütezeit war. Sie war wie eine Sonne, um die die Planeten kreisten. Der Mittelpunkt von etwas ganz Großem.
Entsetzt nahm ich meine Hände von der Tastatur. Was dachte ich da schon wieder? Geradezu kraftlos raufte ich mir durch die Haare und gab ein langes Gähnen von mir. „Ach du“, sagte ich mit einem Blick auf die schlafende Schönheit namens Giulia De Lorenzi. Danach legte ich meinen Laptop auf die Kommode, die sich direkt neben meinem Bett befand und rutschte näher zu der brünetten Frau.

 

Ich wusste nicht, was da mit mir durchging, doch ich musste sie einfach erneut berühren. Sanft strich ich ihr über die Haare, woraufhin sie einen wohligen Seufzer von sich gab. In diesem Augenblick erinnerte sie mich an eine Prinzessin, die ihren Prinzen bei sich hatte. Nur würde ich nie das passende Gegenstück sein.
Nein, dafür waren wir einfach zu verschieden. Wie Sonne und Schatten. Wie Zucker und Salz. Wie Wasser und Feuer. Dabei konnte sie auch sehr temperamentvoll sein. Das hatte ich schon oft genug zu spüren bekommen. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich an unsere bissigen Wortgefechte dachte.
Vermutlich ahnte sie nicht einmal, wie sehr ich es mochte, wenn sie versuchte mich mit ihren Blicken zu töten. Dabei sah sie einfach nur zu süß aus! Wie ein kleines Kind, dass beleidigt war, weil es keine Süßigkeiten bekam.
Meine Hand ruhte nach wie vor auf ihrer Mähne, die sich wie Seide anfühlte und auch so glänzte. Ich fragte mich, was für ein Shampoo sie nutzte. Was für eine bescheuerte Frage. Es war schon so absurd, dass ich laut auflachte. Manchmal war ich wirklich krank im Kopf.
Im nächsten Moment konzentrierte ich mich lieber wieder auf das Wesentliche. Sicherlich kannte Giulia viele Männer, die sie begehrten. Bei ihrer Schönheit war das auch kein Wunder. Auch ich begehrte sie und wie! Und obwohl sie genau das wusste, machte sie sich nichts daraus. Im Gegenteil, es war ihr sichtlich unangenehm.
Sie wusste nicht einmal, dass es nicht nur das war. Sondern mehr. Viel mehr. Meine Andeutungen, die ich des öfteren schon gemacht hatte, schien sie nicht verstanden zu haben. War auch besser so. Früher oder später würde ich ihr so oder so das Herz brechen und das wollte ich nicht. Noch konnte ich also umkehren.
Mein Blick glitt von ihrem Gesicht über ihren Körper, an dem sich meine Klamotten befanden. Sie standen ihr ausgezeichnet, was mich auch nicht sonderlich sehr verwunderte, da sie so ziemlich alles tragen konnte. Ohne dass ich es kontrollieren konnte, näherte sich meine rechte Hand ihren Arm.
Kaum hatte ich diesen berührt, zuckte Giulia heftig zusammen und sagte, nein schrie schon fast: „Nein!“. „Hey, ich bin es doch nur, Jakob“, versuchte ich sie zu beruhigen und nahm meine Hand zurück. Ich erwartete, dass sie irgendetwas dazu sagte, doch sie drehte sich nur von mir weg und erst da wurde mir klar, dass sie nur im Schlaf zu mir gesprochen hatte.
Obwohl ich sie nicht mehr berührte, kam die Brünette nicht zur Ruhe. Im Gegenteil, es ging wohl erst richtig los. Immer wieder drehte sie sich, als ob sie etwas beschäftigte. Damit nicht genug schien Giulia zu denken, sie wäre nicht alleine, da sie panisch nuschelte: „Ich will nicht! Bitte!“. Was wollte sie nicht? Ich verstand natürlich überhaupt nichts.
Schade, dass sie nicht wach war, denn sonst hätte ich mit ihr gesprochen. Irgendetwas bewegte sie doch und das schien so tief in ihr verankert zu sein, dass sie selbst im Schlaf davon heimgesucht wurde. Nur was konnte es sein? Als Model war sie es gewohnt, stets von vielen Menschen umworben zu werden. Und mal ganz ehrlich, wer fand das schon schlimm?

 

Die Antwort befand sich genau vor mir oder genauer gesagt neben mir. Giulia De Lorenzi. Ich vermutete, dass es etwas mit ihrem Geheimnis zu tun hatte. Was konnte schon jemand wie sie Schlechtes erlebt haben? Ich konnte mir gut vorstellen, dass man es als bekanntes Model nicht leicht hatte, wahre Freunde zu finden oder dass man stets auf der Straße erkannt wurde und es sei nur beim Einkaufen.
Wenn ich so darüber nachdachte, dann konnte ich dem nur zustimmen. Mir erging es nämlich kaum anders. Ich war zwar nur ein Gelegenheitsmodel, aber durch meine Eltern und meinen zahlreichen Affären eine Berühmtheit. Im Gegensatz zu Giulia machte mir der Ruhm aber nichts aus, im Gegenteil, ich nutzte ihn für meine Zwecke aus und sonnte mich darin. Ich war schließlich noch jung und da war es doch nichts Verwerfliches.
Meine Gedanken gingen wieder zu Giulia. Dummerweise hatte sie mir kaum Privates von sich erzählt und so konnte ich mir keinen Reim daraus machen, weshalb sie so einen hohen Bogen um mich und all dem Trubel machte. Zu gerne würde ich wissen, was es mit dieser Schönheit auf sich hatte.
Fieberhaft überlegte ich, wie ich noch mehr über sie erfahren konnte. Zu Tizian würde ich unmöglich gehen, obwohl das die sicherste Möglichkeit wäre. Auch an Krystal oder Justin konnte ich mich nicht wenden. Erstere überschüttete mich geradezu mit ihrer Feindseligkeit gegenüber mir, was ich ihr mittlerweile nicht mal mehr verübeln konnte und Jus war nun mal der Mitbewohner von Lia. Ihn konnte ich zwar genaugenommen locker über sie ausfragen, indem ich ihn erpresste, doch wollte ich die Freundschaft der beiden nicht zerstören. Dasselbe galt für Fabrizia, ihrer besten Freundin. Außerdem konnte sie mich auch nicht ausstehen.
Mir blieb also nur noch eine einzige Möglichkeit. Giulia musste mir von alleine über sich erzählen. Da stellte sich mir die Frage, wie ich das erreichen konnte. Gerade als ich eine brauchbare Idee hatte vergaß ich sie wieder, da sich Lia abermals rührte.
Mit panischer Stimme flüsterte sie, dass sie in Ruhe gelassen werden möchte. Meine Güte, was ging in dieser störrischen aber auch so verdammt hübschen Frau vor? Litt sie etwa an Verfolgungswahn? „Bitte, ich möchte nicht mehr, dass du mir hinterherläufst!“, gab sie prompt laut von sich. Ach du scheiße! Sprach sie etwa von mir? War ich bereits zu weit gegangen?
Darüber konnte ich auch nicht weiter nachdenken, denn auf einmal wurde sie von Schüttelkrämpfen heimgesucht. Ich wusste nicht wie mir geschah und was ich dagegen tun konnte. „Giulia!“, brachte ich nur mühsam hervor, da ich so geschockt von dem war, was sich mir bot. Immer wieder schrie ich ihren Namen und ehe ich mich versah, packte ich sie sanft an den Armen und schüttelte sie.
„Alles ist gut, dir passiert hier nichts!“, sagte ich laut und bemühte mich nicht in vollständiger Panik auszubrechen. „Hörst du mich?“, fragte ich sie, doch sie reagierte nicht auf mich. Dann plötzlich riss sie die Augen weit auf und gab nur ein unüberhörbares Schluchzen von sich. Instinktiv ließ ich sie los und wich zurück. Was war nur mit ihr los?

The Reason

Panisch wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Nicht etwa von einer anderen Person, sondern von mir selbst oder besser gesagt meinen Alpträumen. Dabei dachte ich, dass ich diese Phase langsam aber sicher überwunden hätte. So konnte man sich täuschen. Als ich nämlich urplötzlich hellwach war, übermannten mich die negativen Gefühle wie eine reißende Flut, die sich in Form von etlichen Tränen über mich ergoss.
Erst als ich merkte, dass ich nicht alleine war, beruhigte ich mich allmählich. Zudem nahm ich immer mehr einen ziemlich widerlichen Geruch war, der vermutlich aus meinen Mund kam. „Giulia?“, hörte ich Jakob vorsichtig fragen, woraufhin ich mich zurück in das Bett fallen ließ. Moment mal, wo zur Hölle war ich überhaupt? Fragend sah ich mich um, mein Blick blieb schließlich an die rote Decke, die ich zuvor noch nie gesehen hatte und an den Männerklamotten an meinem Körper hängen.
Mein Herzschlag beschleunigte sich daraufhin, ich werde doch nicht etwa...? „Es ist nicht so wie du denkst!“, sagte Jake so schnell er konnte und entfernte sich ein kleines Stück von mir, um mir zu zeigen, dass ich wirklich nicht mit ihm geschlafen hatte. „Dann erkläre es mir bitte und vor allem, dass ich so mörderische Kopfschmerzen habe! Ich komme mir so vor, als ob man mit einem Presslufthammer immer und immer wieder auf meinen armen Schädel einschlägt“, gab ich mich völlig kampflos geschlagen.
Was blieb mir auch schon anderes übrig? Ich fühlte mich hundsmiserabel und wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass es mir besser ging. Zu meiner leichten Überraschung stand Jakob auf und meinte: „Das ist dein gutes Recht, doch zuvor würde ich dir sehr gerne etwas gegen deinen Kater geben, wenn du gestattest“.
Seit wann redete er so … förmlich? Das kannte ich gar nicht von ihm. Nichtsdestotrotz gewährte ich ihm kurz das Zimmer zu verlassen, damit er nach fünf Minuten mit einem Glas Wasser und Tabletten zurückkehrte. Nachdem ich das Glas mit einem Schluck hinuntergestürzt hatte, sagte ich: „Vielen Dank, das hatte ich wirklich nötig gehabt“.
Im nächsten Moment sah ich ihn auffordernd an, da ich noch immer keine Antwort auf die Frage hatte, was ich in seinen Klamotten in seinem Bett machte. Mir war nun klar, dass ich in seiner Bleibe war und das obwohl ich sein Schlafzimmer noch nie gesehen hatte. Zumindest konnte ich mich in diesem Augenblick nicht daran erinnern, was nicht sonderlich verwunderlich war, da ich mich erst einmal von diesem mörderischen Kater erholen musste.
Jakob fuhr sich nervös durch die Haare, ehe er leise sagte: „Nun ja, ich … ich habe dich vor einer Dummheit bewahrt“. „Geht das auch genauer? Vor welcher?“, wollte ich skeptisch wissen, da ich nicht glauben konnte, dass ich so sehr die Kontrolle über mich selbst verloren hatte. Wenn ich aber an das Pochen in meinem Kopf dachte, musste ich ihm wohl oder übel zustimmen.
Mein Gegenüber atmete tief ein, ehe er zaghaft meinte: „Bevor ich dir die Geschichte erzähle musst du mir unbedingt versprechen, dass du nicht auf Justin sauer bist“. „Ähm klar, wenn ich dadurch erfahre, was geschehen ist, dann liebend gerne. Ich frage mich jetzt nur, was er damit zu tun hat, dass ich in deinem Bett und auch noch in deinen Klamotten aufgewacht bin“, ging ich auf die Bedingung des Blonden ein.

 

„Es begann damit, dass Jus mir sagte, du seist zum Principado aufgebrochen. Er sagte mir, dass er es nicht gutheißen würde, dass wir uns gegenseitig ignorieren. Ich ging schließlich hin, um mit dir zu reden“, begann er schließlich. Aha! Justin wollte also ein Treffen zwischen Jake und mir einfädeln. Verräter, dachte ich mit einem leichten Schmunzeln.
Nur war es dazu nie gekommen, zumindest fehlten mir jegliche Erinnerungen. Da musste er mir wohl noch mehr auf die Sprünge helfen. „Als ich ankam, da sah ich dich schließlich mit diesem verdammten Typen. Wie er dich von der Bar abschleppen wollte und dich einfach nicht losließ“, zischte Jakob mit einem Anflug von schlechter Laune.
Ich verstand natürlich überhaupt nichts und fragte daher „Welcher Typ?“. „Oh man, Giulia. Dir ist es wahrscheinlich nie aufgefallen, oder?“, sprach mein Gegenüber nach wie vor in Rätseln. „Nicht, wenn du mir nicht den Namen sagst“, ließ ich ihn ratlos wissen. Seine Augen funkelten mich böse an, aber ich konnte in ihnen auch Verwunderung erkennen.
Was war denn nun schon wieder? Langsam aber sicher verlor ich die Geduld. Seufzend sagte er: „Ich spreche von diesem Kellner, Tommy Forster“. Im nächsten Augenblick weiteten mich meine Pupillen. „Wie bitte? Wie … woher willst du das wissen?“, fragte ich perplex. „Er war es doch, der dich ständig verfolgte!“, stellte Jake fest.
Nach seinen Worten grübelte ich, denn ich wusste nach wie vor nicht, wovon er sprach. „Tut mir leid, wenn ich so ahnungslos bin, aber kannst du mich darüber bitte auch aufklären?“, bat ich ihn vorsichtig, woraufhin er mich mit hochgezogenen Augenbrauen anstarrte. „Wahnsinn, du merkst wirklich nicht, was für eine Wirkung du auf Männer hast, aber ja ich werde dir auch das erklären“, brachte er mühsam hervor.
Mit einem Nicken überließ ich ihn das Wort. Endlich legte Jakob los. Er sagte: „Auf dem Maskenball hat er dir nachgestellt. Sogar nach Monaco ist er gereist und hat dir meine mühevolle Überraschung mit den Tulpen versaut. Zu guter Letzt vermute ich sehr stark, dass er dich in der Bar abfüllen und somit gefügig machen wollte. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass du dich so sehr besäufst, dass du dich an nichts mehr erinnern kannst. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es geradezu, da ich schon oft genug gesehen habe, wie K.O. - Tropfen auf andere wirken“.
Seine Erklärung hallte wie ein Echo in meinem Kopf wider. Es ging sogar schon so weit, dass ich einen spitzen Schrei ausstieß. Obwohl ich ihn erschreckt hatte, zögerte Jakob keine Sekunde und nahm mich in den Arm. Die Tränen, die zuvor getrocknet waren, kullerten mir unentwegt über das ganze Gesicht.
Schluchzend lehnte ich mich gegen seine Brust und stammelte: „Ich will wirklich nicht wissen, was passiert wäre, wenn du zehn Minuten später gekommen wärst“. „Da geht es dir wie mir“, ließ mich Jakob mit zittriger Stimme wissen. Die nächsten Minuten waren von Schweigen erfüllt. Es war keine unangenehme Stille, sondern eine, in der man sich beruhigen konnte, was wir beide auch bitter nötig hatten.
Seine Worte ergaben einen Sinn. Wenn ich so darüber nachdachte, da konnte es nur stimmen, dass es dieser Kellner war. Ich hob meinen Kopf und blickte dem Blonden ins Gesicht. Erst da fiel mir auf, dass auch er ziemlich mitgenommen aussah. „Du … hast dich mit ihm geprügelt?“, vermutete ich und war selbst überrascht von meiner Frage.
Hatte er das wirklich getan, wo er mich doch selbst nur flachlegen wollte? Seine Stimme riss mich sofort aus meinen Gedanken. „Du ahnst ja nicht, was ich mit diesem Schwein am Liebsten gemacht hätte!“, stieß er mit knirschenden Zähne hervor. Also stimmte es wirklich! „Das ist … ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, aber danke. Vielen Dank!“, brachte ich mühevoll hervor und ehe ich mich versah, drückte ich ihm einen Kuss nach dem anderen aufs Gesicht.
„Ich … ich denke das reicht“, murmelte Jake und ließ mir keine Zeit, darauf etwas zu erwidern, denn er fuhr langsam mit seiner Erzählung fort. „Nachdem ich ihn in die Flucht geschlagen habe, habe ich dich zu mir mitgenommen. Um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen, du hast deshalb meine Klamotten an, weil du dich übergeben hast und in meinem Bett bist du aus dem Grund, weil ich in dem Moment dachte, dass es das Beste wäre, wenn nur du und ich davon etwas wissen“.

 

Oh Gott! Am Liebsten wäre ich im Erdboden versunken. „Meine Güte, wie peinlich!“, nuschelte ich und vergrub mein Gesicht in beide meiner Hände. Kein Wunder also, dass ich so einen ekligen Geschmack im Mund gehabt hatte, als ich aufgewacht war. Zum Glück hatte Jakob mir Wasser gebracht. Dieser legte seine Hände in meine und sah mir genau in die Augen. Dann sagte er: „Das muss es dir nicht. Jeder hat mal einen Durchhänger und außerdem schätze ich mal, wusstest du nichts von dem Vorhaben dieses Perverslings“.
Das war ein gutes Stichwort. „Ähm, du sagtest ja schon, dass es besser wäre, wenn das unter uns bleibt und das finde ich auch. Also bitte behalte das für dich. Ich möchte kein Aufsehen erregen, in Ordnung?“, bat ich ihn, über diese Nacht zu schweigen. „Natürlich“, ließ er mich ohne Zögern wissen und ich glaubte ihm ohne den geringsten Zweifel.
Dafür war ich ihm sehr dankbar. Noch dankbarer war ich dem Blonden dafür, dass er für mich da war und keine Fragen stellte, was es mit dem Traum auf sich hatte. Selbst so ein Eisklotz wie Jakob dürfte gemerkt haben, dass ich nicht einfach so mit einem Schrei und Tränen auf dem Gesicht aufgewacht war.
Nervös fuhr ich mir durch mein zerzaustes Haar und da fiel mir auch ein, wie mies ich aussehen musste. „Ähm, könnte ich mal ins Bad? Ich schätze, ich sollte mich mal frisch machen“, sprach ich Jake sofort darauf an. Dieser erwiderte: „Ach, so scheiße siehst du gar nicht aus. Erschöpft und müde, mehr nicht. Möchtest du nicht lieber schlafen? Es ist kurz vor halb vier, da wäre es besser, wenn du dich noch eine Weile ausruhst“.
Nach seinen lieben Worten befürchtete ich, so rot wie eine Tomate zu sein, doch dem schien nicht so zu sein, denn der Blonde zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht mehr einschlafen kann“, blieb ich schließlich bei meiner Bitte, die er mir Folge leistete. Er stand auf und führte mich in sein schickes Bad. Dann sagte Jake: „Nimm dir so viel Zeit wie du möchtest, ich bereite derweil etwas vor. Dir ist doch nicht mehr schlecht, oder?“.
Neugierig sah ich ihn an und hätte am Liebsten gefragt, was er vorhatte, aber ich beließ es dabei und meinte nur mit einem verkrampften Lächeln: „Mir geht es eigentlich ganz gut, nur etwas komisch zumute, aber das wird schon. Ich bin nur froh, dass ich meinen ganzen Mageninhalt ausgekotzt habe“.
Jakob stieß ein leises Kichern aus, eher er sich besinnte. Danach überließ er mir das Bad mit den Worten, dass ich mir ruhig Zeit lassen konnte und ihn rufen sollte, wenn ich fertig war.

 

Da er scheinbar wirklich etwas plante, ließ ich mir extra ganz viel Zeit. Erst einmal nahm ich mir ein schönes Bad. Wie ich feststellte, hatte Jake nämlich auch Badezusatz für Frauen. Oder besser gesagt für seine Bettgeschichten. Bei diesem herrlichen Erdbeerduft konnte ich aber einfach nicht widerstehen!
Kaum hatte ich das warme, ja schon fast heiße Wasser, berührt, gab ich einen wohligen Seufzer von mir. Ich entspannte mich noch mehr, als ich es mir in der großen Wanne bequem machte. Wahnsinn, hier passten locker drei Personen rein und dafür mussten diese nicht einmal gertenschlank sein! Bei dem Gedanken, dass ich das Bad ganz für mich alleine hatte, musste ich lächeln.
Je länger ich hier lag, umso besser fühlte ich mich. So ein Schaumbad konnte wirklich Wunder bewirken! Das merke ich nun selbst. Meine müden Glieder wurden immer wacher und mein betrübter Gesichtsausdruck wich einem gut gelaunten Schmunzeln.
Unweigerlich musste ich an Jakob denken. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn ich mit ihm hier baden würde. Wir würden reden, gemeinsam lachen und einfach nur entspannen. Da dem aber nicht so war und ich hier schon eine Weile war, wusch ich meine Haare, stieg aus der Wanne und duschte mich schließlich ab.
Danach schlüpfte ich einfach in die Sachen von Jake, da sich meine in der Wäsche befanden, wie ich mit Verwunderung feststellte oder besser gesagt hing mein Kleid über einer Stange, in der man normalerweise ein Handtuch steckte. Auch konnte ich eine grüne Decke ausmachen, die feucht aussah. Oh je, hatte ich die etwa auch angekotzt?
Bevor ich wieder peinlich berührt wurde, lenkte ich mich ab, in dem ich mir die Haare föhnte. Bei genauerem Überlegen fühlte ich mich hier schon fast wie zu Hause, da ich mich alleine zurecht fand. Nach zehn Minuten waren meine Haare trocken und ich erleichtert. Schminken brauchte ich mich nicht, da ich gerade dazu keine Lust hatte und ich nicht wissen wollte, wie viele Frauen schon die Utensilien, die ich vorfand, benutzt hatten. Also machte ich mich auf die Suche nach Jakob. Ich brauchte dringend wärmere Kleidung!
Glücklicherweise brauchte ich ihn gar nicht lange zu suchen, denn er kam mir entgegen, sobald ich das Bad verlassen hatte. „So gefällst du mir viel besser“, begrüßte er mich, woraufhin ich meinte: „Das glaube ich dir“. Danach lachten wir beide. Im nächsten Moment wurde ich aber wieder ungeheuer nervös.
Stammelnd fragte ich: „Ehm, … hast du vielleicht eine lange Hose und einen Pullover für mich? Mich fröstelt es leicht“. Seine Augen glitten über meinen Körper, wofür ich ihn am Liebsten einen Klaps auf den Hinterkopf gegeben hätte, aber ich beließ es bei einem mahnenden Blick, was leider nicht sehr ernst rüber kam, da meine Mundwinkel verdächtig zuckten.
Der Blonde grinste mich an und führte mich zurück in sein Schlafzimmer. Dort sagte er: „Da du sicherlich keine Klamotten von meinen … Bettgeschichten tragen willst, kann ich dir nur welche von mir anbieten“. Danach ging er zu seinem Kleiderschrank und suchte etwas Passendes für mich heraus.
Keine fünf Minuten später hatte ich eine hellblaue Hose und einen schwarzen Pullover, sowie einen grauen Cardigan in der Hand. Mir könnte alles sogar passen, wie ich mit einem Blick feststellte. „Danke“, sagte ich zu Jakob, der mich auffordernd ansah. „Ehm, könntest du bitte vor der geschlossenen Tür warten?“, bat ich ihn leicht stotternd, woraufhin er mich überrascht anstarrte. „Oh … ja, klar! Entschuldige!“, redete er sich fast eine Spur zu erschreckt heraus, ging meiner Bitte aber dann nach.
Rasch zog ich mich um und legte die zuvor getragenen Klamotten fein säuberlich zusammen. Erst da fiel mir auf, dass er mich in Unterwäsche gesehen hatte. Oh, du meine Güte! Röte schoss mir ins Gesicht, die Jakob zum Glück nicht sehen konnte, da er sich außerhalb des Raumes befand.

 

Ich atmete einmal tief durch und schloss die Tür wieder auf. Dann trat ich hinaus und sagte auch schon zu dem Blonden: „Sitzt fast perfekt, danke“. Dieser freute sich darüber, indem er breit lächelte. „Während du im Bad warst, habe ich eine Kleinigkeit vorbereitet. Ich hoffe, dass es dir gefällt und ich dich ein wenig von dem Erlebten ablenken kann“, machte er erneut eine mystische Bemerkung und mein Blick glitt zu seiner Hand, in der er eine Reisetasche hielt.
Meine Neugier war wieder geweckt und das Gute daran war, dass ich gleich wissen würde, was es mit der Überraschung auf sich hatte. Wider Erwarten führte mich Jakob auf seine Terrasse die zu seinem Garten führte oder sollte ich lieber sagen Urwald? Ich kam mir nämlich so vor, da ich etliche verschiedene Pflanzen und Bäume sah!
Ehe ich ihn fragen konnte, was es damit auf sich hatte, hüstelte Jake etwas unsicher auf und meinte: „Ich ähm habe einen Narren an die Flora gefressen und das ist dabei das aktuelle Ergebnis“. „Wow, ich muss sagen, es sieht wirklich super aus! Wie lange machst du das schon?“, gab ich mein Interesse dafür offen kund. „Ewig. Da war ich noch ein Kind, als ich anfing mich dafür zu begeistern“, antwortete er auf meine Frage.
Wir gingen weiter, bis wir schließlich erneut von Pflanzen umgeben waren. Eine kleine Fläche, aber groß genug, um einige Menschen darin zu versammeln, war gemäht, außerhalb war das Gras aber länger. Direkt daneben sah ich eine Gartenlaube. Anscheinend waren wir an unserem Zielort angekommen, denn Jakob stellte die Tasche ab und kniete sich hin.
Daraus holte er eine Decke und da wusste ich, was er geplant hatte. Ich musste zugeben, dass das eine sehr süße Idee war. So ein Picknick im Freien hatte man auch nicht immer. Zusammen breiteten wir die Decke aus und ließen sie sanft auf das Gras fallen. Danach zogen wir unsere Schuhe aus und setzten uns hin.
Der Blonde machte weiter, während ich mir das Sabbern verkneifen musste. Es war zwar verdammt früh am Morgen, aber wenn ich so sah, wie er einen Schokoladenbrunnen aufstellte, hatte ich wirklich große Lust auf Süßes. „Tolle Idee“, sagte ich anerkennend und hätte meinen Finger am Liebsten in die flüssige weiße Schokolade getaucht.
„Danke“, sagte er, legte neben dem Brunnen Schüsseln mit Früchten und reichte mir eine Gabel. Erneut erhob er sich und bevor ich ihm nach dem Grund fragen konnte, war er zur Gartenlaube gegangen und hatte Lichter angemacht. Sofort wurde die dunkle Gegend in bunte Farben getaucht. Wahnsinn, das sah wirklich super aus!
Das war aber noch nicht alles, denn Jakob zündete sogar Kerzen an, die er in Haltern eingesetzt hatte. So konnte nichts umgeschmissen werden und wir brauchte keine Angst haben, dass es brannte.

 

Kaum hatte sich Jake hingesetzt, flüsterte ich: „Das sieht atemberaubend schön aus! Danke, dass du dir so viel Mühe gibst“. „Ich muss dir für das Kompliment danken und das mache ich gerne für dich“, hauchte er, spießte eine der Erdbeeren auf seine Gabel, tauchte diese in die Schokolade und hielt sie mir hin.
So so, auf solche Spielchen stand der Herr. Na gut, dachte ich mir glücklich, dann spiele ich mit. Während ich mich zu ihm nach vorne beugte, sah ich ihm genau in die Augen. Als ich ankam, biss ich die Erdbeere betont langsam von seiner Gabel, wobei mir etwas Schokolade an den Lippen kleben blieb.
Bevor ich mit der Zunge darüber fahren konnte, hatte Jakob seinen Daumen dafür genommen und leckte sie davon ab. Natürlich konnte er dasselbe Spiel spielen wie ich und hatte mir dabei ebenfalls in die Augen gestarrt. Fiesling. Ich stieß lieber ein Kichern hervor und nahm eine Kirsche in die Hand, die ich an ihm verfütterte.
Die Stimmung zwischen uns war prächtig, was leider selten der Fall war. Nachdem wir uns gegenseitig mit ein paar Früchten gefüttert hatten, legte ich mich hin und sah in den Himmel, der sternenklar war. Ich vergaß alles um mich herum, bis sich Jakob tatsächlich neben mich legte! Sein Blick glitt ebenfalls in die endlose Dunkelheit, die von Millionen von Diamanten erleuchtet wurde. „Wunderschön, nicht wahr?“, fragte ich völlig verträumt.
Jake schwieg einen kurzen Moment, ehe er erwiderte: „Das schon, aber nicht einmal annähernd so wunderschön wie du es bist“. Mein Herz setzte nach seinem Satz einen Takt lang aus und in mir breitete sich eine immense Hitze aus. Bestimmt war mir das Blut schon längst in die Wangen geschossen, so sehr hatte er mich mit seiner Aussage überrumpelt.
Ich gab jedoch nur ein verlegenes Lachen von mir und meinte: „Du Spinner“. „Nein, ganz und gar nicht. Das ist nämlich noch untertrieben. Weißt du Giulia, es gibt keine Worte, die dich auch nur annähernd passend beschreiben könnten“, blieb er sehr ernst bei der Sache, was mich nur noch mehr durcheinander brachte.
Ehe ich auch nur ein Wort sagen konnte, fuhr er auch schon fort: „Du bist wunderschön, manchmal störrisch, aber auch so erschrocken wie ein Schmetterling, den man unsanft einfangen wollte. Du bist unvorhersehbar“. Ich zerfloss bei seinen Worten förmlich wie Wachs in seinen Händen und das obwohl es mich leicht fröstelte, doch Jakob reagierte blitzschnell.
Wie selbstverständlich kam er mir immer näher, bis er sich mit der Seite zu mir legte und einen Arm um mich legte. Dann sah er mir in die Augen. „Danke, lieb von dir“, nuschelte ich total verunsichert und wagte es erst gar nicht übertrieben laut zu atmen. „Sieh mich an, bitte“, bat er mich daraufhin. Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich tun sollte, denn ich ahnte bereits, was er vorhatte.
Dummerweise verselbstständigten sich meine Augen und ich sah ihn gebannt an. „Du hast so schöne Augen und makellose Haut, da denke ich andauernd, du seist von einem anderen Stern“, hauchte er und näherte sich mit seinem Gesicht meinem. Mist, er wollte es also wirklich tun! Dabei war ich dafür gerade nicht bereit oder besser gesagt in Stimmung.
Ich wollte einfach nur die Stille und den Sternenhimmel, ja sogar die sanften Berührungen von Jakob genießen, aber nicht, dass er mich küsste! Er war der Grund, dass es mir besser ging und dabei wollte ich es belassen. Bevor ich doch noch schwach wurde, wich ich abrupt zurück, woraufhin sich die Augen von Jake zu Schlitzen verengten.

Traces Of Sadness

 

Abwartend sah ich ihm schließlich in die Augen. Sein Blick legte sich wie eine unaufhörliche Kälte auf mich und ließ mich innerlich erzittern. Was würde er nun machen? „Jakob?“, fragte ich vorsichtig, da mir nichts Besseres einfiel. Er reagierte nicht. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Bitte, sag doch etwas“, bat ich ihn ängstlich und verschränkte die Arme vor der Brust, um mich sicherer zu fühlen.
Das schien Jake falsch verstanden zu haben, denn er sah mich gebannt an oder besser gesagt meine Arme. Verdammt! Wie konnte ich diese unangenehme Situation wieder entschärfen? Darauf hatte ich leider Gottes keine Antwort. Vielleicht verstand er meine Haltung auch falsch und dachte, dass ich ihn ablehnen würde.
Zittrig ließ ich meine Arme wieder sinken, verhakte aber meine Finger ineinander. Ja, ich war ziemlich nervös, ziemlich sehr sogar. Kein Wunder also, dass ich noch den ein oder anderen Schritt zurück ging. Ich wusste nach wie vor nicht, was mich als Nächstes erwartete und doch hatte ich eine böse Vorahnung.
Leider bewahrheitete sich diese. Jakob ballte seine Hände zu Fäusten und ehe ich mich versah, kickte er mit voller Wucht die Kerzen um, die er noch zuvor mühevoll aufgestellt hatte. Ich schrie auf, doch das interessierte ihn nicht. „Du machst mir Angst!“, sagte ich laut in der Hoffnung, dass er endlich aufhörte, doch er tat es nicht.
Im Gegenteil, er schien seine Sprache wiedergefunden zu haben und zischte: „Du hast keine Ahnung, wie scheißegal mir das ist!“. „Warum bist nur wieder so … so hart?“, fragte ich leise und spürte bereits Tränen in meinen Augen brennen. Mein Gegenüber lachte gehässig wie eh und je, ehe er antwortete: „Das geht dich einen verdammten Kehricht an!“.
Mit diesem Satz hatte er es geschafft, mich zum Weinen zu bringen. Damit nicht genug musste ich aufpassen, dass die Kerzen nicht das Gras anzündeten. Also tritt ich diese aus und war erleichtert, dass kein Feuer ausgebrochen war. Jedoch war das meine kleinste Sorge, denn Jakob zertritt nun die leckeren Früchte, von denen noch etwas übrig war.
Ich wusste nicht woher ich plötzlich diesen Mut nahm, doch es langte mir. Ich ging schließlich auf ihn zu und schubste ihn so kräftig wie ich konnte. In Sekundenschnelle landete Jake auf dem Gras. Nun konnte ich von oben auf ihn herab sehen. „Was soll der Mist schon wieder? Kann man sich nicht mal auch nur einen einzigen verdammten Tag mit dir normal unterhalten ohne das du es versauen musst?“, fuhr ich ihn scharf an.
Damit nicht genug sagte ich noch: „Und das du deine mühevolle Arbeit dermaßen mit Füßen trittst finde ich auch nicht in Ordnung. Die Kerzen sind nicht mehr zu gebrauchen und auch die Früchte kann man nicht mehr essen“. „Das interessiert mich gerade herzlichst wenig“, erwiderte er matt, woraufhin ich schluchzte: „Oh bitte, ich dachte, dass du die Phase, mich herumzukriegen endlich überwunden hättest!“.

 

Dank diesem Kerl würde ich vermutlich noch einen Nervenzusammenbruch erleiden. Was bildete er sich überhaupt ein? Darüber konnte ich mir keine Gedanken mehr machen, denn jener Mann rappelte sich auf und meinte: „Falsch gedacht. Da habe ich es nun auf die romantische Art versucht, aber du springst trotzdem nicht darauf an! Was ist bei dir nur schiefgelaufen?“.
Meinte er das ernst? „Das ist ja so was von unerhört! Du solltest dich wohl eher fragen, was mit dir nicht richtig ist!“, beschwerte ich mich sofort über seine Unverschämtheit, woraufhin ein überaus höhnisches Lachen aus seiner Kehle drang. Gemein wie eh und je sagte er: „Jede Menge, doch wen interessiert das schon? Ich habe schon längst damit abgeschlossen!“.
Seine Worte stimmten mich nachdenklich, doch ehe ich mich versah, redete ich einfach drauf los: „Du lügst. Wären deine vergangenen Zeiten nicht mehr in deinem Kopf, dann würdest du endlich mal in der Gegenwart leben. Außerdem merke ich doch, dass dich etwas zutiefst beschäftigt“. „Was weißt du schon? Nichts, also halt die Klappe!“, wies mich Jakob barsch zurück.
Auch wenn es mir hundsmiserabel ging und mir nach wie vor Tränen über das Gesicht kullerten blieb ich standhaft. „Verstehst du denn wirklich nicht, dass ich mich ernsthaft für deine Geschichte interessiere? Die, die dich so sehr geprägt hast, dass du … dass du keine Wärme mehr zulässt?“, flüsterte ich bedrückt.
Um meinen Worten Glaubhaftigkeit zu verleihen, sah ich Jake genau in die Augen. Warum machte er es mir - und vor allem sich selbst! - so verdammt schwer? Der Mann vor mir rang mit sich. Das konnte ich ihm nur zu gut ansehen. Blitzschnell wich er jedoch meinem Blick aus und sah zu Boden. Dann sagte er leise: „Giulia, geh bitte“.
Obwohl das eine Bitte war, konnte ich nicht gehen. Nicht, wenn er gerade so zerbrechlich wie Glas war. „Möchtest du mir nicht lieber etwas von deiner Vergangenheit erzählen? Wir können uns gerne in dein Wohnzimmer setzen und über alles reden. Vielleicht geht es dir danach besser“, schlug ich sanft vor und legte meine eine Hand auf seinen Arm. Mit der anderen fuhr ich über seinen Rücken. Außerdem hatte ich mich sehr dicht vor ihm gestellt.
Mein Herz hämmerte wild gegen meine Brust, so sehr, dass ich schon Angst hatte, dass Jake es hören konnte. Vermutlich wäre das gar nicht mal so schlecht, dann würde er endlich mal einsehen, dass ich keine bösen Absichten hatte. Lächelnd wartete ich auf seine Reaktion, nur um dann enttäuscht zu werden.
Jakob schubste mich nämlich von sich und schrie: „Ich sagte dir, dass du verschwinden sollst!“. Das waren nun ganz andere Töne. Zuvor kam er mir geradezu zerbrechlich vor, doch jetzt hatte ich das Gefühl, dass das nur eine Einbildung gewesen war. Es könnte natürlich auch sein, dass ich es mir so zurecht zu reden versuchte.
Jedenfalls war der Mann vor mir nun so wie er sonst auch war. Distanziert, jähzornig und eiskalt. Zumindest war das mein Eindruck. „Was stehst du hier noch so blöd rum? Ich sagte dir, dass du verdammt nochmal verschwinden sollst!“, riss mich Jake aus meinen Gedanken. Ehe ich mich davon erholen konnte, schüttelte er mich kräftig durch.
Das erinnerte mich an ein bestimmtes Erlebnis. Kein Wunder, dass mir mit einem Mal die Tränen wie Sturzbäche kamen. „Hör auf, bitte! Ich will das nicht!“, schluchzte ich laut auf und versuchte ihn anzusehen. Meine Augen waren aber so verschleiert, dass ich nichts erkennen konnte. Es war still, doch dann tat ich, was mir Jakob zuvor befohlen hatte. Wortlos, aber mit von Tränen überströmten Augen nahm ich meine Handtasche und verließ seine Villa. Fast glaubte ich ihn etwas sagen gehört zu haben, doch ich war so fertig von der Situation von eben, dass ich einfach nur lief.

 

Immer schneller rannte ich durch die Schatten des frühen Morgen. Ich hatte Angst, dass mir der Blonde doch folgte, obwohl ich weit und breit nichts hören konnte, da ich so gefangen in meiner Trauer war. Dafür war ich umso froher, als ich endlich die Wohngegend erreichte, in der ich wohnte. Als ich in dem Treppenhaus ankam, atmete ich tief ein und aus. Ich wollte meinen Mitbewohner und Kumpel nicht wecken.
Kaum näherte ich mich jedoch der Wohnungstür, sah ich ihn. Justin stand bereits an der Tür und schnappte sichtlich entsetzt nach Luft. Vermutlich hatte er mich bereits meterweit gehört. Daran war nur Jakob Schuld! Wenigstens brauchte ich nun nicht mehr ruhig sein.
Schluchzend warf ich mich in die Arme von Jus, der mich wortlos seiner annahm. Behutsam schloss er die Tür vor uns und ging mit mir in die Küche. Zwar knurrte mein Magen, doch verspürte ich nicht den geringsten Appetit. Daher ließ ich mich kraftlos auf einen der Stühle nieder. Sofort vergrub ich mein Gesicht in bei meiner Hände.
Mein Mitbewohner legte irgendetwas genau vor mich hin. Was wusste ich nicht sicher, doch aufgrund des Rascheln nahm ich sehr stark an, dass es sich dabei um Taschentücher handelte. Jedenfalls war ich ihm sehr dankbar. Dazu kam noch, dass er mich nicht dazu drängte, ihm zu erzählen, was vorgefallen war.
Ich weinte noch ein paar Minuten, ehe ich endlich anfing zu sprechen. „Leider ist dein Plan, dass Jake und ich uns versöhnen, total nach hinten losgegangen“, flüsterte ich, machte ihm aber auf keinen Fall Vorwürfe. Immerhin wollte Justin mir nur helfen. Dieser meinte auch schon: „Das habe ich gesehen. Schade, dass es nicht funktioniert hat“.
In seiner Stimme schwang so viel Traurigkeit mit, dass ich von einem neuen Weinanfall gepackt wurde. Beruhigend strich mir Jus über den Rücken, was mich ungemein tröstete. „Zuerst rettet er mich erneut, dann verbringen wir einen schönen Morgen und zu guter Letzt zeigt er mir sein wahres Gesicht. Dabei war ich mir so verdammt sicher, dass er eigentlich ein ganz anderer Mensch ist!“, fasste ich sehr grob zusammen, was vorgefallen war.
Natürlich verstand mein Mitbewohner überhaupt nichts und so fing ich schließlich doch an, die Nacht noch einmal passieren zu lassen. „Also wie du weißt war ich im Principado, dummerweise war da auch mein Stalker“, sagte ich, wurde aber von meinem Kumpel unterbrochen. „Du … wirst gestalkt?“, wollte dieser fassungslos wissen und fügte hinzu: „Warum hast du mir nicht gesagt? Ich hätte dich beschützen können“.
Erst jetzt sah ich ihn seit unserem Gespräch an. Schuldbewusst kaute ich auf meiner Lippe herum und meinte: „Es tut mir leid, nur habe ich es bis heute auch nicht gewusst. Jakob hat mich darauf aufmerksam gemacht“. Mit einem Lächeln signalisierte mir mein guter Freund, dass er mir nicht böse war.

 

Was mich jedoch etwas verwirrte, war die Tatsache, dass er nichts dazu sagte, dass sein Cousin wusste, dass ich verfolgt wurde. Wusste er etwa auch davon? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, ebenso, dass Jake mit ihm darüber gesprochen hatte. Nein, dazu war mein Schwarm viel zu verschwiegen.
„Möchtest du weiter erzählen, was letzte Nacht passiert ist?“, riss mich Justin aus meinen Gedanken. Ertappt zuckte ich zusammen und räusperte mich. „Ehm, ja. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, also ich habe mich in der Bar betrunken. Da kam dann irgendwann der Irre und hat mich zum Teil abgefüllt. Jakob meinte, er hätte mir sogar K.O-Tropfen untergejubelt“, gab ich zu.
Mein Mitbewohner starrte mich mit großen Augen an. „Dieser Mistkerl!“, fluchte er, was nicht sehr häufig bei ihm vorkam. Eigentlich war Jus ein sehr besonnener Mensch, aber wenn es um mich ging war er ziemlich sensibel. Manchmal bezeichnete er mich sogar als Schwester, was ich ziemlich süß von ihm fand.
„Das kannst du laut sagen“, gab ich ihm dann doch Recht und fuhr fort: „Tommy – so heißt er – wollte mich zu sich nach Hause nehmen und hat meine Proteste ignoriert...“. Ich hielt inne und erst da wurde mir so richtig klar, was passiert wäre, wenn niemand eingeschritten wäre. Mich übermannte abermals ein Weinanfall und das obwohl ich gerade dabei gewesen war, nicht mehr zu weinen.
Sofort war Jus für mich. „Ganz ruhig, es ist ja zum Glück nichts passiert“, fand er blitzschnell die richtigen Worte für mich. Schluchzend meinte ich: „Auf einmal war Jake da und hat sich für mich mit ihm geprügelt. Dein Cousin hat mich zu sich mitgenommen und sich rührend um mich gekümmert“.
Eigentlich wollte ich den darauffolgenden Teil weglassen, doch leider war mein Kumpel nicht dumm. Auffordernd blickte er mich an, als ich es wagte, ihn anzusehen. „Ist ja gut, da war noch etwas...“, gab ich mich kampflos geschlagen, was ihn ein Lächeln entlockte. Warum konnte ich mich nicht in ihn verliebt haben? Liebe war schon eine verflixte Wissenschaft!
Leise sagte ich: „Wir haben dann noch Früchte von einem Schokoladenbrunnen gegessen. Es war eigentlich sehr romantisch, aber dann wollte er mich küssen. Den Rest kannst du dir denken. Ich habe ihn abgelehnt und das hat an seinem Ego gekratzt. Dann ist er ausgerastet. Hat die schönen Kerzen, die er auch noch aufgestellt hatte umgekickt und mich angeschrien, letztendlich hat er mich auch von seinem Grundstück verbannt“.
Während meiner Erzählung waren die Augen von Justin immer größer geworden und seine Augenbrauen immer mehr in die Höhe geschossen. „So ein Idiot. Manchmal ist er wirklich noch wie ein Kind!“, machte er sofort seinen Unmut Luft.

 

Zwischen uns entstand eisige Stille. Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte und hoffte inständig, dass sich Justin zuerst rührte. Zum Glück tat er dies, in dem er meinte: „Wie wäre es, wenn wir frühstücken? Ich zaubere uns etwas Köstliches und du kannst wieder zu Kräften kommen“.
Skeptisch blicke ich ihn an, bis ich schließlich erwiderte: „Das ist zwar ausgesprochen lieb von dir, aber ich glaube, ich bekomme keinen einzigen Bissen herunter“. „Ach, das werden wir noch sehen! Du kennst mein Frühstück nur zu gut und egal wie schlecht es dir ging, danach hast du wieder gelächelt“, bestand er darauf, was mir ein kleines Schmunzeln entlockte.
So war Justin nun einmal. Egal wie schlecht es einem oder ihm selber ging, er war immer für andere da. Außerdem konnte er sich freuen, wenn es seinen Mitmenschen gut ging. Er sagte nämlich: „Siehst du! Du hast etwas gelächelt!“. Dabei verzog sich sein Mund zu einem schiefen Grinsen. „Du bist doof“, nuschelte ich, lächelte aber dann doch richtig.
Mein guter Freund tätschelte mir den Kopf, was ist ziemlich niedlich fand. Es war toll, wie er einfach nur für mich da war und sich Zeit für mich nahm. Dabei hatte er bestimmt selbst seine Probleme. Und eines davon hieß Fabrizia Da Ferro. Dies war jedoch nicht ihre Geschichte, sondern meine. Ich war mir sicher, dass diese kein gutes Ende nahm.
Im nächsten Moment sah ich Jus stumm dabei zu, wie er mir ein Frühstück zauberte, was glatt von einem Sternekoch hätte stammen können. Mir fehlten die Worte, als ich die liebevoll beschmierten und belegten Brötchen sah, die keinerlei Unebenheiten aufwiesen. Zaghaft griff ich nach einem Brötchen, auf dem sich Serrano-Schinken befand und aß es auf, jedoch sehr langsam. Kein Wunder, wenn ich so kleine Bisse machte.
„Was mache ich nur mit dir?“, fragte auf einmal mein Mitbewohner, woraufhin ich schulterzuckend antwortete: „Keine Ahnung, hast du nicht schon etwas vor?“. „Das kann warten, ich muss für meine beste Freundin da sein“, entgegnete er nur und ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber nieder. „Wegen mir musst du nicht alles stehen und liegen lassen“, teilte ich ihm mit, was ihn zu einem Lachen veranlasste.
Als er sich wieder beruhigt hatte, meinte er: „Das weiß ich doch, aber du müsstest auch wissen, dass ich das sehr gerne für dich mache“. Genau das schätzte ich so an ihm. Er war lieber für andere da als für sich selbst. Schwermütig meinte ich aber trotzdem: „Schade, dass Jakob nicht so ein lieber Kerl ist. Manchmal wünsche ich mir, dass ich mich in dich verliebt hätte und nicht in ihn. Das wäre bestimmt nicht einmal halb so schmerzvoll gewesen“.
Justin schnappte hörbar nach Luft. „Ähm, … ja. Also ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, aber ich denke mal, dass du Recht hast“, stammelte er wirr. Seufzend flüsterte ich: „Schon gut, manchmal muss man auch nicht auf die vorherigen Worte näher eingehen. Ich mache mir nur verdammt große Sorgen um ihn, während er nicht einmal einen einzigen Gedanken an mich verschwendet. Vermutlich legt er gerade irgendeine großbrüstige Blondine flach“.

 

Zwei Hände auf meinen Schultern ließen mich leicht zusammenzucken. Jus, der sich hinter mich gestellt hatte, sagte auch schon: „Denke bitte nie wieder so einen Unsinn. Ich finde, er weiß gar nicht, was er mit dir haben könnte. Du hast so schönes braunes Haar und deine Augen strahlen einen Wärme aus, die ich bei keiner anderen Frau je gesehen habe. Und du weißt genauso gut wie ich, dass du mit deinen Brüsten locker mithalten kannst. Außerdem gibt es wohl Wichtigeres als große Brüste“.
Seine Worte trieben mir neue Tränen in die Augen. „Du bist so verdammt lieb“, schluchzte ich. Der Druck auf meinen Schultern vergrößerte sich etwas und Jus meinte: „Ich bin nicht verdammt lieb, sondern verdammt ehrlich. Ich weiß auch gar nicht, was Jakob mit solchen Ludern will“. „Das kann ich dir sagen, er will seinen Spaß und sie dann weiterschicken, um sich neue Betthäschen zu suchen“, antwortete ich trocken.
Ehe Jus auf mich eingehen konnte, sagte ich: „Ganz ehrlich? Er macht mir manchmal ernsthaft Angst und ich glaube er braucht psychische Hilfe“. „So wie er zu dir ist, kann ich dich voll und ganz verstehen. Selbst ich habe keine Ahnung, weshalb er so ist wie er nun mal ist“, stand er mir ohne zu Zögern bei und legte vor mir seine Unwissenheit offen dar.
„Du solltest ihn echt mal zu einem Psychologen schicken“, riet ich ihm, woraufhin er nichts zu erwidern wusste. Das war für mich die Chance, alleine zu sein. „Danke für dein Frühstück, es hat sehr geschmeckt. Tut mir leid, dass ich nicht mehr gegessen habe, aber mir geht es echt nicht gut und daher werde ich mich in mein Zimmer zurückziehen. Zum Mittag und Abend brauchst du nicht auf mich warten, ich werde mich erst einmal völlig einigeln und keine Sorge, ich mache keinen Blödsinn. Danke, dass du für mich da bist“, redete ich mir den Mund fast fusselig und strich ihm kurz über die Wange, ehe ich mich erhob und den Raum verließ.
Ich hörte ihn noch sagen, dass es für ihn kein Problem war, doch drehte ich mich nicht noch mal um. Mein Drang alleine zu sein war einfach zu stark gewesen und so plumpste ich auf mein Bett. Endlich war ich alleine! Meine Gedanken überschlugen sich förmlich. Den ganzen restlichen Tag über dachte ich nur an Jakob und an das, was so passiert war, seitdem ich ihm begegnet war.
Natürlich fing ich irgendwann wieder mit dem Weinen an. Ich ließ allen Emotionen in mir freien Lauf. Was brachte es mir auch, diese zu unterdrücken? Nichts. Außerdem wollte ich nicht alles auf einmal an einer Person herauslassen. Also weinte ich lieber alleine vor mich hin. Das war das Beste für mich und für meine Mitmenschen. Justin sollte seine freie Zeit so nutzen wie er wollte, Tizian und Krystal hatten sicherlich auch anderes im Sinn, als sich mein Gejammer anzuhören und zu Fabrizia wollte ich auch nicht.
Es klang zwar komisch, weil sie meine beste Freundin war, aber mit ihr konnte ich nicht über so was reden. Sie machte sich nichts aus Liebe, also fehlte ihr auch das Verständnis für die Situation, in der ich mich befand. Manchmal, wenn sie von Claudio erzählte, da sahen ihre Augen verdammt müde und traurig aus. Das war die einzige Sensibilität bei dem Thema die ich von ihr kannte. Sonst war sie eine unnahbare Person, die nur auf ihren Vorteil aus war.
Zum Glück war das nicht bei unserer Freundschaft. Die war ihr nämlich heilig, was ich auch immer wieder merkte. Sie erkannte, wenn es mir nicht gut ging und war für mich da, so wie Justin. Die beiden und Tizian wollte ich nie verlieren. Letzterer war auch ein gutes Stichwort. Noch immer konnte ich ihm nicht vor die Augen treten.
Und da kamen sie wieder, die Tränen. Das schlechte Gewissen quälte mich unaufhörlich, ja tötete mich schon fast. Irgendwann musste ich ihm beichten, dass ich mich in seinem Bruder verliebt hatte. Nur wann? Ich konnte dieses Geheimnis nicht ewig mit mir herumtragen. Zumal er sich auch Sorgen um mich machte.
Ich konnte nur hoffen, dass Krystal ihm nicht verraten hatte, was Sache war. Auf der anderen Seite würde ich es ihr nicht übel nehmen, immerhin waren die beiden verheiratet und als Eheleute redete man über alles. Zumindest war das meine Sicht der Dinge. Und so gut die beiden zusammenpassten, würde es mich nicht wundern, wenn sie mit ihm darüber geredet hätte.
Spuren des Schwermuts übermannten mich ebenso sehr wie die Tränen meine Augen benetzten. Alles war so verdammt verzwickt und traurig. Ich wusste nicht, wie ich aus dem Schlamassel wieder herauskommen konnte. Für mich würde alles in einer Einbahnstraße aus purer Verzweiflung enden. Da war ich mir sicher. Meine Gedanken endeten immerhin damit, dass ich in einem traumlosen Schlaf versank. Endlich konnte ich wirklich abschalten!

When I'm Gone

Jakob's Sicht!
Mit glasigen und vom Zigarrenrauch verschleierten Augen starrte ich die bernsteinfarbene Flüssigkeit in meinem Glas an und leerte es mit einem Zug. Im nächsten Moment hörte ich, wie es in tausende von Scherben zerbrach. Das störte mich nicht weiter und so ließ ich wie in Trance meinen Blick über den Boden schweifen. Ja, hier haben sich schon einige Whiskey-Gläser angesammelt sowie alles, was ich als störend empfunden hatte.
Meine Hoffnung, so mit dem Trinken aufzuhören verschwand immer mehr. Warum sollte ich auch aufhören, mir ein neues Glas zu holen, nur um es dann mit neuem Whiskey zu füllen und es gegen irgendetwas zu werfen? Ich würde mir so oder so neue Gläser holen. Weil ich es konnte. Und ich mir nicht anders zu helfen wusste.
Ich nahm einen Zug von meiner Zigarre und ärgerte mich. Eigentlich hatte ich mit dem Scheiß aufgehört, aber so beschissen wie alles im Moment war, wunderte ich mich nicht weiter darüber. Der Tag hatte schon mies angefangen und seitdem ich diese verdammte Nachricht erhalten sowie meinen Koffer gepackt hatte, war mit mir sowieso nichts mehr los gewesen. Ich hatte noch einiges an Zeit bis mein Flug ging, um genau zu sein neun Stunden und siebenundvierzig Minuten. An Schlaf konnte ich sowieso nicht denken.
Alles erschien mir mit einem Mal so verdammt unwichtig. In meinen Kopf gab es nur noch jene Worte, die einfach nicht von mir weichen wollten. Mit der Hand strich ich mir schließlich über mein feuchtes Gesicht. Ich schmeckte meine salzigen Tränen und unterdrückte neue. Wie lange war das her? Viel zu lange, ich muss noch jugendlich gewesen sein.
Was sollte ich nur bis zu meinem Abflug machen? Kurzerhand beschloss ich, durch die kühle Nacht zu gehen. Von wegen Juni! Mein Weg führte mich irgendwo ins Nirgendwo. Ich sah mir unbekannte Orte und das obwohl ich geglaubt hatte, jeden Flecken hier zu kennen. So konnte man sich bitter täuschen.
Leider gab es noch viel bittere Dinge im Leben. Meine Hand glitt noch tiefer in meine Hosentasche, bis ich schließlich meine Geldbörse zu fassen bekam. Zittrig machte ich diese auf und sofort sprang mir ihr Foto entgegen. Ihre braunen Haare waren so wunderschön. Und auch ihre braunen Augen waren nicht zu verachten. Mit Bedacht drückte ich das Foto an meine Brust.
So lief ich Stunde um Stunde durch die Neonnacht. So zündete ich Zigarre um Zigarre an und war immer wieder erleichtert, deren Rauch zu inhalieren. Hin und wieder ging ich in eine Bar, um mir einen starken Drink zu gönnen, jedoch blieb ich nie lange. In meinem Zustand hielt ich es kaum an einem Ort aus. Eigentlich gab es nur eine Person, die ich sehen mochte, doch das blieb mir verwehrt.
Schließlich sackte ich irgendwann in einer dunklen Gasse zusammen und rührte mich nicht vom Fleck. Irgendwann musste es wohl hell geworden sein, denn auf einmal wurde ich von einer Frau angesprochen, was ich denn hier machen würde. Stumm richtete ich mich auf und ging weiter ohne sie auch nur anzusehen.
Mein Weg führte mich zu dem Marktplatz, an dem um diese Zeit zum Glück noch nicht viel los war. Hier hatte ich sie kennengelernt. Ich ging zu jener Statue und ließ mich darauf nieder. Ich schluckte schwer und da wurde mir klar, dass ich zu ihr musste. Wenigstens mit ihr sollte ich reden. Danach würde ich mich bestimmt besser fühlen, obwohl mir das gerade alles andere als aufmunternd erschien.
Als ich fast an meinem Ziel war, verließ mich mit einem Mal der Mut. Was sollte ich ihr sagen? Sollte ich überhaupt etwas sagen? So wie ich sie einschätzte, erwartete sie bestimmt eine Entschuldigung von mir. Und so lieb wie sie war würde sie mir alles glauben, was nicht mit anderen Frauen zu tun hatte.

Im nächsten Moment setzte ich aber meine Maske aus Stahl auf und klingelte. Zuvor hatte ich mich noch vergewissert, dass ich nicht zu fertig aussah. Es dauerte ein bisschen, bis man mir die Tür öffnete. Meine Pupillen weiteten sich und ehe ich auch nur überlegen konnte, wie ich mit dem Gespräch anfing, sagte ich auch schon: „Meine Güte, wie siehst du denn aus?!“. „Justin ist nicht da“, wich Giulia meinen Worten mit hängendem Kopf aus und wollte auch schon die Tür schließen, doch ich hielt sie auf, in dem ich einfach einen Schritt in ihre Wohnung machte.
Erst da blickte sie mir ins Gesicht und nun waren wir beide es, die den anderen mit offenem Mund betrachteten, wobei sie deutlich schlimmer aussah. Ihre Augen waren feuerrot und so geschwollen, dass ich schon Angst bekam, sie würde nichts mehr sehen oder hätte sich eine ernsthafte Krankheit zugezogen. Ihre einst so schönen Haare fielen ihr ungekämmt und leicht fettig über den Schultern, was ich gar nicht von ihr gewohnt war. Am Schlimmsten fand ich dennoch ihr aschfahles Gesicht, was verdammt müde wirkte.
Ehrfürchtig starrte ich sie an, doch ihr einziger Kommentar zu meiner Frage, wie sie denn aussah, war: „Du hast getrunken“. Verdammter Mist! Dabei war ich weder besoffen noch angetrunken. Ich lallte nicht einmal. „Deine Fahne riecht man auf zehn Meter Entfernung“, gab Giulia mir sofort eine Antwort ohne das ich überhaupt auch nur ein Wort gesagt hatte.
Dieses Mal war ich es, der ihr auswich. „Willst du mich nicht herein bitten?“, fragte ich lieber, woraufhin sie mir eine Gegenfrage stellte. „Warum sollte ich?“. Ganz schön schlagfertig, das musste man ihr lassen. Nur leider war ich jetzt wieder an dem Punkt angelangt, an dem ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
Also rückte ich mit dir Wahrheit raus. Zumindest mir der halben. „Ich wollte mich verabschieden“, druckste ich herum. „Justin ist nicht da, er ist arbeiten“, überging sie einfach meine Worte, machte mir aber dann doch Platz, um mich in ihre Wohnung zu lassen. „Danke“, murmelte ich unsicher „übrigens wollte ich nicht zu ihm“.
Giulia hielt mitten in der Bewegung inne. „Ja, du denkst richtig. Ich wollte zu dir“, half ich ihr noch mehr auf die Sprünge, zuckte aber im nächsten Moment zusammen. Die Frau hatte die Tür nämlich ziemlich laut zugeknallt. Bestimmt war sie davon so überrascht gewesen. Selbst ich konnte nicht glauben, dass ich das wirklich gesagt hatte.
Unschlüssig stand ich im Flur herum, um auf ein Zeichen von der Brünetten zu warten. „Ist gut, dann lasse uns mal in die Küche gehen“, reagierte sie glücklicherweise rasch. Aufgewühlt wie ich war, ließ ich meine Schuhe und meine Jacke an und folgte ihr stumm. Als wir schließlich an einem Tisch saßen, seufzte ich erleichtert auf.
Da mir nichts anderes einfiel, wollte ich von ihr wissen, ob ich denn rauchen durfte. Giulia sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, ging aber dann mit trägen Schritten zu einem Schrank. Daraus nahm sie irgendeine Dessert-Schüssel und stellte sie genau vor mir hin. „Danke“, sagte ich und zündete mir eine Zigarre an.
„Ich wusste gar nicht, dass du rauchst“, tat sie meine Formalität mit einem Schulterzucken ab. Was sollte ich dazu nur erwidern? Hey, Lia, bei mir läuft gerade alles schief und weil ich mich gerade so schwach fühle, habe ich damit wieder angefangen? Nein, das erschien mir total bescheuert. „Mir war danach“, meinte ich daher nur.

Es tat unheimlich gut, den Rauch einzuatmen und so war es kein Wunder, dass ich mich sichtlich entspannte. Und das obwohl ich mich eigentlich hundsmiserabel fühlte. „Es ist komisch, mit dir in einem Raum zu sein“, hörte ich Giulia flüstern, was mich hellhörig werden ließ. Ahnungslos fragte ich: „Wieso das denn?“. „Vielleicht, weil du mich gestern von deinem Grundstück geworfen hast?“, entgegnete sie mit einer Gegenfrage.
Scheiße! Natürlich! Warum hatte ich daran nur nicht gedacht? Bestimmt erwartete sie nun eine Erklärung, die ich aber mit einer dreisten Lüge zu vertuschen wusste. „So bin ich nun mal. Ich habe dir gesagt, dass ich dich flachlegen wollte und da du keine Lust hattest, habe ich dich fortgeschickt. Sag bloß, dass du deswegen so aussiehst wie ein Zombie?“.
Für meine Dreistigkeit hätte ich mir am Liebsten selber eine Schelle verpasst. Ich wollte die Brünette nicht provozieren, was ich auch nicht getan hatte, wie ich mit einem flüchtigen Blick auf sie feststellte. Mir kam es eher so vor, als ob sie von meinen Worten getroffen war. Wider Erwarten erwiderte Giulia aber nur mit schneidender Stimme: „Als ob! Ich habe dir schon so oft gesagt, dass sich die Welt nur nicht um dich dreht, Jakob Di Izmir“.
Da war sie wieder, die Schlagfertigkeit in Person. Oder besser gesagt in Frauengestalt. Obwohl mir gar nicht danach war lachte ich. „Schon gut“. „Also?“, fragte sie mich erwartungsvoll, doch ich starrte sie nur ahnungslos an, musste aber ein Schaudern unterdrücken, da sie so anders aussah. Sie kam mir vor wie … ein Geist. So leblos und blass.
„Ich meinte, weshalb du mich sehen willst. Du willst dich sicherlich nicht für dein Verhalten entschuldigen, da frage ich mich, was du dann von mir willst. Und bitte sage jetzt nicht, dass du mich unbedingt ins Bett bekommen willst, das weiß ich mittlerweile“, sprach sie mich auf meinen ungeplanten Besuch an.
Stimmt, da war ja noch etwas. Ich musste ihr Auskunft geben, was ich auch tat. Etwas wirr sagte ich: „Ach ja, ich wollte mich nur von dir verabschieden“. Kaum hatte ich ihr eine Antwort gegeben, sah sie mich mit weit aufgerissenen Augen an. Hatte ich etwa schon wieder etwas Falsches gesagt? „Ich fliege in den Urlaub“, log ich ihr eiskalt ins Gesicht und konnte erkennen, dass sie darüber erleichtert war.
Wenn du wüsstest, dachte ich mir, wenn du wüsstest, dass dieser Gang, auf dem ich mich demnächst befinden werde, definitiv keiner zum Entspannen war. Im Gegenteil. Mich erwartete Stress, Stress und noch einmal Stress! Das würde ich ihr aber bestimmt nicht sagen. Zumal ich dort bestimmt ein Gesicht sehen würde, was ich am Liebsten aus meinem Gedächtnis verbannen würde. Wobei ich auch nicht sicher wusste, ob er sich den weiten Weg machen würde.

Ich musste raus, raus in die frische Luft. „Wie wäre es, wenn wir eine Runde spazieren gehen?“, schlug ich deshalb in einem lockeren Plauderton vor. Misstrauisch beäugte mich Giulia. „Warum?“, wollte sie natürlich wissen. Innerlich verdrehte ich die Augen. Warum wollten auch Frauen immer alles wissen?
Also gut, Zeit für die nächste Lüge. „Wenn ich dich so ansehe, denke ich mir, dass dir frische Luft bestimmt gut tun wird und na ja, vielleicht hast du Lust mich zum Flughafen zu bringen?“, mimte ich den besorgten und unsicheren Mann, sodass sie erst gar nicht auf den Gedanken kam, das hinter meinem Verhalten pure Berechenbarkeit steckte.
Kurz huschte ein Lächeln über ihr blasses Gesicht, ehe sie sagte: „Wenn du meinst“. Danach erhob sie sich und sah mich auffordernd an. „Möchtest du dich nicht umziehen?“, wollte ich mit einem Blick auf ihr Outfit werfen. Nein, die graue Jogginghose und das schwarze Top passten überhaupt nicht zu ihr. Lieber sollte sie etwas tragen, was ihre super Figur betonte.
Jene Frau riss mich aus meinen Gedanken. Allein, dass sie Luft holte, ließ mich sofort sämtliche Gedanken verwerfen. „Du kreuzt hier auf, obwohl du mich verdammt schlecht behandelst, dann bittest du mich, mit dir Zeit zu verbringen und zu guter Letzt meckerst du ernsthaft über meine Klamotten, geht’s noch? Ich ziehe das an, was ich möchte!“, regte sie sich über mich auf, was mir ein Schmunzeln entlockte.
Diese Frau war einfach purer Wahnsinn! Obwohl es ihr sehr schlecht ging, gab sie mir Kontra. Man merkte, dass sie Italienerin durch und durch war. Ihr Temperament stach förmlich aus ihr heraus. „Ist ja gut, dann lass uns endlich raus gehen“, gab ich mich geschlagen, da ich weder Lust noch Nerven dafür hatte, mit ihr zu diskutieren.
Meine Kampflosigkeit hatte gefruchtet. Keine fünf Minuten später liefen wir die Treppen herunter, wobei ich ihren brennenden Blick auf meine Hinteransicht nur zu deutlich spüren konnte. Als ob sie versuchte mich niederzubrennen. Ob man es mir anmerkte, dass es mir alles andere als gut ging? Meine Frage beantwortete sich von selbst, denn kaum als wir an der frischen Luft war, zündete ich mir eine neue Zigarre an und Giulia meinte: „Du bist wie Tizian, wenn du gestresst bin. Der mutierst dann auch zum Kettenraucher“.
Ich blieb stehen. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? „Es ist mir egal, was er macht und vergleiche mich ja nie wieder mit diesem Arschloch“, widersprach ich ihr, fügte aber dann hinzu, dass ich vor einigen Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte. „Mir ist aber ebenso aufgefallen, dass du recht aufgewühlt bist und unentwegt zitterst“, stellte sie lieber fest.
Das alles behagte mir gerade überhaupt nicht. Wie ich mit einem Blick auf meiner Hand feststellte stimmte es, was sie sagte. Ertappt schmiss ich die Zigarre achtlos auf den Boden. „Mein Flug geht in zwei Stunden, wir sollten lieber sofort zum Flughafen“, lenkte ich lieber vom Thema ab, was mich jedoch in die nächste verzwickte Lage brachte.
„Wohin willst du überhaupt?“, hörte ich Giulia fragen, woraufhin ich meine Haare raufte. Zeit für die nächste Lüge. Unbeschwert antwortete ich: „Ach weißt du, es geht nur zu einem Firmentreff. Nicht mehr und nicht weniger“. „Und deswegen bist du so ein Nervenbündel? Meine Güte, das muss ganz schön wichtig sein“, glaubte sie mir doch tatsächlich!
Ich konnte es nicht fassen oder war ich doch einfach nur geschockt von mir selbst? Umso mehr ich sagte, desto mehr log ich. Es war wie ein Lügenspiel, aus dem ich nicht mehr herauskam. Auf einer neuen Lüge baute ich die nächste und so entstand irgendwann ein gewaltiges Lügennetz, in dem ich mich eines Tages bestimmt verfangen würde.
Trotz meiner Sorgen blieb ich von außen hin ungerührt. Im Gegenteil, ich setzte noch einen drauf, in dem ich meinte: „Ehrlich gesagt stehe ich kurz vor dem Rausschmiss, weil ich angeblich schlechte Arbeit abliefern würde. Dabei habe ich eine erstklassige Ausbildung hinter mir!“. „Oha, was ist denn los mit dir?“, wollte Giulia geknickt wissen.
Sie glaubte mir tatsächlich! Davon betroffen mied ich ihren Blick. Ich merkte, wie ich immer mehr zitterte. Kurz dachte ich ernsthaft daran, alles hinzuwerfen und sie stehen zu lassen, doch im letzten Moment entschied ich mich dagegen. Das wollte und konnte ich ihr nicht erneut antun. Nicht nach so kurzer Zeit.

Als ich merkte, wie mir jemand an den Arm griff, zuckte ich zusammen. Giulia tauchte vor meinen Augen auf und sah noch immer so schrecklich traurig aus. „Du bist sehr in dich gekehrt. Vermutlich sprichst du nicht gerne über Probleme oder über das, was dich so beschäftigt, was ich sehr schade finde. Wenn es mir nicht gut geht, dann spreche ich darüber mit meinen besten Freunden und auch wenn es komisch klingt, aber danach fühle ich mich besser“, fuhr sie schließlich fort und strich mir über die Wange.
Aus purer Verzweiflung schmiegte ich mich an ihre Hand und genoss ihre sanften Berührungen. Oh, wie ich wünschte, sie würde nie wieder damit aufhören! Nur leider rief irgendwann wieder die Pflicht und meine war es, sie von mir fernzuhalten. Ich war viel zu gefährlich für sie. Davon hatte sie nicht auch nur den blassesten Schimmer.
Schwermütig atmete ich die warme Luft ein und holte tief Luft. Dann sagte ich voller Verachtung: „Freunde? Pah, wer braucht denn schon so etwas? Weißt du, was ich von sogenannten Freunden halte? Sie sind nichts weiter als Schmarotzer, die sich nur dann bei einem melden, wenn es ihnen passt. Wenn sie alleine sind und sonst niemanden haben oder wenn sie etwas wollen, nur um zwei Beispiele zu nennen“.
Das dürfte erst einmal reichen, schoss es mir durch den Kopf. „Wenn du meinst“, gab Giulia sich geschlagen, obwohl ich wusste, dass sie bestimmt noch zig weitere Argumente hatte, die für eine Freundschaft sprachen. „Ja, das meine ich und nur damit du es weißt, die Zeit wird knapp. Lass uns, nein lasse mich nun zum Flughafen gehen“, überging ich ihre spitzen Worte.
Dummerweise dachte ich aber nicht daran, was ich vor ein paar Minuten zu ihr gesagt hatte. Giulia meinte nämlich: „Du scheinst ganz schön verwirrt zu sein. Vorhin hast du mich noch darum gebeten, dass ich dich hinbringe und nun willst du auf einmal alleine gehen“. „Ich weiß, was ich zur dir sagte, aber das war doch nur, um zu testen, ob du mir aus der Hand frisst. Nun weiß ich, dass du es tust und ich kann beruhigt weg fliegen“, speiste ich sie eiskalt ab. „Netter Versuch, aber mich wirst du nicht los, bis wir am Flughafen sind“, stellte sie sich gegen mich, was mich wirklich überraschte.
Da habe ich sie wirklich unterschätzt. „Wenn du unbedingt willst, dann tue dir keinen Zwang an. Ich muss ja nicht mit dir reden“, gab ich nicht nach. „Sehr gerne begleite ich dich“, hielt sie spielend dagegen, was mir gehörig einen Strich durch die Rechnung machte. Trotzdem entschied ich mich für eine andere Taktik.
So ruhig wie ein ganz normaler Mann, sagte ich: „Danke“, woraufhin sie meinte: „Bitte, gern geschehen“. So machten wir uns auf dem Weg zum Flughafen. Dieser war ein ganzes Stück von der Stadt entfernt. Für uns war das aber kein Problem. Hilfsbereit bot Giulia mir an, mich mit dem Auto zu fahren, was ich aber ablehnte.
Nein, das wollte ich wirklich nicht. In ihrem Zustand wäre das zu gefährlich und da ich sicherlich noch Restalkohol im Blut hatte, beließ auch ich es dabei. Da blieb nur noch ein Taxi. Zuerst fuhren wir zu meinem Haus. Kurz ließ ich sie in dem Auto allein, um meinen Koffer zu holen. Bei der Fahrt schwiegen wir jedoch beide.

Erst als wir am Flughafen waren, sprachen wir wieder miteinander. „Sag mal, warum sprichst du nicht mit Tizian allein über deine Zukunft in seiner Firma?“, wollte Giulia interessiert wissen. Kurz überlegte ich, ehe mir einfiel: „Ach, das weiß ich doch nicht. Ich denke, er möchte alle, damit meine ich wirklich alle, Mitarbeiter zusammentrommeln, damit diese gemeinsam über mich abstimmen. Vermutlich hat er noch nie etwas von Skype gehört“.
Eigentlich hielt ich meine Ausrede für ziemlich gut, doch Giulia ließ nicht locker. „Es kommt mir nur komisch vor. Nicht mehr und nicht weniger“, meinte sie. Mit einem Mal kam mir eine Idee. „Damit hast du auch vollkommen Recht“, brachte ich unter einem höhnischen Lachen hervor. Kaum hatte ich das ausgesprochen, starrte sie mich geschockt an.
Ihre Lippen bebten, ehe sie kaum hörbar hauchte: „Wie … Wie denn das?“. „Es gibt kein Firmentreffen. In Wahrheit mache ich nur Urlaub, um dich leiden zu sehen und natürlich um heiße Frauen aufzureißen“, gab ich unter einem süffisanten Grinsen zu, woraufhin Giulia nach Luft schnappte.
Das brachte mich erst richtig auf Touren. „Sieh' mich nicht so an. Du hast selber schuld. Würdest du endlich mit mir schlafen, dann wäre alles gut. So wie du aber gerade aussiehst würde ich sowieso nicht mit dir vögeln wollen, ehrlich mal, du erinnerst mich an eine Vogelscheuche. Herzlichen Glückwunsch, du bist soeben eine Kameradin von Krystal geworden“, ging ich weiter.
Mittlerweile standen wir vor der Kontrolle, zu der nur ich gehen würde. Von daher war es sowieso egal, was ich zu ihr sagte und wie ich mit ihr umging. „Du bist doch so ein Aas!“, warf Giulia mir auch schon an den Kopf und ging einen Schritt zurück. Ich ging schließlich durch die Kontrolle, die ich ohne Wenn und Aber bestand. Somit konnte sie mir nicht mehr folgen.
„Und stolz darauf“, stimmte ich ihr daher mit einem dreisten Grinsen zu, womit ich sie in die Flucht schlug. „Nur weißt du, was ich mich frage?“, rief ich ihr mit einem Anflug von Nachdenklichkeit hinterher, womit ich sie sofort zum Stehen brachte. „Was denn?“, fragte mich die Brünette ohne sich umzudrehen. „Ob du dich auch so hingebungsvoll um mein Grab kümmern würdest, wenn ich von dieser Welt gegangen bin“.

Here Without You

Ob du dich auch so hingebungsvoll um mein Grab kümmern würdest, wenn ich von dieser Welt gegangen bin.“, immer wieder hallten diese Worte von Jakob in meinem Kopf wider. Was meinte er damit nur? Verdutzt hatte ich mich umgedreht, doch konnte ich nur noch sehen, wie er durch die Kontrolle verschwand.
Lange sah ich ihm hinter her, bis ich schließlich weiter ging. Es hatte keinen Sinn hier Wurzeln zu schlagen. Es hatte ebenso wenig Sinn zu hoffen, dass er doch noch zur Vernunft kommen würde. Nein, denn er hatte mir mal wieder eindrucksvoll bewiesen, was für ein Mistkerl er doch war. Selten habe ich jemanden gekannt, der Menschen so sehr für sich ausnutzte.
Meiner Meinung nach gehörte dazu eine gehörige Portion Skrupellosigkeit, die Jake ohne Zweifel besaß. Nur wunderte ich mich darüber, weshalb er mir hin und wieder eine ganz andere Seite von sich gezeigt hatte. Oder war das nur eine Einbildung gewesen? Vielleicht hatte ich es mir so zurecht gedreht, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass er so kaltherzig war.
Eigentlich war ich kein naiver Mensch, im Gegenteil, ich war eher übertrieben misstrauisch und das aus einem guten Grund. Und doch hatte Jakob es geschafft, meine Schutzmauer zu durchbrechen. Er hatte sie wie ein Abrissbirne zum Einsturz gebracht. Ungeheurer Schmerz überkam mich bei diesen Gedanken.
Ich war aber auch selber Schuld. Wie hatte ich es auch nur zulassen können? Immer wieder hatte ich beste Gelegenheiten, um ihn aus meinem Leben herauszuhalten, aber nein, ich dumme Kuh musste immer wieder an ihn denken. Und mich schließlich Rettungslos in ihn verlieben.
Mit einem Seufzen verließ ich den Flughafen und steuerte den Heimweg an. Eigentlich hatte ich keine Lust zu laufen, immerhin war der Weg schon recht weit, doch konnte ich mich so von dem gerade vergangenen Geschehnis erholen, was ich bitter nötig hatte. Außerdem machte ich mir trotz allem etwas Sorgen um diesen Eisklotz namens Jakob Di Izmir.
Er hatte eigenartig blass ausgesehen und seine Augen waren leicht gerötet. Die größte Frage für mich war jedoch, weshalb hatte er sich ausgerechnet von mir verabschiedet? Ich war für ihn nichts weiter als jemand, den er in seine Sammlung haben wollte. Ein Zeitvertreib oder nur einer der vielen Frauen, die in seinem Leben auftraten, die er schon bald wieder vergaß.
Traurig dachte ich an die schönen Momente mit ihm zurück und musste wegen dieser Ironie lachen. Mir war wirklich nicht mehr zu helfen. Obwohl dieser Mensch die meiste Zeit zu mir so gehässig wie eh und je war, dachte ich an seine guten Seiten, die er mir nur sehr selten gezeigt hatte.

 

Nach etwa einer Stunde überquerte ich dem Marktplatz, jenen Platz, der mir wohl für immer in Erinnerung bleiben würde. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und mich überkam abermals diese unendlich Traurigkeit. Zum Glück war ich gerade allein, denn das war das einzige was ich wollte. Natürlich musste mir das Schicksal einen Strich durch die Rechnung machen. Dieser mieser Verräter.
Als ich nämlich gerade das Zentrum der Stadt verlassen wollte, hörte ich wie jemand meinen Namen rief. Abrupt blieb ich stehen und ärgerte mich insgeheim. Ich hätte einfach so tun können, als ob ich diesen Jemand nicht gehört hätte, aber so dumm wie ich war musste ich mich natürlich umdrehen.
Vor mir stand niemand Geringeres als Tizian, dem vermutlich auch nicht entgangen war, wie mies ich aussah. „Ich... ich hätte dich fast nicht erkannt! Was hat dieses Arschloch dir angetan?“, ging er gleich zur Sache. „Nette Begrüßung“, kommentierte ich daher und zwang mich zu einem traurigen Lächeln.
Mein bester Freund zog mich in eine kräftige Umarmung, die den Schwermut in mir nur noch mehr verstärkte. Aber das konnte er nicht wissen. Als wir uns voneinander gelöst hatten, meinte ich: „Du wirst genauso gut wie ich wissen, dass wir uns viel zu erzählen haben und das möchte ich nicht in der Öffentlichkeit“.
Verständnisvoll nickte er mich an, schon fast wissend, was für einen Entschluss ich gefasst hatte. Ja, ich wollte es ihm endlich sagen. Sagen, dass ich mich in seinen kleinen Halbbruder verliebt hatte, der ihm und seiner Frau, meiner guten Freundin Krystal, so sehr wehgetan hat. „Wie wäre es, wenn wir zu mir fahren? Du siehst ganz schön müde und fertig aus und ich denke, dass du bei mir mal zur Ruhe kommen kannst“, bot Tizi mir an, was ich dankend annahm.
Während wir also zu ihm fuhren sprach ich kein Wort. In meinem Kopf dagegen tobte ein Sturm. Wie sollte ich nur mit dem ganzen Desaster anfangen? „Du brauchst keine Angst haben, Lia. Hast du etwa vergessen, als wir uns geschworen haben für immer beste Freunde zu sein? Daran halte ich noch immer fest und daran kann auch mein werter Halbbruder nichts ändern“, redete Tizian sanft auf mich ein.
Leider erleichterten mich seine Worte kaum. Die Angst war einfach zu groß und dummerweise waren wir nach einer halben Stunde in seiner Villa. Da stand ich nun in der Eingangshalle und zog meine Schuhe aus. Ich brauchte mich erst gar nicht umsehen, denn hier war sowieso alles wie immer. So dachte ich zumindest.

 

Alles schien ganz normal, Tizian und ich gingen in das Wohnzimmer, in dem es sich Krystal auf der Couch bequem gemacht hatte. Sie versprühte abermals diese unbändige Lebensfreude, als sie mich erblickte und ich auch von ihr umarmt wurde. „Hey“, begrüßte ich sie etwas schüchtern und traute mich gar nicht ihr in die Augen zu blicken.
Sie hatte trotzdem bemerkt, dass etwas nicht stimmte. „Du siehst gar nicht gut aus, bist du krank?“, fragte sie mich besorgt, was mich dann doch berührte. Traurig antwortete ich: „Ich bin nicht krank, aber einen Tee könnte ich trotzdem gut gebrauchen“. Kaum hatte ich das ausgesprochen, verließ Tizian den Raum und kam fünf Minuten später mit einer dampfenden Kanne Pfefferminztee und drei Tassen zurück.
Galant schenkte er uns allen ein und nahm dann eben seiner Frau Platz. Ich dagegen hatte nicht den Mut dieses unangenehme Gespräch anzufangen. Stattdessen starrte ich lieber den unaufhörlichen Dampf an und atmete die kühle Pfefferminze ein. „Jakob also?“, erhob Tizian seine Stimme, woraufhin ich ihn nur geschockt ansah. Dann glitt mein Blick zu Krystal, die mich entschuldigend ansah.
Tränen standen mir in den Augen und ich wusste nicht wie mir geschah. „Wo die Liebe hinfällt“, kommentierte ich daher nur leise ohne auch nur einen von den beiden anzusehen. Mein Blick blieb auf der Tasse kleben. „Ich hätte einiges gedacht, aber das nun wirklich nicht. Ehrlich gesagt bin ich sogar etwas enttäuscht von dir, wobei ich natürlich weiß, dass es nicht in deiner Macht lag, auch nur irgendetwas zu verhindern“, fuhr mein bester Freund fort.
Mit seiner Ehrlichkeit hatte er es geschafft. Die Tränen, die ich mühsam zurückgehalten hatte, bahnten sich nun den Weg über mein Gesicht. Beschämt blickte ich auf den Boden, bis ich merkte, wie mich Tizian in den Arm nahm. „Es tut mir so verdammt leid! Ihr müsst mir glauben, dass ich das nicht wollte!“, sagte ich schluchzend und vergrub mein Gesicht in seine Brust.
Krystal, die sich bis jetzt zurückgehalten hallte, schaltete sich nun ein. „Shh, Giulia. Wir wissen doch, dass es dir damit nicht gut geht“, redete sie beruhigend auf mich ein. Um ihren Worten Glaubhaftigkeit zu verleihen, erhob auch sie sich und lehnte sich gegen meinen Rücken. „Ich komme mir trotzdem so verdammt schäbig vor. Als ob ich euch verraten hätte!“, machte ich meinen Unmut sofort Luft.
Tizi dagegen musste lachen. Ich horchte auf und sah ihn erwartungsvoll an. „Wie gesagt, ich hätte das zwar nicht erwartet und heiße es auch nicht für gut, aber das ändert nichts daran, dass du meine beste Freundin bist“, sagte er leise, als er sich beruhigt hatte. „Ihr seid so toll und gutmütig zu mir! Danke!“, freut ich mich über ihren Zusammenhalt und genoss es von den beiden in Schutz genommen zu werden.
Eine Weile weinte ich noch still vor mich hin, bis ich mich einigermaßen gefangen hatte. „Genug geschmust“, meinte ich schließlich und setzte mich wieder gerade hin. Meine Freunde taten es mir gleich, ließen mich aber zwischen ihnen sitzen. Das rechnete ich ihnen sehr hoch an. Die beiden waren gerade mal ein halbes Jahr zusammen und vergaßen ihre Freunde nicht.
Vielleicht lag es auch daran, dass sie ein Kennenlernjahr voller Turbulenzen hinter sich hatten. Wie auch immer, nun saßen wir also zu dritt auf der Couch und ich wusste, dass ich nun an der Reihe war.

 

„Ehrlich gesagt konnte ich schon vor einem dreiviertel Jahr nicht diesen bescheuerten Kuss vergessen“, fing ich schließlich an zu erzählen. Leise meinte ich: „Auf der einen Seite war ich schockiert, dass mich ein Wildfremder küsste, aber auf der anderen Seite muss ich gestehen, dass er verdammt gut küssen kann“.
„Allerdings“, entfuhr es auch Krystal, woraufhin Tizian und ich sie perplex ansahen. Ach ja, die beiden waren mal ein Paar gewesen. Fast hatte ich das vergessen. „Das will ich nun wirklich nicht wissen“, reagierte Tizi sichtlich kühl auf ihre Aussage, lächelte sie aber trotzdem an. Na ein Glück schien er ihr diesen kleinen Fauxpas nicht übel zu nehmen.
„Ich dachte also weiterhin an ihn und na ja, Anfang März suchte er mich dann auf und seitdem ließ er mich nicht mehr in Ruhe“, erzählte ich weiter, woraufhin mein bester Freund mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. „Dann war das also kein Zufall, als ihr zusammen vor unserer Türe standet?“, fragte er interessiert nach.
Etwas angestrengt überlegte ich, bis es mir wieder einfiel. Sichtlich von einem Geistesblitz getroffen antwortete ich: „Ja, es war wirklich kein Zufall. Sicherlich wirst du noch wissen, dass er in Tokio auf einem Firmentreff war. Nun, ich war dabei und habe seine Freundin gespielt“. Sein Blick entgleiste ihm immer weiter, umso mehr ich sagte.
„Wieso … Bist du wahnsinnig geworden?“, wollte er wie von der Tarantel gestochen wissen. „Er und ich hatten eine Wette gehabt, wer wen zuerst küsste. Nachdem dieser Mistkerl mich aufs übelste gelinkt und ich verloren hatte, wollte er als Wetteinsatz, dass ich mit fliege“, verteidigte ich mich.
Mein bester Freund schien zu verstehen, denn er wollte gerade zu etwas ansetzen, als sich sein Mund wieder schloss. „Er hat es doch selbst darauf angelegt, dass ich mich in ihn verliebe! Hätte er mich in Ruhe gelassen, wäre es nie so weit gekommen. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht so dumm bin und ihm von meinen Gefühlen erzähle“, lautete mein Resümee über mein Desaster, obwohl ich den beiden Schwarzhaarigen noch nicht alles erzählt hatte.
Das erste Mal seitdem wir hier saßen, rührte ich meinen Tee an. Er schmeckte fabelhaft, wie ich nach einem großen Schluck feststellte. Tizi überlegte, doch dann meinte er: „Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb er so ein kaltherziger Mensch ist“. Fast hätte ich mich an meinem Tee verschluckt, doch es gelang mir noch gerade so, den Husten zurückzuhalten.
Wenn er schon darauf anspielte, konnte ich ihm auch von meinem Verdacht berichten. „Ehrlich gesagt denke ich, dass er eine ganz andere Seite an sich hat, die aber so tief verborgen ist, dass es noch ein langer Weg sein wird, diese an die Oberfläche zu holen“, meinte ich und dieses Mal war es das Ehepaar, was mich mit geweiteten Pupillen und offenen Mündern ansah.
Ehe sie wieder gegen Jake hetzen konnten, setzte ich mich für ihn ein: „Er ist nicht immer so kalt. Mir hat er ganz andere Emotionen gezeigt, wie Fassungslosigkeit, Angst, ja sogar Sorgen hat er sich gemacht! Und ganz ehrlich? Ich denke, dass sein krasses Verhalten etwas mit seiner oder besser gesagt euer Vergangenheit zu tun hat“.
Dabei war mein Blick zu Tizian gelangt, der nun irgendetwas Schuldbewusstes an sich hatte. „Tut mir leid, wenn ich so mit dir rede, aber dir ist wirklich nicht mehr zu helfen. Ist dir eigentlich klar, wie blind du bist vor Liebe?“, wich er meinen Worten gekonnt aus. „Was soll das? Ich möchte mich nicht mit dir streiten, aber du weißt doch etwas darüber! Schließlich bist du sein Bruder!“, bohrte ich nach, obwohl ich wusste, dass das ein ziemlich heikles Thema war.
Mein bester Freund dagegen setzte seine Maske aus Stahl auf und sagte lieber: „Er ist nichts weiter als mein Halbbruder und das was er dir und vor allem Krystal angetan hat kann und werde ich ihm nicht verzeihen geschweige denn erdulden“. „Das akzeptiere ich auch, aber wieso bist du so überzeugt davon, dass er keine Emotionen wie Angst oder Sorgen empfinden kann?“, lenkte ich schließlich mit knirschenden Zähnen ein.
Eigentlich war das überhaupt nicht meine Art, aber so konnte ich vielleicht wenigstens etwas in Erfahrung bringen, was die Brüder betraf. „Du kennst seinen Lebensstil und nichts gegen dich, aber ich bin mir sicher, dass er nur so zu dir war, um dich ins Bett zu bekommen“, antwortete er mir sichtlich ruhiger, wofür ich ihm sehr dankbar war, obwohl ich auf der anderen Seite enttäuscht war, dass er mir wieder überaus geschickt ausgewichen war.

 

Ich wollte mich nicht mit meinem besten Freund streiten. Das würde mir nur noch den Rest geben. „Er ist aber sogar auf meine Interessen eingegangen und hat mich als Entschuldigung zu dem Formel 1 – Rennen nach Monaco eingeladen“, verteidigte ich Jakob trotzdem. Meine Freunde schüttelten nur die Köpfe und ich wusste nur zu gut, was sie dachten.
Krystal war es, die es leise aussprach: „Was er nicht alles tut, um dich herumzukriegen. So reich wie er ist, waren das für ihn nur Peanuts und so wie ich ihn kenne hat er sich seinen Spaß dann woanders geholt, als er gemerkt hat, dass dich das nicht umstimmt“. „Leider stimmt es“, gab ich mich dann doch geschlagen und trank meinen Tee leer.
Plötzlich wurde wir von Schreien unterbrochen. Erschrocken zuckte ich zusammen, vernahm aber dann das Schreien eines … Babys?! Meine Augen schnellten zu dem Bauch von Krystal, die mich nur angrinste und auf das Babyfon auf den Tisch zeigte, dass ich zuvor gar nicht registriert hatte. „Ihr seid bereits Eltern geworden? Wieso sagt ihr mir nichts davon? Und sollte es nicht erst Mitte des Monats auf die Welt kommen?“, bombardierte ich die beiden schon fast mit meinen Fragen.
Krystal stand auf, ich tat es ihr gleich. Natürlich wollte ich den kleinen Knirps auch sehen. Und so gingen wir zu dritt in das Schlafzimmer der beiden, was sich nicht weit vom Wohnzimmer befand. Direkt neben ihrem Himmelbett befand sich ein Kinderbett, in dem ich einen kleinen Wurm ausmachen konnte.
Fasziniert sah ich ihn an und konnte nicht anders. „Meine Güte, ist er süß!“, quiekte ich ungehalten und fragte: „Darf ich ihn auch mal auf den Arm nehmen? Oh, bitte bitte!“. „Erst sollte ich ihn stillen. Ich merke schon, Alessandro wird einen begnadeten Appetit haben“, antwortete Krystal und kümmerte sich um ihr Kind.
Tizian und ich dagegen gingen zurück in das Wohnzimmer. So wie der Kleine mir aussah war er noch nicht lange auf der Welt und da war es für Krystal bestimmt noch ungewohnt in der Rolle einer Mutter zu sein. Da wollte ich nicht unbedingt stören. Kaum saßen mein bester Freund und ich wieder auf der Couch, wollte ich wissen: „Wann wurde er denn geboren und geht es ihm gut?“. „Er ist schon am zwanzigsten Mai auf die Welt gekommen und keine Sorge es geht ihm gut, er hat die vier Wochen, die er zu früh geboren wurde, super weggesteckt“, antwortete er mir lächelnd, ja sichtlich stolz über sein Kind.
„Und warum habt ihr mich nicht Bescheid gesagt?“, lautete meine nächste Frage, mit der ich ihn hatte. Etwas ertappt meinte Tizian: „Ich wusste nicht wie ich dir gegenüber treten sollte, nachdem mir Krystal von deinen Gefühlen für Jakob erzählt hatte, tut mir leid. Und … na ja, es wäre für mich eine große Ehre, wenn du die Patenschaft übernehmen würdest“.
Im nächsten Moment standen mir wieder Tränen in den Augen. Dieses Mal nicht wegen Jakob, sondern weil mein bester Freund wollte, dass ich seinem Kind nahe war. „Natürlich werde ich seine Patentante! Danke!“, fackelte ich nicht lange und drückte Tizian fest. „Hast du das gehört, mein Kleiner?“, fragte Krystal plötzlich und war also zurück.
Alessandro ruhte auf ihren Arm, der gar nicht bekommen hatte, was Sache war. Vorsichtig übergab sie mir ihr Kind, was unglaublich süß war. Es störte ihn nicht einmal, dass ich eigentlich eine Fremde war. „Ich habe mich direkt in ihn verliebt. Bei dir auch alles gut, Liebes?“, wollte ich auch von Krys wissen, die über das ganze Gesicht strahlte.
Nachdem wir uns alle wieder gesetzt hatte, antwortete sie: „Ich kann es kaum erwarten wieder schlank zu sein, aber ja, mir geht es super und es gab keine Komplikationen. Er wollte einfach nur früher diese schöne Welt erblicken“. „Toll, das freut mich“, stand ihr bei und strich über die zarte Wange des knapp drei Wochen alten Kindes.

 

„Möchtest du eigentlich einmal Kinder haben?“ fragte mich Krys lächelnd, was mich etwas aus der Bahn warf. Das war nämlich eine gute Frage. Bisher hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Vermutlich war ich etwas altmodisch, aber ich wollte zuerst verheiratet sein, bis ich überhaupt darüber nachdachte.
Das schien noch in weiter Ferne zu sein, denn ich war noch immer unglücklicher Single. Daher antwortete ich: „Nein, bis jetzt nicht und was ist mit euch? Wollt ihr noch mehr Kinder?“. „Ich schon. Ich möchte nicht, dass Alessandro ein Einzelkind bleibt“, meinte sie sofort und blickte auf ihren kleinen Jungen.
Mein bester Freund dagegen erwiderte: „Und ob wir noch ein Kind haben werden. Am besten ein Mädchen“. „Ihr seid wahnsinnig süß, wisst ihr das? Bei euch merkt man, dass es wahre Liebe ist, die euch verbindet“, lobte ich das Paar und sah, wie Krystal verlegen errötete. Dann sagte sie: „Ein Mädchen also? Ich werde aber entscheiden, welchen Namen es tragen wird“.
Ein wenig schmunzelten wir über ihre Aussage, aber es stimmte auch. Immerhin hatte ihr Mann darauf bestanden, ihren kleinen Jungen Alessandro zu nennen. Genau Tizian war es, der meinte: „In Ordnung, aber ich bitte dich keinen Namen wie Chantal oder Jessica zu nehmen“. Nach seinen Worten wich unseren Grinsen das reinste Lachen. Hoffentlich weckten wir damit nicht den Jüngsten unserer Gruppe. Mit einem Blick auf ihn stellte ich fest, dass er noch immer friedlich vor sich hin schlummerte.
Krystal, die sich als erste von unserem Lachflash erholt hatte, sagte: „Natürlich, ich mag die Namen auch nicht besonders. Ich dachte da eher an Leandra oder Lucia, klingt doch super für eine kleine Schwester, oder?“. „Wenn, dann Ersteres“, ging Tizi auf ihre Vorschläge ein, was ich bekräftigte. Damit wäre die Namensfrage wohl fürs Erste geklärt.
Nachdem wir uns alle beruhigt hatten, schlug Krystal vor, etwas zu kochen. Just in dem Moment meldete sich mein Magen und knurrte unüberhörbar. „Sorry, ich … habe kaum etwas gegessen, seitdem Jakob mich aus seiner Villa geworfen hat“, entschuldigte ich mich kleinlaut, biss aber dann auf meine Unterlippe, als ich die verwirrten Blicke sah.
Ich unterdrückte einen Schmerzensschrei, schließlich hatte ich noch immer das Kind von Tizian und Krystal auf meinem Arm. Das war ein gutes Stichwort. Der Kleine wurde nämlich immer schwerer, umso länger ich ihn hielt. Daher übergab ich den Wurm an meinem besten Freund, der ihn lächelnd betrachtete.
Dann blickte er zu mir und so erzählte ich den beiden, was bei Jake vorgefallen war. „Er lernt es einfach nie“, endete ich schließlich und zuckte ratlos mit den Schultern. Krys meinte: „Du tust mir so verdammt leid. So etwas hast du wirklich nicht verdient“. „Das denke ich auch und nun weiß ich auch, wie du dich gefühlt haben musst, als er dir das Herz gebrochen hat“, stimmte ich ihr zu und verspürte abermals diese grenzenlose Trauer.
Ich bin hier ohne dich, schoss es mir durch den Kopf. Ja, ich fing an im Gedanken mit ihm zu reden, was schon ziemlich wahnsinnig war. Nur half es mir irgendwie über den Schmerz seines Weggangs hinwegzukommen. Die Liebe war schon etwas unheimlich Kompliziertes, etwas Unvorhersehbares, was einem Kummer oder ungeheures Glück bescheren konnte. Leider Gottes hatte ich bisher auf die falschen Männer gesetzt. Ob sich das je ändern wird?

Are You The One?

„Ich würde sagen, dass wir erst mal etwas kochen“, schlug Krystal mit einem breiten Lächeln vor. Wahnsinn, scheinbar hatte sie das mit Jakob vor über vier Jahren wirklich verkraftet. Darüber wunderte ich mich nicht, denn mit Tizian hatte sie einen Traummann an ihrer Seite, der nicht mehr das Gegenteil von seinem Halbbruder sein konnte als irgendein anderer Mensch.
Zwar verspürte ich überhaupt keine Lust auf Essen dennoch stimmte ich ihr zu. Krys steuerte daraufhin die Küche an, wurde jedoch von ihrem Mann aufgehalten. Dieser meinte nämlich: „Setze dich ruhig zu Lia, ich bekoche euch“. Genau das meinte ich, er war lieb und zuvorkommend, genau das, was ich mir von meinem Partner wünschte.
Krystal riss mich aus meinen Gedanken, indem sie erwiderte: „Nein danke, ich möchte wieder meine alte Figur haben oder zumindest nah dran sein und so bewege ich mich wenigstens etwas“. „Also ich finde, dass dir die Rundungen super stehen“, machte Tizi ihr ein charmantes Kompliment. Seine Frau dagegen errötete. Wow, so verlegen kannte ich sie gar nicht!
Daran merkte man nur zu gut, was die Liebe aus einem machte. Die beiden schwebten auf Wolken und das mit einer Leichtigkeit, die ich zutiefst bewunderte. „Trotzdem“, hielt Krystal eher schwach dagegen und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Mit eben diesem herrlichen Grinsen verschwand sie in die Küche und zeigte damit deutlich, wer das Essen zubereitete.
„Ihr passt wirklich wie Arsch auf Eimer zusammen“, kommentierte ich das Gespräch der beiden trocken, woraufhin mein bester Freund lachen musste. Im nächsten Moment schenkte er mir aber ein strahlendes Lächeln, dann sagte er: „Vermutlich ist dieser starte Kontrast zwischen uns unsere Stärke. Während sie ziemlich kratzbürstig sein kann, bin ich ihr Ruhepol“.
„Was wohl der Kontrast von Jakob und mir ist?“, fragte ich schneller, als ich über meine Worte nachdenken konnte. Sein Lächeln erstarb und seine Miene wurde ernst. Hoffentlich hatte ich Tizian nicht verärgert. Wider Erwarten antwortete er jedoch: „Nun, so schwer ist das nicht. Ich denke, er braucht jemanden, der ihm Kontra gibt und du wohl einen Bad Boy an deiner Seite“.
„Meinst du wirklich?“, blieb ich überaus skeptisch. Tizi gab einen tiefen Seufzer von sich und verstärkte den Griff um sein Kind, das er nach wie vor in seinen Armen hielt. Natürlich nicht zu doll, er wollte Alessandro schließlich nicht wehtun. Ich vermutete, dass ihm das Thema um seinen Bruder stark zusetzte. Vor mir fand ich auch Bestätigung, denn seine Augen wirkten mit einem Mal glanzlos und müde.
Mit eben diesen Augen sah er tief in meine und sagte: „Kümmere dich bitte gut um ihn, wenn er wieder da ist, ja?“. „Wieso … Was ist denn mit ihm?“, wollte ich mit einem Anflug von einem schlechten Gefühl wissen. „Ich habe Angst, dass er Scheiße baut“, stellte Tizian seine Befürchtung offen dar, beantwortete mir aber nicht meine Frage.
Langsam aber sicher verlor ich die Geduld. Leicht aufgebracht keifte ich: „Verdammt nochmal! Denkst du wirklich, ich sehe nicht, dass du weißt, was mit Jakob ist? Und ich finde es ehrlich gesagt schade, dass du mir nicht sagen willst, weshalb er so überstürzt das Land verlassen“. Gegen Schluss war meine Stimme wieder leiser geworden, da ich nicht wollte, dass sein Kind etwas von dieser Unruhe, die sich im Raum befand, mitbekam.
Tizian atmete gequält aus, dann lenkte er ein. „Es tut mir leid, dass ich dich so übergehen wollte, aber … ach, frage ihn bitte selber. Er soll es dir selber sagen. Ich habe damit sowieso nicht direkt etwas zu tun“, entschuldigte er sich bei mir, bat aber zugleich um Geduld. Na super, wer weiß, wann Jake zurückkehren würde. Trotzdem beließ ich es dabei, denn ich sah meinem besten Freund nur zu gut an, dass er sich nicht sehr wohl fühlte, was seinen Bruder anging.

 

Es war Zeit für einen Themenwechsel. Deswegen lenkte ich das Gespräch auf Krystal, die nach wie vor in der Küche war. „Wie sieht es eigentlich bei ihr mit ihren Plänen aus?“, fragte ich ehrlich interessiert. Tizi antwortete: „Sie büffelt fleißig für ihren Hauptschulabschluss, den sie extern macht. Danach möchte sie eine Ausbildung zur Bauzeichnerin machen, um dann ihr Abitur zu machen und schließlich Architektur zu studieren“. „Ah, also so etwas wie ein zweiter Bildungsweg, wenn ich mich nicht täusche“, meinte ich, was mir der Schwarzhaarige bestätigte.
„Na dann hoffe ich mal, dass das klappt wie sie es sich vorstellt“, gab ich Tizian meinen Zuspruch, zweifelte aber auch nicht daran, dass Krys es schaffte. Für's Scheitern war sie einfach viel zu ehrgeizig. So wie ich sie einschätzte würde sie sogar mit Bravour bestehen. „Das hoffe ich auch“, erklang auch schon die Stimme von jener Frau, von der Tizi und ich sprachen.
Etwas ertappt zuckte ich zusammen. Krystal kicherte etwas über mich und sagte dann: „Keine Sorge, ich bin's nur“. Schon nahm sie wieder auf dem Sofa Platz und legte ihr eines Bein über das andere. So sah sie aus wie eine richtige Geschäftsfrau. Ja, das stand ihr ausgezeichnet. Bestimmt würde sie es als Architektin eines Tages ganz weit bringen.
„Wann hast du denn Prüfungen?“, fragte ich Krys und band sie somit in das Gespräch von ihrem Mann und mich ein. Ein Lächeln legte sich auf ihren Lippen, ehe sie antwortete: „Nächste Woche geht es los. Ich freue mich schon riesig darauf“. „Schon? Meine Güte, da hast du ja Glück, dass du dein Kind schon zur Welt gebracht hast. Stelle dir mal vor, die Wehen hätten mitten in einer Prüfung eingesetzt“, staunte ich über das perfekte Timing meiner Freundin oder besser gesagt über das von Alessandro.
Das Ehepaar musste dagegen über meine Bemerkung lachen. Vermutlich stellten sie sich gerade vor, wie ihr Kind das Licht der Welt in einer Turnhalle erblickt hätte. Erst da wurde mir klar, wie lustig meine Worte wirklich waren und so stimmte ich auf ihr Lachen ein. „Du bist einmalig, Giulia!“, gab Krystal unter Lachtränen zu und hielt sich ihren Bauch.
„Ich weiß“, kicherte ich und mimte die Süffisante, was uns drei nur noch mehr zum Lachen brachte. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe wir uns alle erholt hatten. Damit wir nicht wieder in das alte Muster zurückfielen, fragte ich: „Was hast du eigentlich gekocht?“. „Ach, nichts Besonderes. Da es dir nicht so gut geht habe ich eine einfache Hühnersuppe gemacht“, meinte Krys, was mich zutiefst rührte.
„Das ist wahnsinnig lieb von dir, danke!“, meinte ich den Tränen nahe und umarmte sie stürmisch. Sie erwiderte meine Umarmung, sagte gleichzeitig: „Es wird auch Zeit, dass wir essen. Wir wollen sicherlich nicht, dass die Suppe überkocht“. „Ja, na klar!“, stimmte ich ihr zu und begab mich auf dem Weg zur Küche, gefolgt von meinen beiden Freunden.
Angekommen wollte ich sofort den Topf von der Platte nehmen, doch meine gute Freundin hielt mich am Handgelenk fest. Mit einem gespielten strengen Blick sagte sie: „Setzen!“. „Okay, Chefin!“, ging ich grinsend darauf ein und setzte mich an den gedeckten Tisch. Als ich den leckeren Duft des Essens einatmete, wurde mir mal wieder klar, was für gute Freunde ich hatte und wie gut es mir tat, genau hier zu sein.
Leider war dieser Effekt nicht von langer Dauer. Als ich nämlich meinen vollen Teller vor mir betrachtete, verspürte ich keinerlei Lust, etwas zu mir zu nehmen. „Ich … ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas herunter bekomme“, gab ich etwas peinlich berührt zu und fuhr mir durch mein strähniges Haar.
Meine Güte, vielleicht sollte ich mich endlich mal am Riemen reißen! So konnte es wirklich nicht mit mir weitergehen. Tizian war es, der das Wort ergriff. Er schwor mir schon fast: „Wenn du erst einmal davon probiert hast, dann wirst du deine Meinung ändern“. Unschlüssig starrte ich die Suppe an und genau in dem Moment knurrte mein Magen.
Also gut, dachte ich, dann versuche ich es eben doch. Zaghaft nahm ich einen Löffel und schon ihn in meinem Mund. Mh, das tat wirklich gut! „Geht doch“, freute sich Krystal sichtlich über mich. Ich dagegen kam mir etwas wie ein Kind vor oder krank. Dabei litt ich nur unter Liebeskummer, unter einem ziemlich heftigen Liebeskummer.

 

Und schon war ich im Gedanken wieder bei Jakob. „Gibt es den Einen? Bist vielleicht gerade du dieser Eine?“, entfuhr es mir unüberlegt, woraufhin ich den Löffel in die Suppe fallen ließ und mir meine Hände vor den Mund hielt. Zum Glück reagierten meine Freunde relativ gefasst. Immerhin wusste sie nun alles, worüber ich sehr froh war.
„Ja, es gibt den Einen, doch - tut mir leid, wenn ich das so offen sage – ist es definitiv nicht Jakob“, ging Tizian sogar auf meinen ausgesprochenen Gedanken ein. Mein Herz dagegen wurde schwer. Es fühlt sich so an, als ob es jemand mit einer eisernen Faust umschloss und immer mehr Druck darauf ausübte.
Mit erstickter Stimme flüsterte ich: „Leider stimmt es auch noch. Oh, wie wünschte ich, ich hätte mich niemals in ihn verliebt!“. Abermals standen mir Tränen in den Augen und ehe ich mich versah, kullerten diese glühend heiß über mein Gesicht. Sofort war Krystal zur Stelle und nahm mich in den Arm.
Tizian dagegen räumte erst einmal den Tisch ab, da er verstanden hatte, dass mir spätestens jetzt nicht mehr nach Essen zumute war. Er und Krys waren schon längst fertig damit. „Man kann sich nicht aussuchen in wen man sich verliebt. Liebe ist keine Entscheidung, Liebe ist einfach etwas, dass sich seinen Weg auch durch die dunkelsten Mauern sucht“, redete sie mit beruhigender Stimme auf mich ein.
Auch ihr konnte ich nichts entgegenbringen. Trotzdem meinte ich energisch: „Liebe ist nichts weiter als für'n Arsch“. Meine Freundin musste leise über meine Aussage kichern, entschuldigte sich aber sofort bei mir, was ich ihr nicht übel nahm. Wieso auch? Immerhin musste ich auch ein Schmunzeln unterdrücken.
Nein, mir war absolut nicht danach. „So kenne ich dich. Immer schön Kontra geben“, mischte sich Tizian ein und strich mir über den Kopf. „Meine Haare sind scheiße, du solltest sie lieber nicht anfassen“, war ich ganz die alte Giulia, die er seit Jahren kannte. Ein Lachen entwich ihm und schon sagte er: „Genau das meine ich und meine Gute, du müsstest wissen, wie egal mir das gerade ist. Du brauchst uns und das hat oberste Priorität“.
Die beiden waren einfach nur süß und immer für mich da, egal um was es ging! Deswegen sprach ich auch ganz offen über das, was mich beschäftigte. „Ich vermisse ihn schrecklich und das obwohl er mich total mies behandelt. Wenn ich doch nur wüsste, weswegen er so überstürzt weggeflogen ist und vor allem wohin. Vor lauter Aufregung habe ich gar nicht nachgesehen am Flughafen“, fing ich schluchzend an.
Krystal zog mich fester zu sich heran und meinte: „Shh, es wird sich schon alles aufklären und vielleicht kannst du dann mit diesem Arschloch abschließen“. „Ich hoffe es“, stimmte ich ihr etwas skeptisch zu. „Tut mir leid wegen der Suppe, die war übrigens wirklich lecker. Wenn es euch keine Umstände machen würde, dann würde ich sehr gerne etwas mit nach Hause nehmen“, entschuldigte ich mich bei meinen Gastgebern.
„Kein Problem“, sagten Tizian und Krystal gleichzeitig, was uns alle kurz zum Lachen brachte. Im Eifer des Gefechts gab ich zu, dass die beiden ein tolles Traumpaar waren und ich tierisch neidisch auf sie war. Krys erwiderte daraufhin: „Bei uns ist auch nicht immer Friede-Freude-Eierkuchen“. „Gewiss, aber ihr haltet trotz schwerer Zeiten zusammen. Im Gegenteil, ihr habt erst dadurch zueinander gefunden“, stach ich sie sofort aus.
Das dachte ich zumindest. Aber Krystal war auch nicht auf den Mund und vor allen nicht auf dem Kopf gefallen. Schlagfertig konterte sie damit, dass genau darin die Kunst einer Beziehung lag, egal ob nun freundschaftlich oder ehelich oder wie auch immer. Man sollte in guten wie in schweren Tagen zusammenhalten.

 

Wenn ich so darüber nachdachte, dann wussten die ganzen Pärchen kaum mehr, was sie aneinander hatten. Mache trennten sich wegen belanglosem Zeug und das nur, weil sie sich maßlos darin hinein steigerten. Ich fragte mich, ob ich nicht auch wegen unsinnigen Gründen meine Beziehung oder gar Ehe aufgeben würde.
Nein, niemals! Ich war kein Mensch, der die Liebe erzwang oder gar jemand ausnutzte, nur um nicht alleine zu sein. Nur konnte man über Unstimmigkeiten reden und Kompromisse finden. Untreue und gravierende Lügen waren dagegen etwas anderes. Da verstand ich es, wenn man mit seinem Partner nicht mehr zusammen sein wollte.
„Wisst ihr was? Ich finde es wahnsinnig toll, dass ihr so zusammenhaltet!“, lobte ich daher Krystal und Tizian in höchsten Tönen und konnte mich sogar zu einem Lächeln zwingen. „Danke“, sagte Krys etwas verlegen, Tizi dagegen war schon selbstsicherer: „Na wenigstens hat sich die Mühe gelohnt“.
Das stimmte wie die Faust auf's Auge. Abermals verneigte ich mich vor den beiden im Gedanken. Damit ich jedoch nicht wieder trauriger wurde, wechselte ich das Thema. „Ehm, könnt ihr mir nun bitte etwas Suppe einpacken? Ich würde dann nach Hause gehen wollen“, bat ich sie erneut, um etwas von dem Essen, was so köstlich war.
Tizian erhob sich sofort und füllte eine gute Portion in ein Glas ab, welches er fest mit dem Deckel umschloss. „Was haltet ihr davon, wenn wir dich begleiten?“, schlug mein bester Freund vor, wofür ich ihm sehr dankbar war und daher sein Angebot annahm. „Ja, aber unter einer Bedingung: „Unser kleiner Bub kommt mit“, lehnte auch Krystal nicht ab und schmunzelte über ihre Wortwahl, was Tizi und ich ihr gleichtaten.
Rasch zog sie Alessandro um und setzte ihm eine Sommermütze auf. Dann begaben wir uns schon in den Eingangsbereich der Villa. Dort stand auch ein hellblauer Kinderwagen, der zum Träumen süß war! Ehrlich mal, woher hatten sie den bekommen? Wäre ich ihr Kind, ich würde mich darin pudelwohl fühlen.
Als ich die warme Luft einatmete überkam mich pure Erleichterung. Ich wusste zwar nicht von was, aber ich fühlte mich wieder etwas besser. Würde ich es nicht besser wissen, da würde ich glatt denken, dass ich meine Regel hätte, schwanger war oder mich bereits in den Wechseljahren befand. Meine Stimmungsschwankungen waren zur Zeit die reinste Katastrophe und daran war nur Jakob Schuld.
Und schon geisterte er wieder in meinen Kopf herum. Nein das musste aufhören! „Wie findet ihr das Wetter? Ich finde es sehr schön“, sagte auf einmal Krystal und riss mich aus meinen Gedanken, wofür ich ihr sehr dankbar war. Kein Wunder also, dass ich vor Tizian das Wort ergriff, indem ich antwortete: „Ja, einfach nur traumhaft“.
Tizi, der den Kinderwagen sanft vor sich her schob, meinte: „Also meinetwegen könnte es ruhig etwas kühler sein“. Während er das gesagt hatte, hisste er den Sonnensegel vom Buggy und schütze sein kleines Kind so vor den Strahlen der Sonne. Wieder mal erkannte ich, was für ein guter Vater mein bester Freund war. Das musste man ihm wirklich lassen.
„Tja, ich gewöhne mich dann schon mal an solche Temperaturen, wobei es in Italien normalerweise noch heißer ist“, spielte ich auf meinem bevorstehenden Umzug nach Florenz an. Krystal erwiderte mit trauriger Stimme: „Ich möchte nicht, dass du umziehst. Du bist mir eine sehr gute Freundin und da sehen wir uns verdammt selten“. „Ach Süße, ich bin doch nicht aus der Welt und wir können uns doch jederzeit gegenseitig besuchen kommen. Außerdem ziehe ich erst im August um, das heißt wir haben noch fast zwei Monate und wir sehen uns spätestens an meinem Geburtstag wieder. Ihr kommt mich doch besuchen, oder?“, tröstete ich meine kleine Freundin.
Diese sagte: „Ja, zum Glück. Wehe, wir sehen uns kaum mehr bis dahin“. „Ist gebongt!“, versprach ich ihr, dass wir uns noch das ein oder andere Mal sahen. „Müsstest du nicht bald deine Ergebnisse von deinem Examen und deiner Doktorarbeit bekommen?“, fragte plötzlich Tizian. „Ach du Scheiße! Daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht!“, entfuhr es mir erschrocken, fuhr aber dann auch damit fort, dass es bis dahin noch etwa einen Monat dauerte.

 

Erst da wurde mir klar, dass ich ohne einen Abschluss bestimmt nicht nach Italien zurückkehren würde. Oder etwa doch? Ich könnte mir dort locker einen Job suchen und falls das auch nicht funktionierte, hatte ich immer noch meinen Verdienst vom Modeln. In der Hinsicht war Italien um Längen besser als Deutschland!
Das erzählte ich auch meinen Freunden, die mir Glauben schenkten, mir aber auch gleichzeitig offenbarten, dass sie an meinem Studium keine Zweifel hatten. „Ehrlich gesagt, tut es mir ausgesprochen gut zu hören, dass ihr nicht an mir zweifelt“, offenbarte ich ihnen und lächelte sie dankend an.
Danach glitt mein Blick über die Landschaft, die immer mehr in das Orange der Abenddämmerung getaucht wurde. Wie spät es mittlerweile geworden war! Mich wunderte es nur, dass mich Justin noch nicht angerufen hatte, um zu wissen, wo ich steckte. Nun ja, bald war ich ja da.
„Du wirst dein Tief schon überwinden“, meinte Tizian optimistisch. Da war ich mir nicht so sicher, immerhin befand ich mich schon einiger Zeit darin und immer wenn ich glaubte, ich hätte es geschafft, sank ich immer tiefer. Das sagte ich meinem besten Freund auch, der dazu nur sagen konnte, dass nach der Nacht auch der Tag wieder anbrach, was ohne Zweifel stimmte.
Nur ging es hier nicht darum, sondern um mich. Um mein persönliches Desaster. „Kystal hat auch nur durch dich ihre Glauben an die Liebe wiedererlangt“, wies ich ihn sogar offen darauf hin. Und das hatte vier Jahre gedauert. Wie lange es wohl bei mir sein würde? Wenn ich es überhaupt schaffen würde.
Ach, verdammt! Manchmal war das Leben wirklich nicht fair. „Man weiß nie, was im Leben alles so passiert. Vielleicht lernst du schon in ein paar Tagen deinen Ehemann kennen“, mischte sich Krys in das Gespräch ein. Ich hatte zwar nichts dagegen, erwiderte aber trotzdem: „Das stimmt, aber ich glaube nicht mehr daran. Mit Mitte zwanzig wollte ich verheiratet sein und vielleicht schon Kinder haben oder zumindest schwanger sein“.
Genau das hatte Krystal schon erreicht, dabei war sie nicht einmal zwanzig Jahre alt. Wahnsinn, die Frau hatte wirklich Glück gehabt! Genau sie war es, die meinte: „Dann verzögert sich das eben um ein paar Jahre. Du hast doch noch einige Jahre, um eine Familie zu gründen“. „Na gut, dann muss ich meine Erwartung wohl auf neunundzwanzig erhöhen, aber bitte nicht über dreißig!“, mimte ich das etwas trotzige Kind.
Schmunzelnd betrachteten mich meine Freunde. Vermutlich ging ihnen dasselbe durch den Kopf wie mir, nämlich, dass ich gerade absolut nicht die Schlagfertigkeit in Person war. Unser Treffen endete schließlich damit, dass wir bei meiner Wohnungsgemeinschaft ankamen und uns mit einer tiefen Umarmung voneinander verabschiedeten. Alessandro bekam sogar einen Kuss von mir, was er aber nicht bemerkte, da er nach wie vor friedlich vor sich hin schlummerte.

 

Kaum hatte ich einen Schritt in die Wohnung gemacht, kam mir schon Justin entgegen. „Hey, ich … ähm, war bei Tizian und Krystal!“, begrüßte ich ihn und kam sofort zur Sache. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln auf, was zum Teil auch besorgt war. Er meinte: „Schön, dich wieder zu sehen. Wie war es denn bei den beiden?“.
Da mir klar wurde, dass diese Unterhaltung bestimmt etwas an Zeit in Anspruch nehmen würde, ging ich in die Küche. Jus folgte mir und wir ließen uns auf einen der Stühle nieder. Dann antwortete ich: „Sehr schön. Übrigens sind die beiden nicht mehr zu zweit, sondern zu dritt“. „Ach, so? Na das ist doch toll! Geht es ihnen gut?“, erkundigte er sich nach dem Wohlbefinden meiner Freunde.
Skeptisch beäugte ich ihn. Seit wann interessierte er sich so für sie? Als ich ihn darauf ansprach, sagte er: „Zeiten ändern sich. Ich habe mir gedacht, vielleicht sollte ich etwas an mir ändern und das ist der erste Schritt. Jakob wird nicht mehr so viel Einfluss auf mich haben“. „Das sind ja aber ganz neue Töne von dir. Ich freue mich aber darüber“, teilte ich ihm mit.
Sichtlich zufrieden erwiderte Justin: „Dankeschön und wie kam es nun, dass du Tizian und Krystal einen Besuch abgestattet hast?“. „Ich habe Tizi zufällig getroffen und natürlich hat er mir sofort angesehen, dass es mir nicht gut geht. Übrigens weiß er nun über alles Bescheid“, informierte ich meinem guten Freund über das jüngste Geschehnis.
Im nächsten Moment veränderten sich dessen Gesichtszüge erneut. In seinem Blick konnte ich pure Überraschung lesen. Okay, er hatte also sofort verstanden, um was es ging. „Und? Wie hat er es aufgenommen?“, bat er vorsichtig um Auskunft. Erleichtert wie eh und je entgegnete ich: „Zum Glück erstaunlich gut. Er heißt es zwar nicht für gut, dass ich ausgerechnet für seinen Bruder und Herzensbrecher Nummer Eins Gefühle habe, aber er hat auch gemeint, dass man sich nicht aussuchen kann, in wem man sich verliebt“.
Das dürfte für's erste genügen. Daher verabschiedete ich mich auch schon von meinem guten Freund und Mitbewohner. „Giulia?“, rief er mir hinterher, woraufhin ich mich umdrehte. Fragend sah ich ihn an, dann sagte er: „Egal was ist, du kannst mit mir über alles sprechen. Ich werde immer für dich da sein“. „Danke“, erwiderte ich, ging schließlich doch noch mal zu ihm und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Danach ließ ich mich aber nicht mehr aufhalten.
In meinem Zimmer angekommen warf ich mich auf mein Bett und war froh, dass ich nicht so viel Lärm machte. Wozu auch? Niemand sollte mitbekommen, wie schlecht es mir ging und doch konnte ich nicht verhindern, dass man mir meinen Gesundheitszustand auf zehn Meter Entfernung ansah.
Nein, dachte ich mir, das muss aufhören! Ich werde auch etwas an mir ändern! Schritt eins war, mir nicht allzu sehr ansehen zu lassen, wie mies es mir ging. Morgen früh würde ich mir ein ausgiebiges Bad gönnen! Nur wegen so einem Mistkerl wie Jakob brauchte ich meine Schönheit nicht so sehr zu vernachlässigen.
Vielleicht traf ich doch noch meinen Traummann, wenn es wirklich nicht der Blonde sein sollte. Da musste ich gut aussehen. Ein trauriges Lächeln stahl sich auf meine Lippen, doch kurz darauf fing ich an, hemmungslos zu weinen. Das war der letzte Abend, an dem ich mich so gehen lassen würde. Ab morgen würde ein neues Leben für mich beginnen! Noch konnte ich aber nicht ahnen, wie sehr das Realität werden würde.

Everybody Hurts

Ein paar Tage verstrichen. Mittlerweile ging es mir etwas besser, auch wenn ich Jakob schrecklich vermisste. Meinen Entschluss, mich nicht mehr so sehr gehen zu lassen, hielt ich eisern ein. Justin hatte mir etliche Komplimente gemacht und mich immer wieder damit zum Lächeln gebracht. Er war mir in dieser Zeit ein noch besserer Freund geworden und das obwohl ich dachte, er könnte sich nicht mehr toppen.
Als ich diesen Morgen aufstand, wusste ich, dass heute nicht ein Tag wieder jeder andere werden würde. Warum wusste ich nicht. Ich fühle es einfach. Nein, ich wusste es einfach. Manchmal gab es Dinge, bei denen man sich verdammt sicher war und genau das war ich mir.
Es fing damit an, dass ich müde und nur mit meinem Morgenmantel bekleidet in die Küche ging. Dort erwartete mich eine gähnende Leere. Ich empfand die Stille als komisch und sehr störend, da Justin normalerweise schon längst auf den Beinen war. Er war ein chronischer Frühaufsteher, was für mich den Vorteil hatte, dass er mich weckte, wenn ich kurz davor war zu verschlafen.
Müde gähnte ich und beschloss, erst einmal zu duschen, da ich sowieso noch alleine war. Als das kühle Wasser auf mich traf, seufzte ich wohlig. Es tat unheimlich gut, denn beim Wetter hatte sich nicht viel geändert, im Gegenteil, es war sogar etwas wärmer geworden. Zum Glück kannte ich die Hitze aus Italien, denn sonst hätte ich mich maßlos darüber aufgeregt.
Nach einer viertel Stunde stieg ich schließlich frisch geduscht aus der Kabine und cremte mich mit einer Lotion ein, die meinem Körper auch nach dem Duschen eine angenehme Kühlung verpasste. Schon bald roch ich – wie sollte es auch anders sein – nach fruchtigen Erdbeeren. Fast hätte ich schon gedacht, dass hier eine Schüssel von den süßen Früchten stand, aber im Bad würde das komisch kommen und es wäre alles andere als hygienisch.
Über meine Gedanken schmunzelnd und nur mit einem frischen Morgenmantel über Unterwäsche und Körper bekleidet ging ich erneut in die Küche. Dort musste ich feststellen, dass von meinem Mitbewohner nach wie vor jede Spur fehlte. Daher beschloss ich schon einmal den Tisch zu decken, da er sicherlich nicht mehr lange brauchen würde.
Mein Gefühl täuschte ich mich nicht. Als ich nämlich Brötchen und Croissants zum Backen in den Backofen gelegt sowie den Tisch gedeckt hatte, hört ich wie jemand die Wohnungstür aufschloss. „Na, lässt du dich endlich mal blicken? Ich dachte schon, dass ich hier alleine wohne“, flötete ich gut gelaunt in Richtung Eingangsbereich.
Mein Mitbewohner rief mir nur zurück: „Sorry Jules, ich hatte etwas zu erledigen“. Kaum hatte er das gesagt, betrat er auch schon die Küche. Er war jedoch nicht allein. Hinter ihm tauchte ein mir sehr bekanntes Gesicht auf. Es war genauso blass wie bei unserem letzten Treff, wenn nicht sogar noch bleicher. Die Augen nach wie vor gerötet und aus Glas gemacht.
Was wollte ausgerechnet Jakob hier? Zumal ich dachte, dass Jus sich von ihm distanzieren wollte. So konnte man sich täuschen. „Wie ich sehe hast du Besuch. Na dann verschwinde ich mal in mein Zimmer. Bedient euch“, wollte ich schon das Weite suchen, doch als ich an Jake vorbeiging, hielt er mich sanft am Arm fest.
Oder war er einfach nur verdammt schwach? So kam es mir eher vor, wenn ich ehrlich war. „Giulia, schön dich zu sehen. Du siehst fast genauso schön aus wie früher“, begrüßte er mich leise und mit krächzender Stimme. Mein Mund klappte weit auf. Hatte er das wirklich gerade gesagt? Ehe ich auch nur ein bisschen auf ihn eingehen konnte, sagte der Blonde schon: „Ich denke, dass wir einiges zu bereden haben, doch vorher würde ich gerne endlich mal etwas zu mir nehmen“.
Sein Blick schweifte dabei über mein liebevoll gemachtes Werk. „Du hast dir sehr viel Mühe gegeben und da wäre es doch schade, wenn du es nicht auch nutzen würdest“, fuhr er fort und wagte es tatsächlich mich mit sanfter Gewalt zurück zum Tisch zu dirigieren. „Ich kann alleine laufen und ich wüsste auch nicht, weshalb ich noch mit dir sprechen sollte!“, keifte ich, setzte mich aber doch an den Tisch.
Es stimmte nämlich, dass auch ich mir ein Frühstück gönnen sollte. „Dazu kommen wir danach. Mehr als dich um ein Gespräch bitten kann ich sowieso nicht“, gab sich Jakob fürs Erste geschlagen, was mich leise schnauben ließ.

 

„Ich nehme an, du hast ihn vom Flughafen abgeholt?“, sprach ich Justin mit einem fragwürdigen Blick an. Er verstand und erwiderte: „Manchmal geschehen doch noch kleine Wunder“. Aha, er wollte wohl damit sagen, dass sich sein Cousin ihm gegenüber besser benahm. Das wäre wirklich so etwas wie ein Wunder.
Während ich nach den Brötchen und Croissants sah, meinte ich: „Na dann frühstücken wir eben zu dritt, aber ich warne dich nur ein Mal, Di Izmir: Bilde dir ja nichts darauf ein!“. Ich wagte es erst gar nicht, Jakob in die Augen zu blicken, konnte ihn aber trotzdem zu deutlich schlucken hören. Sichtlich zufrieden holte ich einen dritten Teller sowie ein Glas aus dem Schrank und stellte es ihm vor die Nase.
„Danke“, murmelte Jake, woraufhin ich nichts erwiderte. Wieso sollte ich auch? Er konnte ruhig mal sehen, dass er nicht immer der Mittelpunkt des Geschehens war. Ich musste über mich und meine Standhaftigkeit lächeln. Ja, ich war wirklich stolz auf mich, dass ich ihn nicht sofort gefragt hatte, weshalb er schlimmer als vor seinem Flug aussah.
Nein, daran wollte ich keinen Gedanken mehr verschwenden. Er würde mich so oder so nur wieder belügen und mich letztendlich auslachen sowie verletzen. Darauf konnte ich verzichten. Ich würde mit den Jungs einfach frühstücken, nicht mehr und nicht weniger.
Daher nahm ich das Blech aus dem Backofen und legte es auf die Ablage. „Justin, was möchtest du wie viel haben?“, erkundigte ich mich zuerst bei meinem Mitbewohner über dessen Hunger. Dieser lächelte mich verschmitzt an und antwortete: „Von jedem zwei bitte“. Gesagt, getan. Dankend nahm er mir das Essen ab und begann sofort damit die Brötchen mit Butter zu beschmieren und mit Käse zu belegen. Die Croissants dagegen aß er mit Nutella oder Marmelade.
Nun war Jakob an der Reihe. Kaltschnäuzig meinte ich: „So und nun zu dir, Di Izmir. Auf was hast du Hunger?“. Ertappt starrte er mich an. Sein Blick veränderte sich aber und wurde leer. Leicht abwesend meinte er: „Hm … Ich hätte gerne ein Croissant bitte“. „Mehr nicht?“, fragte ich verdutzt nach.
Im nächsten Moment ärgerte ich mich darüber. Verdammt, warum hatte ich ihm nicht einfach das gegeben, was er wollte? Er dachte jetzt bestimmt, dass ich mir doch noch über ihn Gedanken machte, was dummerweise auch noch stimmte. Er schien jedoch keinen Verdacht zu schöpfen, im Gegenteil, er vermied es nun mich anzusehen und starrte seinen Teller an. Dann murmelte er: „Ich bin froh, wenn ich wenigstens etwas essen kann“.
Sein Verhalten kam mir sehr bekannt vor. So dachte ich nämlich bis vor ein paar Tagen auch noch. Glücklicherweise hatte ich aber auch das mittlerweile in den Griff bekommen. Da ich ihn auf einer Seite verstehen konnte, legte ich ihm nur ein Croissant auf den Teller. Mir selbst gönnte ich ein Brötchen und zwei des französischen Gebäcks.
Das Frühstück verlief ruhig, zu ruhig für meinen Geschmack. Jeder hing seinen Gedanken hinterher. Ab und zu wagte ich einen Blick zu Jakob, der neben Justin saß. Er war mir in der Hinsicht wirklich ähnlich, denn er hatte seine Speise kaum berührt. Seine Hand zitterte unentwegt, sein ganzer Körper vibrierte unaufhörlich.
Rang er etwa um Fassung? „Scheiße, ich kann das nicht! Giulia, bitte! Wir müssen reden! Sofort!“, erhob Jake auf einmal seine Stimme überaus panisch, was sich für mich sehr alarmierend anhörte. „Darf ich noch in Ruhe aufessen?“, mimte ich die Unbeeindruckte und biss genüsslich in mein zweites Croissant.
Sichtlich entmutigt machte sich der Blonde ganz klein. „Ja... Entschuldige“, flüsterte er, was mich zufrieden stellte. Außerdem hatte ich alles weitere schon gegessen, da würde er auch noch die fünf oder zehn Minuten haben. Ich würde mich wegen ihm bestimmt nicht beeilen.

 

Als ich schließlich fertig mit dem Essen war, wollte ich den Tisch aufräumen, doch Justin meinte: „Redet ruhig miteinander, ich mache hier sauber“. „Aber das kann ich doch machen!“, wollte ich darauf bestehen, nur leider war mein Mitbewohner nicht dumm. Lächelnd erwiderte er: „Du hast dir solche Mühe gegeben, den Tisch so schön herzurichten, da kann ich dir auch Gutes tun“. „Also gut, danke dir“, nahm ich sein Angebot doch an.
Als Nächstes wandte ich mich an Jakob. „Was dich betrifft, lasse uns in meinem Zimmer reden und denke erst gar nicht daran, dass das ein unmoralisches Angebot ist“, zischte ich, wozu er erst gar nicht auch nur einen Ton herausbekam. „Warte kurz, ich ziehe mich noch um“, wies ich ihn an, vor der Tür zu warten, während ich rasch in eine weiße Shorts und einem türkisfarbenen Top ohne Träger schlüpfte.
„Okay, also gut. Weshalb möchtest du mir meine wertvolle Zeit stehlen?“, ging ich sofort zur Sache und gab ihm damit ein Zeichen, dass er eintreten konnte. Unschlüssig stand er vor meinem Bett, bis ich zu ihm sagte, dass er sich ruhig setzen konnte. Meine Güte, was war nur mit ihm los? So ruhig und zurückhaltend kannte ich ihn überhaupt nicht.
Unsicher sagte er: „Danke und natürlich danke, dass du mit mir sprichst“. „Muss ich ja schon fast, sonst hätte Justin dich und mich nachher noch irgendwo eingesperrt“, gab ich etwas barsch zurück und war mir sicher, dass mein Mitbewohner genau das getan hätte. Ihn würde ich sowieso noch in die Schranken weisen. Ehrlich mal, was fiel ihm überhaupt ein, Jakob einfach mit zu uns zu nehmen?
„Also, was gibt es für dich nun zu sagen?“, wollte ich dann doch etwas neugierig wissen, damit er endlich mit der Sprache herausrückte. „Entschuldige, ich … ich weiß nicht, womit ich anfangen soll“, brachte Jake nach einer Weile heraus. Langsam aber sicher verlor ich meine Geduld. Leicht genervt entgegnete ich: „Na, weshalb besitzt du die Dreistigkeit, mich hier aufzusuchen und um ein Gespräch zu bitten, obwohl du das größte Arschloch bist, was mir je unter die Augen gekommen ist?“.
Überaus geschockt starrte er mich an. Dann griff er in seine Hosentasche, wo er sein Portmonee heraus holte. Was sollte das denn? Kaum hatte er es aufgeklappt, sprangen mir zwei Fotos in die Augen. Auf einem war eine wunderschöne Frau zu sehen, die sowohl braune Haare als auch braune Augen besaß.
Bei genauerem Betrachten erkannte ich, dass es sich um eine Südländerin handelte. Ihre Haut besaß eine beneidenswerte Bräune. Ihr Lächeln zeugte von großer Warmherzigkeit. Sie war mir sofort sympathisch und das obwohl ich sie nicht kannte. Auf dem anderen Foto war dieselbe Schönheit mit einem Jungen zu sehen.
Bedächtig langsam strich Jakob über die beiden Bilder. „Du wirst dich sicherlich fragen, wer die beiden sind“, begann er schließlich stockend und hielt inne. Vermutlich fragte er sich, ob er wirklich mit mir darüber reden sollte. Da ich sowieso nichts zu verlieren hatte, meinte ich: „Schon möglich“. „Diese Frau ist, nein war meine Mutter und der Junge das bin ich“, informierte er mich über die Identität der beiden und bei genauerem Betrachten konnte ich tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen feststellen.
Nur beunruhigte mich ein Wort. „Mein überstürzter Flug ging in die Türkei“, stammelte Jake und bevor ich auch nur etwas erwidern konnte, offenbarte er mir: „Weil sie tot ist!“. Kaum hatte er das gesagt, rührte ich mich nicht mehr. Hatte ich mich da gerade verhört? „Was, aber...“, begann ich, doch Jakob sprach einfach weiter: „Es war eine regnerische Nacht, als sie von einem Auto erfasst und überfahren wurde. Es war so rutschig, dass der Fahrer die Kontrolle über sein Gefährt verlor und sie schließlich mit in den Tod nahm“.
Ungläubig starrte ich ihn an und ohne es zu wollen zog ich ihn in eine Umarmung. Es ging sogar schon so weit, dass ich mit den Tränen kämpfte. Nein, so was wünschte man niemandem, auch nicht der Person, die man am meisten mied.

 

„Tut mir leid, ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll. Das kommt jetzt schon sehr überraschend, weißt du? Kein Wunder, dass du so blass bist“, brachte ich mühsam hervor. Jake schüttelte nur mit dem Kopf und flüsterte: „Du brauchst nicht darauf eingehen, ich wollte nur, dass du weißt, was Sache ist und weshalb ich so spontan das Land verlassen habe“.
Ich fühlte mich gerade unheimlich schlecht. Hätte ich schon vorher gewusst, was passiert war, wäre ich doch nie so gemein zu ihm gewesen. Der Arme musste sich durch mich bestimmt noch mieser fühlen. Schon allein der Gedanke, dass meine Mutter eines Tages sterben würde, trieb mir die Tränen in die Augen.
Nein, daran wollte ich nicht denken! Außerdem befand sich Jakob in dieser verzweifelten Lage. „Schon gut, dein gemeiner Abgang ist vergeben und vergessen“, winkte ich ab und verzieh ihm sofort ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Vermutlich war das seine Art und Weise sich bei jemanden zu entschuldigen.
Und ich verstand es auch, dass er etwas am Rad drehte, da er seine Mutter verloren hatte. Jake wand sich aus meiner Umarmung und sah mir ernst in die Augen. Da ich nicht wusste, wie ich auf ihn reagieren sollte, starrte ich ihn ebenfalls an. „Ich danke dir“, sagte er schließlich mit so einer Ernsthaftigkeit in der Stimme, dass ich ihm Glauben schenkte.
Traurig lächelte ich ihn an, woraufhin er mich fragte, weshalb ich das tat. Da ich ihm schlecht damit antworten konnte, dass erst so etwas Schlimmes passieren musste, damit er Reue zeigte, zuckte ich nur mit den Schultern. „Ich freue mich darüber, dass du hier bist und bin gleichzeitig traurig, weil es für niemandem leicht ist, seine eigene Mutter zu verlieren“, gab ich ihm dann doch über meine Gedanken Auskunft und hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm eiskalt ins Gesicht log.
Jake fuhr sich über sein blondes Haar und sagte: „Das gehört nun mal zum Leben dazu. Nichts ist für immer“. „Leider“, stimmte ich ihm bedrückt zu, woraufhin er meinte: „Wie man's nimmt“. Was war das denn nun? Im ersten Moment war er noch sehr zerbrechlich und jetzt wieder ganz der alte gefühlskalte Mensch?
Irgendetwas stimmte da gewaltig nicht! Daher war es nicht sehr verwunderlich, dass ich vorsichtig flüsterte: „Wie kannst du gerade nur so gelassen sein? Ich habe doch gesehen, dass es dir nicht gut geht“. Die Gesichtszüge von dem Blonden veränderten sich schlagartig. Für mich sah er so aus, als ob er dem Ganzen neutral gegenüberstand.
Er machte mir seinen Standpunkt auch ganz deutlich, in dem er aufstand und sich gegen mich stellte. Von oben sah er nun auf mich herab, während ich mich fragte, was das schon wieder sollte. „Was soll ich auch großartig dazu sagen? Ändern kann ich sowieso nichts“, blieb er sachlich ohne Gefühle zu zeigen.
Dieses Gespräch entwickelte sich immer mehr in eine Richtung, die mir absolut nicht behagte. „Ist das dein Ernst?“, fragte ich gefährlich ruhig und tat es ihm gleich, in dem ich mich von meinem Bett erhob. Jakob sah mich prüfend an. „Ob das dein verdammter Ernst ist habe ich gefragt!“, schrie ich ihn mit einem Anflug von Wut an.
Sie steigerte sich auch noch, da er die Dreistigkeit besaß und mich anlächelte. Dann erwiderte er: „Natürlich ist das mein Ernst, sonst hätte ich das auch nicht gesagt. Rege dich bloß nicht auf, sage mir lieber, was es mir bringen würde, mich in Selbstmitleid zu stürzen“. „Sie war deine Mutter! Da kannst du das doch nicht so locker sehen!“, blaffte ich ihn an.
Langsam aber sicher verlor ich wirklich die Kontrolle über mich selbst. Ich war so unendlich wütend. Wütend auf mich, dass ich mich so in etwas hineinsteigerte, was mich nichts anging und wütend auf Jakob, dass er so ungerührt war. „Hast du überhaupt realisiert, dass du deine Mutter nie wieder sehen wirst? Sie ist tot! Tot!“, sprach ich panisch auf ihn ein und schüttelte ihn.
Die Pupillen von Jakob weiteten sich daraufhin. Gefährlich ruhig fragte er mich: „Für wie dumm hälst du mich eigentlich? Ich weiß, dass sie tot ist, schließlich habe ich sie im Sarg gesehen!“. Das hatte gesessen. Augenblicklich ließ ich ihn los und wich vor ihm zurück. Wäre ich nicht weich auf meinem Bett gelandet, dann hätte ich mich noch mehr erschrocken.

 

Im nächsten Moment bahnten sich auch schon die ersten Tränen über mein Gesicht. Von wegen ich wollte aufhören damit! „Du … du hast die Leiche deiner Mutter gesehen?“, wollte ich mühevoll wissen. Jake antwortete mir einfach nur stumpf: „Ja, das habe ich“.
Bei diesem Gedanken schüttelte es mich, doch ihn ließ das völlig kalt. Zu kalt aus meiner Sicht. „Erzähle mir davon“, bat ich ihn, um herauszufinden, ob er mir nicht doch nur etwas vorspielte. Jakob sah mich sichtlich überrascht an. Dann ging er auf und ab in meinem Zimmer. Okay, er wusste wieder nicht, wo er anfangen sollte.
Darin sah ich bereits meine Bestätigung, doch kam er mir dazwischen. Völlig sachlich erklärte er mir: „Wie das eben auf Beerdigungen so ist. Man bekommt zuerst einen Moment mit dem Toten alleine und dann heucheln die Verbliebenen Trauer vor. Danach ging meine Verwandtschaft in ein Restaurant und schlug sich den Bauch voll“.
Sofort fiel mir auf, dass er überhaupt nicht von sich gesprochen hatte. „Und was hast du gemacht?“, traute ich mich zu fragen und war ehrlich daran interessiert. Ertappt zuckte er zusammen. Hatte ich ihn endlich da, wo ich ihn haben wollte? Leider nicht, denn Jakob war nach wie vor ungerührt. Grinsend meinte er: „Ich habe erst einmal eine der Blumenfrauen vernascht. Dafür, dass sie ein Kopftuch trug war sie ziemlich versaut“.
Jetzt reichte es mir endgültig! „Du widerst mich so an!“, schrie ich auch schon und verpasste ihm eine kräftige Ohrfeige. Völlig überrascht sah er mich an, doch das reichte mir noch nicht. „Wie kann dir deine Mutter nur so egal sein? Sie hat dich auf die Welt gebracht, verdammt! Du hast kein Recht, sie so derartig mit Füßen zu treten!“, fuhr ich unbeirrt fort und schubste den Blonden kräftig, sodass er auf meinen Teppich fiel.
Sofort wollte er sich aufrappeln, doch ich drückte ihn mit meinem Fuß auf den Boden zischte: „Wage es bloß nicht aufzustehen, sonst schwöre ich dir, wirst du das bitter bereuen!“. Um meinen Worten Glaubhaftigkeit zu verleihen, übte ich auch noch etwas Druck auf ihn aus. „Na, wie fühlt es sich an, erniedrigt zu werden?“, fragte ich ihn und musste unter meinen Tränen höhnisch lachen. Ja, das tat wirklich gut, ihm endlich mal zu zeigen, wie es war am Boden zu sein!
Jakob schnappte nach Luft, was mich nicht milder stimmte. Im Gegenteil, es machte mich eher noch wütender, dass er mir nicht antwortete. „Wie es sich anfühlt mit Füßen getreten zu werden, habe ich dich gefragt!“, wies ich ihn daraufhin, dass er sprechen sollte und drückte noch weiter zu. Ich wusste nicht, was in mich gefahren war, doch wollte ich es auch mal auf die harte Tour probieren. Vielleicht konnte ich ihn so zur Vernunft bringen.
Nach wie vor blieb er ruhig, was mich dazu veranlasste, einfach weiter zu sprechen. „Kein Wunder, dass du niemandem mehr hast, wenn du nicht einmal deine eigene Mutter respektieren konntest!“ , fuhr ich fort. Jake zuckte unter mir noch mehr zusammen und machte sich ganz klein. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, da er auf der Seite mit dem Rücken zu mir gedreht lag.
So so, jetzt konnte er mir nicht einmal mehr in die Augen blicken. Okay, dann würde ich so lange auf ihn einreden, bis er es endlich tat. „Ganz ehrlich? Jeder von uns leidet manchmal, man muss solche Schicksalsschläge verkraften, indem man sich mit ihnen auseinandersetzt und den Schmerz auch zulässt“, meinte ich, was auch der Wahrheit entsprach.
Es brachte einem nichts, wenn man nicht über das sprach, was einem bewegte. Das wusste ich nur zu gut und seitdem mir das klar geworden war, ging es mir auch viel besser. Im Moment ging es hier aber nicht um mich, sondern um Jakob. Ich musste es irgendwie schaffen ihn zu brechen. Langsam aber sicher wusste ich nicht mehr weiter.
Nachdenklich ließ ich von ihm ab und stellte mich ans Fenster. „Du musst wirklich nichts fühlen können, wenn du es fertig bringst auf der Beerdigung deiner eigenen Mutter irgendeine Schlampe zu vögeln“, sagte ich laut und erwartete erst gar keine Reaktion von ihm. Weit gefehlt. Dieses Mal rührte er sich nämlich schon.
Er hustete so laut, dass ich schon dachte, er würde unter Atemnot leiden. Bestürzt machte ich Kehrt und sah nach ihm. Jake kroch zu meinem Bett und lehnte sich daran. Danach winkelte er seine Knie an, schlang seine Arme um diese und zu guter Letzt vergrub er seinen Kopf in seine Konstruktion. Vorsichtig tapste ich zu ihm und horchte der Stille.
Was würde wohl als Nächstes passieren? Auch diese Antwort nahm der Blonde mir ab. Ganz leise hörte ich ein Wimmern, was sich zu einem Schluchzen steigerte und schließlich stammelte er mit gebrochener Stimme: „Giulia... Ich kann nicht mehr, bitte hilf mir!“.

Mr. Broken Heart

Jakob's Sicht!
Diese Worte waren mir nur sehr langsam über die Lippen gekommen. Ich wunderte mich sogar darüber, dass sie mir nicht im Halse stecken geblieben waren. Nur leider hatte ich mich damit in die nächste Scheiße geritten. Jetzt musste ich nämlich meinen Mann stehen und Giulia in mein größtes Geheimnis einweihen: Meiner Vergangenheit.
„In meinem ganzen Leben hatte ich niemandem außer meiner Mutter Soraya. Sie war die einzige, die für mich da war, was leider auch nur sehr schlecht ging, da ich bei meinem Vater aufwuchs“, begann ich schließlich mit einem Blick auf Giulia damit zu erzählen und ließ meinen Tränen freien Lauf, die mir unaufhörlich über die Wangen liefen.
Giulia dagegen nahm mich wie am Anfang unseres Gespräches in den Arm. Ich wehrte mich nicht dagegen, obwohl sie mir zuvor üble Sachen an den Kopf geworfen hatte, welche zum Teil auch wahr waren. „Ihn habe ich übrigens auf der Beerdigung getroffen“, ließ ich sie wissen woraufhin sie fragte, von wem ich sprach.
„Von Tiziano, dem Vater von Tizian und mir“, antwortete ich und da wusste Giulia von wem ich sprach. Schluchzend meinte ich: „Ich weiß nun alles“, womit die Frau natürlich nichts anfangen konnte. Daher fuhr ich fort: „Dieser Mistkerl hat mir von Dingen erzählt, von denen ich überhaupt keine Ahnung hatte und was Ian in ein völlig neues Licht rückt!“.
Lia flüsterte: „Du weißt es nun?“. „Sag bloß, ihr habt es alle gewusst, aber mich die ganze Zeit meinem Hass überlassen?“, wollte ich hellhörig von ihr wissen. Konnte es wirklich sein? Hatten mich wirklich alle, selbst Giulia, belogen? Diese schüttelte auch schon energisch mit dem Kopf und erwiderte: „Nein, ich selbst kenne nur einen Teil. Und weshalb Tizian dir nichts erzählte weiß ich auch nicht. Vielleicht dachte er, dass du ihm sowieso keinen Glauben schenken würdest, was mir nicht so abwegig scheint. Mal ehrlich, hättest du ihm geglaubt, wenn er mit der Tür ins Haus gefallen wäre?“.
Ihre Worte stimmten mich nachdenklich. Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Was hätte ich getan? Die Antwort wussten sowohl Giulia als ich. Der Punkt ging eindeutig an sie. „Das stimmt, ich hätte ihn vermutlich für total bescheuert gehalten und ihn provoziert oder mich zumindest über ihn lustig gemacht“, gab ich unter einem Anflug von neuen Tränen zu.
Obwohl ich wusste, dass Lia nicht ganz unwissend war, was die Vergangenheit von Tizian und mir anging, erzählte ich ihr alles, was ich wusste. Von unendlichen Schmerzen geplagt, presste ich mühsam hervor: „Ian ging es so viel schlechter als mir. Unser Vater hat ihn tatsächlich mit Methoden gefoltert, die man niemandem wünscht!“.
Wie konnte mein Bruder das nur über sich ergehen lassen? Schon allein der Gedanke, mit Peitschen geschlagen zu werden oder zu Höchstleistungen gedrillt zu werden ließ mich innerlich erzittern. „Weißt du auch warum er es tat?“, wollte Giulia behutsam wissen und strich mir über den Kopf. Ich genoss ihre sanften Berührungen und atmete tief durch.
„Davon hat Tiziano mir nichts gesagt. Er meinte lediglich, dass er ihm wenigstens Manieren beibringen konnte. Nur frage ich mich, weshalb er mich in Ruhe ließ“, stand ich ihr Rede und Antwort. Die Frau löste sich von mir, betrachtete mich nachdenklich und berührte letztendlich meine Bartstoppeln im Gesicht.
Diese Geste stimmte mich unendlich ruhig und das obwohl in mir ein Sturm tobte, der kaum zu bändigen war. Erst da fiel mir auf, dass ich mich mal wieder rasieren könnte, wobei mir dann einfiel, dass es Giulia eventuell gefallen könnte.
Was dachte ich da nur? Meine Gedanken überschlugen sich gerade förmlich. Ich war komplett durcheinander, völlig durch den Wind. Erst die Stimme von Lia holte mich zurück in das Hier und Jetzt. Sie sagte nämlich: „Darüber weiß ich nichts. Ehrlich gesagt denke ich aber, weil Tizian der Älteste von euch und euren Schwestern ist und die übernehmen normalerweise die Firma der Eltern“.
„Meinst du? Da wäre ich mir nicht so sicher, denn ich glaube mich daran zu erinnern, dass mir Tiziano bereits als Kind einige Instrumente seiner Firma gelehrt hat. Nur leider kann ich mich daran nicht mehr erinnern, es waren auch nur ein paar Wochen. Auf einmal hatte er nämlich damit aufgehört und den Grund kenne ich nicht“, erwiderte ich.

 

Zwischen Giulia und mir war eine beklemmende Stille eingekehrt, bis es mich traf wie ein Blitz. Hörbar schnappte ich nach Luft, als mir jene Situation wieder einfiel. „Warte … Ich bin mir nicht sicher, ob das nur eine Einbildung ist, aber nicht nur mein Vater hat mit mir über die Firma geredet, sondern auch mit Tizian“, eröffnete ich ihr.
Obwohl es mir gerade so schlecht ging, musste ich weiter grübeln. Scheinbar hatte ich Erfolg damit, denn mir fiel noch mehr ein: „Na klar! Ian hat unseren Vater geradezu angebettelt, ihm doch das Familienunternehmen zu überlassen und nicht mir. Er argumentierte damit dass er älter sei und somit mehr wisse als ich. Da war ich ungefähr fünf, Ian war gerade zwölf geworden“.
Giulia sagte dazu nichts, anscheinend wollte sie zuerst einmal meine Worte verarbeiten und darüber nachdenken. Nach einiger Zeit sagte sie: „Da stellt sich mir die Frage, warum ein Zwölfjähriger, der eigentlich viel lieber mit seinen Freunden in der Natur spielt, so interessiert an Dinge ist, die eher etwas für Erwachsene sind“.
Das stimmte zwar, doch trotzdem wusste ich darauf eine Antwort. Zumindest erschien diese mir gar nicht so abwegig. „Nun ja, mein großer Bruder war schon immer etwas eigen. Er hat lieber gelernt, als draußen zu spielen. Ich habe mir so oft gewünscht, dass er mit mir in die frische Luft geht, aber alles Versuche scheiterten kläglich. Irgendwann hat er sich sogar kaum mehr innerhalb der Villa blicken lassen“, schwelgte ich weiter in Erinnerung.
Die vergangenen Zeiten schmerzten noch immer ungemein. Umso mehr ich darüber nachdachte, desto mehr trafen sie mich. „Wieso wurde ich komplett mich selbst überlassen? Ich habe doch genau gesehen, dass Ian sehr wohl mitbekommen hat, wie einsam ich war“, stammelte ich in meiner emotionalen Unruhe und dabei störte es mich nicht im Geringsten, dass ausgerechnet Giulia mir Gehört schenkte.
Im Gegenteil. Vermutlich war sie die einzige Person, mit der ich über die noch immer klaffenden Wunden meiner Vergangenheit reden konnte. Diese sah mich mitleidig an und ich konnte sehr gut erkennen, dass sie mit mir litt.
Noch nie in meinem Leben war ich einem so empathischen Menschen wie ihr begegnet. Dazu kam noch, dass ich sie teilweise wie Dreck behandelte. Trotz allem hielt sie mich hier in ihren Armen und wich mir nicht von der Seite. Nein, sie schenkte mir Gehör, was unheimlich gut tat. Aus einen mir unergründlichen Grund konnte ich mir auch sicher sein, dass sie darüber nicht mit Tizian sprach, obwohl ausgerechnet er ihr bester Freund war.
„Er hat dich auf keinen Fall allein gelassen, um dir zu schaden“, hörte ich Giulia plötzlich sagen und musste mich somit wieder auf unser Gespräch konzentrieren. Nach kurzem Überlegen fiel mir auch wieder ein, um was es ging. Leicht verächtlich entgegnete ich: „Dann soll er mir verdammt noch mal endlich sagen, wieso er all das tat!“.
Das war doch eine wirklich gute Frage. Und da es schließlich auch um mich ging hatte ich alles Recht der Welt, um endlich Klarheit über das zu bekommen, was so prägsam für mich gewesen war. „Wie wäre es, wenn du ihn darauf ansprichst?“, wollte Lia behutsam wissen, was mir einen Stich versetzte.
Konnte und wollte ich? Oder traute ich mich am Ende nicht? „Ich weiß nicht so recht. Bestimmt wird er mich erst gar nicht zu Wort kommen lassen. Außerdem habe ich Krystal sehr wehgetan wie du weißt“, legte ich meine Skepsis offen dar. „Du kannst es nur probieren, mehr nicht. Du hast doch nichts zu verlieren, oder?“, versuchte mich die Brünette zu ermutigen, woraufhin ich meinte: „Ich überlege es mir, in Ordnung?“.
Giulia zeigte mir den Daumen, der nach oben zeigte und signalisierte mir so, dass es völlig in Ordnung war, wenn ich mir erst einmal Zeit nahm. Dieser Schritt war auch kein einfacher, sondern musste wohlüberlegt sein. Dafür würde ich mir zu einem anderen Augenblick Zeit nehmen.

 

Nein, denn es gab noch Einiges zu besprechen. „Ich bin nichts weiter als einsamer und gebrochener Mann, eine Art Mr. Broken Heart“, gab ich langsam vor der Frau zu, die mir nach wie vor nicht von der Seite wich, sondern für mich da war. „Auch an dir ging die Vergangenheit nicht spurlos vorbei“, stellte sie richtig fest.
„Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber es stimmt. Vielleicht bin ich auch deswegen so ein Arschloch geworden, weil ich niemandem hatte, der mir zeigte, dass es schön sein kann, Menschen zu haben, mit denen man etwas unternehmen kann oder einfach nur jemanden bei sich zu haben“, war ich offen wie nie zuvor gegenüber einer Person.
Giulia blinzelte abermals Tränen aus ihren Augen. Ob sie wusste, wie niedlich das war? Vermutlich wollte sie wie ich einfach nur stark sein, denn sie sagte: „Niemand hat es verdient nicht zu erfahren, wie es ist, Freunde zu haben“. „Ich habe es vorgezogen, nur für mich zu leben, was mit den Menschen um mich herum war, hat mich nicht interessiert“, erwiderte ich äußerst verbittert.
Wieder hatte ich einen Moment der Erkenntnis, nämlich die, das mein Leben eine komplette Lüge war. In meiner puren Verzweiflung, sprach ich es sogar laut aus und fügte hinzu: „Ich habe mir nur selbst etwas vorgemacht, einer Illusion hingegeben, von wegen es wäre das Dasein, welches ich tristen möchte“.
Zum etlichen Mal kamen mir die Tränen. In all den Jahren hatte sich so viel in meinem Inneren angestaut, was ich unbedingt herauslassen wollte. Wenn nicht jetzt, wann denn dann? Und ehrlich gesagt, musste ich Giulia dankbar sein, dass sie auf mich eingeredet hatte, bis ich schließlich unter der ganzen Last zusammengebrochen war.
Mich umgab nämlich ein Gefühl der Erleichterung. Als ob von meinen Schultern so viel Ballast abgefallen wäre, dass ich mir schon fast so sorgenfrei wie ein kleines Kind vorkam. Aber eben nur fast. Es gab noch Einiges, was ich aussprechen und bereinigen musste. Doch dazu würde ich später kommen.
Erst einmal galt es meiner Vergangenheit auf den Grund zu gehen. Warum die Dinge nur so schief gelaufen waren, dass sie aus mir ein Monster gemacht hatten. Mein Blick fiel auf Giulia, die noch immer bei mir war. Wie sollte ich ihr dafür je danken? Das wusste ich noch nicht und würde ich vermutlich auch nie herausfinden.
Während meines Aufenthalts in der Türkei hatte ich einen folgenschweren Entschluss gefasst. Am Besten wäre es, ich würde der Brünetten nichts davon erzählen. An ihre Reaktion wollte ich gar nicht denken und doch machte ich mir darüber einen Kopf. Würde sie es gut aufnehmen? Oder würde sie mich dafür hassen?
Ich hatte schon mit den Vorbereitungen begonnen, denn was sie nicht wusste, war die Tatsache, dass ich nach meiner Rückkehr in Deutschland bereits in meiner Villa gewesen war. Justin war so freundlich gewesen und hatte mir Rückendeckung gegeben. Er war es auch gewesen, der mich dazu bewogen hatte, genau hier zu sein.
Natürlich hätte ich Giulia auch irgendwann von mir aus aufgesucht. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Ehrlich gesagt hatte ich mir nämlich selbst überlegt, sie sofort zu besuchen. Nur wäre ich dafür zu feige gewesen. Da war ich mir sicher!

 

Im nächstem Moment konzentrierte ich mich wieder auf das Hier und Jetzt. Es gab nämlich noch eine weitere Sache, die mich nicht in Ruhe ließ. Da ich nicht wusste, wie ich damit begonnen sollte, sagte ich einfach: „Eigentlich finde ich gar nicht, dass sie aussieht wie eine Vogelscheuche. Im Gegenteil, seit sie älter geworden ist, ist sie schöner geworden. Sehr viel schöner und das obwohl sie schon vor vier Jahren hübsch war“.
Giulia erstarrte. Ob sie wohl wusste, von wem ich sprach? Ganz bestimmt, denn es gab nur eine Person, die ich so derartig beleidigt hatte. „Wie … wie kommst du denn auf einmal auf Krystal?“, fragte die Brünette stammelnd. „Weil mir nun klar geworden ist, was ich ihr damals angetan habe. Ich habe diesem armen Mädchen nicht nur das Herz gebrochen, sondern es zermahlt, geradezu in Stücke gerissen“, antwortete ich langsam.
Meine Gesprächspartnerin bedachte mich mit einem intensiven Blick. Versuchte sie etwas erneut etwas aus meinen Augen herauszulesen? „Dieses Mal sehe ich vor mir nicht den unnahbaren Herzensbrecher, nein. Ich sehe in dir nun einen sanftmütigen und verletzlichen jungen Mann, der seine Fehler bereut“, bestätigte mir Giulia mitleidig meinen Verdacht, was mich unendlich traurig machte.
Sie sollte wegen mir nicht so schauen. Nein, sie sollte wie sonst ein kleiner Sonnenschein sein, der die Menschen mit seinem Licht so sehr blendete dass man Angst hatte, seine Sehfähigkeit zu verlieren. Ich musste aufhören mit meinen Gedanken so sehr abzudriften! Diese Frau analysierte mich gerade bis in die Zehenspitzen und ich wollte mich nicht von ihrem Blick so sehr einfangen lassen, dass ich nicht mehr klar denken konnte.
Ich suchte rasch eine Ablenkung, in dem ich meinte: „Irgendwann bekommt jeder das, was er verdient. Nicht Krystal ist einsam, sondern ich. Verdammt einsam und gebrochen. Ich bin sehr froh, dass sie an so einem Kerl wie meinem Bruder geraten ist. Er tut ihr gut, das sehe ich ihr immer wieder an und immer wieder beneide ich ihn“.
Erneut erntete ich einen schockierten Blick von Giulia, den ich nicht zu deuten wusste. „Was ist los? Wieso siehst du mich so erschüttert an?“, fragte ich daher vorsichtig nach und fürchtete mich instinktiv vor ihren Antworten. Sie haderte mit sich, das sah ich ihr nur zu gut an. Ihr traten wieder Tränen in die Augen, die sie tapfer weg blinzelte. Dann atmete sie tief durch und hauchte: „Mich beschleicht das Gefühl, ob du nicht vielleicht doch etwas für sie empfindest“.
Dieses Mal war ich es, dessen Kinnlade nach unten sackte und Pupillen sich weiteten. „Ich und auf … Krystal stehen? Oh nein, das ist es nicht!“, beschwichtigte ich sie sofort energisch und besinnte mich. Dann meinte ich: „Sie ist zwar hübsch, aber nicht mein Typ. Wie soll ich sagen... Sie scheint nach wie vor noch sehr in sich gekehrt zu sein und außerdem ist sie doch mit Tizian verheiratet, genau! Ich würde mich niemals zwischen den beiden drängen!“.
Giulia beäugte mich skeptisch. Innerlich betete ich dafür, dass sie mir ihren Glauben schenkte. Zu meiner Erleichterung erwiderte sie nur: „Also ich kann dir sagen, dass sie sich ganz schön verändert hat. Vor einem halben Jahr war sie noch wirklich kratzbürstig und scheu, aber Tizian tut ihr gut, das hast du schon richtig erkannt. Seit sie mit ihm zusammen ist, kommt sie immer mehr aus sich heraus und du ahnst ja nicht, wie toll sie sich um Alessandro kümmert“.
Ein Lächeln zierte meine Lippen, doch im nächsten Moment erstarb es. „Alessandro? Heißt das, ich bin Onkel geworden?“, wollte ich ungläubig, aber auf einer mir unbekannten Art und Weise überaus fasziniert wissen. Giulia nahm meine Hand in ihre. Dann war sie es, die selig lächelte. Schließlich bejahte sie mir meine Frage, in dem sie antwortete: „Ja, seit letzten Monat schon. Ein richtiger Traum von Kind! Ich sage es dir, der Kleine ist so goldig und pflegeleicht, dem hat es nicht mal gestört als ich, eine ihm unbekannte Person, auf dem Arm hatte“.
Wahnsinn! Ich freute mich riesig über diese Neuigkeit, war aber auch sichtlich geknickt. Ehe Giulia mich darauf ansprechen konnte, flüsterte ich: „Schade, dass ich ihn wohl niemals berühren werde. Dabei würde es mich brennend interessieren, wie er aussieht und wie er sich entwickelt“. „Rede doch mit den beiden. Mehr als scheitern kannst du doch eh nicht und du hast auch nichts zu verlieren, nur etwas zu gewinnen“, riet sie mir.
Wieder waren wir bei diesem heiklen Thema angekommen. Auf der einen Seite stimmte es, was sie sagte, aber auf der anderen Seite war da wieder meine panische Angst vor einer Zurückweisung. Würden sie mich überhaupt zu Wort kommen lassen oder mich sofort hochkantig von ihrem Grundstück verbannen?
Als ob Giulia meine Gedanken lesen konnte, verstärkte sie den Druck auf meiner Hand. „Wenn du willst und es dich stärkt, komme ich mit und vermittle zwischen euch“, bot sie mir sogar an, was mich schier sprachlos machte. Woher nahm diese Frau eigentlich diese immense Energie? Ich sah ihr doch an, dass es ihr ebenfalls nicht sehr gut ging und doch war sie so selbstlos und wollte mir helfen, eines meiner größte Probleme zu lösen.

 

Zusammen war man stärker – Genau das hatte sie mir gezeigt. Wenn man nicht mehr alleine gegen seine Dämonen kämpfte ging es einem schon viel besser. Dank Giulia fühlte ich mich nämlich nicht mehr so einsam wie all die Jahre zuvor. Aus diesem Grund heraus, nahm ich ganz sachte ihre Hand und gab ihr einen Kuss, den ich versuchte mit so viel Anmut zu versehen, dass sie mehr als nur spürte wie leid mir all das tat, was ich in meinem bisherigen Leben so getan hatte.
„Ich danke dir“, flüsterte ich dabei und sah ihr genau in die Augen. Ich nahm jede Bewegung von ihr unter die Lupe, beobachtete ihre Reaktion bis in das kleinste Detail. Giulia hielt den Atem an und starrte dabei immer wieder von ihrer Hand zu meinem Gesicht, als ob sie nicht wusste wie ihr geschah.
Um ehrlich zu sein fand ich das ziemlich süß. Nur leider verflog dieser Moment viel zu schnell für meinen Geschmack. Sie besinnte sich nämlich, in dem sie sich mit ihren Händen nervös durch das Haar fuhr, was ich zwar auch nicht schlecht fand, doch nahm sie ihren Blick von mir. „Nicht dafür. Es ist doch klar, dass ich dich in deiner dunkelsten Zeit nicht alleine lasse“, wich sie mir nach wie vor nicht von der Seite und lehnte sich an meine Schulter.
In diesem Augenblick fühlte ich mich ihr so nahe wie nie zuvor. Da gab es nichts und niemand, das zwischen uns stand. Wir waren das Einzige, was zählte. Zudem musste ich ihr zustimmen. Ich befand mich gerade in der schwierigsten Zeit meines Lebens. Für mich zählte nun, mich dem Erlebten zu stellen und nicht – wie all die Jahre zuvor – feige davor wegzulaufen.
Mit dieser Powerfrau an meiner Seite würde ich es schaffen, da war ich mir sicher. „Ich sehe das aber nicht als selbstverständlich an“, entfuhr es mir, womit ich unser Gespräch wieder aufgriff. „Das ist schön“, freute sie sich hörbar darüber und kuschelte sich noch mehr an mich. Ob sie wohl wusste, was sie damit in mir auslöste?
Es gab einige Dinge, von der sie noch keinerlei Ahnung hatte und ich war mir auch nicht sicher, ob ich ihr diese unbedingt offenbaren wollte. Wenn ich mir über eine Sache sicher war, dann war es die, dass es kein gutes Ende nehmen würde. Und das wollte ich Giulia nicht antun. Es gab also für sie und mich nur eine Möglichkeit diesem Desaster zu entfliehen, in dem wir uns seit einiger Zeit befanden.
Zuvor musste ich aber mit Tizian und Krystal sprechen. Nur dann konnte ich meinen Plan mit einem guten Gewissen in die Tat umsetzen. Außerdem mussten die beiden mir noch eine Sache versprechen. Sie mussten mir nicht verzeihen, aber ich war mir sicher, dass sie mir jenen Wunsch nicht verwehren würden.
Immerhin ging es dabei um Giulia, der besten Freundin meines Bruders. Ein Wunder, dass ich sie vorher nie wahrgenommen hatte. Wie denn auch, wenn man mir in meiner Kindheit und Jugend kaum Beachtung geschenkt hatte? Immer wieder war es nur um Ian gegangen, der erstgeborene Sohn unseres Vaters.
Ich musste aufhören an die Dinge zu denken, die mich kaputt machten. Sonst würde ich daran noch zugrunde gehen. Daher widmete ich mich lieber wieder Giulia, die scheinbar selbst ihren eigenen Gedanken hinterher hing. Als ich nämlich einen Arm um sie legte, zuckte sie heftig zusammen. Zu heftig für meinen Geschmack. Viel zu heftig. Was hatte ich nur wieder falsch gemacht?

Star

Jakob's Sicht!
„Alles in Ordnung?“, fragte ich vorsichtig nach, woraufhin Giulia mir antwortete: „Ja... Es ist alles gut soweit“. Irgendwie konnte ich ihr nicht so sehr ganz glauben. Mir kam es eher so vor, als ob sie gezögert hätte. „Bist du dir sicher?“, wollte ich daher wissen, hielt sie dabei nach wie vor fest in meinem Arm.
Ertappt blickte sie mich an. Ich hätte das ganz süß gefunden, doch die Tränen, die sich in ihren Augen stahlen, sprachen Bände. Sie war mit etwas beschäftigt, was wohl nicht ohne war. „Ich danke dir für dein Vertrauen, was du in mich bringst“, sagte sie stattdessen, was mich sichtlich verwirrte.
Ehe ich sie darauf ansprechen konnte, fuhr sie auch schon stammelnd fort: „Daher möchte ich dir auch von meiner Seite aus Vertrauen entgegenbringen“. Sofort hob ich abwehrend die Hände. „Stopp. Mich interessiert es zwar, was du mir sagen möchtest, aber ich möchte nicht, dass du es mir nur sagst, weil ich mit dir über meine Vergangenheit gesprochen habe“.
Sie lächelte schwach und schüttelte die Kopf. Dann erwiderte sie: „Du Idiot, natürlich weiß ich das, nur … schleppe ich dieses Geheimnis schon seit zehn Jahren mit mir herum und habe es bisher nicht geschafft mich einem Außenstehenden anzuvertrauen“. Mein Herzschlag setzte einen Moment aus.
Sie wollte es mir wirklich sagen? Wollte über das sprechen, was sich in ihr verbarg, was ich ihr von Anfang an prophezeit hatte? Damit musste ich erst einmal klarkommen, nur ließ sie das nicht zu. „Fabrizia ist bisher die einzige Person, die davon weiß“, fing sie schließlich an und als dieser Name fiel hatte ich eine böse Vorahnung.
Sag bloß dieses Miststück hatte Giulia etwas Schreckliches angetan? Wenn dem so war, dann hatte sie definitiv nichts mehr zu lachen! Mittlerweile hatten sich meine Augen zu Schlitzen verengt. „Ich höre“, sagte ich daher auch schon eiskalt. Daraufhin bedachte mich Lia mit einem erschrockenen Blick.
Mit geballten Fäusten spie ich schließlich: „Egal was sie mit dir gemacht hat, sie wird ihre gerechte Strafe bekommen!“. „Wer?“ , fragte Giulia ahnungslos nach. „Na Fabrizia“, schoss es sofort aus mir heraus. Mit gerunzelter Stirn sah die Brünette mich nun an . „Sie hat nichts getan, im Gegenteil, sie hat mich eher gerettet“, teilte sie mir mit.
Und ich dachte schon, dass diese Luxusfrau meiner Lia etwas getan hätte! Nur fragte ich mich jetzt, was dann passiert war. Giulia fing auch schon an: „Es war eine klare und vor allem warme Nacht im Frühling. Kurz bevor Fabrizia wie jeden Sommer Urlaub in Italien gemacht hatte. Sie war dreizehn und ich sechzehn. Wir beide standen am Anfang unserer Modelkarriere und feierten in einer Disco unser erfolgreiches Fotoshooting“.
„Du bist schon seit zehn Jahren Model? Respekt, dass du nach wie vor so gut mithalten kannst“, zollte ich ihr meinen ehrlichen Respekt. Man merkte richtig, dass sie das nicht erst seit Kurzem machte. Wenn ich an die Bilder von unserem gemeinsamen Shooting dachte, da merkte man richtig, was für eine Routine sie hatte.
Jene Frau lächelte sichtlich stolz, wurde aber im nächsten Moment ernst. „Wir feierten ausgelassen und okay, hatten vielleicht den ein oder anderen Drink zu viel, aber wir waren nur angetrunken! In dem Alter musste man schließlich noch nicht betrunken sein“, fuhr sie fort, woraufhin ich innerlich kichern musste. Mit fünfzehn war ich schon voll dabei gewesen, was Partys anging.
Im Nachhinein wusste ich allerdings nicht mehr, ob ich stolz darauf sein sollte oder nicht. Immerhin war die Kindheit und jugendliche Leichtigkeit nur begrenzt, vielleicht hätte ich doch andere Dinge im Kopf haben sollen als so was. Dafür war es leider zu spät. Als Erwachsener hatte ich nun zu funktionieren.
Giulia erzählte weiter, was mich wieder aufmerksam werden ließ. „Wir tanzten mit vielen Leuten, in der Disco waren schließlich nicht nur Menschen von unserer Agentur, sondern auch normale Bürger. Nur leider war ich so naiv gewesen und habe nicht auf mein Glas geachtet...“, gab sie stammelnd zu und ich konnte sehen, wie sie immer mehr kreidebleich im Gesicht wurde.
Die Tränen, die ihr die ganze Zeit über in den Augen gestanden waren, liefen ihr nun wie ein kleiner Wasserfall über das Gesicht. „Hey...“, sagte ich erschrocken, aber versuchte dabei auch tröstend zu klingen und umarmte sie mit beiden Armen. „Ich bin bei dir“, schwor ich ihr und drückte sie doll an mich.
Schluchzend meinte Giulia: „Mir wurden K. O. - Tropfen ins Glas gegeben! Und ehe ich merkte, dass etwas nicht stimmte, war ich auch schon mit diesem Kerl draußen“. Mir schwante Übles. Ich war mir nicht sicher, ob ich das Ende der Geschichte hören wollte und doch bat ich sie nicht darum, mit der Erzählung aufzuhören.
Vielleicht war ich einfach nur zu neugierig. „Er … Er zerrte mich in ein Gebüsch und ich bat ihn weinend mich doch gehen zu lassen und diesen Vorfall als eine Art Aussetzer beruhen zu lassen, doch er hörte nicht auf mich!“, stammelte die Frau völlig neben der Spur und ich musste den Drang, mich auf der Stelle zu übergeben, mit aller Macht unterdrücken.
Sie hatte es zwar noch nicht ausgesprochen, doch nun war es mir klar und das Einzige, was ich fühlte war pure Scham. Oh ja, ich schämte mich gerade sehr ein Mann zu sein! Wie konnte man das einer Frau nur antun?
„Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was genau er machte, doch er hatte es irgendwie geschafft mich ruhig zu stellen und schließlich vergewaltigte er mich so wie er es wollte. Immer wieder schlug er mir dabei ins Gesicht oder geilte sich an meiner Angst und Panik auf“, offenbarte sie mir ihr erschütterndes Geheimnis, was auch mir Tränen in die Augen trieb.
Dafür fand ich auf Anhieb keine Worte. Ich drückte sie nur noch mehr an mich und hoffte, dass sie das nicht falsch verstand. Zum Glück wusste sie, dass sie bei mir sicher war. Sie schmiegte sich nämlich an mich, was mich ungemein erleichterte. Also sah sie mich nicht als Feind an, sondern eher als Zuhörer.
„Weißt du weshalb ich nicht um Hilfe schrie?“, fragte sie nach einer Weile in die Stille hinein. „Nein, wieso?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage, woraufhin sie sagte: „Weil ich einfach nur wollte, dass es vorbei ist und er mich in Ruhe lässt. Ich war froh, als er endlich von mir abließ“. „Entschuldige, aber ich finde wirklich keine Worte, für das, was man dir Grausames angetan hat. Und ich schäme mich gerade dafür, ein Mann zu sein“, gab ich peinlich berührt zu und wäre am Liebsten im Boden versunken.
Freudlos lachte Giulia unter ihren Tränen ehe sie meinte: „Das kann ich dir nicht verübeln und du brauchst dich nicht für so einen Mistkerl entschuldigen“. „Tue ich aber, weil ich es überaus grausam finde, einer Frau so etwas anzutun“, beharrte ich auf meine Worte. „Danke“, sagte Giulia und gab mir etliche Küsse auf mein Gesicht.

 

Sie wollte gar nicht mehr damit aufhören, bis ich sie schließlich bremste. In ihrer Verzweiflung sah sie mich mit ihren großen braunen Augen an. Dann fragte sie beinahe tonlos: „Hast du nun Angst mich zu berühren, weil ich beschmutzt bin?“. Mit geweiteten Pupillen starrte ich sie an. Weshalb dachte sie so schlimm?
Das verstand ich überhaupt nicht, konnte es ihr aber auch nicht übel nehmen. Immerhin war ihr etwas Schreckliches widerfahren. Daher antwortete ich: „Nein, ich habe keine Berührungsängste. Zumindest nicht so wie du denkst. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich berühren darf, nachdem ich weiß, was dir angetan wurde. Verstehst du? Ich muss das auch verarbeiten, immerhin...-“ mitten im Satz brach ich ab.
Um ein Haar hätte ich ich verplappert! Konzentriere dich, Jake, ermahnte ich mich im Gedanken. Giulia sah das anders. Natürlich wollte sie wissen, was ich hatte sagen wollen. Auch wenn ich ab sofort zu ihr ehrlich sein wollte, log ich sie abermals an. „Immerhin wollte ich dich ins Bett bekommen“, entfuhr es mir unüberlegt.
Scheiße! Das war der unpassendste Zeitpunkt, um sie so derartig anzubaggern! So clever wie ich war wusste ich mir aber zu helfen. „Hätte ich gewusst, was dir in jungen Jahren passiert ist, hätte ich das doch nicht getan“, redete ich mich um Kopf und Kragen und hoffte, dass sie nicht allzu allergisch reagieren würde.
Glücklicherweise schien sie meine Ausrede zu schlucken, denn sie lächelte mich gütig an. Dann meinte sie: „Schon in Ordnung. Du hast selbst erkannt, dass du es nicht wusstest und da kann ich dir auch keinen Vorwurf machen“. Dieses Mal war ich es, der lächelte. „Ich wäre dir auch sehr verbunden, wenn du mit niemandem darüber sprichst. Fabrizia und ich bewahren Stillschweigen darüber“, informierte mich Giulia.
„Selbstverständlich“, ließ ich sie ohne zu Zögern wissen, dass ich in der Tat mit niemandem über ihr Geheimnis sprechen würde. Warum auch? Es ging mich eigentlich überhaupt nichts an. Zudem wollte ich ihr Vertrauen nicht missbrauchen. Zumindest nicht was das anging. Schließlich war ich kein Unmensch.
In diesem Moment wurde mir auch klar, wie sich die Frauen wohl fühlen mussten, denen ich das Herz gebrochen hatte. Ob sie sich auch missbraucht vorkamen? Bestimmt. Immerhin hatte ich ihnen die große Liebe versprochen und sie dann eiskalt fallengelassen. Ich hatte ganz schön Vieles zu bereinigen.
Vermutlich würde ich es nie schaffen, mich bei allen Frauen zu entschuldigen, aber ich hatte mein schwarzes Notizbuch, in dem die Namen sowie die Nummer meiner Eroberungen standen. Und zu guter Letzt schließlich die Note, mit der ich sie bewertet hatte. Dafür schämte ich mich gerade in Grund und Boden.
Hoffentlich würden sie mir Gehör schenken, womit ich aber nicht rechnete. Im Gegenteil, sie würde mich eher anschreien und beschimpfen als mir verzeihen. Trotzdem nahm ich mir fest vor sie um genau das zu bitten. Ich wollte das nicht nur tun, um mein schlechtes Gewissen zu bereinigen, nein, sondern, weil ich nun wusste, wie sie sich fühlen mussten.
Niemand der Frauen konnte etwas für meine abgefuckte Vergangenheit und trotzdem hatte ich sie benutzt, um mein Ego zu puschen. Was für ein Idiot ich doch gewesen war! Ich wünschte mir, dass ich Giulia schon früher kennengelernt hätte, denn dann hätte ich vielleicht schon viel früher herausgefunden, wie töricht ich doch gewesen war.

 

Genau auf diese konzentrierte ich mich wieder. Sie weinte nach wie vor bittere Tränen, woraufhin auch ich erneut von einer Flut heimgesucht wurde. „Hey... Es ist alles gut. Ich lebe noch und das ist doch das Wichtigste“, versuchte ausgerechnet sie mich zu trösten, obwohl es doch eigentlich an mir lag, ihr beizustehen.
Leider war ich gerade nicht in der Lage dazu. „Ich … ich kann einfach nicht verstehen, wie man einer Frau so etwas Grausames antun kann“, gab ich Rotz und Wasser weinend von mir und wischte mir mit den Armen die Tränen aus dem Gesicht, was mir auch nichts brachte, da es sofort wieder nass war.
Giulia erwiderte schluchzend: „Man kann es doch sowieso nicht mehr ändern und ich muss einfach weiterhin nach vorne blicken“. „Du ahnst nicht, wie sehr ich dich für deine Stärke bewundere“, zollte ich ihr meinen vollsten Respekt, woraufhin sie meinte: „Wieso das denn?“. War das ihr Ernst? Diese Frau hatte wirklich keine Ahnung!
Fassungslos antwortete ich: „Man hat dir schier deine Würde genommen, aber du schaffst es trotzdem noch, wie ein Stern die Welt mit deinem strahlenden Lächeln für dich einzunehmen. Sieh mich an, mir hat meine Vergangenheit so sehr übel mitgespielt, dass ich es verzog meine Trauer in Wut zu zeigen und sie schließlich an anderen auszulassen“.
Lächelnd unter ihren Tränen erwiderte sie: „Vermutlich warst du nie bei einem Psychologen“. Oh, wie ich sie einfach nur beobachten würde! Selbst jetzt sah ihr Lächeln so hinreißend aus, dass ich am Liebsten kein Wort mehr sagen wollte. Ich besinnte mich aber und meinte wieder sachlich: „Das stimmt. Und na ja, also ich würde lieber nur mit dir über das reden, was mich so bewegt, weil …“. „Weil?“, fragte Lia interessiert. „Weil du die einzige Person bist, der ich auch nur etwas vertraue“, beendete ich meinen Satz mit einer so überraschenden Leichtigkeit, dass ich nach Luft rang.
Auch Giulia sah mich ungläubig an. „Möchtest du das wirklich?“, wollte sie vorsichtig wissen, woraufhin ich mir nur noch mehr sicher war und sie bekräftigend annickte. „Es ist mir eine Ehre“, sagte sie lächelnd. „Danke“, hauchte ich nur vollkommen begeistert und wusste nicht, wie mir geschah.
In diesem Moment kam mir mein Leben ausnahmsweise mal unkompliziert vor. Da waren nur Giulia und ich. Kein Tiziano oder kein Kerl, der ihr an die Wäsche wollte. Nein, ich würde sie beschützen und wenn es das letzte war, was ich tat. Natürlich wusste ich auch, dass sie alleine zurecht kam, aber trotzdem wollte ich sie im Auge behalten.
Das würde zwar schon bald nicht mehr gehen, doch hatte sie Justin und ich war mir sicher, dass er mir diesen Gefallen tun würde. Ebenso wie Tizian und Krystal. Im Gegensatz zu mir war Giulia nicht alleine. Sie hatte Menschen, die sich rührend um sie kümmerten und sie ganz bestimmt nicht im Stich lassen würden.
„Da sitzen wir nun“, riss mich auch schon ihre Stimme aus meinen Gedanken. „Ähm, ja“, brachte ich nur mühevoll hervor. Wie würde es nun weitergehen? Was ist, wenn sie nun wollte, dass ich ging? „Ich möchte nicht alleine sein, zumindest nicht für diesen Tag“, offenbarte ich ihr und dachte an morgen.
Ich hatte es fast geschafft. Schon bald würde ein neues Leben für mich beginnen. Nur wusste ich noch immer nicht, wie ich es Lia erzählen sollte. Schließlich war ich nicht blind. Mir entgingen ihre Blicke nicht, die sie mir zuwarf. Und auch jetzt konnte ich in ihren haselnussbraunen Augen lesen, dass sie nicht wollte, dass ich ging.
Wenn ich so genauer darüber nachdachte, war es ein beschissener Zeitpunkt für jenen Entschluss. Trotz allem wollte und konnte ich diesen nicht verschieben oder gar verwerfen. Es war das Beste für sie und mich. Vor allem für sie. Ich war mir aber sicher, dass Giulia darüber hinwegkommen würde. Sie musste es schaffen.

 

„Keine Sorge, ich lasse dich nicht alleine“, hörte ich sie sagen und spürte wie sie sich noch enger an mich schmiegte. „Ich lasse dich auch nicht alleine“, erwiderte ich und legte vorsichtig einen Arm um sie. Beide atmeten wir hörbar erleichtert ein und aus. Es war Einiges gesagt worden, was niemand so schnell vergessen konnte.
Ich hätte nie gedacht, dass die Dinge so ihren Lauf nehmen würden, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Nein, ich war mir sicher gewesen, dass ich die Frau in meiner Sammlung aufnehmen würde. Vorher war das nicht anders gewesen. Man musste auch dazu sagen, dass die Frauen, mit denen ich Sex gehabt hatte, nichts dagegen gehabt hatten, von mir verführt zu werden.
Im Gegenteil, sie wollten doch nur die Aufmerksamkeit eines reichen Mannes, der zudem jung war und gut aussah. Ich hatte ihnen das gegeben, was sie wollten und … ihnen das Herz gebrochen. Ein kalter Schauer rann mir über den Rücken, als ich an all die geschockten und mit Tränen bedeckten Gesichter dachte.
Was war ich doch nur für ein Arschloch gewesen! Und ich war mir sicher, dass ich es noch immer war. Nur weil mich jene Erkenntnis heimgesucht hatte, hieß das noch lange nicht, dass ich mich von heute auf morgen ändern konnte.
Außerdem wusste ich nicht, was ich wollte. Auf der einen Seite sehnte ich mich nach einer Veränderung, aber auf anderen hatte ich Angst. Angst davor ein neues Leben zu beginnen oder besser gesagt endlich zu leben. Zuvor wollte ich nur Rache nehmen. Rache an all das Leid, welches mich einfach nicht los ließ.
Gedankenverloren ertappte ich mich dabei, wie meine rechte Hand immer und immer wieder vorsichtig durch das Haar von Giulia fuhr und ich ihr mit meiner anderen Hand sanft über den Arm strich. Sie schien sich sehr wohl zu fühlen, denn sie atmete ruhig ein und aus. Zudem war ihre Haltung lockerer geworden.
Als ich mich etwas zur Seite sowie nach vorn beugte, um in ihr Gesicht zu blicken, erkannte ich, dass sie eingeschlafen war. Erleichterung überkam mich, da sie zur Ruhe gekommen war und mir wirklich vertraute und das obwohl ich alles andere als vertrauenswürdig war. Ich schätzte mich glücklich, dass sie es trotzdem tat.
Ein schwermütiges Seufzen entfuhr mir. Warum war alles nur so verdammt kompliziert? Warum hatten die Dinge so ihren Lauf genommen? Ich war mir verdammt sicher, dass ich glücklicher wäre, wenn alles anders verlaufen wäre. Leider Gottes hatte ich als Kind und Jugendlicher kaum einen Einfluss darauf gehabt.
Vielleicht hätte ich einfach nur darauf aufpassen müssen, nicht so sehr zu verbittern. Nur wer achtete darauf schon als Jugendlicher? Da hatte man andere Probleme. Außerdem lebte ich für die Gegenwart und nicht für die Zukunft. Nur verstand ich erst jetzt, dass aus der Gegenwart die Zukunft entsprang.
Nein, ich musste einiges an mir ändern. Viele sprachen nur davon, aber blieben letztendlich bei ihrer Träumerei. Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum – diese Erinnerung kam schmerzlich zurück. Ich schwor mir, genau das zu tun. Und wenn es das Letzte war, was ich tat., eines Tages würde es so sein.
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Erst recht, als ich abermals Giulia ansah. Sie war eine Schönheit aus dem Bilderbuch. Wie Dornröschen im Tiefschlaf. Unser letztes Gespräch schoss mir durch den Kopf. Wie ein Gewitter prallte es auf mich herunter und ich musste mich anstrengen, nicht aus der Fassung zu geraten.
Zu schade, dass ich niemals das Schwein, was sie vergewaltigt hatte, zu Gesicht bekam. Im Nachhinein war das vielleicht besser so, denn ich wollte nicht mein restliches Leben im Gefängnis verbringen. Da hatte ich dann doch anderes im Sinn. Ich wollte etwas aus mir machen und ein ganz normaler junger Mann werden. Oder so in der Art.

 

Genug nachgedacht, schoss es mir durch den Kopf, Zeit endlich mal etwas zu essen. Vorsichtig wollte ich den Arm von Giulia auf die Decke legen, doch als sie sich regte, ließ ich sie los. Ich startete einen zweiten Versuch, was die Frau aber auch mitbekommen zu schien. Ob unbewusst oder nicht, ob im Halbschlaf oder nicht, ihr Arm legte sich noch enger um mich, was es mir unmöglich machte aufzustehen.
Irgendwie war sie auch ganz süß, wie sie da lag und mich nicht gehen lassen wollte. „Bitte gehe nicht“, hörte ich sie verschlafen flüstern und erkannte, wie sie mich mit halboffenen Augen ansah. „In Ordnung, schlafe jetzt ruhig weiter“, erwiderte ich ohne zu zögern und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht von Lia aus und sie bedankte sich mit einem Murmeln. „Gerne“, formten meine Lippen tonlos und ich sah, wie sie die Augen schloss und weiter schlief. Im nächsten Moment ärgerte ich mich etwas, dass ich sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Scheinbar nahm sie mir das aber nicht übel, was mich dann doch meinen Ärger vergessen ließ.
Ich wusste nur nicht, was ich nun tun konnte. Mein ganzer Körper kribbelte, jeder Muskel in mir wollte sich bewegen und sei es nur zum Aufstehen. Erneut sah ich zu Giulia, die wieder ganz das ruhige Kind von vor ein paar Minuten war. Ihr Mund war leicht geöffnet, was eine unheimliche Wirkung auf mich hatte.
Gott, wie sexy ich das fand! Am Liebsten würde ich sie küssen. Oder sie an der Wange streicheln. Oder am Kopf. Oder oder oder. Was machte diese Frau nur mit mir? Manchmal gab es Momente, in denen ich mich selber nicht mehr erkannte und das obwohl ich die einzige Person war, die mich in und auswendig kannte.
Durch Giulia machte ich eine enorme Veränderung durch. Daran hatte ich keine Zweifel mehr. Nur fragte ich mich, wohin das führte. An meinem Entschluss änderte das nichts mehr. Es war einfach besser und ich war mir sicher, dass sie es irgendwann verstehen würde. Zuvor musste ich es ihr sagen, denn das war ich ihr schuldig. Vielleicht erkannte sie sich auch selbst wieder. Nur würde sie - anders als ich - wohl nie vor ihren Problemen weglaufen.
So viele Eindrücke erfassten mich gerade. Von Schmerz über Erleichterung bis Ungläubigkeit und Faszination. Die Faszination galt ausschließlich Giulia. Schon früh hatte sie einige negative Aspekte des Lebens kennenlernen müssen. Und trotzdem hatte sie ihr Leben selbst in die Hand genommen und weiter gemacht.
Aus ihr war nicht nur ein wunderschönes Model geworden, sondern ein herzensguter Mensch. Dabei hatte sie triftige Gründe, alles und jeden zu hassen. Auch sich selbst. Sie tat es jedoch nicht. Im Gegenteil, sie war jemand, zu dem man aufsehen konnte und der einem mit Rat und Tat zur Seite stand.
Diese Frau war nicht von dieser Welt, sondern von einem anderen Stern. Wenn ich so genauer darüber nachdachte, war sie selbst einer. Ein Stern, welcher am Ende des Horizonts Licht versprach. Mein kleiner Stern.

Bittersweet

Mit schmerzendem Nacken wachte ich auf. Als ich meinen Kopf hob merkte ich, dass der Schmerz sogar bis in den Schultern ging. Na super, warum war ich auch eingeschlafen? Mich beschäftigte jedoch noch mehr die Frage, wie lange ich geschlafen hatte. Mit einem Blick auf meinem Fenster stellte ich fest, dass es so spät noch nicht sein konnte, da die Sonne noch schien.
Und war Jakob nicht bei mir gewesen? Dieser rührte sich wie auf Kommando. „Guten Morgen, auch schon wach?“, begrüßte er mich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ein Lachen meinerseits ließ ihn etwas verwirrt werden. „Das könnte ich dich fragen, Struwwelpeter“, zog ich ihn damit auf, dass ihm seine Haare zu Berge standen, was ihm super stand.
„Dann wird es Zeit, dass ich zu mir gehe und mich dusche“, überging er meine spitze Bemerkung, konnte sich ein Lächeln aber nicht verkneifen. „Nimmst du mich mit zu dir?“, fragte ich wieder ernst, was ihn mich überrascht anstarren ließ. „Nicht unter die Dusche natürlich. Ich dachte mir nur, dass du und ich na ja, auch den Abend zusammen verbringen könnten. Vielleicht läuft ein guter Film? Außerdem möchte ich nicht alleine sein“, beschwichtigte ich ihn sofort, was er mit einem Strahlen zur Kenntnis nahm.
Von dem Drama, was sich zuvor in meinem Zimmer abgespielt hatte, wollte ich erst einmal nichts wissen. Kein Wunder also, dass ich fragte: „Möchtest du auch einen Kaffee?“. „Ja, sehr gerne“, antwortete mir Jake und wir gingen sofort in die Küche.
Dort erwartete uns schon Justin. Als er Jakob und mich mit zerzaustem Haar sah, fielen ihm seine Augen fast aus dem Gesicht. „Du warst super“, meinte Jake zu mir, woraufhin ich ihm einen Klaps auf dem Hinterkopf gab. Dann sagte ich an Jus gewandt: „Ich war wohl eher super im Schlafen und keine Sorge, da lief nichts“.
Nach meinen Worten brachen die Männer in schallendes Gelächter aus. Ich stimmte mit ein und zu dritt lachten wir so lange, bis uns der Bauch weh tat. „Da bin ich beruhigt, wobei ihr ja schon ein hübsches Paar wärt“, warf Justin in den Raum, woraufhin sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Mit zittrigen Gliedern schluckte ich diesen herunter.
Mein Blick glitt zu Jakob, dem es nicht anders zu gehen schien. Er war nämlich kreidebleich geworden und starrte Justin mit geweiteten Pupillen an. „Beruhigt euch, ihr seid nun mal schön anzusehen. Dafür kann ich auch nichts“, versuchte er sich herauszureden. Da ich nicht wusste, was ich auf seine Aussage erwidern konnte, ließ ich ihn gewähren.
Lieber kümmerte ich mich um den Kaffee, den ich Jake zuvor angeboten hatte. „Gut, dass du da bist. Ich gehe noch mit zu Jakob, also wundere dich nicht, wenn ich morgen früh nicht da bin“, erzählte ich meinem Mitbewohner, der mich vielsagend angrinste. Mit einem Kopfschütteln signalisierte ich ihm, dass ich gewiss nicht vorhatte, mit seinem Cousin zu schlafen.
Warum dachte das jeder? Mann und Frau konnten doch einfach zusammen einen Film ansehen, ohne dass mehr passierte oder nicht? Wie auf Kommando war der Kaffee fertig, wofür ich ziemlich dankbar war. Ich zog es gerade nämlich irgendwie in Betracht, wirklich mit Jakob Sex zu haben! Was war ich froh, dass ich frisch geduscht und rasiert war! Somit war ich also bestens vorbereitet und auch bei der Unterwäsche hatte ich einen Volltreffer gelandet.
Als ich merkte, in welche Richtung meine Gedanken abgedriftet waren, schüttelte ich den Kopf und kümmerte mich um meine dampfende Tasse. Ehrlich mal, was war nur in mich gefahren? Jakob war noch immer derjenige, der mich am laufenden Band verletzte. Ich durfte nicht schwach werden, nur weil er vor mir Rotz und Wasser geweint hatte!
Nach einem Schluck von meinem Kaffee fühlte ich mich viel besser. „Es geht doch nichts über einen Wachmacher“, entfuhr es mir gut gelaunt, woraufhin die Männer lachten. „In der Tat“, stand Jake mir bei, was mir gefiel. Ja, dieses kleine Gespräch machte mir schon jetzt Spaß.

 

„Brechen wir nun auf?“, fragte mich Jakob sofort, nachdem unsere Tassen leer waren. Schmunzelnd meinte ich: „Da ist jemand ganz schön ungeduldig“. „Ich kann es einfach nur kaum erwarten zu duschen. Ich fühle mich etwas dreckig“, ließ dieser mich wissen. Justin, der bis jetzt ruhig gewesen war, sagte: „Geht nur, ich mache das alles schon sauber“.
Anscheinend wollte er uns los werden. Na gut, dachte ich mir, dann werde ich ihm diesen Gefallen tun. „Dankeschön“, bedankte ich mich brav bei meinem Mitbewohner und packte noch rasch meine Tasche. Passend zu meiner Shorts war diese nämlich weiß. Mit knalligen Farben konnte ich nichts anfangen, denn ich wollte nur meine Klamotten betonen, was mir mit meinem türkisfarbenen Oberteil super gelang.
Draußen atmete ich zuerst die frische Luft ein, die sich etwas abgekühlt hatte. Jakob lief neben mir her, die Hände lässig in den Hosentaschen gesteckt. „Ich darf doch?“, fing ich schließlich an zu reden und harkte mich bei ihm ein. Normalerweise tat ich das nicht, doch in diesem Augenblick war mir danach.
Mein Begleiter schwieg, verlangsamte aber sein Tempo, damit ich nicht hetzen musste. Daher nahm ich an, dass er nichts dagegen hatte. Mein Blick heftete sich an ihm. Seine Augen hatte er starr auf unseren Weg gesetzt, seine Atmung schien sich normalisiert zu haben. Erleichterung überkam mich, denn ich hatte schon etwas Angst, dass er nicht zur Ruhe kommen könnte.
Auf einmal sah er mich an. Abrupt blieb ich stehen. Was würde nun folgen? Würde er mir sagen, dass ich ihn nicht so anstarren sollte? Oder doch lieber, dass ich auf ihn stand? Manchmal war er wirklich unberechenbar. Eigentlich immer. Schließlich lag ich mit meinen Vermutungen völlig falsch.
Vorsichtig fragte er: „Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir … na ja, spazieren gehen würden?“. Mit so einer Frage hatte ich überhaupt nicht gerechnet! Er überraschte mich gerade mal wieder sehr. Genau das hatte ich gemeint. Ich konnte seine Mimik und Gestik nicht deuten. Vermutlich war das von ihm gewollt.
Für mich hatte es den Anschein, dass er für andere unnahbar sein wollte. Und ich musste zugeben, dass es ihm mit Bravour gelang. Kein anderer Mensch in meinem Bekanntenkreis verstand es so gut wie er, sich nicht in die Karten blicken zu lassen. „Wolltest du nicht duschen gehen?“, druckste ich herum, da ich merkte, dass ich ihm eine Antwort schuldete, aber zu sehr in meinen Gedanken gefangen war.
Ein Lächeln zierte die Lippen von Jakob, ehe er sagte: „Ja, das stimmt. Nur finde ich es gerade viel schöner in der Natur zu sein und es wäre nichts dabei, einen kleinen Umweg zu machen oder findest du etwa doch?“. „Ach was, mir ging es nur um dich, weil du dich unwohl fühltest und schnell duschen wolltest“, winkte ich lässig ab.
Daraufhin wurde sein Blick ernst. In seinen Augen verschwand jeglicher Schalk von eben. „Mit dir an meiner Seite fühle ich mich immer wohl“, hauchte er, was mein Herz höher schlagen ließ. Zumal der ernste Gesichtsausdruck einem warmen gewichen war.
Nach seinen Worten wusste ich mir nicht anders zu helfen und umarmte ihn einfach. Manchmal bedarf es einfach keinen Laut, um zu wissen, was der andere von einem dachte. Genau das wollte ich ihm mit dieser Geste vermitteln. Trotzdem flüstere ich an seinem Nacken: „Das freut mich zu hören“.
Somit begaben wir uns in die Richtung, die zum Park führte. Ich liebte diesen Ort, denn er würde mich auf ewig daran erinnern, dass ich Jakob das erste Mal begegnet war. Wie auch immer das zwischen ihm und mir ausgehen mochte, diese Erinnerung würde mir erhalten bleiben.

 

Nach etwa fünfzehn Minuten erreichten wir den Marktplatz, der sich vor dem Park befand. Es herrschte reger Verkehr zwischen Menschen. Manche unterhielten sich, andere sahen sich um und überlegten, was sie sich kaufen könnten. All das blendete ich aus. Ich genoss lieber die Zeit mit Jake, der sich umsah.
Anscheinend suchte er etwas, doch dann meinte er: „Was hälst du davon, ein Eis essen zu gehen?“. Mir kam jener Traum in den Sinn, in dem ich Suizid begangen hatte, nachdem er mir eingeredet hatte, dass mich niemand brauchen würde. Dieses Mal würde es anders werden. Ich würde ihm nichts von meinen Gefühlen erzählen.
„Liebend gerne“, ging ich daher auf sein Angebot ein. Beide setzten wir uns schließlich an einem schattigen Platz. Es grenzte schon an ein Wunder, dass draußen noch Plätze frei waren. Bei der Hitze war immer etwas los.
Weder Jakob nahm die Eiskarte in die Hand noch ich. Auch eine Kellnerin ließ nicht lange auf sich warten, die uns beide etwas erstaunt ansah. Ja, vor ihr waren zwei bedeutende Persönlichkeiten. Zum einem Jakob Di Izmir, ein draufgängerischer Zeitgenosse, der sich als Model versuchte und ich, Giulia De Lorenzi, die sich schon als solches bezeichnen konnte.
„Einen Erdbeereisbecher und einen After-Eight-Eisbecher“, bestellte der Blonde für uns beide. Als die blondhaarige Frau, die er übrigens kaum angesehen hatte, gegangen war, meinte ich: „Woher hast du gewusst, was ich haben wollte?“. „Wenn man sich für jemanden Zeit nimmt und diese Person kennenlernen möchte, dann merkt man sich eben solche Dinge“, gab er mir eine überaus charmante Auskunft darüber.
Zu diesem Zeitpunkt war mir die wahre Bedeutung seiner Worte allerdings nicht bewusst. Es gab so Vieles, was ich über ihn nicht wusste. Erst später sollte ich alles erfahren. Und das war wirklich eine große Überraschung.

 

Nach etwa zehn Minuten kam unsere Bestellung an. Ja, die Eisbecher sahen wirklich schmackhaft aus! Wir wurden auch nicht enttäuscht, das Eis schmeckte köstlich. Wie mir Jakob mit einem Schmunzeln zeigte, hatte die Kellnerin ihm ihre Nummer aufgeschrieben. Ich war mir sicher, dass er sie anrufen würde, doch er legte die Serviette nur neben seinem Eisbecher auf den Tisch und fing an sich darüber herzumachen.
Ich tat es ihm gleich, denn sonst wäre von der kunstvoll zusammengestellten Süßspeise nichts mehr übrig als ein geschmolzener Berg. Weitere zwanzig Minuten verstrichen, ehe wir fertig waren. Jene Bedienung, die auf Jake ein Auge geworfen hatte, kassierte uns ab. „Ich bezahle“, sagte der Blonde, als sie uns fragte, wer die Rechnung übernahm.
Das konnte und wollte ich nicht so stehen lassen. „Wir zahlen getrennt“, schaltete ich mich ein, woraufhin mich zwei Augenpaare verwundert ansahen. „Ich gehöre bestimmt nicht zu der Sorte Frau, die alles dem Mann bezahlen lässt“, ließ ich die beiden wissen. Jakob erwiderte jedoch: „Ich habe dich aber eingeladen und bei unseren Trip im Monaco hast du auch nichts dagegen gehabt, dass ich alles bezahlt habe“.
So nicht, Freundchen. „Das mag sein, aber das lag daran, weil du mich als Entschuldigung dorthin gebracht und alles geplant hast. Denke mal daran, als du mir das Leben gerettet hast, da habe ich dich auch zum Essen eingeladen als Dank“, hielt ich spielend dagegen, was meiner Begleitung nicht gefiel.
Auch die Blondine wusste nicht wie ihr geschah. Ihr Gesichtsausdruck hatte eine Reihe von Facetten angehen. Zuerst schien sie erstaunt darüber zu sein, dass ich einen Teil zur Bezahlung beitragen wollte. Dann konnte ich Eifersucht in ihren Augen lesen, als ich den Trip und das Essen erwähnte.
Jakob atmete tief ein und aus, ehe er meinte: „Auf Dauer komme ich einfach nicht gegen dich an. Also gut, dann lassen wir das so machen, wie du möchtest. Aber komme ja nicht auf die Idee, mir Geld zu geben, weil du bei mir übernachtest und ich dich versorge“. „Aye aye, Kapitän“, lenkte ich mit einem Grinsen ein, welches er erwiderte.
Wir zahlten also getrennt, doch dann warf die Kellnerin einen Blick auf die Serviette. Vermutlich wollte sie wissen, ob Jakob sich bei ihr melden würde oder nicht. Er jedoch bat um einen Stift und schrieb etwas auf die Serviette. Während sie las, was er geschrieben hatte, verdunkelte sich ihr Blick. Vermutlich hatte er ihr irgendetwas Gemeines mitgeteilt, denn sie beachtete uns gar nicht mehr und rauschte ab.
Mit einem verschmitztem Lächeln sah er ihr hinterher, während ich die Serviette in die Hand nahm oder besser gesagt es versuchte. Blitzschnell hatte er sie mir weggenommen und meinte: „Ich glaube das ist nicht für dich bestimmt“. „Wieso das denn? Ihr Blick hat mich verdammt neugierig auf das, was da steht, gemacht“, entgegnete ich.
Meine Hoffnung, so zu erfahren, was es damit auf sich hatte wurde zerstört. Er zerknüllte nämlich das Tuch und steckte es in seine Hosentasche. „Okay, dann nicht“, gab ich mich geschlagen, was ihn zufriedenstellte.

 

Gut gelaunt begaben wir uns auf dem Weg zu ihm. Die Sonne war mittlerweile schon fast ganz untergegangen. „Was wollen wir eigentlich dann machen?“, wollte Jakob auf einmal wissen. „Gute Frage. Ich könnte auf jeden Fall etwas essen“, war ich mir selbst nicht ganz sicher, wie der Abend weitergehen sollte.
Der Blonde stimmte mir mit einem Nicken zu. Dann sagte er: „Ich könnte auch einen starken Drink gebrauchen. Der Tag war ziemlich … anstrengend“. „Ja, das stimmt“, ging ich darauf ein und somit war es beschlossen, dass wir bei ihm essen und trinken würden.
Nach einer halben Stunde kamen wir in seiner Villa an. Sofort begaben wir uns in seine Küche. „Hast du eine Vorstellung, was du essen möchtest?“, wollte Jakob von mir wissen. Das war eine gute Frage. Auf Anhieb fiel mir nichts ein und so antwortete ich: „Überrasche mich. Ich esse alles. In der Hinsicht bin ich pflegeleicht“.
Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, brach er auch schon in Gelächter aus. Mit einem Lächeln beobachtete ich ihn dabei. Ja, so gefiel er mir schon viel besser! „Alles klar. Hättest du etwas dagegen, wenn ich Pizza bestelle? Ich muss zugeben, dass ich nicht wirklich Lust habe, etwas zu kochen“, meinte er, als er sich gefangen hatte, war aber gleichzeitig etwas peinlich berührt.
Wieder lag es an mir die Stimmung zu halten. „Na gut, du faule Socke. Ich nehme eine mit Salami und du?“, zog ich ihn mit seiner Antriebslosigkeit auf. „Pass mal auf, wenn ich dir zeige, wie faul ich wirklich bin“, drohte er mir, was mich zum Lachen brachte. Kichernd erwiderte ich: „Na gut, dann gebe ich mal lieber auf“.
Zufrieden nahm er schließlich sein Telefon und rief bei einer Pizzeria an. Wie ich erfuhr, bestellte er für sich nur einen Salat. Dabei dachte ich immer, dass Männer mehr Hunger hatten als Frauen. Oder ihm ging es doch nicht so gut, wie er vorgab. Darauf würde ich ihn aber nicht ansprechen, nachher würde das nur wieder in einem Desaster enden.
Jetzt aber mussten wir erst einmal auf unsere Bestellung warten. Wir schlugen die Zeit damit tot, um uns darüber einig zu werden, was wir noch an diesem Abend machen wollten. Leider fiel uns beiden nichts Gutes ein, bis Jake schließlich vorschlug, einen Film zu gucken. Bei dem Gedanken daran reagierte mein gesamter Körper.
Man wusste ja, was es hieß, einen DVD – Abend zu machen. „Das ist aber kein Versuch, um mich ins Bett zu bekommen?“, fragte ich daher lieber noch mal nach. Die Pupillen von Jakob weiteten sich. Im nächsten Moment umgab ihm ein geheimnisvolles Lächeln, ehe er antwortete: „Diese Entscheidung überlasse ich dir“.
Das waren ja ganz neue Töne von ihm. Also hatte er wohl doch vor mit mir zu schlafen, wartete aber darauf, dass ich den ersten Schritt machte. Darauf konnte er lange warten, nämlich so lange, bis er alt und grau wurde. „Du spielst gerne mit den Feuer, was?“, entfuhr es mir, woraufhin Jakob erwiderte: „Das könnte ich dir zurück geben. Wir werden ja sehen, was passiert“.
Danach lieferten wir uns ein überaus heißes Blickduell. Mir war so, als ob er mich mit seinem Blick verbrennen wollte. Was er konnte, konnte ich aber schon lange. Mit einem koketten Lächeln nahm ich eine Haarsträhne in die Hand und spielte mit dieser. Natürlich blieben seine Augen letztendlich an meinem Mund kleben.
Dieser Punkt ging eindeutig an mich. Ich hätte ewig so weiter machen können, doch leider musste es in diesem Moment an der Tür klingeln. Das holte Jakob aus seiner Starre. Lasziv leckte er sich über die Lippen, ehe er meinte: „Ich glaube, unsere Vorspeise ist so eben eingetroffen“. Dann drehte er sich um ohne meine Reaktion abzuwarten. Vermutlich wusste er ohnehin schon, dass er mich damit hatte.
Kaum ein Mann verstand mehr es eine Frau um den Finger zu wickeln als er. Dieser Schuft und doch machte es ihn unheimlich sexy. So leicht würde ich aber bestimmt nicht aufgeben. Da konnte ich froh sein, dass er mit meiner Pizza wieder da war. „Endlich, ich habe so einen Kohldampf!“, freute ich mich sichtlich über seine Rückkehr.
Sein Blick dagegen hatte sich etwas verdunkelt. Bevor ich ihn nach den Grund fragen konnte, sagte er: „Guten Appetit, mir ist er soeben vergangen. Sehe ich irgendwie bisexuell oder sogar homosexuell aus?“. „Nicht dein Ernst?“, prustete ich auch schon los. „Oh doch, der Kerl hat mir wirklich seine Nummer zugesteckt“, zischte er etwas beleidigt, doch für mich gab es kein Halten mehr. Mit Lachtränen stammelte ich: „Oh schade, dass ich nicht dabei gewesen war! Wenn du willst, kann ich dich vor Bedrohungen beschützen“.
Auf einmal kam mir Jakob bedrohlich nahe. Ich dagegen machte mich immer kleiner auf dem Stuhl, auf dem ich sah. Mit angehaltenem Atem sah ich zu ihm auf. „Fürs Erste würde es mir genügen, wenn du mein Hauptgericht und Dessert wärst“, hauchte er mir ins Ohr, was mir eine ungeheure Gänsehaut bescherte.
Er konnte es einfach nicht lassen und dummerweise zog das auch noch bei mir. Noch blöder war es aber, dass er es voll mitbekam. Tröstend tätschelte er mir den Kopf und lachte. Dann sagte er: „Lass es dir schmecken. Ich gehe duschen, irgendwie komme ich mir gerade noch dreckiger als vorher vor“. „Dann mal viel Spaß beim Duschen oder soll ich dafür sorgen, dass du wieder sauber bist?“, drehte ich den Spieß um.
Mitten in der Bewegung hielt Jake inne. Sein Gesicht tauchte neben meinem auf. Kaum hörbar flüsterte er: „Wenn du wüsstest, was du da gerade eben gesagt hast“. „Hau schon ab“, mimte ich die Ahnungslose und lachte. Einige Sekunden blickte er mich noch gebannt an, ehe er sich schließlich von mir entfernte. Kurz vor der Tür zog er sich allerdings sein T-Shirt aus und grinste mich dreist an, was mich schlucken ließ.

 

Lange sah ich zu der Stelle, an der er verschwunden war. Soeben hatte ich ihn das erste Mal mit nacktem Oberkörper gesehen. Zumindest erinnerte ich mich nicht es je zuvor getan zu haben. Vielleicht waren meine Gedanken auch einfach nur so durcheinander, dass es mir partout nicht einfallen wollte.
Glücklicherweise fing ich mich, als ich den Duft der Pizza, die vor mir lag, wahrnahm. Das war meine Rettung! Rasch machte ich mich über mein Essen her und wurde nicht enttäuscht. Sie schmeckte göttlich! Ja, da machte die Aufnahme von Nahrung wieder Spaß. Zufrieden aß ich Stück um Stück und war über mein Tempo überrascht.
Keine fünfzehn Minuten später war von der Pizza nichts mehr übrig. Ich dagegen war satt und seufzte zufrieden. Im nächsten Moment überlegte ich jedoch, wie ich mich nützlich machen konnte und da fiel mir ein, dass Jakob und ich Cocktails mixen wollten.
Vorsichtig begab ich mich zu der Minibar, die sich ebenfalls in der Küche befand. Immer wieder staunte ich über die reichliche Auswahl, die ich vorfand. Mir fiel aber auch wieder ein, dass der Blonde mir einst gesagt hatte, dass er öfters Alkohol trank. Das hieß ich zwar nicht für gut, aber ich erkannte schon mal einen Vorteil.
„Wie ich sehe, machst du dich schon über die Getränke her“, hörte ich Jake auch schon sagen und ehe ich mich umdrehte, stand er auch schon dicht vor mir. Erneut wurden meine Sinne benebelt. „Wie ich diese bittersüße Kombination liebe“, kommentiere ich seufzend seinen Geruch nach Limette und Schokolade.
Der Mann zog mich in eine tiefe Umarmung. Einige Sekunden verharrten wir in der Position, ehe er flüsterte: „Dasselbe kann ich nur zurückgeben. Wann immer ich Erdbeeren rieche oder sehe, muss ich an dich denken“. Ich genoss diese unglaubliche Nähe gerade ungemein. Seine Worte erfüllten mich ebenfalls mit vollster Zufriedenheit.
Leider entfernte er sich aber von mir, was mich dann doch etwas schmollen ließ. Kaum hatte er das gesehen, nahm er mein Gesicht in beide seiner Hände. Etwas unschlüssig fuhr sein einer Daumen über meine Lippen, während ich ihn gebannt ansah. „Sieh mich nie wieder so an“, hauchte er, woraufhin ich erwiderte: „Und was ist, wenn doch?“.
Die Pupillen von ihm weiteten sich daraufhin. Er schien mit sich zu kämpfen, doch dann fing er sich und meinte: „Dann kann ich nicht mehr garantieren, dass ich die Kontrolle über mich behalte“. „Vielleicht möchte ich ja auch, dass du sie verlierst“, reizte ich ihn weiter. Sein Blick verdunkelte sich wie vorhin, bevor es an der Tür geklingelt hatte.
Ergeben seufzte er, bis er sagte: „Du machst mich fertig. Da warne ich dich schon mal und du hast nichts Besseres zu tun, als mich weiter herauszufordern“. „Nun ja, ich mag es gerade meine Reize voll und ganz auszuspielen“, gab ich unter einem dreisten Grinsen zu.
Dieses Mal vermied es Jakob, dagegen zu halten. Lieber legte er seine Lippen auf meine. Endlich! Ich dachte schon, er wollte es gar nicht mehr tun! Sofort gewährte ich ihm Einlass. Ihm kam es erst gar nicht in den Sinn, sich langsam an mich heranzutasten, im Gegenteil, seine Zunge war überaus fordernd, was mir etliche Seufzer entlockte.
Vorsichtig dirigierte er mich auf die andere Seite, und ehe ich mich versah, setzte er mich auf die Arbeitsplatte. Sofort zog er mich so nah wie es ging zu sich. Danach flogen seine Hände über meinen Rücken, wohingegen ich meine in seinen satten Haarschopf krallte. Je länger wir so wild knutschten, desto schwächer wurde mein Widerstand mit ihm zu schlafen.
Erst recht, als er mich am Nacken kraulte und über meinen Hals strich. Himmel, woher um alles in der Welt wusste er, dass ich dort ganz besonders erregbar war? Erogene Zone hin oder her. Ich stöhnte in unserem nächsten Kuss hinein, woraufhin Jakob sich nach vorne beugte und mich schließlich auf die Platte legte.
Kurz überkam mich ein kalter Schauer, da diese schon ziemlich kalt war, doch ich beruhigte mich ebenso schnell wieder. Ein Lächeln huschte über das Gesicht von Jake, ehe er mich ein letztes Mal küsste.

 

„Wieso hörst du auf?“, wollte ich maulend wissen. Unschuldig wie eh und je antwortete er mir: „Ach weißt du, wir sind hier doch nicht zum Rummachen, sondern weil wir uns Getränke machen wollten. Schon vergessen?“. „Du bist unfair!“, keifte ich leicht aufgebracht, was ihn zum Lachen brachte.
Schmunzelnd erwiderte er: „Und du noch schärfer, wenn dein Temperament mit dir durchgeht“. „Passe ja auf, dass du dich nicht daran verbrennst“, warnte ich ihn etwas ruhiger, was ihn ein triumphales Lächeln entlockte. Zuletzt ließ Jakob mich wissen, dass er das schon längst getan hätte, wobei mir auch hier wieder die Bedeutung nicht bewusst war.
Mit wackeligen Beinen gesellte ich mich schließlich zu ihm. Er stand vor den Getränken und war sich wohl unschlüssig, worauf ich Lust hatte. „Mir gefällt der Long Island Ice Tea“, warf ich in den Raum. „Dir ist aber schon klar, dass der ziemlich stark ist?“, wollte Jakob überrascht wissen und schien nicht glauben zu wollen, dass ich genau diesen Cocktail trinken wollte. Kichernd antwortete ich: „Natürlich, aber auch ich könnte einen starken Drink gebrauchen“.
Somit gingen wir meinem Wunsch nach und hatten kurze Zeit später eine beachtliche Menge gemacht, damit wir nicht immer neu anfangen mussten. Außerdem war es keine gute Idee, zu viel Verschiedenes zu trinken. Gut ausgerüstet begaben wir uns in das Wohnzimmer, in dem wir eine DVD ansehen wollten.
Da es bereits dunkel geworden war, schaltete Jake gedämpftes Licht ein und wie ich mit einem Anflug von Faszination feststellte, wurden die Schränke durch buntes LED-Licht in Szene gesetzt. Das sah vielleicht toll aus! Sanft wechselte es in den unterschiedlichsten Farben. Damit nicht genug, der Blonde zündete sogar Kerzen an.
Ich erinnerte mich an meinen letzten Aufenthalt hier und hoffte, dass dieser nicht mit Tränen endete. Nein, ich war mir sicher, dass es nicht so sein würde! Warum auch immer. „Danke“, hauchte ich begeistert von seinen Bemühungen. „Gern gesehen. Welchen Film möchtest du denn sehen?“, überließ er mir sogar die Entscheidung über die Auswahl der DVD.
Danach zeigte er mir seine beachtliche Sammlung. Ich schätzte, dass es um die zweihundert Titel waren. Da konnte er schon fast seine eigene Videothek eröffnen! Zum Glück hatte ich meine Wahl schnell getroffen. Es handelte sich um Romeo Must Die, ein Actionfilm, in dem es darum ging, dass sich zwei Banden bekämpften. Natürlich durfte Romantik auch nicht fehlen. Ein junger Mann tritt in das Geschehen ein und möchte den Tod seines Bruder aufklären. Dabei trifft er auf ein Mädchen, welches ebenfalls ihren Bruder verloren hatte. Wie es die Zeit so will verliebten sie sich unsterblich ineinander. Der Film endete damit, dass sie zusammen kamen und Antworten auf ihre Fragen bekamen.
„Der war schön“, sagte ich verträumt und trank von meinem vierten Cocktail. Jakob stimmte mir sogar zu. Wie ich aber bemerkte, interessierte er sich eher für die tollen Kampfszenen, die es wirklich in sich gehabt hatten. Da kam vermutlich sein Interesse für Japan zum Vorschein. Mir erging es da aber kaum anders.

 

Die Zeit verging, schon bald war es nach Mitternacht. Jakob und ich sprachen über belanglose Dinge. Ab und zu glitt unser Blick zum Fernseher. Mittlerweile sahen wir nämlich Prison Break an. Die Serie war auch nicht von schlechten Eltern. In dieser ging es nämlich um einen überdurchschnittlich intelligenten Mann, der seinen Bruder aus dem Gefängnis holen wollte, da dieser nämlich scheinbar unschuldig zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt wurde.
Mich rührte die Thematik sehr, denn da konnte man sehen, wie stark Liebe sein konnte. „Schade, dass ich keine Geschwister habe. Mich würde es brennend interessieren, ob sie für mich dasselbe tun würden“, entfuhr es mir nachdenklich lallend. Ja, die vielen Long Island Ice Tea machten sich bemerkbar, mehr als das, ich war vollkommen betrunken.
Jakob überlegte kurz, dann sagte er: „Ich bin zwar nicht dein Bruder, worüber ich auch sehr froh bin, aber ich würde es für dich tun“. Seine Worte stimmten mich auf der einen Seite traurig, aber auch fröhlich. Traurig, weil er nicht mein Bruder sein wollte, fröhlich, weil ich wusste, dass er nicht dabei log, dass er für mich ins Gefängnis gehen würde.
Trotzdem lehnte ich mich an ihn, woraufhin er seine Arme um mich legte. „Genau deswegen bin ich so gerne bei dir“, nuschelte ich. „Was meinst du?“, hakte er ahnungslos nach. „Das bist einfach du. Mal bist du unnahbar, aber dann wieder so … Na, dass ich mit dir über solche Dinge reden kann. Mir fällt gerade nicht das richtige Wort ein“, stammelte ich und hoffte, dass er mich nicht falsch verstand.
Dem war wohl nicht so, denn er lächelte nur über mich und sah mir in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick und mir war so, als ob die Zeit um uns herum still stand. Umso länger wir uns anstarrten, umso mehr wollte ich ihn. Scheiß auf meine Vorsätze, ich hatte auch Bedürfnisse, die ich nun stillen wollte.
Ruckartig stand ich auf, um fast hinzufallen, da mir der ganze Alkohol durch den Körper schoss. Sofort hielt Jakob mich fest. „Was wird das?“, fragte er schmunzelnd, aber auch etwas besorgt. Während ich mich auf seinen Schoß setzte, antwortete ich: „Ich werde mir endlich das holen, nach dem ich mich die ganze Zeit so verzerrt habe“.
Der Blonde bekam ganz große Augen, da ich somit zugegeben hatte, schon länger mit ihm schlafen zu wollen. Die Tatsache ignorierte ich, nachher würde sie mich nur verunsichern. Lieber küsste ich ihn und war froh, dass er meinen Kuss erwiderte. Ich schlang die Arme um ihn und wollte die Distanz zwischen uns ganz auslöschen.
Heute würde die Nacht der Nächte sein, da war ich mir sicher. Genau das wollte ich Jakob zeigen und legte mich auf ihn. Er sollte ruhig sehen, dass auch mal Frauen die Zügel in die Hand nehmen konnten. „Du bist so heiß“, brachte er unter unseren Küssen hervor und rang um Atem. Die Zeit gab ich ihm allerdings nicht.
Nein, ich lief zu Hochtouren auf, was ihm irgendwann langte. Blitzschnell nahm er meine Hände und schob mich von sich weg. Ich hatte schon Angst, dass er mich zurück weisen wollte, doch er drehte den Spieß um und drückte mich in sein Sofa. „Du willst also spielen? Da muss ich dich enttäuschen, denn ich bestimme, wo es langgeht“, hauchte er in mein Ohr.
Eine wohlige Gänsehaut umgab mich. Ich wand mich unter ihm, weil ich wollte, dass es endlich passierte. Nur ließ er mich leider zappeln. Jakob fing an, Küsse auf meinem Hals zu verteilen, was mir ein Stöhnen nach dem anderen entlockte. Er roch an mir und sog meinen Duft ein. „Du riechst fantastisch“, flüsterte er und saugte sich an meinem Hals fest.

 

Meine Geduld verschwand immer mehr. „Lasse mich nicht länger warten, bitte … bitte ficke mir das Gehirn raus“, bettelte ich in seiner anfangs vulgären Sprache und hoffte, dass er so verstand, dass ich ihn wollte. Er ließ von mir ab und sah mich an. Dann grinste er mich an und entgegnete: „Du sollst nicht so ungeduldig sein. Ich habe viel mit dir vor und das werde ich mir nicht nehmen lassen“.
Darauf wusste ich nichts zu sagen. Auf irgendeiner Weise vertraute ich ihm. Wenn er schon das bekam, was er schon so lange wollte, dann hatte er auch das Recht, es so zu gestalten, wie es ihm passte. Daher gab ich ihm mit einem Nicken meine Zustimmung. „Danke“, hauchte Jake stolz und strich mir über die Seiten.
Ich zog ihn zu mir heran und schlang meine langen Beine um ihn. Mein Herz drohte aufgrund der ganzen Reizungen, die mich Jakob aussetze, zu zerspringen. Alles in mir schrie nach Erlösung, dass er mich endlich auszog. Das kam ihm im Moment aber noch nicht in den Sinn. Er legte seine Stirn an meine und beobachtete jede Bewegung meiner Augen.
Diese sahen ihn fordernd an. „Also gut, es reicht“, sagte er bestimmt und ließ mich los. Dann erhob er sich von seinem Platz und blies die Kerzen aus. Ich stand ebenfalls auf, musste mich aber an der Lehne des Sofas abstützen, da ich verdammt besoffen war. „Komm mit, ich möchte nicht, dass du dich verletzt“, mimte er den Besorgten und trug mich auf seinen starken Armen.
Kichernd erwiderte ich: „Du brauchst nicht so tun, als ob es dir um mich geht. Ich möchte doch auch, dass du mich vernaschst“. Nach meinen Worten gluckste ich laut auf und küsste ihn erneut. „Schön zu hören“, stammelte Jakob zwischen unseren Küssen und trug mich vorsichtig in sein Schlafzimmer.
Angekommen legte er mich auf sein großes Bett ab. Dann stürzte er sich abermals auf mich und bearbeite erneut meinen Hals. Ich empfand seine Spielerei als Folter. Als eine bittersüße Folter. Oh ja! Sonst war er doch auch nicht so langsam beim Vorspiel, oder? Ach verdammt, ich hatte gar keine Ahnung von seinem genaueren Sexualverhalten. So nahm diese Nacht ihren Lauf, in der ich mich so sehr fallen ließ wie nie zuvor.

Goodbyes

Mit pochenden Schmerzen im Kopf wachte ich auf. Wie ich bemerkte war ich nicht alleine. Ich erinnerte mich an das letzte Mal, an dem ich nicht alleine war. Nur war ich – wie zuletzt - nicht bei mir. Wo war ich dann? Mir kam dieses große Zimmer wirklich suspekt vor. Außerdem war mir verdammt schlecht.
Als ich mich drehte, unterdrückte ich einen Schrei. Ich war wirklich nicht alleine! Und die Arme, die sich um mich geschlungen hatten, fühlten sich verdammt nah und stark an. Mein Blick glitt zu mir und ich erkannte, dass ich mein türkisfarbenes Oberteil nicht mehr trug. Nicht einmal meinen roten Spitzen-BH konnte ich ausmachen!
Da konnte ich nur hoffen, dass ich wenigstens meine Shorts oder den dazugehörigen Slip trug. Nur leider konnte ich die Decke nicht soweit anheben, denn sonst würde ich vermutlich Jakob wecken. Bei dem Namen dämmerte es mir. „Scheiße, das darf doch nicht wahr sein!“, entfuhr es mir laut, weil mir klar wurde, dass ich mit ihm Sex gehabt hatte.
Sofort sprang ich aus dem Bett und war froh, dass ich meine Sachen fand. „Hey... was ist denn?“, meldete sich Jake verschlafen zu Wort. „Ich ähm... War eine schöne Nacht und ja, ich sollte dann mal gehen“, nuschelte ich wirr und wollte mir gerade meinen Slip anziehen, als sich Jakob erhob und mich ins Bett zog.
Diese Tatsache verstörte mich etwas. Noch mehr allerdings, dass auch er nackt war und somit keine Zweifel mehr bestanden, dass wir wirklich miteinander geschlafen hatten. Ich vermied es seinen Körper zu betrachten, sondern konzentrierte mich auf sein Gesicht. Er grinste mich schelmisch an. Wollte er etwa nochmal mit mir Sex haben oder dachte er, dass es von nun an zur Tagesordnung gehörte?
Er verwirrte mich immer mehr, erst recht, als er die Arme um mich schlang und mich zu sich zog. Sein Kopf lehnte er an meinen. Kuschelte er im allen Ernst mit mir? „Ähm... Jakob?“, fragte ich völlig verdattert. Dieser zog die Decke über unseren Schultern und sagte: „Hoffentlich ist dir jetzt nicht mehr kalt“. „Mir ist nicht kalt“, stellte ich ungläubig klar und fuhr auch schon fort: „Was wird das, wenn es fertig ist?“. „Ich mag noch nicht aufstehen“, flüsterte er sanft und gähnte. Anscheinend wollte er, dass ich bei ihm blieb, was ich ziemlich skurril fand.
Und doch betrachtete ich es auch als süß. „Mir ist aber schlecht“, meinte ich dennoch, was auch der Wahrheit entsprach. „Ich bin gleich wieder da, bitte warte hier“, sagte er und stand ohne zu zögern auf. Keine fünf Minuten später kam er wieder und hatte mir etwas gegen meinen Kater gebracht. So wie letztes Mal.
Dann war das wohl keine Eintagsfliege gewesen. „Danke“, lobte ich ihn und trank das Glas in einem Zug leer. Jakob zog mich wieder zu sich und erwiderte: „Kein Problem, immer wieder gerne. Ich hoffe, dass es dir bald besser geht“. Danach war es still. Lieber kuschelte ich mich an seine Brust, während er seinen Arm ausstreckte und mich so quasi dazu einlud.
Seine andere Hand ruhte auf meinen Bauch, was mich wunderte. Ich war ihm schutzlos ausgeliefert und er berührte mich nicht an meinen Brüsten oder gar an meiner Vulva? Das fand ich komisch. Oder fand er den Sex mit mir grauenvoll? Etliche Fragen schossen mir durch den Kopf, bis ich unterbrochen wurde.
Die Stimme von Jakob drang an mein Ohr. „Ich muss dir was sagen“, fing er leiste an, woraufhin ich die Luft scharf einsog. Würde er mir etwa seine Liebe gestehen? Oh, wie schön das doch wäre! Und doch wurde ich enttäuscht. „Der Abend und die Nacht mit dir waren wirklich sehr schön“, zeigte er mir seine Anerkennung.
Mein Herz versetzte mir einen gewaltigen Stich. Wäre auch zu schön gewesen. „Finde ich auch“, sagte ich daher nur kurz und knapp, bemühte mich aber, dabei normal zu klingen. Er musste nicht wissen, dass ich mich nicht mehr daran erinnerte, wie wir miteinander geschlafen hatten. So ein kleiner Absturz konnte wirklich mies sein.

 

Eine halbe Stunde verging, ehe Jakob fragte: „Was hälst du davon, wenn wir aufstehen und uns ein ausgiebiges Frühstück gönnen? Nachdem du mich gestern so verwöhnt hast, bin ich an der Reihe“. „Verwöhnt? Wie... Wie meinst du das?“, brachte ich stammelnd hervor.
Der Blonde lachte, fing sich aber und antwortete: „Mit dem Frühstück. Wobei die Nacht natürlich auch schön war“. Also fand er meine Bettqualitäten doch gut! Darüber war ich wirklich erleichtert. Lächelnd betrachtete ich sein Gesicht und erkannte nur zu gut, dass seine Mundwinkel ebenfalls nach oben zeigten.
Erleichtert stand ich auf und zog meine Sachen an. Eine Welle der Zufriedenheit überrollte mich. Endlich wurden meine intimsten Stellen wieder von etwas verdeckt. Ja, da fühlte ich mich gleich wohler! „Dann mal los“, sagte Jake und als ich mich zu ihm drehte, sah ich, dass er sich nicht angezogen hatte.
Leicht peinlich berührt meinte ich: „Ähm, möchtest du dir nichts anziehen?“. „Also letzte Nacht warst du ganz wild auf meinen Körper. Da wolltest du mich gar nicht mehr schlafen lassen“, machte er sich unverblümt über mich lustig. Die Röte schoss mir nur so ins Gesicht, doch dann bückte er sich und zog sich seine Boxershorts an.
„Besser? Oder ist das immer noch zu wenig?“, harkte Jakob nach, was mir ein Grinsen entlockte. Dann erwiderte ich: „Na immerhin hast du jetzt etwas an. Denke aber bloß nicht, dass ich nochmal mit dir schlafe“. „Das ist mir bewusst“, gluckste er eigenartig gut gelaunt herum und wir begaben uns schließlich in seine geräumige Küche.
Angekommen bestand ich sofort auf einen Kaffee, doch Jake wollte meinen Wunsch nicht Folge leisten. Wie er so schön betonte, sollte ich erst einmal Tee trinken. Das würde meinem Körper nach der Menge von Alkohol, die ich letzte Nacht zu mir genommen hatte, gut tun. Schmollend gab ich nach, aber nur weil ich es unheimlich lieb von ihm fand, dass er auf mich achtete.
Zehn Minuten später hatten wir beide eine dampfende Tasse vor uns und atmeten den Geruch von Kamille und Pfefferminze ein. Die Kombination gefiel mir auf Anhieb, doch sie war nichts im Vergleich zu Limette und Schokolade. Ein Lächeln umspielte daraufhin meine Lippen. Wie lange Jakob wohl diesen Duft bevorzugte?
Meine Gedanken wurden unterbrochen, denn Jakob fragte mich, ob es mir besser ging. Mit einem Lächeln signalisierte ich ihm, dass dem so war und bedankte mich für seine Nachfrage. „Was möchtest du zum Frühstück?“, fragte er mich. Fieberhaft überlegte ich. Ja, auf was hatte ich denn Hunger?
„Ähm, was hast du denn so da?“, druckste ich leicht verlegen rum, woraufhin der Blonde mir ein Strahlen schenkte. Himmel, war er vielleicht süß! Während er seine Schränke aufmachte, antwortete er: „Du hast allerlei Auswahl. Von Cornflakes über Müsli bis zu Toast oder ganz normale belegte Brötchen“.
Na super, das machte es mir nur noch schwerer. Jakob sah meine Unschlüssigkeit und schlug mir vor: „Wie wäre es, wenn ich dir von jedem etwas mache?“. „Wenn es dir keine Umstände macht“, ging ich darauf ein, was er mit einem Lächeln quittierte.
Sofort machte er sich ans Werk, was mir ungemein imponierte. Wenn er wollte, konnte er so ein Gentleman sein! Nur war ich mir nicht sicher, ob er sich darüber bewusst war. Am liebsten hätte ich ihm dieses Kompliment gemacht, doch ich konnte beim besten Willen nicht einschätzen, wie er darauf reagieren würde.
Meine Angst, dass er mir wieder seine eiskalte und harte Seite zeigte, war nach wie vor da. Und das auch zu Recht. Viel zu oft hatte Jakob mich verletzt und meine Gefühle dabei völlig missachtet. Trotz allem blieb mein Blick an ihm kleben. Faszination überkam mich, da er für mich total normal aussah. Als ob er und ich bereits lange ein Paar wären und er sich für mich nach wie vor ins Zeug legte.

 

„Du sollst nicht träumen, sondern essen“, holte mich seine melodische Stimme zurück in das Hier und Jetzt. Himmel, da könnte ich dahin schmelzen! Warum versuchte er sich nicht einfach als Sänger? Ich war mir sicher, dass er auch das konnte, wenn er wollte. „Alles klar, Chef“, erwiderte ich gut gelaunt und musterte seine Arbeit.
Wahnsinn, das hatte er nur für mich gemacht? Eine Welle der Rührung überkam mich und ehe ich mich versah, stand ich auf und umarmte den Blonden stürmisch. Dieser wusste nicht wie ihm geschah, ließ es aber trotzdem über sich ergehen. „Danke, das sieht wahnsinnig toll aus! Und wie ich dich einschätze, wird es auch noch köstlich schmecken“, brachte ich mühsam hervor und machte mich sofort über das Essen her.
Natürlich wurde ich nicht enttäuscht, aber das hätte mich auch gewundert. Kaum hatte ich einen Bissen von einem belegten Brötchen gemacht, wurden meine Geschmacksnerven nur so verwöhnt. „Ich könnte mich glatt daran gewöhnen, mich von dir bekochen zu lassen“, sagte ich, als ich mit meiner ersten Station fertig war.
Jakob sah mich daraufhin überaus stolz an, was mir gefiel. Er sah dabei so was von süß aus! Oh, wie sehr ich ihn doch liebte! Ausnahmsweise schmerzte diese Tatsache aber nicht, da er und ich uns gerade hervorragend verstanden. Dieser meinte: „Danke, das freut mich ungemein“. Und mich erst, schoss es mir durch den Kopf.
Jäh wurde unser Frühstück aber unterbrochen, als es an der Tür klingelte. Seufzend sah Jake auf seine Uhr, die er stets trug. Seine Pupillen weiteten sich. „Wieso muss es nur schon so spät sein?“, murmelte er, nachdem er mich wissen ließ, dass er seinen Besuch in Empfang nahm. Verdutzt blieb ich zurück.
Meine Augenbrauen schossen nur so in die Höhe, als ich recht muskulöse Männer sah. Was wollten die hier? „Es wird alles wie abgesprochen gemacht. Ihr könnt in meinem Schlafzimmer anfangen“, gab Jakob den Neuankömmlingen sofort eine Anweisung, ehe sie mich begrüßten. Irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht.
Vorsichtig fragte ich: „Was … Warum sind sie hier?“. „Sei mir nicht böse, aber hast du dich nicht richtig umgesehen?“, stellte Jake mir eine Gegenfrage. Ich stand auf und ließ meinen Blick über die Küche schweifen. Auch riskierte ich den ein oder anderen Blick in den Schränken. Mir fiel an sich nichts Auffälliges auf, nur, dass manche Fächer ziemlich leer waren.
„Giulia, das hier ist mein letzter Tag. Heute am frühen Abend geht meine Maschine nach Tokio“, gestand er mir, was mir schier den Boden unter den Füßen wegnahm. „Du … Du willst Deutschland verlassen?“, stammelte ich wie in Trance, woraufhin er antwortete: „Ja. Glaube mir, es ist das Beste für mich und vor allem für dich. Mich hält hier nichts mehr. Ich brauche einen Neuanfang. Fernab von dem Ort des Geschehnis“.
Das konnte er doch unmöglich ernst meinen! „Ja, aber was ist mit deiner Arbeit? Hast du überhaupt mit Tizian gesprochen?“, harkte ich nach, da ich nicht glauben konnte, dass er schon in ein paar Stunden dem Land den Rücken kehren würde. Und schließlich mir.
Traurig lächelte mich Jake, dann sagte er: „Ich habe mit ihm vor ein paar Tagen telefoniert. Für ihn ist es in Ordnung, wenn ich dort arbeite. Es kommt ihm sogar ganz gelegen, dass jemand aus dem Kern der Firma in Zukunft in Japan die Stellung hält“.

 

Anscheinend wollte er es wirklich machen. Sofort schossen mir Tränen in die Augen. Mist, ich musste jetzt stark bleiben! „Und … Und warum dann all das hier? Wieso hast du mich mit in deine Villa genommen, wenn du doch eigentlich viel zu tun hast?“, fragte ich ungläubig und hoffte, dass er mir sagen würde, dass das mit Japan nur ein Scherz gewesen war.
Sanft strich Jakob über meinen Rücken, dann antwortete er: „Ich möchte die letzten Momente hier mit dir verbringen. Ich habe so viele schlechte Erinnerungen, doch mit dir verbinde ich schöne Dinge. Deswegen möchte ich, dass du mit mir diesen einen Tag noch verbringst“. „Das kannst du doch nicht einfach so machen! Du kannst nicht einfach so gehen!“, verlor ich die Nerven und schlug seinen Arm weg.
Gequält atmete er ein und aus, dann sagte Jake: „Es tut mir so leid, Giulia, aber ich muss“. „Du … Du kannst doch auch hier bleiben und wir werden Freunde. Bitte, wir verstehen uns doch so gut!“, flehte ich ihn an, nicht nach Japan zu ziehen. „Mache es mir nicht so schwer. Ich muss das tun, was das Beste ist und ich bin mir sicher, dass ich das Richtige damit tue. Außerdem könnte ich mit dir niemals befreundet sein“, blieb er bei seinem Vorhaben und ließ mir keine andere Wahl.
Niedergeschlagen gab ich schließlich auf. Es hatte keinen Sinn. Reisende sollte man bekanntlich nicht aufhalten. „Und was möchtest du dann noch mit mir machen?“, fragte ich, woraufhin Jakob antwortete: „Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Mir war es wichtiger, dass du bei mir bleibst“.
Mein Herz wurde schwer. Wie ein dicker Kloß, der mir schier die Luft zum Atmen nahm, schlug es in meiner Brust unaufhörlich in die Höhe. Vielleicht hatte er recht und es war besser so. In einem Anflug von Schwermut warf ich mich ihm in die Arme. Zusammen gingen wir schließlich in das Wohnzimmer.
Dort war es eindeutig bequemer als in der Küche. Wir wichen dem anderen nicht von der Seite. Im Gegenteil, wir schmiegten uns noch enger aneinander. Mein Blick fiel auf seine Schrankwand und blieb schließlich an ein eingerahmtes Bild kleben. „Das war aber gestern noch nicht da“, entfuhr es mir, während ich aufstand und es in die Hand nahm.
Bedächtig langsam strich Jakob, der mir gefolgt war, darüber. Daran haftete kein bisschen Staub. „Doch, war es“, bestand er darauf. „Seit wann?“, wollte ich von ihm wissen, was ihm nur ein Schulterzucken entlockte. Er nahm mir das Bild aus der Hand und betrachtete es. Schweigend tat ich es ihm gleich.
Es war eine Aufnahme von unserem gemeinsamen Fotoshooting. Auch Fabrizia war darauf zu sehen, doch mir kam es eher so vor, als ob nur Jakob und ich festgehalten werden sollten. Meine beste Freundin schien einfach nicht zu uns zu passen.

 

Die letzten Stunden vergingen einfach viel zu schnell. Ehe Jake und ich uns versahen, musste er zum Flughafen. Wie ich erfuhr, nahm er nicht seinen Privatjet, sondern war Passagier in einer normalen Maschine. Auf der Fahrt hing ich meinen eigenen Gedanken hinterher. Wie konnte der Tag nur so eine dramatische Wendung nehmen?
Er hatte so gut angefangen. Ich hatte mit meinem Traummann gekuschelt, der mir auch noch ein wunderbares Frühstück zubereitet hatte. Davon war nun nichts mehr übrig. Meine Augen waren schon längst mit Tränen gefüllt. Nur mit Mühe und Not konnte ich die Flut zurückhalten. Dafür war mein Stolz einfach zu groß.
Jakob sollte mich so nicht sehen. Er sollte nur Gutes mit seinen letzten Stunden hier verbinden. Und dazu gehörten meine Tränen eindeutig nicht. „Wir sind da“, holte er mich auch schon aus meinen schwermütigen Gedanken. Tatsächlich: Vor uns war der Flughafen. Verdammter Mist auch. Ich hatte gehofft, dass die Straßen voll waren und wir so viel zu spät kamen, doch leider war das nicht der Fall.
Mit wackeligen Beinen stieg ich aus dem Taxi, welches uns hergebracht hatte. „Sag mal, was ist eigentlich mit deinen Sachen, die du in der Villa zurück gelassen hast?“, harkte ich nach. Vielleicht hatte ich Glück und Jake würde nochmal umkehren. „Die lasse ich nachfliegen“, erstickte er meine Hoffnung, dass er doch noch etwas blieb, im Keim.
Zu zweit setzten wir uns auf den Stühlen in der Wartezone. „Giulia, ich muss mit dir reden“, flüsterte Jakob nach einer Weile. Sofort wurde ich hellhörig. Was würde nun folgen? „Was ist denn los?“, fragte ich alarmiert. „Ich muss mich bei dir entschuldigen“, gab er mir eine Antwort, woraufhin ich meinte: „Ist vergeben und vergessen“.
Damit gab der Blonde sich aber nicht zufrieden. Im Gegenteil, er schien nur genau auf diese Worte von mir gewartet zu haben. „Das kann ich leider nicht so hinnehmen. Es tut mir so wahnsinnig leid, was ich dir alles angetan habe. Meinetwegen musstest du bitter leiden“, stammelte er und sah mir genau in die Augen.
Sofort mied ich seinen Blick, denn dann würde ich in Tränen ausbrechen. Da war ich mir sicher. Tief atmete ich ein und aus. „Da wusste ich auch noch nicht, was du alles durchgemacht hast“, brachte ich mit erstickter Stimme hervor. Freudlos lachte Jakob auf, ehe er erwiderte: „Darum geht es auch nicht. Das entschuldigt mein Verhalten dir gegenüber in keinster Weise. Ehrlich gesagt gibt es dafür auch keine Entschuldigung“.
Wahnsinn, so reuevoll kannte ich ihn überhaupt nicht. Er schien wirkliche in verdammt schlechtes Gewissen zu haben. „Wieso entschuldigst du dich dann, wenn du weißt, dass es eigentlich zwecklos ist?“, wollte ich wissen. „Du sollst wissen, wie leid es mir tut und dass ich daraus gelernt habe“, beharrte er auf seine vorherigen Worte.

 

Hier würden sich unsere Wege also trennen. Ich wusste nicht, wie ich weiter machen sollte, da ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben verlieren würde. Ohne Jake würde es verdammt trist werden. Und leider war es nun auch soweit. Sein Flug wurde aufgerufen.
„Du musst wir was versprechen“, sagte ich auch schon und sah, wie sich die Pupillen von Jakob weiteten. Davon ließ ich mich nicht beirren und fuhr fort: „Sage mir, dass wir uns wieder sehen“. „Das werden wir, ganz bestimmt. Ich habe dir so Vieles zu verdanken“, meinte er. „Ich wünsche dir einen guten Flug und hoffe, dass du deine Probleme in den Griff bekommst. Wann immer etwas ist, scheue dich nie, mich anzurufen“, flüsterte ich.
Sichtlich dankbar starrte mich Jakob an, dann hauchte er: „Das ist gut zu wissen, ich danke dir und dich bitte ich, so weiterzumachen wie bisher. Du bist eine verdammt starke Frau, vor der man sich nur verneigen kann“. Damit hatte er es geschafft. Die Tränen, die ich mühevoll versucht hatte zurückzuhalten, bahnten sich nun ihren Weg über mein Gesicht.
Geschockt wich er zurück, fing sich aber wieder und zog mich eine heftige Umarmung. „Bitte weine nicht, denn so kann und mag ich dich nicht sehen“, stammelte Jake, woraufhin ich erwiderte: „Entschuldige, so solltest du mich auch nicht sehen, aber ich komme gegen meine Gefühle einfach nicht an“.
Jetzt war es also so gut wie raus. Ich hatte indirekt zugegeben, mich in ihn verliebt zu haben. Zu meiner Verwunderung sagte Jakob aber: „Ohne mich bist du besser dran, glaube mir“. „Das weißt du doch nicht!“, entgegnete ich stur wie eh und je, was ihm ein Lächeln entlockte. „Selbst wenn es dir schlecht geht, bleibst du bei deiner Meinung. Oh Giulia, wie schade, dass sich unsere Wege nun trennen“, nuschelte er und ich konnte nur zu gut erkennen, dass er mit sich rang.
Leider konnte ich mit seinen Worten nichts anfangen, sondern nur darüber grübeln. Fiel es ihm etwa schwer, mir Lebewohl zu sagen? Ich zweifelte nicht daran, dass er hier nichts mehr hatte, was ihn zum Bleiben bewog, aber auf irgendeinem Grund schien es ihm trotzdem schwerzufallen. „Wenn du nicht bald gehst, wird dein Flug ohne dich abheben“, brachte ich mit erstickter Stimme hervor und hätte mich dafür am liebsten selber geschlagen.
Eigentlich wollte ich, dass er blieb und doch wollte ich ihn nicht aufhalten. Jake wusste am besten, was für ihn gut war und nicht. Dazu kam noch, dass ich ihn verstehen konnte, dass er gehen wollte. Er hatte so viel Schlechtes erlebt und vielleicht konnte er in Japan endlich damit abschließen. Da wollte ich ihm nicht im Weg stehen.
Es wäre zu egoistisch. Außerdem fühlte er gewiss nicht dasselbe für mich wie ich für ihn. Sicherlich war er noch immer völlig durch den Wind. Immerhin lag unser Gespräch über ihn erst einen Tag zurück. Da blieb für eine Beziehung kein Platz. Das musste ich wohl oder übel akzeptieren, egal wie schwer es für mich war.
Manchmal da musste man in der Tat seine Bedürfnisse und Wünsche hinten anstellen, um jemand anderes einen Gefallen zu tun. Ich konnte von Glück sprechen, dass ich nicht in Deutschland bleiben würde. Bald würde auch ich umziehen. Nach Italien. Eigentlich freute ich mich darauf, doch dort hatte ich nichts mehr, was mich an Jakob erinnerte.
Unsere Geschichte hatte sich größtenteils hier abgespielt und so würde ich alles zurück lassen. „Ich habe noch eine Kleinigkeit für dich“, riss mich Jake aus meinen Gedanken. Völlig verdattert fragte ich: „Wie bitte?“. Leicht hektisch wühlte er in seinem Handgepäck rum, bis er schließlich etwas in der Hand hielt.
Leicht unsicher stammelte er: „Du sollst etwas haben, was dich auf ewig an mich erinnert und ich denke, dass das hier genau das Richtige für dich ist“. Im nächsten Moment starrte ich auf ein eingerahmtes Bild. Es war das, was ich bei ihm gesehen hatte und doch war etwas anders. Der Rahmen! Er war nicht mehr schwarz, sondern rot.
Erneut vergoss ich bittere Tränen. „Du hast sogar an meiner Lieblingsfarbe gedacht“, schluchzte ich und warf mich in seine Arme. „Natürlich, wie könnte ich das auch je vergessen?“, gab er mit einem gequälten Lächeln zu. „Ich muss leider. Es wird höchste Zeit. Wärst du so lieb und würdest mir einen letzten Gefallen tun?“, bat mich Jakob.
Ich antwortete ihm nicht, sondern zog ihn zu mich heran und gab ich ihm einen Kuss. Er sollte ruhig spüren, wie schlecht es mir ging und wie verzweifelt ich war. Zu meinem Entsetzen löste er sich aber von mir und schüttelte mit dem Kopf. „Das meinte ich nicht. Ich möchte nur ein letztes Mal dein strahlendes Lächeln sehen. Lächle, denn das ist das schönste an einem Menschen und anders möchte ich dich auch nicht in Erinnerung behalten“, lieferte er mir eine rührende Antwort, ohne dass ich ihn erst danach fragen musste.
Mir war klar, dass mich das ungeheure Überwindung kosten würde. Zumal Jake wusste, dass es alles andere als echt sein würde. Mit einem Ruck wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und lächelte. Ja, ich lächelte und steckte all meine Liebe zu ihm darin. „Genau so und nicht anders. Mach's gut, Giulia“, verabschiedete sich Jakob in seiner üblichen Manier von mir, bedachte mich aber mit einem ebensolchen Lächeln und nahm mich ein allerletztes Mal in den Arm.
Dann marschierte er mit erhobenen Haupt durch die Kontrolle, die mich von ihm trennte. Sofort rannte ich weg, nur um ihn noch durch die Glasscheibe zu sehen, wie er die Treppen zum Flugzeug stieg. Er drehte sich nicht um, was mich unendlich stark mitnahm. „Du Arschloch, du verdammtes Arschloch! Wie kannst du nur wagen, mich alleine zu lassen?“, fluchte ich weinend und brach schließlich an der Glasscheibe zusammen.

You And Not Tokio

Jakob's Sicht!
Ich machte einen Schritt nach den anderen. Stieg Stufe um Stufe höher, bis ich schließlich nicht mehr konnte. Wem hatte ich gerade eigentlich etwas vorgemacht? Giulia? Mir? Oder doch uns beiden? Es hatte sich die ganze Zeit falsch angefühlt, genau diesen Weg einzuschlagen. Eigentlich wollte ich mich nicht umdrehen, da ich es uns nicht noch schwerer machen wollte, doch als mein Blick durch die zahlreichen Glasscheiben glitt, weiteten sich meine Pupillen.
Giulia! Sie kauerte an einer der Scheiben und wollte sich vor lauer Weinkrämpfen gar nicht mehr beruhigen. Ihr Körper bebte unentwegt. Und da wurde mir endlich klar, was ich zu tun hatte! „Sorry, ich muss hier weg!“, teilte ich einer Stewardess mit und kehrte auch schon um ohne auf eine Antwort zu warten.
Ohne Rücksicht bahnte ich mir einen Weg durch die wenigen Passagiere, die hinter mir standen. Immer wieder murmelte ich eine Entschuldigung und als ich endlich wieder Boden unter meinen Füßen spürte, gab es kein Halten mehr für mich. Immer schneller sprintete ich und achtete nicht auf meine Mitmenschen.
Nein, ich hatte Wichtigeres zu tun! Die letzten Meter zu Giulia waren allerdings die schwersten. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihr sagen sollte. Ach verdammt, ich würde endlich mal mein Herz sprechen lassen! Tief atmete ich ein und aus, während ich ihr immer näher kam. Als ich endlich bei ihr war, ging ich in die Hocke und umarmte sie von hinten.
Sofort zuckte sie zusammen und ehe sie um sich schlagen konnte, flüsterte ich auch schon: „Ganz ruhig, ich bin es nur“. „Was... Was machst du denn hier?“, fragte sie völlig von der Rolle und sah mich an. Dann glitt ihr Blick zum Flugzeug, welches gerade startete. „Du Idiot, dein Flug ist ohne dich gerade abgeflogen!“, maulte sie mich auch schon an.
Ich musste lachen. Traurig, aber auch gleichzeitig froh, meinte ich: „Genau das liebe ich so an dir“. „Wie bitte?“, wollte sie verdattert wissen, woraufhin ich antwortete: „Dir geht es hundsmiserabel und du hast nichts Besseres zu tun, als mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich meinen Flug verpasst habe, was so nicht ganz richtig ist“.
Zornig funkelte mich die Frau an, dann zischte sie auch schon: „Das habe ich doch gar nicht gemeint, du hast gesagt, dass du mich liebst!“. Abermals lächelte ich sie an, nickte aber dabei. Es fühlte sich zwar unheimlich seltsam an, dass ich genau das Wort benutzt hatte, welches ich zuvor so sehr verachtete, aber es war auch richtig.
„Ich bin wegen dir geblieben. Ich kann und will dich nicht alleine lassen“, hauchte ich und strich ihr mit meinen Daumen sanft die Tränen aus dem Gesicht. Giulia schien sich aber nicht zu beruhigen, im Gegenteil, sie sah mich paralysiert an.
Erst nach einer halben Ewigkeit sprach sie wieder ein Wort. Ungläubig wollte sie wissen: „Wenn du mich wirklich liebst, dann frage ich mich warum“. Das war eine berechtigte Frage und mir war auch von vornherein klar gewesen, dass sie sich mit einem lumpigen Satz nicht zufrieden geben würde. So war sie nun mal.
„Ich merke doch selbst, wie sehr du mich verändert hast. Du hast Klasse, was heißt, dass du dich nicht von Komplimenten einlullen lässt und außerdem lässt du dich ebenso wenig von anderen Menschen unterkriegen, im Gegenteil, du gibst Kontra, wenn dir etwas nicht passt und genau so eine Frau brauche ich an meiner Seite“, gab ich wirr von mir und hoffte, dass sie mir ihren Glauben schenken würde.
Ein Lächeln zierte ihr wunderschönes Gesicht, was mich beruhigte. Vielleicht war es doch nicht so ausweglos wie ich dachte. Stammelnd erwiderte sie: „Tut mir leid, ich bin sprachlos, ich kann mich gerade nicht dazu äußern“. „Das brauchst du auch nicht, du musst mir nur glauben. Noch nie bin ich einer so liebenswerten Person wie dir begegnet. Du erleuchtest mit deinem Lachen und Lächeln die Herzen anderer, besonders meins. Für mich bist du ein Stern, der mir am Ende des Horizonts Licht verspricht. Du bist mein Stern“, sprach ich einfach weiter und war über meine Offenheit ebenso überrascht wie sie.
Warum sonst sollte sie mich mit großen Augen anstarren? „Ich kann dir nicht versprechen, dass ich sofort meine Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Frauen ablegen kann und auch nicht, dass ich treu sein werde, aber ich kann dir schwören, dass ich alles versuchen werde, um dir der Freund zu sein, den du verdient hast“, legte ich vor ihr meine Skepsis offen dar.

 

Einmal in meinem Leben wollte ich ehrlich zu mir und zu anderen sein. Endlich gelang mir dies und es fühlt sich einfach nur großartig an! Vielleicht würde ich mit meiner Ehrlichkeit alles kaputt machen bevor das mit Giulia und mir überhaupt angefangen hatte, doch wollte ich ihr keine falschen Hoffnungen machen.
Genau sie sah mich nachdenklich an, ehe sie sich endlich rührte. Unsicher erwiderte sie: „Und trotzdem erzählst du mir das alles?“. „War klar, dass diese Frage kommt“, meinte ich mit einem Lächeln auf den Lippen, besann mich aber wieder und sagte dann: „Ja, gerade ging mir nämlich durch den Kopf, dass ich über meine Gefühle reden sollte“.
Dieses Mal waren es die Mundwinkel von Giulia, die sich nach oben verzogen. „Da scheint der Knoten bei dir geplatzt zu sein“, erwiderte sie sichtlich erfreut. Mehr hatte sie nicht dazu zu sagen? Nahm sie mich etwa nicht Ernst? Angst machte sich in mir breit. Vermutlich glaubte sie mir nicht und das auch noch zu Recht.
Vorsichtig wie eh und je nuschelte ich: „Was ist mit den anderen Dingen, die ich dir erzählte?“. Ratlos sah mich die Brünette an. Ich konnte ihr nur zu gut ansehen, dass sie mit sich rang. „Ich weiß es nicht“, brachte sie mühevoll hervor. Sanft umschloss ich ihre Handgelenke, dann flüsterte ich: „Sage mir, was ich tun kann, damit du mir glaubst und ich tue es. Ich würde alles dafür tun, um mit so einer wundervollen Frau wie dir zusammen zu sein“.
„Fürs Erste würde es mir vielleicht reichen, wenn du mir einige Fragen beantwortest“, gab sie mir nach einigen Augenblicken eine Chance, mich zu erklären. „Stelle mir so viele wie du möchtest, ich werde dir Rede und Antwort stehen!“, gab ich ihr sofort meine Zustimmung.
Erneut überlegte Giulia, bis sie schließlich fragte: „Seit wann glaubst du, dass du Gefühle für mich hast?“. „Glauben tut man nur an Dinge die nicht existieren, zumal ich genau weiß, dass ich dich seit unserem Trip in Tokio liebe“, antwortete ich, berichtigte sie aber gleichzeitig. Wie konnte sie nur denken, dass ich mir über sie nicht sicher war?
Verübeln konnte ich es ihr auf der anderen Seite auch nicht. Es klang schon seltsam. Jakob Di Izmir und verliebt? Scheiß drauf, ich war immerhin hiergeblieben, um Giulia zu meiner Freundin zu machen! Skeptisch betrachtete sie mich, doch ich schenkte ihr nur ein aufrichtiges Lächeln. Sie unterdrückte mit Ach und Krach ein Strahlen, doch ich sah ihr sofort an, dass sie sich freute. Wie süß sie dabei war!
Vorsichtig legte ich eine Hand an ihre Wange und strich sanft darüber. Zum Glück ließ sie es zu, entgegnete aber trotzdem: „Und dennoch hast du an jenem Abend gesagt, dass Liebe nur etwas für Narren ist“. „Das stimmt und willst du auch wissen warum? Ganz einfach, weil ich mir nie Chancen bei dir errechnet habe, was selbst jetzt noch so ist und das obwohl ich weiß, dass du dasselbe für mich fühlst. Dazu kommt noch, dass mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, dass ich dich liebe“,
„Justin, diese Tratschtante hat also mit dir gesprochen“, murmelte Giulia und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sei ihm nicht böse, im Gegenteil, er war es, der mir immer wieder ins Gewissen sprach und auf mich einredete“, nahm ich meinen Cousin in Schutz, woraufhin mich die Brünette erstaunt ansah.
Ja, es kam nicht alle Tage vor, dass ich ihn verteidigte, aber er gehörte immerhin noch zur Familie und außerdem wollte ich wirklich nicht, dass Giulia auf ihn böse war. Sie sollte ihm eher dankbar sein. „In Ordnung, aber seit wann warst du dir über deine Gefühle sicher?“, nahm sie mich weiter ins Kreuzverhör.
Leicht ratlos zuckte ich mit den Schultern, während ich sagte: „Genau kann ich dir leider nicht sagen. Es gab eher immer Faktoren, die mich das annehmen ließen. Du musst dich wohl oder übel mit dieser Erklärung zufrieden geben, auch wenn mir das erst hinterher klar wurde“. Bevor sich auch nur darauf reagieren konnte, meinte ich: „Ich habe dich bei diesem Essen nicht angelogen, als ich sagte, deine Ausstrahlung hätte mich umgehauen und du du wirst dich sicherlich noch an unsere gefälschten Beziehungsringe erinnern. Nun, so wie ich dich kenne wirst du es zwar schon wissen, aber jenes Datum gleicht dem von unserem Kennenlernen und auch diesen Tag habe ich nicht vergessen“.
Ihr Mund klappte nach meiner kleinen Rede weit auf. Da konnte sie mal sehen, wie aufmerksam ich eigentlich war. Es freute mich, dass ich sie damit überrascht hatte.

 

Mein Blick legte sich auf das eingerahmte Bild, an welches sie sie ganz fest an sich klammerte. „Ja und das war auch kein Zufall mit dem Fotoshooting. Ich wollte dir nahe sein und Fabrizia war auch nur dabei, damit du keinen Verdacht schöpfst“, klärte ich sie über das Shooting auf. „Du … Sag bloß du hast den ganzen Verlauf geplant? Waren manche Begegnungen auch kein Zufall? Deine gemeinen Taten auch nicht?“, bombardierte sie mich mit weiteren Fragen.
Ich antwortete: „Teilweise war das in der Tat ein Plan, um dich für mich zu gewinnen. Mit manchen Geschehnissen konnte ich allerdings auch nicht rechnen. Ich werde alles der Reihe nach erklären“. „Gut, dann mache mal schön weiter. Ich bin wirklich gespannt, was du noch so für Überraschungen auf Lager hast“, übergab sie mir das Wort.
Seufzend strich mir durch die Haare. Das würde zwar etwas unangenehm und kindisch werden, aber ich wollte sie trotzdem darin einweihen. „Unser Trip nach Monaco, um genau zu sein dieser Dreier war nur eine Reflexion meines verletzen Egos, gar meiner Gefühle. Du ahnst nicht wie eifersüchtig mich das machte, als du mit den Formel 1 – Fahrern Bildern gemacht hast! Wie du den Arm um sie legtest und mit denen in die Kamera gestrahlt habt! Tu mir einen Gefallen und mache das nie wieder ohne mich“, murmelte ich mit knirschenden Zähnen, da ich erneut dieses unverwechselbare Brodeln in mir spürte.
Nur Giulia schien die Ruhe in Person zu sein. Ein Schmunzeln umgab ihre Lippen, doch in ihren Augen konnte ich auch lesen, dass ich sie auch damit überrascht hatte. „Wirklich? Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich damit … verletzt habe. Das tut mir wirklich leid“, entschuldigte sie sich sichtlich mitleidig, doch ich hob abwehrend beide Hände. „Das braucht es dir aber nicht, ich weiß doch, dass du kein Fangirl bist. Das sind einfach nur solche Dinge, die ich nicht verstehe“, nahm ich dazu Stellung.
Es stimmte auch. Ich brauchte nicht eifersüchtig auf irgendwelche Fahrer sein. Das mit Giulia und mir war real, aber nicht das. „Selbst als dich die Kerle beim Essen angesprochen haben hätte ich mich übergeben können und ich kam mir schon ziemlich benutzt vor, als du mich als deinen Freund ausgegeben hast“, erzählte ich ihr weiter von den Momenten, die mir ganz besonders im Gedächtnis geblieben waren.
Daraufhin weiteten sich ihre Pupillen. Ja, auch das war ziemlich dumm von mir, doch ich konnte mich nicht vor dem verstecken, was ich fühlte. „Dir muss wirklich viel an mir liegen und es tut mir auch leid, dass ich … na ja, dich für meine Zwecke benutzt habe. Nur wollte ich den Abend in Ruhe mit dir genießen und ich glaube, wenn ich das nicht getan hätte, dann wären vielleicht noch mehr Männer an unserem Tisch gekommen“, holte sie aus.
Sie war so verdammt ehrlich, was mich ungemein rührte. Ich musste ihr doch Rede und Antwort stehen, nicht sie mir. Das sagte ich ihr auch, was sie mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm. Als das geklärt war, griff ich unser Gespräch wieder auf: „Die roten Tulpen, die im Tanzsaal waren, waren auch kein Zufall. Im Gegenteil, ich wusste, dass du dich auch für Japan interessierst und habe genau die Blume gewählt, weil sie die japanische Blume der Liebe ist. Ehrlich gesagt, habe ich mich oft gefragt, ob du das auch weißt“.
Völlig entgeistert starrte ich Giulia an. Sie kam gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. „Du... du hast es auch gewusst? Ich habe mir ebenfalls einige Male darüber den Kopf zerbrochen, ob auch dir die Bedeutung bewusst ist. Du bist doch wirklich nicht zu übertreffen!“, brachte sie noch immer nicht ganz zu sich gekommen hervor.
Ihre Reaktion freute mich zwar, doch wurde ich wieder ernst. Jetzt würde nämlich ein recht unangenehmer Teil des Trips folgen. „Weißt du, dieser blöde Dreier … also ehrlich gesagt habe ich in der Nacht kein Auge zu bekommen und es hat mir schier das Herz gebrochen, als ich dich so weinen gehört habe. Nur leider war ich viel zu feige, um dich zu trösten. Ich konnte und wollte nicht meine Maske aus Eis und Ignoranz fallen lassen“, offenbarte ich Giulia.
Diese wurde auch ganz traurig, was mich dazu veranlasste sie zu umarmen. Nach einer kleinen Weile sprach ich weiter, in dem ich ihr ins Ohr flüsterte: „Deine Worte beim Frühstück, von wegen ich sei ein gefühlloses Arschloch, haben mich etwas wachgerüttelt, wofür ich dir sehr dankbar bin und noch heute bin ich schockiert darüber, wie weit du gegangen bist. Du ahnst nicht, wie sehr ich mich zurückhalten musste, um nicht über dich herzufallen und das obwohl ich wusste, dass du es genau darauf angelegt hast“.

 

Die Frau sog die Luft ganz tief ein, scheinbar war ich ihr zu nahe gekommen und außerdem hatte ich die Konversation in eine ganz andere Richtung gelenkt. Daher beschloss ich wieder auf Abstand zu gehen. Nachdem sie sich gefangen hatte, entgegnete sie: „Da hat meine Mühe ja ihren Zweck erfüllt“. „Voll und ganz“, stimmte ich ihr zu, was sie mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm.
Da wir schon mal bei diesem doch heiklen Thema waren, eröffnete ich ihr auch noch etwas anderes. „Ich muss mich bei dir auch dafür entschuldigen, dass ich dich angelogen habe, als es um die Beerdigung meiner Mutter ging. Anstatt mit meiner Trauer offen umzugehen, zog ich es vor, dir zu sagen, ich hätte mit einer Frau geschlafen. Das stimmt nicht, ich … ich wollte mir einfach nur nicht anmerken lassen, wie schwer mich ihr Tod mitnimmt“, gab ich zu und hatte Angst vor der Reaktion von Giulia.
Es blieb still. Nur die Menschen um uns herum bahnten sich nach wie vor ihren Weg durch den Flughafen, doch für Lia und mich drehte sich die Zeit nicht mehr. Mittlerweile waren ihre Tränen versiegt, worüber ich sehr froh war. Gebannt sah ich ihr in die Augen, doch sie blickte mich so an, als ob sie durch mich hindurch sehen könnte.
Zaghaft schloss sie mich dieses Mal in eine Umarmung und nicht umgekehrt. „Wieso hast du mir nur so sehr wehgetan?“, flüsterte sie leise. „Ich war feige und unbelehrbar, ein totaler Idiot. Ich wollte vor meinen Gefühlen weglaufen, doch endlich habe ich verstanden, dass ich das nicht kann und egal wie das hier auch ausgeht, ich habe beschlossen mich zu ändern. Nicht nur für dich, sondern auch für mich“, antwortete ich ihr.
Bestimmt löste sich Giulia von mir und schüttelte ebenso den Kopf. „Du hast doch schon das bekommen, was du die ganze Zeit von mir wolltest. Ich habe mit dir geschlafen, also was möchtest du noch?“, erwiderte sie und ich hatte das Gefühl, dass sie in weiter Ferne gerückt war. Dabei war unser Glück doch zum Greifen nah!
Und wieder musste ich ihr etwas gestehen. So fest ich konnte sah ich ihr in die Augen und erinnerte sie mit kräftiger Stimme an längst vergangene und schier vergessenen Worte: „Wir haben nicht miteinander geschlafen oder denkst du, ich habe dir nur einfach so immer wieder gesagt, dass ich nicht mit betrunkenen Frauen schlafe?“. „Wie bitte? Aber … aber wir beide sind doch nackt aufgewacht!“, entgegnete Giulia felsenfest von ihrer Meinung überzeugt, doch ich wusste ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen, ehe ich meinen Trumpf ausspielte. „Du kannst dich an nichts mehr erinnern, das habe ich schon an deiner Reaktion unmittelbar beim Aufstehen gemerkt“, sagte ich, woraufhin Lia den Kopf sank. Geschlagen gab sie mir zu verstehen, dass es stimmte. „Ich habe deine Trunkenheit nicht ausgenutzt, weil ich möchte, dass du dich daran erinnerst, wenn wir miteinander Sex haben und mit dir hat das für mich sowieso eine andere Bedeutung bekommen“, sprach ich meine Ansichten laut aus.
Selbstverständlich wollte Giulia wissen, was sich denn geändert hätte. Als ich die passenden Worte gefunden hatte, meinte ich: „Sex ist für mich mittlerweile mehr als nur Geschlechtsverkehr zu haben. Viel mehr. Für mich bedeutet es, der Person voll und ganz zu vertrauen und mich ihr voll hinzugeben. Dazu kommt noch diese grenzenlose Nähe, die ich mit keiner anderen Frau teilen möchte außer mit dir“.
Sichtlich gerührt starrte mich die Frau an und strich sich dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Vorsichtig nahm ich diese zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete sie. „Du erstaunst mich immer wieder. Wenn das alles stimmt, da frage ich mich trotzdem, weshalb wir beide nackt waren“, offerierte sie mir ihre Skepsis.
Wahnsinn, sie machte es mir auch kein bisschen leicht! Es passte wahnsinnig gut zu ihr und ich wusste, dass ich auch dafür eine Antwort parat hatte. In Erinnerung schwelgend sagte ich: „Du hast mich angebaggert als gäbe es keinen Morgen. Erst hast du dir die Kleider vom Leib gerissen und dann mir. Ehrlich gesagt war es ganz schön schwer dich abzublocken, daher habe ich mit dir gekuschelt und okay, lache mich jetzt bitte nicht aus, aber ich liebe es mit dir zu kuscheln und außerdem wollte ich einfach nur diese grenzenlose Nähe genießen “.
Nach meinem einleuchtenden Geständnis musste sich Giulia das ernsthaft das Lachen verkneifen. „Okay, also... ja, das hätte ich wirklich nicht gedacht, aber das spricht in der Tat für dich“, schenkte sie mir ihren Glauben, was mich ungemein erleichterte, fuhr aber auch schon damit fort, was es mit meinen vorherigen Andeutungen auf sich hatte. „Ach Giulia“, fing ich schließlich an, „du ahnst ja nicht, wie sehr ich es liebe dich zu necken und mit meinen zweideutigen Aussagen durcheinander zu bringen. Und hey, man sagt doch, was sich liebt das neckt sich“, gluckste ich von einer guten Laune erfasst herum.
Da gab es noch das ein oder andere ernste Thema. „Außerdem bin ich wirklich froh, dass wir keine Geschwister sind, denn das hieße ja, dass unsere Liebe verboten ist und ich möchte der ganzen Welt zeigen, was ich für eine wundervolle Frau liebe“, gab ich ihr meine Meinung dazu offen kund, was sie abermals erstaunte.
Auch kam ich noch einmal auf das Bild zu sprechen, welches ich ihr aus der Hand nahm. Verdutzt starrte Giulia mich an. „Und meine Version davon, stand noch am selben Tag, an dem wir das Shooting gemacht haben, in meiner Villa“, weihte ich sie doch noch ein.

 

Unser Gespräch zog sich so sehr in die Länge, dass ich schon ganz aus der Puste war. Doch ich konnte und wollte nicht aufhören. Nicht bevor ich Giulia davon überzeugt hatte, dass ich sie vom ganzen Herzen liebte. Daher griff ich in meine Hosentasche und holte etwas hervor. „Die Serviette?“, fragte sie völlig verwundert.
Giulia war noch erstaunter, als ich ihr das Stück Stoff in die Hand drückte. „Lies mir vor, was darauf steht“, bat ich die brünette Schönheit. Stammelnd tat sie, was ich ihr befahl: „Es tut mir leid, wenn ich Sie damit verletze, aber ich habe kein Interesse an anderen Frauen. Ich habe mich nämlich Rettungslos in meine bezaubernde Begleitung verliebt, die davon keine Ahnung hat und auch nicht weiß, was für eine Wirkung sie auf andere Männer hat“.
„Gott, du bist so süß! Kneife mich mal, damit ich weiß, dass das nicht nur ein kitschiger Traum ist“, gab sie völlig begeistert von sich. „Hey, wieso tust du mir weh?“, beklagte sie sich im nächsten Moment, da ich meinen Finger in ihre Seite gebohrt hatte. „Du hast doch gesagt, dass ich dir zeigen soll, dass das die Realität ist“, wies ich sie auf ihre vorherigen Worte hin, woraufhin sie mir gespielt an die Gurgel ging und sagte: „Du Idiot nimmst auch alles Ernst, was ich sage“. „Nicht alles, aber deine Worte haben für mich mehr Gewicht als die von einem anderen Menschen“, setzte ich noch einen drauf und lächelte sie verschmitzt an.
Rasch besinnte ich mich aber wieder, denn ich hatte hier schließlich etwas zu erledigen. Nach wie vor war ich mir nicht sicher, ob ich Giulia nun für mich gewonnen hatte. Also wollte ich ihr eine weitere Bekundung meiner Liebe liefern. „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum – einst sagt meine Mutter das zu mir und jetzt möchte ich meinen Traum leben. Du bist mein Traum“, sagte ich mit fester Stimme und sah ihr dabei genau in die Augen.
Abermals zeigte mir ihr Gesicht tiefste Rührung, was mich nur noch stärker machte. „Ich bin nicht gut darin, meine Gedanken und Gefühle zu beschreiben und zu zeigen, aber ich weiß, was ich fühle!“, setzte ich noch einen drauf.
„Du bist verrückt“, hauchte sie gefangen zwischen Unglauben und Freude. „Ja, verrückt nach dir“, bot ich ihr abermals die Stirn und fuhr fort: „Du ahnst wirklich nicht, wie du auf andere Menschen wirkst. Das macht dich auch so besonders. Vielleicht machst du dir aber nichts daraus, was dich nur noch umwerfender macht“.
Ehe Giulia auch dazu etwas erwidern konnte, meinte ich: „Erinnerst du dich noch, als ich zu dir sagte, dass wir keine Freunde bleiben können? Dem ist auch so, denn ich habe viel zu starke Gefühle für dich, als dass ich es ertragen könnte, nur mit dir befreundet zu sein. Ich möchte alles von dir. Das volle Programm. Von romantischen Spaziergängen über Kuschelstunden vor dem Fernseher über Höhen und Tiefen bis hin zu Leidenschaft und Sex. Also gib mir bitte eine Chance mich dir zu beweisen. Ich habe mich für dich entschieden und nicht für Tokio“.

Epiloque ~ Love Me Like You Do!

Tausend Gedanken flogen wie Meteoriten durch meinen Kopf. Noch nie hatte es jemand geschafft, mich so sehr zu berühren wie Jakob und das obwohl ich schon ziemlich sensibel sein konnte. Ich hatte ihm deutlich angesehen, dass er es ernst meinte und mit sich rang, mir seine Gefühle zu zeigen.
So war er eben. Abwartend betrachtete er mich, doch ich schenkte ihm nur ein schüchternes Lächeln, ehe ich sagte: „Du bist und bleibst ein Mysterium für mich, vielleicht macht dich das auch deswegen so attraktiv für mich. Wenn das mit uns klappen soll, musst du aber weiterhin an dir arbeiten, denn ich bin mir sicher, dass du schon ab und zu in dein kühles Muster zurückfallen wirst“. „Heißt das, du möchtest es mit mir probieren und meine Freundin sein?“, wollte Jake ungläubig von mir wissen.
Mein Lächeln wich dem eines Strahlen, dann meinte ich: „Ja, du Schwachkopf, aber wehe du siehst in meiner Gegenwart andere Frauen an!“. „Alles was du willst und das wird mir nicht schwer fallen, bei so einer wunderschönen Frau wie dir“, wusste er schlagfertig zu kontern. „Das will ich auch hoffen“, beharrte ich auf meine Meinung, was uns beide zum Lachen brachte.
Als wir uns beruhigt hatten, nahm der Blonde seine Hand und umschloss die meine. Überwältigt hauchte er: „Es fühlt sich so gut an, dich festzuhalten“. „Das solltest du auch tun, wenn du mich behalten willst“, mimte ich weiterhin die Skeptische, lächelte ihn aber schließlich an, um ihn zu zeigen, dass ich keinen Zweifel an seinen Worten hatte.
Wir setzten uns ohne Ziel in Bewegung. Kein Wunder also das ich ihn fragte: „Wohin willst du mit mir?“. „Das ist eine gute Frage, vielleicht sollten wir zu Tizian und Krystal, um ihnen die frohe Botschaft zu übermitteln“, antwortete mir Jakob leicht nervös.
Wie süß er dabei aussah! Meine Güte, jetzt konnte ich ihn anlächeln und so oft anstarren wie ich wollte. Immerhin war er mein Freund. Wie komisch das klang und doch war es mir vertraut. Das lag bestimmt daran, weil ich ihn schon ein paar Monate liebte. Ob das in Italien noch immer so sein
würde?
Italien war ein gutes Stichwort. Es gab da etwas zu besprechen. „Du... Na ja, wie wollen wir eigentlich eine Beziehung führen, wenn ich umziehe?“, sprach ich vorsichtig dieses Thema an. Jakob sah mir genau in die Augen, als ob er irgendetwas darin suchte.
Angst machte sich in mir breit. Was würde folgen? Würde er mir sagen, dass das mit uns doch keinen Sinn machte, weil wir viele Kilometer voneinander getrennt sein würden? „Na, was denkst du denn?“, fragte er mich tatsächlich, woraufhin mir mein Herz in die Hose rutschte. „Ich … ich weiß es nicht, deswegen wollte ich deine Meinung dazu wissen!“, stammelte ich wirr.
Langsam hielt es nicht mehr aus. Weshalb starrte er mich so an, sprach aber kein Wort? Ein Lächeln zierte das Gesicht von Jakob, bevor er mit fester Stimme sagte: „Als ich dir berichtete ich hätte mich für dich entschieden, meinte ich es auch so. Ich werde mit nach Italien kommen... und wenn du nichts dagegen hast, würde ich gleich zu dir ziehen. Falls du dir nicht sicher bist, könnten wir … nun ja, wir könnten ausprobieren, ob das Zusammenleben funktioniert und wenn nicht, suche ich mir eine eigene Wohnung und wir lassen es langsam angehen“.
Meine Güte war er lieb! „Dich schickt doch wirklich der Himmel!“, kommentierte ich seinen Vorschlag und umarmte ihn so fest ich konnte. Als ich mich von ihm wieder lösen wollte, hielt er mich fest. Dann hauchte er: „Wohl eher dich. Ich wüsste nicht, wo ich ohne dich heute sein würde und ehrlich gesagt möchte ich das auch nicht, denn mit dir an meiner Seite fühlt sich alles unbeschreiblich toll an“.
Bei seinen Worten schmolz ich wie Butter. Und da sollte mir auch nur eine einzige Person sagen, dass Jakob kein Romantiker war! Dann konnte er oder sie sich einen Vortrag anhören wie er mir das süßeste Liebesgeständnis auf Erden gemacht hatte.
Ein Lächeln zierte meine Lippen, ich war einfach nur wahnsinnig glücklich. Mit eben diesem Lächeln setzten wir unseren Weg zu Tizian und Krystal fort. Wir, das klang wirklich absurd und doch war es Wirklichkeit geworden. Endlich. Nach all den Monaten des Schmerzes, der Sehnsucht und ungesagten Worte waren wir zusammen. Ich war gespannt, wie mein bester Freund und meine gute Freundin darauf reagieren würden.

 

Mit zittrigen Knien stand ich neben Jakob vor der Villa. Dieser jedoch wirkte umso unruhiger, desto näher wir dem Anwesen seines Halbbruders gekommen waren. Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Konnte es sein, dass er das mit uns nur als Vorwand nahm? Ich verschwieg ihm lieber meinen Verdacht, sondern wartete ungeduldig darauf, dass man uns die Tür öffnete.
„Hey Giulia was kann ich für dich tun?“, begrüßte mich Krystal strahlend. Ihr Blick wanderte aber im nächsten Augenblick verwundert zu Jakob, der sie nur stumm anstarrte. „Ich... ähm wir wollten euch besuchen“, ging ich sofort zur Sache, was Krys noch mehr verwirrte. „Mit ihm?“, fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
Daran hatte ich nicht gedacht. Was sollte ich darauf nur antworten? Zum Glück übernahm Jakob das. Vorsichtig erwiderte er: „Ich muss mit ihm reden, bitte. Danach kannst du mich gerne eures Grundstücks verweisen“. Abwechselnd sah die Schwarzhaarige zwischen ihm und mir. Mit einem Lächeln signalisierte ich ihr, dass alles in Ordnung war.
Schließlich ließ Krystal uns beide eintreten. Rasch zogen Jake und ich unsere Schuhe aus und stellten sie in den Eingangsbereich. Nervös knetete ich meine Finger, bis Jakob schließlich meine Hand ergriff. Er wollte doch nicht etwa vor Krys Händchen mit mir halten?! Deren Blick auch sofort darauf lag.
Hörbar schnappte sie nach Luft, sprach aber kein Wort. Vermutlich konnte sie sich schon denken, was wir ihr und ihrem Mann zu sagen hatten. Dieser saß gemütlich auf der Couch im Wohnzimmer. Sichtlich überrascht betrachtete er uns und schwieg ebenso sehr wie Krystal. Was würde nun als Nächstes passieren?
Ich ertrug diese Stille nicht mehr und wollte mich schon von Jakob lösen, doch er verstärkte den Druck auf meiner Hand. Da standen wir nun. Da standen wir nun händchenhaltend vor den beiden, die es sich auf ihrer Couch bequem gemacht hatten.
„Wir sind hier, weil wir dringend mit euch reden müssen. Besonders ich“, erhob Jakob als erster seine Stimme und reckte sein Kinn in die Höhe. „Das sehen wir“, kommentierte Tizian nur unbekümmert und verzog dabei das Gesicht, während sein Blick auf unsere Hände lag. Er betrachtete sie schon die ganze Zeit, hatte sich dazu aber bisher nicht geäußert.
Das blieb auch so, denn Jakob sagte: „Gerade mit dir muss ich sprechen“ und ignorierte dabei völlig den bitteren Unterton seines Bruders zu unserer offensichtlichen Beziehung. Dieser hob fragend eine Augenbraue. Noch immer völlig ungerührt erwiderte Tizian: „Dann schieße mal los. Ich wüsste zwar nicht, was du ausgerechnet mit mir zu besprechen hast, aber wenn du schon einmal hier bist, werde ich dich auch nicht sofort bitten zu gehen“.

 

Jakob rang mit sich. Vermutlich überlegte er, ob er Krystal und seinem Bruder wirklich reinen Wein einschenken sollte. Er holte tief Luft und stammelte: „Endlich kenne ich die Wahrheit“. „Was für eine Wahrheit?“, harkte Tizian verwundert nach. „Die grausame Wahrheit über unserer, vor allem deiner Kindheit“, ließ der Blonde die Bombe platzen.
Wieder war es still. Dem Älteren der beiden entglitten die Gesichtszüge, die Pupillen weiteten sich und die Augen wurden so groß, dass man fast meinen könnte, sie würden ihm aus dem Gesicht springen.
„Ich habe ihn getroffen. Unseren Vater oder sollte ich lieber sagen Erzeuger? So etwas Schreckliches tut man seinen Kindern nicht an und solche Person kann und will ich nicht als Vater bezeichnen“, lieferte Jakob allen Beteiligten sofort eine Antwort darauf, wie er nur dieses so gut gehütete Geheimnis herausfinden konnte.
Genau das wollte Tizian nämlich verhindern. Sein Bruder sollte sich keine Gedanken um die Vergangenheit machen, doch Tiziano hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Warum um alles in der Welt hatte er nicht einfach seinen Mund gehalten so wie er es all die Jahre zuvor getan hatte?
Das behagte dem Schwarzhaarigen überhaupt nicht. Das ganze Gespräch war für ihn schon jetzt eine Qual. Er wusste, dass sein kleiner Bruder es verdiente, dass er mit ihm darüber sprach. „Warum hast du mir nicht gesagt, was er dir meinetwegen antat?“, stellte Jakob ihm auch schon die erste Frage.
Ein bitteres Lachen entwich ihm, sodass sich eine Gänsehaut auf den Armen aller Personen bildete, die sich in dem Raum befanden. Dem ein oder anderen schien das schon Angst zu machen, denn es hatte schon etwas Diabolisches an sich. Als sich Tizian endlich gefangen hatte, veränderten sich seine Gesichtszüge. Sie wurde wieder weicher, sehr weich und schwermütig.
Er stieß ein Seufzen hervor, ehe er antwortete: „Warum wohl? Ich wollte nicht, dass du genau das herausfindest. Du solltest es gut haben und eine schöne Kindheit haben, die ich dir leider mit meinem Handeln versaut habe. Stelle dir aber vor, du wärst an meiner Stelle gewesen. Was hättest du als Erstgeborener getan?“.
Wieder wurde das Zimmer von Schweigen gefüllt. Jakob überlegte und flüsterte dann ertappt: „Ich hätte dasselbe für meinen kleinen Bruder getan“. „Siehst du und genau das war der Grund, weshalb ich mich von dir distanzierte und dir sogar die Firma vor der Nase wegschnappte. Meine Kindheit war eh schon verpfuscht, da wollte ich nicht, dass du dich auch noch mit ernsten Themen herumschlagen musst“, führte Tizian weiter aus.
Natürlich hatte Jake es sich schon vorher gedacht, doch die Bestätigung von dem Menschen, der das über sich ergehen ließ, zu hören, war für ihn ein ganz schön großer Schock. Die Tränen, die ihm in den Augen gestanden haben, bahnten sich ihren Weg über sein Gesicht. Tizian und Krystal betrachteten ihn ungläubig.
Mit erstickter Stimme schluchzte er: „Du hast also für mich wirklich den Kopf hingehalten? Gott, was war ich nur für ein verdammtes Arschloch! Und ich dachte, dass du das alles aus purem Vergnügen machtest“. „Es war auch meine Schuld, wie alles gekommen ist, das kann und will ich nicht bestreiten. Vielleicht hätte ich doch mit dir darüber sprechen sollen, aber als ich sah, welche Wege du einschlugst ließ ich es beruhen“, ging Tizian einen Schritt auf seinen kleinen Bruder zu und erhob sich von der Couch.
Erstmals seit Jahren standen sich die Brüder neutral gegenüber. Vorsichtig tätschelte der Größere der beiden dem Kleineren den Kopf. Diese Geste würde es so schnell nicht mehr geben, darüber waren sich alle einig. Jakob, der weiterhin bittere Tränen vergoss, verstummte. Zaghaft ließ er meine Hand los und umarmte seinen Bruder.
Dieser wusste nicht so recht, wie ihm geschah, legte aber dennoch leicht seine Arme um ihn. „Es tut mir wahnsinnig leid, was ich alles getan habe. Hätte ich doch bloß früher gewusst, was passiert ist, dann hätte ich das doch nie getan“, entschuldigte er sich bei Tizian, dem das Gespräch sichtlich mitnahm.
Der Schwarzhaarige löste sich schließlich von ihm und sagte: „Leider kann man die Zeit nicht mehr zurückdrehen und … ich kann dir nicht verzeihen, was du getan hast, vor allem wegen Krystal. Ich kann dir nur anbieten, dass … dass wir uns öfters sehen und versuchen eine neutrale Beziehung zueinander aufzubauen“.
Erst da dachte Jakob an die junge Frau, die diese Begegnung schweigend beobachtete. Sein Blick legte sich nun auf sie. „Auch bei dir muss ich mich natürlich entschuldigen, obwohl ich genau weiß, dass es zwecklos ist. Ich möchte dir aber trotzdem sagen, dass mir klargeworden ist, was ich dir angetan habe und ich mich dafür schäme“, bekam auch Krys eine Entschuldigung von ihm.
Diese zwang sich zu einem kleinen Lächeln, ehe sie sagte: „Du kannst mich noch immer gut einschätzen, aber ich bedanke mich trotzdem bei dir. Ohne dich hätte ich vielleicht nie Tizian kennengelernt“. „Ich danke euch für euren doch lieben Worte, damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet“, zollte Jakob den beiden seinen tiefsten Respekt.
Noch immer konnte er nicht seinen Blick von ihr nehmen. Und das aus einem bestimmten Grund. Er meinte nämlich: „Du bist wirklich hübsch geworden und wenn ich so darüber nachdenke, warst du das schon immer. Ich war auf der einen Seite wirklich töricht, dich zu verlassen, aber auf der anderen Seite warst du auch nicht die Richtige für mich. Nur hätte ich dir nicht so sehr wehtun dürfen. Mein Bruder hat einen wirklich guten Fang mit dir gemacht“.
Sowohl Krystal als auch Tizian lächelten in sich hinein. Endlich war das ausgesprochen worden, was schon längst überfällig gewesen war.

 

Während des gesamten Gesprächs mit Jakob hatte Tizian uns genau beobachtet. Er hatte jede Regung unserer Muskeln bemerkt und uns von oben bis unten analysiert. „Ihr beiden also“, lautete sein Kommentar mit einem Blick auf unsere Hände, die noch immer eng umschlungen waren.
Sofort schossen mir Tränen in die Augen. Was würde nun folgen? Es war so ungewiss wie die Liebe mit Jakob, die noch so frisch, so verletzlich war.
Noch hatte er mir nicht die magischen drei Worte gesagt, doch ich war mir sicher, dass er es eines Tages tun würde. Ich würde ihn nicht darauf ansprechen oder gar dazu drängen, nein, ich ließ ihm so viel Zeit wie er wollte. Ein „Ich liebe dich“ würde von ihm nicht sehr schnell kommen, dessen war mir bewusst.
Doch ich wusste auch so, dass er mich liebte. Seine Blicke, die er mir zuwarf, waren voller Zuneigung und Liebe. „Sie ist mein Licht, das die Dunkelheit in mir verbannt. Meine Heilung, von all dem Schmerz, der tief in mir verankert ist. Giulia ist das Einzige, was ich berühren möchte. Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, dass mir jemand so viel bedeuten kann und damit nicht genug, sie bedeutet mir alles“, stand Jakob zu mir, was auch Tizian und Krystal erstaunte. Ich war überrascht von seiner Offenheit, sagte aber dazu nichts, weil ich wusste, dass er noch nicht fertig war mit dem Sprechen.
Er holte tief Luft, ehe er weiter sprach: „Sie folgt mir durch die Dunkelheit und weiß schon jetzt, was sich in mir verbirgt. Mit dieser Frau sehe ich klar und deutlich das Leben, welches uns erwartet. Es wird nicht immer einfach mit mir sein, doch ich bin bereit, mit ihr diesen schweren Weg zu gehen, der uns eines Tages ins Paradies führt. Bestimmt werde ich etliche Male am Rande des Abgrundes balancieren, doch weiß ich genau, dass Lia mir die Hand zu zum Paradies reichen wird. Zu unserem Paradies“.
Eine Welle der Rührung überkam mich und ich musste mit aller Kraft meine Tränen der Freude unterdrücken. Lieber warf ich mich in seine Arme, die sich schützend um mich legten. „Dieser Weg wird zwar lang sein, doch ich bin bereit ihn zusammen mit ihr zu gehen“, schloss er schließlich seinen Monolog und gab mir einen sanften Kuss auf mein Haar.
Als ich dann doch einen Blick zu ihm riskierte, erkannte ich, dass auch ihm Tränen in den Augen standen. Lächelnd blinzelte er diese weg. Dann strich er mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und beugte sich zu mir herab. „Glaubt mir, ich liebe diese Frau mehr als mich selbst und falls ich ihr doch wehtun sollte, dann dürft ich mich gerne eigenhändig umbringen“, flüsterte er. Dann nahm er mein Gesicht in beide seiner Hände und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
Benommen davon stammelte ich: „Genau das meinte ich. Du zeigst mir auf deiner eigenen Art und Weise, dass du mich liebst. Also liebe mich, liebe mich so wie du es tust, denn deine Liebe ist so wohltuend, so wohlwollen und so bedingungslos wie keine andere auf dieser Welt!“.
Glücklich wie eh und je blickte ich zum Ehepaar, das uns außerordentlich überrascht ansah. „Wie lange geht das mit euch schon?“, harkte Krystal nach, woraufhin ich antwortete: „Seit knapp zwei Stunden. Ich wollte, dass ihr es von uns persönlich hört und nicht von irgendjemand anderen. Das waren wir euch wohl mehr als schuldig“.
Beide lächelten uns schließlich an, obwohl ich auch Skepsis erkennen konnte. Jakob hatte den beiden aber schon vorher den Wind aus den Segeln genommen und so bedurfte es keinen weiteren unsicheren Worte. „Wenn du glücklich bist, dann akzeptiere ich das mit euch“, gab uns Krys ihren Segen, was ich ihr hoch anrechnete.
Selbst Tizian fand milde Worte: „Ihr seid zwar ein ungewöhnliches Paar und ich kann es noch immer nicht glauben, aber ich hoffe, dass ihr glücklich werdet, denn das ist das Wichtigste“. „Danke“, sagten Jakob und ich wie aus einem Munde, woraufhin wir alle lachen mussten. Da sind wir noch einmal mit einem blauen Augen davon gekommen.

 

Letztendlich hatte sich alles so zusammengefügt, wie ich es wollte. Ich war endlich mit meinem Traummann zusammen, der sich stets um mich bemühte. Ein paar Tage später hatte ich sogar erfahren, dass ich mein Studium mit Bravour abgeschlossen hatte. Also stand dem Umzug in Italien nichts mehr im Wege.
Dort würde ich eine Facharztausbildung zur Neurologin machen und wenn ich da an bestimmte Ereignisse während meiner Studien- und Arbeitszeit dachte, wusste ich auch schon, auf welchem Bereich ich mich konkretisieren würde.
Und Jakob? Der würde weiterhin für Tizian arbeiten und hin und wieder als Model tätig sein. Für ihn hatte sich also nicht viel geändert. Abgesehen vom Beziehungsstatus. Darüber war ich noch immer sehr stolz. Manchmal fiel er in sein kühles Muster zurück, doch ich war geduldig mit ihm und wies ihn auf seine Fehler hin.
Falls er doch einmal nicht sofort erkannte, dass er etwas barsch zu mir war, gab ich ihm Kontra, was ihn dann wieder zur Besinnung kommen ließ. Und jedes Mal entschuldigte er sich bei mir. Ja, unsere Beziehung war nicht einfach, aber wir hatten uns geschworen, es trotzdem miteinander zu versuchen.
Er hatte mir zwar nicht wie Tizian Krystal direkt einen Heiratsantrag gemacht, doch das war völlig in Ordnung. Es passte auch nicht zum Wesen von Jakob. So wie ich ihn kannte, wollte er das mit uns langsam angehen lassen. Was sprach auch dagegen? Nichts, denn wir hatten alle Zeit der Welt und außerdem waren wir endlich zusammen. Das war das wichtigste.
Erst einmal musste er seine Vergangenheit aufarbeiten und ich würde ihm dabei helfen. Das würde bestimmt einige Monate, vielleicht auch Jahre, in Anspruch nehmen, doch danach würden wir endlich unser Leben leben.
Ich freute mich auf Italien. Freute mich darauf, den Menschen, den ich so sehr liebte, stets bei mir zu haben. Mit ihm am Abend einzuschlafen und am Morgen wieder aufzuwachen. Jakob hatte so viel Potenzial in sich und ich war mir sicher, dass er lernen würde dieses auszuschöpfen. Ja, er würde mir die Welt zu Füßen legen!
Natürlich konnte mein Vertrauen zu ihm jederzeit missbraucht werden, doch würde ich nie wissen, wie das mit ihm ausging, wenn ich es nicht versuchen würde. Vermutlich würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen und mich genau das fragen. Außerdem bestand das Risiko, verletzt und enttäuscht zu werden in jeder Beziehung.
Leider ließen sich davon zu viele abschrecken, denn wenn man sich erst einmal darüber im Klaren war, wusste man die schöne Zeit umso mehr zu schätzen. Mit Jakob hatte ich schon jetzt viele tolle Momente erleben dürfen, die ich nie vergessen würde. Und ich wusste, eines Tages würde er zu mir die magischen Worte sagen: "Ich liebe dich, Giulia".

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Tag der Veröffentlichung: 09.11.2014

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