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Prolog


Der Wind heulte durch die Nacht und die Bäume bogen sich mit ihm. Der Mond war von tiefschwarzen Wolken verdunkelt, als wolle er seine Pracht hinter Tüchern verbergen. Eine Frau mit tiefschwarzen Haaren galoppierte auf einem ebenso schwarzen Pferd durch den Wald. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht und ihr Gewand triefte vor Nässe, doch sie ritt weiter als würde der Teufel persönlich sie verfolgen. Doch dies lag der Wahrheit nicht sehr fern, denn kurz nach ihr stürmte ein Heer von Soldaten, auch auf Pferden, hinter ihr her. Die Frau blickte starr gerade aus und drückte, tief auf den Hals ihres Pferdes gebeugt, ein kleines Bündel an sich. Darin lag, in warme Tücher eingewickelt, ein kleines Kind, das noch kein Jahr zählte. Es hatte die Augen geschlossen und bekam von dem ganzen Wirbel nichts mit. Noch nicht. Jetzt bremste das Pferd mit einem Ruck ab, der die Frau fast von diesem fallen ließ. Vor ihnen tat sich ein Abgrund auf, in dem ein atemberaubender Wasserfall in den tosenden Tiefen verschwand und er riss alles mit was sich ihm in den Weg stellte. Die Frau sah sich gehetzt um, doch als sie die näherrückenden Soldaten hörte, fasste sie sich wieder und schloss die Augen. Ihre Lippen fingen an, tonlos ein paar Worte zu formen und mit einem Mal erfüllte ein Strahl gleißend hellen Lichts den schwarzen Himmel und ließ die anrückenden Soldaten zurückschrecken. Der Strahl weitete sich aus, als das Kind plötzlich die verschiedenfarbigen Augen aufschlug. Die Frau legte ihm zwei Finger auf die Stirn und flüsterte etwas, woraufhin sich ein Licht über dem Kind ergoss. Dann war es mit dem Strahl verschwunden. Die Frau sah sich noch ein letztes Mal um, ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen, dann stürzte sie sich samt Pferd in die tosenden Wassermassen und verschwand noch ehe der Anführer der Soldaten sie erreichen konnte. Während der Rest ängstlich zu dem Wasserfall sah brüllte er jedoch wutentbrannt: „Méi noard toâr krîeg! Eto dârn!“ „Ich werde dich finden! Und töten!“


Anfang einer Geschichte



Chantrea war jetzt fünfzehn Jahre alt und hatte absolut keine Erinnerungen an ihre Vergangenheit. Wie auch? Sie war ja gerade mal zehn Monate alt gewesen als man sie damals nachts, bei Vollmond, auf einem Feld in der Nähe von Marsberg gefunden hatte. Deshalb der Name „Chantrea“. Er bedeutete „Mondlicht“. Sie war zu einem hübschen, jungen Mädchen herangewachsen. Das sagten zumindest alle. Sie hatte mahagonifarbene Haare, die ihr bis zu den Schulterblättern reichte und einen schlanken Körper, der von ihren markanten Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen betont wurde. Das alles war ja recht schön, wären da nicht diese schrecklichen Augen, die alles in den Schatten stellten. Denn unter den fein geschwungenen Augenbrauen und den dichten, langen Wimpern, bot sich einem ein gruseliger Anblick. Sie hatte ein smaragdgrünes Auge und ein tiefbraunes. Immer wollten ihr alle sagen, dass es sie nicht störte, nur damit sie sich am Ende doch nicht von diesen Augen losreißen konnten. Die Blicke der Leute durchbohrten sie manchmal förmlich und kleine Kinder zeigten auf sie. Das alles war wirklich schrecklich.
Chantrea wollte gerade in ihre Straße einbiegen, als sie an der gegenüberliegenden Kreuzung jemanden stehen sah, der sie anscheinend eingehend beobachtete. Sie blieb stehen und erwiderte seinen Blick unter der Kapuze seines schwarzen Umhangs. Es war komisch denn obwohl sein Gesicht in Schatten getaucht war, konnte sie es genau erkennen und plötzlich war sie wie gelähmt. Seine Augen waren dunkelbraun. So dunkel, dass es schon fast schwarz aussah. Und sein unergründlicher Blick lag ruhig auf ihr. Sie hätte fast meinen können, dass er sogar recht attraktiv wirkte, wären seine Gesichtszüge nicht so verhärtet gewesen. Er konnte nicht viel älter sein als sie. Vielleicht ein oder zwei Jahre.
Plötzlich verzogen sich seine schmalen Lippen zu einem Lächeln und es war als würde mit einem Mal jegliche Luft aus Chantreas Lungen gepresst. Sie krümmte sich hustend, den Blick noch immer auf den Jungen gerichtet. Als sie schon Sterne sah und sie kurz vor der Ohnmacht war, sah sie noch wie er sich abwandte und auf einmal verschwunden war. Dann wurde alles schwarz.

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Tag der Veröffentlichung: 03.01.2010

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