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Die Frau mit dem Strohhut und den langen, glatten, schwarzen Haaren stand vor der Meute.

Der wütenden Meute, genauer gesagt.

„Finde ihn, dieses Schwein, finde es und bring ihn her tot oder lebendig.“, sagte der Mann, dessen Schlagader immer weiter am Hals hervortritt.

„Warum?“, fragte die Frau und zog den Hut noch tiefer ins Gesicht, damit niemand ihr gewinnendes Lächeln sah.

„Wir werden dich gut bezahlen, bring einfach diesen Mörder her.“, sagte der Mann und zeigte ihr einen Beutel voll Münzen.

„Gut. Kein Problem.“, sprach sie und ging davon.

„Danke.“, sagte die kleine Tochter des Mannes.

Sie drehte sich nicht mehr um und rannte den ganzen Weg.

„Wie geht es dir.“, fragte sie den jungen Mann, der vom Baum hängte. Sein Gesicht war bleich und kalt wie der Tod selbst.

„Es tut mir leid, aber ich musste es tun das verstehst du doch, es ist mein Job Mörder umzubringen und das bist du nun mal.“, sagte sie und streichelte ihm über das Gesicht. Sie war wie immer schneller als der Mörder. Genau wie sie, sie waren beide Mörder. Er hatte den Bruder des Mannes mit der hervortretenden Halsschlagader getötet.

„Ich hab dich sehr gern, aber es musste nun mal sein mein Schatz. Ich lebe davon Mörder zu töten.“, sagte die Frau mit dem Strohhut.

Sie waren beide Mörder, mit dem Unterschied, dass er die Drecksarbeit machte. Heutzutage gibt es viele Jäger und Jägerinnen in den Wäldern, doch sie war eine der bekanntesten. Mit Jäger sind nicht die Menschen gemeint die Tiere töten, das gilt heutzutage als Mord, sondern die, welche Mörder töten.

Mörder sind weniger wert als Tiere zu dieser Zeit.

Die Frau mit dem Strohhut, noch nie hatte einer ihr vollständiges Gesicht gesehen.

Ihre Gejagten sind immer junge Männer, immer schön.

Menschenleben zählen für diese Frau nicht. Nicht das der Opfer, oder das der von ihr selbst getöteten.

„Kein Problem.“, war immer das letzte was man von ihr hörte.

Sie rannte zurück zu dem kleinen Dorf, mit der Leiche auf ihrem Rücken.

„Da, hier ist er, er ist tot.“, sagte sie dem wütenden Mann.

„Das haben sie gut gemacht.“, sagte der Mann und lächelte bösartig: „Geben sie mir den Leichnam.“

„Nein.“, sagte sie und zog ihr silbern glänzendes Schwert: „Habt ihr nichts über die Strohhut Mörderin gehört? Der Leichnam gehört mir. Gebt mir das Geld und dann ist gut.“

„Schon in Ordnung, steck das weg.“, sagte er und blickte voller Furcht auf das silbern glänzende Metall: „Hier das Geld.“

„Danke, das war kein Problem.“, sagte sie und sie verschwand mit dem Leichnam und dem Geld wieder im Wald.

„Sie ist seltsam.“, sagte das kleine Mädchen.

„Ja, aber eine der Besten.“, antwortete der wütende Mann, dessen Wut langsam verschwand.

„So und nun mein Schatz kommt das bekannte Ritual.“, sagte die Strohhut Frau und küsste den Leichnam: „Es tut mir leid, das du das immer wieder über dich ergehen lassen musst, aber es geht nun mal nicht anders.“

Sie schloss den Leichnam in ihre Arme und begann ihn hin und her zu wiegen, dazu flüsterte sie leise ein Gebet.

In dieser Nacht schien es, als kämen hunderte von Regenbogen vom Himmel herab. Das Xian des jungen Mannes kam wieder aus dem Himmel. Seine unsterbliche Seele.

Sie war eine Jägerin wie es im Buche stand. Aber nicht bloss wie die anderen Leute dachten eine Mörderjägerin, so wie es dutzende in den Wäldern gab. Sondern eine Seelenjägerin, eine Frau mit der Macht Seelen zurück aus dem Totenreich zu holen. Eine der Letzten.

„Koko.“, sagte der junge Mann und hob den Hut vom Kopf der Frau hinweg.

Nur er durfte ihr Gesicht sehen.

Ihr schönes junges Gesicht, mit den grünen Mandelaugen, war von tausend kleinen Narben übersäht.

„Hiroki ich hoffe es geht dir so gut wie vorher.“, sagte die Strohhut Frau, die offensichtlich Koko hiess.


„So ein unschuldiger Name, für so ein verdorbenes Mädchen.“, hatte Hiroki nach dem ersten Tod gesagt.

„Ich habe mich nicht so genannt, es waren meine Eltern.“, hatte Koko geantwortet und Hiroki geküsst: „Koko heisst Storch, der für die Langlebigkeit steht.“

„Wie alt bist du eigentlich meine Koko?“, hatte er gefragt, als sie sich neben ihn gelegt hatte.

„Es scheint so, als wäre ich unsterblich, was kümmert mich wie alt ich bin?“, hatte sie lachend gefragt.

„Du hast recht.“, hatte er gesagt und seinen Kopf noch näher an ihren heran gelegt: „Bin ich jetzt wirklich auch unsterblich?“

„Nicht wirklich.“, lachte sie erneut: „Ich kann dich auch einfach tot lassen, aber du alterst nicht und stirbst nur an Mord oder Krankheit. Allerdings kann ich dich wenn du bei mir bleibst immer wieder erwecken.“


„Ja geht es.“, sagte Hiroki, als er jetzt zum ungezählten Mal wieder aufgewacht ist.

Koko fragte nicht mehr, wie der Tod sei. Zu oft hatte sie die falsche Antwort bekommen.

Sie war neugierig auf den Tod, wie ein kleines Mädchen auf die Bescherung an Weihnachten. Die, die selbst ja niemals wirklich sterben konnte.

„Schön.“, sagte Koko und setzte sich wieder den Strohhut auf. Auch vor Hiroki blieb das Gesicht nicht lange unverdeckt.

„Du musst dich wegen den Narben nicht schämen. Ich liebe dich auch so.“, sagte er und zog ihr den Strohhut wieder so tief ins Gesicht, wie sonst.

„Ich mag sie einfach nicht.“, sagte Koko und wurde unter dem Strohhut rot.

„Die neue hab ich sowieso schon gesehen. Sie ist unter der rechten Augenbraue.“, Hiroki nimmt Kokos Hände in die seinen und reibt seine Wange an ihnen: „Es tut mir so leid, dass ich das deinem wunderschönen Gesicht antue.“

„Ich bringe dich regelmässig um und du hast Angst um mein Gesicht.“, lacht Koko höhnisch, bis ihr plötzlich die Tränen kommen.

„Nicht weinen Koko Schatz.“, sagte er und küsste sie wieder.

„Der Gedanke, dass du nicht mehr aufwachen könntest macht mich krank.“, sagte Koko, nach dem Kuss.

„Hör auf. Ich weiss das es einige vor mir gab.“, sagte er und lachte.

„Aber keiner war mir so lieb wie du.“, sagte sie und streichelte ihn die Wange: „Komm wir gehen von hier fort. Diese Leute waren besonders schlimm.“

Sie stand auf und Hiroki folgte ihr auf dem Fuss.

Die zwei streifen durch das Land, wie lange weiss kein Mensch, aber vielleicht wissen es die Vögel. Doch wer würde schon die Vögel fragen.

„Hiroki, wie lang soll ich dich wohl noch behalten.“, fragte Koko aus heiterem Himmel.

„Ewig.“, sagte er lachend.

„Ich will gar niemand anderen ausser dir.“, sagte sie und schmiegte sich an ihn.

Mit jedem Tod wurde seine Körpertemperatur etwas niedriger, bald würde er nutzlos sein, dass wusste sie, aber sie wollte es nicht wahrhaben.

Noch wollte sie den schönen Traum des ewigen Lebens für sich und ihren Geliebten weiter träumen.

‚Noch einmal werde ich dich benützen und dann wirst du entscheiden dürfen.’, dachte sie bei sich.

„Warum holst du nicht eigentlich einfach die Seelen der Leute zurück, die ich umgebracht habe?“, hatte Hiroki sie eines Tages gefragt, es war klar, dass er sie eines Tages danach fragen würde. Jeder hatte sie das bereits gefragt.

„Es ist mir zu umständlich, ich will nicht jedem erklären, was ich bin und was ich kann. Ausserdem ist es gefährlich für mich. Man könnte mich einsperren und dann würde es auch noch überall in den Wäldern nicht alternde Menschen geben.“, hatte sie jedes Mal geantwortet, oder besser gesagt heruntergeleiert. Es waren Entschuldigungen, sonst nicht. Es war ihr schlicht und einfach zu anstrengend.


„War die Bezahlung gut?“, fragte Hiroki auch dieses Mal.

„Ja, davon können wir wieder einige Tage leben.“, antwortete sie und schlug die Richtung der grossen Stadt ein, ausserhalb der Wälder und der Dörfer, in der ein Menschenleben noch weniger zählte, als sowieso schon in diesem Zeitalter.

Mord- und Rachegelüste schufen schwarze Schatten in den Herzen der Menschen.

Nur dank denen, war der Beruf des ‚Jägers’ so lukrativ wie nie zuvor.

Niemand sprach Koko, die den Strohhut noch immer tief ins Gesicht gezogen hatte und ihren Begleiter Hiroki, der immer ein wenig in ihrem Schatten stand, an.

Nicht auf den grossen Marktplätzen, nicht in den Tavernen und nicht in der Herberge.

Zu sehr strahlten die beiden dieses gewisse etwas aus. Den meisten Menschen unbemerkt rochen die beiden Menschen nach Tod. Nicht ein einziger konnte diesen Geruch einordnen. Niemand hat je den Tod selbst gerochen. Aber trotzdem lässt er die Menschen Abstand halten.

Immer wieder hörten sie in der Stadt Verzweiflungsschreie von Müttern, de ihre Kinder verloren, oder Ehemänner die verzweifelt nach ihren Frauen suchten.

Von Brüdern und Schwestern, Geliebte und Geliebter.

Alle verloren sie den Anderen.

Und Koko wusste, dass sie das Leiden der einigen verändern konnte. Dass sie nicht wie alle anderen einfach nur dasitzen konnte und stumm dem Leid zusehen.

Aber das Leiden in der Stadt war ohne Anfang und ohne Ende.

Selbst wenn sie alle Toten der Stadt wieder erweckte, so wären am anderen Ende der Stadt schon wieder neue Opfer des Todes gefunden.

Sie wusste nicht wie viele Seelenjägerinnen es noch gab, vielleicht war sie die letzte.

Und wahrscheinlich war das auch gut so, aber dagegen, dass die Schreie der Hinterbliebenen in ihren Gedanken herum spukten konnte auch dieses Wissen nichts machen. Es war gut, dass die Menschen nur ein Leben hatten. Es war gut dass sie in den Tod fliehen konnten.

Und eine Sünde ihn aufzuhalten, so wie bei Hiroki.

Der verborgene Grund, tief in Kokos inneren selbst versteckt. Menschen sollten sterben dürfen, sollten altern dürfen.

Die Seelenjäger sind verflucht, der Wunsch nach Macht wurde erfüllt. Sie waren die Herrscher über Leben und Sterben, sie erhielten sie Macht über den Tod aller Menschen, nur nicht über den eigenen.

„Komm Hiroki, wir gehen.“, sprach Koko am nächsten Morgen und das Verlassen der Stadt kam einer Flucht gleich.

Bald kamen die beiden wieder ins nächste Dorf.

Wieder mordete Hiroki einen engen Verwandten des Höchsten des Dorfes und wieder tötete Koko ihn sofort danach. Wieder stand die Strohhut-Jägerin vor der wütenden Meute und wieder hörte sie denselben Dialog.

„Bring diesen Bastard her, tot oder lebendig.“, sagte der Oberste des Dorfes.

„Warum?“, wie oft war Koko diese Frage jetzt schon über die Lippen gekommen.

„Wie werden dich gut bezahlen.“, sagte der Mann. Die Aussicht auf Bezahlung entlockte ihr noch immer ein Lächeln.

„Kein Problem.“, sprach sie und lief davon.

Das ewige Spiel.

Sie holte Hiroki, stritt um seinen Leichnam, bekam ihn schlussendlich und wartete, mit ihm in ihren Armen auf die Nacht.

Wieder sprach sie das monotone Gebet.

Wieder kamen Regenbogen vom Himmel herab, doch sie wollten nicht in den Körper des jungen Mannes, kein Xian war das seine.

Seine Seele war verwirkt. Zu oft war er gestorben, hatte ein Stückchen Xian und ein wenig Körpertemperatur dabei verloren.

Koko wiegte den Leichnam, der nun endgültig tot war lange in den Armen. Die ganze Nacht sang sie die Totenmessen, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte.

Keine einzelne Träne floss aus ihrem Auge in dieser Nacht. Kein Schluchzer oder Wimmern kam über ihre Lippen.

Sie war die letzte ihrer Art und das war auch gut so. Niemand sollte alle überleben müssen, die ihnen lieb waren. Niemand sollte leben ‚müssen’

Doch trotzdem fragte sie schon am nächsten Tag einen schönen, jungen Mann.

„Wie ist dein Name?“

„Takeru.“, sprach dieser eingeschüchtert von dem vernarbten Gesicht der Frau.

„Nun Takeru, Lust dein schönes Gesicht für immer zu behalten?“, fragte Koko: „Willst du an meiner Seite unsterblich sein und in Luxus leben?“

Der junge Mann nickte.

„Aber es fordert seinen Preis, bist du einverstanden damit?“

Wieder nickte er, was konnte die zierliche Frau ihm schon grosses antun.

Vor allem wenn er unsterblich sein würde?

Und so brachte die junge Frau den jungen Mann schon in der nächsten Nacht um.

Ich habe die Vögel gefragt, wie lange diese Frau es schon tat.

Wie lange es die Strohhut-Jägerin schon gab.

Doch sie gaben mir keine Antwort.

Sie sprachen bloss: „Sie sprach, sprach sie, kein Problem, Problem kein.“

Nachdem sie mir dies erzählten flogen sie davon und ich sah ihnen lange nach.

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Tag der Veröffentlichung: 02.04.2010

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