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Prolog

 

„Des Teufels Erlöser, ein Kind, wird auf die Erde kommen. Bewaffnet mit einer Klinge aus Silber, Glas und Menschenblut. Jedoch ob es ihn damit erlöst oder uns ins Verderben stürzt, bleibt seine Entscheidung ganz allein.“


Dies wurde uns jeden Falls prophezeit als Satan der Welt einen „Ewigen Winter“ schenkte.
Bis heute ist mir nicht klar, was Gott damals damit meinte. Doch ich hatte schon immer das Gefühl, das es irgendetwas mit mir zu tun hat.

 

Kapitel 1: Start

Warum müssen Supermärkte kurz vor Ladenschließung immer so überfüllt sein? Wieso gehen die Leute immer auf den letzten Drücker einkaufen, wenn sie noch dringend etwas brauchen?

Bohr, ey! Seit ich in Cambridge angekommen bin, hab ich irgendwie immer was zu Meckern. Und dieses Mal ist es eben der kleine Tante-Emma-Laden namens Gracie’s . Na ja, ich bin auch nicht viel besser als diese Leute hier, denn ich hole mir auch gerade das, was ich noch dringend benötige. Ich griff nach zwei Tüten Kartoffelchips, die im untersten Fach des Knabber-Zeug-Regals lagen. Dann lief ich zur Getränkeabteilung, wo ich mir eine Flasche Cola nahm. Doch plötzlich hörte ich ein Geräusch. Es klang wie eine Art Fauchen und kam aus der hintersten Ladenecke. Aber als ich mich in diese Richtung drehte, konnte ich leider nichts Merkwürdiges entdecken. Ich hielt es erst einmal für belanglos. Und so stolzierte ich munter zur Kasse, als hätte ich nie irgendetwas gehört. Ich stellte mich an. Die Schlange vor mir war lang, aber sie schrumpfte ziemlich schnell. Dann waren nur noch zwei Leute vor mir. Zwei ältere Damen. Doch plötzlich krachte etwas. Dem Kassierer fiel vor Schreck sogar eine Suppendose aus der Hand. Bei allen, die sich hier gerade umschauten und sich fragten was das gewesen sei, war der Schock ihnen quasi auf die Gesichter gemeißelt. Selbst bei mir. Ein Regal, wo Marmeladen -, Wurst- und Gurkengläser gelagert wurden, war umgekippt. Der Boden war überschüttet von Scherben und Lebensmitteln. Doch wodurch war es umgefallen? Vielleicht durch irgendwelche Rowdys? Nein, da waren keine, aber dort war etwas ganz anderes. Es kam ganz plötzlich, so schnell konnte man gar nicht gucken, auf mich und diese Leute hier zugerast. Dieses „Etwas“ war ein Dämon und wenn ich mich jetzt nicht getäuscht habe, hat es mich gerade böse angefunkelt. Dann fauchte es, so wie vorhin in der Ladenecke, nur noch aggressiver. Fuck. Das fehlte mir noch. Ich nahm blitzschnell mein Zeug vom Fließband, steckte es in meine Tasche und warf dem Kassierer einen Fünf-Pfund-Schein zu. „Die Bezahlung.“ Murmelte ich. Dann rief ich lauter zum Dämon: „Hey, fang mich doch, wenn du kannst!“ Und ich rannte hinaus, in der Hoffnung der Dämon würde mir folgen. Ich hörte wie der Kassierer noch ein „Hey“ ausschrie.

Ich rannte und rannte ich eine Pflasterstraße hinunter. Dann blieb ich stehen und kam leicht ins Wanken. Unter meinen Füßen war Eis. Ich schaute nach hinten. Tatsächlich. Dieses Monstrum war mir zum Glück gefolgt, sonst hätte es für die Menschen im Gracie’s nicht gut ausgesehen. Ich betrachtete schließlich den Dämon etwas genauer. Er war nicht sonderlich groß. Nur etwa so wie ein Mops. Und es schwebte ein paar Zentimeter über dem Boden, was aber fast alle Dämonen machten. Deswegen konnte ich leider noch nicht feststellen, zu welcher Gattung es gehörte. Aber irgendwie… funkelte das Vieh mich, mit seinen Glupschaugen, wütend an. Dann fletschte es mit den Zähnen und knurrte: „Hab…ich…dich…Engel...“   „Hm? Seit wann kann denn die Teufelsbrut reden?“ fragte ich mit spöttischem Unterton. Aber eigentlich war ich wirklich sehr überrascht darüber. Noch nie hatte ein Dämon mit mir gesprochen und so etwas konnten sie normalerweise auch nicht.

Ein Mutant?

Es fing plötzlich an zu lachen. Und dann raste es wieder auf mich zu, genau wie im Gracie’s. Aber diesmal quellten seine Augen nur so vor Mordlust über. Jetzt erkannte ich was für ein Dämon es war. Es handelte sich hier eindeutig um einen Howl, einen Hassgesteuerten. Ich knöpfte mir meinen Mantel auf und griff nach meinem Schwert. Dann zog ich es aus der Scheide. „Eng…el…“ rief es wieder. „Schnauze!“ Mit erhobener Klinge rannte ich auf es zu. Doch leider wich es mir flink aus. Plötzlich spürte ich einen Schmerz in meiner freien Hand. Der Howl hatte mich gebissen. Ich hörte wie mein Blut auf den Boden tropfte. Das Vieh lachte wieder gehässig: „Eng…el… sieh… nur…. das… gan…ze…  Blut… ist… es… nicht…wunder…schön? Eng…el!“ Das Geschwätz von diesem Dämon ging mir ja schon allein auf die Nerven. Also machte ich ganz einfach kurzen Prozess mit ihm. Und zwar indem ich seinen Kopf in zwei genau symmetrische Hälften spaltete, als es noch irgendetwas gelabert hatte. Unaufmerksam. Würde ich mal sagen. Mein Schwert wurde bei diesem Druck weggeschleudert. „Eng…el… dieses… Gefühl….  ist… unbeschreiblich…du… bis…. Wahrlich… ein … Engel…“ faselte es zu letzt.

„Unsinn. Engel gibt es doch gar nicht! Und Götter erst recht nicht!“

Ich schaute hoch zum Vollmond…

Aber Dämonen, die gibt es eben…

 

Mein Name ist Elizabeth Rainford. Ich wurde vor sechzehn Jahren in Rom geboren, bin aber in einem englischen Waisenhaus aufgewachsen. Seit drei Jahren bin ich hauptberuflich als Exorzistin tätig. Im letzten Monat stieg ich zum Rang BlackWizard auf, also das höchste was geht. Und noch dazu bin ich die jüngste. Von den BlackWizards gibt es immer nur einen pro Nation. Nämlich der beste von den Exorzisten aus einer Abteilung. In jedem Land gibt es eine Abteilung. Das Hauptquartier befindet sich immer in der Hauptstadt. Unser Exorzistenorden nennt sich Orden der schwarzen Retter. Als Exorzist gehört es nicht nur dazu Dämonen zu beseitigen und an Gott zu glauben, sondern ihm auch seine Treue zu schwören. Doch ich habe schon vor langer Zeit den Glauben in ihm verloren. Wenn es einen gäbe, hätte er niemals zugelassen, dass die ganze Erde, die er geschaffen hatte, in einen „Ewigen Winter“ gestürzt wird. Seit nun sieben Jahren liegt die Welt unter einer dicken Schnee- und Eisschicht begraben. Und dies war das Werk des Teufels. Ich habe mir ein Ziel vor Augen gesetzt. Das ist der einzige Grund der mich am Leben hält. Ich möchte Satan besiegen. Das ist mein größter Wunsch. Ich möchte so gern die Sonne wieder auf meiner Haut spüren und die Kinder lachen sehen… wie sie glücklich über die Wiesen tollen… so wie ich früher.

 

Diese Nacht war noch so jung und doch schon voller Blut…  

 

Kapitel 2: El Tomogai

Ich erwachte plötzlich aus meinem traumlosen Schlaf. Aber nicht wegen der Morgensonne, die hell und warm auf mein Gesicht schien, sondern wegen diesem kleinen fetten Mückendämon, der über mir herumkreiste. Angenervt und noch total verpennt, aber sogleich putzmunter, richtete ich meinen Oberkörper auf, klatschte in die Hände und siehe da: Das Insekt war Matsch. Dann öffnete ich meine Hände wieder und betrachtete sie schließlich. Ich stieß ein angewidertes „Bäääh“ hervor. Grün-gelber Schleim, wie lecker. Völlig angeekelt schmierte ich das Zeug an die Bettdecke, die eigentlich der schmuddeligen Pension gehörte, in der ich übernachtet hab, aber das war mir jetzt Wurst. Ich stand auf und riskierte einen Blick in den Spiegel. (Der war übrigens sehr klein, hing an der Tür und war noch dazu dreckig ) Die Gestalt, die ich darin sah, ließ mich zusammenzucken. Wie ich aussah… meine langen braunen Haare waren völlig zerzaust, mein Gesicht käsig-weiß und müde… das lag daran, dass ich gestern sehr spät eingeschlafen war, weil mir der sprechende Dämon einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Und deshalb auch meine Haare so wild aussahen, weil ich mich bestimmt wegen eines Albtraums (an den ich mich nicht erinnern kann) im Bett hin und her gewälzt habe. Ich nahm meine Bürste zur Hand und kämmte mich durch den Fitz. Ich verkniff mir die Schmerzensschreie. Dann ging ich ins Bad, was außerhalb meines Zimmers war, also hinter irgendeiner Tür auf dem Flur, und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Danach ging ich zurück in meinen Raum und entfernte erst mal den Verband, um mir die Wunde anzuschauen, die mir der Dämon gestern zugefügt hatte. Diese Bisswunde sah echt hässlich aus, aber sie hatte sich zum Glück nicht entzündet. Ich legte mir einen neuen Verbannt an. Dann packte all mein Zeug zusammen. Als ich damit fertig war lief ich die Treppe hinunter und näherte mich der Rezeption. „Guten Morgen.“ Sagte ich höflich zum Portier. Dieser blickte auf und begrüßte mich unfreundlich. „Ich checke aus.“ Sagte ich dann, legte den Zimmerschlüssel auf den Tisch und bezahlte meine Rechnung. Zum Abschied sagte der alte Mann gelangweilt: „Beehren sie uns bald wieder.“ Ganz bestimmt nicht. Ich verließ mit einem einfachen „Auf Wiedersehen“ die Pension. Ich lief auf einer Pflasterstraße entlang. Geradeaus. Plötzlich vibrierte mein Handy. Ich zog es aus meiner Hosentasche und starrte aufs Display. Ich las den Inhalt der SMS.

 

Von: John Blacksmith

24.06.2018, 11:37

 

Hallöschen Lizzy, hab gehört du bist beruflich in der Nähe. Ich muss mit dir unbedingt was besprechen. Also schwing deinen süßen Knackarsch flott hierher <333

         

Als ich damit fertig war dachte ich mir so: „Alter, ich war sowieso auf dem Weg zu dir, Pedo!“ John Blacksmith war ein Waffenschmied, der den Orden der schwarzen Retter mit Exorzistenwaffen belieferte. Er wohnt mit seiner Frau und seinen sechs Kindern in Cambridge, in einem großen Fachwerkhaus, an dem ich nach zwanzigminütigem Marsch angekommen war. Mein Arm bewegte sich zur Klingel. Doch kurz bevor ich drücken wollte flog die Tür auf. Aus ihr rannten zwei Jungs. Ich schaute verwirrt drein. „Du hast mein Essen weggefuttert, jetzt musst du den Schnee küssen!“ rief der eine. „Du bist doch zu spät runtergekommen!“ – „Das ist kein Grund!“ – „Affenhirn!“ – „Allesfresser!“ Die haben sich aber lieb. Beide hatten hellbraune Haare, waren gleich groß und alt und trugen auch dieselben Klamotten. Es waren die Blacksmith-Zwillinge, Eric und Evan. Da die Haustür noch sperrweit offen stand und die zwei sich sowieso gerade in den Haaren hatten, nutzte ich die Gelegenheit und kam unbemerkt ins Gebäude. Ich lief einen kurzen schmalen Flur entlang und blieb vorm Eingang der Küche stehen. Alle saßen am Tisch, aßen, lachten und redeten mit miteinander. Wie eine richtige Familie. Da ich nie wirklich eine hatte, wirkte dieses Bild für mich etwas fremd. Doch dann bemerkte ich, dass außer den Zwillingen doch noch welche fehlten. Nämlich Lily und Shane. (Ich erinnere mich gar nicht mehr an sein Aussehen, nur daran, dass er voll still und ein Jahr älter als ich war.) Es saßen dort nur John, seine Frau Eleanor, der älteste David und der jüngste Colin. Ich klopfte an den Türrahmen. Die vier blickten auf. „E-Elizabeth?“ murmelte Eleanor etwas ungläubig. „Wer ist das?“ fragte Colin und David flüsterte ihm was zu. John stand auf und kam auf mich zu. Unsere Blicke trafen sich. Sie waren irgendwie verwirrt auf beiden Seiten. Nun ja wir hatten uns ja auch sieben Jahre lang nicht gesehen. Er war älter geworden. Das ist auch klar, aber so ziemlich… seine Haare waren grau geworden und waren nicht gepflegt. Sein Gesicht war mit Augenringen und ein paar Falten gezeichnet. Ich glaube das kam vom Rauchen und dem Alkohol und auch von der harten Arbeit, die er verrichtete. Das einzige was unverändert war, war die Narbe, die durch sein linkes Auge ging. Diese hatte er von einem Kampf mit einem Dämon davon getragen, als er etwa in meinem Alter war. „Sag ich doch. Du bist in den Jahren ziemlich hübsch geworden.“ Sagte er. Damals als ich vor sieben Jahren nach Italien gehen musste sagte er: „Wenn wir uns nach ein paar Jahren wiedersehen, bist du eine hübsche Frau.“ Ich kehrte ihm damals den Rücken zu und ging einfach, doch jetzt konterte ich: „Und was willst du, du alter Lustmolch?“ – „Das ist Geschäftlich.“ – „Schön.“ Eleanor war jetzt auch aufgestanden. „Aber iss doch erst mal mit uns, Liz.“ Schlug sie vor. Dieses Angebot konnte ich ihr einfach nicht abschlagen, denn ihr Essen schmeckte so was von göttlich und außerdem war sie das freundlichste Geschöpf, was ich jemals kennengelernt habe. Dann setzten wir uns. Okay, das war auch das erste Essen, was ich heute in den Magen bekam. Es gab Fish and Chips. Wenig später kam auch Lily herein geplatzt. Sie hatte einen Säbel in der Hand, an dem Blut hinunter tropfte. Ich identifizierte es als Dämonenblut. Ich sprang auf und machte flink ein paar Schritte auf sie zu, bis ich direkt vor ihr zum Stehen kam. „Du weißt schon, dass das illegal ist! Du betreibst Schwarzexorzismus!“ wies ich die Neunzehnjährige zurecht. Ich glaube es sieht etwas komisch aus, wenn eine Sechszehnjährige eine Neunzehnjährige belehrte. Noch dazu, das ich von der Körpergröße her auch viel kleiner war als sie. „Na und? Irgendjemand muss doch diese Viecher beseitigen!“ gab Lily frech zurück. „Wenn du so was unbedingt machen musst, beziehungsweise machen willst, dann stell dich dem Orden vor und arbeite als Exorzistin.“ Schlug ich ihr vor. Ihre Miene verdüsterte sich etwas. „Ich lass aus mir doch keinen Sklaven der Regierung machen. Ich bin nicht so… wie Shane.“ „Dir ist schon bewusst, dass ich als BlackWizard, dich hier und jetzt festnehmen darf. Aber das mach ich nicht, weil ich nicht so ein arroganter Schnösel von ganz oben bin, der glaubt er könnte alles machen was er will. Ich scheiße echt auf die verdammte Regierung, aber ich persönlich brauch einen Lebensgrund, eine Aufgabe von jemanden.“ Lily zog ein Lächeln auf. „Also was ist mit Shane?“ hakte ich nach. Ich fragte nach, weil ich von gar nichts wusste und weil Lily und Shane als Geschwister schon irgendwie eine besondere Bindung zueinander hatten. Ihre Antwort erstaunte mich zutiefst. „Kurz nach dem du nach Italien versetzt wurdest, haute er ab. Wir wissen bis heute den Grund nicht. Aber wir erfuhren, dass er ein Exorzist beim Orden der schwarzen Retter ist.“ „Verstehe…“ Dann meldete sich John auf einmal zu Wort. „Lizzy, kommen wir nun endlich zum Geschäftlichen. Folge mir bitte in die Werkstatt.“ Wie er das betonte… so in einer Art Sing Sang. „Jaja… notgeiler alter Sack.“ Eleanor machte einen naja… etwas geschocktes Gesicht. Ich hätte es wohl lieber nicht sagen sollen, da der Jüngste anwesend war. Ich fragte mich irgendwie schon die ganze Zeit, wie sie es bei ihm aushalten konnte.

 

 

So da waren wir nun in der Schmiede Blacksmith. Seit den etwa sieben Jahren, seit denen ich nicht mehr hier war, hatte sich eigentlich nicht groß etwas geändert. Da waren Waffen an der Wand, von Dolchen, über Schwertern und Äxte bis zu Pistolen. Werkzeuge lagen verstreut herum, also unordentlich wie immer. Und das Feuer brannte in der Schmelze. John schloss die Tür, nach dem ich eingetreten war. Dann begann er schließlich zu erzählen, doch es klang für meine Ohren, wie ein anderer John Blacksmith, total düster. „Was ich dir jetzt erzähle, wissen nicht einmal meine Kinder und meine Frau. Nur Shane und das ist auch der Grund, warum er abgehauen ist.“ Ich merkte sofort auf Anhieb, dass jetzt etwas ziemlich krasses kommen würde, doch damit hab selbst ich nicht gerechnet. „Du erinnerst dich bestimmt noch daran, dass ich vor sieben Jahren nur am arbeiten war?“ hakte er nach und schaute mich an. Ich nickte. Er fuhr fort: „Damals wollte ich unbedingt um jeden Preis, die beste Antidämonenwaffe schmieden. Doch dies gelang mir einfach nicht. Eines Nachts, als ich mal wieder in der Werkstatt war, sprach eine Stimme zu mir: Ich habe die Macht jedem zu helfen, der gerade in Not ist. Ich werde dir sagen, was du tun musst. Aber vorher musst du mit mir einen Pakt schließen. Natürlich willigte ich ein. Ich wusste nicht mal wer das war. Ich hab nur eine Stimme gehört, nie jemanden gesehen.“ John machte eine kurze Pause. „Shane war mir dabei behilflich, diese Waffe zu schmieden. Er war damals erst zehn… Ich tat, was diese Stimme in meinem Kopf sagte und so verwendete ich Silber und Glas dafür. Ach und Shane hatte sich auch einmal geschnitten, also ist auch Blut in die flüssige Mischung gela-“ Ich schnitt ihm das Wort ab und stellte fest: „Das kling ja nach der Waffe aus dieser Prophezeiung!“ „Welche Prophezeiung?“ „Des Teufels Erlöser, ein Kind, wird auf die Erde kommen. Bewaffnet mit einer Klinge aus Silber, Glas und Menschenblut.  Jedoch ob es ihn damit erlöst oder uns ins Verderben stürzt, bleibt seine Entscheidung ganz allein.“ Zitierte ich. „Ach ja, stimmt…“ Alter, wie kann man nur so etwas vergessen? Als Gott vom Himmel aus zu uns runter sprach… Das war eines der größten Ereignisse der Menschheit. Ach nur mal so nebenbei: Man sah Gott natürlich nicht und er hatte übrigens eine eindeutig junge weibliche Stimme, also nicht so eine Grandpa-Like tiefe, weise Stimme, wie man eigentlich denkt. Trotzdem Respektiere ich Gott kein Bisschen. John kam auf mich zu und reichte mir eine Art Koffer, der an eine Tragetasche für Gitarren erinnerte. Verwundert sah ich ihn an. „Da ist das El Tomogai drin, also diese Waffe von der ich eben Sprach.“ „Und was soll ich damit?“ hakte ich nach. „Bring sie zu Professor Mason. Er soll sie untersuchen. Aber benutz diese bloß nicht. Ich weiß nicht wozu sie fähig ist.“ Warnte er mich. „Das hatte ich auch nicht vor. Und? Bist du immer noch besessen?“ „Nein, natürlich nicht.“ „Was war das eigentlich ein für ein Dämon?“ fragte ich. „Es war…“ John machte eine Pause und sah mir direkt in die Augen, so ein Blick, der einen Angst einjagen konnte. „der Teufel höchstpersönlich.“ Die Gefühle, die in mir jetzt aufkamen, waren zum einen Verzweilflung, weil ich vielleicht einen meiner Freunde zum Feind hatte, man weiß ja nicht, ob Satan ihn wirklich gehen gelassen hat, und zum anderen, ist es Wut. Einfach nur bloße Wut. „D-du hast einen Pakt mit Satan geschlossen? Wieso? Du bist einfach nur so naiv und egoistisch!“ warf ich ihm vor, völlig außer mir. „Ich weiß.“ Stimmte er zu. Seine Stimme war völlig ruhig. Er versuchte mich zu beruhigen. „Das macht doch alles keinen Sinn. Wie sollte Satan eine Waffe bauen lassen, die ihn wahrscheinlich später töten wird? Das macht echt keinen Sinn. Überhaupt nix macht noch Sinn.“ Der sprechende Dämon war da natürlich mit einbezogen… Ich war wie gepackt von meiner Verzweiflung. Ich suchte nach einer Erkärung. „Ich weiß es doch nicht.“ Das war der Satz, den John sagte, der mich wieder in die Realität beamte. Ich schaute ihn an. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Liz.“ Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ich lief in Richtung Ausgang, drehte mich aber noch einmal um „Sag Eleanor und deinen Kindern die Wahrheit. Das bist du ihnen schuldig.“ Nach diesen Worten verließ ich, ohne mich von John richtig zu verabschieden, die Werkstatt. Aber ich verabschiedete mich natürlich von Eleanor und den Kindern. Nun hieß es auf nach London zum Orden der schwarzen Retter.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3: Auf dem Weg

Es war später Nachmittag, als ich an der Bushaltestelle ankam, da die Blacksmiths etwas abseits der Stadt wohnten. Meine Füße trugen mich automatisch in Nähe des Fahrplans. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und schaute auf die Uhrzeit, dann zum Fahrplan. Der Bus war vor drei Minuten abgefahren. Der nächste kam erst in einer halben Stunde. Na toll. Das hieß warten. Bei dieser Arschkälte. Damit ich nicht so schnell einfrierte, lief ich ein Bisschen hin und her. Hier herrschte komplette Stille. Weit und breit kein Mensch. Sie hatten sich in ihre warmen Wohnungen verkrochen. Deshalb nahm mir nicht die Gelegenheit über die Geschehnisse nachzudenken. Ich versuchte in meinen Gedanken Zusammenhänge zu erschließen. Ein Dämon der sprach, obwohl sie dazu nicht fähig sind. Sie hatten nicht mal die Intelligenz dazu. Satan ließ eine Waffe schmieden, die ihn, nach Gottes Prophezeiung, wahrscheinlich tötet. „Es macht irgendwie gar keinen Sinn.“ Stellte ich fest. Satan plante was. Er hatte irgendetwas vor. Plötzlich vibrierte mein Handy. Diesmal ein Anruf. Meine Tante. Ich musste mich schnell von Englisch auf Italienisch umstellen. „Felicita?“ „Hallo, Liz. Und bist du gut angekommen?“ fragte sie. „Ja, na klar…“ „Wie geht es Giulio?“ Eine besorgte Mutter, die nach ihrem Sohn fragte. Giulio war mein Cousin, der vor zwei Jahren nach London geschickt wurde, um zum Exorzisten ausgebildet zu werden. „Ich hab ihn noch nicht gesehen. Ich bin nämlich gerade noch auf dem Weg zum Orden.“ „Ah, verstehe. Du rufst mich aber an, wenn du da bist, okay?“ sagte sie. „Natürlich.“ Antwortete ich. „Ach Liz. Schade, dass du und Giulio nicht da seid. Es gibt was zu feiern. Fabiana hat ihr Studium erfolgreich abgeschlossen.“ „Toll. Also, wenn ich wieder da bin holen wir das auf jeden Fall nach. Dann werden wir so richtig einen drauf machen.“ „Wie war das?“ „Ach nichts.“ Uff, ja stimmt. Felicita zählte zu den Müttern, die sich um ihre Kinder übertrieben Sorgen machen. „Dann Tschüss. Viel Spaß noch.“ „Ja, Tschüss.“ Also Spaß… davon konnte man wo eher nicht reden. Aber auf jeden Fall freu ich mich für meine Cousine Fabiana. Da werden wir bestimmt wieder um die Häuser ziehen und so. Wie sonst auch manchmal. Dann kam auch schon der Bus. Ich schnappte mir meine Reisetasche und den Koffer, wo sich dieses El Tomogai drinnen befand, und stieg ein.

 

Die Busfahrt war langweilig und zog sich deshalb irgendwie in die Länge. Draußen dämmerte es schon. Plötzlich ruckelte es und der Bus kam zum Stehen. Ich wusste nicht warum. Der Fahrer stieg aus und schaute nach. Ich dachte erst, wir waren über ein totes Tier gefahren, aber stattdessen hatten wir einen Platten. Der Busfahrer informierte den Pannendienst und teilte uns schließlich mit, dass er erst in einer Stunde kommen könne. Aber bis nach London war es nicht mehr weit. Wie auf Knopfdruck stand ich auf und schnappte mir mein Zeug. Dann lief ich vor zum Fahrer. „Da ich pünktlich da sein muss, werde ich laufen.“ Er schaute mich völlig verdutzt an. „Aber es ist völlig okay. Laufen ist gesund. Danke für’s Mitnehmen.“ Nach der Verabschiedung stieg ich aus. Brrr… Diese Eiseskälte. Ich lief schnell, aber rannte nicht. Bald schon sah ich den Bus nicht mehr. Vielleicht könnte ich ja per Anhalter weiter kommen. Dachte ich. Aber hier auf der Landstraße war gar nix los. Kein Auto war bis jetzt an mir vorbeigekommen. Doch auf einmal bemerkte ich das Leuchten von Scheinwerfern und das Geräusch eines Motors. Dann Hupte es. Ich schaute mich um. Da hielt ein Wagen neben mir. Das Fenster fuhr nach unten. Zum Vorschein kam ein Typ. „Na, suchst du ‘ne Mitfahrgelegenheit?“ fragte er. „Ja.“ Antwortete ich erleichtert. „Wo musst du hin?“ „Nach London.“ Der Typ fing an zu grinsen. Er war ein kleinwenig älter als ich. „Cool, da wollen wir auch hin.“ Sagte der. Plötzlich machte jemand die Hintertür auf. „Los, steig ein.“ Sagte ein anderer. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ich zog noch meinen Mantel aus, weil es Innen warm war. Dann ging die Fahrt los. Der Typ vorne drehte das Radio total laut auf und sein Beifahrer trank Bier und Kiffte. Er reichte dem Fahrer auch eine Flache. Dann lallten die beiden: „Jetz geht die Party richtig los!“ Und der Mann neben mir war starrte mich die ganze Zeit grinsend an. Oh mein Gott. Auf was hab ich mich da bloß wieder eingelassen? Meine einzige Sorge war jedoch, dass wir keinen Unfall bauen. Nach etwa zwanzig Minuten hielt der Wagen auf einmal an. Der Motor ging aus, sowie auch das Licht. Es war stockfinster. „Was ist hier los?“ fragte ich. An statt mir eine Antwort zu geben, wurde ich an den Armen grob gepackt und so nach hinten gezogen. Nun lag ich auf den Hintersitzen mit angewinkelten Beinen. Ich wurde immer noch an den Armen festgehalten. Es ging alles total schnell, sodass ich nicht reagieren konnte, denn meine Beine wurden dann von dem Zweiten ebenfalls genommen, sodass sie gespreizt wurden. Und dummerweise trug ich einen kurzen Rock. Na toll. (Also mit dem nächsten Schritt, hätte es sich etwas schwieriger gestaltet, wenn ich eine Hose an gehabt hätte.) Dann sah ich einen Schatten und hörte das Geklimper eines Gürtels. Oh Fuck. Der war wohl unten ohne. Der Dritte beugte sich über mich. Mit der einen Hand hielt er mir den Mund zu und mit der anderen fasste er unter meinen Rock. Sie berührte meinen Slip und strich drüber. Bohr, diese Perversen! Mir war das natürlich total unangenehm und ich zappelte um mich zu befreien. Aber es war zwecklos. Sie hatten mich fest im Griff. „Komm schon, du willst Es doch auch.“ Sagte er dann und seine Kollegen lachten gehässig. Nun schob er mein Shirt und meinen BH hoch. Er begrabschte nur eine von meinen Brüsten, da seine andere Hand ja noch mein Maul stopfte. Es war aussichtslos. Es gab keinen weg um zu entkommen. Ich verliere in einem Auto, wegen ein paar besoffenen Typen, die ich noch nicht einmal kannte, meine Jungfräulichkeit? Dann machte der sich wieder an meinen Slip. Er wollte ihn mir gerade ausziehen. Aber er hatte nicht bemerkt, dass seine Hand so weggerutscht ist, dass sein nur noch sein Daumen auf meinen Lippen war. Ich biss, so doll wie ich konnte, zu. Der Typ schrie natürlich auf und die anderen ließen vor Schreck von mir ab. Meine Chance. Ich trat dem Kerl vor mir so stark ins Gesicht, dass er aus dem Auto fiel. (ja, die Hintertür war die ganze Zeit offen) Ich schnappte mir meinen Mantel, meine Reisetasche und diesen Koffer und machte mich dann vom Acker. Ich rannte und rannte bis ich weit genug vom Wagen entfernt war. Anschließend zog ich mir meinen Mantel drüber und lief in einem schnellen Tempo. Wieder in dieser Eiseskälte. Auf einmal pulsierte die Verletzung an der Hand, die mir der Dämon von gestern zugefügt hatte. Aber das war mir jetzt egal.

 

Als ich endlich am Orden angekommen war, graute der Morgen schon langsam. Vor mir war ein riesengroßes Grundstück, was von einem Eisenzaun begrenzt wurde. Ich lief durch das breite Eingangstor, was sperrweit offen stand und betrat somit das Grundstück. Ich ging auf einem schmalen gepflasterten Weg. An den Seiten war eine Art Garten. In der Mitte stand eine sehr große alte Villa, die in der Morgendämmerung einer Geistervilla aus Horrorfilmen glich. Das war das Gebäude des Ordens der Schwarzen Retter. Ich klingelte und stellte mich neben das Mikrofon. Weder hörte ich jemanden, noch machte einer auf. Merkwürdig. Schlafen die etwa noch? Nicht zu fassen! Plötzlich nahm ich ein Astknacken wahr. Ich drehte mich um. Da stand ein gutaussehender Kerl, so in meinem Alter, vor mir. Er hatte schwarzes Haar und blickte jedoch nicht gerade freundlich drein. Ich wollte ihn gerade begrüßen, aber der rannte auf einmal mit erhobenen Schwert auf mich zu. Sag mal spinnt der? Ich habe doch gar nichts gemacht! Ich zog ebenfalls meine Klinge und blockte so seinen Angriff. Er machte ein paar Schritte rückwärts und attackierte mich erneut. Was sich als wenig sinnvoll herausstellte. „Wer zum Teufel bist du? Und was willst du hier?“ fragte er schroff. „Ich bin Elizabeth Rainford. BlackWizard von der italienischen Abteilung. Ich b-“ Er unterbrach mich, weil er wieder auf mich losging. Ich bemerkte, dass wir zwei Schaulustige hatten, die aus der Villa kamen. Es waren ein Junge und ein Mädchen. Beide blond und blauäugig. Plötzlich sah ich den Jungen nicht mehr. Auf einmal berührte mich jemand sanft an den Schultern und lenkte mich so, dass mein Gesicht gegen seine Brust gedrückt wurde. Dann umfasste er mit der einen Hand meine Taille und drückte mich noch mehr an sich und in der anderen hielt er mein Schwert. Er roch ziemlich gut, aber nicht nach Parfum. Ich blickte zu dem Fremden hinauf. Es war der blonde Typ von eben. Er war ebenfalls ziemlich attraktiv. Wir standen dem Schwarzhaarigen gegenüber. „Hey, das ist nicht Gentelman-Like! Und sie ist außerdem unser prominenter Gast.“ sagte er. „Aber andere Frauen begrabschen…“ meinte der andere und deutete somit auf mich. Okay, wo er Recht hat, hat Recht. Der blonde hielt mich immer noch fest und ich wollte ihm eigentlich gerade höflich bitten, mich loszulassen. Aber auf einmal war mir total schwummrig. Ich sah alles verschwommen und bemerkte um mich herum nichts mehr. Dann wurde mir schwarz vor Augen…

Kapitel 4: Erinnerungen

Ich schlug die Augen auf. Ich befand mich in einem Schlafraum. Überall standen Doppelstockbetten eng aneinander. Ich lag ebenfalls in einem, was nah an der Wand stand und ich lag unten. Das Zimmer an sich strahlte Kälte aus. Die Fenster waren klein, weshalb nicht so viel Sonnenlicht eindringen konnte. Dieser Ort kam mir so vertraut, aber doch befremdlich vor und er löste Angstgefühle in mir aus. Das ist der Ort, an dem alles begann. Ich stieg aus dem Bett. Als ich den Boden berührte, verspürte ich eine Art Schock. Er war eisigkalt, doch ich konnte meine Schuhe nicht anziehen, denn sie befanden sich nicht vor dem Bett. Ich lief zu dem großen Spiegel, der neben der Tür hing. Er war dreckig und jemand hatte mit einem wasserfesten Filzstift drauf rum geschmiert. Ich betrachtete mein Spiegelbild. Ich sah darin ein kleines zerbrechliches Mädchen mit rotbraunen sehr langen Haaren und grün-grauen Augen, die mit Leere gefüllt waren. Es trug ein weißes, aber schon ergrautes, schlichtes Nachthemd, was schon kleine Löcher hatte.

„Hey, Hexe! Wenn du noch länger in Spiegel schaust, setzt es was! Wir wollen schließlich nicht so schrecklich aussehen wie du. Also verpiss dich!“ rief ein Mädchen, was oben in einem Doppelstockbett saß. Zustimmendes Gemurmel war zu hören. „Kristy.“ Sagte ich kalt und funkelte sie wütend an.

Das Mädchen im Spiegel war mein Ich vor acht Jahren. Und dieser grausame Ort war das Waisenhaus, indem ich aufgewachsen war.

Ich befand mich in einem Traum. Einem Traum in Form meiner Erinnerung. Einer Erinnerung, die ich am liebsten aus meinem Gedächtnis löschen würde. Aber das hier ist der Tag, an dem sich mein komplettes Leben änderte…

Plötzlich flog die Zimmertür auf. Eine dickliche, brillentragende, ältere Frau erschien im Türrahmen. „Raus aus den Federn! Aber dalli!“ krähte sie und klatschte dabei in die Hände. Dann verschwand sie wieder. Das war Mrs Miller, eine der Erzieherinnen des Waisenhauses. Das ließen sich meine Zimmergenossen nicht zweimal sagen und hüpften schnell aus ihren Betten. Die Masse an Kindern (in diesem Zimmer lebten etwa 20-25 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren) strömte flink zur Tür und da ich dort immer noch rumstand, schubste ein Mädchen namens Patricia mich gegen den Schrank, der neben den Spiegel stand. Ich fing den Sturz ab, indem ich meine Hände gegen die Schrankwand presste, aber irgendwie rutschte ich ab und fiel schräg. Schließlich stolperte ich über den Papierkorp, den irgendein Idiot vor dem Schrank hingestellt hatte. Der Inhalt verteilte sich über den Boden. Zum Vorschein kamen jede Menge Papierknäul und meine Pantoffeln. Ich zog sie mir an und räumte das Chaos auf. Die Mädchen waren ins Bad gegangen, um sich fertig zu machen. Da ich keine Lust auf Streitereien hatte, machte ich dies nach ihnen. Ich entschied mich mich anzuziehen. Kleidung besaß ich sehr wenig. Die anderen waren immer schneller und übrig blieb meistens nur das unschöne. Das Waisenhaus bekam Kleidung über Spenden. Ich nahm aus meiner Schrankhälfte ein weißes schlichtes Kleid, was mir gerade noch so über die Knie reichte. Es war ja schließlich Sommer und da konnte ich doch nicht in Strickpulli und Jeans rumlaufen. (die anderen Sachen waren in der Wäsche) Heute war Samstag und ich muss den ganzen Tag die Sticheleien der anderen ertragen, da keine Schule ist.

Sie machten mich fertig. Einfach so. Wahrscheinlich wegen diesem Grund…

Die jüngeren hatten Angst vor mir und nannten mich „die schreckliche Liz“. Die älteren hingegen hielten mich für vollkommen verrückt und gaben mir den Spitznamen „Hexe“. Das war so, weil ich immer Dinge sah, die kein anderer wahrnahm. Zu dieser Zeit hielt ich mich selber auch für verrückt. Mir war damals nicht klar, was ich da eigentlich sah. Später stellte sich heraus, dass es Dämonen waren und ich eine Exorzistin bin…

Ich hörte Geplapper und Schritte. Die Mädchen kamen vom Bad zurück. Ich bewegte mich in  Richtung Tür und huschte flink an ihnen vorbei. Ich bekam noch mit wie sie über mich herzogen. „Bohr, habt ihr das hässliche Kleid von der gesehen?“ fragte Mary spöttisch. „Das Hexenkleid“ kicherte Sarah.

Der Waschraum befand sich am anderen Ende des Flures. Ich wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser und kämmte mir das Haar. Es war wirklich ziemlich lang und reichte mir schon bis zum Po. Und das war auch ein weiterer Grund, warum mich alle hassten. Zweimal im Jahr kam ein Frisör ins Waisenhaus. Mein Kopfhaar wächst aber so schnell, dass es drei Monate nach Schneiden wieder um die Hälfte der Ursprungslänge gewachsen ist. (Noch dazu ließ ich es mir immer kurz Schneiden) Deshalb war es auch schon so lang, denn der Frisör kam erst in zwei Wochen. Ich band mir meine Haare zusammen. Die Länge war schon ziemlich nervig, aber ich traute mich nicht sie selbst zu schneiden oder sie von jemand anderem Schneiden zulassen.

Als ich fertig war ging ich runter zum Speisesaal.

Gott sei Dank. Noch keiner da.

Ich lief schnurstracks zum Tisch, aber plötzlich rief ein Junge, der abseits auf einen an die Wand gestellten Tisch saß: „Hey, Mädchen, wie heißt du?“

Ich blickte zu ihm. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Ein Neuer. Stellte ich fest. „Ich bin Liz, aber halt dich lieber von mir fern.“ Sagte ich ernst und setzte mich an den Tisch. Kurz darauf kamen die Mädchen und auch die Jungen meiner „Altersklasse“. Es gab vier Altersklassen. 0-2 Jahre, 3-5 Jahre, 6-12 Jahre und 13-17 Jahre. Ab dem achtzehnten Lebensjahr wurde man vom Waisenhaus entlassen. Außer man kommt vorher in eine Pflege-oder Adoptivfamilie. Aber an mir hatte keiner Interesse. Der Tisch der 6-12 jährigen füllte sich, wie auch der ganze Speisesaal. Mrs Miller trat mit dem Jungen, dem sie einen ihrer schwabligen Arme umgelegt hatte, nach vorn. Ihre laute strenge Stimme hallte durch den Raum. „Sind alle anwesend?“

„Ja!“ antwortete die Masse. „Gut. Das hier ist Emilè. Er wird von nun an hier leben. Vertragt euch gut mit ihm.“

Emilè setzte sich neben mich. Wir waren in der selben Altersklasse. Er war neun. Wir mussten vor dem Essen immer zu Gott beten. Dann aßen wir zu Frühstück. Ich hatte nicht sonderlich viel Hunger und aß deshalb nur ein Toast mit Marmelade. Emilé löffelte Müsli. Aber auf einmal fiel ihm der Löffel runter. Ich hob ihn auf. Er sagte „Danke“ und schaute mich an. Noch nie hatte sich jemand bei mir bedankt. War das etwa der Beginn meiner ersten Freundschaft? Selbst in der Schule, wo auch Nicht-Waisen hingingen, hatte ich keine Freunde. Aus denselben Gründen. Aber daraus wurde nix. „Hey, Neuer, “ sagte Patricia, „halt dich von der Hexe fern, sonst wirst du verflucht.“ „Okay, ich werd‘s mir merken.“ Alle gegen Einen. Wenn sich einer querstellt und nicht mehr mobben will, wird man mit fertiggemacht. So läuft das hier. Emilé hatte das schnell begriffen und das war auch besser so.

 

Es war Vormittag und wir wurden alle gezwungen rauszugehen. Die Sonne schien warm. Zu warm. Ich setzte mich in den Schatten unter einem Baum und las ein Buch. Von was das Buch handelte oder wie es hieß wusste ich leider nicht mehr. Es war auch laut draußen, weil die Kinder spielten. Plötzlich tauchten vor mir Kristy, Patricia, Laura und Sue auf. Alle vier Mädchen waren zwischen acht und zehn Jahren und hegten einen besonderen Groll gegen mich. „Na wen haben wir denn da? Die Hexe!“ spottete Kristy und die anderen stimmten mit einem Gelächter ein.

„Wenn ihr nur gekommen seid, um mir das zu sagen, dann verschwindet wieder.“ Knurrte ich. „Pass auf, was du sagst!“ rief Laura und baute sich bedrohlich vor mir auf. „Was soll das werden? Etwa wieder das Verprügel-die-Hexe-Spiel?“ Ich fing leise an zu feixen. „Oh, sie hat Recht! Welch ein Wunder!“ meinte Sue. „Macht es euch wirklich so viel Spaß mich zu verprügeln? Oder wollt ihr vor den anderen einfach nur cool dastehen?“ „Jetzt reicht’s aber!“ Laura verlor die Geduld. Wie auf Knopfdruck, packten, Sue und Patricia, die zwei kleinsten, mich und drückten mich zu Boden. Dann kam Kristy und fasste mein Haar. Sie zog kräftig daran und schleifte mich so über den Boden. Von der Wiese zum Asphalt. Ich biss mir auf die Unterlippe um die Schmerzensschreie zu verkneifen. Dann kam Kristy zum stehen und übergab mein Haar an Laura. Plötzlich holte sie eine Schere hervor und durchschnitt mein langes Haar. Dann drehte sie meinen Körper unsanft auf den Rücken und schlug mir mit der Faust mehrmals stark ins Gesicht. „Das hat unsere Rechnung, die noch offen war, noch nicht beglichen.“ Sagte sie als letztes und die Vier ließen von mir ab. Mit Rechnung meinte sie, als ich sie verprügelt hatte. Ich wurde von ihnen schon immer geschlagen, aber ich wehrte mich nie dagegen. Sie hatten auch meistens Ärger bekommen, aber man sagte mir ich sollte mich auch mal wehren. Und so hatte ich ihr vor zwei Monaten ein blaues Auge und eine gebrochene Nase verpasst. Ihre Nase war übrigens immer noch schief.

Ich rappelte mich auf und schleppte mich zur Hauswand Nähe Eingangstor des Waisenhauses. Ich atmete tief durch. Ich musste schrecklich aussehen. Das Kleid war schmutzig und etwas zerrissen. An Armen und Beinen hatte ich Schrammen, die noch bluteten und mein Gesicht tat immer noch weh. Bestimmt wird es bald geschwollen sein. Ich kauerte mich zusammen und schluchzte.

Ich wusste nicht warum ich überhaupt in einem Waisenhaus bin. Die meisten sind hier, weil ihre Eltern tot sind, sie nicht haben wollten oder behalten konnten. Ich wusste es einfach nicht. Man hatte mir erzählt, dass ich, als ich erst ein paar Tage alt war schon hierher kam. Was mit meinen Eltern ist wusste keiner. Aber in meiner Geburtsurkunde steht, dass ich in Rom geboren wurde und obwohl das ein definitiv englischer Name ist, Elizabeth Rainford heiße. Als Geburtsdatum stand der 26. September drin. Aber über meine Erzeuger stand nix.

„Hey, Kleine, alles in Ordnung“ fragte eine nette warme Frauenstimme. Ich blickte nicht auf und nuschelte: „Mir geht’s gut.“   

„Gut, wenn du meinst. Aber weißt du wo ich Elizabeth Rainford finden kann?“ Ich erschrak. Sie hatte meinen Namen genannt. Ich blickte auf und schaute sie verwirrt an. Vor mir stand eine große Blonde Frau. Sie hatte sich aber kleiner gemacht um mit mir zu reden. Sie war etwa Ende zwanzig. Sie strahlte viel Freundlichkeit und Wärme aus. „W-was wollen sie von mir? Wer sind sie?“ wollte ich wissen. „Ah, du bist also Liz. Ich bin Caddy Prince. Exorzistin des Orden der schwarzen Ritter. Ich bin hier um dich abzuholen.“

„Abzuholen? Wofür?“ „Du sollst zur Exorzistin ausgebildet werden.“ Antwortete sie. „Was ist denn ein Exorzist?“ „Ein Exorzist kämpft gegen Dämonen um die Menschheit zu retten. Aber man braucht erstmal eine Grundvoraussetzung. Du siehst doch immer merkwürdige Dinge. Das sind Dämonen.“ „S-sie sehen sie auch?“ hakte ich nach. „Aber Logo. Jeder Exorzist kann das.“ „Ich bin also nicht verrückt?“

„Nun komm, Kleine, wir haben zum Reden auch noch später Zeit. Die Leiterin weiß schon Bescheid.“

 

Ich saß mit Caddy Prince in einem Zug, der nach Cambridge fuhr. Die Fahrt zog sich in die Länge. Sie hatte aufgehört mich mit Fragen zu löchern, da sie wahrscheinlich gemerkt hatte, dass ich keine Lust auf Reden hatte. Ach und sie hieß eigentlich Cathleen. Caddy war nur ihr Spitzname.

Ich schaute aus dem Fenster und beobachtete die Bäume wie sie an mir vorbeizogen. Regentropfen platschten an die Scheibe.

 

Die Leiterin des Waisenhauses, Mrs Mineur, arbeitete mit dem Orden der schwarzen Retter zusammen. Sie wusste die ganze Zeit über alles bescheid. Über mich und meine „Spinnereien“ und sie wusste auch wieso. Sie hatte mich aber nie aufgeklärt und ich musste acht Jahre an diesem grausamen Ort verbringen. Und das alles nur, weil ich noch nicht alt genug war. Mrs Mineur hatte mir einen Brief in die Hand gedrückt, der wahrscheinlich etwas über meine Eltern beinhaltet. Er befand sich in dem Bündel, indem ich eingewickelt war, als ich ins Waisenhaus kam. Die Leiterin hatte ihn nie geöffnet und ich hatte dies auch nicht vor. Ich wollte es einfach nicht wissen. Aus Angst zu wissen, dass die Eltern tot sind oder mich nicht wollten.

Caddy sagte, dass ich in einem Jahr in mein Geburtsland Italien zurück muss, um der Abteilung dort zu dienen. Das war Vorschrift. Ich hatte da nichts zu Entscheiden.

 

Als wir in Cambridge nach zweistündiger Fahrt angekommen waren, machte sich bei mir eins bemerkbar: Mein Magen. Ich ließ mir natürlich erstmal nichts anmerken. Und Caddy fragte während des Gehens immer wieder: „Ist irgendetwas?“ Aber ich schüttelte den Kopf um ihr nicht zur Last zu fallen. Das ging solange gut bis mein Magen laut knurrte.

„Ach du hast Hunger? Sag das doch gleich.“ Meinte Caddy und sah mich an. Ich merkte wie mir ein bisschen Röte ins Gesicht stieg und drehte meinen Kopf weg. „Sorry, ich kann dir leider nichts zu Essen kaufen. Ich bin nämlich pleite.“ Sagte sie und zeigte mir ihr Portmonee. „Hier, schau.“

Ich nahm es in die Hand und schaute auch in alle kleinen Taschen nach. Aber da war nichts, außer ein paar Penny. Dann fiel mir ein Foto auf. Darauf war ein kleiner blonder Junge abgebildet. „Wer ist das?“ rutschte es mir heraus. „Das ist mein Sohn.“ Antwortete Caddy. Sie hat einen Sohn und ist pleite.

„Ihr Sohn?“

„Er heißt Jesse und ist genauso alt wie du.“

„Aha.“ Machte ich. „Wird er auch mal ein Exorzist?“ fragte ich.

„Weiß nicht. Er ist… ein bisschen kränklich.“ „Oh. Wer kümmert sich eigentlich um ihn wenn sie die ganze Zeit arbeiten sind?“ Wieso fragte ich eigentlich danach? Es ging mich ja schließlich nichts an. Lag es am Hunger, dass ich auf einmal so viel redete?

„Er ist meistens allein, aber mein Vater schaut manchmal nach ihm.“

„Und was ist mit seinem Vater?“ hakte ich nach. Sie schaute weg. „Entschuldigung. Ich wollte ihnen nicht zu nahe treten.“ Sagte ich schnell. „Er ist abgehauen. Noch vor Jesses Geburt.“

Dann schwiegen wir, bis Caddy bei einem Fachwerkhaus zum Stehen kam und sagte: „So da wären wir. Und hier bekommen wir auch was zu Essen.“ Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Das sind die Blacksmiths, eine Schmiederfamilie. Sie stellen Waffen für den Orden her.“ Sie klingelte. Nach ein paar Sekunden wurde die Tür von einem Jungen geöffnet. Er schaute etwas böse drein und begrüßte uns nicht mal. Wie unhöflich. Dachte ich. Wir gingen einen langen schmalen Flur entlang und kamen in die Küche. Es duftete lecker nach Pfannkuchen. Ich sah wie eine Familie am Tisch saß und speiste. Und dann kam uns eine Frau entgegen. „Hallo, Caddy.“ Begrüßte sie Caddy. Dann sah sie hinunter zu mir. „Wer ist denn das?“ „Das ist Elizabeth Rainford, mein neuer Schützling.“ Antwortete sie. Dann stellte mir meine Lehrerin alle vor. „Das sind Eleanor, John, David, Lily, Shane, Eric oder Evan und Colin.“

„Nun, was führt dich denn eigentlich her?“ fragte Eleanor. „Einerseits hat die Kleine hier Kohldampf, andererseits wollte ich meine neue Waffe abholen.“

„Liz, setz dich dahin. Ich bring dir gleich was zu Essen.“ Ich nahm neben diesen John platz. Dann stellte sie mir einen Teller mit Pfannkuchen hin. „Guten Appetit.“ „Danke.“ Murmelte ich kaum verständlich. Ich hatte noch so viel Anstand, dass ich mich nicht wie ein ausgehungerter Hund aufs Essen stürzte und aß gesittet. „Und schmeckt’s?“ fragte Eleanor. Ich nickte. „Das freut mich.“ Ich war noch nie so glücklich Pfannkuchen zu essen, weil ich eigentlich nicht gerade der Fan davon war, aber diese schmeckten echt gut. Naja der Fraß vom Waisenhaus schmeckte ja allgemein nicht so richtig.

Sie und Caddy aßen im Stehen und unterhielten sich über Jesse, den Orden, über Eleanors Kinder, dass Colin endlich mit Sprechen angefangen hatte und über John, dass er zu viel in der Werkstatt verbrachte.

„Ich bewundere dich, dass du den Haushalt schaffst und das mit sechs Kindern und einem nutzlosen Ehemann. Ich könnte das nicht.“ Meinte Caddy.

Ich glaube, sie hatte schon mit einem genug Probleme.

 

Als wir fertig gegessen hatten führte uns John in die Werkstatt. „Hier. Das gehört jetzt dir.“ Er deutete auf ein Schwert. Caddy nahm es, hob es hoch, betrachte es genauer und steckte es dann in eine Scheide. „Danke. Du hast wie immer gute Arbeit geleistet. Die Bezahlung kommt später.“ „Jaja.“

Ich bemerkte im Laufe der Zeit, dass sie immer pleite war, weil sie sich neue Waffen zulegte. Sie war richtig vernarrt in sie.

Dann ging’s per Bus nach London.

 

Als wir angekommen waren, war es später Nachmittag. Mir kam auf einmal ein mulmiges Gefühl auf. Irgendwas war da.

„Was ist los?“ hakte Caddy nach. „Ich spüre irgendeine Präsenz.“

„Hm… komisch. Das musst du dir einbilden. Ich spüre nämlich ni-“

Plötzlich kam etwas auf uns zugeschossen. Ein großer Dämon. Stellte ich fest und hinter ihm ging ein Hydrant hoch und sein Wasser bewegte sich ebenfalls auf uns zu. Aber nicht so schnell. „Hey, Kleine. Schau genau hin. Das ist die Praxis.“ Rief sie mir zu und zog blitzschnell zwei Pistolen aus der Jackentasche. Sie feuerte. Der Dämon löste sich auf und das Wasser platschte auf den Boden. „So, das wäre erledigt.“ Sie verschränkte die Arme vor ihre Brust. Dann gingen wir weiter. Aber wieso hatte ich den Dämon vor ihr bemerkt?

 

Caddy brachte mir jede Menge Kampftechniken gegen Dämonen bei. Für Nah- und Fernkampf. Theoretischen Unterricht gab es natürlich auch. Der wurde aber von einem Mr Dickson gemacht. Dort lernte man unter anderem wie man Dämonenarten unterscheidet und wie man Verletzungen, die von ihnen verursacht werden, behandelt. Der Dämon, den Caddy besiegt hatte, war übrigens ein Elements. Das besondere an ihm war, dass er sich Dinge wie Wasser, Feuer, Strom und auch Wind aus seiner Umgebung zu Nutze macht. Der theoretische Unterricht wurde außerdem in Gruppen durchgeführt. In meiner waren sieben weitere. Die Gruppen waren in verschiedenen Jahrgängen geordnet. Eine Exorzistenausbildung dauert in der Regel drei bis fünf Jahre.

 

In den Weihnachtsferien sollte ich eigentlich im Orden bleiben. Andere fuhren zu ihren Familien, aber das ging natürlich bei mir nicht. Meine Lehrmeisterin nahm mich mit zu sich und ihren Sohn. Sie wohnten im Wald in einem kleinen Häuschen. Als ich und Caddy ankamen war es bereits Nacht und Jesse schlief schon. Und ich pennte dann freiwillig auf der Couch.

Ich wachte früh auf und ging in die Küche. Ich schaute in den Kühlschrank, auf der Suche nach etwas Essbarem. Er war so gut wie leer. Nur Milch und Möhren waren da drin. Ich schaute mich um. Da hingen noch schränke an der Wand. Ich schnappte mir einen Stuhl vom Esstisch und stellte mich darauf, um mir den Inhalt anzusehen. Ich fand Müsli, eine Schüssel und in den unteren Schubkästen auch einen Löffel. Ich setzte mich an den Tisch und schüttete das Müsli in die Schüssel. Dann kippte ich Milch drüber und aß. Währenddessen hörte ich, dass jemand die Treppe hinunter kam. Ein Junge betrat die Küche. Es war Jesse, aber sein Haar war ein bisschen länger als auf dem Foto. Er sah mich verwirrt an. „Öhm, Mom, da ist ein komisches Mädchen…“ stellte er fest. Caddy erschien hinter ihm. „Ach, das ist meine Schülerin, Liz.“ Jesse setzte sich ebenfalls an den Tisch. Mir gegenüber. Ich aß weiter. „Guck nicht so grimmig. Du bekommst sonst Falten.“ Riet er mir. Nach dem er fertig mit Essen war, bekam er ein Glas Wasser und eine Tablette vorgesetzt. An was für eine Krankheit er litt wusste ich nicht und ich fragte auch nicht nach.

 

In den Weihnachtsferien waren Jesse und ich die meiste Zeit damit beschäftigt, draußen nach etwas Essbarem zu suchen (Es gab ein paar Pilze und Beeren die im Winter wuchsen) oder Holz zu sammeln. Jesse kannte sich ziemlich gut aus. Und nicht nur im Wald, sondern auch mit den Pflanzen. Er schien eigentlich auch kerngesund und war richtig lebhaft. Er redete viel zu viel. Und er beneidete mich, dass ich zur Exorzistin ausgebildet wurde. Er fand es cool. Seine Mutter erlaubte es nicht, wegen seiner Krankheit, aber er konnte sich, falls ihm ein Dämon über den Weg lief, aber selbst verteidigen.

Zu Heiligabend gab es eigentlich nicht viel Besonderes. Caddy war ja wie immer pleite. Süßkram bekamen wir. Und er noch ein bisschen Zeug für die Schule. Er ging auf eine normale Schule. Ein gewöhnlicher Junge hätte so ein Geschenk an die Wand geworfen und sich beschwert: „Ich wollte doch eine PSP!“ aber das war bei Jesse nicht der Fall. Das größte für ihn war wohl, dass seine Mom da war. Zu Essen gab es ausnahmsweise mal nichts aus der Natur, sondern was aus dem Supermarkt. Würstchen und Kartoffelsalat.

 

Seit acht Monaten nun hatte mein Leben wieder einen Sinn. Noch vier Monate, dann hieß es für mich auf und davon nach Italien. Es war jetzt Anfang März. Es blühte langsam wieder und wurde wärmer. Caddy lobte mich beim Training immer wieder. Ich besuchte öfters mal Jesse. Auch ohne meine Lehrerin und lernte auch seinen Großvater kennen. Er saß im Rollstuhl. Ich fragte mich wie er ohne jegliche Hilfe durch den Wald kam. Er war auch mal ein Exorzist und hieß George. Ich besuchte auch ziemlich oft die Blacksmiths. Doch naja die Stimmung war auf einmal nicht so wie sonst… John verbrachte Tage in der Werkstatt ohne Pause. Eleanor brachte ihm völlig verständnisvoll das Essen und trinken an seinen Arbeitsplatz. Aber manchmal rührte er auch nichts an. Er wollte unbedingt die ultimative Waffe gegen Dämonen schaffen. Dann half ihm auch Shane bei der Arbeit. Und immer wenn ich in die Werkstatt schaute, spürte ich immer etwas Merkwürdiges. Ich glaubte aber es sei Einbildung.

 

Dann war es schließlich so weit. Es war der 26. Juli mein Abreisetag und das war genau zwei Monate vor meinem zehnten Geburtstag. Ich hatte mich schon von Jesse, den Blacksmiths und den anderen verabschiedet. (Okay, von den Blacksmiths schon vor einer Woche, kam ja nicht so oft nach Cambridge.) und nun war Caddy an der Reihe. Wir standen am Eingangstor. Sie umarmte mich und drückte mir ein Buch in die Hand. „Das wirst du brauchen.“ sagte sie. Ich schaute es an. Es war ein Italienischwörterbuch. Dann umarmte sie mich noch einmal. „Du wirst mir fehlen, Kleine. Alles Gute du schau bald mal vorbei.“ „Danke für alles.“ sagte ich zu ihr. Dann ging ich. Ich lief den Berg hinunter und wurde fast von einem Jungen umgerannt. Der fragte mich schroff: „Wo find ich diesen Orden?“ „Einfach bergauf. Das große eingezäunte Gebäude.“ Antwortete ich. Er sagte nicht mal „Danke.“ Und ging einfach weiter. Er erinnerte mich etwas an Shan, aber ich glaubte ich hätte mich geirrt.

Als ich unten angekommen war, wartete ein Taxi auf mich.

 

Am römischen Flughafen wurde ich von einer Frau, einem vierzehnjährigen Mädchen und einem fünfjährigen Jungen empfangen. Es stellte sich heraus, dass es sich um meine Tante Felicita, meine Cousine Fabiana und meinem Cousin Giulio handelte.

 

Eine Woche später wurde das Wetter auf der ganzen Welt kühler und dann fiel Schnee. Selbst in Afrika und Südamerika. Kurz darauf sprach Gott zu uns.

 

Etwa ein Jahr später erhielt ich eine Einladung. Als Absender stand Prince und der Text wurde per Hand verfasst. In einer ordentlichen Handschrift, die eigentlich von einem Mädchen stammen könnte. Es war eine Einladung zu einer Beerdigung. Zu Caddys Beerdigung. Sie wurde von einem Dämon getötet… und ich konnte nicht dahin. Nicht zu Jesse… denn der Orden erlaubte es mir nicht.

     

 

Kapitel 5: Der Orden der schwarzen Retter

Als ich langsam wieder zu mir kam hörte ich Stimmen. Zwar verschwommen, aber ich erkannte, dass es sich eine weibliche und eine männliche handelte. Doch ich konnte sie nicht verstehen, da sie zu weit weg waren. Ich schlug meine Augen auf. Ich musste ein paar Mal blinzeln, um mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Die Wände waren strahlend weiß gefliest, der Raum wurde mit Neonröhren beleuchtet und die Sonne, die durch die großen Fenster schien, spendete noch zusätzlich Licht. Und diese Eigenschaften hatte wohl jedes Krankenzimmer des Ordens.

Wieso wurde ich bewusstlos? Wie lange hab ich geschlafen? Mein Kopf pochte und meine rechte Hand fühlte sich taub an.

„Na endlich bist du wach.“ Sagte eine tiefe männliche Stimme mit leicht genervtem Unterton. Ich drehte mich auf die Seite. Ich sah einen attraktiven Kerl so in meinem Alter, der mit verschränkten Armen auf einen Stuhl saß. Er hatte leicht zerzaustes schwarzes Haar und dunkelblaue Augen. Es war der Typ, der mich angegriffen hatte. Wir schauten uns an und schwiegen. Mir wollte einfach nichts einfallen, was ich hätte zu ihm sagen können. Und außerdem schien er ja kein schlechter Kerl zu sein. Ich schob die Bettdecke beiseite und stand auf. Ich stand sicher auf dem Boden, doch auf einmal gaben meine Beine nach und ich drohte zu fallen. Aber der Kerl fing mich mit dem Arm auf und schob mich zurück, sodass ich auf dem Bett saß.

„Übertreib’s nicht. Du hattest ‘ne Blutvergiftung.“ Meinte er. „Eine Blutvergiftung?“ „Der Dämonenbiss an deiner rechten Hand hatte sich entzündet und außerdem war das ein Gift-Howl.“ Antwortete er. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass sich die Wunde nicht entzündet hatte, aber manchmal passierte das eben schnell und plötzlich. Aber ein Gift-Howl?

„Wer bist du?“ hakte ich nach. Der Typ war irgendwie ernst, aber auch gelassen und antwortete so wie man sich bei einem Auftrag vorstellen musste: „Shane Blacksmith. Siebzehn Jahre. B-Klasse.“ Shane Blacksmith? Oh mein Gott… der war ja wirklich dem Orden beigetreten. Am liebsten hätte ich ja scherzhaft gesagt: „Lieber Grüße von deiner Familie.“ Oder so, aber ich verkniff‘s mir. „Ich bin Eliz-“ „Du hattest mir schon deinen Namen gesagt und deine Kampffähigkeiten als BlackWizard sind schwach.“

Ich hör wohl nicht richtig! Der ist ja ziemlich arrogant. Aber selber keinen Treffer landen. Ich will zwar jetzt nicht angeben, aber wie hätte ich sonst eine BlackWizard, die beste Exorzistin eines Landes, sein können, wenn ich nicht gut kämpfen könnte? Ich stand auf. Diesmal stand ich ziemlich sicher. „Wie war das?“ „Ich habe gesagt, dass du schwach bist.“ Wiederholte Shane.

Argh… Dieser Shane schafft es tatsächlich jemanden in ein paar Sekunden zur Weißglut zu bringen! Und mit einer Frau redet man auch nicht so respektlos. Ich weiß zwar nicht was mich daran so aufregte, dass er mich beleidigt hatte, aber irgendwie kochte ich fast vor Wut, sodass ich ihm eine klatschen hätte können. Und das hätte ich auch gemacht, wenn ich nicht näherkommende Schritte und Stimmen gehört hätte.

„Das Dornröschen ist aufgewacht.“ Sagte die weibliche.

„Vom Aussehen her ist sie aber eher ein Schneewittchen.“ Meinte die männliche.

Die zwei Blonden, die bei unserem Gefecht im Morgengrauen dazugekommen waren, betraten den Raum.

Ich setzte mich rasch wieder aufs Bett. Ich musterte die beiden etwas genauer. Das Mädchen war klein, dürr, ziemlich niedlich und ihr Haar war Schulterlang. Sie trug einen langen schwarzen Hoodie als Kleid und diese als High Heels getarnten Turnschuhe. Das Haar des Jungens war kurz, aber nicht zu kurz und er hatte Jeans und T-Shirt an.

„Mach dich mal nützlich und bring ihr was zu trinken!“ befahl das Mädchen Shane. „Sie hat zwei Tage durchgepennt.“ Fügte sie noch hinzu. Shane tat wie geheißen und verließ das Zimmer. Der Junge setzte sich auf den Hocker. Das Mädchen nahm sich einen aus der Ecke, stellte ihn daneben und nahm platz. Was wollten die eigentlich von mir?

„Wie geht’s dir?“ fragte der Junge. Ich war anfangs etwas verwundert, weil die Frage irgendwie so direkt kam, aber ich antwortete ihm mit einem Lächeln auf den Lippen: „Alles Bestens.“

„Gut.“ Meinte er und lächelte zurück.

„Zum Glück. Wir haben schon ‘nen großen Schreck bekommen, als du zusammengeklappt bist.“ Sagte das Mädchen, was anscheinend Dauergrinserin ist.

Dann kam Shane nochmal rein und brachte mir was zu trinken. Ich streckte meinen Arm aus um es entgegen zu nehmen. Er funkelte mich böse an, während er mir die Wasserflasche in die Hand drückte. Aber er hatte sie mir so komisch übergeben, dass sie mir aus der Hand rutschte. Aber der Junge fing sie gelassen und schnell auf, ehe sie den Boden berührte. Gute Reflexe.

„Danke.“ Sagte das Mädchen zu Shane. Dieser erwiderte es mit einem gegrummelten „Hm.“ Und verschwand wieder. Der Junge gab mir die Flasche und ich bedankte mich bei ihm. „Ist auch wirklich alles okay mit dir?“ hakte er nach. „Ja.“ Sagte ich und er schaute mich besorgt an.

„Da ist ja einer richtig besorgt.“ Kicherte sie. „Ach halt die Klappe, Annie!“ Aber der Junge schien nicht sauer auf sie zu sein.

„Ähm, was wollt ihr eigentlich von mir?“ fragte ich schließlich. Diese Frage kam mir irgendwie so bescheuert vor.

Sie schauten mich beide verdutzt an. „Wir wollten dich zum Essen einladen. Du musst bestimmt Hunger haben.“ Warf Annie ein.

Oh, ja da hatte sie vollkommen Recht. Ich hatte mächtigen Kohldampf. Das wurde mir erst bewusst, als sie es ansprach. „Aber so kannst du nicht zum Essen gehen.“ Sagte der Junge und deutete auf mich oder beziehungsweise meine Klammotten. Ich musterte mich selbst kurz. Ich trug einen hellrosafarbenen Jogginanzug, der mir jedenfalls nicht gehörte.

„Das ist meiner.“ Antwortete Annie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Er wandte sich an sie: „Aber es ist auch mal etwas anderes das Schneewittchen in etwas Farbenfrohem zusehen, oder?“ „Sie trägt auch nicht gerade bunt. Und hör auf mich Schneewittchen zu nennen!“ warf ich ein.

„Pff.“ Machte Annie und verschränkte die Arme. „Darf ein Gothic-Girl, denn keinen pinken Jogginanzug tragen!?“ Die beiden hatten sich kurz in den Haaren und als zwischen ihnen endlich wieder Ruhe eingekehrt war, fragte ich endlich: „Ähm, sorry, dass die Frage so spät kommt, aber wer seid ihr eigentlich?“

Die zwei tauschten miteinander Blicke und schauten mich verwirrt an. Was war denn jetzt los?

„Okay… sie kannst du ja noch nicht kennen. Aber mich…“ meinte der Junge. „Echt jetzt?“ ich war jetzt total verwirrt. Woher sollte ich ihn kennen? Vielleicht von früher, oder so? Es kam mir schon irgendwie vertraut vor mit ihm zu reden…

„Hä?“ machte er. Dann fasste er mir mit der Hand auf die Stirn. „Hast du vielleicht Fieber? Lizzy, hast du dir irgendwo den Kopf gestoßen, dass du mich vergessen hast?“ hakte er nach. Ich schüttelte den Kopf und schaute ihn mit großen erwartungsvollen Augen an, dass er mir nun die Antwort darauf gäbe, wer er nun sei. Nach kurzen Sekunden des Zögerns, klärte er mich auf:

„Okay, wir haben uns vor sieben Jahren das letzte Mal gesehen… Ich bin’s, Jesse.“ Den Satz beendete er mit einem Lächeln. „Jesse…“ murmelte ich ungläubig.

Jesse? Jesse, mein Kindheitsfreund, dessen Mutter meine Meisterin war? Dessen Mutter  von einem Dämon getötet wurde und ich nicht auf ihre Beerdigung durfte? Er war hier im Orden. Er hatte es geschafft Exorzist zu werden. Wie sollte ich auf ihn reagieren? Nach all den Jahren? Aber ich kam nicht dazu mir darüber Gedanken zu machen, denn Annie kam zu Wort: „Und ich bin seine Schwester Annemary. Aber nenn mich ruhig Annie.“ 

„Seit wann hast du ne Schwester?“ hakte ich nach. „Sie ist meine Halbschwester. Sie kam kurz nach dem Eintritt des Ewigen Winters zu uns.“

„Komm, wir machen uns schon mal vom Acker, sonst ist das Essen dann alle.“ Forderte mich Annie auf. Sie machte flotte Schritte zur Tür. Ich folgte ihr schließlich.

 

Die englische Abteilung des Ordens der schwarzen Retter war riesig. So riesig, dass man sich hätte verlaufen können. Mir selbst ist das damals sehr oft passiert, auch noch als ich gehen musste. Die italienische war zwar auch groß, aber übersichtlicher. Und Annie schien sich hier bestens auszukennen. Mich wundert es, wie klein sie eigentlich ist. Selbst mit den High Heels war sie noch kleiner als ich und ich hatte nur eine Körpergröße von einem Meter zweiundsechzig.

Wir liefen einen Gang entlang, der mit dunklen Marmorboden ausgelegt wurde. So gut wie alle Böden, außer der des Krankenzimmers, bestanden aus Marmor. Ich wusste, dass wir uns im Erdgeschoss befanden, denn dort befand sich immer das Krankenzimmer. Von oben hingen Kronleuchter. Gebäude des Ordens waren immer sehr hoch und edel.

Annie bog links ab und stieg Treppen hinauf. Ich tat es ihr nach. Wir gingen bis ins zweite Stockwerk. Dann liefen wir wieder einen Gang entlang.

Annie öffnete die dritte Tür und trat ein.

„Da wären wir.“ Sagte sie.

Das Zimmer war sehr groß, freundlich und hatte einen eigenen Balkon und ein eigenes Badezimmer. Es hatte vier große Betten, wovon drei belegt schienen. Die Möbel sahen ziemlich teuer aus. So viel Luxus gab‘s in Italien nicht.

„Jesse hat dein Gepäck hochgetragen. Eigentlich solltest du als prominenter Gast dein eigenes Zimmer bekommen, aber wir haben beschlossen, dass du bei uns wohnst. In Ordnung?“ „Geht klar.“ Sagte ich. Ein Einzelzimmer wär mir sowieso zu langweilig und einsam. „Gut. Das ist dein Bett. Ich hab’s schon bezogen.“ Sie deutete auf das in der Mitte. „Danke.“ Erwiederte ich. Die dritte Person schien nicht da zu sein. Annie ging zu dem kleinen viereckigen Tisch und nahm ihr Smartphone zur Hand, was am Ladegerät hing. Wahrscheinlich checkte sie News. Mein Blick fiel auf die Uhr, die am der Wand hing. Es war kurz nach neun.

Ich öffnete meine Reisetasche und legte Hose, Top, Unterwäsche, Handtuch und Waschzeug aufs Bett. Ich zog den pinken Jogginanzug aus, wickelte mir das Hand drum und schnappte mir mein Waschzeug. Dann sagte ich zu Annie: „Ich bin dann mal Duschen.“ Sie gab darauf nur ein gutgelauntes „Jaja.“ von sich.

Das Bad war groß und luxuriös. Es gab eine Badewanne und eine Dusche. Ich entschied mich für die Dusche. Ich legte mein Zeug in das Regal und schnappte mir Shampoo und Duschgel. Ich stieg in die Duschkabine, stellte mich unter die Brause, die sozusagen in der Decke eingebaut war, und betätigte den Hebel. Lauwarmes Wasser floss auf mich. Es tat gut wieder mal ordentlich zu Duschen. Ich hatte zwar auch mal in der schmuddeligen Pension in Cambridge geduscht. Aber naja das war irgendwie ziemlich eklig dort.

Als ich fertig war trocknete ich mich ab, föhnte mir die Haare und zog mich an.

Dann ich band ich mir mein Haar zusammen.

„Können wir?“ fragte Annie und ich bejahte.

Wir mussten wieder ins Erdgeschoss. Wir liefen in die entgegengesetzte Richtung des Krankenzimmers. Dann sah ich Jesse vor der großen Tür des Speisezimmers stehen. Er winkte uns zu sich. Und dann betraten wir den Speisesaal. Das war mit der Aula der Größte Raum des Ordens. Hier trafen dreimal am Tag alle Exorzisten, Exorzistenschüler und die Forschungsabteilung  zusammen, um sich zu unterhalten und auszutauschen. Aber es kann natürlich auch mal vorkommen, dass ein Exorzist für längere Zeit auf Mission ist.

Jesse, Annie und ich setzten uns an einen Vierertisch am Fenster.

Alles stand für ein Frühstück schon bereit. Müslischüsseln, Tassen, Teller verschiedene Cornflakes- und Müslisorten, Milch, eine Espressomaschine, ein Toaster, Weißbrot,Besteck  und so weiter. Und sowas stand auf fast jeden Tisch. Man konnte auch Ham and Eggs essen, aber das war etwas teurer.

Ich nahm mir einen Teller und ein Messer. Dann steckte ich zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster. Annie und Jesse schienen mir gespannt zuzuschauen. Ich stellte eine Tasse unter die Espressomaschine. Ich starrte sie kurz verwirrt an, dann fragte ich: „Ähm… wie funktioniert das?“ Mir war das irgendwie etwas peinlich. Der Spruch „Frauen und Technik.“ trifft bei mir fast vollkommen zu. Und in Italien hatten wir im Orden so etwas noch nicht. Da hatten wir die gute alte Kaffeemachine und mit der hatte ich manchmal schon zu tun.

Jesse betätigte einen Hebel und drückte einen Knopf. Dann lief es in meine Tasse. So einfach kann’s gehen. Inzwischen waren meine Toasts rausgesprungen und Jesse und Annie aßen Müsli. Ich schmierte Aprikosenmarmelade drauf und biss rein. Endlich wieder etwas im Magen.

„Warum musstest du eigentlich hier her?“ fragte Annie nuschelnd. „Das wüsste ich selbst gern.“ Antwortete ich. „Aha. Dann bin ich mal gespannt was der Dicke für ein Auftrag für dich hat.“ Mit dem Dicken meinte sie den Abteilungsleiter. „Ja, ich auch.“ Meinte ich und fragte dann die zwei: „Auf welchen Rang seid ihr eigentlich?“ „B-Rang.“ Sagte Jesse kurz und knapp. Okay, die beiden waren also genau wie Shane auf dem B-Rang. Sozusagen das Mittelmaß. Aber plötzlich kam Annie mit ihrer Antwort: „Ich bin S-Rang.“ Ich war so überrascht, dass ich mich beinahe an einem Stück Brot verschluckte. S-Rang? Wie stark ist sie denn? S-Rang war direkt unter BlackWizard.

Es gab ein System des Exorzismus. An oberster Stelle stand die Regierung. Dann kamen nacheinander BlackWizard, S-Rang, A-Rang, B-Rang und C-Rang. Das war immer nach der Stärke eines Exorzisten angeordnet. Aber C-Rang waren immer Exorzistenschüler und die Forschungsabteilung.

Ich schaute Annie immer noch verblüfft an.

„Was denn?“ fragte sie. „Du hast bestimmt schon mal von mir gehört.“

In meinem Kopf ratterte es. „Bist du etwa die jüngste Exorzistin überhaupt?“ „Bingo.“

Bei uns italienischen Exorzisten ging vor etwa vier Jahren ein Gerücht um, dass England eine elfjährige Exorzistin hatte, die nur zwei Jahre für die Ausbildung brauchte und schon als A-Rang eingestuft wurde. Dieses Gerücht stimmte also. Und es saß vor mir. Sie muss wirklich ziemlich stark sein. Sogar viel stärker als ich. Man steigt Ränge auf, indem man ein Dämon tötet, der für diesen einen Rang vorgesehen ist und es ist egal wie man ihn tötet. Und deshalb bin ich ihr auch ziemlich unterlegen, weil ich manche Dämonen getötet habe als sie geschlafen hatten. Ich schluckte. „Dann hast du sicher an der BlackWizard-Prüfung letztens teilgenommen.“ Setzte ich an. Man konnte diese Prüfung nur als S-Rang machen. Aller fünf Jahre wird ein neuer BlackWizard gewählt. Außer es sei denn, der amtierende stirbt oder schmeißt sein Amt nieder. Dann wird natürlich zwischendurch ein neuer gewählt.

„Ja.“ Antwortete Annie.

„Sagen wir mal fast.“ Meinte Jesse. „Sie hatte sich vor die Jury hingestellt und so getan als könne sie das Iceling nicht, weil sie kein BlackWizard werden wollte.“

„Tom hatte es mehr verdient.“ Annie deutete auf einen älteren Schwarzen, der vorne an der Bar mit jemanden trank. Die Bar war übrigens dauergeöffnet.

„Und sie beherrscht das Iceling besser als er.“

Das Iceling war eine Kraft, die jeder Exorzist mit hoher spiritueller Aura konnte.

Ich hatte eine hohe spirituelle Aura. Aber auch nicht so stark, weil ich als ich das Iceling für mich übte nicht hinbekommen hatte, aber vor der Jury klappte es. Aber auch nur kurz und es gelang mir bis jetzt noch nicht wieder. Es wird aber auch nur der gewählt, der das Icelin am besten meisterte. Ich war die Einzige des S-Rang, die es wenigstens ansatzweise konnte. Die anderen konnten es gar nicht. Und so wurde ich zum BlackWizard.

Wir hatten fertig gegessen und Jesse stand auf einmal auf. Er kam schnell mit einem Glas Wasser zurück und setzte sich wieder. Er puhlte aus einer weißen runden Dose eine Tablette heraus. Er nahm diese mit dem Wasser ein.  

„Musst du die immer noch nehmen?“ fragte ich ihn. „Hm. Herzfehler bleiben halt.“ Antwortete er. Er hatte also einen Herzfehler und war trotzdem ein Exorzist.

Annie schnappte sich seine Dose und lugte hinein. „Da ist nicht mehr viel drin.“ Stellte sie fest. „Ich besorgt dir dann mal neue.“ „Okay.“

Dann standen wir auf, schoben die Stühle ran und verließen den Speiseraum. Annie machte sich sofort auf, um ihren Bruder Tabletten-Nachschub zu besorgen.

Jesse und ich liefen wieder die Treppen hinauf zum zweiten Stock.

„Hast du dann Zeit?“ fragte er. „Ja. Klar.“ Antwortete ich. „Ähm… und was machen wir?“ wollte ich wissen. „Ich denke du weißt nicht wo das Grab meiner Mom ist.“ Setzte er an.

Okay. Zu Caddys Grab…

Ich ging in das Zimmer um meine Jacke zu holen. Jesse ging natürlich in die andere Richtung, weil das Männerabteil auf der anderen Seite war.

Dann trafen wir uns wieder am Eingang.

 

Es war draußen kalt, aber es schien die Sonne. Der Friedhof befand sich hinter der Villa. Er war groß und durch die unzähligen Grabsteine ziemlich unübersichtlich.

Jesse führte mich in eine der hintersten Reihen. Dann blieb er stehen und sagte: „Da wären wir.“

Auf dem Grabstein stand: „Cathleen Prince. Exorzistin des S-Rangs.“ Und ihr Geburts-und Sterbedatum. „Wie… wie ist das eigentlich passiert?“ fragte ich lese. „Ich selber erinnere mich nicht daran. Ich hab einen Filmriss, weil der Dämon mich am Kopf verletzt hatte. Mir wurde gesagt, dass Annie und ich Holz sammeln waren und meine Mom war drinnen. Als wir zurückgingen tauchte wie aus dem Nichts dieser Dämon auf und verletzte mich. Sie kam und stellte sich vor uns. Der Dämon schlitzte sie auf. Annie besiegte ihn irgendwie mit einem von Shanes Schwertern.“ Als ich das hörte war mir auf einmal zum Heulen zu mute. Aber es war eine Art Reflex von mir, dass ich das unterließ.

„Sie war eine tolle Frau.“ Sagte ich. „Ja, das war sie.“

Plötzlich ergriff Jesse meine Hand. Dann zog er mich an sich heran und umarmte mich. Wir blieben eine Weile so. Es fühlte sich warm und geborgen an.

„Du hast mir gefehlt.“ Flüsterte er mir ins Ohr.

Es war seine Wärme, die mir die ganzen Jahre über gefehlt hat.   

 

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Tag der Veröffentlichung: 19.02.2013

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