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„Das kann ja heute nur ein guter Tag werden“ sage ich leise, und in durchaus sarkastischem Tonfall zu mir, als das Mausgraue Bürogebäude, ich nenne es ja gern „Selbstverwirklichungsverhinderer“ immer näher rückt. Je näher man kommt, desto deutlicher sieht man die Taubenscheiße, den abgenutzten Putz und die dreckigen, verschmierten Fenster, welche kackbraune, verschlissene Vorhänge zieren. Außen Pfui, innen pfui pfui, könnte man sagen.
Mit mir trotten unzählige andere in diese Träume fressende Fabrik. Meine erste Arbeit nach meinem durchaus guten Abschluss einer Grafikschule. Motiviert war ich bis zum geht nicht mehr, die ganze Welt steht mir offen, so dachte ich jedenfalls.
Wenn das die Welt ist, die mir offen steht, dann kann ich eigentlich nur mehr nach dem schnellsten Weg zum Bahnhof fragen, um mich dort, mit einem Lächeln vor einen Zug zu werfen, und dem Elend ein Ende setzen. Aber nein, das Leben hat doch noch so viel zu bieten, sollte man meinen. Mit 5 anderen seelenlosen Geschöpften „Gottes“, an den ich genau genommen nicht glaube, warte ich auf den Fahrstuhl. Man sieht sich nicht an, man redet nicht, man wartet. Meinen Augenliedern will es einfach nicht gelingen, nicht nach unten zu klappen, wie kaputte Rollläden.
Der Lift ist da, man steigt ein, starrt auf seine Schuhe, oder seine Uhr, oder sonst irgendwo hin und hängt seinen Gedanken nach. Hin und wieder huscht mein Blick vorsichtig, umher und mustert die Gesichter der anderen Mitfahrer. Was die wohl denken? Vermutlich dasselbe wie ich, wie warm es doch heute im Bett war, das man den Kaffee am liebsten ausgetrunken hätte oder noch eine Zigarette mehr geraucht hätte. Das man den Artikel in der Zeitung eigentlich noch gern zu Ende gelesen hätte, oder vielleicht ob man die Kaffeemaschine wirklich ausgeschaltet hat. Mein Stockwerk, ich steige aus. Ich habe eigentlich ziemliches Glück mit meiner kleinen Zelle, äh, ich meine Büro. Es ist groß, hell, und dank der Renovierung letztes Jahr sind die Wände strahlend weiß, und nicht gelb wie die Finger eines Kettenrauchers.
Ich teile mein Büro mit zwei wunderschön abstoßenden Kolleginnen um die 50 die man von ganzem Herzen hassen kann. Als ich die Türe aufmachen will und sehe, das abgeschlossen ist, huscht ein kleines Lächeln über mein Gesicht. Noch niemand da, fabelhaft. Wunderschöne Stille als ich mein Büro betrete, und nicht das stetige Gedudel des Radios, der ja doch nur Werbung wiedergibt, und wenn nicht immer wieder den gleichen Popmist anbietet, daruntergemischt ein paar sogenannte Hits von Nickelback oder Linkin Park. Dadurch können dann müllredende Radiomoderatoren behaupten auch das „alternative“ Publikum anzusprechen, ja sich sogar als Rock UND Pop Sender darstellen. Ekelhaft. Überhaupt, wer oder was bitte ist dieses „alternative“ Publikum genau?
Egal, ich schlurfe lustlos durch mein bezaubernd menschenleeres Büro, genieße die Stille und kümmere mich um das einzige Lebewesen, das mich in dieser „Institution“ nicht zum Würgen bringt. Meinen Ficus, unter Fachleuten auch genannt Ficus benjamina. Er ist meinen Kolleginnen ein Dorn im Auge, umso mehr kümmere ich mich um den kleinen, sehe zu das er immer genug Wasser und Licht hat und das seine Blätter ja nicht einstauben. Hübscher kleiner Benjamin.
Eigentlich hab ich es ja gar nicht so mit Pflanzen aber wie heißt es so schön, der Feind meines Feindes ist mein Freund. Man könnte jetzt denken ich wäre ein kleiner Misanthrop, aber dem ist nicht so, ganz im Gegenteil.
Ich finde, der Mensch als Säugetier, als Lebewesen und Organismus, ist ein wunderbares Geschöpf voll Schönheit und Intelligenz. Leider nur, trifft das eben nicht auf den Mensch als Person zu, und noch weniger trifft es auf den Mensch als Nutztier, auch genannt, Arbeiter und Angestellter zu. Diese Sorte Mensch, zu der ich mich leider 8 Stunden am Tag zählen muss, ist der Inbegriff von Abscheulichkeit, aber ich schweife ab.
Ich gieße also zufriedenen lächelnd meinen Benjamin und schaue fast entspannt aus dem Fenster. Wolken, eventuell Regen? Stört mich kein bisschen, denn ich bin ja durch diesen Betonklotz in dem ich bis 4 Uhr festsitze geschützt. Ich setzte mein allmorgendliches Ritual fort und begebe mich in die Küche, in der Hoffnung auch dort niemanden anzutreffen und, oh Fortuna sei Dank, ist auch dort niemand anzutreffen. Meiner einer wirft die Kaffeemaschine an, nächstenliebend wie ich bin mache ich mehr, damit auch die werten Kollegen und Kolleginnen etwas davon haben. Ich gähne, und grapsche gedankenverloren nach meiner Tasse.
Das Gluckern der Kaffeemaschine und der angenehme Duft den dieses erlesene Heißgetränk verströmt heben deutlich meine Stimmung. Ich sag’s euch, würde mein Herz nicht Blut durch meine Venen jagen, wäre es Kaffee. Ich vernehme, während ich auf meine Koffeinration warte, lautes Geschnatter, und es kommt näher. Meine über alles verhassten Kolleginnen schneien in die Küche wie ein Wirbelsturm.
Ein Wirbelsturm purer Dummheit, Selbstgefälligkeit und Ignoranz, und um dem die Krone aufzusetzen trägt eine, oder vielleicht sogar beide, ein über die Maßen abstoßendes Parfum, welches dermaßen die Nase beleidigt, dass selbst ein Stinktier lauthals kreischend das Weite suchen würde. Ich lasse mir nichts anmerken, nein, ich setze ein Lächeln auf und wünsche einen „Guten Morgen“. Mein Gruß wird von dem 300 Kilo Walross in hohen Hacken gekonnt ignoriert.
Sie mustert mich nur kurz, streift ihre ekelhafte, lachsfarbene Bluse zu recht und stemmt ihre Puddingarme in ihren Hüftspeck, und zwar genauso das ich einen wunderbaren Blick auf die dunklen, nassen Ränder unter ihren Armen werfen kann. Mahlzeit. Die zweite Dame, der Bauerntrampel, nickt mir zu. Ihr Kostüm zeigt zwar das sie Stil hat, oder zumindest das was Modemagazine wie „Wienerin“ oder „Woman“ als Stil bezeichnen.
Ihre Art zu sprechen, und vor allem der verbale Müll der unentwegt ihrer Kehle entschlüpft, verraten jedoch, dass sie eine ungebildeter Idiotin ist, der die große Welt sehen wollte, es jedoch nicht weiter als in die nächst größerer Stadt geschafft hat.
Der Kaffee ist fertig, und ich bin heilfroh darüber, denn die beiden sind gerade dabei eine Hasstirade über irgendeinen neue Kollegin mit Namen Doris zu starten, die, wie man ihren vorhergehenden Gesprächen entnehmen konnte, eine „ungebildetes, karrieregeiles Flittchen ist, welches sich die Karriereleiter hochschläft“. Ohne die beiden Schreckensschwestern noch eines Blickes zu würdigen begebe ich mich zurück in mein kleines, strahlend weißes, selbst erwähltes Gefängnis und beginne mit meiner Arbeit.
Gegen 13:00 Uhr, ich habe übrigens noch keine Pause gemacht, und das, obwohl es verboten ist, läutet das Telefon. Meine eigene kleine, heimliche Revolution. So kann ich das Gebäude früher verlassen. Sehr untypisch, denn da ich mit Kunden nicht das Geringste zu tun habe, läutet mein Telefon so gut wie nie, es sei denn es ist einer von Oben, also der Chefetage. Und, wie kann es anders sein, es ist die Chefetage. Ich nehme den Hörer ab und presse das süßeste „Grüß Gott“ heraus das ich zustande bringe. Der Gruß wird von meinem Chef, dem Ekelpaket schlechthin, natürlich nicht erwidert, stattdessen beordert er mich in sein Büro.
Kollegin 1 und Kollegin 2 können sich ihr Grinsen kaum verkneifen, denn natürlich haben sie mitangehört und hoffen nun vermutlich darauf, dass ich eins auf meinen wunderschönen, zierlichen Fingerchen bekomme. Ich nehme den Lift, denn zu auf Treppensteigen habe ich heute so was von gar keine Lust, auch wenn es nur 3 Stockwerke sind. Am Büro des werten Chefs angekommen, klopfe ich, wie damals in der Schule an der Konferenzzimmertüre, sachte und exakt drei Mal. Ich werde hereingebeten, naja, genauer gesagt, hereinbefehligt, denn mit bitten hat das ganze wenig zu tun.
Der kahle, alleinstehenden und sichtlich einsame Chef, ja so viel habe ich bereits, gegen meinen Willen wohlgemerkt, über meinen Chef herausgefunden, lehnt gemütlich in seinem Sessel und plappert munter und heiter in seinen Telefonhörer. Definitiv ein Kundengespräch, denn Freundlichkeit, ohne Aussicht auf einen Nutzen ist für diesen Menschen ein Fremdwort. Er deutet mir mit seinem behaarten Zeigefinger das ich still sein und warten soll.
Als hätte ich jetzt losgebrüllt was er denn von mir will. Elendiges Scheusal. Nach weiteren 3 Minuten, einer geschätzten Ewigkeit, knallt er den Hörer auf die Gabel und sein wahres ich kommt zum Vorschein.
Da sein Hund, dessen Name mir immer und immer wieder entfällt, bereits mit der Leine an seinem Halsband um mich herumscharwenzelt ist mir bereits klar was ich in meiner Mittagspause tun werde. „Gehen sie mit Bodo raus, bitte“ und obwohl er bitte sagt, war es eindeutig keine Bitte „Sie hatten doch heute sowieso noch keine Mittagspause“.
Elendige Hexen, haben ihm erzählt dass ich keine Mittagspause gemacht habe. Ich schnappe mir die Leine, presse ein „Aber gerne“ hervor und wandere mit dem wandelnden Flohzirkus, ein überaus hässliches Exemplar von einem Mops nach draußen.
Der kleine wedelt aufgeregt mit dem Schwanz als wir auf dem Weg zum Fahrstuhl sind, und ich denke mir „Hey, ein kleiner Spaziergang ist jetzt auch nicht so schlimm“. Ich verschwinde noch schnell auf die Toilette, um meinen menschlichen Bedürfnissen nachzugehen. Um einiges erleichterter aber dennoch nicht wirklich besser gelaunter verlassen ich und die Töle des Vorgesetzten den Waschraum und begeben uns in Richtung Fahrstuhl. Nun kümmern wir uns um die Mickey Mouse Blase des Köters, denke ich mir und schlurfe zum Fahrstuhl um 26 Stockwerke in die Tiefe zu fahren.
Ich sehe meinen Vorgesetzten im Lift stehen und beschleunige mein Tempo, denn ist der Lift erst einmal weg, kann ich 26 Stockwerke zu Fuß bewältigen, und das geh faule Vieh auch noch tragen. Mein werter Chef jedoch, das größter Arschloch das auf Erden wandelt, macht nicht die Anstalten die Aufzugtüre aufzuhalten, und noch ehe ich den Knopf erreiche, fährt dieser gemächlich Abwärts. Blöder selbstgerechter Scheißkerl.
Leise fluchend, stopfe ich mir Kopfhörer in meine Ohren und beginne meinen Abstieg vom Mount „Ich-hasse-mein-verfluchtes-Leben“, das Drecksvieh von Hund auf dem Arm. Während meines Abstiegs dröhnt laute Musik in meinen Ohren, harte Gitarrenriffs, gefolgt von wütenden Schlagzeugsolos. Sehr passend zu meiner Stimmung.
Ich koche innerlich, nehme mir vor zu kündigen, die Drecksarbeit hinzuschmeißen, wie ich es mir schon so oft ausgemalt habe. Doch dieses Mal mache ich ernst, denke ich mir, das war der Tropfen der das Fass brennender Wut, zum Überlaufen gebracht hat. Ich werde die Kündigung gleich heute noch schreiben und sie mit vollem Karacho auf seinen dekadenten, viel zu großen Schreibtisch aus Teakholz wuchten.
Ich werde meinen wundervollen Benjamin nehmen, ihn entwurzeln und anschließend meinen Kolleginnen in den Rachen stopfen. Ich werde ihnen ins Gesicht brüllen wie armselig ihre kleinen, unbedeutenden Leben sind und danach mein ganzes Büro auseinandernehmen.
Das sind so die Gedanken die mir während meines, nicht notwendigen, anstrengenden, schweißtreibenden Abstiegs durch den Kopf gehen. Ich zünde mir eine Zigarette an, obwohl es natürlich verboten ist, aber scheiß drauf, ich kündige sowieso. Sie schmeckt wundervoll, nach Sieg, nach Triumph, nach einer Entscheidung. Heute mache ich Nägel mit Köpfen. Kurz bevor ich unten angelangt bin schnippe ich den Stummel weg, selbstverständlich ohne draufzutreten, mir doch egal wenn dieses ganze Gebäude in Flammen aufgeht.
Ich werfe mich gegen die schwere Türe und sehe eine Menschenansammlung. Seltsam, alle scheinen über die Maßen aufgeregt, ja hysterisch könnte man sagen. Ich nehme die Stöpsel aus dem Ohr und frage jemanden, ich glaube aus der Buchhaltung, was den los sei. Schrecken ist in den Augen des jungen Mannes zu erkennen, er scheint sehr durch den Wind zu sein, also frage ich jemand anderen nach Auskunft.
Nun wird mir erklärt, das der Aufzug, in welchem sich mein heißgeliebter Vorgesetzter befand, von ganz Oben abgestürzt sei, ein Seil sei gerissen und der Mann sei gestorben. Mein Chef, gestorben. Der Aufzug in den ich hinein wollte, hatte ihn in den Tod gerissen.
Ich hastete nach Draußen, beinahe panisch drängte ich durch die immer größer werdende aufgebrachte Menge um schließlich, endlich draußen anzukommen.
Den Hund setzte ich ab und atmete erst einmal tief durch. Nicht aus Schrecken bin ich hinausgeflüchtet, oder weil ich traurig bin, nein.
Ich dachte mir nur einfach, dass es nicht sehr angebracht wäre wenn alle Leute mein breites Grinsen sehen könnten. Ich streichelte Gedankenverloren den fröhlich hechelnden Hund. Einfältiges Vieh, du weißt gar nicht das dein Herr gerade das zeitliche gesegnet hat. Jaja, selig sind die Dummen.
Klischeehaft quetschte sich die Sonne genau in dem Moment durch die Wolkendecke und wärmte mein strahlendes Gesicht. „Heute wird vielleicht doch noch ein schöner Tag“ sage ich mir, und schlendere gemütlich in den Park damit der Kleine ein großes Geschäft verrichten kann.


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Tag der Veröffentlichung: 27.11.2012

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