Sie erinnern sich vielleicht, daß ich vor einiger Zeit aufgrund einer gemachten Erbschaft von Bonn nach Baltimore/Maryland umgezogen bin. Genauer gesagt, ich zog nach Cockeysville.
Cockeysville ist eine Ortschaft im Baltimore County im US-Bundesstaat Maryland mit gut 20.000 Einwohnern, im Grunde genommen ein Nest in der Größenordnung von Rheinbach. Ich verlängerte meinen damals einjährigen, unbezahlten Urlaub um zwei weitere Jahre und richtete mich in Cockeysville häuslich ein, baute das Haus innerhalb eines Jahres komplett um und konnte so drei schicke und luxuriöse Wohnungen vermieten, mir ein sehr gutes, regelmäßiges und zusätzliches Einkommen sichern. Die verbliebenen, knapp zwei Drittel Millionen Euro hielt ich mir als Reserve, legte sie gut an und konnte so von den Zinsen und meinen Mieteinnahmen leben. Hin und wieder verdiente ich durch Spekulationsgeschäfte an der Börse etwas Geld, sodaß ich im Jahresdurchschnitt auf immerhin eine Million Euro kam. Ich hatte eine vorläufige Arbeitsgenehmigung und obendrein die Greencard beantragt. Mir ging es gut und es hätte ein wunderbares Leben sein können, wenn da nicht Edna gewesen wäre.
Ein Jahr nach meiner Ankunft lernte ich sie während einer Ausstellung kennen, eine nette und attraktive junge Frau, charmant, geistvoll. Sie hatte alles, was mein Herz begehrte - auf den ersten Blick. Ich hätte die Finger von ihr lassen sollen, aber irgendwie war ich völlig vernagelt und nach sechzehn höllischen Ehejahren mit meiner Dahingeschiedenen war ich dann doch süchtig nach Nähe, Sex und all dem, was eine harmonische, zwischenmenschliche Beziehung ausmacht, geworden. Um es kurz zu machen, ich kam vom Regen in die Traufe.
Edna hatte alles, was einen Mann glücklich machen konnte und offensichtlich dachten wir in der Anfangszeit unserer Beziehung wohl ein wenig zu oft mit einer anderen, südlicher gelegenen Körperregion, denn anders kann ich es mir nicht erklären, daß ich die subtilen Zeichen ihres unglaublich besitzergreifenden Wesens übersah.
In Deutschland war meine Ex-Frau in sechzehn höllischen Ehejahren zu einem lebenden Albtraum geworden. Jetzt war Edna Jones in nur knapp zwei Jahren an ihre Stelle getreten und drohte, sie noch zu toppen. Edna war wohl der irrigen Meinung, sie könne mich unter ihre Kontrolle bringen und Sex sei alles, was ich brauchte. Sie war geradezu besessen von Sex.
Irgendwann kam es wie es wohl kommen musste. Ich suchte nach mehr als nur Sex, nur leider war da nichts bei Edna und es folgt die totale Ernüchterung. Und plötzlich sah ich ihre Fehler, die absoluten „No-Go’s“, die unausbleiblichen und einfach nur peinlichen Fauxpas‘. Erst waren es nur wenige, dann mehrten sie sich und unbewußt stellten sich Vergleiche mit meiner verstorbenen Ex ein und ich stellte fest: sie ähnelten sich doch zu sehr. Es wiederholte sich alles, nur auf einer anderen Ebene.
Eine endgültige Trennung kam für sie offensichtlich nicht in Frage, obwohl wir uns nach mehrfachen und oft nächtelangen, endlosen Diskussionen trennten. Reumütig kam sie immer wieder zurück und ich Volltrottel gab ihr immer wieder eine Chance, versuchte es von Neuem mit ihr - bis ich es eines Tages wirklich leid war und sie vor die Tür setzte.
Es verging einige Zeit. Edna „arbeitete“ vorrübergehend bei einem Broker, verdiente einen Haufen Geld und hatte sich ganz in meiner Nähe ein kleines Appartement gemietet. Na ja, ich konnte nichts dagegen unternehmen, hätte mir allerdings gewünscht, sie wäre in eine andere Stadt umgezogen.
Aber – sie mied mich und ließ mich in Ruhe. Ich war mir nicht ganz klar, ob es eine neue Taktik war oder ob sie tatsächlich Abstand von mir nahm. Jedenfalls genoß ich den Frieden und fing an, sie zu vergessen.
Nach einer längeren Trennungsphase schaffte sie es an meinem Geburtstag wieder, daß ich ihr noch eine „zweite“ Chance gab, es mit ihr erneut versuchte. Ich weiß nicht, warum ich mich breitschlagen ließ, aber ich entsprach ihrem Wunsch. Es dauerte nur ein, zwei Monate und sie ging mir mit ihrem Kontrollwahn und ihrem Putztick wieder ganz gewaltig auf die Nerven, von ihrer Verschwendungs- und Spielsucht und ihrer Sexbesessenheit mal ganz abgesehen. Ich war fertig, setzte sie bei einem unserer Streitereien endgültig vor die Tür. Diese Frau ruinierte mich systematisch: körperlich, geistig und finanziell.
Einstweilige Verfügungen lösten Urteile ab, die ihr verboten, sich mir auf weniger als 100 m zu nähern. Sie durfte mein Haus nicht mehr betreten, musste sich auf Abstand halten und dergleichen, aber sie ignorierte alle Urteile. Keins hatte für sie Gültigkeit. Ich war in dieser Zeit mehrfach nach Deutschland „geflüchtet“, hatte mich in Bonn zurückgezogen um zur Ruhe zu kommen und überlegte schon in depressiven Augenblicken, das Haus in Baltimore zu verkaufen.
Irgendwie regte sich dann aber wieder der massive Widerstand in mir und ich kehrte zurück nach Baltimore County: niemand würde mich je wieder beherrschen und niemand würde mich aus meinem Haus vertreiben, mir das nehmen, was ich mir aufgebaut hatte. Das Groteske war, daß sich die örtliche Polizei außerstande sah, Edna einzubuchten, wie es die Urteile bei Nichteinhaltung der Auflagen vorsahen. Der Grund blieb mir verschlossen und ich sah mich nach Alternativen um, mich ihrer zu entledigen, da offensichtlich Gesetzte und Gerichtsurteile und ernsthafte Ermahnungen der Richter bei dieser Frau nicht halfen.
Na schön, sagte ich mir. Wenn die Bullen nicht imstande sind, dem Gesetz Genugtuung zu verschaffen, muß ich wohl selbst aktiv werden – auf meine Art.
Also las und sortierte, grübelte und informierte ich mich, bis mir eines Tages ein Magazin in die Hand fiel, welches über ein bizarres Festival in Dreeperslip Grove, Kachiule County im Südwesten von Texas berichtete und meine gesteigerte Aufmerksamkeit erregte.
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Besagter Artikel berichtete von einem Rattlesnake-Roundup in Dreeperslip Grove, einem Festival der etwas anderen Art. Irgendwie kam mir das Ganze so bizarr vor, daß ich es fast nicht glauben wollte - aber es stimmte, der Artikel war keine Zeitungsente.
Die verschlafene Kleinstadt Dreeperslip Grove, Kachiule County lag im weiten, kargen Südwesten von Texas. Ihre rund 12000 Einwohner lebten überwiegend von der Landwirtschaft und irgendwelcher Kleinindustrie. Die Sommer sind brütend heiß und lang, im Winter weht ein eiskalter Wind von Norden her über die Plains. Ein unscheinbares, verschlafenes Kaff mitten in der langweiligen Einöde von Texas.
Jedes Jahr wurden in diesem Nest in der zweiten Märzwoche Tausende von Klapperschlangen gefangen und traten ihren letzten Weg an. Weißkittel der Pharmaindustrie handhabten die Reptilien mit schnellen und geübten Griffen, zapften ihnen ihr Gift für Medizin und Forschung ab. Zur gruseligen Belustigung der zigtausend Besucher wurden die Tiere geschlachtet, gehäutet und gegrillt. Die Köpfe konnte man als makabres Souvenir der etwas anderen Art, sorgsam in Einmachgläsern eingelegt, mit nach Hause nehmen. Die Häute wurden zu Handtaschen, Geldbörsen, Gürteln oder Hutbändern, die Rasseln zu Schlüsselanhänger verarbeitet. Gegrillte oder gebratene Klapperschlange ist unter Kennern eine Delikatesse. Nebenbei erfuhr man auch Interessantes und Wissenswertes über diese Tiere.
Übrigens haben wir auch in Maryland zwei sehr giftige Arten von Klapperschlangen, denen man besser aus dem Weg gehen sollte.
Klapperschlangen gehören zu den am meisten verfolgten Tierarten der Erde. Es gibt mehr als 30 Arten und zahllose Untergruppen dieser Schlange, deren Verbreitungsgebiet von Kanada bis hinunter nach Argentinien reicht. In Dreeperslip Grove und Umgebung wird ausschließlich die Western Diamondback Rattlesnake gejagt. Die trockenen Prärien, Berge und Wüsten des amerikanischen Südwestens der USA sind ein idealer Lebensraum für die Rattler. Die Diamondback lebt von Mäusen und Ratten, Vögel und Kaninchen. Zu ihren natürlichen Feinden gehören Wildschweine, Kojoten, Wildhund und Adler.
Klapperschlangen beißen übrigens nur um sich zu verteidigen und die Schlange kann auch nur über eine Strecke zuschlagen, die etwa die halbe Länge ihres Körpers beträgt. Man muß buchstäblich auf sie treten, denn sie gehen Ärger lieber aus dem Weg. Ihrer Ausrottung entkommen die Schlangen vor allem, weil sie hochspezialisiert sind. Sie sind Meister der Tarnung und die Weibchen haben jährlich zwischen sieben und einundzwanzig lebend geborene Junge. Wenn die Klapperschlange ihre langen Giftzähne verliert, wachsen diese in wenigen Stunden oder Tagen nach, ähnlich wie beim Hai.
In Dreeperslip Grove fand also ein unvergleichliches Gruselspektakel statt, in dem Tausende von Klapperschlangen gefangen und geschlachtet wurden.
Ich fragte mich nur, wo kamen diese unzähligen Giftwürmer nur alle her? Tausende von Schlangen in nur wenigen Tagen. Hm… ich grübelte und grübelte und ein Gedanke verfestigte sich in mir, wurde zu einer schaurigen Theorie, die es zu beweisen galt. Was wäre, wenn es irgendwo in der Nähe von Dreeperslip Grove ein unterirdisches Höhlensystem gäbe, welches diesen widerwärtigen Tieren als Refugium diente?
Ein erster, kaum greifbarer Plan begann in mir zu reifen.
Ich begann, mich mit der örtlichen Geologie und ein wenig Seismologie zu beschäftigen und wurde bald fündig, hatte einen ersten, unbestätigten Verdacht. Ich flog also für einige Tage nach Texas, mietete mir einen geländetauglichen Pickup in Fort Worth und besah mir alles aus der Nähe.
In einem der abgelegenen, kleinen Canyons wurde ich nach Tagen intensiven Suchens fündig, wenn auch mehr durch einen Zufall, der für mich, Gott sei Dank, nur beinahe tödlich endete.
Müde und erschöpft von der langen Suche lehnte ich mich an einen unscheinbaren Felsen, der durch mein Gewicht plötzlich in zwei Teile zerbrach und eine bis dahin versteckte Höhle freigab. Ich verlor den Halt und rutschte ungefähr zwei Meter auf relativ sandigem und staubigem Grund in diese Höhle. Sie war nicht wirklich groß und ich konnte den Fall bremsen, indem ich Beine und Arme spreizte und mich an der rauhen Höhlenwand festhielt. Der infernalische Gestank nach Reptilien, die in großer Zahl auf engem Raum lebten, fiel mir erst auf, als ich meinen Sturz gebremst hatte und überlegte, wie ich wieder ans Tageslicht kam. Ich lag auf dem Rücken, stützte mich mit allen Vieren ab. Ein kindskopfgroßer Felsbrocken unter meinem rechten Fuß gar mir den notwendigen Halt, an mir herunterzusehen und dieses Loch näher in Augenschein zu nehmen.
Vor mir beziehungsweise unter mir befand sich in dem Halbdunkel ein fast zwei Meter fünfzig großes Loch. Wie tief dieses Loch war, konnte ich nicht ermitteln, aber anhand der kühlen Luft und dieses gräßlichen, würgenden Gestanks von Reptilienfäkalien ging ich davon aus, daß es etliche Meter sein mussten.
Vorsichtig nahm ich einen faustgroßen Stein auf, warf ihn in den Schacht und zählte. Nach 3 Sekunden hörte ich ein lautstarkes Rasseln, wobei dieses Geräusch immer stärker anschwoll. Der Schacht war also ungefähr 40 m tief und mußte mit einer Unzahl an Schlangen angefüllt sein. Meine Fantasie begann mir böse, irrationale Streiche zu spielen. Schon sah ich in meiner Einbildung den ersten häßlichen, drachenkopfähnlich gehörnten Schlangenkopf über den Rand schauen, weitere folgten und alle Augen richteten sich auf mich aus. Mir schauderte und ich stemmte mich gegen die Wände, stützte mich an den schroffen Felswänden ab, drückte mich nach oben, in Richtung Höhlenausgang. Nach wenigen Minuten hatte ich es geschafft. Ich befand mich wieder im Freien und hatte meine Schlangengrube gefunden. Langsam beruhigte ich mich und sondierte das Umfeld.
Nach einer kurzen Pause ging ich zum nahe abgestellten Pickup, holte meine Maglite, meine Glock 17, Kal. 9 mm nebst zwei Reservemagazinen und ein Seil aus dem Fahrzeug, welches ich an der Stoßstange mit zwei Doppelknoten festmachte. Den Rest schlang ich mir vor dem Höhleneingang um die Hüfte, verknotete es und ließ mich erneut in die Höhle hinab, diesmal aber kopfüber.
Ganz vorsichtig, in der einen Hand die Maglite, in der anderen die schußbereite Glock robbte ich auf den Rand des Schachtes zu und leuchtete ihn schrittweise aus.
Ja! Bingo! Da lag sie vor mir, die gesuchte Schlangengrube.
Es war ein unglaublicher, schockierender Anblick. In etwa 40 Meter Tiefe sah ich Hunderte, wenn nicht sogar Tausende große und kräftige Exemplare der Diamondbacks, die dort unten über einander lagen, riesige Knäuel giftiger, lebender und sich ständig in Bewegung befindender Körper bildeten. Es war ein unglaubliches Gewusel von sich aufgeregt durcheinander bewegenden Schlangenleibern, die ich mit meinem Stein aufgeschreckt hatte. Dort unten lauerte der tausendfache, gruselige Tod.
Wie dick diese Schicht an pulsierenden, sich ständig bewegenden Leibern war, konnte ich nur erahnen. Sie mußte beträchtlich sein. Eine Gänsehaut nach der anderen bemächtigte sich meiner und eine aufkommende Panik griff nach mir. Der widerliche Gestank ließ mich spontan haltlos erbrechen, was 40 Meter unter mir dazu führte, daß erst so richtig Leben in die Grube kam, sie erwachte. Einige besonders geschickte Tiere krochen spontan an den Wänden empor, fielen jedoch nach wenigen Metern wieder in die Grube zurück, da sie keinen weiteren Halt fanden. Ich wusste nun, was ich wissen wollte und machte mich auf den kurzen Rückweg. Die Natur ist schon ein grandiose Helfer, wenn man sich ihrer zu bedienen weiß.
Zwei Fragen drängten sich mir auf.
Während ich mich rückwärts aus dem Höhleneingang bewegte und draußen vor dem Loch zur Schlangengrube hockte, warnte mich plötzlich ein lautes Rasseln. Mir brach der Schweiß aus und der erste, impulsive, wenn auch törichte Gedanke war: Flucht. Ich zwang mich zur Ruhe, hob vorsichtig den Kopf und spürte gleichzeitig, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich, ich plötzlich fror. Ich sah in die zirka ein Meter fünfzig entfernten Knopfaugen eines 2,5 m langen Reptils. Die Klapperschlange hatte den Kopf schon zum Stoß zurückgenommen, Spannung in ihrem großen und kräftigen Körper aufgebaut. Jeden Augenblick konnte sie ihre Giftzähne irgendwo in mich hineinschlagen.
Ich weiß nicht mehr, wie die nachfolgenden Sekunden abliefen, aber irgendwie schaffte ich es, mich an meine Glock in meiner Linken zu erinnern, sie zu heben und abzufeuern. Wohl eher durch einen Zufall, ich bin eigentlich ein miserabler Pistolenschütze, traf ich sie beim ersten Schuß tödlich. Ich verpaßte ihr noch zwei zusätzliche Kugeln und unterdrückte den Versuch, das ganze Magazin zu leeren.
Die unbeantwortete Frage nach der unglaublichen Schlangenansammlung in der Grube war also auch geklärt. Es war einfach eine natürliche Falle. Die Schlangen suchten ihr Futter unter Felsnischen und in Höhlen. Während ihrer Suche nach Freßbarem rutschten sie dann, durch ihre Artgenossen und deren Geräusche neugierig geworden, in diese Grube. So einfach war das Ganze. Partner zur Fortpflanzung waren ja genügend vorhanden und bei der hohen Geburtenrate regelte sich vieles von allein.
Mein anderer Verdacht bezüglich geologischer Veränderungen bestätigte sich ebenfalls. Durch äußerst geringfügige, kaum zu messende, seismische Aktivitäten, verbunden mit dem im März einsetzenden Tauwetter öffneten sich in diesem Canyon sporadisch und für kurze Zeit kleine, unterirdisch vorhandene Verbindungen zur Außenwelt, durch die diese giftige Brut nach außen dringen konnte; sehr zum (wirtschaftlichen) Wohl von Dreeperslip Grove. Einige Ausgänge verschlossen sich wieder, andere blieben dauerhaft oder vielleicht auch nur zeitweilig geöffnet, die dann von dem einen oder anderen Tier zur Flucht aus dieser Grube in die Außenwelt genutzt wurden.
Offensichtlich war den Einwohnern dieses Kaffs nicht bewußt, mit welcher Gefahr sie lebten. Ich überlegte, ob ich sie nicht warnen sollte, mir wohl bewußt, daß ich dann auch nach einer anderen Alternativen suchen musste. Ich entschied mich nach einigen Überlegungen, den natürlichen und von Gott gegebenen Kreislauf nicht zu stören und behielt meine Erkenntnisse für mich.
Nachdem ich mich von meinem Schrecken erholt hatte, verschloß ich den Höhleneingang wieder so, daß er sich mit einem leichten Druck eines Körpers öffnen würde, tarnte den Eingang, verwischte alle Spuren und ging zu meinem Pickup. Die erschossene Schlange ließ ich liegen. Ihre Überreste würden mir anzeigen, wo der Eingang genau war.
Bussarde oder Geier oder irgendwelchen anderen Aasfresser würde sich an ihr gütlich tun, wie die ersten schattenspendenden Silhouetten am Himmel zeigten. Die Müllabfuhr der Natur war im Anmarsch und ich im Abmarsch, auf dem Weg nach Fort Worth um vom Dallas/Fort Worth International Airport nach Hause zu fliegen. Die Glock, noch am gleichen Abend meiner Ankunft irgendwo in Dallas in einem Waffengeschäft erstanden, hatte ich zerlegt und mit den Reservemagazinen im Brazos River entsorgt. Zu Hause würde ich auf dem örtlichen Polizeirevier den Verlust der Waffe ordnungsgemäß melden.
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Cockeysville in Maryland war von Dreeperslip Grove, Texas zirka 1905 Meilen, also rund 3100 km entfernt und es ging durch die Bundestaaten Maryland, Pennsylvania, Ohio, Indiana, Illinois, Missouri, Kansas, Oklahoma bis nach Dreeperslip Grove im Südwesten von Texas. Die Strecke musste ich mit dem Auto zurücklegen, da man sonst anhand der Flugunterlagen entsprechende Rückschlüsse hätte ziehen können, falls man Edna wider Erwarten fand oder sie zurückerwartete, wenn sie mit jemand geredet hatte.
Eine unglaubliche Mammutstrecke, für die ich ungefähr sieben Tage benötigen würde. Ich musste durch acht Bundesländer und etliche Zeitzonen zwischen Maryland und dem Nest Dreeperslip Grove. Wenn ich vorsichtig und umsichtig vorginge, würde sich mein Plan verwirklichen lassen, niemand würde etwas merken.
Wir hatten jetzt Ende August und ich hatte noch ein halbes Jahr Zeit für meine Vorbereitungen. In Columbus, Ohio kaufte ich mir einen sehr gute erhaltenen Ford Mustang. Nachdem ich ihn nach Cockeysville überführt hat, machte ich mich daran, gewissenhaft sämtliche Registriernummern und alles zu entfernen, was irgendwie bei einem möglichen Auffinden der Reste dieses Fahrzeugs Rückschlüsse für das FBI zulassen würde. Ich musste mich des Fahrzeugs nach meinem Aufenthalt in Dreeperslip Grove entledigen.
Durch einen Bekannten erhielt ich die verschwiegene Adresse einer Schrottverwertung in Abilene. Dort konnte ich mein Fahrzeug gegen einen entsprechend hohen Obolus zu einem überschaubaren Block von etwas über einen Kubikmeter Metall pressen lassen. Zweitausend Dollar und die verschwiegene Entsorgung des Blocks in irgendeinem Gewässer meiner Wahl war garantiert. Was niemand wusste, den Tod des Inhabers dieser Autoverwertung hatte ich ebenfalls mit einkalkuliert. Sicher war sicher.
Ich besorgte mir eine handelsübliche .45er Colt-Automatik und trainierte mit diesem für mich ungewöhnlichen Pistolenmodell zeitweilig, wenn ich allein war, auf dem ortsansässigen Schießstand. Langsam gewöhnte ich mich an die Waffe.
Edna sah meine Arbeiten am Auto nicht besonders gern, sagte aber nichts. Ich nehme an, sie hielt diese Beschäftigung, mich als Schrauber zu betätigen, für einen neuen Spleen von mir.
Die Monate gingen ins Land, ich veränderte das Aussehen des Mustang, in dem ich ihn weitestgehend zerlegte, die alte Farbe herunterbrannte, neu grundierte und ihn Weinrot lackierte. Währenddessen arbeitete ich an meinem Plan, flog noch einmal kurz nach Fort Worth-Dallas, um die Lage im Canyon nahe Dreeperslip Grove und in Abilene zu überprüfen. Es war alles so, wie ich es erwartet hatte. Die Höhle im Canyon war unangetastet und die Schrottpresse war ein heruntergekommener Betrieb am Ortsrand von Abilene. Ihr Besitzer sah nicht viel besser als seine Werkstatt aus. Hauptsache, die Presse funktionierte und man konnte keinerlei Rückschlüsse aus dem zusammengedrückten und verrosteten Haufen Blech mehr ziehen, sollte man irgendwann aus welchen Gründen auch immer auf ihn aufmerksam werden.
In der Zwischenzeit bekam ich von zwei konsultierten Privatdetekteien meine Dossiers über Edna. Ich hätte schon viel früher darauf kommen müssen. Aus einer Laune heraus hatte ich sie beauftragt, Edna zu überprüfen und festzustellen, was mit ihr los war. Sie sollten alles ausgraben, was es auszugraben gab. Die Dossiers waren gut, deckten sich bis auf geringfügige Ausnahmen und waren ihr Geld wert.
Das war vielleicht ein Früchtchen. Edna war eine psychisch kranke Trickbetrügerin, die bereits in mehreren Bundesstaaten zur Fahndung ausgeschrieben war. Offensichtlich hatte sie wohl bei einigen alten, sehr reichen Herren durch ihre sexuelle Unersättlichkeit bei deren Ableben ein wenig nachgeholfen und wahrscheinlich hatte sie auch einige hohe Polizeioffiziere in Baltimore County in der Hand. Nur so konnte ich mir erklären, wieso sie nie eingebuchtet wurde. Edna war eine schwarze Witwe. Ausgerechnet ich Depp musste auf sie hereinfallen. Nun, die Spinnenklatsche würde bald zuschlagen.
Noch zwei Monate, die wie im Fluge vergingen. Mitte Februar, nach zweimonatiger Sendepause von Edna, fing sie wie gewohnt an, Kontakte aufzufrischen und mir wieder Avancen zu machen. Ich ging darauf ein und lud sie für Anfang März zu einer ausgedehnten County Tour ein - mit Abschluß in Las Vegas. Sie sagte sofort mit großen Augen zu. Las Vegas – das gefiel ihr.
Anfang März war es dann soweit. Nach einer langen, mehr oder weniger ereignislosen und sehr entspannten, siebentägigen Fahrt kamen wir in Dreeperslip Grove an. Das Round-up hatte gerade begonnen. Edna mußte wiederholt austreten und ich schlug mich mit ihr in die Büsche, das heißt, in den besagten Canyon. Während sie sich erleichterte, schlenderte ich ein paar Meter weiter in den Canyon hinein und machte in der unmittelbaren Nähe des Höhleneingangs eine Rast. Sie setzte sich doch tatsächlich von allein vor das verdeckte Höhlenloch. Ich brauchte überhaupt nichts zu tun. Alles andere lief wie in einem Film von allein ab.
Mit ihrem kleinen Rucksack drückte sie den die Höhle versteckenden Felsen nach hinten weg, verlor das Gleichgewicht und war in der Höhle verschwunden. Sie stürzte kopfüber mit Schwung in das Loch und in die Grube. Ich hörte noch ihr verzweifeltes, ihr Entsetzen und ihre ganze Todesangst ausdrückendes Kreischen, bevor es sich in den Tiefen der Grube verlor, abrupt abbrach und nach einem leisen, satten Klatschen Stille eintrat, welche von einem anschwellenden, wütenden Rasseln beendet wurde. Ich musste mich erst einmal sammeln, denn so hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt.
Ich sondierte das nähere Umfeld, bevor ich mich bäuchlings mit der .45 Colt-Automatik in der Linken und der Maglite in der Rechten, natürlich durch ein Seil gesichert, aufmachte, das Loch zu untersuchen.
Gelitten hatte sie wohl kaum oder gar nicht, zu groß muß für sie der Schock gewesen sein. Sie war schon tot, lag mit verrenkten Gliedern auf den Schlangen als wolle sie sie umarmen und noch immer bissen die Schlangen zu. Bissen und bissen, pumpten ihr Gift in ihren Körper, der an verschiedenen Stellen, bevor der Tod sie ereilt haben mochte, unförmig aufgequollen war, eine Folge des Giftes. Ich hatte dieses Mal ein lichtstarkes Fernglas mitgenommen und um den Hals gehängt, sodaß ich mich von ihrem Zustand überzeugen konnte. Langsam versank sie zwischen den Schlangenleibern. Es war ein grausiger Anblick, wie die Schlangen unter ihr hervorgekrochen kamen und sie langsam nach unten beförderten, sie systematisch unter sich begruben.
Nur sehr allmählich kehrte Ruhe in der Grube ein, auch als Edna schon lange meinen Blicken entschwunden war, sie in unbekannte Tiefen sank. Ich krabbelte vorsichtig wieder zurück, diesmal ohne von einer Schlange bedroht zu werden, verschloß den Eingang, verwischte unsere Spuren, wobei ich mich sehr genau vergewisserte, ob jemand in der Nähe war und mich beobachtete. Aber ich hatte Glück, wie damals im Moor während einer Moorwanderung im belgischen Hohen Venn mit meiner dort verstorbenen ersten Frau. Niemand war in diesem Canyon, niemand sah mich diesen Canyon verlassen.
Ich hatte gerade die Spuren verwischt, meinen Mustang aufgeräumt, Ednas wenige Habseligkeiten im Kofferraum zu einem Bündel verstaut und steckte mir gerade eine Zigarette an, als der Streifenwagen plötzlich neben mir hielt. Mit einem schnellen Blick kontrollierte ich noch einmal das Wageninnere. Keine Spur von Edna. Erleichtert atmete ich auf.
Der Cop stieg aus, tippte nur kurz an seinen Hut und fragte, ob ich eine Panne hätte.
„Nein, Officer. Alles in Ordnung. Ich bin nur schon eine Weile unterwegs und mache eine Pause, muß mich nur etwas bewegen und die Beine vertreten.“
Verständnisvoll nickte er.
„Ok. Fahren Sie vorsichtig. Wir haben hier viele auswärtige Gäste. Bei uns hat das Rattlesnake-Roundup begonnen und nicht jeder fährt diszipliniert. Einige rasen wie die Deppen über den Highway oder benehmen sich wie Rowdies.“
„Ok. Werde ich machen.“ Ich bedankte mich für den Hinweise auf die Rowdies während er schon wieder in seinen Patrol-Car einstieg und davon brauste. Rowdies… - na ja.
Ich fuhr zurück nach Abilene und traf gegen 15 Uhr dort ein. Den Mustang in die Schrottpresse fahren, ihn so oft zu zerquetschen, bis es nichts mehr zu quetschen gab, war eine relativ kurze Sache. Anschließend verluden wir den Metallblock auf einen Pickup, um ihn in einem nahe gelegenen Ausläufer des Tryl Water Lake zu versenken.
Der Besitzer war drogenabhängig und brauchte erst einmal seinen obligatorischen Schuß. Ich schob ihm zweitausend Dollar über seinen schmuddeligen Schreibtisch. Deal war Deal und als er sich zufrieden die Dröhnung gab, gab ihm meine .45 eine zusätzliche. Keine Zeugen, keine Spuren. Sicher war sicher.
Ich hatte mir die Hände mit glasklarem Silicon präpariert und hinterließ somit keine Fingerabdrücke. Ruhig steuerte ich das Fahrzeug an den Lake, öffnete die Ladeklappe und ließ den Metallklotz einfach die hohe und steile Böschung hinunterrollen. Er bekam ordentlich Fahrt und verschwand mit einem gewaltigen und lauten Klatschen im See. Das aufgewühlte Wasser beruhigte sich schnell wieder, während noch eine Weile Luftblasen aufstiegen, die auch nach und nach weniger wurden. Die .45 Colt-Automatik entsorgte ich wieder im Brazos River, während ich zum Dallas/Fort Worth Airport fuhr und mir in der Nähe des Flughafens in einem der Hotels ein Zimmer nahm. Den Pickup stellte ich bei Monumental Car Parking ab und bezahlte die Gebühr für vier Wochen im Voraus. Irgendwann würde einem das Fahrzeug auffallen, aber bis dahin waren längst alle Spuren verwischt.
Am nächsten Tag buchte ich einen Flug nach Dayton, Ohio. In Dayton angekommen, ging es am nächsten Tag mit einen Flug nach Pittsburgh weiter. Zwei Tage später ging es mit der Greyhound-Linie nach Baltimore Downtown endlich nach Hause. In Baltimore angekommen atmete ich unbewußt auf. Endlich war ich wieder frei und ja - man musste nur die Natur richtig zu wissen nutzen, sich ihrer auf angemessene Art und Weise bedienen…
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Klapperschlangenrezept
400 Gramm Klapperschlangenfilet
4 gehackte Knoblauchzehen
1 Limette
Zubereitung
Zeit: ca. 20 Minuten
Die Schlange und den Knoblauch in Würfel schneiden. Beides zusammen in der Pfanne scharf anbraten.
Dann beides mit dem Limettensaft (sparsam verwenden) ablöschen und mit Salz und Pfeffer würzen. Guten Appetit!
Dazu passen Westernkartoffeln und Blattspinat als Beilagen, aber auch indianischer Wildreis. Als Dessert paßt fruchtige Eiscreme oder gebackene Banane. Eigentlich alles. Abschließen kann man das Ganze mit einem guten Kaffee und einem Whiskey, einem guten Cognac oder Amaretto von Disaronno, für die Dame. (Quelle für das Rezept: kochbar.de)
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Texte: B.Terlau
Bildmaterialien: B. Terlau, https://de.freepik.com/
Cover: B. Terlau
Lektorat: B. Terlau
Übersetzung: keine
Satz: B.Terlau
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2018
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