Ich war sie leid, war ihrer einfach überdrüssig, hasste alles, was sie verkörperte. Eine Scheidung kam nach sechzehn Ehejahren voller Erniedrigungen für mich nicht mehr in Frage. Ihr unglaublich herrisches Wesen, ihre absolute Dummheit, ihre grenzenlose Offenheit für alles Triviale bis hin zum unsagbar Kitschigen war einfach nicht mehr zu ertragen, machte mir das Leben mehr und mehr zur Hölle.
Hinzu kam, daß ihre Gefühllosigkeit und ihre emotionale Kälte mir gegenüber sowie ihr verlogenes und nur zur Selbstdarstellung aufgebautes Ego mich einfach nur noch anwiderten, mich von ihr abstießen. Sie hatte sich in all den Jahren unserer Ehe mehr und mehr gehenlassen und sich zu einem Ausbund all dessen, was ich an einer Frau verabscheute, entwickelt - und das auch noch in gewohnt perfekter Weise. Wenn sie etwas machte, dann richtig!
Oft hatte ich eine Scheidung in Erwägung gezogen, aber bei dieser Frau würde ich diesen Schritt nicht schadlos an Leib und Seele überstehen. Zu hinterhältig, raffgierig und verschlagen war sie. Sie hatte, nicht nur was Wertsachen anging, einen Taschenrechner im Kopf. Ich war mir sicher, sie würde mir alles nehmen, einfach alles und sei es nur um des reinen Vergnügens willen.
Raffgieriges “Erbsen zählen” war ihr Hobby, wurde bei ihr groß geschrieben. Sie hatte es bei ihrer ersten Scheidung so gehandhabt, hatte mich dummen und unerfahrenen Tropf benutzt, um von ihrem ersten Mann loszukommen. Während des Scheidungsverfahrens hatte sie ihn bis auf die Knochen blamiert, ihn seelisch und auch psychisch fertiggemacht und ihn vor allen möglichen Leuten vorgeführt um ihn dann in unüberschaubare finanzielle Probleme zu stürzen, ihn eiskalt zu ruinieren. Mit mir würde sie nach dem gleichen Muster verfahren, würde ich die Scheidung einreichen.
Sie mußte weg. Einfach nur weg aus meinemLeben. Für immer verschwinden. Ich wollte nichts weiter als nur meine Ruhe vor dieser Frau haben. Dieser Wunsch wurde für mich irgendwann zur Gewißheit und nahm mehr und mehr seinen Platz in mir ein, fing an, mich irgendwann ganz auszufüllen. Ich stellte mir in der darauf folgenden Zeit unserer Ehe ihren Tod immer plastischer und vielfältiger vor. Manchmal ging die Phantasie mit mir durch, sodaß ich mich vor mir selbst erschreckte und sogar zeitweilig fürchtete – aber eines Tages hatte ich die perfekte Lösung.
Ich mußte allerdings vorsichtig sein und den Tag ihres Dahinscheidens sehr gut vorbereiten, musste geduldig und sehr achtsam sein, jede Kleinigkeit bedenken. Dann würde mein Plan funktionieren. Dieses Wissen darum versetzte mich in eine ungeahnte Hochstimmung, was sie mir auch sofort ansah. In den folgenden Wochen beobachtete sie mich argwöhnisch.
Sie ging wohl davon aus, ich hätte eine Freundin, denn bei uns war auch im Bett schon lange Schweigen eingekehrt. Sie war um eine Ausrede nie verlegen, damit DAS nicht geschah. Irgendwann gab ich auf und es war mir auch nicht mehr wichtig, mit ihr zu schlafen – obwohl sie eine sehr attraktive und gepflegte Frau war, was einigen meiner Kollegen nicht entgangen war.
Na ja, vielleicht bildete ich mir ihren Argwohn auch nur ein.
Nach außen hin wahrte sie den Schein einer glücklich verheirateten Frau, aber sobald wir unter uns waren, ließ sie ihre Maske fallen und die Hölle öffnete ihre Tore…
Jedenfalls, an einem verlängerten Wochenende im Herbst, genauer gesagt im Oktober, war es endlich soweit. Die Jahreszahl weiß ich nicht mehr, hab‘ sie vergessen, da es schon zu lange zurückliegt.
Nun, ich lud sie, all meinen Charme aufbietend, zu einer Autofahrt ins Blaue ein. Scheinheilig fragte ich sie, ob sie ihre Mutter mitnehmen oder sie anrufen wolle, um wie gewohnt Bescheid zu geben und mit ihr stundenlang über Triviales zu diskutieren.
Zu meiner Überraschung lehnte sie es mit der Begründung ab, daß sie nicht alles wissen müsse und zudem sei sie auch ausgerechnet heute nicht da. Ihr Bruder sei mit ihr an die Mosel gefahren, um bei einem ihnen bekannten Winzer Ahrwein vom Feinsten für kleines Geld einzukaufen.
Wir sollten dann abends wohl zur Weinprobe und Zwiebelkuchen bei ihnen vorbeischauen. Hm… - na ja, daraus würde nichts werden.
Es galt, die Gunst der Stunde zu nutzen und innerlich frohlockte ich. Sie hatte noch schnell einen Picknickkorb fertiggemacht, während ich den Wagen volltankte und ab ging es, in Richtung Hohes Venn auf der belgischen Seite.
Stock, Seil und Gummistiefel waren ohnehin immer im Auto, da ich häufig allein ins Hohe Venn fuhr – schließlich war ich schon viele Jahre eingetragenes und aktives Mitglied im Verein „Freunde des Venns“. Der Verein hatte sich den Schutz des „Hohen Venns“ auf die Fahne geschrieben haben.
Sie müssen wissen, daß direkt hinter der deutsch-belgischen Grenze das Hohe Venn liegt. Diese Landschaft im Osten Belgiens gilt als Europas größtes Hochmoor. Zum entspannten Wandern und Spazierengehen eignet sich die weite Landschaft besonders gut und in vielen regionstypischen Restaurants läßt es sich formidabel schlemmen.
Diese einzigartige Landschaft bildet Belgiens ältestes Naturschutzgebiet und dehnt sich über mehr als 4000 Hektar aus.
Meterdicke Schichten aus Torf saugen wie ein Schwamm den Regen auf. Was der Torf nicht speichern kann, fließt gefiltert in die vielen Bäche, Seen und Talsperren.
Im Sommer leuchtet die Landschaft in einem herrlichen Grün, im Herbst wunderbar goldgelb.
Die sensible Tier- und Pflanzenwelt des Hohen Venns erfordert jedoch eine aufwendige Pflege. Deshalb sind einige große Bereiche dieses Hochmoors besonders streng geschützt, teilweise sogar für immer und für Jeden dauerhaft gesperrt.
Zu bestimmten Zeiten, je nach Witterungslage, ist es deshalb auch nicht ungefährlich, abseits der Wege spazieren zu gehen. Teilweise sind weite Teile des Moores, besonders die der gesperrten Zonen, unpassierbar. Nur allzuoft tritt man auf trügerischen Untergrund und ist, ehe man es sich versieht, in ein Moorauge getreten, welches, je nach Beschaffenheit, einen mit Kraft schnell unnachgiebig nach unten zieht. Ein qualvoller Erstickungstod ist gewiß.
In grauer Vorzeit dienten die Stationen „Signal de Botrange“, „Le Baraque Michel“ und „Le Mont Rigi“ den Schmugglern als Orientierungshilfe beim Überqueren des Moores. Verschwanden doch zu viele von ihnen auf immer und ewig darin.
Als jahrelanges, aktives Vereinsmitglied wusste ich natürlich, wo die wirklich gefährlichen Stellen im Moor waren.
Es ist eine herrliche, wunderschöne Gegend zum Relaxen und für das Entsorgen eines verhaßten und widerwärtigen Menschen geradezu wie geschaffen. Man muß nur die Natur richtig zu nutzen wissen, sich ihrer auf angemessene Art und Weise bedienen…
*
Wir fuhren also los, über Euskirchen, Mechernich, Kall, Schleiden in Richtung Monschau. Eine sehr schöne Strecke, die wir nach zirka zwei Stunden bewältigt hatten. Da es noch früher Vormittag war, beschlossen wir, nach einem kurzen Stadtbummel eine Rast einzulegen.
Bisher lief alles nach Plan. Sie war scheinbar guter Dinge und nach einer leckeren Brotzeit in einem der Restaurants im Monschauer Stadtkern fuhren wir weiter, Richtung belgische Grenze. Über Kalterherberg folgte ich der Malmedyer Straße auf der N669. Rechter Hand erstreckte sich das riesige Hohe Venn. Vor Sourbrodt, auf belgischer Seite, bog ich auf die N647 ab, die uns auf die N676 bringen würde.
Kurz vor Botrange fuhr ich rechterhand auf einen einsamen und menschenleeren Waldparkplatz.
Wir zogen uns die Gummistiefel an. Ich nahm meinen Rucksack, drapierte das Seil und den Dreizack griffbereit und wir marschierten schweigend los. In ihrer dümmlichen Art amüsierte sie sich wie immer über die Ausrüstung.
Ich ließ sie führen und unser Weg führte uns immer tiefer in dichter und undurchdringlicher werdenden Kiefernwald, immer weiter von den Knüppeldämmen mit seinen Markierungen fort.
Aufmerksam beobachtete ich Sie. Irgend etwas hatte sie vor, dessen war ich mir sicher. Sie führte mich immer tiefer in den abgelegenen Teil des Venns. Mir war es recht. Ich ließ sie in dem Glauben, daß wir uns verirrt hätten und nur sie wüßte, wo es lang ging, zumal ich das Moor wirklich sehr gut kannte und jederzeit wusste, wo ich war. Ich hatte schon sehr lange Zeit keine Orientierungsprobleme mehr, aber das konnte sie nicht wissen.
Nachdem wir den verwilderten Kiefernwald mit seinem dichten Unterholz endlich hinter uns gelassen hatten, sahen wir vor uns das Hohe Venn in seiner ganzen Schönheit bei ausgezeichneter Fernsicht.
Vor uns waren weite Bereiche des Moors durch Markierungen gesperrt. Hinter diesen Absperrungen, sehr deutlich durch Warnschilder und teilweise den Zugang verhindernden Holzzäunen gekennzeichnet, befanden sich Mooraugen, die einen unglaublichen Sog hatten und in Sekundenschnelle alles lautlos in sich aufnahmen. Aber in diesen Bereichen lebte auch geschützt die Fauna und Flora des Hohen Venns wie es ihr zustand.
Auf einem, in diesem Teil des Venns seltenen und daher wenig gewarteten und noch weniger frequentiertem Knüppeldamm machten wir Rast und legten uns in die überraschend heiße Mittagssonne. Hinter uns befand sich das abgesperrte Hohe Venn.
Wir brauchten nicht zu befürchten, daß uns um diese Zeit jemand stören würde, zu abgeschieden war dieser Bereich. Nach einer Weile trieb es mich weiter und nach vielleicht hundert Metern schwenkte ich auf das gesperrte Gebiet zu. Der Knüppeldamm endete hier ohnehin und zunächst sah alles begehbar aus.
Sie folgte mir, schloß auf und war jetzt dicht hinter mir. Ich wurde noch wachsamer. Was hatte sie vor? Sie verfolgte doch irgendeinen Plan. Es war nicht ihre Art, mich Stunden im Moor zu begleiten und meine Nähe zu suchen. Sie fürchtete sich vor dem Moor, hasste es geradezu und jetzt das…
Bei mir schrillten alle Alarmglocken.
Vorsichtig und jedes unnütze Geräusch vermeidend gingen wir weiter, darauf bedacht, Luchse und Biber nicht aufzuscheuchen und dann stand ich am Rand eines großen Moorauges.
Sie ahnte wohl noch immer nichts oder folgte ihrem eigenen Plan. Jedenfalls zeigte sie sich sehr interessiert und hörte mir sogar zu, wenn ich ihr das eine oder andere Wunder des Moores zeigte und erklärte. Ihr Verhalten war ungewöhnlich - äußerst ungewöhnlich.
Rechts von mir stand ein kleines Birkenwäldchen. Vor diesen Birken zog sich ein Rinnsal, ein kleines Gewässer von etwa einen Meter Breite und geringer Tiefe entlang. Es reichte aber, um nasse Füße zu bekommen.
Ich konzentrierte mich auf den gegenüberliegenden Uferrand und duckte mich, um auf die andere Seite zu springen, als ich im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Meine Frau hatte sich mir leise von hinten genähert und wollte mich mit einem kräftigen Stoß in das sich links von mir liegende Moorauge befördern. Reflexartig zog ich mich noch mehr zusammen, erwischte ihren rechten Arm, zog ihn auf mich zu, drehte mich und schleuderte sie kopfüber in das vor mir liegende Moorauge.
Sie landete mit einem erstickten Aufschrei in diesem alles verschlingenden Morast und versank sofort bis zur Brusthöhe. Ihr Gesicht verzerrte sich in einer Mischung aus ungläubigem Staunen, grenzenlosem Haß und Verachtung, aber auch plötzlich aufkommender Todesangst.
Jetzt erst erkannte ich ihren Plan.
Panik ergriff sie und durch ihr wildes, unkontrolliertes Rudern arbeitete sie sich bis zu den Schultern ins Moor. Nur ihr Kopf und ihr rechter Unterarm schauten noch heraus. Zufrieden nickte ich und sagte beiläufig, mehr zu mir „Hat ja nun letztendlich doch noch geklappt.“
Ich wusste, daß dieses Moorauge besonders tief war, tiefer als die meisten. Während meines letzten Besuches und meiner Suche nach einem geeigneten Moorauge hatte ich es mit einem Ziegelstein, an dem ich eine dreißig Meter lange Schnur befestigt hatte, ausgelotet. Bei zwanzig Metern hatte ich dann den Stein vom Seil abgetrennt, zu mühsam war das Einholen gewesen. Normalerweise sind diese Mooraugen sehr viel weniger tief, so zehn Meter in etwa.
Das plötzliche Erkennen, daß sie in meine Falle gegangen war und daß ihr eigener Plan nicht funktioniert hatte, war unbeschreiblich. Sprachlos sah sie mich mit offenem Mund an, während sie langsam weiter sank.
Ich beobachtete sie sinnend und aus zusammengekniffenen Augen und fragte mich, wie lange jemand brauchen würde, um zu erkennen, daß er in seinem Leben alles Wertvolle nur mit Füßen getreten hatte und zerstörte, was er zerstören konnte, seine Zerstörungswut nicht einmal vor einem Menschen haltmachte.
Sie sank langsam weiter. Fast flüsternd forderte sie mich auf, ihr ein Seil zuzuwerfen. Ich lächelte amüsiert, nickte verständnisvoll. Sie würde es nicht schaffen, aus diesem Moorauge herauszukommen. Ihre Stunde hatte geschlagen und ihr Terror würde heute endlich aufhören.
Nun, ich tat ihr den Gefallen. Ich befestigte ruhig und gelassen meinen zusammengelegten Dreizack an dem mitgeführten Seil.
Mit einer kreisenden Bewegung ließ ich das Seil einmal, zweimal über meinem Kopf rotieren. Sie sank langsam weiter, das Moor reichte ihr schon bis an das Kinn. Der Dreizack schlug vor ihren Augen auf, spritzte ihr den Dreck ins Gesicht. Das war das endgültige Aus. Sie zuckte zusammen, zog reflexartig den Kopf mit geschlossenen Augen ein, warf sich nach hinten und kam nicht wieder hoch.
Ich wartete zirka zwei Stunden. Das Moorauge beruhigte sich und würde sein Opfer nie mehr frei geben. Währenddessen horchte ich in mich hinein, versuchte, irgendeine Regung des Bedauerns, der Scham oder der Reue zu erkennen. Nichts.
Da waren weder Gefühle der Trauer oder Reue noch Gefühle der Freude und Gelöstheit. Es gab nichts, außer der tiefen ruhigen Gewißheit, daß jetzt endlich alles ein Ende hatte. Tiefer Frieden breitete sich in mir aus. Ich fühlte mich wie neu geboren, wie ein neuer Mensch.
Ich wartete noch weitere zwei Stunden, rauchte unzählige Zigaretten, deren Reste ich in einem kleinen verschraubbaren Einmachglas entsorgte. Aus der mitgeführten Thermosflasche trank ich hin und wieder einen Schluck Kaffee. Währenddessen beobachtete ich aufmerksam und konzentriert mein Umfeld, aber heute schien mir das Glück gewogen. Es zeige sich keine Menschenseele.
Nach erstaunlich kurzer Zeit war wieder der stille und friedliche Alltag an diesem Moorauge eingekehrt. Luchs und Wildkatze waren auf der Jagd und sogar eine Kreuzotter suchte sich ihren Weg durch das dichte Gras. Ich verstaute meinen gläsernen Aschenbecher und die Thermosflasche in meinem Rucksack, rollte das Seil mit dem Dreizack zusammen und machte mich langsam auf den Rückweg, während eine Krähe in einer spiralförmigen Flugbahn zum Himmel aufstieg. Ihr heiseres Krächzen, begleitet von zufrieden klingenden, keckernden Lauten, klang in meinen Ohren wie ein siegreiches Fanal, wie ein freudiger Abgesang. Auf dem Rückweg kam ich an einem kleineren Moorauge vorbei. In ihm entsorgte ich Seil und Dreizack.
Ohne Störungen erreichte ich das Ende des Knüppeldammes. Unterwegs suchte ich aufmerksam und sehr gewissenhaft mit dem Fernglas das Umfeld ab. Niemand war zu sehen. Nichts. Kein Förster, kein Waldarbeiter, kein einsamer Wanderer, kein Parkranger – niemand. Ich war allein.
Selbst ungesehen, ohne auf eine Menschenseele zu treffen, erreichte ich also den Knüppeldamm und eine gute halbe Stunde später den immer noch einsam abgestellten Celica. Ich suchte nach Spuren, ob jemand während unserer Abwesenheit ebenfalls den verschwiegenen Parkplatz aufgesucht hatte, aber es gab keine Anzeichen. Mein Wagen war das einzige Fahrzeug, was seit Stunden dort gestanden hatte.
Ich entledigte mich des Rucksacks, reinigte grob meine Gummistiefel, wechselte das Schuhwerk und fuhr die gleiche Strecke wieder zurück.
Unterwegs hielt ich an einer Tankstelle an. Während ich volltankte, sah ich, daß die Tankstelle über eine moderne und leistungsfähige Waschstraße verfügte. Ich kaufte mir eine Chipkarte für eine Vollglanzwäsche mit gründlicher Unterbodenwäsche und reinigte das Fahrzeug, so gut ich konnte, von außen mit der Hochdruck-Waschlanze. Nach der umfangreichen Wagenwäsche entfernte ich dann sämtliche Spuren von meinem Besuch im Moor, das heißt, ich saugte das Fahrzeug aus, reinigte den Kofferraum, wusch die Gummistiefel gründlich mit der Lanze ab und entsorgte die Plastiktüte, in der sich die Stiefel befanden hatten, im Mülleimer der Tankstelle.
Nachdem ich peinlichst genau sämtliche Hinweise auf meinen Besuch im Moor beseitigt hatte, machte ich mich, einen kleinen Umweg in Kauf nehmend, auf den Heimweg.
Ich fuhr durch einige Dörfer, von denen ich wusste, daß die dortigen Bauernhöfe noch intakt und bewirtschaftet wurden. Den einen oder anderen Bauernhof fuhr ich an, um verschiedene Bio-Produkte wie Eier, ein paar Flaschen Milch, hausgemachte Wurst etc. einzukaufen. Unter meinen Toyota befanden sich nunmehr Spuren meiner Besuche auf den Bauernhöfen.
Zu Hause angekommen, fuhr ich den Wagen direkt in die Garage, packte den Rucksack aus, reinigte ihn gründlich in der Waschmaschine und beseitigte alle verräterischen Spuren im Kamin, den ich nicht nur aus Gründen der Gemütlichkeit an diesem Abend befeuerte.
Ich duschte mich ausgiebig, wechselte die Kleidung, untersuchte die abgelegten Sachen nach verräterischen Harzspuren und gab auch sie vorsichtshalber in die Waschmaschine.
Da wir morgens zeitig aufgebrochen waren, hatte uns niemand wegfahren sehen und ich fand während meiner Rückkehr auch keinerlei Beachtung, denn alle saßen vor ihren Fernsehern und verfolgten das Fußballprogramm.
Heute war Freitag. Da meine Frau mit einer Nachbarin befreundet war, die etwa 200 m die Straße hinauf wohnte und die sie deckte, wenn meine Angetraute ihren Freund besuchte, würde es mir nicht schwerfallen, den Verdacht auf ihn zu lenken. Ich kannte ja Namen und Adresse von ihm, wusste, wo er wohnte und wer er war, was niemand auch nur ahnte. Mir war bekannt, daß er auf meine Verblichene warten würde, wie jeden Mittwoch und Freitag, wenn ich zu meinem Karatetraining fuhr. Um zum Training zu fahren, blieben mir noch zwei Stunden.
Ich würde nach dem Training ihre Freundin anrufen und mich erkundigen, wo meine Frau blieb. Am Samstag wollte ich bei meiner Schwiegermutter in verärgertem Ton nachfragen, wo meine Frau sei und sie auffordern, ihre Tochter endlich nach Hause zu schicken. Am Sonntag, nachdem ich 48 Stunden nichts von meiner Frau gehört hatte, würde ich zur Polizei gehen und Vermißtenanzeige erstatten, einige vage Vermutungen äußern und mich still und scheinbar ergeben in mein Schicksal fügen und abwarten. Am Montag wollte ich dann in der Dienststelle Meldung machen. So war der Plan – und er ging auf.
Irgendwann wurde das Verfahren nach langer und vergeblicher Suche eingestellt, und noch etwas später die Verstorbene für tot erklärt. Meine Schwiegermutter und der ganze angeheiratete Clan brachen sämtliche Beziehungen zu mir ab, was mich nicht weiter wunderte. Uns verband ohnehin nichts. Was aus dem Liebhaber meiner Ex geworden ist, weiß ich nicht. Ich denke, er hatte zunächst einmal eine Menge Probleme, was mich allerdings auch wenig kümmerte.
Da ich noch immer Mitglied der „Freunde des Venns“ war, wusste ich, daß der Bereich des Venns, in dem meine Ex-Frau nun ihr neues Domizil hatte, für immer und ewig unter strengstem Naturschutz stand. Ein erwartetes Gesetz und ein Erlaß der belgischen Regierung sorgten dafür.
Das Haus verkaufte ich mit einem kleinen Gewinn und wohne seitdem glücklich und zufrieden mit mir im Bonner Süden in einer Eigentumswohnung mit Blick auf das Siebengebirge.
Ich verhielt mich ruhig und ging meiner Arbeit nach. Langsam wuchs Gras über die ganze Sache und geriet bei den meisten Kollegen schnell in Vergessenheit.
Einige Zeit später, ich glaube es war so um die zwei Jahre, machte ich eine beträchtliche Erbschaft aus Übersee. Eine entfernte Verwandte meiner Mutter verstarb in Baltimore. Ihre Anwälte hatten mich als einzigen, noch lebenden Erben ausfindig gemacht. Immerhin vermachte sie mir umgerechnet fast eine dreiviertel Million Euro und ein riesiges Haus in Baltimore.
Für mich bedeutete diese Erbschaft finanzielle Freiheit, örtliche Unabhängigkeit und den Start in eine andere, mich wesentlich befriedigendere Karriere. Ich nahm mir für ein Jahr unbezahlten Urlaub und zog erst einmal nach Baltimore ...
Texte: Bernd Terlau
Bildmaterialien: beim Autor, Freeware Stock photos
Lektorat: Bernd Terlau
Übersetzung: keine
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2017
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