Cover

Titel

 

 

 

 

Eva Finkenstädt

 

 

Helden der Erde

 

barfuß unterwegs

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

When your heart speaks …

take good notes


Joseph Campbell

Inhaltsverzeichnis

Prolog: Die Regentrude 3

Zwischentext: Ein Naturschutzgebiet erklärt sich 7

Erstes Kapitel: Der dumme Wunsch des Königs Midas 8

Zwischentext: Wiese am Mittag 15

Zweites Kapitel: Der Ruf der Lyla June 16

Zwischentext: Die Erde schaut sich ihre Helden an 20

Drittes Kapitel: In der Taverne zum durstigen Rotkehlchen 21

Zwischentext: Eine Frau ist gekommen 29

Viertes Kapitel: Der Aufbruch 31

Zwischentext: Die Frau geht in den Wald 43

Fünftes Kapitel: Im Labyrinth 44

Zwischentext: Die Frau verirrt sich 49

Sechstes Kapitel: Tage voller Prüfungen 51

Zwischentext: Interview mit der Erde I 65

Siebtes Kapitel: Der Fremde unter der Erde 66

Zwischentext: Eure Mutter kennt euch 71

Achtes Kapitel: Zurück in die Welt 72

Zwischentext: Interview mit der Erde II 79

Neuntes Kapitel: Auf dem Weg zum Tempel der Gaia 81

Zwischentext: Interview mit der Erde III 85

Zehntes Kapitel: Der Tempel der Göttin 88

Zwischentext: Regen 93

Elftes Kapitel: Abschied in der Taverne 94

Letzter Zwischentext: Die Frau kommt zurück 97

Ich bedanke mich bei 99

Aufführungen 100

Leseempfehlung 100

Impressum 100

 

 

Prolog: Die Regentrude

 

Beim vorigen Mal hatte sie nur verschlafen. Aber dieses Mal war sie krank.

 

Die Menschen hatten nur bemerkt, dass der Sommer vorüberging und kein Wölkchen sich zeigen wollte, das Regen versprach. Tag um Tag hatten sie in den Himmel gesehen beim vorigen Mal, ihre Gesichter waren immer länger geworden und ihre Besorgnis war von Tag zu Tag gewachsen.

Sie sparten an Wasser, wo sie nur konnten. Aber trinken mussten sie, und ihr Vieh musste es auch. Die Pflanzen im Garten hatten es noch gut, sie bekamen ihr Wasser einzeln mit Bechern zugeteilt; die Pflanzen auf den Äckern mussten sehen, wo sie blieben.

Der Vater des Mädchens war fein raus: Ihm gehörten die Wiesen am Fluss. Sein Gras verdorrte nicht und seine Kühe konnten trinken; sie waren die letzten im Dorf, die noch Milch gaben. Er stolzierte im Dorf umher, als wolle er es kaufen, saß breit auf der Bank im Gasthaus und trank sein Bier, und die Uhrkette spannte sich über seiner Weste. Der Vater des jungen Mannes indes hatte es schlechter getroffen. Seine Wiesen lagen an den Hängen des Hügels, oberhalb des Dorfes. Sie hatten keinen Anteil am Flusswasser und waren angewiesen auf den Regen, der in diesem Jahr nicht kommen wollte. Seine Miene wurde immer bänglicher, seine Kühe gaben schon lange keine Milch mehr, und er schlich im Dorf umher wie ein Bittsteller, denn das war er auch. Aber keiner wollte ihm mehr Gras verkaufen, denn keiner konnte selbst noch Futter entbehren, und der Vater des Mädchens würdigte ihn keines Blickes.

Lange wusste niemand, was zu tun sei. Die Mütter im Dorf erzählten ihren Kindern, dass Frau Holle es schneien ließ, aber vom Regen erzählten sie nichts, denn niemand erinnerte sich mehr an die Regentrude.

Die Trude war vergessen.

Schließlich, als schon die Bäume ihre Blätter abwarfen vor Durst, da begann das alte Mütterchen zu reden. Sie schlurfte durchs Dorf in ihren Pantoffeln, auf den schwarzen Krückstock gestützt, blieb bei den Misthaufen stehen und an den Stalltüren zur Futterzeit, lehnte sich über die Gartenzäune und setzte sich zu den Frauen auf die Bänke und erzählte überall ihre Geschichte. Eine Geschichte, so alt, dass niemand sonst sich mehr an sie erinnerte. Von einem Sommer, in dem der Regen ausgeblieben war, genau wie in diesem Sommer. Von den Kühen, die gebrüllt hatten vor Durst, wie die Kühe in diesem Jahr brüllten, und von den Pflanzen, die seufzten und ihre Blätter hatten sinken lassen.

Ihre Urgroßtante sei es gewesen, erzählte das Mütterchen, die Tante ihrer Großmutter, die damals, als der Regen schon einmal nicht hatte kommen wollen, geholfen habe. Sie sei losgegangen und habe die Regentrude geweckt, die zu lange geschlafen hatte. Die Großmutter habe ihr davon erzählt, vor einem Menschenalter, als sie selbst noch ein kleines Kind gewesen sei, und sie habe sich jedes Wort gut gemerkt.

Wer ihre Geschichte hörte, der lachte und glaubte ihr kein Wort. Was wusste schon so ein altes Mütterlein? Und war nicht in ihrem Alter schon so mancher ein wenig wunderlich im Kopf geworden?

Aber das Mädchen und der junge Mann, die hörten zu. Sie saßen bei der Alten am Küchentisch und ließen sich alles erzählen, die ganze Geschichte: Wie schlimm die Trockenheit gewesen war. Wie ein junges Mädchen und ihr Bräutigam sich aus dem Dorf geschlichen hatten und aufgebrochen waren in die Welt der Regentrude, wie sie tagelang weggeblieben waren und wie sie den Regen mitgebracht hatten, als sie zurückkehrten. Wie glücklich alle gewesen waren, als es endlich wieder regnete, wie das Wasser im Fluss wieder gestiegen war und die Kühe sich satt hatten trinken können.

„Und sie hat wirklich einfach so geschlafen?“, fragte das Mädchen, und die alte Frau meinte: „Frau Holle hat ja auch ein Bett und schläft darin, warum sollte die Trude keines haben?“

Ja, das war natürlich einzusehen. Aber trotzdem –

Zwar wurde die alte Göttin mit ihren vielen Namen nicht mehr verehrt im Dorf, nicht als Regentrude, nicht als Percha und auch nicht als Frau Holle. Aber dass sie Hilfe von Menschen brauchte? So etwas hatte es doch noch nie gegeben, davon hätte man doch gehört!

„Nun, ihr hört es jetzt“, erwiderte die Alte.

Dass aber ein Mensch die Menschenwelt verlassen musste, um sie aufzuwecken? Das war schon merkwürdig. Und wie hatte die Urgroßtante überhaupt davon erfahren?

„Damals hat man wohl noch davon gewusst. Jetzt bin ich die letzte, die es noch weiß.“ Und zu dem Mädchen sagte sie: „Und wenn ich mich nicht sehr täusche, dann ist deine Großmutter ihre Urenkelin gewesen.“

Das Mädchen und der junge Mann sahen einander an.

„Sie musste weit durch die Anderswelt wandern, um bis zur Trude zu kommen“, erzählte die Alte weiter. „Und da war kein Apfelbaum, der geschüttelt werden wollte wie im Märchen von der Goldmarie, und kein Brot, das fertig gebacken war. Sie ging einen ganzen Tag lang und noch einen halben Tag und fand nirgends Wasser und verschmachtete beinahe. Es ist ein schwerer Gang gewesen, den sie gegangen ist. Aber wenn sie von der Trude erzählte, sagte meine Großmutter, dann strahlten ihre Augen und ihr ganzes Gesicht leuchtete, bis ans Ende ihres Lebens.“

„Sagt mir, Muhme, welchen Weg haben sie genommen?“, fragte das Mädchen schließlich, und die Augen der Alten wurden heller.

„Ihr kennt den steilen Hügel, wenn man eine gute Stunde in Richtung der Kreisstadt gegangen ist auf dem alten Fußweg? Ihr kennt die Quelle am Hügelhang, wo der Grenzstein steht? Wenn man von dort ein paar wenige Schritte nach Westen geht, dann findet man einen Spalt in der Felswand, hinter Büschen verborgen. Er sei so schmal, dass ein schlanker Mensch sich nur mit Mühe hindurchzwängen könne, hat es geheißen.“

„Willst du das wirklich tun?“, fragte der junge Mann, und seine Stimme war sanft und streichelte die Wange des Mädchens. Sie lächelte ihn an und eine kleine Frage stand in ihren Augen; da fügte er hinzu: „Ich wäre unendlich stolz auf dich.“

„Sie hat alleine gehen müssen, die Urgroßtante, ganz alleine, denn die Trude duldet keine Männer an ihrem Bett. Nur auf dem allerersten Teil der Strecke hat ihr Verlobter sie begleiten dürfen. Aber aufgeweckt hat sie die Schlafende ganz alleine“, sagte die Muhme.

Dann kramte sie noch umständlich ein staubiges kleines Fläschchen aus der hintersten Ecke ihres Speiseschrankes und überreichte es ihnen mit so großer Feierlichkeit, dass sie beinahe hätten lachen müssen. Es enthalte Met, sagte sie, der aus dem Honig gebraut war, den die Urgroßtante damals aus dem Land der Regentrude mitgebracht hatte, und es war der allerletzte Rest davon, den es noch gab. Als sie den Stöpsel aus der Flasche zogen, erfüllte der Duft von unbekannten Blumen den Raum, von Kräutern, die ganz gewiss Heilwirkung hatten, von Wiesen und Feldern, wie es sie in Träumen gibt, von Wildnis und Bitterkeit und honigschwerer Süße. Vorsichtig stöpselten sie die Flasche wieder zu. „Trink davon nur in der größten Not“, sagte die Muhme zu dem Mädchen.

Am nächsten Morgen brachen sie auf, das Mädchen und der junge Mann.

Sie hatten die Gewänder angezogen, die sie an Festtagen zum Kirchgang trugen. Sie hatten ihre Krüge mit Wasser gefüllt und ihre Körbe mit Wegzehrung, ein kleines Fläschchen mit Met ganz zuunterst. Sie fanden die Quelle, die nun ausgetrocknet war, und sie fanden den Spalt in den Felsen und zwängten sich hindurch.

Die Anderswelt war ebenso trocken und heiß wie ihre eigene Welt daheim. Der einzige Unterschied war, dass sie die Sonne nicht sehen konnten, auch wenn sie ihre Hitze spürten. Sie wanderten zwei Stunden gemeinsam, dann war es dem jungen Mann, als müsse er gegen einen Sturm angehen, der immer heftiger wurde, und er blieb zurück. Hier würde er bleiben und auf sie warten, sagte er, und das Mädchen ging alleine weiter.

Nicht immer ist die Anderswelt schaurig. Manchmal ist sie auch einfach nur heiß und man hat Durst und wünscht, man hätte etwas Belebendes zu trinken, irgendetwas. Nicht jeder begegnet wilden Tieren und Ungeheuern. Manchmal ist man auch einfach nur müde und zu Tode erschöpft. Nicht jedes junge Mädchen muss Brot aus dem Ofen holen und Äpfel von den Bäumen schütteln wie es die Goldmarie musste, als sie zu Frau Holle ging. Manchmal wird auch nur ihre Entschlossenheit und Ausdauer geprüft bis an ihre äußere Grenze und darüber hinaus. Und manchmal braucht man einen Schluck Met aus dem Honig der Anderswelt, um das Ziel schließlich doch noch zu erreichen.

So erging es dem jungen Mädchen, das die Regentrude aufsuchte. Am Mittag des zweiten Tages kam sie an.

Die Regentrude lag in ihrer Höhle der rinnenden Wasser auf einem Ruhebett und schlief, ihr Haar wie treibendes Seegras und ihr Kleid wie Schilf. Das Mädchen hockte sich neben sie und schüttelte vorsichtig ihr Handgelenk, bis sie die Augen aufschlug und um sich blickte.

Die Höhle wölbte sich über ihnen wie die Scheune des Vaters daheim im Dorf und verlor sich nach hinten hinter Nebenschleiern. Brunnen und Teiche quollen über von all dem Wasser, das der Welt fehlte. Die Luft war feucht und dunstig und Regenbogen flimmerten darin, die Erde war matschig, die Wände von Bächen überronnen, und überall rauschte und gurgelte und gluckste es. Die Trude sah all dies und schüttelte den Kopf über sich selbst. Dann klatschte sie in die Hände und die Luft verdichtete sich zu Wolken, deren Bäuche schwer waren von Regen und die sich langsam aus der Höhle schoben und behäbig davonsegelten.

„Danke, dass du mich geweckt hast“, sagte sie dann, und: „Warst du nicht schon einmal hier? Ich kenne dich doch.“

„Ihr müsst meine Urahnin meinen, Frau Trude. Die war hier. Sie ist jetzt aber schon lange tot.“

„Ach. Ja, ihr lebt ja nur so kurz, ihr Menschen – aber ich meine, du siehst ihr ein wenig ähnlich.“

Und wieder klatschte sie in die Hände und Wolken formten sich unter dem Höhlendach. Auf ihr Winken hin schwebten sie den vorigen hinterher und machten wieder Platz für neue.

„Wie lange habe ich geschlafen?“

„Der Sommer ist beinahe vorüber und wir haben seit Monaten keinen Regen mehr gehabt.“

„Oh. Nun. Es ist gut, dass du gekommen bist.“

In ihren Augen hätte das Mädchen versinken mögen. Sie wurde nicht müde, der Trude zuzuschauen, wie sie eine Wolke nach der anderen auf ihren Weg schickte. Wie weich und fließend die Bewegungen ihrer Hände waren! Und wie die Wasser sich beeilten, ihren Befehlen zu gehorchen!

Als unter dem Höhlendach der Trude keine Wolken mehr schwebten, als ihre Teiche nicht mehr überflossen und die Wände zu trocknen begannen, da schenkte sie dem Mädchen noch einen Krug voller Honig, wild duftenden Honig aus der Anderswelt, und schickte es auf seinen langen Heimweg. Hand in Hand mit ihrem Bräutigam sollte sie ins Dorf zurückkehren und den Regen mitbringen, und die Wiesen ihres Vaters sollten vom Fluss überschwemmt werden und die Wiesen seines Vaters sollten ergrünen und jeder sollte zustimmen, dass sie ein wundervolles Paar seien, das sehr gut zusammenpasste.

Aus dem Honig sollte ein Met gebraut werden. Und ihre Geschichte sollte erzählt und weitererzählt werden für den einen fernen Tag, an dem die Trude wieder einschlafen und nicht von selbst rechtzeitig wieder aufwachen würde in ihrer Höhle der rinnenden Wasser; und ein kleines Fläschchen des Mets aus der Anderswelt sollte sorgfältig aufbewahrt werden für jenen Tag, an dem ein anderes junges Mädchen sich aufmachen würde, durch den schmalen Spalt neben der Quelle am Hügel und durch das ganze weite, trockene, heiße Land der Anderswelt. Und so sollte es sein.

 

Aho!

 

 

Ja, so war das gewesen, damals. So erging es dem Mädchen, das die Regentrude weckte; und Theodor Storm hat eine Novelle über sie geschrieben, damit ihre Geschichte nicht verlorengeht.

Aber damals hat die Göttin nur geschlafen. Und jetzt ist sie krank.

Und die Menschen haben vergessen. Keine alte Muhme erzählt mehr, wie es einmal gewesen ist. Und Theodor Storm wird nur noch selten gelesen.

 

Zu allen Zeiten haben Götter die Menschen gebraucht. Immer wieder hat ein Held sich auf den Weg machen müssen.

Nun werden neue Helden sich wieder auf den Weg machen müssen. Und nicht jeder hat eine alte Muhme, deren Urgroßtante den Weg bereits gegangen ist und die ein kleines Fläschchen mit einem ganz besonderen Met bereithält.

Nein; normalerweise müssen Helden ihren Weg ganz alleine finden. Dann ist es gut, wenn sie Gefährten haben.

Nicht jeder, der auf eine Reise ging, war ein Held. Nicht jeder kam heil wieder heim. Und nicht jeder, der heil nach Hause kam, konnte seine Botschaft weitertragen.

 

Dies ist für all die stillen Helden, die aufbrachen.

 

Einfach so. Wegen weil.

Zwischentext: Ein Naturschutzgebiet erklärt sich

 

Ich war ein Truppenübungsplatz. Jetzt bin ich ein Naturschutzgebiet.

Ja, ich bin durch schwere Zeiten gegangen, durch schwere Zeiten. Jahrzehntelang bin ich gequält worden.

Soldatenstiefel sind über mich hinweggetrampelt, Munition hat mir die Haut zerfetzt, schwere Kettenfahrzeuge haben mir Wunden gerissen. Und ja, es hat wehgetan. So hilflos habe ich mich gefühlt, so ausgeliefert. Tag und Nacht hatte ich keine Ruhe. Ständig sind Menschen über mich hinweggeschwärmt, haben einander aufgelauert und haben geübt für einen Krieg, der niemals kam.

Sie sind auf die alten Häuser losgefahren, die vereinzelt noch da standen, haben sie in Grund und Boden geschossen, und jetzt sieht man nur hier und da noch die Grundmauern der Keller. Bei Tag haben sie einander Befehle zugebrüllt und bei Nacht sind sie mit geschwärzten Gesichtern umhergekrochen oder haben singend und trinkend um Feuer gesessen.

Heute gibt es hier keine Wiese, keinen Wald, wo der unvorsichtige Fuß nicht stolpert. Keine durchgehend ebene Fläche irgendwo. Hier und da liegen noch Blöcke umher, die einmal in Mauern verbaut gewesen sind.

Die Räder der Lastwagen und Ketten von Panzern und Haubitzen haben tiefe Narben in mir hinterlassen. In manchen Radspuren sammelt sich Regenwasser und verdunstet nur langsam. In diesen Pfützen setzt die Kreuzkröte ihren Laich ab, der Laubfrosch quakt am Bachrand und in den Teichen schwimmt im Sommer der Salamander.

Der Boden, über den jahrzehntelang die Panzer gebrettert sind, ist so verdichtet und so mager, dass seltene Pflanzen darauf wachsen, die keine fette Erde mögen: dass die Glockenblume im Wind schwankt und zittert und das Leimkraut abends seine Blüte entfaltet und den Nachtfalter lockt. Die Traubeneichen wurden gepflanzt, als der Mensch noch Fachwerkhäuser baute. Sie sind jahrzehntelang von keinem Förster betreut worden und durften wachsen und sterben, wie es ihnen gefiel. In den Höhlen brüten Käuzchen, in den alten Eichen lebt die Bechsteinfledermaus und in den Buchen das Große Mausohr. Von hier aus brechen sie in der Abenddämmerung auf zu ihrer Jagd auf die Schwebefliegen überm Teich.

Das alles wurde gesehen, als die Truppen abgezogen sind. Und deshalb habe ich nun nach einer Zeit des Leidens einen Status erlangt, den nicht viele haben – als hätte ich ihn mir mit diesem Leiden verdient.

Das ist nicht so. Andere Gegenden hat es sehr viel schlimmer getroffen und es belohnt sie keiner dafür. Ich spüre, wie es ihnen geht, denn wir sind miteinander verbunden und teilen, was wir wahrnehmen.

Ich aber, ich bin jetzt ein Naturschutzgebiet geworden. Menschen müssen auf ihren eigenen „erkennbaren Wegen“ gehen. Nicht dass alle das täten. Aber wer sich dann die Haxen bricht, weil er in irgendwelche Gräben fällt oder über irgendwelche Steine stolpert, der ist selbst dran schuld.

Ach, und wie himmlisch diese Ruhe ist, ohne Lastwagen- und Panzermotoren, ohne Panzerfäuste und Abwehrgeschütze, ohne Bomben, Granaten und Artillerie! Wie dunkel die Nächte ohne Scheinwerfer und Leuchtmunition.

Zweimal im Jahr kommt ein Schäfer und führt seine Herde über mich hinweg. Weißdorn und junge Schlehenbüsche werden abgehauen und junge Buchen oder Eichen, die den Wald ins Grasland hineinwachsen lassen wollen. Die Schafe sorgen dafür, dass ich nicht zum Wald werde, sondern dass ich eine Wiese bleiben kann.

Niemand würde es bedauern, wenn es anders wäre und mein Nachbar über mich hinwegwachsen würde. Es gibt nichts, was meinen Bruder Wald von mir trennt. Wir können ineinander verschmelzen, und nichts ginge verloren. Jeder von uns ist nur eines der vielen Gesichter der großen Mutter, nur ein kleiner Splitter ihres Bewusstseins, nur eine Facette ihres Auges.

Trotzdem: Es gefällt mir gut, so sanft behütet und umsorgt zu sein.

Erstes Kapitel: Der dumme Wunsch des Königs Midas

 

Das Unheil begann damit, dass der König das Wohlgefallen eines Gottes erregte.

Singend und trinkend war der Weingott Bacchus mit seinen Kumpanen durch Phrygien gezogen, von einem heiligen Hain zum nächsten. Jede Nacht lagerten sie unter Bäumen und feierten ein Fest, bekränzten einander mit Weinlaub und ließen die Amphoren kreisen. Erst weit nach Mittag, wenn die Sonne schon wieder zu sinken begonnen hatte und der Tag kühler wurde, zogen sie weiter, dem nächsten Gelage entgegen. Eines Tages war einer der Zecher so berauscht gewesen, dass er den Aufbruch der singenden, tanzenden und trinkenden Gruppe verschlafen hatte, alleine zurückblieb und seine Gefährten nicht wiederfand.

Untertanen des Königs Midas von Phrygien lasen ihn auf und brachten ihn zum Palast. Der Fremde war trinkfest, weit gereist und unterhaltsam, und so freute sich der König über seine Anwesenheit und hätte ihn gerne als Zechkumpanen bei sich behalten. Wie kurzweilig hätten ihre gemeinsamen Abende werden können!

Nun war König Midas zwar nicht der Allerhellste, aber er war ein gutmütiger Mensch und fürchtete zudem den Zorn des Gottes. Deshalb hatte er es sich schließlich anders überlegt, den Mann in seine königliche Sänfte packen und sich mit ihm dem Weingott hinterhertragen lassen. Der Gott war so begeistert, als er seinen Gefährten zurückbekam, dass er vor lauter Freude und Dankbarkeit dem König nicht nur einen Schluck aus seiner Amphore anbot, sondern ihm zudem auch noch einen Wunsch gewährte.

Das war der Anfang der Geschichte. Und weil er sein Leben lang Gold zusammengerafft und gehortet und sich am Anblick seines Vermögens erfreut hatte, weil sein Herz an seiner Schatzkammer hing wie an nichts anderem, darum wünschte der König, es möge alles zu Gold werden, was er berührte.

Der Gott gewährte und verschwand. Der König stand verblüfft und alleine im heiligen Hain, wo die Bäume rauschten und die Luft noch leicht nach Wein roch. Aber hatte er nicht gesagt, der Bacchus ...?

Vorsichtig hob der König den Arm und brach einen Zweig von der Eiche, neben der er stand. Zögernd, als wage er seinem Glück nicht zu trauen, hob er den Zweig vor seine Augen – und sieh an, er war tatsächlich aus reinem, leuchtendem Gold. Wie Gold aussah und sich anfühlte, das wusste er genau, der König! Damit kannte er sich aus. Dieser knorrige Zweig, diese Eichenblätter, die eine kleine Eichel, die daran hing, all das war aus purem Gold, durch und durch. Eine Legierung wäre weniger schwer gewesen, auch das wusste er.

Er bückte sich und hob den nächsten Stein auf, wie er ihm unter die Hand geriet, und auch dieser ward bei seiner Berührung zu Gold. Auf dem Weg zurück zu seinen Dienern und seiner Sänfte pflückte er noch einen Apfel vom Baum; nun hatte er einen goldenen Ball, den er hochwarf und wieder auffing, hei! Es sah ihn ja keiner. Da brauchte er sich auch nicht majestätisch zu benehmen.

Einen Boten ließ er vorauseilen zum Schloss, der sollte ein Festessen in Auftrag geben und alle am Hof dazu einladen. Ein solcher Tag wie dieser musste doch wohl gefeiert werden!

Seine Sänfte kam nur langsam voran. Beim Einsteigen hatte er an den Rahmen gefasst, und Gold ist schwer. Auch war sein Sitzpolster nicht so weich, wie er es gewöhnt war. Aber daran ließ sich sicher etwas ändern, es gab für alles Spezialisten, er würde so viele anheuern, wie er brauchte. Gold würde er ja nun genug besitzen. Schwere Sänfte und harte Polster, das waren ein paar belanglose kleine Begleiterscheinungen, damit würde man fertig werden.

Glücklich winkte er seinen Untertanen zu, die an den Straßenrändern standen, als er sich seinem Schloss näherte, ihre Kappen in den Händen drehten und mit offenen Mündern ihres Königs neue goldene Sänfte bestaunten.

An was sollte er nun als nächstes seine Kunst erproben? Der König grinste in sich hinein. Er vermochte nun, was selbst dem Sprichwort nicht gelang: Er konnte aus Scheiße Gold machen. So lange würde das Festmahl warten.

Sobald er im Schloss angelangt war, begab er sich gemessenen Schrittes auf sein persönliches Privatörtchen. Die Schüssel selbst bestand schon lange aus Gold. Die Türe, seit er sie nun geöffnet hatte. Und als er sein Geschäft verrichtet hatte, drehte er sich um und berührte das Ergebnis seiner Anstrengung vorsichtig mit dem Zeigefinger.

Tatsächlich, da lag er: ein königlicher goldener Scheißhaufen. So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen. Voller Stolz hob der König sein selbst produziertes Gold auf den Waschtisch und bewunderte es aus der Nähe und von allen Seiten. Was für eine vollendete Form! Am liebsten hätte er es mit in den Festsaal genommen und allen gezeigt, aber dann hätten seine Königinnen samt und sonders Anfälle bekommen. Sie waren ohnehin der Ansicht, sein Humor sei nicht königlich genug.

An seinem Finger haftete noch etwas von dem Geruch, den der Haufen vor seiner Verwandlung gehabt hatte. Zu seinem Bedauern stellte es sich als unmöglich heraus, sich die Hände zu waschen: Das Wasser verwandelte sich in Gold, sobald es seine Haut berührte.

Auch daran würde man arbeiten müssen. Sicher würde seinen Leuten etwas einfallen, womit er sich reinigen konnte. Sand vielleicht? Hatte er nicht irgendwo gelesen, in der Wüste wüsche man sich mit Sand? Da, Problem gelöst. Und gleichzeitig neuen Goldstaub für die Schatzkammer hergestellt.

Einstweilen wischte er sich die Hände an seinem goldenen Handtuch ab. Zufrieden, wenn auch noch immer ein wenig müffelnd, ging er zum Festsaal.

Alle hatten sich bereits versammelt: seine Frauen und Kinder, die Minister und Hofbeamten, seine Höflinge und die Damen seiner Königinnen. In farbenprächtigen Gewändern standen sie bereits am Tisch und warteten auf ihn.

Die Tafel strahlte festlich gedeckt im Glanze goldener Teller und Bestecke. Daran ließ sich nichts demonstrieren. Aber dort, in der Mitte! Da prunkte ein gebratener Pfau in vollem Federkleid und schlug ein prachtvoll schillerndes Rad. Der König trat herzu, berührte den Vogel mit seiner königlichen, etwas streng riechenden Fingerspitze – und der gesamte Pfau bestand aus purem Gold.

Einen Raunen ging durch den Saal, dann brandete Beifall auf.

Der Koch schnappte nach Luft und fasste sich an die Brust. Die stellten sich das so einfach vor, einen Vogel unversehrt aus seinem unversehrten Federkleid herauszuschälen und ihn anschließend gebraten wieder hineinzubugsieren, ohne dabei auch nur eine einzige Feder mit Bratensaft zu bekleckern und ihre Farbe zu verderben! Außerdem hatte er sich große Mühe mit der Füllung gegeben und seiner Ansicht nach war sie ihm heute besonders gut gelungen. Insgeheim hatte er sogar gehofft, vielleicht an die Festtafel gerufen und für seine vorzügliche Farce gelobt zu werden. Nun, das konnte er jetzt wohl vergessen! Und überhaupt hätte er sich das alles sparen und den Vogel hinstellen können, wie er war, er hätte ihn nicht einmal auszunehmen brauchen. Er blaffte den nächststehenden Küchenjungen an, der sich keiner Schuld bewusst war – aber was heißt das schon in einer Küche.

Der König winkte huldvoll, alle nahmen Platz, noch immer begeistert miteinander tuschelnd. Er ließ sich ein Stück Kalbsbraten auftun, das verlockend roch und sich schnitt wie Butter. Und als es seine Lippen berührte – das war der Moment, in dem der König feststellte, dass man Gold nicht essen kann.

Um seine Verwirrung zu überspielen, stand er auf und brachte einen Toast auf den guten Gott Bacchus aus. Der Wein rann ihm in den Mund als flüssiges Gold. Man kann Gold auch nicht trinken.

Stuhl für Stuhl merkten die Nähersitzenden, dass etwas nicht in Ordnung war. Tisch für Tisch breitete sich Schweigen aus. Der König stand da mit dem Weinglas noch in der Hand und wusste: Er konnte nichts essen. Er konnte nichts trinken. Er hatte sich selbst zum Tode verdammt.

Auf den hinteren Plätzen begannen die ersten, sich unauffällig zurückzuziehen, die Näherstehenden rückten von ihm ab, es entstand ein Kreis der Leere um ihn her. Einzig seine jüngste Tochter, sein Liebling Philomena, rannte auf ihn zu und warf sich ihm an den Hals, um ihn zu trösten. Da hielt der König in seinen Armen eine zierliche goldene Statue eines schlanken Mädchenkörpers.

König Midas wankte von dem Gewicht. Er ließ die Statue fallen, als sei ihm Gold plötzlich nichts mehr wert, als brenne es ihm an den Händen, und fiel auf ein Polster, das bis dahin weich gewesen war. Tränen rannen über sein Gesicht und sprangen als kleine goldene Murmeln über den Marmorboden seines Festsaals. Der Hofnarr in seinen blauen Pluderhosen hob heimlich eine davon auf und steckte sie ein.

Wer würde ganz, ganz oben auf der Liste stehen, wenn der königliche Zorn sich entladen wollte? Der Narr wusste es ganz genau. Ihn würde es treffen, wie immer. Aber während er sonst nur lächerlich gemacht wurde – und dafür ist ein Narr ja schließlich da, zumindest nach Ansicht der Könige –, würde es jetzt auf eine Verwandlung hinauslaufen, die ihn das Leben kosten würde. Er war zwölf Jahre alt und nicht bereit, diesen Preis zu zahlen.

Mit vielen Verbeugungen, die seine Schellen zum Klingeln brachten, zog er sich rücklings aus dem Saal zurück. Vorzugsweise verbeugte er sich dann, wenn in seinem Weg eine goldene königliche Träne lag, die sich anschließend nicht mehr dort befand.

„Verschwinde, Bürschchen“, raunte es in sein Ohr. „Was jetzt kommt, das solltest du Erwachsenen überlassen.“

Der Narr sah nicht hoch, sondern hielt den Blick zu Boden gesenkt und nahm nur den Saum eines dunklen Magierumhangs und eines Gewandes mit kretischem Muster wahr. Er verbeugte sich ein letztes Mal und sammelte dabei eine letzte Träne auf.

Der König hatte sich ans hintere Ende seines Festsaals zurückgezogen und brüllte die Diener an, seine Hunde von ihm fernzuhalten. Er hing an seinen Hunden und hätte sie nur ungern in Gold verwandelt gesehen.

Wie lange, fragte er sich, kann ein Mensch wohl überleben, ohne zu essen und zu trinken? Ohne Essen könnte es ein paar Tage dauern, hatte er gehört, ohne Trinken starb man wohl schneller. Und nichts, keine Maßnahme seiner Gelehrten konnte das jetzt noch aufhalten.

Das würde also sein Ende sein, so würde es aussehen, das Ende des großen, berühmten Königs Midas von Phrygien …

Sein Narr hatte sich fortgeschlichen. Seine Frauen und Kinder hatten sich hinter die Festtafel zurückgezogen. Die Knaben füllten sich verstohlen ihre Teller mit Kalbsbraten.

Oh, dieser Kalbsbraten! Wie gut würde er geschmeckt haben.

Was würde nun geschehen? Seine Kinder hatten sich bereits von ihm abgewandt. Würden sie einfach abwarten, bis er an seiner eigenen Gier zugrunde geht, oder würde dem dummen alten König Midas noch zu helfen sein? Gab es Rettung für ihn, und wie sah sie aus?

Am entgegengesetzten Ende des Festsaales, in sicherer Entfernung, hatte sich ein Knäuel von entsetzten, schlotternden Höflingen und ihren ebenso entsetzten, leise schnatternden Damen gebildet. Daraus löste sich nun die füllige Gestalt eines Mannes, der als Begleiter des kretischen Botschafters zum Festmahl gekommen war. Er war gekleidet in ein weites Linnengewand mit kretischen Mustern an den Säumen und den weitärmligen dunklen Überwurf eines Magiers und segelte behäbig wie ein dickbauchiges, voll beladenes Lastschiff auf den König zu.

„Majestät“, säuselte der Mann in dem weichen, verwaschenen Tonfall eines Südländers und verbeugte sich tief. „Majestät“, sagte er, „wenn ich es mir erlauben darf als Gast, vielleicht einen Vorschlag …“

„Unterbreite Er, unterbreite Er!“, sagte König Midas und wedelte großzügig mit der Hand. „Es ist im Augenblick jeder Vorschlag hochwillkommen! Ablehnen kann ich ihn ja immer noch.“

„Was wir hier vor uns sehen, Majestät“, sagte der Mann, „ist ganz offensichtlich das Werk eines Gottes. Deswegen kann es auch nur von einem Gott wieder zurückgenommen werden.“

Der König nickte versonnen.

„Und da es hier um eine Frage des Lebens geht, scheint mir eine weibliche Gottheit die angemessene Wahl zu sein.“

Wieder nickte der König. Die Worte des Mannes klangen ihm nachvollziehbar. Eine weibliche Gottheit, wenn es um lebende Wesen ging, natürlich.

Der Fremde holte tief Luft. Auch wenn er ein echter Eingeweihter in magische Wege war, so verdiente er doch sein Brot mit der Unterhaltung von Königen, und normalerweise hätte er jetzt all das Brimborium entfaltet, das der zahlende Kunde mit Fug und Recht von einem Magier erwarten durfte. Samtene Tücher und kristallene Kugeln, bunt bemalte Karten und die Eingeweide von Opfertieren, Weihrauch, Trommeln und Rasseln, Götterbeschwörungen und magische Gesten. Vielleicht irgendwelche geheimnisvoll auftauchenden und wieder verschwindenden Dinge. Aber was sollte er machen, es half nichts, die Zeit war in diesem Falle einfach zu knapp; gegen die Gesetze von Hunger und Durst gab es keine Berufung. Deshalb entschied er, sich auf das absolut notwendige Minimum zu beschränken.

Er krempelte die Ärmel hoch bis über die Ellenbogen und ließ Nebel emporwallen. Er gab dem Nebel eine menschliche Form, an deren Weiblichkeit niemand zweifeln konnte. Dann intonierte er mit geschultem und geübtem Bühnenbariton: „Zeige dich, Unsterbliche, und sage uns, wer du bist!“

Die Unsterbliche wallte leise vor sich hin und gab keinen Ton von sich.

„Ich beschwöre dich!“, rief der Magier etwas lauter und strenger, und noch lauter: „Und abermals sage ich, ich beschwöre dich!“

Der Nebel wallte nun nicht mehr nur, er bibberte geradezu. Der Festsaal war voller mucksmäuschenstiller Menschen. Von all ihren gespitzten Ohren vernahm kein einziges auch nur einen Laut.

Aber wozu hat man einen Magier, wenn man mal einen braucht.

Weit breitete der Mann seine Arme aus – nachdem er die Ärmel ausgeschüttelt hatte, bis sie wieder beeindruckend auf die Hände hinabfielen.

„Die Unsterbliche ist bereit, mit mir zu sprechen!“, verkündete er. Dann beugte er lauschend den Kopf. Einmal zog er die Augenbrauen hoch. Einmal nickte er leise.

Dann richtete er sich wieder auf. Der Nebel wallte von dannen, indem er sich auf dem Fußboden verteilte und durch die Türen entschwand.

„Mutter Gaia selbst wird den König erlösen!“, verkündete der Magier seinem gebannt lauschenden Publikum. „An der Quelle des Flusses Paktolos, eine halbe Tagesreise westlich von hier, steht ein Heiligtum der Erdmutter. Wenn der König dort hinpilgert und die Füße der Statue ehrfürchtig berührt und selbstverständlich die üblichen weißen Kühe opfert, dann wird er von seinem Fluch erlöst werden.“

Ein Raunen ging durch den königlichen Festsaal und es war zum größten Teil ein Raunen der Erleichterung. König Midas war für seinen Geiz berüchtigt, aber ansonsten nicht unbeliebt.

Sofort gab der König Befehl, alles vorzubereiten und mit einem Dutzend weißer Kühe gleich am Abend noch loszuziehen. Er selbst würde anderntags folgen. Freilich, reiten würde er nicht können, und eine Sänfte aus massivem Gold kam nur langsam vorwärts. Aber die Quelle des Paktolos war nicht weit, da konnte man auch in einer goldenen Sänfte vor dem Abend ankommen, wenn man frühmorgens aufbrach.

Der Fremde verbeugte sich und verschwand. Sein Werk war getan. Er würde zurück nach Kreta reisen und seinem Herrn Bericht erstatten. Zweifellos würde er reichlich belohnt werden, Midas würde seinem Herrn, dem König von Kreta, den Rang des reichsten Königs nicht länger streitig machen – und in Phrygien würde der Magier sich nie wieder blicken lassen.

König Midas würde mit seinen gierigen Händen nach den Füßen der Göttin greifen. Ihr Fluch würde ihn treffen.

 

Der König hatte sich nicht lumpen lassen. Seine Erleichterung war so groß gewesen, nun doch nicht verdursten zu müssen, dass er nach einem ganzen Dutzend der schönsten Kühe verlangt hatte, schneeweiß und makellos, und er hatte sogar ein paar Hände voll Sand aufgehoben und dem Schmied gegeben, um die Hörner der Kühe damit vergolden zu lassen. Es waren lange, geschwungene Hörner; aber schließlich hatte ihn das Gold nichts gekostet, er hatte sich ja nur zu bücken brauchen.

Dann war er immer noch durstig, aber sehr viel weniger besorgt in sein Bett gegangen, hatte den Kopf auf ein goldhartes Kissen gebettet und ein Feuer anzünden lassen – denn Gold konnte man nicht nur nicht essen, es hielt außerdem auch nicht warm. Ganz davon abgesehen, dass es eine gewisse Geschmeidigkeit vermissen ließ, wie man sie bei seiner Bettdecke einfach gerne hat, um den richtigen Grad und Effekt von Gemütlichkeit herbeizulocken.

Morgens hatte er auf Waschen und auf Zähneputzen verzichtet und war so bald wie möglich in seine Sänfte gestiegen. Er wollte es jetzt nur noch hinter sich haben und endlich wieder etwas trinken können.

Je weiter er nach Westen getragen wurde und je näher er dem Heiligtum der Gaia kam, umso stärker wurden seine Zweifel. Abgesehen von dieser Sache mit dem Essen war seine Idee doch so hervorragend gewesen! Ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gäbe, Hunger und Durst zu stillen und gleichzeitig die goldschaffenden Hände zu behalten?

Warum nur war er heute Morgen so schnell aufgebrochen, ohne vorher

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: liggraphy auf Pixabay
Lektorat: Johannes Flörsch
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2020
ISBN: 978-3-7487-2923-5

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