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Ein gebrochenes Herz

EIN GEBROCHENES HERZ

(kann sich wieder verlieben)

 

von Martina Hoblitz

 

Kapitel 1

 

 

‚Wie viele Verluste muss diese Familie denn noch verkraften?’ fragte sich Lars Rimbeck traurig im Stillen, als er endlich im Flugzeug saß, auf dem Weg zu einer weiteren Beerdigung auf Schloss Königstein. –

 

Nicht zu vergessen sein eigener Schmerz! Ein Schmerz, der sich auf ewig in seinem Herzen fest gefressen hatte. – Und angefangen hatte alles mit dem für ihn unerwarteten Tod seines geliebten Annchens, der Comtesse Ann-Sophie von Königsstein, die so frohen Herzens diesen Titel abgegeben hatte, um Frau Rimbeck zu werden. Die Frau eines einfachen Fischerjungen, der es in Hollywood zum Fernsehstar gebracht hatte. ---

 

Überhaupt war das Leben von Lars abgelaufen wie im Film. Ein Film, der als Liebeskomödie begann und in einem Drama endete. Innerhalb von einem Jahr war er Ehemann, Vater und Witwer geworden, und das mit gerade mal 21 Jahren! –

 

Wäre da nicht sein süßes, kleines Töchterchen gewesen, Annchens Vermächtnis, hätte er sich wohl selbst aufgegeben. Doch so recht etwas anfangen konnte er mit dem Baby auch nicht. Zum Glück war da das unerschütterliche Fräulein Stella, und natürlich auch die Schwiegermama, obwohl selbst ganz gebrochen durch den Verlust der Tochter. –

 

Noch schwerer traf es allerdings den Grafen Tadeus, seinen Schwiegervater. Auf der Beerdigung seiner geliebten Tochter erlitt er einen so schweren Asthmaanfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Nur eine Woche später fand die nächste Beerdigung statt. ---

 

Das wurde Lars einfach zuviel! Er hielt es nicht mehr aus in diesem Trauerhaus und floh in schmerzlichem Egoismus, ohne sein Töchterchen, nach Hollywood, wo er sich zur Ablenkung voll und ganz in die Arbeit stürzte und sämtliche Gefühle ausschaltete. Er funktionierte lediglich wie ein Roboter.

 

Das spürte natürlich auch das Publikum und die Einschaltquoten sanken ins Bodenlose, worauf hin seine Kochshow schließlich abgesetzt wurde. –

 

Da verlor Lars endgültig den Halt, stürzte sich ins laute, grelle Partyleben und ertränkte seinen Herzschmerz und die Enttäuschung über seinen beruflichen Misserfolg in reichlich Alkohol.

 

 

Aus diesen trüben Gedanken heraus musste Lars abgrundtief seufzen. – Plötzlich erklang neben ihm eine sonore männliche Stimme, der man das Schmunzeln direkt anhören konnte: „Oho! Was kann wohl der Grund für so einen Weltschmerz sein?“

 

Der Mann hatte Deutsch gesprochen, und Lars sah verdutzt zur Seite auf seinen Sitznachbarn, den er vorher gar nicht richtig zur Kenntnis genommen hatte. ---

 

Dr.Tobias Hase, seines Zeichens Kinderarzt, hatte Lars unauffällig beobachtet, seit er neben ihm Platz genommen hatte. Nicht nur der traurige, schmerzliche Ausdruck seiner rehbraunen Augen berührte ihn seltsam. Der eindeutig junge Mann, der trotz seines Alters schon einige Silberfäden in seinem sonst pechschwarzen Haar hatte, kam ihm auch irgendwie bekannt vor.

 

Tobias grübelte die ganze Zeit, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Dann erinnerte er sich endlich, gerade als Lars so tief aufseufzte. Darum hatte er ihn auf Deutsch angesprochen. Denn sein Sitznachbar war ohne Zweifel der einstmals so bekannte deutsche Koch im amerikanischen Frühstücksfernsehen, den er schon immer bewundert hatte. ---

 

Und Lars musterte stumm den Mann an seiner Seite. Er schätzte ihn so auf Mitte 30, mit einem recht unscheinbaren Äußeren, nicht besonders attraktiv, aber auch nicht gerade hässlich. Das einzig Auffällige war seine ziemlich starke Brille, welche seine wasserblauen Augen unnatürlich vergrößerte. Sein Haar war von einer Farbe, die man landläufig als Straßenköterblond bezeichnete. Auch seine Statur war durchschnittlich, weder groß noch klein, nicht dick oder dünn, eben unscheinbar.

 

Da Lars immer noch schwieg, begann Tobias wieder zu sprechen: „Jetzt halten Sie das bloß nicht für eine blöde Anmache! Aber kann es sein, dass ich Sie aus dem Fernsehen kenne? Sind Sie nicht Lord Les, der deutsche Koch für die ratlose amerikanische Hausfrau?“

 

Tatsächlich lächelte Lars geschmeichelt. „Dass Sie sich daran erinnern? Das ist doch schon ´ne ganze Weile her.“ – „Schade eigentlich!“ gestand Tobias. „Ich hab Sie immer gern kochen sehen und mir manche Anregung geholt.“

 

Lars hob verwundert die Augenbrauen. „Kochen Sie denn auch?“ – „Nur als Hobby und wenn ich Zeit dafür finde.“

 

Da lachte Lars etwas bitter auf. „Sie werden es kaum glauben, aber ich bin auch kein gelernter Koch! Ich wollte zwar damals mal eine Ausbildung als Koch und Konditor machen, aber es ist nie dazu gekommen.“ – „Dafür brachten Sie das aber richtig professionell rüber!“ meinte Tobias bewundernd.

 

Lars wurde über dieses überschwängliche Lob ganz verlegen und versuchte abzulenken. „Was machen Sie denn beruflich?“

 

Tobias schmunzelte. „Erstmal, mein Name ist Hase ...“ – „Und Sie wissen von nix!“ setzte Lars scherzhaft den Satz fort.

 

Die beiden Männer lachten sich fröhlich an, und Tobias war regelrecht stolz auf sich, dass er Lars wohl scheinbar den Trübsinn vertrieben hatte.

 

 

So verging der doch recht lange Flug mit netter Plauderei, und Lars war froh, dass er Buisiness-class gebucht hatte und nicht wie er erst vorgehabt hatte die 1.Klasse.

 

Die beiden jungen Männer unterhielten sich über Gott und die Welt und erzählten sich allerhand voneinander. – So erfuhr Lars, dass Tobias Kinderarzt war und nach einem Assistenzjahr in einer Klinik in Los Angeles nun seine neue Stellung als Chefarzt der Kinderstation im Krankenhaus in Oldenburg antrat. Denn er stammte von Geburt aus einer Kleinstadt nahe Emden, wo auch noch seine Eltern und seine Schwester lebten.

 

Darauf erzählte Lars ihm, aus welchem Grund er nach Deutschland zurück kehrte, u.z. um an einer Beerdigung auf Schloss Königstein teilzunehmen. Worauf er wieder ganz wehmütig wurde. Auf vorsichtiges Nachfragen von Tobias berichtete Lars ihm freimütig von seinem verwandtschaftlichen Verhältnis zur Grafenfamilie und konnte nicht verhindern, dass ihm dabei Tränen in die Augen stiegen. Vor allem, als er von seiner Frau und deren plötzlichem Tod erzählte.

 

Doch dann, als er seine kleine Tochter erwähnte, konnte er schon wieder ein klein wenig lächeln. Interessiert erkundigte sich Tobias näher nach dem Kind und war ziemlich betroffen, als er erfuhr, dass Lars seine Tochter seit 2 Jahren nicht gesehen hatte. Der gab verlegen zu: „Ich konnte mich doch in meiner damaligen Verfassung nicht um die Kleine kümmern! Da war die tiefe Trauer um meine Frau Ann-Sophie, die unerwartet bei Josinas Geburt gestorben war. Dazu kam der Schock über den Tod des Grafen, meines Schwiegervaters. Ich musste einfach da raus, weit weg von der Trauer und dem Schmerz! Um meine Tochter machte ich mir da keine Gedanken. Die wusste ich doch bei meiner Schwiegermama und vor allem bei Fräulein Stella in guter Obhut.“

 

Tobias schüttelte ungläubig den Kopf und machte ihm Vorwürfe: „Ich versteh dich nicht! Bei allem Schmerz um den Verlust. Gerade ein so kleines Kind braucht doch, wenn schon die Mutter nicht mehr da ist, wenigstens den Vater als Vertrauensperson!“

 

- Die beiden Männer waren während des Gesprächs ganz zwanglos zum Du übergegangen. –

 

Lars blickte ihn verständnislos an und wagte zu bemerken: „Aber Josi war doch in weiblicher Hand und bestimmt besser versorgt als bei mir. – Besonders im letzten Jahr.“

 

Und er erzählte Tobias ganz ehrlich von seinen Alkoholexzessen. Tobias lauschte aufmerksam, ohne sein, bestimmt nicht leichtes, Geständnis zu unterbrechen. Danach meinte er nur: „Du wirkst aber gar nicht wie ein abgewrackter Alkoholiker. Was hat dich aufgerüttelt?“

 

Wider Willen musste Lars lachen. „Ein derber Arschtritt von meinem angeheirateten Onkel Jerry!“

 

Und er erinnerte sich ....

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

 

Die zügellose Promiparty im exklusiven Nachtclub in Beverly Hills hatte ihren Höhepunkt erreicht, und Lars seinen Promillepegel längst überschritten. Er tanzte lasziv mit nacktem Oberkörper auf der Theke und sang dazu nicht schön aber laut anzügliche Seemannslieder. Dabei entging ihm völlig, dass nicht nur die Frauen sondern auch einige Männer ihm lüsterne Blicke zuwarfen.

 

Plötzlich stand wie aus dem Boden gewachsen Jerome Roberts vor dem Tresen und schnauzte ihn an: „Ja, geht’s noch? Ich seh ja wohl nicht richtig?! Lars, hast du den Verstand verloren? Komm da sofort runter!“

 

Schon wurde er von einem Mann im schrill bunten Glitzerdress angemacht: „He, lass doch den Süßen. Der ist echt geil!“

 

Jerry bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und sagte, auf seinen lässigen Ton eingehend: „Nee, Süßer! Der Boy spielt nicht in deiner Liga! Außerdem gehört er zu mir!“

 

Wobei er seine nicht geringen Muskelpakete, durch tägliches Hanteltraining erworben, spielen ließ. Diese Sprache verstand der Jüngling und wandte sich beschämt ab.

 

Dann drehte sich Jerry wieder zur Theke, wo Lars noch immer tanzte und sang, als hätte er ihn überhaupt nicht wahr genommen. Kurz entschlossen trat er näher, warf sich den jungen Mann einfach über die Schulter und trug ihn unter ungewolltem Beifall hinaus. –

 

Draußen im Jeep wartete Bert auf ihn; Dr.Bert Kingstone, Rechtsanwalt und seit über 20 Jahren Jerrys Lebensgefährte. – Als er das seltsame Paar sah, lachte er herzlich und rief: „Mensch, Jerry-Schatz! Du solltest doch nur mal gucken, ob in dem Laden was los ist und mir nicht gleich ein Geschenk mitbringen!“

 

Er sah nur den Hintern des Jungen. Nun drehte sich Jerry lachend um, und er erkannt Lars.

 

„Du meine Güte! Was hat der denn da drin zu suchen?“ – „Keine Ahnung!“ stieß Jerry gepresst hervor, während er sich bemühte Lars auf den schmalen Notrücksitz zu verfrachten.

 

Dieser starrte ihn mit glasigen Augen an und lallte mit schwerer Zunge: „Na, Comtesch-schen? Bischte endli-schwach?“

 

Dann sackte er in sich zusammen, und als die beiden Männer sich betroffen anschauten, begann er plötzlich laut zu schnarchen. Jerry und Bert grinsten sich an, und der Anwalt bemerkte: „Na, der Junge gehört aber so was von ins Bett!“ – „Und zwar alleine!“ betonte Jerry, als er sich hinters Steuer setzte und den Wagen startete. „Der Bengel kann froh sein, dass ich ihn von der hungrigen Meute weg geholt habe!“

 

 

„Woran denkst du?“ schreckte Tobias Lars aus seinen Erinnerungen auf. „Du schmunzelst so selig vor dich hin.“

 

Freimütig gab Lars zu: „Mir fiel grad ein, wie Jerry mich aus dem Sumpf raus gezogen hat.“ – „Hast du eine Entziehungskur gemacht?“ wollte Tobias interessiert wissen.

 

Da lachte Lars bitter auf. „Ja, eine ganz private! Unter Aufsicht von Jerry und seinem Lebensgefährten Bert.“

 

Bei der Bezeichnung <Lebensgefährte> horchte Tobias auf und fragte vorsichtig nach: „Heißt das, dieser Onkel von deiner Frau ist schwul?“

 

Lars grinste ihn an. „Nicht nur das. Jerry ist der Bruder von Anns Mutter, und sein Lebensgefährte ist der Bruder von Anns Vater. Ziemlich verwirrend, was?“ – „Kann man wohl sagen!“ rief Tobias verblüfft.

 

Da blickte Lars ihn unterm Berg her an. „Hast du ein Problem mit solchen Leuten?“ – „Was für Leute?“ fragte Tobias lauernd.

 

„Na, Schwule eben.“ – „Wieso sollte ich? Ich bin es ja selber.“

 

Nach diesem Geständnis beobachtete Tobias seinen Sitznachbarn ganz genau. Doch Lars fragte harmlos: „Hast du auch einen Freund?“

 

Komisch! Kaum hatte er diese Frage ausgesprochen, und sein Blick fiel zufällig in die blauen Augen hinter den dicken Brillengläsern, spürte Lars plötzlich einen Stich in der Brust. Es war ein Gefühl wie damals, wenn Ann-Sophie einem anderen Mann Aufmerksamkeit schenkte. – Unmöglich! Das konnte doch keine Eifersucht sein?!

 

Verlegen und leicht erschrocken wandte Lars sich ab und bekam wahrhaftig rote Ohren. Tobias war seine seltsame Reaktion nicht entgangen, und das machte ihm Hoffnung. Denn er hatte sich auf den 1.Blick in den jungen Mann verliebt! ---

 

Das plötzliche ungemütliche Schweigen war Lars unangenehm und machte ihn nervös. Er starrte stur geradeaus und murmelte, ohne Tobias anzusehen: „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“

 

Gelassen antwortete der: „Ich bin seit 3 Jahren Single.“

 

Da schaute Lars ihn doch an und erklärte, mit schmerzlichem Blick in den Augen: „Und ich bin seit 3 Jahren Witwer!“ ---

 

Beide atmeten irgendwie erleichtert auf, als im Flugzeug die Ansage kam, die Sicherheitsgurte anzulegen, da die Maschine in wenigen Minuten landen würde.

 

 

Noch im Auto war Lars ganz durcheinander! –

 

Selbstverständlich wurde er von Gunnar, dem Butler und Chauffeur der Grafenfamilie mit der gräflichen Stretchlimousine abgeholt. Doch außer einem höflichen Gruß fiel kein Wort zwischen den beiden. Lars hatte nur Gedanken für Tobias. ---

 

Als die Maschine im Flughafen von Oldenburg gelandet war, und die Gurte wieder geöffnet werden durften, stürzte sich Lars ohne Abschiedsgruß in das Menschengedränge im Mittelgang, als hätte er es eilig aus Tobias’ Nähe zu kommen. –

 

Allerdings trafen sie sich dann am Gepäckband wieder. – Tobias streckte Lars ungezwungen die Hand entgegen, welche dieser leicht zögernd ergriff, und sagte: „Entschuldige, wenn ich dich irgendwie verschreckt hab! – Es hat mich jedenfalls sehr gefreut, dich kennen zu lernen.“

 

Lars entgegnete beinah schüchtern: „Da gibt’s nix zu entschuldigen! Mich hat es auch gefreut.“

 

Doch schnell ließ er seine Hand wieder los und schnappte sich sein Gepäck. – Tobias sah ihm etwas traurig nach, als er die Flughafenhalle verließ. Gerne hätte er ihn um ein Wiedersehen gebeten, aber er wagte es nicht, denn er spürte deutlich seine Verwirrung. Selbst eine harmlose Verabredung auf einen Drink hätte er gewiss falsch verstanden.

 

Tobias griff sich sein Gepäck, und als er aus dem Flughafen trat, sah er gerade noch, wie Lars in die vornehme Limousine stieg und der Wagen davon fuhr.

 

Seufzend rief er nach einem Taxi.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

 

Lars’ Grübeleien fanden erst ein Ende, als sie an der Freitreppe vor fuhren und hielten. Während er etwas zögerlich die Stufen hinauf schritt, kümmerte sich Gunnar um sein Gepäck. Die Tür wurde von Gunnars Frau Birte, der Hauswirtschafterin, geöffnet. Sie grüßte Lars höflich aber distanziert, für das Dienerpaar gehörte Lars einfach nicht zur Herrschaft.

 

Selbstverständlich machte der junge Mann zuerst der alten Gräfin Sophia seine Aufwartung. Die alte Dame war noch immer das unverwüstliche und unangefochtene Oberhaupt der Familie. Zwar hatte Waldemar nach dem Tod des Vaters den Titel, sowie alle gräflichen Liegenschaften übernommen, aber das letzte Wort in familiären Belangen sprach immer noch die Gräfin Mutter.

 

Lars wusste auch genau, wo sie Audienz hielt. Er klopfte energisch an die Tür des Salons, und nach einem lauten bestimmenden „Herein!“ ging er hinein. Wie erwartet thronte die alte Gräfin in ihrem wuchtigen Ohrensessel und blickte ihm mit unbewegter Miene entgegen.

 

Nun, Lars wusste, was sich gehörte, trat vor sie hin, machte ehrerbietig eine tiefe Verbeugung und bedachte sie mit einem formvollendeten Handkuss. Er überließ ihr auch das 1.Wort.

 

Gräfin Sophia lächelte ihn huldvoll an und sagte: „Da bist du ja endlich wieder, mein Junge! Gut siehst du aus. Die paar Silberfäden im Haar geben dir ein distinguiertes Aussehen.“

 

Worauf Lars leicht ungehalten reagierte: „Oh, Großmutter! Sparen wir uns doch die Höflichkeitsfloskeln! Ich weiß genau, dass dir meine Ausschweifungen zu Ohren gekommen sind. Hier steh ich also, um deinen Tadel zu empfangen!“

 

Die alte Dame hob ihr Lorgnon und musterte ihn kritisch. Dann sagte sie irgendwie traurig: „Natürlich wurde mir von deinen Eskapaden berichtet. Aber ich muss zugeben, dass ich deine Handlungsweise in gewissem Sinn auch verstehe. Jeder hat seine eigene Art mit Verlust und Schmerz fertig zu werden. Und es freut mich wirklich, dass du wieder zu dir zurück gefunden hast!“- „Also keine Rüge?“ Lars grinste zaghaft.

 

„Dieses Mal nicht!“ Tatsächlich schmunzelte die alte Gräfin und fügte an: „Nun geh und begrüß dein Töchterchen! Hoffentlich erkennt sie dich noch.“ – „Das hoffe ich auch!“ seufzte Lars und verließ sie nach einem kurzen Kopfnicken. ---

 

Sein nächster Weg führte ihn in den Westflügel des Schlosses, wo er einst zusammen mit seiner Frau gewohnt hatte, und die Erinnerungen an sie wurden übermächtig.

 

Ja, die Erinnerungen an sein geliebtes Comtesschen hatten ihm auch den von den Onkeln aufgezwungenen Aufenthalt in Las Vegas schwer gemacht.

 

 

Es war ein schmerzliches Erwachen für Lars am Morgen nach seinem Auftritt im Nachtclub. Zunächst wusste er gar nicht, wo er war. Nur langsam, wie durch einen Schleier, erkannte er das Gästezimmer im Bungalow von Jane Grey in Beverly Hills. – Wie war er nur hierher gekommen?

 

Mühsam rappelte er sich auf, hielt sich stöhnend seinen Brummschädel und tapste ins Bad, wo er verzweifelt nach einer Aspirin suchte. – Als er keine fand, schlurfte er in die Küche.

 

Dort saß nur Bert am Frühstückstisch und blickte ihn grinsend an. Jerry und seine Produzentin Jane waren schon früh ins Filmstudio gefahren.

 

Wortlos stand Bert auf, ging an den Küchenschrank, holte eine Brausetablette heraus, füllte ein Glas an der Spüle halb voll Wasser, ließ die Tablette hinein fallen und stellte das Glas auf den Küchentisch, mit der Aufforderung an Lars: „Los, trink das! Auf ex!“

 

Dieser sah ihn mit einem Dackelblick an und verlangte trotzig: „Ich will ´nen Cognac! Der hilft besser.“ – „Wohl verrückt geworden?!“ empörte sich Bert. „Du nimmst jetzt die Tablette und stellst dich unter die kalte Dusche! Damit du klar wirst und man sich vernünftig mit dir unterhalten kann. – Und wenn du das nicht freiwillig tust, werd ich dich dazu zwingen!“

 

Lars erkannte wohl, trotz Kater, dass Bert es bitter ernst meinte und keinen Widerspruch duldete. Gehorsam nahm er das Glas und leerte es in einem Zug. Dann ging er wie befohlen ins Bad und stellte sich unter die Dusche, allerdings nicht kalt, sondern lauwarm.

 

Schließlich erschien er wieder nur in Unterwäsche und einem Bademantel in der Küche, setzte sich an den Tisch und füllte einen großen Keramikbecher mit Kaffee aus der Kanne. Vorsichtig nippte er an dem heißen Gebräu und blickte Bert über den Tassenrand fragend an. Dieser fühlte sich aufgefordert, eine Erklärung abzugeben. Nach einem tiefen Seufzer sagte er: „Jerry und ich haben beschlossen, dich unter unsre Fittiche zu nehmen, damit du nicht ganz vor die Hunde gehst.“ – „Was soll das heißen?“ fragte Lars erstaunt.

 

„Nun, ganz einfach! Deine Sauferei hat Ausmaße angenommen, die auf schweren Alkoholismus hindeuten. Entweder du vertraust dich uns an. Oder wir schicken dich in eine professionelle Entziehung. So geht das jedenfalls nicht weiter!“

 

Der strenge Ton ließ Lars betroffen aufhorchen, aber noch begehrte er auf: „So’n Quatsch! Ich bin doch kein Alkoholiker!“

 

Bert runzelte die Stirn. „Und wie bezeichnest du dann deine regelmäßigen Saufgelage? Wann hattest du zuletzt einen nüchternen Tag?“

 

Diese Frage brachte Lars in arge Verlegenheit. Es stimmte ja! Er begann schon morgens mit ein oder zwei Cognac, zum Mittag reichlich Wein und abends entweder Bier, oder wenn er ausging die teuren Cocktails und Longdrinks.

 

Er setzte die Tasse ab und sah auf seine Hände; sie zitterten. – Bert ließ ihm Zeit zum Überlegen.

 

Schließlich warf Lars ihm einen schmerzlichen Blick zu und jammerte: „Warum? Warum musste mein Annchen sterben? – Warum hat sie mich allein gelassen?“ – „Du bist nicht allein!“ erwiderte Bert besänftigend. „Du hast eine Tochter, die dich braucht.“

 

Lars starrte ihn an, als hätte er chinesisch gesprochen. Dann stieß er plötzlich wütend hervor: „Aber deswegen musste Ann doch sterben! Hätte sie kein Kind bekommen, wäre sie noch am leben. – Nein! – Nein, ich bin schuld! Hätte ich besser aufgepasst, wär’s gar nicht erst dazu gekommen. – Ich allein bin schuld an ihrem Tod!“

 

Der letzte Satz war nur noch ein Schluchzen, er schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich. – Bert machte keine Anstalten, ihn zu trösten. Da musste Lars jetzt allein durch! Seine Selbstvorwürfe waren zwar völlig unsinnig, aber in seiner momentanen Verfassung war er für vernünftige Argumente nicht zugänglich.

 

Tatsache blieb: Ann-Sophie war an einer geplatzten Ader im Gehirn gestorben, eine Art Schlaganfall, dessen Vorzeichen, die ständigen Kopfschmerzen, nicht rechtzeitig als Warnung erkannt wurden. Die Anstrengung der ziemlich schweren Geburt war der Auslöser.

 

Man konnte mehreren Leuten die Schuld zuweisen: dem Neurologen, der die Zeichen nicht erkannte, dem Gynäkologen, der ihr die Geburt durch einen Kaiserschnitt hätte erleichtern können und natürlich auch dem Paar selbst, das durch nicht verhüten das Risiko in Kauf genommen hatte.

 

Aber was nützten denn diese Schuldzuweisungen? Davon wurde die kleine Comtesse auch nicht wieder lebendig!

 

All diese Gedanken schossen Bert durch den Kopf, während er Lars beobachtete, der sich von allein langsam wieder beruhigte. Noch ein heftiger Schluchzer, dann nahm er die Hände vom Gesicht und versuchte, mit den Handrücken die Tränen abzuwischen. Stockend sagte er, wie zu sich selbst: „Warum kann ich nicht einfach vergessen?“ – „Was vergessen?“ fragte Bert vorsichtig nach.

 

Lars zog die Nase hoch und sagte: „Das Bild von Annchen!“ – „Du willst deine Frau vergessen?“

 

Bert war entsetzt. „Aber nein, nicht sie! Nur ... wenn ich an sie denke, sehe ich sie tot in meinen Armen liegen und spüre wieder diesen grenzenlosen Schmerz, der mein Herz zerreißt.“

 

Er blickte Bert direkt und ernst in die Augen. „Und dann brachte die Hebamme dieses schreiende Bündel. Weißt du, was ich am liebsten getan hätte? Es genommen und an die Wand geklatscht!“

 

Bert zuckte zusammen und wollte diese Aussage nicht glauben. Behutsam griff er nach Lars’ ineinander verkrampften Händen.

 

„Das war nur der Schock, der dir diesen Gedanken gab. Inzwischen liebst du doch deine kleine Tochter, oder nicht? Sie ist doch Annies Vermächtnis.“

 

Da begann Lars leicht zu lächeln. „Und sie sieht Annchen so ähnlich. – Natürlich hab ich Josi lieb! Aber kümmern kann ich mich nicht um sie. Ich komm ja mit mir selbst nicht zurecht!“ – „Das werden wir ändern!“ war Bert überzeugt. „Gemeinsam bringen wir dich vom Alkohol weg! Du musst es nur richtig wollen!“ – „Wenn ihr mir wirklich helfen wollt, dann will ich es ernsthaft versuchen. Was habt ihr denn mit mir vor?“

 

Bert zog seine Hand zurück. „Zuerst kommst du mit uns nach Las Vegas! – Wir fliegen in 2 Tagen. – Wir suchen dir eine Beschäftigung und lassen dich nicht mehr aus den Augen!“ ---

 

Wenn Bert nur geahnt hätte, was sie sich damit für eine Verantwortung aufgebürdet hatten!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

 

 

Als Lars die Zimmerflucht betrat, wo er nur so kurze Zeit mit seiner Frau gelebt hatte, fühlte er sich, als würde ihm ein eiserner Ring um sein Herz gelegt.

 

Doch dann tauchte Ann-Sophies Bild vor seinem geistigen Auge auf, wie sie ihn immer so liebvoll empfangen hatte, wenn er von den Dreharbeiten nach Hause kam. – Die Monate als sie schon einen ziemlichen Babybauch hatte und nicht mehr vor die Kamera wollte, war wieder Nancy Owen als seine Assistentin für sie eingesprungen. Aber dieses Mal war Ann-Sophie nicht mehr eifersüchtig, denn Nancy und Brian, Janes Sohn, waren inzwischen verlobt und planten die Hochzeit.

 

Lars hatte es so geregelt, dass er an 3 Tagen in der Woche möglichst viele Folgen der Kochshow aufzeichnete, um die restliche Zeit mit seiner Frau verbringen zu können. Obwohl dieses Pendeln zwischen dem Filmstudio in Hollywood und Schloss Königstein ganz schön an den Kräften zerrte. Doch die jedes Mal so freudige Begrüßung seines geliebten Comtesschens machte allen Stress wieder wett. –

 

Er dachte amüsiert an ihre meist erfolglosen Kochversuche, mit denen sie ihn nach getaner Arbeit verwöhnen wollte, und womit sie die Köchin Rosalie schier zur Verzweiflung trieb, indem sie planlos in der Schlossküche herum wuselte und alles durcheinander brachte. –

 

Und dann konnte Lars nicht verhindern, dass er auch an den einen schicksalhaften Tag denken musste, wo sie ihn nicht an der Tür mit fröhlichem Lachen empfing, sondern mit heftigen Wehen im Bett. – Sie wollte ihm so gern seinen Wunsch nach einer Hausgeburt erfüllen, obwohl Dr.Leinhardt von Anfang an dagegen war.

 

Doch Ann-Sophie hatte ihren Dickkopf durchgesetzt und es so lange hinaus gezögert, bis sie den Gynäkologen und die Hebamme verständigte, dass ein Transport ins Krankenhaus zu riskant wurde.

 

Wieder machte sich Lars schwere Vorwürfe! Hätte er sich nicht gewünscht, dass sein Kind im Schloss geboren werden sollte, hätte man im Krankenhaus bestimmt eher was für sie tun können.

 

Zwar hatte Dr.Leinhardt immer wieder betont, dass man sie auch im Krankenhaus nicht hätte retten können, dafür war der Anfall zu plötzlich gekommen, aber Lars war der Meinung, das sagte er nur, um ihn zu beschwichtigen.

 

Und schon überfiel Lars wieder die schmerzliche Erinnerung, wie Ann-Sophie in seinen Armen gestorben war! – Er stand im Schlafzimmer und starrte auf das breite französische Bett, sein Herz verkrampfte sich, und Tränen schossen ihm in die Augen. –

 

Plötzlich erklang hinter ihm eine zarte Kinderstimme: „Dada?“

 

Lars zuckte zusammen und kramte hastig nach einem Taschentuch, um sich die Tränen abzuwischen. Dann drehte er sich langsam um und sah seine kleine 3jährige Tochter Josina an der Hand von Gräfin Joana, welche ganz in schwarz gekleidet war.

 

Das Kind blickte mit großen veilchenblauen Augen – Ann-Sophies Augen! – zu ihm hoch. Wie in Zeitlupe sank Lars in die Hocke und breitete erwartungsvoll seine Arme aus. Da strahlte die Kleine, lief zu ihm, schlang ihre Ärmchen um seinen Nacken und rief glücklich: „Dada ist wieder da!“

-- Wie alle Nachkommen der Familie Roberts wurde auch die kleine Josina zweisprachig erzogen. So war ihre Anrede eine Mischung aus dem amerikanischen Daddy und dem deutschen Papa. –

 

Wieder traten Lars Tränen in die Augenwinkel, dieses Mal vor Rührung, und über die Schulter der Kleinen hinweg traf sein Blick den von

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: eigene selbst verfasste Texte Dez.2016
Bildmaterialien: eigene selbst gezeichnete Bilder
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2016
ISBN: 978-3-7396-8878-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mit diesem Roman betrete ich Neuland, denn zum 1.Mal mache ich ein schwules Paar zum Hauptpaar, nachdem ich schon in anderen Geschichten Homopaare in Nebenrollen gezeigt habe. Er ist keine direkte Gay Romance und hat auch nicht viel mit Erotik zu tun. Es ist einfach nur die Liebesgeschichte zwischen 2 Männern. Dank an meinen lieben Freund, der mich immer wieder aufgebaut hat, wenn ich zwischendurch an meiner Fähigkeit zu schreiben gezweifelt habe.

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