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AUF GUTE NACHBARSCHAFT

 

 

von Martina Hoblitz

 

eine heitere Beziehungsgeschichte

 

Kapitel 1

 

 

 

„Uff! ... Puh!“ stöhnte ich unter der Last des sperrigen Kartons, in dem sich mindestens 30 Bücher befanden; alles dicke Wälzer von über 1000 Seiten. - Und dabei hätte ich mich in den Hintern beißen können, dass ich Paps’ Angebot, mir beim Umzug zu helfen, großspurig abgelehnt hatte. ‚Wenn schon Selbständigkeit, dann gleich von Anfang an!’ dachte ich in meinem Dickkopf.

 

Was brauchte ich Paps’ Lieferwagen? Meine kleine, gebrauchte Ente war geräumiger als sie aussah. Und schließlich hatte ich die Wohnung komplett möbliert gemietet.

 

Mit diesen Überlegungen behielt ich zwar Recht, aber mein nicht geringer persönlicher Krempel musste ja auch noch hinein geschafft werden. Leider lag mein neues Domizil im 3.Stock, und in dem alten Mietshaus gab es nicht einmal einen funktionierenden Fahrstuhl. –

 

Zum Glück war der schwere Bücherkarton so ziemlich das Letzte, was ich hinauf wuchten musste.

 

Doch plötzlich passierte es! Aus unerfindlichen Gründen löste sich das Klebeband am Boden des Kartons, die Bücher rutschten durch und purzelten teilweise wieder die Treppe hinunter. Dabei verursachten sie einen Heidenlärm, als sie auf die alten Holzstufen polterten.

 

„Verdammte Scheiße!“ fluchte ich wenig damenhaft und sehr lautstark.

 

Da wurde eine Tür im 2.Stock, den ich gerade mühsam erklommen hatte, geöffnet , und ein junger Mann erschien, der missmutig schimpfte: „He, was ist hier los? Wer soll sich denn bei dem Krach konzentrieren?“

Aber dann starrte er mich verblüfft an und sagte gar nichts mehr. Nun behauptete man allgemein, ich wäre sehr hübsch, so groß und superschlank, mit langen, mittelblonden Haaren und grünen Katzenaugen; aber ich glaubte nicht, dass dies der Grund für sein Starren war. Ich bot wohl eher einen ziemlich komischen Anblick, wie ich so da stand, den deformierten Karton in Händen und ratlos auf die zu meinen Füßen dekorativ verteilte Literatur blickte. Zudem spürte ich wie ich rot wurde und ärgerte mich maßlos darüber.

 

Der junge Mann, der übrigens recht gut aussah (groß, schlank, durchtrainierter Körper, blonde Locken, blaue Augen, allerdings mit Brille), eilte sofort hilfsbereit herbei und bückte sich nach den verlorenen Werken. Zufällig hatte ich dieselbe Idee und griff auch noch zum selben Buch. So kam es, dass sich nicht nur unsere Hände berührten, sondern wir obendrein auch noch unsanft mit den Köpfen zusammen stießen.

Erschrocken fuhr ich hoch und starrte ihn beschämt an. Gott, war mir das peinlich! Ich brachte keinen Ton heraus. Er musste mich ja für einen totalen Trottel halten!

Doch er rieb sich lachend die Stirn, stapelte ohne Zögern ein ½ Dutzend der Wälzer auf seinen Arm und richtete sich langsam auf. „Wohin damit?“ fragte er und schaute mich abwartend an.

Hinter seinen Brillengläsern blitzten die himmelblauen Augen! – Ich besann mich endlich, hob ebenfalls ein paar Bücher auf und erklärte verschüchtert: „Noch 2 Treppen hoch. Ich hab die Mansarde.“

Er ließ mich vorausgehen und folgte mir auf dem Fuße, wobei er sich vorstellte: „Ich heiß übrigens Simon. Simon Schneider.“ - „Mein Name ist Samantha Jörgens. Aber alle nennen mich Sam,“ erwiderte ich ohne mich nach ihm umzusehen.

 

„Okay, Sam!“ lachte er ungezwungen, und damit waren wir schon per Du.

 

Meine Wohnungstür stand sperrangelweit offen, und ich führte Simon direkt bis ins Wohnzimmer, wo ich meinen Bücherstapel mit Schwung aufs Sofa warf.

„Schmeiß deine auch dazu!“ forderte ich ihn auf. „Ich sortier später ein.“

Er tat wie ihm geheißen, und gemeinsam gingen wir wieder hinunter, um auch noch den Rest zu holen. Allerdings schaffte Simon die Bücher allein hinauf, während ich auf seine Anweisung hin den kaputten Karton in den Papiercontainer im Hof stopfte.

 

Wieder oben in meiner Wohnung angekommen, fand ich Simon in einem Sessel sitzend und ungeniert in meinen Büchern blätternd. Interessiert betrachtete er die Einbände und las die Inhaltsangaben. Staunend fragte er: „Du liest Science-Fiction-Geschichten? So was mag ich auch.“ - „Kannst dir gern welche ausleihen!“ bot ich ihm großzügig an und ließ mich erschöpf in den Sessel ihm gegenüber plumpsen.

An das viele Treppensteigen musste ich mich erst noch gewöhnen! Ich war völlig fertig! – Auf mein Angebot reagierte Simon jedoch mit bedauerndem Schulterzucken. „Im Moment hab ich leider keine Zeit dafür. Mein Zwischenexamen steht vor der Tür.“ - „Was studierst denn du?“ wollte ich interessiert wissen.

 

„Informatik und Computertechnik.“ war seine knappe Antwort, und ich rief bewundernd: „Hui, das klingt aber schwierig!“ Dann sprang ich auf und meinte einladend: „Kann ich dir was anbieten für deine Hilfe? Das heißt, wenn ich was finde in diesem Chaos.“

 

Doch Simon lehnte ab und erhob sich ebenfalls. „Nein, danke! Hab eh keine Zeit mehr. Muss zurück an meinen Computer. Können wir ja mal nachholen, wenn du fertig eingerichtet bist.“

Er lächelte mich an, nickte grüßend und war verschwunden. – Noch eine ganze Weile blickte ich versonnen auf die Tür, die er hinter sich zugezogen hatte, bevor ich mich seufzend daran machte, die leeren Bücherregale zu füllen.

 

 

Tatsächlich begegnete ich Simon erst nach 2 Tagen wieder, quasi zwischen Tür und Angel, das heißt im Hausflur. Ich kam gerade heim, und er war im Begriff zu gehen. Wir liefen uns regelrecht in die Arme, was mich in arge Verlegenheit brachte. Zaghaft lächelte ich ihn an, und obwohl es Simon ziemlich eilig zu haben schien, blieb er trotzdem kurz stehen und begrüßte mich: „Hallo, Sam! Na? Endlich eingerichtet?“ - „Klar!“ nickte ich und lud ihn gleich ein: „Hast du nicht Lust, heut Abend auf einen Sprung vorbei zu kommen, und dir alles anzusehen?“

Simon überlegte einen Moment, so als würde er im Kopf seinen Terminkalender durch blättern, und stimmte dann zu: „Sicher. Warum nicht? – Übrigens hab ich heut Mittag ein Paket für dich angenommen. Ich bring’s dann mit. – Jetzt muss ich aber los!“

 

Und eilig verließ er das Haus.

 

Pünktlich um 8 Uhr klingelte es an meiner Wohnungstür. Ich öffnete und sah vor mir einen Riesenkarton auf 2 Beinen. Erstaunt rief ich: „Meine Güte! Was für ein Ungetüm!“ - „Und schwer!“ klang Simons Stimme gepresst dahinter hervor.

Vorsichtig stellte er das Paket im schmalen Flur ab. Ich warf einen Blick auf den Absender und lachte herzlich. „Von meinen Eltern. Sicher lauter Fressalien. Meine Mutter hat immer Angst, dass ich verhungre.“

Ich bat Simon, den Karton in die Küche zu wuchten, wo ich ihn mit Feuereifer auspackte. Wahrhaftig kamen lauter Lebensmittel, vor allem Konserven, zum Vorschein, und obendrein ein selbst gebackener Napfkuchen. - Nun erzählte ich Simon, dass meine Eltern ein kleines Geschäft besaßen, eine Art Tante-Emma-Laden, aber die einzige Einkaufsmöglichkeit in unserem kleinen Heimatdorf und demzufolge recht lukrativ.

„Mein Paps hat den Laden von seinem Vater übernommen und dieser wiederum von seinem. Jedes Mal wurde das Geschäft etwas vergrößert und modernisiert. Aber mit ´nem Supermarkt kann’s immer noch nicht konkurrieren.“

Während Simon bereitwillig half, die Sachen in meinen Küchenschränken zu verstauen, fragte er neugierig: „Und wer wird den Laden von deinem Vater übernehmen? Etwa du? Oder hast du’n Bruder?“ - „Nö, bin Einzelkind, und zum großen Bedauern von Paps nur’n Mädchen. Natürlich soll die Tradition fortgeführt werden. Jetzt hofft er eben auf ´nen passenden Schwiegersohn.“

Diese Bemerkung machte Simon unerwartet verlegen, und leise wollte er wissen: „Gibt’s denn schon einen solchen Anwärter?“

 

Ich lachte herzlich und versicherte: „Nicht die Spur! 1.) sind die Jungs in meinem Alter bei uns im Dorf alles Trottel und stinklangweilig. Und 2.) hab ich nicht die Absicht, so rasch zu heiraten. Wenn überhaupt.“

 

Das Gespräch schien für Simon eine unangenehme Wendung zu nehmen, denn er wechselte schnell das Thema, indem er auf den Kuchen deutete und meinte: „Sieht lecker aus. Willst du ihn nicht anschneiden?“

 

Ich grinste. „Klar doch!“ und holte ein großes Messer aus der Schublade.

Großzügig schnitt ich 2 dicke Stücke ab, legte sie auf einen großen Teller und stellte diesen mitten auf den Küchentisch. „Und was sollen wir dazu trinken?“ fragte ich ratlos.

 

„Na, was wohl? Milch natürlich!“ behauptete Simon allen Ernstes. -

Nach einem prüfenden Blick in den Kühlschrank musste ich jedoch bedauern: „Hab ich leider im Moment nicht.“ - „Aber ich!“ rief er und eilte mit dem Ausruf: „Bin gleich wieder da!“ hinaus.

 

Kopf schüttelnd schaute ich ihm nach und murmelte: „Verrückter Kerl!“

 

Als wir später dann wahrhaftig bei Napfkuchen und kalter, frischer Milch in der Küche zusammen saßen, forderte ich ihn mit vollem Mund auf: „Jetzt erzähl mal von dir! Von mir weißt du ja schon das Gröbste.“

 

Simon grinste und berichtete: „Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich stamme auch aus einem Dorf. Ein richtig verschlafenes Kuhkaff. Mein Vater hat Landwirtschaft. Auch vom Großvater geerbt. Und leider bin ich ein Junge! Ich hab zwar noch ´ne kleine Schwester, aber die kriegt den Hof nur, wenn sie ´nen Bauern heiratet. Ansonsten hab ich das Ding am Hals.“

 

Schmunzelnd betrachtete ich Simon und bestätigte: „Nee, ein Bauer bist du wahrhaftig nicht! Schon komisch, dass Eltern immer andre Pläne für ihre Sprösslinge haben.“ - „Du sprichst wohl aus Erfahrung?“ meinte er.

 

„Und ob! Ich studier nämlich an der Musikhochschule. Und das passt meinen Eltern auch nicht. Zumindest nicht meinem Vater.“

 

Und ich erinnerte mich ...

 

Eigentlich hatte mein Vater ganz andere Zukunftspläne für mich. Ich sollte eine kaufmännische Lehre machen, um später das Geschäft zu übernehmen, wenn ich schon nicht der gewünschte Stammhalter war.

Meine unverkennbaren künstlerischen Ambitionen waren Paps von Anfang an ein Dorn im Auge. – Manchmal allerdings platzte er doch vor Stolz, wenn ihn die Leute auf das unzweifelhafte Talent seiner Tochter ansprachen. Ich sang nämlich ab und zu bei dörflichen Veranstaltungen und trat in mehreren Schulkonzerten auf, sowohl als Sängerin als auch am Klavier. Man behauptete sogar, meine glockenhelle Stimme würde jeden faszinieren.

Trotzdem musste Mama, die voll auf meiner Seite stand, weil sie selbst eine künstlerische Ader hatte, manch harten Kampf um die Förderung meiner Talente mit Paps ausfechten. So setzte sie erst den Klavierunterricht und später die teuren Gesangsstunden für mich durch.

 

Naja, und im Endeffekt konnte Paps seiner einzigen Tochter eben doch keinen Wunsch abschlagen! Zumal ich ihm fest versprechen musste, dass meine schulischen Leistungen nicht darunter leiden würden. - Das taten sie auch nicht! Im Gegenteil, mir gelang sogar ein recht guter Abschluss. Aber gleichzeitig war in mir der Plan gereift, mich auf musischem Gebiet weiter fort zu bilden, das heißt Musik zu studieren.

Ich wusste jedoch, dass ein solches Studium kostspielig und Paps weiß Gott kein Krösus war. Da kam meine Gesangslehrerin auf die glorreiche Idee, mich zur Aufnahmeprüfung für ein Stipendium anzumelden. Zuerst war ich begeistert, aber schnell verlor ich den Mut, als ich erfuhr, dass ich Eine unter 100 Bewerbern war.

 

Mit sehr gemischten Gefühlen ging ich in diese Prüfung. Meine Mutter drückte mir die Daumen, mein Vater glaubte nicht an einen Erfolg, und ich selbst erkannte neidlos an, dass meine sämtlichen Mitstreiter alle ihr jeweiliges Fach ausgezeichnet beherrschten.

Darum fiel ich auch aus allen Wolken, als man mir mitteilte, ausgerechnet ich hätte bestanden. Jetzt war mein Vater wiederum stolz auf mich, aber Mama wurde recht traurig, weil ich doch so weit weg von zuhause ziehen musste; die Musikhochschule befand sich nämlich in einer 300 Km entfernten Großstadt. ...

 

„Hey, woran denkst du grade?“ unterbrach Simon meinen Gedankenflug.

 

Unbewusst hatte ich bei den Erinnerungen vor mich hin gelächelt. „Och, nichts!“ antwortete ich achselzuckend. „Ich dacht nur so an den Kampf und die Diskussionen mit den Eltern wegen meinem Studium.“ - „Du studierst also Musik. Allgemein oder bestimmte Richtungen?“ wollte er nun interessiert wissen.

 

„Meine Hauptfächer sind Klavier und Gesang.“ gab ich Auskunft.

 

„Das kann man aber nicht brauchen, um ein Lebensmittelgeschäft zu führen!“ lachte er. –

 

Und ich parierte: „Deine Computertechnik nützt dir auf dem Bauernhof auch nicht viel!“ - „Stimmt! Man hat’s eben nicht leicht mit den alten Herrschaften und ihren Plänen.“ -

Dann mussten wir beide lachen.

 

Wir redeten noch lange und ausführlich an diesem Abend und lernten uns so besser kennen. – Von nun an trafen wir uns regelmäßig. Entweder in seiner Wohnung, die direkt unter meiner lag, oder bei mir.

Doch diese Zusammenkünfte verliefen immer ganz zwanglos und ebenso harmlos. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, aßen gemeinsam zu Mittag oder zu Abend oder saßen einfach nur vor dem Fernseher. - Denn als TV-Konsumenten zeigte sich bei uns beiden genau derselbe Geschmack: Wir liebten Familienserien und schöne alte Schnulzen mit viel Herz-Schmerz. Und wir verteufelten diese Brutalo-Filme mit zuviel Action und Blut.

 

Es entwickelte sich zwischen uns eine richtig nette Freundschaft, aber wohlgemerkt rein platonisch.

---- zumindest vorerst...

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

 

 

Ungefähr zur Mitte des Semesters lernte ich ein Mädchen kennen, das mich vom 1.Augenblick an irgendwie beeindruckte. Bis dahin hatte ich noch keine Freundin gefunden, aber sie sollte nun meine Freundin werden.

Jessica Haydasch war ein recht auffälliger Typ und wirkte sehr selbstsicher. Sie hatte lange, blonde Engelslocken, ein niedliches Puppengesicht und eine Traumfigur, mit Rundungen genau an den richtigen Stellen, um die ich Bohnenstange sie direkt beneidete. – Ich kannte sie entfernt aus unserem gemeinsamen Klavierkurs und wunderte mich stets, dass sie sich ihrer weiblichen Reize überhaupt nicht bewusst zu sein schien.

 

Eines frühen Nachmittags traf ich sie zufällig in der Uni-Bibliothek und nahm mir vor, sie einfach anzusprechen. Ich wollte sie unbedingt näher kennen lernen. Warum konnte ich mir auch nicht erklären.

Zielsicher strebte ich auf den Tisch zu, an dem sie saß und eifrig in dicken Fachbüchern blätterte. Ich setzte mich zögernd ihr gegenüber, wobei ich sie nicht aus den Augen ließ. Aber sie schien meine Anwesenheit überhaupt nicht zu bemerken, sondern sich nur auf ihre Lektüre zu konzentrieren. Ich räusperte mich. Da blickte sie auf. Zaghaft lächelte ich sie an. „Hey, wir kennen uns doch. Aus dem Klavierkurs, nicht wahr?“

Ihre Miene blieb unbeweglich; sie sah mich nur verblüfft an. Auch mein Lächeln erwiderte sie nicht. Das machte mich unsicher, und ich rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. Plötzlich zog sie die Augenbrauen hoch und sagte mit angenehm tiefer Stimme: „Ja und?“

Spontan streckte ich ihr meine rechte Hand entgegen. „Ich heiß Samantha. Kannst aber Sam zu mir sagen, wie alle andern auch. Und du bist Jessica, stimmt’s?“

Endlich lächelte sie, nickte und ergriff meine Hand, die sie kräftig drückte. Indem sie wieder losließ, lobte sie mich unerwartet: „Du spielst fabelhaft Klavier. So richtig mit Gefühl. Das ist mir gleich aufgefallen.“

Sofort gab ich das Kompliment zurück: „Du aber auch. Deine Technik ist nahezu perfekt.“ - „Ich weiß. Aber mit der Interpretation hapert’s. Ich muss meinen persönlichen Stil noch finden.“

Jessica machte Anstalten, sich wieder in ihre Lektüre zu vertiefen, aber ich wollte das Gespräch aufrecht halten und erkundigte mich: „Hast du noch andre Hauptfächer, außer Klavier?“

 

Da klappte sie seufzend die dicken Fachbücher zu, stapelte sie und sah mich durchdringend an. Dann gab sie bereitwillig Auskunft: „Ich hab noch Geige und Kompositionslehre belegt.“

Ohne dass sie mich danach fragte, erwiderte ich: „Mein 2.Gebiet ist der Gesang.“ - „Ach ja? Welche Stimmlage?“

Ihr Interesse hielt sich spürbar in Grenzen. So antwortete ich knapp: „Sopran.“

 

Wir hatten die ganze Zeit versucht im Hinblick auf die Umgebung mit gedämpften Stimmen zu sprechen. Trotzdem handelten wir uns manchen missbilligenden Blick und das ein oder anderen unwillige <Psst!> von den Nachbartischen ein.

 

Als Jessica sich nun entschlossen erhob und den Bücherstapel nahm, um die Bände wieder ins Regal zu räumen, machte ich schnell den Vorschlag: „Lass uns doch in der Mensa ´nen Kaffee trinken! Da können wir uns besser unterhalten. Hier scheinen wir zu stören.“

Nach einem verdutzten Blick nickte Jessica wortlos, stellte die Bücher weg und folgte mir hinaus. –

In der Mensa herrschte um diese Tageszeit kaum Betrieb. Wir holten uns jede ein Kännchen Kaffee und verkrümelten uns an einen kleinen Tisch in der äußersten Ecke. Jessica überließ es mir, das Gespräch wieder aufzunehmen. Und ich bombardierte sie weiter mit neugierigen Fragen, die sie kühl und gelassen beantwortete.

„Woher kommst du?“ - „Aus einem Vorort hier in der Nähe. Ich bin ein sogenannter Heimschläfer.“ - „Sag bloß, du kommst jeden Tag von außerhalb?!“ staunte ich.

„Ja, mit dem Bus. Dauert nur 20 Minuten. Essen tu ich meist in der Mensa. Meinen Unikram erledige ich in der Bibliothek. Und abends fahr ich mit dem letzten Bus wieder nach Haus.“ - „Der reinste Stress!“ wollte ich sie bedauern.

Doch Jessica winkte ab. „Halb so wild. Man gewöhnt sich an alles.“

Ich rührte nachdenklich in meinem schwarzen Kaffee herum, trank einen Schluck und meinte: „Dann wohnst du also noch bei deinen Eltern?“ - „Bei meiner Mutter. Mein Vater ist vor einigen Jahren gestorben. Geschwister hab ich nicht. So war’s meiner Mutter ganz lieb, dass ich hier in der Stadt zur Uni geh. Eigentlich wollte ich ja Sprachen studieren. Aber dazu hätt ich weiter weg müssen. Das wollte ich meiner Mutter nicht antun. Zwar sehn wir uns tagsüber selten, denn als viel beschäftigte Architektin ist sie häufig unterwegs. Dafür gehören uns die Wochenenden.“

Ihre Ausführungen verwunderten mich doch sehr, und ich hakte nach: „Soll das etwa heißen, du gehst nie aus, nur um deiner Mutter Gesellschaft zu leisten?“ - „Unsinn! Natürlich geh ich auch aus. Aber eben nicht so oft. Was ist denn daran so seltsam? Meine Mutter hat schließlich nur noch mich.“

 

Ich dachte an meine Mutter und überlegte, ob ich genauso großmütig auf meine Vergnügungen verzichten würde, nur um ihr die Einsamkeit zu vertreiben. Gleichzeitig fiel mir auf, dass ich Jessica noch nie in Gesellschaft junger Leute gesehen hatte. Wo sie auftauchte, war sie allein, aber das schien ihr nicht das Geringste auszumachen. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, als würde sie regelrecht gemieden. – Um dieses Mädchen schwebte ein Geheimnis, das ich unbedingt ergründen wollte!

 

Mein plötzliches, nachdenkliches Schweigen schien Jessica irgendwie nervös zu machen, denn nun erkundigte sie sich nach meiner Herkunft und Familie. Und ich erzählte ihr von meinen Eltern, von unserem Geschäft und schließlich auch von meiner Aufnahmeprüfung für das Stipendium.

„Gratuliere!“ nickte sie anerkennend. „Ich muss mein Studium voll bezahlen, und das ist wahrhaftig nicht billig. Zum Glück verdient Mutti nicht schlecht. Und die Miete für ein Zimmer entfällt ja auch.“

Eifrig nahm ich das Thema auf. „Apropos, hast du nicht Lust, mit in meine Wohnung zu kommen? Ich könnt uns was kochen. Den Mensafrass kann man auch nicht alle Tage essen.“

Doch Jessica zögerte mit einer Zusage und sah mich eindringlich an.

„Wohnst du denn allein?“ wollte sie wissen.

„Klar. Wieso fragst du?“ wunderte ich mich.

„Na, ich dachte, du hast ´n Freund. Da will ich ungern stören.“ - „Wie kommst du bloß darauf?“

Unter ihrem sonderbar musternden Blick wurde mir ganz mulmig zumute, und ihre folgende Bemerkung brachte mich völlig aus dem Konzept. „Bei deinem hübschen Aussehen halt ich es eigentlich für selbstverständlich, dass du nicht mehr allein bist.“

Es war schon das 2.Kompliment, das ich von ihr bekam, und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Misstrauisch betrachtete ich sie und versicherte: „Ich leb mit niemand zusammen, wenn du das meinst.“

Da lächelte sie so komisch, und ich zögerte plötzlich, meine Einladung zu wiederholen. Doch Jessica nahm mir die Entscheidung einfach ab, indem sie sagte: „Okay. Wenn du ausgetrunken hast, lass uns gehen! Ich bin echt gespannt auf dein Domizil.“

 

 

Da das alte Mietshaus fast am entgegen gesetzten Ende der Stadt lag, benutzte ich täglich mein kleines Auto, denn auf die öffentlichen Verkehrsmittel war nicht unbedingt Verlass. Obwohl Jessica das Gegenteil behaupten wollte, als sie neben mir auf dem Beifahrersitz saß und meinte: „Ich hab auch den Führerschein. Aber für ein Auto reicht’s noch nicht. Bisher komm ich aber mit Bus und Bahn gut klar. Und wenn’s nicht allzu weit ist, nehm ich sogar das Fahrrad.“

 

Ich erwiderte nichts darauf, sondern steuerte meine Ente umsichtig durch den regen Stadtverkehr.

 

Beim Erklimmen der zahlreichen steilen Treppenstufen geriet Jessica dann etwas außer Atem, was mich zu der lachenden Bemerkung veranlasste: „Mein tägliches Fitness-Training. Ich brauch kein Jogging.“ - „Gibt’s denn hier keinen Fahrstuhl?“ schnaufte sie und hielt kurz inne.

„Doch, aber der funktioniert schon lange nicht mehr. Zum Glück wohnen hier im Haus nur junge Leute.“ - „Wohl alle mit einer sagenhaften Kondition!“ murrte sie und zog sich am Treppengeländer hoch.

Als wir an Simons Wohnungstür vorbei kamen, hörte ich drinnen einen Staubsauger brummen und staunte: „Nanu? Großputz mitten in der Woche?“

Aber ich ersparte mir jede weitere Erklärung an Jessica, sondern stieg unverdrossen ihr voraus die letzten beiden Treppen hoch. –

In der Wohnung angekommen, war meine Enttäuschung jedoch groß, als ich feststellen musste, dass meine Vorräte nicht viel hergaben, weil ich total vergessen hatte einzukaufen. Mit dem Kochen wurde es also nichts. Doch Jessica nahm es mit Humor. „Chips und Cola reichen völlig aus als Kalorienbombe.“

 

Also verzogen wir uns mit diesen Nährmitteln bewaffnet ins Wohnzimmer. Aber kaum hatten wir es uns gemütlich gemacht und wollten gerade die Unterhaltung wieder beginnen, da klingelte es Sturm an meiner Wohnungstür.

„Das ist Simon!“ ahnte ich und eilte, um zu öffnen.

Ich hatte Recht! Ein ziemlich aufgeregter Simon drängte herein und überfiel mich mit den Worten: „Sam, du musst mir helfen!“

Ich blieb gelassen und forderte ihn stattdessen auf: „Komm erstmal ins Wohnzimmer und sag meinem Besuch <Hallo>!“

Erschrocken lehnte Simon ab. „Nö, danke! Ich will nicht stören. Komm ich eben später noch mal. Ich muss dich unter 4 Augen sprechen.“ - „Sei nicht albern!“ meinte ich und zog ihn kurzerhand hinter mir her.

 

Als sein Blick auf Jessica fiel, spürte ich, wie er erleichtert aufatmete. Ich ahnte, dass er wohl einen männlichen Gast erwartet hatte und schmunzelte. Dann stellte ich die beiden einander vor: „Dies ist Simon, mein Nachbar von unten. Der Staubsauger, den wir eben hörten. – Und das ist Jessica, eine Studienkollegin von mir. Wir sind im selben Klavierkurs.“ - „Aha, auch ´ne Künstlerin!“ bemerkte Simon nur und grinste breit. Hastig wandte er sich wieder zur Tür und erklärte: „Ich will nicht weiter stören. Wie gesagt, ich meld mich nachher noch mal.“

 

Er ließ mir keine Möglichkeit zum Widerspruch, sondern war flugs verschwunden. Lachend schaute ich ihm nach und gesellte mich wieder zu Jessica. Diese betrachtete mich kritisch und sagte mir dann auf den Kopf zu: „Der Typ steht auf dich!“ - „Quatsch!“ entrüstete ich mich. „Wir sind nur gute Freunde.“ - „Ach ja?“ schmunzelte sie ungläubig.

 

Eine Weile schwiegen wir unbehaglich, knabberten Chips und tranken Cola. Schließlich schaute Jessica auf ihre Armbanduhr, stand auf und erklärte: „Ich muss gehen. Hab noch’n paar Besorgungen zu machen. Danke für die nette Einladung!“

 

Bedauernd erhob ich mich ebenfalls und brachte sie zur Tür, wobei ich sagte: „Nicht der Rede wert. Ich hätt dir gern mehr angeboten.“ - „Hat vollkommen gereicht.“ versicherte sie bescheiden und drückte mir zum Abschied die Hand.

„Kannst ja mal wieder vorbei kommen! Bin nachmittags meist zuhaus. Und jetzt weißt du ja auch, wo ich wohne.“ lud ich sie ein und wunderte mich, dass sie noch immer meine Hand fest hielt.

 

Plötzlich sah sie mir direkt in die Augen und gestand todernst: „Sam, ich will ganz ehrlich zu dir sein. Ich mag Frauen. Wenn du damit nicht klar kommst, lass uns hier und jetzt den Kontakt einfach abbrechen.“

 

Ich gebe zu, ich war schockiert! Und ich entzog ihr schleunigst meine Hand, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen. Nie im Leben hätte ich sie für eine Lesbe gehalten! Ich dachte immer, solche Frauen wären die reinsten Mannweiber. Aber Jessica wirkte überhaupt nicht burschikos, sondern sehr weiblich.

Ich gab mir wirklich alle Mühe, mir meinen Schrecken nicht anmerken zu lassen, doch Jessica schien mit einer solchen Reaktion gerechnet zu haben, denn sie lächelte verständnisvoll und meinte: „Überleg’s dir in Ruhe! Wir sehn uns in der Uni.“

Sie ging und zog die Tür hinter sich zu, weil ich bewegungsunfähig da stand, wie zur Salzsäule erstarrt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

 

 

Mir blieb kaum Zeit, mich von diesem Schock zu erholen, schon klingelte es erneut. Nachdem ich einmal tief durch geatmet hatte, öffnete ich die Tür und ließ Simon herein, der wohl mit bekommen hatte, dass Jessica gegangen war. Er begab sich gleich ins Wohnzimmer, warf sich auf das Sofa und machte sich ungeniert über die restlichen Chips her. Eigentlich mit wenig Interesse bat ich ihn: „Also los! Erzähl schon, was du auf dem Herzen hast!“

 

Aber plötzlich wurde Simon ganz verlegen, hörte auf zu knabbern und druckste herum. „Ach, weißt du, je länger ich drüber nachdenke, desto blöder erscheint mir meine Idee.“

 

Nun war ich wirklich neugierig und ließ mich nicht beirren. „Sag’s mir doch! Und lass mich entscheiden, ob deine Idee blöd ist oder nicht.“

 

Er seufzte und erklärte schließlich: „Kurz gesagt, die Sache ist die, dass meine Mutter hierher kommt, um endlich meine Freundin kennen zu lernen, von der ich ihr schon so viel in meinen Briefen vorgeschwärmt hab.“ - „Du hast ´ne Freundin?“ unterbrach ich ihn erstaunt. „Davon wusst ich ja noch gar nix.“ - „Stimmt doch auch nicht! War alles nur geschwindelt.“ gestand er beschämt und wich meinem fragenden Blick aus.

 

„Wie kommst du dazu, so was zu erfinden?“ erkundigte ich mich voll Unverständnis.

 

Simon trank einen Schluck abgestandene Cola aus meinem Glas. Dann begann er umständlich: „Zum besseren Verständnis musst du die Vorgeschichte kennen. Weißt du, zuhause sind wir mit der Familie vom Nachbarhof eng befreundet. Die haben eine Tochter in meinem Alter. Wir sind quasi zusammen aufgewachsen. Kennen uns seit der Sandkiste. Aber ich hab in Sylvia immer nur so’ne Art Schwester gesehn. Scheinbar war’s bei ihr anders. Denn plötzlich kamen unsre Eltern auf die glorreiche Idee, aus uns 2 sollte ein echtes Paar werden. Sylvia fand die Idee prima und sah mich schon als ihren zukünftigen Ehemann. Ich war richtig froh, als ich hier den Studienplatz fand und abhauen konnte. Das enttäuschte allerdings nicht nur meine Eltern, sondern auch die Nachbarfamilie. Aber meine Mutter gibt nicht auf und versucht immer noch, mich zu bekehren. Dauernd schreibt sie mir, was Sylvia so macht und beschreibt mir ihre Vorzüge. Und Sylvia bombardiert mich mit sehnsuchtsvollen Briefen, in denen sie mir gesteht, dass sie mich schrecklich vermisst. Das ging mir zuletzt fürchterlich auf den Keks! So hab ich einfach eine Freundin erfunden. Nie wär mir eingefallen, dass meine Mutter hierher kommt, um sie kennen zu lernen! Womöglich bringt sie Sylvia auch gleich mit, um sie mit ihrer Rivalin zu konfrontieren?“

 

Pure Verzweiflung klang aus seiner Stimme, und im Grunde genommen konnte ich ihn nur allzu gut verstehen. Auch ich musste schon einige Kupplungsversuche meiner Eltern abwehren. Allerdings waren die niemals so extrem gewesen.

 

„Und was ist nun deine angeblich so saublöde Idee?“ fragte ich, obwohl ich es mir eigentlich denken konnte.

 

Simon schwieg und sah mich nur bedrückt an. Endlich meinte er: „Ach, vergiss es! Das will ich dir nicht zumuten.“

 

Ich schmunzelte. „Du willst mich wohl fragen, ob ich für deine Mutter die Freundin spiele?“ nahm ich an.

 

Er hob jedoch abwehrend die Hände und schüttelte heftig den Kopf. „Ich sag, vergiss es! Am besten erzähl ich Mama, dass wir uns inzwischen wieder getrennt haben.“ - „Und schon hast du wieder die ungewollte Braut am Hals!“ mutmaßte ich.

 

Worauf er widersprach: „Damit werd ich schon irgendwie fertig.“

 

Doch dabei schaute er so betrübt aus der Wäsche, dass ich richtig Mitleid mit ihm bekam. Eifrig versicherte ich ihm: „Ich würd dir aber gern helfen! Oder traust du mir nicht genug schauspielerisches Talent zu?“ - „Quatsch! Das ist es nicht!“ - „Wo liegt dann das Problem?“ - „Da ist noch was. Ich hab behauptet, wir wohnen schon zusammen.“

 

Gespannt wartete er auf meine Reaktion. Ich lachte nur. „Na und? Stimmt doch! Wir wohnen im selben Haus.“ - „Du weißt genau, wie ich das meine!“ brummte er mürrisch.

 

„Klar weiß ich das!“ beschwichtigte ich ihn. „Trotzdem kein Problem! Wir verteilen einfach ein paar Klamotten von mir dekorativ in deiner Wohnung. Glaub mir, deine Mutter schluckt das bestimmt.“ - „Meinst du wirklich?“ fragte er unentschieden.

 

Da sprang ich unternehmungslustig auf, eilte ins Schlafzimmer und durchforstete meinen Kleiderschrank. Mit den ausgewählten Kleidungsstücken kehrte ich zu Simon zurück und zeigte sie ihm. Darunter befand sich auch ein verführerisches Negligee in dunkelgrün. Simon hob es mit spitzen Fingern hoch, als ob es giftig wäre und schimpfte: „Übertreib die Sache nicht! Ich glaub kaum, dass Mama mein Schlafzimmer begutachtet.“ - „Hast du’ne Ahnung! Grad das wird sie besonders interessieren!“ behauptete ich unerschütterlich, nahm ihm das Hemdchen weg und packte es mit dem ganzen Kleiderbündel auf meinen Arm.

 

Dann gingen wir hinunter zu ihm, und ich stapelte und hängte meine Sachen fein säuberlich neben seine. Den Hauch von Nachthemd breitete ich jedoch gut sichtbar auf dem Bett aus. Simons Blick ruhte versonnen auf diesem verräterischen Stück Stoff, doch er sagte nichts mehr dazu.

 

Ich holte auch noch ein paar Kosmetika von mir und verteilte sie in seinem Bad. Zu guter Letzt platzierte ich noch ein Paar Schuhe im Flur und hängte eine meiner Jacken an seine Garderobe.

 

„Jetzt reicht’s aber!“ mokierte sich Simon, und mir erschien es auch genug.

 

Schließlich überprüfte ich den Inhalt seines Kühlschranks, weil ich Kohldampf hatte, und musste feststellen, dass es mit seinen Vorräten genauso traurig aussah wie mit meinen.

 

„Wann kommt denn deine Mutter?“ wollte ich wissen.

 

„Morgen Nachmittag!“ war seine knappe Antwort.

 

„Dann musst du aber unbedingt noch einkaufen!“ befahl ich.

 

Er nickte gehorsam. „Sicher. Soll ich dir vielleicht auch was mitbringen?“ - „Nicht nötig. Ich muss selber noch meine Vorräte aufstocken.“ - „Dann lass uns das doch gemeinsam erledigen!“ schlug er vor.

 

Und das taten wir schließlich auch.

 

 

 

 

Abends haute ich uns ein paar Eier mit Speck in die Pfanne. Dazu aßen wir knuspriges Baguette und teilten uns eine Flasche Rotwein.

Später hingen wir vor meiner Glotze. – Eigentlich war alles wie sonst; und doch auch wieder nicht!

 

Zunächst wunderte ich mich, dass sich Simon nicht wie üblich neben mich aufs Sofa setzte, sondern sich stattdessen in einen der Sessel lümmelte. Außerdem ertappte ich ihn dabei, wie er mir mehr Aufmerksamkeit widmete als dem Fernsehprogramm. Er musterte mich verstohlen, aber wenn ich ihn erwischte, schaute er schnell weg.

 

Das machte mich stutzig! Zumal ein uralter schwarz-weiß Rauscher lief, und normalerweise machte sich Simon einen Spaß daraus, die schwülstigen Dialoge mit bissigem Spott zu kommentieren. Doch heute schwieg er!

 

Allerdings schien ihm plötzlich etwas einzufallen, denn er sagte ganz beiläufig zu mir: „Übrigens, meine Freundin heißt Nina. Gewöhn dich dran!“

 

Verblüfft und gar nicht begeistert meinte ich: „Wie kommst du bloß auf diesen doofen Namen?“

 

Er hob die Schultern. „Einfach so. Ganz spontan. War der Erste, der mir einfiel. Is doch’n Name wie jeder Andre.“

 

Seufzend schaltete ich den Fernseher aus; der Film war zu Ende. Ich goss uns Wein nach und meinte vorsichtig: „Erzähl mir mehr von Sylvia! Was ist sie für’n Typ?“ - „Durchschnittlich.“ erwiderte er knapp. „Sie ist klein, zierlich, schwarzhaarig. Genügt dir das?“

 

Ich schüttelte den Kopf. „Beschreib mir ihren Charakter!“

 

Er überlegte lange, bevor er antwortete: „Nun, sie ist großzügig, hilfsbereit, immer freundlich, lieb und nett, also total spießig und langweilig.“

 

Über diese Beurteilung musste ich herzlich lachen, und Simon grinste breit. „Ist doch die ideale Ehefrau!“ scherzte ich.

 

Simon runzelte die Stirn. „1.) hab ich keine Lust, jetzt schon zu heiraten. Und 2.) ganz gewiss nicht Sylvia, eben weil ich sie in- und auswendig kenne.“

 

Aber scheinbar kannte er sie doch nicht gut genug, wie sich später heraus stellen sollte!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

 

 

 

Am folgenden Morgen fuhr ich wie gewöhnlich zur Musikhochschule. Schließlich hatte sich Simons Mutter erst für den Nachmittag angekündigt. Da blieb noch genug Zeit für irgendwelche Vorbereitungen.

 

Über all der Aufregung um Simons Probleme hatte ich Jessicas Geständnis völlig vergessen. Ich erinnerte mich erst wieder daran, als ich ihr auf dem Flur begegnete. Doch sie schien es sehr eilig zu haben, grüßte nur mit einem knappen <Hallo> und lief an mir vorbei.

 

Während ich ihr nachschaute, stellte ich mir die Gewissensfrage: Konnte ich wirklich mit ihrer Veranlagung umgehen? Ja, vielleicht. Allerdings unter einer Bedingung. Sie musste akzeptieren, dass ich hetero war und durfte mich nicht anbaggern!

 

Später als wir uns im Klavierkurs trafen, konnte ich ihr gerade bevor der Professor den Saal betrat, zuflüstern: „Lass uns hiernach ´n Kaffee trinken! Ich will mit dir reden.“

Jessica sah mich nur Stirn runzelnd an und nickte zustimmend.

 

Dann saßen wir uns wieder an dem kleinen Ecktisch gegenüber, und ich kam gleich auf den Punkt. Nachdem ich kurz am heißen Kaffee genippt hatte, sagte ich ernst: „Ich sollte mir doch überlegen, ob ich weiterhin Kontakt mit dir haben will. Meine Antwort ist Ja. Aber nur, wenn du mich mit deinen Neigungen in Ruhe lässt.“

Meine Güte, klang das bescheuert! Aber ich wusste mich nicht anders auszudrücken. Hauptsache, Jessica verstand mich. Es schien so, denn sie nickte lächelnd und meinte: „Geht klar! Wir werden nur Freunde sein. So wie du und Simon.“

Ein Hauch von Ironie und Zweideutigkeit klang in dieser Bemerkung mit. Ich betrachtete sie kritisch und runzelte die Stirn. Zudem erinnerte ich mich gerade bei der Erwähnung seines Namens an Simons gestriges komisches Verhalten.

Doch schnell verwarf ich diese verdächtigen Gedanken wieder und vertraute Jessica stattdessen die Geschichte unserer geplanten kleinen Intrige an. Sie hörte aufmerksam zu, schmunzelte und meinte am Ende meiner Ausführungen: „Pass bloß auf, dass aus eurem Spiel nicht Ernst wird!“

Entrüstet widersprach ich ihr: „Ach, Unsinn!“ - „Bist du sicher, dass die ganze Sache nicht nur ein Vorwand ist, um deine wahren Gefühle für ihn zu testen?“ gab sie zu bedenken und ließ sich einfach nicht beirren.

Aber ich entgegnete energisch: „Du bist auf dem Holzweg! Simons Gefühle für mich sind rein freundschaftlich. Genau wie meine für ihn.“

Doch während ich das sagte, spürte ich zu meinem großen Ärger, wie mir die Hitze in die Wangen stieg; ich wurde knallrot. Taktvoll überspielte Jessica meine Verlegenheit und wechselte das Thema. „Da wir uns jetzt doch zusammen tun – was ich kaum zu hoffen gewagt hab – komm ich gleich mit einem Angebot. Hast du Lust, dir was nebenbei zu verdienen?“ - „Womit?“ fragte ich misstrauisch.

Sie lachte. „Nix Unanständiges! Ich hab seit einiger Zeit ´nen Job als Barpianistin. Is ´ne wirklich nette Bar. Kein bisschen anrüchig. Und jetzt hab ich mir überlegt, dass meine Darbietung mit einer hübschen Gesangsstimme noch effektiver würde. Ich hab dich zwar noch nicht gehört, glaub aber, für’n paar kleine Chansons reicht’s wohl aus.“

 

Ihr Angebot kam so überraschend für mich, dass ich zunächst weder ablehnen noch zustimmen konnte. Einen Moment lang fehlten mir einfach die Worte. Dann vergewisserte ich mich vorsichtshalber nochmals: „Und die Bar ist wirklich sauber? Kein Rotlichtmilieu?“ - „Sonst würd ich da gewiss nicht arbeiten!“ behauptete Jessica.

„Und glaubst du tatsächlich, die können noch ´ne Sängerin brauchen?“ war ich immer noch nicht ganz überzeugt.

„Komm doch einfach am Sonnabend mit und hör dir meinen musikalischen Vortrag an!“ verlangte sie, zückte Block und Stift und schrieb mir eine Adresse auf. „Wenn du dann da bist, können wir gleich mit dem Inhaber verhandeln.“

Sie reichte mir den Zettel. Zwar kannte ich mich in der Stadt noch nicht allzu gut aus, aber ich wusste doch so viel, dass diese Adresse in der nobelsten Gegend lag. Das beruhigte mich einigermaßen, und so sagte ich Jessica mein Kommen zu.

Dann verließen wir eiligst die Mensa, weil wir zu unseren nächsten Vorlesungen mussten.

 

 

 

 

Was Simon befürchtet hatte, traf tatsächlich ein: Seine Mutter erschien in Begleitung der Nachbarstochter Sylvia! – Sie riefen vom Bahnhof aus an und wollten abgeholt werden. Simon nahm kurzerhand mein Autochen und fuhr allein. Das gab mir Gelegenheit, mich entsprechend auf den Besuch vorzubereiten.

 

Zunächst machte ich mich besonders hübsch zurecht. Auf dem Heimweg von der Uni hatte ich schnell ein paar Kuchenteilchen gekauft. Diese richtete ich auf einer meiner Kristallplatten her, kochte Kaffee und deckte liebevoll den Tisch im Wohnzimmer mit Simons bestem Geschirr und Besteck. Dabei ärgerte ich mich, dass ich keine Blumen besorgt hatte. Das hätte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: eigene Texte verfasst 1998/2015
Bildmaterialien: eigene selbst gezeichnete Bilder
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2016
ISBN: 978-3-7396-8119-1

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieser Roman ist meiner Tochter gewidmet. Vor über 15 Jahren begonnen, durch private Mißstände am Weiterschreiben gehindert, habe ich ihn erst im letzten Jahr zuende geschrieben. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zwar beabsichtigt, aber hoffentlich nicht zu offensichtlich. Man möge es der übereifrigen Autorin verzeihen.

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