eine heitere Liebesgeschichte
von Martina Hoblitz
Es klingelte penetrant! Ich hasse Telefone! Und an diesem speziellen Tag kurz vor Weihnachten hasste ich meins besonders. Denn ich musste bereits 2 Hiobsbotschaften verkraften.
Per Telefon hatte mir mein lieber Bruder Werner mitgeteilt, dass er nicht wie üblich Heiligabend zum Essen zu mir kommen würde, stattdessen wollte er mit seiner neuen Freundin auf die Malediven fliegen. Als nächstes, kaum eine ½ Stunde später, rief Mama an und erklärte, sie und Papa würden über die Feiertage bis nach Neujahr zu meiner verheirateten Schwester nach Italien reisen.
Man kann sich wohl vorstellen, wie deprimiert ich nach diesen 2 Gesprächen war! Gibt es etwas Öderes als Weihnachten allein zu verbringen?
Selbst meine zahlreichen Freunde und Bekannten verbrachten dieses Fest der Liebe in Familie und legten auf meine Gesellschaft keinen gesteigerten Wert.
Und das blöde Telefon klingelte immer noch! Ich dachte nicht dran abzuheben. Mein Bedarf an schlechten Nachrichten war für heute gedeckt. Ich starrte den Apparat eindringlich an, als könnte ich ihm so befehlen, still zu sein. Tatsächlich hörte es endlich auf zu klingeln, und ich atmete erleichtert tief durch.
Dann allerdings machte ich mir Gedanken, wer wohl in der Leitung gewesen war. Hatten meine Eltern es sich doch anders überlegt? Oder hatte Werner sich plötzlich mit seiner Freundin zerstritten, und ihre Reise fiel ins Wasser?
Nun ärgerte ich mich schwarz, dass ich nicht abgehoben hatte! Vielleicht war es auch eine meiner Freundinnen gewesen, dich mich zum Fest einladen wollte?
Ich blickte auf die Uhr. Es war schon recht spät, nach 10. Wenn jemand um diese Zeit anrief, musste es wohl was Wichtiges sein. Und ich Idiot hatte mich nicht gemeldet! Schön blöd! – Da – es klingelte erneut.
Dieses Mal nahm ich schon nach dem 2.Läuten ab. Aber ich kam überhaupt nicht dazu, mich zu melden, denn eine aufgeregte Männerstimme sprudelte sogleich hervor: „Vera, leg bitte nicht auf! Hör mich erst an! Es tut mir schrecklich leid! Natürlich fahren wir Weihnachten zum Skilaufen! Wenn du das gern möchtest. Meine Eltern können wir ja später auch noch besuchen. Was sagst du dazu?“
Ich sagte gar nichts, denn ich war aus zweierlei Gründen verdutzt. Zuerst einmal hieß ich nicht Vera sondern Melanie. Und zum zweiten faszinierte mich diese sonore Stimme, ein warmer, melodischer Bariton. Ich versuchte mir den dazu gehörigen Menschen vorzustellen, wurde aber in meinen Überlegungen unterbrochen, weil die Stimme sich ungeduldig erkundigte: „Vera? Bitte sag doch was! Bist du noch dran?“
Ich räusperte mich und antwortete: „Ja, ich bin noch dran. Aber ich bin nicht Vera!“ - „Ach, du meine Güte!“ war die erschrockenen Reaktion vom anderen Ende.“ Tschuldigung! Ist mir das peinlich! Ich muss mich wohl verwählt haben. Ich wollte 2-3-5-9.“ - „Und hier ist 2-3-5-6!“ erwiderte ich lachend.
Der Irrtum war einigermaßen verständlich, wenn er ein Tastentelefon besaß. Die beiden Endziffern lagen direkt übereinander, und da konnte man in der Aufregung schon mal daneben greifen. Einen Augenblick herrschte verblüfftes Schweigen. Dann klang es zögernd: „Ich bitte nochmals um Entschuldigung! Und ich hoffe, ich hab nicht zu sehr gestört!“ - „Aber überhaupt nicht!“ versicherte ich schnell und überlegte krampfhaft, wie ich ihn in der Leitung halten konnte.
War es möglich, sich in eine sympathische Stimme zu verlieben? - Ich fühlte mich jedenfalls so. Mein Herz schlug bis zum Hals herauf, und ich war rot wie eine Tomate, was ich mit einem Blick in den Garderobenspiegel feststellte. Zum Glück konnte er mich nicht sehen! Aber er schien auch nicht gleich auflegen zu wollen.
„Tja, also ...“ sagte er zaudernd. „Dann werd ich’s noch mal mit der richtigen Nummer versuchen.“ - „Ich wünsch Ihnen viel Glück und hoffe, Vera hört Ihnen auch zu! Bei dem netten Angebot.“
Eine saublöde Bemerkung zu jemand Wildfremdem! Musste ich mich in seine Privatangelegenheiten mischen? Sicher würde er jetzt sofort auflegen. Und ich könnte es ihm nicht einmal verübeln. Doch zu meiner großen Verwunderung lachte er herzlich und erklärte freimütig: „Danke für Ihre guten Wüsche! Aber ich glaub nicht, dass es viel hilft. Bei uns steckt schon lange der Wurm drin.“ - „Sie brauchen mir doch nichts zu erklären!“ wehrte ich schnell ab und fühlte mich peinlich berührt durch seine plötzliche Vertrauensseligkeit.
„Natürlich nicht!“ versicherte er eifrig. „Gewiss interessiert Sie das auch gar nicht.“
‚Bitte nicht auflegen!’ schoss es mir durch den Kopf, und ich rief unverschämt laut in den Hörer: „Andrerseits tut’s manchmal ganz gut, wenn man sich alles von der Seele redet!“
Das war eine eindeutige Aufforderung der Briefkastentante! Seit wann betätigte ich mich denn als Beraterin in Beziehungsfragen? Egal! Mann, Hauptsache du redest mit mir! Los, sprich weiter! Ich will dir gern stundenlang zuhören. Doch er zögerte. „Ich möchte Sie als vollkommen Fremde nicht mit meinen Beziehungsproblemen behelligen.“ Pause. „Darf ich fragen, wie Sie eigentlich heißen?“ - „Sicher.“ nickte ich, obwohl er mich ja gar nicht sehen konnte. „Mein Name ist Melanie Lohbeck.“ - „Angenehm. Ich heiße Markus Lüttich.“
Ich musste lachen, denn mir fiel gleich auf, dass wir dieselben Initialen hatten: M.L.! Auch er schaltete sofort und schloss sich meinem Gelächter an.
„Es gibt wirklich seltsame Zufälle!“ bemerkte er, nachdem wir uns wieder beruhigt hatten.
Plötzlich vernahm ich durch die Leitung das melodische Läuten einer Türglocke, und überflüssigerweise erklärte er: „Da ist jemand bei mir an der Tür.“ - „Gehen Sie doch öffnen!“ forderte ich ihn auf und fügte unnötig hinzu: „Vielleicht ist es Vera?“ - „Hoffentlich nicht!“ rief er für mich völlig unverständlich und legte auf.
Eine Weile starrte ich ganz benommen den Hörer an, der nun aufdringlich tutete.--Was war geschehen? Ich hatte mich Knall auf Fall verliebt!--In eine Stimme namens Markus Lüttich. – In einen Mann mit einem Problem namens Vera.---Es war schier unfassbar!
Langsam wie in Zeitlupe ließ ich den Hörer auf die Gabel sinken. - Sofort rappelte der Apparat wieder los, so dass ich erschrocken zusammen fuhr, grausam aus meinen Träumen gerissen. Ich nahm ab und meldete mich ziemlich mürrisch. Es erklang eine fröhliche, weibliche Stimme: „Hi, Melli! Hier ist Jutta!“
Meine beste Freundin ließ mich wie gewöhnlich gar nicht zu Wort kommen, sondern redete weiter, ohne Punkt und Komma: „Ich wollt nur mal fragen, ob ich die Feiertage bei dir verbringen kann. Ich hab mich total mit Klaus verkracht!“
Klaus war ihr Mann. Seit gerade mal 7 Monaten. Und die beiden hatten sich ständig in der Wolle. Ich wunderte mich schon lange, warum sie überhaupt geheiratet hatten. Ein Paar wie Feuer und Wasser!
Gutmütig versicherte ich Jutta: „Klar, Mensch! Komm ruhig zu mir! Ich bin allein.“ - „Besuchst du nicht deine Eltern?“ staunte Jutta.
„Nö. Die ziehn’s vor Weihnachten und Neujahr bei Gina zu verbringen.“
Gina war meine ältere Schwester, Diejenige, die nun in Italien lebte zusammen mit ihrem Mann Tonio und 3 Kindern. Eigentlich hieß sie ja Regina, aber die Abkürzung passte viel besser in das italienische Flair.
„Und Werner fliegt mit seiner neusten Flamme in die Südsee.“ fügte ich noch hinzu.
„Dann bist du ja tatsächlich allein! Wie gemein von deinen Verwandten!“ empörte sich meine herzallerliebste Freundin.
„Macht nix!“ behauptete ich locker. „Jetzt hab ich ja dich!“ - „Genau!“ rief es begeistert aus der Leitung. „Sollst sehn, wir machen’s uns richtig gemütlich.“ - „Und Klaus?“ wagte ich zu fragen.
„Soll bloß bleiben, wo der Pfeffer wächst!“ meinte sie böse. „Ich glaub, ich hab endgültig die Nase voll von ihm und seiner ständigen Bevormundung!“
Das klang ja ziemlich ernst! - Beschwichtigend meinte ich: „Komm erstmal her und wir reden drüber! Man soll nichts übers Knie brechen.“ - „Okay. Ich steh morgen früh auf der Matte!“ erklärte sie.
„Aber nicht zu früh!“ verlangte ich. „Ich hab schließlich Urlaub und kann ausschlafen.“ - „Ist 10 Uhr zu früh?“ wollte Jutta darauf lachend wissen.
„Nee, grad richtig! Dann können wir zusammen frühstücken.“ erwiderte ich, ebenfalls lachend.
„Gut. Ich bring Brötchen mit!“ versprach sie noch und legte auf.
Ich lächelte versonnen vor mich hin, als ich den Hörer sinken ließ, und sagte zu meinem Spiegelbild: „Siehste! Scheint ja doch noch ein schönes Fest zu werden.“
2 Anrufe hatten mir heute zunächst die Laune verdorben, aber 2 weitere Telefongespräche retteten den Tag nun doch noch. –
Ich freute mich riesig auf die Gesellschaft meiner Freundin Jutta. Mit ihr gab es immer was zu lachen. - Und als ich kurz vor Mitternacht zu Bett ging und in der Stille und Dunkelheit lag, klang mir noch einmal die sympathische Stimme von Markus Lüttich in den Ohren. – Ob ich wohl je wieder von ihm hören würde?
Pünktlich um 10 am folgenden Morgen läutete es an meiner Wohnungstür. Ich öffnete noch im Bademantel, denn ich war tatsächlich erst wenige Minuten zuvor auf gestanden. - Herein kam Jutta mit Reisetasche, Rucksack und einer Papiertüte vom Bäcker. Vorwurfsvoll blickte ich auf ihr Gepäck und meinte statt einer Begrüßung: „Hey, ich dachte, das ist nur’n Besuch über die Feiertage und kein Einzug!“
Erschrocken sah Jutta mich an und erwiderte leicht schuldbewusst: „Hab ich nicht gesagt, ich verlasse Klaus? Ist doch nur für’n Übergang. Ich such mir schnellstens ´ne eigne Bleibe.“ –
Sie gab mir wieder mal keine Möglichkeit zum Einspruch, sondern drückte mir die Tüte in die Hand und erklärte: „Hier die versprochenen Brötchen! Ich bring meine Klamotten eben in dein Schlafzimmer.“
Ziemlich verdutzt ging ich in die Küche, schüttete die Brötchen in den bereit stehenden Korb, deckte den Tisch fertig und stellte die Kaffeemaschine an.
Als wir später beim Frühstück zusammen saßen, brachte ich das Gespräch kurzerhand wieder auf ihre Probleme mit Klaus. „Mensch, Jutta, ihr habt euch mal wieder gestritten! Wie so oft in den letzten Monaten. Warum willst du Klaus grad jetzt verlassen?“ - „Ich bin’s endgültig leid mit ihm!“ erwiderte sie mit zornig blitzenden Augen. „Der Kerl behandelt mich wie ein unmündiges Kind! Alles weiß er besser. Jede kleinste Entscheidung will er mir unbedingt abnehmen. Aber jetzt ist das Maß voll! Stell dir vor, er hat die gesamten Feiertage minutiös verplant, ohne mich um meine Meinung zu fragen! Er hat festgelegt, wann wir seine Eltern besuchen und wann meine. Er bestimmt, was ich kochen soll, wie der Baum geschmückt wird, und überhaupt alles. Ein Wunder, dass er mir nicht noch vorschreibt, was ich ihm schenken soll, und was es kosten darf! Sein Pech! Jetzt kriegt er eben gar nix!“ - „Weiß er denn, wo du bist?“ erkundigte ich mich, ohne weiter auf ihre Schimpftirade einzugehen.
„Aber nein! Als ich heut Morgen ging, war er schon weg. Er hat Dienst bis Heiligabend.“
Klaus war Kinderarzt im städtischen Krankenhaus. Eine eigene Praxis konnte er sich noch nicht leisten. Jutta, die als Krankenschwester in eben dieser Klinik arbeitete, hatte ihn da kennen gelernt, als er vor knapp einem Jahr neu dort anfing.
Ich kapierte nie, was Jutta ausgerechnet an ihm fand. Meine Freundin, das erkannte ich neidlos an, war eine hübsche, ja ausgesprochen attraktive, junge Frau. Klaus hingegen war ein eher durchschnittlicher Typ mit einem Dutzendgesicht und für meine Begriffe keinerlei Ausstrahlung.
Aber die beiden unterschieden sich nicht nur äußerlich; auch zwischen ihren Hobbys und Interessen klafften Abgründe. Klaus war ein richtiger Spießer mit einer Vorliebe für klassische Musik, klassisches Theater, klassische Kleidung; eben alles klassisch, traditionell. Jutta dagegen war manchmal regelrecht ausgeflippt, liebte peppige Kleidung, Discos und exotisches Essen. Sie hatte ein explosives Temperament, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Er aber war besonnen und gelassen; kaum etwas brachte ihn aus der Ruhe.
Nun heißt es zwar, Gegensätze ziehen sich an. Aber hier prallten 2 so vollkommen verschiedene Welten aufeinander, dass Zank und Streit schon vorprogrammiert schienen. Deshalb warnte ich Jutta eindringlich, als sie nach knapp 5 Monaten schon von Heirat sprach. Und natürlich wurde meine gut gemeinte Warnung in den Wind geschlagen! - Wie ich ganz richtig voraussah, krachte es gleich kurz nach der Hochzeit gehörig, nur weil sie sich nicht über das Ziel ihrer Flitterwochen einigen konnten. Ihre Ehe blieb auch weiterhin ein stetiges Auf und Ab. Sie stritten und versöhnten sich, redeten von Trennung und rauften sich doch wieder zusammen.
Aus diesem Grund nahm ich auch jetzt Juttas Gefasel von Scheidung nicht besonders ernst. Für mich stand fest, dass sie sich eh wieder vertragen würden. Also ließ ich sie ihren Frust von der Seele reden und widersprach in keiner Weise.
Nach dem Frühstück schlug ich vor: „Ich geh jetzt einkaufen. Lebensmittel und Deko. Willst du’n Baum oder nur Zweige?“ - „Mir egal.“ war Juttas unentschlossene Antwort.
In diesem Moment verstand ich Klaus nur zu gut, dass er ihr immer alle Entscheidungen abnahm. Sie konnte sich ja nie entscheiden! - Das war schon früher in der Schule so gewesen. Stellte man Jutta eine Frage, deren Antwort <Ja> oder <Nein> sein sollte, erntete man höchstens ein <Vielleicht> oder <Weiß nicht>.
Ich machte mich frisch, zog mich an und wollte gerade die Wohnung verlassen, da klingelte das Telefon.
Jutta sah mich mit Schreck geweiteten Augen an und rief: „Wenn das Klaus ist, ich bin nicht da! Und du weißt auch nicht, wo ich bin.“ - „Elender Feigling!“ beschimpfte ich sie empört, nahm ab und meldete mich.
Es war nicht Klaus sondern Markus Lüttich. Ich staunte: „Nanu? Haben Sie sich schon wieder verwählt?“ - „Aber nein!“ lachte er. „Oder ist da nicht 2-3-5-6?“ - „Doch, doch!“ versicherte ich eifrig, wurde rot und war froh, dass er mich nicht sehen konnte.
Ach, allein beim Klang seiner Stimme schmolz ich dahin! Mir wurden die Knie weich und ich musste mich setzen. - Ungerührt fuhr er fort: „Na also! Dann ist’s ja gut! Ich wollt Ihnen übrigens nur mitteilen, es war nicht Vera gestern Abend an der Tür.“
Meine Güte! Warum erzählte er mir das? Ich war so verblüfft, dass ich nicht antworten konnte. Und im Türrahmen stand Jutta und spitzte neugierig die Ohren.
Am anderen Ende der Leitung erklang ein verlegenes Räuspern und zögernd meinte er: „Sie sagen ja gar nix. War wohl ´ne ziemlich dumme Idee von mir, Sie einfach so an zu rufen? Oder störe ich irgendwie?“ - „Nein, nein!“ brachte ich mühsam hervor, denn ich spürte einen Kloß im Hals. Nur um weiter mit ihm sprechen zu können, erkundigte ich mich: „Haben Sie denn noch mal versucht, bei Vera anzurufen?“
Sekundenlanges, zauderndes Schweigen. Dann unsicher: „Nein. Ich denke, das Kapitel ist abgeschlossen.“
Nun zögerte ich. Was sollte man auch dazu sagen? Während ich noch nach geeigneten Worten suchte, um das Gespräch fort zu führen, fragte er plötzlich: „Wie verbringen Sie eigentlich die Feiertage?“
Ich war verwundert. Warum interessierte ihn das? Ich warf Jutta, die noch immer lauschte, einen Blick zu und antwortete ziemlich knapp: „Mit einer Freundin.“
Mir war nicht bewusst, dass diese Entgegnung etwas zweideutig klang. Das merkte ich erst, als ich vernahm, wie er heftig einatmete. Da musste ich lachen, und eifrig fragte er nach: „Haben Sie keine familiären Verpflichtungen?“
Bereitwillig gab ich Auskunft: „Nö. Meine Eltern und Geschwister verbringen die Feiertage auf ihre eigne Weise.“
Er wartete scheinbar darauf, dass ich einen Mann oder Freund erwähnte, denn er schwieg wieder.
So fragte ich entschlossen zurück: „Und was ist mit Ihnen? Nun doch kein Skiurlaub mit Vera?“
Ich konnte mir nicht erklären, warum ich immer wieder diese ominöse Vera zur Sprache bringen musste. Markus Lüttich schien jedoch nicht böse deswegen, sondern staunte nur: „Woher wissen Sie denn das vom Skiurlaub?“ - „Schon vergessen? Sie sprachen davon, als Sie mich für Vera hielten.“
Da bemerkte er verblüfft: „Sie haben aber ein gutes Gedächtnis!“
Und ich dachte bei mir: ‚Wenn’s dich betrifft, merk ich mir eben jedes Wort!’
Schließlich berichtete er: „Naja, ich fahre wie jedes Jahr zu meinen Eltern in den Schwarzwald. Die freuen sich immer riesig, wenn ihr einziger Sohn sie besucht.“ - „Schön für Sie!“ murmelte ich etwas neidisch.
Damit ging uns endgültig der Gesprächsstoff aus, und nach einem tiefen Seufzer fragte er mich bittend: „Hätten Sie was dagegen, wenn ich Sie bei Gelegenheit wieder mal anrufe?“ - „Nein, überhaupt nicht. Das fände ich im Gegenteil sogar ausgesprochen nett!“ versicherte ich und lächelte versonnen vor mich hin.
Nana! mahnte ich mich selber. Klang das nicht ein wenig zu begeistert?
„Also dann, bis bald!“ verabschiedete er sich schnell, und ehe ich seinen Gruß erwidern konnte, legte er auch schon auf.
Als ich meinerseits den Hörer auf die Gabel fallen ließ, trat Jutta näher, und ich merkte ihr an, dass sie förmlich vor Neugierde platzen wollte. - Sie fragte auch sogleich: „Wer war denn das?“
Ich genoss es jedoch, sie auf die Folter zu spannen, griff nach Portemonnaie, Einkaufskorb und Wohnungsschlüssel, öffnete die Tür und wandte mich erst dann grinsend an sie: „Ach, nur falsch verbunden!“
Dann ging ich einfach. – Noch auf der Straße musste ich über Juttas blöd-verdutztes Gesicht lachen.
Es gab noch etwas, das ich beinah mehr hasste als Telefone, nämlich das unbeschreibliche Gewusel in den Geschäften kurz vor Feiertagen! Ich hasste abgrundtief Menschenansammlungen jeglicher Art. In überfüllten Räumen bekam ich regelrecht Platzangst.
Und nun befand ich mich mitten im Gewühl im Supermarkt an der Ecke und versuchte, meinen Einkaufswagen durch das unerträgliche Gedränge und Geschiebe zu steuern. Die Leute gebärdeten sich fast, als würde es anderntags nichts mehr zu kaufen geben. Dabei dachte ich, es wäre wohl besser gewesen, wenn ich Jutta statt meiner her geschickt hätte, denn sie fühlte sich in solchem Trubel wohl.
Da krachte unverhofft ein junger Mann mit seinem Wägelchen frontal in meins. Total zerknirscht entschuldigte er sich für sein Missgeschick. Und ich stand da wie vom Blitz getroffen und starrte ihn nur entgeistert an. - Diese Stimme! Unter tausenden hätte ich sie erkannt. Für mich gab es keinen Zweifel; vor mir stand Markus Lüttich!
Welch schicksalhafte Fügung! Oder war es vielleicht nur ein Wunschtraum? - Mir stockte der Atem, und ich rang um Fassung, denn der Mann sah auch noch verdammt gut aus. Er entsprach genau dem Typ, für den ich von jeher schwärmte; groß und breitschultrig, eben ein Mann zum Anlehnen. Dazu dunkelhaarig, und sonnengebräunt, trotz Winterklima.
Ich musste wohl ein ziemlich entsetztes Gesicht gemacht haben, weil er besorgt fragte: „Was ist los mit Ihnen? Sie wirken, als hätten Sie grad ein Gespenst gesehn.“ - „So kommt’s mir auch vor!“ kiekste ich wie ein Knabe im Stimmbruch.
Der Kloß in meinem Hals war groß wie ein Tennisball, und ich ärgerte mich maßlos darüber. Natürlich erkannte er so meine Stimme nicht wieder! Er schien es außerdem recht eilig zu haben. Höflich erkundigte er sich nochmals, ob mir bei dem Zusammenstoß auch nichts passiert war, und als ich sprachlos den Kopf schüttelte, verschwand er nach einem knappen Nicken im nächsten Gang zwischen den Regalen.
Nun stand ich da wie ein begossener Pudel und hätte mich vor Wut über meine Schüchternheit in den Hintern beißen können!
‚Geh ihm nach!’ hämmerte es in meinem Hirn. ‚Diese Chance kriegst du nie wieder!’
Aber ich war irgendwie nicht in der Lage auch nur ein einziges Glied zu rühren. Um mich herum drängelten die Leute, und manch Einer warf mir einen missbilligenden Blick zu. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich von den strömenden Massen mitreißen ließ.
Dann hieß es geduldig Schlange stehen an der Kasse. Doch der Zufälle nicht genug! - Ich war noch ganz in Gedanken und völlig perplex von der unverhofften Begegnung mit meiner Telefonbekanntschaft, dass ich zunächst gar nicht bemerkte, wer sich direkt hinter mir in die Warteschlange einreihte. Erst als Klaus mich freudestrahlend begrüßte: „Hallo, Melli! Auch noch Besorgungen auf den letzten Drücker?“, blickte ich mich verwundert um.
„Hi, Klaus!“ grüßte ich zurück. „Was machst du denn hier? Ich denk, du hast Dienst?“
Verblüfft fragte er: „Woher weißt du das?“ und gab sich gleich selbst die Antwort: „Jutta ist bei dir unter gekrochen!“
Weder bejahte noch verneinte ich seine Feststellung. Ich hatte sowieso schon zuviel gesagt, und das war mir schrecklich unangenehm. – Vor Unbehagen verpasste ich den Anschluss der sich weiter schiebenden Schlange. Es entstand eine Lücke, in die sich prompt eine hektische, rundliche Frau drängelte, deren hysterisch heulender Sprössling im Sitz auf dem Einkaufswagen hing und lautstark nach Schokolade verlangte. Die überforderte Mutter wandte sich mit dankbarem Lächeln an mich und seufzte: „Wirklich sehr nett von Ihnen, dass Sie mich vor lassen!“
Womit sie mir den Wind aus den Segeln nahm, denn eigentlich wollte ich mich gerade über ihr freches Vordrängen beschweren. Ich grinste gezwungen und fühlte mich als Menschenfreund. Zumal Klaus leise von hinten bemerkte: „Bedauernswerte Frau! Kinder können manchmal schrecklich nerven!“
Und das sagte ausgerechnet ein sehr beliebter Kinderarzt!
Endlich war die Reihe an mir, meine Einkäufe auf das Laufband zu packen. Aber als die Kassiererin mir den zu zahlenden Betrag nannte, geriet ich in eine äußerst prekäre Situation. Vor lauter Eile hatte ich versäumt, meine Geldbörse nach zu füllen, und nun suchte ich verzweifelt alles Kleingeld zusammen. Doch es half nichts! Mir fehlten noch 10 DM! Gott, war mir das peinlich! Ich kramte und kramte.
Zudem ging gerade in eben diesem Moment mein Traumprinz an eben dieser Kasse vorbei. Er lächelte mich an (oder bildete ich mir das nur ein?) und verschwand wieder in der Menge. Und die sowieso schon mürrische Kassiererin wurde ungeduldig. „Was ist denn nun? Ich bekomm noch 10 Mark!“ - „Tja .... also .“ stotterte ich verlegen.
Da streckte eine männliche Hand von hinten der Frau einen 10-DM-Schein entgegen. Klaus war mein rettender Engel! „Danke, du kriegst es wieder!“ versprach ich erleichtert. - „Schon gut!“ winkte er großzügig ab. „Sieh’s einfach als Unkostenbeitrag für Juttas Aufenthalt bei dir!“ - „Ich hab nicht gesagt, dass sie bei mir ist!“ entgegnete ich hastig.
„Das brauchst du auch nicht! Ich kann’s mir denken.“
Darauf erwiderte ich nichts, sondern packte meine Einkäufe in den Korb und verließ so schnell wie möglich das Geschäft.
Völlig geschafft betrat ich wenig später die Wohnung, mit gefülltem Einkaufskorb und einem verkrüppelten Tannenbaum auf Kredit. Der Typ, der ihn mir aufgeschwatzt hatte, kannte mich aus
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: eigene Texte verfasst 1998
Bildmaterialien: eigene selbgezeichnete Bilder
Tag der Veröffentlichung: 20.04.2016
ISBN: 978-3-7396-4969-6
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Worte der Autorin:
Diese Geschichte schrieb ich für eine Freundin, die lange im Krankenhaus liegen musste.
Der Titel ist mehrdeutig. Man kann auf vielerlei Weise falsch verbunden sein.
Am Telefon, in einer Beziehung oder bei einer Verletzung.