Cover

Das Buch & die Autorin

Das Buch
Die lebensfrohe Maggi findet eines Morgens den betrunkenen Landstreicher Steve im Garten, der bei ihr und ihrer chaotischen Familie für viel Verwirrung sorgt.

 

Die Autorin Martina Hoblitz

Geboren und aufgewachsen ist Martina Hoblitz in einer beschaulichen Kleinstadt im schönen Kreis Höxter. Seit vielen Jahren ist sie glücklich verheiratet und hat eine wundervolle erwachsene Tochter.

Bereits als 16jährige Schülerin begann Sie mit dem Schreiben. Mit viel Hingabe und Gefühl schrieb sie Zeile um Zeile und genoss dabei jedes einzelne Wort.

Sie hat viel erlebt, viele schöne Augenblicke, aber auch schwere Momente betrübten ihr Herz.  So entstanden über die Jahre viele wundervolle Liebesgeschichten, die zum Teil bereits als E-Books erhältlich sind.

 

 

 

Das sagt die Autorin über diesen Roman:

Dies ist mein allererster Roman, den ich bereits als Schülerin begonnen habe. Durch widrige Umstände konnte ich ihn erst ein paar Jahre später vollenden. Personen und Handlung sind voll und ganz meiner Fantasie entsprungen. Ich wünsche viel Freude beim Lesen!

 

 

 

1. Auflage

Verfasst 1976-1993

E-Book-Ausgabe September 2015

Copyright Text und Bilder © by Martina Junker 2015

Inhalt

Dieser Roman besteht aus 4 Teilen

 

1. Teil: Brüderlein und Schwesterlein (Kapitel 1.1. bis 1.9)

2. Teil: Schein und Sein (Kapitel 2.1 bis 2.5)

3. Teil: Väter (Kapitel 3.1 bis 3.6)

4. Teil: Neuanfänge und Schicksalsschläge (Kapitel 4.1 bis 4.6)

Kapitel 1.1

„Ich glaub es gibt Tauwetter!“ sinnierte Molly und sah kritisch aus dem Küchenfenster.

Ihr Blick umfasste eine Schneelandschaft, deren ununterbrochenes Weiß den Augen weh tat; darüber spannte sich ein graublauer Himmel wie ein alter Scheuerlappen. Molly riss ihren nachdenklichen Blick von der Natur und ließ ihn zurück schweifen auf – die Kartoffeln, die sie gerade schälte.

Da ich mich als Einzige an diesem trüben Morgen in der Küche befand, fühlte ich mich angesprochen und erwiderte: „Eigentlich schade um den schönen Schnee."

„Schnee ist ja ganz nett, aber nicht dauernd und noch dazu Ende Januar! Ich kann dieses schreckliche Weiß bald nicht mehr ertragen.“

Diese Feststellung stammte von Sims, der die Küche betrat.
„Immer musst du meckern!“ parierte Molly, während Sims sich seelenruhig an den Tisch setzte.

Molly und Sims waren meine Großeltern, aber da sie noch so verhältnismäßig jung wirkten, ließen sie sich gern mit Kosenamen anreden. Molly hieß eigentlich Margreth (den Namen hatte ich, Gott sei’s geklagt! Geerbt, aber man nannte mich nur Mag oder Maggi) und in dem Kosewort <Molly> lag schon die ganze Beschreibung der Person.

Sims hieß in Wahrheit Simon, und genauso weise wie der Name klingt, kam er sich auch häufig vor.

Als Nächster traf mein Vater Peter, genannt Pete, ein.

„Wo liegt die Zeitung?“ begrüßte er uns.

Ich reichte sie ihm, und er verzog sich wieder.

Molly rief noch hinter ihm her: „Gleich gibt’s Frühstück, mein Junge!“ da stapfte mein Bruder Holger in die Küche.

„Moarn!“ grüßte er mit einem herzhaften Gähnen.

Holger war mit seinen 15 Jahren genau das, was man sich unter einem liebenswerten Rüpel vorzustellen hatte; und wir verstanden uns recht gut.

„Is meine Stulle schon fertig? Ich muss los!“

Er stand neben Molly, mit den Händen in den Hosentaschen und entschieden im Weg. Molly drückte ihm sein Frühstückspaket unter den Arm und schob ihn sanft, aber bestimmt aus der Tür.

Ein Weilchen später erschien meine 17jährige Schwester Dagmar auf der Bildfläche, während Holger vom Flur her schrie:“ Wo ist denn mein grauer Anorak?“

Dagmar begrüßte die Großeltern je mit einem Kuss auf die Wange, und ich ging hinaus, um Holger beim Suchen zu helfen. Doch mein Rat war nicht mehr nötig, denn als ich auf dem Flur anlangte, klappte gerade die Haustür zu, und dann hörte ich das sich entfernende Scheppern eines altersschwachen Fahrrades. Im selben Augenblick ertönte ein ohrenbetäubendes Gebelle und Gejaule. Es handelte sich hierbei um unseren treuen Familienhund, einen Basset namens Herzog.

An diesem Morgen benahm sich der Hund aber ganz und gar nicht herzoglich. Normalerweise beruhigte er sich, wenn Holger um die nächste Ecke verschwand. Nicht so an eben diesem Morgen. Ich fühlte mich genötigt einmal nach zu sehen, was er denn so bebellenswert fand und verließ das Haus durch die Hintertür. Dabei rannte ich fast in meine Cousine Illona, die im selben Moment rein kam.

„Draußen hinter den Brombeersträuchern liegt’n Penner! Der is stinkbesoffen!“ verkündete das goldige 6jährige Mädchen mit Piepsstimme.

Illona, die schon längst auf dem Weg zur Schule sein sollte, war ansonsten ein Engelchen, doch sie nahm es mit der Wahrheit nicht so genau. (Das hatte sie eindeutig von ihrer Mutter, Petes Schwester, die der Schauspielerei frönte) Jedenfalls sah ich sie erstmal verdutzt an und lief dann selbst in den Garten. Obwohl ich ihr ohne weiteres eine Menge überhitzte Fantasie zutraute, musste ich ihr ausnahmsweise glauben, denn auch ich entdeckte hinter den besagten Sträuchern ein riesiges Kleiderbündel, das sich in regelmäßigen Abständen hob und senkte.

„He, Sie! Was wollen Sie denn hier? Stehn Sie gefälligst auf und verlassen Sie das Grundstück!“ Zögernd berührte ich ein Stück Stoff, unter dem ich die Schulter vermutete, und rüttelte daran. Ein Brummen wie von einem Grizzlybären ertönte als Antwort. Also entschloss ich mich Verstärkung anzufordern.

Pete begegnete mir zuerst, als ich ins Haus kam, aber er hatte andere Sorgen.

„Ich kann meinen Schlips nicht finden. Grad heute, wo ich doch bei der Galerie vorsprechen muss. Und ich besitz doch nur den Einen.“

Typisch Pete! Holger war genau wie sein Vater. Nach dem Motto: Wer Ordnung liebt, ist nur zu faul zum Suchen! – Ich schlenderte mit Gemütsruhe in Petes Atelier und entdeckte seine Krawatte sofort, halb auf der Staffelei halb über der zum Glück trockenen Palette hängend.

Ich trug das Utensil mit Siegermine zu Pete, der sich bedankte:“ Du bist ein Schatz, Maggi! Sieh doch mal nach Lydia!“ und das in einem Atemzug.

„Gut, ich seh nach Lydia, aber du musst nach den Brombeersträuchern sehn! Da liegt nämlich ein Landstreicher.“ erklärte ich Pete, der sich verblüfft auf den Weg in den Garten machte.

Inzwischen stieg ich die Treppe hinauf, als Illona auf dem Geländer an mir vorbei sauste.

„Du willst dir wohl die Knochen brechen?!“ rief ich ihr nach, dann klopfte ich an Lydias Schlafzimmertür.

Als ich eintrat, fand ich sie noch immer im Bett, und sie sah mir mit gekonnter Leidensmine entgegen, legte theatralisch die rechte Hand an ihre Schläfe und flüsterte: „Kannst du mir vielleicht das Frühstück ans Bett bringen, Liebes? Ich fühl mich momentan nicht sehr wohl.“

„So siehst du aus!“ erwiderte ich lachend und öffnete die Vorhänge. „Deine Schau kannst du heut Nachmittag im Theater ab ziehn! Nicht mit mir!“

Allerdings wusste ich ganz genau, dass sich Lydias große Auftritte auf Statistenrollen oder Dienstmädchen mit einem ganzen Satz zu sprechen beschränkten.

„Aber bin ich denn nicht blass?“ wollte sie wissen.

Ihre Leidensmine wirkte fast echt, aber wirklich nur fast, denn mir konnte sie so leicht nichts vormachen.

„Du siehst kein bisschen blass aus! Im Gegenteil. Komm lieber runter! Ein Landstreicher ist bei uns aufgetaucht.“

„Sieht er denn gut aus?“

Diese Frage war mal wieder typisch für Lydia, die am frühen Morgen noch gar nicht richtig schalten konnte.

„Hast du schon mal’n Penner getroffen, der wie’n Filmstar aussieht? Eine andre Kategorie kommt ja unter deinen Augen nicht gnädig davon.“

„Liebes, sei doch nicht so spitz! Landstreicher sagtest du?“

„Stimmt. Ein Kerl wie’n Bär und schon ein bisschen mehr als angeheitert, wie deine süße Tochter mir bereit mitteilte.“

„Wie? Was? Illona? Wie kommt die denn zu’nem Landstreicher?“
Lydia schien überhaupt nichts zu begreifen.

„Ich schlag vor, du gehst jetzt erstmal unter die Dusche, damit du klar wirst! Vorher ist doch nix mit dir anzufangen.“ ´Ansonsten aber auch nicht.’ Fügte ich in Gedanken hinzu und verließ sie.

Am Treppenabsatz begegnete mir Pete und berichtete: „Der Kerl hinter den Sträuchern ist ja betrunken!“

„So ähnlich drückte sich Illi auch aus, nur noch krasser.“ lachte ich.

„Ich schlag vor, den Hund zu beruhigen, sonst kriegen wir noch Ärger mit den Nachbarn, wegen dem Lärm.“

„Solange der Kerl im Garten rum liegt, gibt Herzog bestimmt keine Ruhe.“

„Dann hol ihn rein!“

Ich verstand Pete total miss, denn er meinte den Hund. Kühn betrat ich den Vorgarten, doch als ich mich über das nun laut schnarchende Bündel beugte, verließ mich aller Mut.

Schüchtern rief ich: „Sie da! Wollen Sie nicht zu uns reinkommen und mit uns frühstücken?“

„Wauwau!“ war die Antwort, aber nicht von dem Bündel, sondern von Herzog, der es von allen Seiten misstrauisch beschnupperte.

Illona, die den Hund von der Leine befreit hatte, trat von hinten dazu. „Isser wach?“ wollte sie vorsichtig wissen.
Ich schüttelte den Kopf.

„Ein Glück! Vielleicht isses ´n Mörder?“

„Sag doch nicht so was, er könnt dich hörn!“ meinte ich erschrocken.

Zum Glück erschien Sims, von Pete benachrichtigt, und nahm die Sache energisch in die Hand.

„Stehn Sie auf, Mann! Sie können hier nicht einfach so rum liegen. Das ist Privatbesitz.“

Kurz entschlossen zerrte er das Bündel hoch, welches sich als dreckiger junger Mann entpuppte. Verschlafen rieb er sich die Augen und sah sich erstaunt um.

„Wo bin ich denn gelandet?“ fragte er mit breitem amerikanischen Akzent und raufte sich die Haare.

Sein Atem roch entsetzlich nach billigem Fusel!

Plötzlich grinste er und sagte: „Also bin ich auf einem Privatgrundstück?“

„Ganz richtig!“ bestätigte Sims und griff ihn ermutigend unter seinen Arm. „Sie kommen jetzt erstmal rein und frühstücken! Außerdem nehmen Sie ein Bad. Das haben Sie verdammt nötig!“

Ehe der Mann recht wusste wie ihm geschah, stand er auch schon in der Küche. Molly schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie ihn sah.

„Jessus! Was ist denn das für’ne Kreatur? Sowas Dreckiges hab ich ja mein Lebtag noch nicht gesehn!“

Sie nahm weiß Gott nie ein Blatt vor den Mund! Doch plötzlich zeigte der junge Mann Manieren. Er zog seinen originellen Schlapphut und sagte: „Verzeihn Sie bitte die frühe Störung, Madam! Mein Name ist Steve!“ und er verbeugte sich ungeschickt.

„So, Steve, dann setzen Sie sich mal hin und stärken Sie sich! Mag kann Ihnen Gesellschaft leisten. Sie hat auch noch nicht gefrühstückt.“

Sims verzog sich, und Molly tischte uns allerlei auf. Mir war wahrhaftig der Appetit vergangen, doch der Mann namens Steve haute tüchtig rein. Schließlich ertappte ich mich bei der Überlegung, dass er, wenn er ein bisschen mehr um sein Äußeres gäbe, gar nicht mal so schlecht aussehen würde.

„Musst du heut nicht ins Büro, Maggi?“ unterbrach Molly meine Gedanken.

„Nein, ich hab frei. Überstunden abfeiern, weißt du.“

„Dann zeig dem jungen Mann das Bad, damit endlich ein Mensch aus ihm wird!“

„Na gut. Folgen Sie mir!“ forderte ich ihn auf, und wir verließen gemeinsam die Küche.

Pete rannte uns fast über den Haufen. Zerstreut wandte er sich an den jungen Mann: „Fühlen Sie sich ruhig wie zuhause und machen Sie sich ein wenig menschenwürdig zurecht!“ und zu mir:“ Maggi, du weißt doch immer, wo alles ist. Wo ist denn um Himmels Willen meine Jacke?“

„Wenn mich nicht alles täuscht, da wo sie hin gehört. An der Garderobe!“ schmunzelte ich.

„Na prima! Dann kann ich ja gehn. Sag Molly, ich weiß nicht, wann ich zurückkomme! Ihr braucht nicht mit dem Essen warten.“ Er wandte sich wieder Steve zu: „Sie bleiben am besten erstmal hier! Abends sehn wir weiter.“ Und flugs war er verschwunden.

Als wir die Diele durchquerten, schwebte Lydia die Treppe herunter, bekleidet mit einem aufreizenden Negligé. Steve fielen fast die Augen aus dem Kopf, und ich konnte es ihm nicht verdenken. Lydia begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Sind Sie der betrunkene Landstreicher von den Brombeersträuchern?“

„Nein, der Kaiser von China!“ erwiderte er brummig.

„Auch gut. Haben Sie schon gefrühstückt?“

„O ja, Ihre Tochter zeigt mir nun das Bad.“

„Meine Tochter? Gott bewahre! Nein, nein, Mag ist meine Nichte!“ sprach’s und schwebte davon.

„Sie haben ´ne amüsante Tante!“ lachte Steve.

„Das mein ich auch. Sie spielt für ihr Leben gern Theater. Ist ja auch Schauspielerin.“

„Wie interessant. ´ne Berühmte?“

„Das weniger. – So, hier ist das Bad. Ich kann Ihnen ein paar Kleidungsstücke von Pete raus suchen.“

„Das wär nett! Sind Sie eigentlich zu allen Gammlern so freundlich?“

Er wartete eine Antwort von mir nicht ab, sondern verschwand hinter der weißlackierten Tür.

Sims lief mir über den Weg und fragte: „Wo isser?“

„Im Bad.“

„Na fein. Hat er gut gegessen?“

„Wie’n Scheunendrescher!“

„Sind die Kinder endlich weg?“ fragte Molly von hinten.

„Woher soll ich das wissen? Ich such jetzt ein paar Sachen von Pete raus. Hoffen wir, dass sie ihm passen.“

Als ich die Treppe hinauf stieg, rief Sims mir noch nach: „Und seine eignen Klamotten steckst du am besten in die Mülltonne!“

 

 

Pete kam nicht zum Mittagessen, dafür blieb Steve. Er sah tatsächlich recht gut aus, frisch gewaschen und rasiert, wenn ihm auch Petes alter Anzug etwas zu klein war.

Am Nachmittag duzten wir uns bereits und spielten mit Illona <Mensch ärgere dich nicht!>.

Nach dem Abendbrot, als die ganze Familie versammelt war, ergriff er plötzlich das Wort:“ Ich glaub es ist an der Zeit, ein wenig mehr über mich zu erzählen.“

Er schaute alle der Reihe nach an, und dann verweilte sein Blick bei mir, als er fort fuhr:“ Ich bin weder ein Landstreicher, noch ein Gammler. Ich komm aus Hamburg, direkt von einem Schiff aus Amerika.“

„Wer’s glaubt, wird selig!“ murmelte ich.

„Ich such hier in Deutschland meinen Vater.“

„Klingt wie’n billiger Kitschroman.“ bemerkte Holger.

„Und dass ich grad bei euch gelandet bin, ist kein Zufall.“

„Nun red nicht um den heißen Brei herum! Erzähl uns alles!“ forderte Molly ihn gespannt auf.

„Aber vielleicht sollte ich erst mit dem Hausvorstand unter 4 Augen sprechen?“

Mit einem durchdringenden Blick fixierte er Pete, der kreidebleich wurde. Mein sonst so ruhiger Paps sprang von seinem Stuhl auf, eilte auf Steve zu, riss ihn regelrecht vom Sofa hoch und stieß atemlos hervor: „Komm mit ins Atelier!“

Na, und dann saßen wir da wie bestellt und nicht abgeholt, wobei Lydia bemerkte: „Wie auf der Bühne, kurz vor dem großen Auftritt.“

Es verging vielleicht eine Viertelstunde, da erschienen Pete und Steve wieder im Familienkreis, und ihren Gesichtern sah man große Gemütserregung an.

Pete holte tief Luft und erklärte: „Nach den ersten Fakten sieht’s so aus, als ob Steve mein Sohn ist.“

Holger und Dagmar starrten ihn an wie die Mondkälber, und mir wurde es schlichtweg Zuviel. Ich fiel in Ohnmacht!

 

Als ich wieder zu mir kam, beugte Steve sich über mich und sagte: „Du machst aber Sachen, Schwesterchen!“

Nach dieser Redensart wäre ich am liebsten erneut in Ohnmacht gefallen, aber das ließ sich leider nicht bewerkstelligen. Ich konnte es immer noch nicht fassen: Dieser Mensch, den wir betrunken hinter den Brombeersträuchern fanden, sollte mein Bruder sein? Oh nein, das war einfach unglaublich!

Kapitel 1.2

 Petes Erklärung der Situation fiel ziemlich spärlich aus. Er behauptete, vor 22 Jahren in New York, als junger Kunststudent eine Liebschaft mit Steves Mutter gehabt zu haben. Das Ergebnis davon wäre Steve, Punktum und basta.
Steve richtete sich in Petes Zimmer ein, während Pete endgültig in sein Atelier zog, wo er sowieso die meiste Zeit verbrachte.

Man sollte es nicht für möglich halten, aber Steve lebte sich bereits nach ein paar Tagen so bei uns ein, dass wir ihn gar nicht mehr aus der Familie weg denken konnten. Es zeigte sich, dass er keinesfalls dumm war, und er ersetzte uns den fehlenden Handwerker im Haus. Sims konnte zwar immer große Reden schwingen, aber im Praktischen haperte es bei ihm gewaltig. Pete war Künstler, also für banale Reparaturen ebenfalls ungeeignet. Nicht so Steve! Er brachte innerhalb kürzester Zeit Mollys sämtliche altersschwache Haushaltsgeräte auf Vordermann. Dafür verwöhnte sie ihn nach Strich und Faden, indem sie ihm alle seine Lieblingsgerichte kochte.

Sims fand in ihm endlich einen Schachpartner, sodass er nicht immer nur gegen sich selbst spielen musste.

Bei Pete zeigte er reges Interesse für die Kunst und bewies sogar, dass auch in ihm ein wenn auch sehr geringes künstlerisches Talent schlummerte.

Der lieben Lydia hörte er mit Engelsgeduld ihre neue Rolle ab, die dieses Mal tatsächlich aus 3 ganzen Sätzen bestand.

Für Illona hatte er immer Zeit zum Spielen, was diese natürlich hellauf begeisterte.

Holger und Dagmar hatten allerdings wenig Kontakt zu ihm. Sie sahen ihn höchstens zu den Mahlzeiten, ansonsten waren sie in der Schule oder mit Freunden unterwegs. Sie hatten sich auch schnell damit abgefunden, ihn als Bruder anzusehen.

Kein Zweifel, Steve war von der Familie voll akzeptiert worden! Aber wie fühlte ich mich dabei? Wie stand ich zu ihm? Unmöglich, ihn als Bruder zu sehen, nach dem 1.Eindruck, den er auf mich gemacht hatte. Es war schon komisch, dass ich dauernd an das Bild des betrunkenen, verwahrlosten Kerls hinter den Sträuchern denken musste. Zwar war ihm davon nichts mehr anzumerken, doch mich ließ dieses Bild nicht mehr los.

Nun, ich entschloss mich, ihn weitestgehend zu ignorieren und nahm die ganze Situation ziemlich gelassen hin. Meinen Kolleginnen im Büro, die teilweise auch meine Freundinnen waren, erzählte ich nur, dass mein Halbbruder aus Amerika zu Besuch gekommen war. Sensationslüstern brannten sie drauf, ihn kennen zu lernen. Das ließ sich bald auch nicht mehr vermeiden.

 

 

Karneval rückte näher, und ich hatte vor, meine Freundinnen wie jedes Jahr zur Fete in unsere Stammkneipe zu begleiten. Der Haken an der Sache war nur, dass Steve davon erfuhr und mitgehen wollte. Mir fiel leider keine glaubhafte Ausrede ein, um ihn abzuwimmeln, also ließ ich die Clique wissen, dass sie endlich meinen Bruder kennen lernen würde.

Steve erbot sich, uns beiden Kostüme zu besorgen, wobei ich schon ein flaues Gefühl im Magen hatte. Als ich mich dann am Abend umzog, kam Steve schon fix und fertig herein und grinste.

„Ich weiß gar nicht, warum du passende Kostüme ausgesucht hast. Das sieht ja so aus, als ob wir zusammen gehören!“ beschwerte ich mich.

Steve ging als Cäsar und ich als Cleopatra. Er half mir, den langen Reißverschluss zumachen, während er bemerkte:“ Ich stell fest, dass es mir trotz aller Mühe nicht gelingt, dein Vertrauen zu gewinnen.“

„Was heißt hier Vertrauen? Du kannst mir nicht verübeln, dass ich mir nach 19 Jahren nicht so einfach einen unbekannten Bruder vor die Nase setzen lasse! Den ich noch dazu besoffen im Garten finde, in einem Zustand völliger Verwahrlosung. Entschuldige schon, aber dies Bild vergess ich nie!“

Ich sah ihm fest in die Augen, wobei ich ziemlich zu ihm aufschauen musste, und er erwiderte den Blick ernst und ungezwungen. Mit Schrecken fühlte ich, wie mir plötzlich ganz komisch wurde. Wir standen da und starrten uns sekundenlang nur an. Dann beugte er sich zu mir runter und küsste mich – auf die Stirn. Ich wandte mich schnell ab und dachte:’ Ist das nun Geschwisterliebe oder mehr?’

Steve überspielte die leichte Peinlichkeit meisterhaft und meinte sachlich:“ Beeil dich, wir sind spät dran! Deine Freundinnen warten sicher schon.“

Ritterlich half er mir in den Mantel und zog mich dann zur Tür hinaus. Im Flur angekommen schien noch Licht aus der Küche. Wir schauten hinein und sahen Molly beim Bügeln. Sie bewunderte unsere Verkleidung und wünschte uns viel Vergnügen.

Eine ½ Stunde später erreichten wir unser Lokal, wo meine Freundinnen tatsächlich schon warteten. Sie hatten uns Plätze an ihrem Tisch frei gehalten. Ich stellte Steve vor, und sofort belegte meine Freundin Regina ihn mit Beschlag. Er musste unbedingt neben ihr sitzen, und sobald Musik erklang, zog sie ihn zur Tanzfläche. Die beiden tanzten ausschließlich miteinander und flirteten hemmungslos, denn Steve schien auf ihr Spielchen einzugehen.

Erschrocken stellte ich fest, dass sich bei mir so etwas wie Eifersucht meldete. Ich beobachtete Steve aufmerksam, und eine Wahnsinnsidee setzte sich in meinem Kopf fest. Was wäre, wenn sich alles nur als Irrtum heraus stellte, und Steve gar nicht mein Bruder war?

Im Nachhinein fiel mir auf, dass Pete sich reichlich schnell zu dieser Vaterschaft bekannt hatte, ohne die nötigen Nachforschungen. Auch hatte er weder mir noch Holger oder Dagmar den genauen Sachverhalt seiner amerikanischen Affäre geschildert. War er am Ende schon mit unserer Mutter verheiratet, als das passierte? Sprach er sich deshalb nicht aus? Er konnte doch wohl von uns ein gewisses Maß an Verständnis erwarten! Ich nahm mir in diesem Augenblick vor, Pete am nächsten Morgen auf den Zahn zu fühlen und ihn zu einer detaillierten Aussage zu zwingen.

Zunächst aber war es noch Abend, das heißt es ging bereits auf Mitternacht zu und ich beschloss, mir einerseits von meinem Verdacht nichts anmerken zu lassen, und andererseits Steve in liebenswürdigster Weise aus der Reserve zu locken.

Als er mit Regina nach einem Tanz an den Tisch zurückkehrte, sagte ich kühl lächelnd:“ Du vernachlässigst deine Schwester aber ganz schön! Ich hatte bis jetzt noch keine Gelegenheit mit dir zu tanzen.“

Die Mädchen, auch Regina, sahen das ein und überließen mir Steve für die nächste Runde. Während wir uns zu einem Walzer drehten, fragte ich scheinheilig:“ Sag mal, woher wusstest du eigentlich so genau, wo du deinen Vater finden würdest?“

Stell dir vor, das war Schicksal! Eigentlich wusste ich nur, in welchem Dorf ich mich nach meinem Vater erkundigen konnte. Einen Straßennamen kannte ich auch. Der Zufall wollte ich dann, dass ich meinen Rausch genau im richtigen Garten ausgeschlafen hatte.“

Dabei grinste er so unverschämt, dass mir die Zornesröte ins Gesicht stieg.

„Schwesterlein, du musst lächeln!“ meinte er unverbesserlich.“ Deine Freundinnen beobachten uns.“

Ich zog meinen Mund etwas schief und zischte durch die Zähne:“ Du bist ein Aas!“

„Danke für die Blumen! Aber was hab ich dir eigentlich getan?“

„Nichts, rein gar nix!“ bemerkte ich nur und gab erstmal auf.

Steve zog mich demonstrativ enger an sich und bedachte mich mit einem sehnsuchtsvollen Blick.

„Unterlass deine Spielchen!“ schimpfte ich leise und trat ihm zur Bekräftigung auf die Füße.

„Entweder kannst du nicht tanzen, oder du hast’n Schwips!“ scherzte er ungerührt und schob mich kurzerhand zu einem Hinterausgang.

Eiskalte Luft schlug uns entgegen, als er die Tür öffnete. Er bot mir eine Zigarette an und legte seinen Arm um meine Schultern, die ich fröstelnd zusammen zog.

„Friede zwischen den feindlichen Lagern?“ fragte er mich und drückte mich noch enger an sich.

Ich sah zu ihm auf und sagte nur noch: „Untersteh dich!“ da verschloss er mir schon die Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss.

Als er mich wieder frei gab, empörte ich mich: „Du bist ja nicht ganz normal, BRUDERHERZ!“ wobei ich das letzte Wort extra betonte.

„Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“

Täuschte ich mich, oder klang seine Stimme niedergeschlagen?

„Ich friere erbärmlich! Lass uns wieder rein gehn!“

Und ich warf die halb gerauchte Zigarette fort, drehte mich auf dem Absatz um und betrat das Lokal, ohne auf Steve zu warten. Zielstrebig steuerte ich auf unseren Tisch zu, an dem nur Regina und Anna saßen, der Rest drehte sich auf der Tanzfläche. Ich griff nach meinem Mantel und verabschiedete mich mit den Worten: „Ich hab entsetzliche Kopfschmerzen. Lasst euch aber die Laune nicht verderben. Ich geh heim.“

Dann strebte ich dem Ausgang zu, ehe Steve noch den Tisch erreicht hatte. Dort prallte ich mit einem jungen Piraten zusammen, der gerade herein kam.

Lachend fing er mich auf und meinte: „Sie wollen doch wohl nicht schon gehen, schöne Cleopatra?“

Narrte mich mein Gehör, oder sprach auch er mit einem leichten amerikanischen Akzent? Schnell erwiderte ich:“ Leider doch! Ich hab noch einen ziemlichen Fußmarsch durch die Kälte vor mir.“

„Dem lässt sich doch abhelfen. Ich hab meinen Wagen draußen und kein Tröpfchen Alkohol getrunken!“ schlug der junge Mann sofort vor. „Das beruhigt mich aber ungeheuer!“ lachte ich und drehte mich noch einmal um.

Steve stand an unserem Tisch wie ein begossener Pudel, denn Regina und Anna schienen ihm gerade mitzuteilen, dass ich schon gegangen war. – Insgeheim hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, als ich mit dem Piraten das Fest verließ und zu ihm ins Auto stieg. Nun, ich war alt genug und würde mich schon zu wehren wissen! Ich betrachtete ihn aufmerksam aus den Augenwinkeln. Nein, er machte trotz des abenteuerlichen Kostüms keinen gefährlichen Eindruck!

„Wo darf ich Sie also hin bringen?“ unterbrach er freundlich meine Gedankengänge.

Ich nannte ihm Straße und Hausnummer und schwieg dann wieder. Eine Weile fuhren wir still durch die nächtlichen Straßen.

Endlich sprach mich mein Zufallschauffeur wieder an: „Sie sehen so nachdenklich aus. Was spukt durch Ihr hübsches Köpfchen?“

Ich hatte gerade an Steves Kuss gedacht, fühlte mich ertappt und erwiderte ziemlich barsch:“ Das geht Sie weiß Gott nix an!“

„Entschuldigung! Aber ich wollt mich nur ein wenig unterhalten.“ Er Lächelte warm. „Außerdem bin ich ein sehr guter Zuhörer, wenn Sie sich was von der Seele reden wollen.“ fügte er auffordernd hinzu.

Ich weiß nicht, welcher Teufel mich ritt, aber der junge Mann wirkte so sympathisch, warmherzig, verständnisvoll; ich wollte ihm wirklich die ganze Geschichte anvertrauen.

„Dann halten Sie mal an und hörn mir zu! Ich muss mich einfach mit jemand aussprechen, bevor ich platze!“

Verblüfft hielt er in einer Seitengasse und wandte sich mir zu.“ Ehe Sie weiter reden. Mein Name ist Paul Foster. Ich studiere Psychologie in Hamburg. Bin hier auf Urlaub. Und hab immer ein offenes Ohr für die Probleme meiner Mitmenschen.“ erklärte er kurz und bündig.

Einen Moment lang zögerte ich noch, dann erzählte ich alles, von Anfang an. Wie wir Steve vorfanden, wie einfach sich Pete zu seiner Vaterschaft bekannte, ohne handfeste Beweise, und zu guter Letzt mein eigenes Misstrauen meinem angeblichen Bruder gegenüber. Er hörte mir zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen.

Schließlich fragte er:“ Und wenn dieser Steve tatsächlich nicht Ihr Bruder ist, wenn Sie die Wahrheit heraus finden, was werden Sie dann tun?“

„Ich weiß es nicht!“ antwortete ich achselzuckend.

„Wo liegt eigentlich das Problem? Ist Ihre Familie nicht zufrieden mit dem neuen Mitglied?“

„Das schon, aber ...“

„Und was ist mit Ihnen? Sind Sie nicht zufrieden?“

„Was heißt zufrieden? Kommt einfach daher, behauptet etwas zu sein, was er nicht ist, und bringt mich ganz durcheinander!“

„Aha, da haben wir ja des Pudels Kern!“ lachte Paul Foster, doch schnell wurde er wieder ernst. „Wir wollen hier nicht von Gefühlen reden! Aber Sie sind mir äußerst sympathisch, und ich möchte Sie gern näher kennen lernen. Aber ich denke, da stoße ich auf Granit. Denn Ihre Gedanken beschäftigen sich nur mit diesem Steve, und bestimmt nicht als Bruder.“

Was sollte ich darauf erwidern? Mir war ganz mulmig, wie schnell mich dieser fremde junge Mann durchschaut hatte!
„Nun gut. Vielleicht können wir ja gemeinsam Ihren falschen Bruder entlarven? Der Fall interessiert mich brennend, und ich möchte Ihnen helfen.“

Ehe ich etwas erwidern konnte, wurde plötzlich die Autotür an meiner Seite aufgerissen, jemand zerrte mich heraus und eine mir wohlbekannte Stimme rief: „Da bin ich ja grad noch rechtzeitig gekommen, du verdammter Schuft! Sich an einem wehrlosen Mädchen mit Schwips zu vergreifen, das hab ich gern!“

Ich betrachtete Steves wütendes Gesicht und brach in helles Gelächter aus.

„Na, du bist mir vielleicht ein Held! Entreißt dein unschuldiges Schwesterlein aus den Händen eines Sittenstrolchs. Was für eine Schlagzeile! Wenn du dich beruhigt hast, wirst du feststellen, dass nicht das Geringste passiert ist. Wir haben uns lediglich unterhalten.“

Mein Begleiter war inzwischen auch ausgestiegen und nickte zu meinen Worten. Dann meinte er: „Das Fräulein hat Recht! Es ist wirklich nichts vorgefallen.“

Er streckte Steve seine Hand entgegen und stellte sich vor:“ Mein Name ist Paul Foster.“

Steve ignorierte die dargebotene Hand, schlug die Augen nieder und sprach leise: „Sorry, Maggi, ich hab’s bloß gut gemeint.“

An Paul Foster gewandt sagte ich vieldeutig:“ Das ist also mein Bruder Steve, von dem ich grad erzählt hab.“

„Ja, ja, wenn man vom Teufel spricht.“ lachte da der Paul, und endlich fand Steve auch wieder zu seinem bezeichnenden Grinsen zurück.

 

Was dann geschah, begriff ich nicht!

Auf einmal gestaltete sich zwischen den beiden ein amerikanisches Rededuell, von dem ich nicht mal die Hälfte verstand.
Schließlich ließ sich Steve dazu herab, mir zu erklären:“ So’n Zufall! Paul und ich stammen aus derselben New Yorker Vorstadt und gingen zusammen zur Schule. – Und jetzt wolln wir noch was essen.“

Ich konnte nur staunen, überließ den beiden Männern die Vordersitze im Auto und verkrümelte mich nach hinten.

Wir mussten einige Zeit suchen, bis wir eine kleine Pizzeria fanden, die noch geöffnet hatte. Ohne besondere Absprache fanden Paul und ich zum Du, und es wurde noch ein recht vergnüglicher Abend, beziehungsweise Morgen, denn als wir das Lokal verließen, schlug es 4 Uhr. Paul hatte noch keinen Alkohol getrunken und konnte uns demzufolge unbeschadet heimfahren. Er geleitete uns sogar bis zur Haustür und verabschiedete sich mit den Worten:“ Ich ruf euch an!“

Dann gab er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, klopfte Steve kumpelhaft auf den Rücken und ging.

Meine aufkommende Furcht jetzt mit Steve allein zu sein, war unbegründet, denn als Paul davon brauste, und Steve die Haustür aufgeschlossen hatte, sah ich einen Lichtschein im Flur. Er strahlte aus Petes Atelier, und außerdem hörten wir gedämpfte Stimmen.

„Sollen wir uns bemerkbar machen oder gleich rauf gehn?“ flüsterte Steve.

„Ich will erst sehn, ob da auch wirklich kein Fremder rum schleicht.“

„Glaubst du etwa, Einbrecher machen Licht? Das sieht man doch 2 Häuser weiter.“

Ich gab Steve einen leichten Stoß in die Rippen. „Schlauberger! Ich hab mit Pete sowieso noch was zu besprechen. Geh ruhig schon vor, ich komm gleich! Dann können wir uns noch ein bisschen unterhalten. Ich bin nämlich noch gar nicht müde.“

Steve grinste vielsagend und verschwand über die Treppe nach oben.

´Puh, was der sich wohl jetzt einbildet?’ dachte ich und betrat beschwingt das Atelier.

„Hallo, mein Lieber! Oder besser gesagt: Guten Morgen! Du bist aber schon früh auf den Beinen.“

„Was heißt hier früh auf? Ich war noch gar nicht im Bett.“ knurrte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.08.2015
ISBN: 978-3-7396-1114-3

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /