Die 97ste Toilette diesen Dienstag schafft mich. Ich weiß nicht, ob es der saure Gestank von Erbrochenem ist, der den Schalter schnappen lässt, oder der beißende Geruch nach Chlor, der meine Gehirnwindungen dazu bringt, sich zu verknoten. Meine Hand, eingepackt in billigem Gummi, das mehr Risse hat als ein Sieb Löcher, trifft auf Luft, wo schmutziges Porzellan hätte sein müssen, und ich schreie. Nicht laut und gellend, sondern leise, panisch. Ich bin gut darin leise zu schreien. Ich habe Übung.
Erleichterung spült über mich hinweg, als mein Kopf mit der Toilettentür zusammenstößt. Sie ist massiv und hält meinen Körper aufrecht. Ich heiße den Schmerz willkommen, lächle, als ich spüre, wie etwas Nasses von meiner Stirn hinunterläuft, über meine Wange hin zu meinem Kinn gleitet, um dann auf den Boden zu tröpfeln. Blut. Ich seufze erleichtert und labe mich an dem Schmerz. Er ist real und ich klammere mich an ihn. Als ich in die graue Suppe meines Wascheimers greife und den braunen Schwamm ertaste, versuche ich nicht, daran zu denken, dass er vor wenigen Stunden noch gelb gewesen ist.
Öffentliche Toiletten hin oder her, Schweine sind sauberer, als Menschen, die nur einmal auf diese eine Toilette gehen. Ich schlucke den Würgereiz hinunter und mein Herz macht einen Sprung, als ich das Porzellan fest und glatt mit meinen behandschuhten Fingern ertaste. Nachdem ich mit der letzten fertig bin, schütte ich das schmutzige Wasser die Toilette hinunter und spüle. Sehe zu, wie der Schmutz in einer Spirale verschwindet und wünsche mir, dass aller Dreck, der ganze Schmutz, der an mir klebt wie eine zweite Haut, sich so leicht fortspülen lassen würde. Ich werfe einen wehmütigen Blick auf meine Gummihandschuhe und stopfe sie in den Müllsack mit Taschentücher, Kondomen, Spritzen, Tampons, Einlagen und schmutzigen Windeln.
Sie haben ein Euro im Zehnerpack gekostet und es ist mein letztes Paar. Das heißt, neue Handschuhe oder wieder zurück zu direktem Hautkontakt. Ich schüttle mich und entscheide mich dafür den Euro in Gummi zu investieren und auf einen Billig-Burger zu verzichten. Es machte die Arbeit erträglicher.
Ich schleppe zwei schwere Müllsäcke die Treppe hinunter zu dem Container. Mein Rücken schmerzt, als ich bei dem schwarzen, stinkenden Ungetüm ankomme und einen meiner Säcke zu den anderen schmeiße.
„Wie viele?“, fragt Gill gelangweilt und gähnt.
„98“, erwidere ich und werfe auch den zweiten mit Schwung in die riesige Tonne. Ich brauche nicht in sein Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass er eine Braue hochzieht. Einen innerlichen Seufzer unterdrückend, drehe ich mich zu ihm.
„98 in 8 Stunden? Wen willst du veraschen?“
„Gill, wir hatten das. Ich mache meine Arbeit gut und schnell. Je mehr ich schaffe, desto mehr Geld bekommst du.“ Er flucht vor sich, greift in seinen Geldbeutel und holt einen Fünfziger raus.
„Ein Euro geht auf mich, weil du so schöne grüne Augen hast“, sagt er, während sein Blick mich gierig abtastet und er seine Zunge unappetitlich über die prallen Lippen gleiten lässt. Meine Augen werden wässrig, als ich nach dem Fünfziger greife. Liebend gerne würde ich ihm den Euro dorthin schieben, wo die Sonne niemals scheint. Doch ich nicke nur und nehme das Geld. Ich spüre seine Augen auf mir, während ich den Hinterhof durchquere.
„Mein Angebot steht!“, schreit er mir heiser hinterher und ich ignoriere ihn. Ja, sein Angebot mehr Geld zu machen für weniger Arbeit. Ich zerknülle den Schein in meiner verschwitzten Hand und sofort tut es mir leid. Es ist hart verdientes Geld. Hiermit komme ich eine Woche über die Runden. Länger, wenn ich nur alle zwei Nächte in eine Jugendherberge übernachte. Meine Lippen wölben sich zu einem Bogen. Wie leicht man sich doch an Luxus gewöhnt. Vor ein paar Monaten habe ich noch jede Nacht unter Brücken verbracht und mich aus Mülleimer ernährt.
Ein Polizist läuft vorbei und ich wende mein Gesicht ab, versuche, unsichtbar zu werden.
„Du bist 500 Kilometer von der Klinik entfernt, in einer Stadt mit 5 Millionen Einwohnern. Niemand sucht hier nach dir!“, flüstere ich mir selbst zu und gehe, den Kopf zwischen meinen Schultern geklemmt, weiter. Es hat lange gedauert, bis ich mich davon überzeugt habe, es sei gefahrlos Obdachlosenheime und Suppenküchen aufzusuchen. Und jetzt? Jetzt arbeite ich schwarz, verdiene ein paar Euro und gönne mir ab und an einen Schlafplatz in einem Mehrbettzimmer voll mit Backpackertouristen. Ich greife in meinen Geldbeutel und hole meine Zehnerkarte fürs Schwimmbad heraus. Einen Besuch habe ich noch.
Schwimmbad und draußen schlafen oder Bett? Mein Blick richtet sich nach oben. Keine Wolke ist zu sehen und ich entscheide mich für den Himmel als mein heutiges Dach. Außerdem wartet meine neue Stelle als Haushaltshilfe noch auf mich und so, wie ich im Moment rieche, kann ich dort nicht auftauchen. Meine Beine tragen mich zum Bahnhof, dann zu den Schließfächern.
Ich ziehe einen Schlüssel aus meiner Hosentasche, mein Pfefferspray und das Butterflymesser streifend, und schließe ein kleines Fach auf. Eine schwarze Sporttasche füllt jede Ritzte aus, die sie finden kann. Ich runzle die Stirn, als ich mit allen Kräften an dem losen Henkel ziehen muss, um sie freizubekommen. Ein größeres Schließfach muss her oder ich muss mich von ein paar Sachen trennen. Mein Herz zieht sich zusammen. In den Monaten auf freiem Fuß hat sich ein bisschen was zusammengesammelt. Aber nichts davon will ich wegwerfen.
Ich packe alles, was mir in der Welt geblieben ist, mit beiden Händen so fest, dass meine Fingerknöchel weiß durch meine Haut scheinen. Den Kopf schüttelnd, werfe ich mir die schwere Tasche über die Schulter und mache mich auf zum Schwimmbad. Traurig Seufzend, ziehe ich ein letztes Mal meine Zehnerkarte durch den Automaten, erinnere mich an den 50 Euroschein in meinem Dreckwäschebeutel und grinse. Es gibt kein besseres Versteck als ungewaschene Socken und Unterhosen.
Ich ziehe einen billigen Badeanzug aus der Tasche und mein ein Euro-Handtuch. Es ist klein, doch es erfüllt seinen Zweck. Dann stelle ich mich unter die Dusche, drücke auf heiß, um dann langsam zu kalt herunterzudrehen, und warte. Eine alte Dame betritt den Duschbereich. Ihre Haut hängt lederig von ihrem Körper, wackelt beim Gehen hin und her, wie die Höcker eines watschelnden Kamels. Ich grinse bei dem Bild und zwänge meine Lippen in ein freundliches, entschuldigendes Lächeln.
„Verzeihen Sie, aber könnte ich mir etwas von Ihrem Shampoo und Ihrer Duschseife leihen? Ich habe meine Kulturtasche leider zuhause liegen lassen.“ Skeptisch beäugt mich die Alte, doch ich lächle unbeirrt weiter, bis ihr grimmiges Gesicht sich zu so etwas wie einem Lächeln verzieht. Alte, faltige Haut glänzt in den Wassertropfen, die sich in den tiefen Gräben gefangen wiederfinden. Kurz leuchtet ihre Haut grün auf und ich glaube, Schuppen zu sehen, statt Poren. Meine Augen weiten sich, ich schüttelte den Kopf und trete einen Schritt zurück. Es braucht meine ganze Selbstbeherrschung, damit ich nicht schreiend davonlaufe.
Es legt sich gleich, spricht eine innere Stimme mir zu. Doch sie zittert verräterisch und so auch meine ausgestreckten Finger. Ich wende meinen Blick zu Boden und atme tief ein und aus, versuche, mein pochendes Herz zu beruhigen. Es ist nicht das erste Mal, erinnere ich mich. Was immer ich auch sehe, welche Monster sich nur mir offenbaren, sie haben mir nie etwas getan. Noch nicht. Diejenigen, die mich verletzt haben, sind immer menschlich gewesen. Meine rechte Hand fährt zu meiner linken Armbeuge und streichelt über die vielen kleinen Narben. Einstiche … Mir entgeht der giftige Blick der Alten nicht. Ich weiß, was sie denkt, was jeder denkt, der die kleinen Löcher sieht.
„Es sind Einstiche von Insulinspritzen“, presse ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor. Als ich hochblicke, streckt mir die alte Frau zwei Plastikbehälter entgegen. Sie hat den Anstand zu erröten, während sie murmelt: „Ausnahmsweise …“ Ich drücke auf die Shampoo Dose, nehme mir nur ein wenig und massiere die cremig Flüssigkeit schnell in mein Haar ein. Dann bediene ich mich ein wenig von dem Duschgel und reiche ihr beides dankend zurück. Lange lasse ich das wohltuende Wasser auf meinen Körper rieseln, bevor ich mich dazu aufmachen, meine üblichen Bahnen zu schwimmen. Ich vergesse die Welt, spüre nur das Wasser auf meiner Haut, atme ein und aus.
Als ich aus dem Becken steige, ist mein Körper erschöpft vom stundenlangen Schwimmen. Doch es ist eine angenehme Müdigkeit, die ich mir verdient habe. Erneut stelle ich mich unter die Dusche, bediene mich schnell an verlassenem Duschzeug, wasche mich ausgiebig und versuche, nicht an die Zeit zu denken, in der meine Haut wochenlang keinerlei Kontakt mit irgendeiner Art Seife hatte. Automatisch wandern meine Gedanken zu meinem Aufbruch. Wie lange kann ich noch in dieser Stadt bleiben, ohne entdeckt zu werden? Ich schüttle die dunklen Gedanken ab. Endlich habe ich einen kleinen Job als Haushälterin gefunden. Ein paar Mal möchte ich ihn machen. Das Gefühl von einem Hauch Gewohnheit und Alltag kosten. Ein wenig Geld für schwarze Tage zusammenkratzen.
Ein heiseres Lachen erreicht meine Ohren. Angereichert von Hohn und Unglauben über meine Dummheit. Es ist meine eigene Stimme und ja, es ist lächerlich. Wenn meine Tage noch schwärzer werden, würde ich wieder angekettet in dem sterilen Zimmer liegen. Ich glaube, den Druck der Lederbänder um meine Arm- und Fußgelenke spüren zu können. Kräftige Hände die mich nach unten drücken und ein Stich in meiner Armbeuge, der mich in die bedrohliche Dunkelheit des Nichts schickt. Ich schüttle die Gefühle ab, die Gedanken, baue eine Mauer um die dunkle Verknotung in meiner Seele, trockne mich ab, ziehe mich an und föhne mein Haar.
Ein letzter Blick in den Spiegel und auf geht es, frisch gewaschen, in ein neues Leben.
Die Adresse, die man mir am Telefon genannt hat, führt mich zu einem Gebäudekomplex. Ein riesiges Haus, mit Mittelklasse Apartments. Sarah und Achim Steinbaum, lese ich auf der Klinge und drücke sie.
„Wer ist da?“, ertönt eine flötende Frauenstimme.
„Nadja Maurer. Wir haben telefoniert wegen der Stelle als Haushaltshilfe“, erwidere ich und packe so viel Honig wie möglich auf meine Stimmbänder.
„Ah, Nadja, kommen Sie hoch! Wir sind im fünften Stock.“ Ein Surren erklingt und ich steige die Treppen hoch, den Fahrstuhl keines Blickes würdigend. Meine Knie sind weich, als ich eine Stufe nach der anderen erklimme. Was soll ich sagen, wenn sie mich nach meinen Ausweis fragen? Wenn sie Zeugnisse haben wollen oder Empfehlungsschreiben? Mein Herz klopft unrhythmisch, als ich oben ankomme.
„Sie hätten doch den Fahrstuhl nehmen können!“, sagt die Stimme aus der Sprechanlage vorwurfsvoll.
„Jeder Schritt fördert den Herzschlag und stärkt die Lungen. Außerdem sind Treppen gut für den Hintern“, witzle ich und gehe mit ausgestreckter Hand der blonden Frau entgegen. Sie sieht nicht älter aus als 33 und ihre Lippen wölben sich zu einem zustimmenden Bogen. Ihr Blick gleitet von meinen alten Turnschuhen, über meine verwaschene Jeans zum einfachen T-Shirt. Nicht modisch, dafür aber sauber. Sarah lässt mich in die Wohnung und ich erkenne auf den ersten Blick, dass sie wirklich Hilfe braucht. Wollmäuse rennen über den Flur, wirbeln Zentimeter dicken Staub auf. In der Küche türmt sich ein Berg Geschirr und über das Bad verliere ich besser kein Wort.
„Ist die Wohnung noch zu retten?“, fragt Sarah, während sie mit geröteten Wangen auf ihre frisch lackierten Nägel blickt. Pink mit weißen Blümchen und Glitzer.
„Natürlich, in drei Stunden ist alles wie neu und die Wäsche gewaschen“, erwidere ich lächelnd.
„Können Sie zwei daraus machen? Ich zahle auch für drei.“ Ich nicke immer noch lächelnd.
„Gut, hier haben Sie die Schlüssel. Die Waschmaschine ist im Keller, die dritte von links. Sie können sie nicht verfehlen.“ Sie drückt mir Schlüssel in die Hand und sagt: „Ich habe einen Termin beim Friseur hier um die Ecke. Ich bin in zwei Stunden wieder da.“ Kaum habe ich ungläubig die Schlüssel entgegengenommen, winkt sie und geht in ihren pinken Pumps zum Fahrstuhl.
Ich werfe einen Blick auf die Digitaluhr an der Wand und mache mich an die Arbeit. Zuerst hieve ich den Wäscheberg in den Keller. Die Maschine ist wirklich leicht zu finden. Pink mit einer dicken Staubschicht, aber niegelnagelneu. Kein Waschpulver hat diese Maschine je berührt. Ich stopfe die Hälfte hinein und stelle auf Kurzwaschgang. Vielleicht schaffe ich so zwei Wäschen in zwei Stunden. Dann renne ich wieder die Treppen hoch. Der Geschirrspüler wird eingeräumt, der Boden freigeräumt. Das Summen eines noch nie benutzen Staubsaugers erfüllt das Apartment, bevor ich mich über Toilette, Bad und den Boden mit einem Wischmobb hermache.
Nach zwei Stunden ist die zweite Wäscheladung im Trockner, das Geschirr eingeräumt und die Fliesen blitzten. Sarah kommt pünktlich, nickt zufrieden und drückt mir einen Fünfziger in die Hand. Mein Herz klopft und ich lächle, als sie sagt: „Danke für Ihre Arbeit. Kommen Sie nächste Woche um die gleiche Zeit.“ Mein Herz hüpft vor Freude, als ich die Treppen hinunterstürme. Ich habe einen regelmäßigen, gut bezahlten Job! 100 Euro an einem Tag!
Sollte jede Woche so laufen, habe ich im Monat 400 Euro. Wenn ich sparsam bin, kann ich normal leben und fünfzig bis hundert Euro im Monat beiseitelegen. Wenn Sarah mich ihren Freunden empfiehlt, kann ich vielleicht ein kleines Zimmer anmieten in einer WG. Verträumt lächle ich, als Sirenen mich grausam aus meinem Tagtraum reißen. Die Polizei! Mein Körper verkrampft sich und ich muss mich zwingen, nicht zu rennen. Sie sind nicht hinter dir her, spreche ich mir zu und kralle mich an meinem kleinen Traum fest. Presse meine verfluchten Lippen aufeinander, bis das Blut aus ihnen weicht, dann finden meine Zähne meine Unterlippe und ich beiße zu, als der Polizeiwagen direkt an mir vorbeifährt.
Wie sehr ich meine Lippen hasse, meinen Mund … als ein leises Wimmern ihm entflieht. Ja, ich habe mich damals selbst verraten, mein Geheimnis geteilt und bin dafür bestraft worden. Du kannst niemandem vertrauen, keift eine innere Stimme tief in mir, als ich mich selbst verfluche. Ja, ich kann niemandem vertrauen, vor allem nicht mir selbst. Ich balle die Hände zu Fäusten, als ein Mann an mir vorbeigeht und für wenige Sekunden sein Dreitagebart nicht nur das Kinn bedeckt, sondern sein ganzes Gesicht einem Urwald gleicht. Ich schüttle den Kopf und schreite an ihm vorbei, als würde ich kein haariges Monster sehen. Als wäre ich wie jeder andere Mensch auf dieser Straße, in dieser Stadt und auf dieser Welt. Als wäre ich normal.
Während ich zu dem Schließfach mit meiner schwarzen Tasche gehe, weiß ich doch, dass ich nicht normal bin und die Nadeleinstiche, die mich für immer als das markieren würden, was ich bin, jucken. Ich bin eine Verrückte.
Der Park, den ich für meine nächtliche Ruhe auserkoren habe, ist ruhig. Ich bin oft hier und kenne die Anlage in- und auswendig. Die vielen Büsche sind ein Schlaraffenland nicht nur für Obdachlose, wie mich. Mehr als einmal habe ich, auf der Suche nach dem perfekten Schlafplatz, das ein oder andere Pärchen beim wilden Liebesspiel aufgeschreckt. Der riesige See ist ein besonderer Bonus, der mich mit dem Gefühl, auf einer Campingtour zu sein, einschlafen lässt. Mir die Illusion schenkt, dass ich, freiwillig das Abenteuer suchend, Spaß habe beim Outdoor schlafen.
Meine Augenlider fallen zu, als mein Kopf den Boden berührt. Der Reisverschluss meines Schlafsackes ist offen, meine Hand umklammert das Butterflymesser und das Pfefferspray liegt lose in meiner Hosentasche. Das Gestrüpp, das ich mir als Schlafplatz ausgesucht habe, sollte mich vor neugierigen Augen schützen. Ich habe mich schon unbequemer gebettet. 90 Euro sind an meinem Körper an verschiedenen Stellen verteilt. BH, Höschen, Socken und Hosentaschen.
Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht hätte ich meinen Badeanzug und mein Handtuch nicht zum Trocknen übers Gebüsch hängen sollen. Vielleicht ist es einfach nur Pech und ich ziehe sie an wie das Licht die Motte. Was auch immer es ist, als eine Hand über mein Haar streichelt, weiß ich, ich habe zu fest geschlafen. Meine linke Hand umschließt die Pfefferspraydose. Die rechte befreit mit einer schwungvollen Bewegung die scharfe Klinge meines Messers aus ihrer Schlafstellung. Ich halte still, öffne langsam die Augen und sehe drei Schatten. Einer hockt neben meinem Kopf, zwei entlang meines Schlafsacks. Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Sie riechen nach Alkohol und Drogen. Mir bleibt nur das Überraschungsmoment.
Ich bleibe bewegungslos, höre die drei Besoffen lallen. Ihre Worte dringen nicht zu meinem Gehirn vor. Mit einer schnellen Bewegung werfe ich den Schlafsack von mir, kneife die Augen zusammen und halte die Luft an, während ich den schweren Knopf an meinem Spray hinunterdrücke. Ich höre Schreie, rolle mich zur Seite, stehe auf und sprinte los. Hände krallen sich in mein Haar, zerren so fest, dass ich aufschreie und nach hinten falle. Ich lande auf dem Rücken und spüre, wie sich etwas Schweres auf mich hievt.
„Halt die Schlampe fest!“, höre ich eine gequälte Stimme, bevor das Reißen von Stoff mein ganzes Wesen einnimmt. Kühler Nachtwind streichelt über meine nackte Haut. Ich schlage um mich, versuche, das Gewicht von mir zu werfen, und stemme meine Hüfte hoch. Mein Messer ist mir aus der Hand gefallen und ich spüre, wie die Klinge in meine Seite eindringt, als ich mich winde. Hände packen meine Arm- und Fußgelenke.
„Das wirst du büßen, du Drecksstück!“, zischt eine verheulte Stimme. Saurer Geruch von Erbrochenem steigt mir in die Nase, als Hände gierig über meinen Körper gleiten, drücken und kneten. Ich beiße mir auf die Lippe, bis ich Blut schmecke, schließe kurz die Augen, bevor ich ein Stöhnen aus meinem Mund presse.
„Das scheint dem Flittchen zu gefallen“, lallt einer und lacht glücklich. Ich zwinge die Worte wie Gift über meine Lippen: „Oh, ja! Mehr! Ihr macht mich geil. Drei harte Männer. Wer will mich zuerst ficken?“ Es herrscht Stille, die Männer halten die Luft an, die Hände zucken vor mir zurück.
„Wer von euch hat den längsten? Ich brauche einen richtigen Schwanz!“, würge ich hervor. Die Hände, die meine Armgelenke umklammert hielten, wandern von meinem Hals zu meinen Brüsten und kneten sie. Während ich lauter stöhne, tastet meine Hand zu dem Messer, das sich in meine Seite gebohrt hat. Meine andere Hand fährt zu dem Gesicht des Mannes, streichelt seinen Hals.
Die anderen machen sich zwischen meinen Beinen zu schaffen. Auch meine Fußgelenke sind frei, während beide an mir rumfingern. Dann habe ich sie gefunden: die Halsschlagader. Mit einem Schwung ziehe ich meine scharfe Klinge über die Kehle, spüre wie warmes Blut auf mich heruntertropft. Der besoffene Perversling kann nur noch leise gurgeln.
Ich trete nach dem Mann zwischen meinen Beinen und ziehe das Messer über den Körper des anderen. Sie schreien auf, lassen kurz von mir ab. Das Messer immer noch umklammert springe ich auf und renne zum See. Mit einem Kopfsprung bin ich im Wasser und schwimme mit aller Kraft, die mein zitternder Körper hergibt. Meine rechte Hand umklammert immer noch das Messer. Alles um mich herum ist schwarz. Doch es ist mir egal, ich schwimme immer weiter, weiß nicht mehr, wo oben und wo unten ist.
Etwas schlingt sich um meinen Körper und zieht mich hinab in die Tiefe. Wasser dringt in meine Lungen, als mich plötzlich das Nichts umgibt. Ich werde in der Leere, in der nichts existieren kann, zusammengepresst. Weder schwarz noch weiß. Nichtexistent. Ich falle und fliege gleichzeitig, löse mich auf, als das Nichts mich erreicht. Nur noch ein Kern von mir existiert, alles, was mich ausmacht, auf einem Atom zusammengepresst, explodiere ich, dehne mich wie ein Luftballon aus.
Mein Körper schreit vor Schmerzen, ich schlage um mich und spüre statt Wasser, kleine Steine unter meinen Fingern. Ich schlage die Augen auf, als heiße Sonnenstrahlen mich begrüßen. Mein Kopf schmerzt und meine Seite brennt. Ich liege nackt an einem Ufer. Bin ich ohnmächtig gewesen? Husten schüttelt meinen Körper, als ich würge und schmutziges Wasser sich aus meinen Körper presst. Mit müden Muskeln ziehe ich mich aus dem Wasser. Zitternd sitze ich nackt am Ufer. Habe nichts außer Socken an.
Verflucht! Meine ganzen Sachen sind irgendwo an diesem riesigen See und ich bin nackt am helllichten Tag. Ich zittere, als die Erinnerung an die Hände auf meinem Körper mich überwältigt. Wütend wische ich mir aufsteigende Tränen aus den Augen. Ich habe zwei mit dem Messer verletzt, einen vielleicht getötet. Unbewusst fährt meine Hand zu der Wange, auf die das warme Blut geflossen ist. Die Polizei wird die Ufer absuchen. Mein Körper verkrampft sich. Ich kann nicht zurück in die Anstalt. Egal was ich sage, ob es nun Notwehr war oder nicht, sie werden mich in eine Gummizelle sperren und nie wieder rauslassen.
Ein leises Wimmern entflieht meinem Mund. Ich zwinge meine Augen auf und versuche die Gegend abzusuchen. Vielleicht gibt es hier Camper, ein herumflatterndes Handtuch. Ich könnte sagen, dass mein Ex meine Kleider geklaut hat. Oder das ich Opfer eines grausamen Streiches meiner Klassenkameraden geworden bin. Wehmütig streife ich meine nassen Socken ab und vergrabe sie mit den vierzig Euro neben einem seltsamen Gebüsch. Die Blätter sind lila auf der oberen Seite und weiß auf der unteren. Noch nie habe ich solch eine Pflanze gesehen. Ich sammle fünf Steine und lege sie in X Form aneinander.
Dann husche ich von Gebüsch zu Gebüsch. Schaue mich um und sehe nichts Bekanntes. Keine Menschenseele. Die Sonne prallt erbarmungslos auf meine entblößte Haut. Ich schaue mich um, weit und breit ist nichts zu sehen. Kein Haus, keine Bäume. Eine Art Sumpf breitet sich vor mir aus, erinnert kaum an den See, an den ich mich gestern Nacht hingelegt habe. Wo bin ich nur gelandet? Habe ich es nicht geschafft? Bin ich in dem See ertrunken und in der Hölle angekommen? Meine Glieder werden schwer, jeder Schritt kostet mehr Kraft, als ich aufbringen kann. Dann falle ich und schlage hart auf dem Boden auf, verliere kurz das Bewusstsein, als ich ein Summen höre. Flackernd heben sich meine Augenlider und ich blicke in braune Augen, fast golden leuchtet in ihnen die Sonne.
Dann sehe ich eine Uniform. Schwarz und unbekannt, aber definitiv eine Uniform. Ich zucke zurück, versuche mich aufzurappeln und zu rennen. Der Mann in Uniform stößt Laute aus, die ich nicht verstehe. Ein verzweifelter Schrei baut sich in meiner Kehle auf und verlässt meinen Mund. Ich sehe ihn mit geweiteten Augen zurückweichen. Dann tauche ich ab in der Dunkelheit. Sie ist beruhigend, umfängt mich wie die Arme einer Mutter. Sie ist wohltuend und schmerzlindernd. Ich wünschte, ich könnte für immer in ihr bleiben. Doch irgendwo lauert das Nichts. Wartet darauf mich zu verschlingen.
Ein leises, stetiges Biep-Geräusch weckt mich. Ich halte die Augen geschlossen. Seltsame Laute, die ich nie zuvor gehört habe, ergeben doch einen Sinn.
„Wo kommt sie her? Im Sumpfgebiet lebt schon lange keiner mehr!“
„Laut Johwa ist sie vor drei Tagen aufgetaucht.“
„Wo war sie vorher?“
„Keine Ahnung. Sie ist in dieser Welt einfach aufgetaucht, wie Venus dem Meer, ist sie dem Matsch entstiegen.“
„Ist sie gesund?“
„Johwa hat ihre DNA für gut befunden. Nein, für ausgezeichnet.“
„Wie kann das sein? Der Sumpf ist verseucht. Ich war derjenige, der sie gefunden hat!“
„Sie war vermutlich nicht lange dort.“
„Kann sie in das Volk integriert werden?“
„Besser! Sie ist eine Eva.“ Jemand zieht scharf die Luft durch seine Zähne. Was ist eine Eva? Frage ich mich und versuche weiter gleichmäßig zu atmen. Wo bin ich? Ich kämpfe gegen den Drang an, meine Augen zu öffnen.
„Wir haben genug Evas. Das Programm läuft bereits. Jetzt einen Fremdkörper einzuschleusen …“
„Das Programm läuft, weil wir keine passende Eva gefunden haben. Es ist Plan B. Aber mit ihr … Johwas Entscheidung ist Gesetz.“ Ich spüre eine Wärme auf meiner nackten Haut. Wie tausend kleiner Glühwürmchen schwärmen sie über meinen ganzen Körper. Es ist angenehm, beruhigend. Doch dann sammeln sie sich alle an einer Stelle über meinem Herzen und meine Haut brennt, als würde mir jemand glühendes Eisen zwischen meine Brüste drücken. Ich reiße die Augen auf und schreie. Dann ist alles dunkel und ich gleite dankbar in die Bewusstlosigkeit, auch wenn das Nichts mir auf den Fersen ist.
Ein leises Summen, eine fröhliche Melodie weckt mich. Meinen Lippen entsteigt ein leises Stöhnen, das begleitet wird von dem Geraschel von Seide. Das Summen erstirbt und türkisblaue Augen blicken mich neugierig an. Ich zucke zurück, mein Blick gleitet über einen luxuriös eingerichteten Raum. Ich liege auf einem riesigen Bett mit seidener Bettwäsche. Eine Kommode mit Schmuck und einem weißen Spiegel stehen dem Bett gegenüber. Der Boden ist dunkel. Aus welchem Material, kann ich nicht sagen.
„Sind Sie wach, Madam? Es wird auch Zeit. Die Herrschaften warten auf Sie.“ Mein verwirrter Blick scheint sie zu verstören. Sie trägt ein schwarzweißes Kleid und alles an ihr schreit Zimmermädchen.
„Oh, entschuldigt!“ Ihre Wangen werden rot, sie tritt vom Bett weg, macht einen Knicks und stellt sich vor: „Willkommen im Paradies, Madam. Mein Name ist Lilly und ich werde mich während Ihres Aufenthaltes um Sie kümmern.“ Sie blickt hoch und lächelt mich erwartungsvoll an. Meine Erinnerung kommt langsam zurück. Der See, die Männer, das Blut und das Brennen auf meiner Brust. Ich renne zum Spiegel, reiße das dünne Gewandt von meinem Körper. Eine kleine Narbe, kaum zu sehen, an meiner linken Seite. Sie ist neu. Meine Finger tasten zitternd nach den Unebenheiten an meinem linken Arm. Sie sind da. Dann wandert mein Blick von meinen nackten Füßen, über meine Beine, den Bauch hoch und bleibt direkt über meiner Brust hängen. Bräunlich starren mit drei Buchstaben und zwei Ziffern entgegen: EVA 00.
Man hat mich wie Vieh gebrandmarkt! Sie haben mich wieder eingefangen, mir ihre Drogen verabreicht und ich bin wieder gefangen in einer Welt zwischen Traum und Realität. Ich schreie und weine, kratzte über das Zeichen bis Blut fließt. Dann legen sich Arme um mich. Ich wehre mich, kratze, beiße und trete, bis ich Blut schmecke. Doch die Arme halten mich fest, tun mir aber nicht weh. Als ich aufhöre, um mich zu schlagen, höre ich ein leises Summen und eine kleine, sanfte Hand streichelt mir über den Kopf. Ist es eine neue Behandlungsmethode? Ich halte still, lauere wie eine Klapperschlange darauf, dass die Hände von meinem Kopf zu meinen Brüsten wandern, vielleicht gleich zwischen meine Beine.
Doch das Summen verstummt nicht und die Hand bleibt auf meinem Kopf, streichelt zärtlich über mein Haar. Ich blicke in den Spiegel und sehe mich mit zerrissenen Kleidern in den Armen einer Frau. Mit geschlossenen Augen summt sie weiter, wiegt mich wie ein Kind im Arm. Eine Strähne ihres goldenen Haares hat sich aus ihrem strengen Dutt gelöst und fällt weich von ihrer Wange zu ihrem Kinn. Sie ist zu schön, um real zu sein. Ich schließe ebenfalls die Augen, verdränge das Bild von mir, der Frau mit den wilden Augen voller Angst, und weine. Weine um Lilly, die nur eine Ausgeburt meiner Phantasie ist. Und weine um die Falschheit der Geborgenheit, die sie mir gibt. Es ist alles nicht real, denke ich und gleite wieder ab in die Dunkelheit.
Ein leises Weinen weckt mich dieses Mal.
„Beruhig dich, Lilly! Es ist nicht deine Schuld. Wenn jemand schuld ist, dann bin ich es. Ich hätte sie besser vorbereiten sollen, ihr erklären, wo sie sich befindet.“ Die beruhigenden Worte helfen nicht. Lilly weint nur noch mehr. Ein leiser Laut, der mein Herz erweicht und es in zwei bricht. Ich öffne die Augen und taste nach der zarten Hand. Lillys Finger versteifen sich und mit tränennassen Augen blickt sie mich an und schnieft: „Es tut mir so leid, Madam. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Es tut mir so leid.“ Ein Zittern geht durch ihren schmalen Körper und ich muss an einen kleinen, zarten Vogel denken, der traurig in einem Käfig sitzt.
„Es ist meine Schuld. Lilly hat nach bestem Wissen gehandelt. Ich hätte Sie erst aufklären sollen und nicht einfach ins kalte Wasser werfen. Lassen Sie mich bei null anfangen. Willkommen im Paradies. Mein Name ist Michael Serfil und ich bin der Exekutiv Chief dieses exzellenten Programmes.“ Meine Augen fokussieren sich auf den weißen Anzug des Mannes und ich weiß, wo ich bin.
„Ich bin nicht krank!“, presse ich hervor und blicke mich nach Fluchtmöglichkeiten um, „ich brauche weder Beruhigungsmittel, Psychopharmaka noch irgendwelche anderen Drogen.“
„Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Laut Johwa sind Sie nicht nur gesund, sondern mit einer idealen DNA beschenkt. Wir sind überglücklich, Sie gefunden zu haben.“
„Ich bin nicht krank!“, schreie ich erneut und als er mir erneut zustimmt, kommt die Bedeutung seiner Worte bei mir an. Ich blicke an mir herunter und bemerke, dass mein Nachthemd zerrissen ist und meine Brüste ihm entgegenstarren. Schnell bedecke ich mich, während meine Wangen wie Lava glühen.
„Ihr Erscheinen ist für uns genauso überraschend, wie Ihr Erwachen hier für Sie es sein muss. Doch wir sind dankbar. Noch nie war Johwa sich über eine Kandidatin so sicher, wie bei Ihnen. Sie sind geboren, um eine Eva zu sein!“ Seine Augen glitzern aufgeregt. Ich besehe ihn mir näher. Sein Haar ist schneeweiß wie sein Anzug, seine Augen blau wie der Himmel. Ich kann ihm kein Alter geben, er sieht zeitlos aus.
Eine kleine Hand legt sich über meine und ich lasse locker. Ich habe nicht bemerkt, dass ich Lillys Hand fest gedrückt habe. Sie hat sich nicht beschwert und blickt mich mir großen, leuchtenden Augen an. Mein Blick fährt ihre zarten Wangenknochen entlang, über ihre delikate Nase, ihren schmalen Hals zu ihrem Arm. Rote Bissspuren bedecken ihre helle Haut. Sie blutet noch an ein paar Stellen. Ich wende meine Augen ab. Die Gewalttätigkeit meines Auftritts ist mir plötzlich unendlich peinlich.
Ich zwinge meinen Blick zu ihren Augen und ich bitte sie um Verzeihung: „Es tut mir leid … ich wollte dir nicht wehtun …“ Meine Stimme ist brüchig. Anstatt mir Vorwürfe zu machen, sieht sie mich liebevoll an. Ich ertrage ihren Blick nicht und wende mich ab, fokussiere meinen Augen auf den Mann in Weiß.
„Sind Sie der behandelnde Arzt?“, zische ich. Er blickt mich verständnislos an.
„Selbst ein Psychen-Verdreher muss doch sicher Erste Hilfe leisten können.“ Als er mich immer noch verdutzt anschaut, schreie ich: „Sie blutet! Desinfizieren Sie die Wunde und machen Sie ein Verband drum, bevor sie sich entzünden kann!“
„Oh!“, entfährt ihm und Verständnis leuchtet in seinen Augen auf. „Ich bin kein Arzt. Ich bin Programmierer. Aber ich denke, ich kann helfen.“ Er krempelt seinen linken Ärmel hoch, tippt auf etwas herum, das wie eine riesige Uhr aussieht, geht auf Lilly zu und hält das Display über ihre Wunde. Ein Licht scheint von der Uhr, legt sich auf Lillys Arm und tastet sich ihrer Haut entlang. Dort, wo es war, bleibt rosige Haut zurück, keine Spur von Blut, keine Wunden oder Narben sind zu sehen. Ich weiche zurück und kann einen erstickten Schrei nicht verhindern.
„Das hier ist keine Zauberei. Es ist moderne Technik. Ein Laser dringt in die Haut ein, beschleunigt den Heilungsprozess und unterstützt die Regenerierung der Zellen.“ Ich nicke abwesend.
„Bereits vernarbte Haut kann er leider nicht regenerieren. Aber wir könnten einen guten Chirurgen für Sie finden, der eine Hauttransplantation vornimmt, wenn Sie es wünschen.“ Ich schüttle wild den Kopf. Wo zum Teufel bin ich und wer ist dieser Freak?
„Nun, für jemand Wildes, ist es sicher nicht einfach, das alles hier zu verarbeiten. Es ist aber auch eine große Chance Ihr Adaptionspotential zu beweisen und im Rang der Evas aufzusteigen. Daher würde ich Sie bitten, sich von Ihrer Kammerzofe vorzeigbar machen zu lassen. Wir werden heute das Treffen auf die Adams beschränken. Die anderen Evas, werden Sie morgen kennenlernen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.“ Dann tritt er aus der Tür, die surrend in der Wand verschwindet, um direkt wieder herauszuschießen.
„Lassen Sie uns hurtig beginnen, Madam!“, sagt Lilly und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Es tut mir leid, Lilly. Ich dachte … ich wollte nicht …“, stottere ich unbeholfen. Lilly kann nichts für meine Lage. Sie tut sicher nur ihren Job … wenn sie real sein sollte.
„Nein, es tut mir leid. Ich habe Sie erschreckt, Madam. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Sie steht auf und sagt: „Wenn Sie sich auf den Stuhl vor der Kommode setzen, können wir Ihr Kleid auswählen, uns eine Frisur überlegen und den passenden Schmuck aussuchen. Ihr erster Auftritt muss ihnen die Schuhe ausziehen.“ Auch wenn ich nicht weiß, wem ich die Schuhe ausziehen soll, stehe ich gehorsam auf und setzte mich. Lilly drückt ein paar Knöpfe an der Wand, ein großer Teil verschwindet, zieht sich in sich selbst zurück, wie eine elektrische Schiebetür. Ein Arsenal an Kleidern, farbig geordnet, kommt zum Vorschein. Wie ein gelernter Modedesigner kommentiert Lilly mein Aussehen und was dazu am besten passt.
Als ich vor dem Spiegel stehe, traue ich meinen Augen nicht, fühle mich leicht wie ein Schmetterling. Meine rechte Schulter ist entblößt, doch weißer Stoff bedeckt meine Brust, verläuft quer hoch zu meiner linken Schulter. Während mein rechter Arm nackt ist, zieht ein dünner, durchsichtiger Stoff sich über meinen linken, verdeckt alle kleinen Narben. Den Ansatz meiner wilden, dunkelbraunen Locken hat Lilly kunstvoll auf der rechten Seite so geflochten, dass während der rechte Teil meines Halses vollkommen entblößt ist, meine Locken über meine linke Schulter fließen.
Der weiche Stoff des Kleides schmiegt sich eng um meine Brust. Ein grün-gold verziertes Band ringelt sich direkt unter meinem Busen. Von dort fließt der Stoff frei meinem Körper entlang. Durchsichtiges Grün wechselt sich mit weißer Seide ab, lässt hier und da Rundungen erahnen, gibt jedoch nichts preis.
Meine dunkle Haut wirkt wie Karamell. Meine mandelförmigen Augen hat Lilly mit wenig Lidschatten so betont, dass ich aussehe wie eine Elfe. Meine Hände fahren zu meinen Ohren und tasten nach Spitzen, finden jedoch nur Rundungen. Kleine, grüne Steine, ich bete, dass es keine echten Smaragde sind, schmiegen sich an die Form meines rechten Ohres, während hauchdünne goldene Ketten herunterhängen und fein auf mein Schlüsselbein auflegen, sich wie eine Schlange um meinen Hals ringeln und zu einem feinen Armreif winden,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sabina Schneider
Bildmaterialien: Sabina Schneider
Tag der Veröffentlichung: 16.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3806-5
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