Ich sitze auf einem Podest,
auf das ich erst neulich gehoben wurde. Und werfe der hungrigen Meute.
Das Leben vor.
Verknote meine Worte zu einem Rettungsseil, an dem ich mich, so weit vom Boden, nach unten hangeln und warten könnte.
Wenn ich es denn bräuchte.
Noch aber hat es niemand gemerkt. Noch hängen sie an meinen Lippen, als wäre tief unter ihnen die
tötende Schlucht.
Noch stöhnen sie ihre Ahs und Ohs und ich ziehe dabei verwegen
die Winkel meines Mundes zu einem geschwungenen U.
An den Fensterscheiben prasselt bunter Regen.
Aber hier drinnen wird niemand nass.
Ein Mann in der Mitte fragt nach meinem Warum.
Ich lege den Kopf leicht zur Seite. Streiche mit der Hand durch mein geglättetes Haar.
Ein Kleiderständer raschelt im Hintergrund.
Das Glöckchen an der Ladentür verkündet hell das weitere Glück für.
Jeden.
Ich vergrabe mein Gesicht in den Bücherseiten. Nach dem Warum wurde ich ja erst neulich gefragt.
Eine Frau aus Chitin saß mir daheim gegenüber.
Die Brille leicht schräg auf der Nasenspitze. Der Körper tief unten im Samtbezug. Das feuchte Haar lag kraus
in die Stirn gekämmt.
Ganz in schwarz.
Ein Stift.
Ein Papier.
Ein Warum. Wiederholte die zähe Gestalt, während ihre Borstenfinger Halt in die Lehnen krallten. Sie
sich langsam aus der Falle zu hieven begann. Bis das Hinterteil aus dem Sesselschlund gezogen, sich stolz
auf der Sesselkante thronte.
Schwarz und klebrig.
Aus dem Stift schossen Fäden.
Gleich hat sie mich.
Ich sah dabei zu und überlegte noch.
Da saß sie ganz nah an meinem Gesicht. Und ich konnte ihren Atem riechen.
Roch ein modriges W aus dem Rauch letzter Nacht. Schmeckte ein Gin getränktes A auf meinen Lippen.
Spürte eine verschwitzte Sekunde zwischen dem R und dem U. Ihr M lag verdreckt auf meiner
Wange. Zurückgelassen ein sprachloses Fragezeichen.
Da gab ich ihr das warum, das sie wollte.
Über mich aber sprachen wir nicht.
Der Mann ist mittlerweile lautlos nach vorne getreten.
Tropft nass. Und klopft. 1, 2. Gegen mein Mikrofon.
Ich knüpfe die Enden meines Rettungsseils. Der bunte Regen färbt außen die Fenster. Und Peitscht.
Doch solange der Rahmen die Form behält, kann der Sturm im Innern keinen Schaden anrichten.
Er grunzt etwas in mein Mikrofon, auf Zehenspitzen stehend, vor meinem Podest. Ich schalte ihn ab. Er
wird abgeführt. Schreiend. Ich blicke ihm nach. Es ist ruhig. Ich sehe die Meute beruhigt. Ich weiß, sie
hat Angst vorm Gewitter.
Sie blickt an und schwenkt ihre Kiefer,
möchte nun gern, dass es weitergeht.
Und so gehe ich weiter. Hinaus aus dem Laden, an dessen Rückwand mein Haar unter Lampen glänzt.
Gehe weiter durch Straßen. Bis zum Halse gestopft. Durch verrauchte WGs und Emotionen.
Gehe weiter in Bars und Begegnungen. Drehe mich mit ihr um mich um den Kreis.
Nehm sie mit
zum sich Treiben lassen.
Auf der Zeit.
Zufrieden blickt die Meute von meinen Lippenbergen
auf das Verlorensein einer Generation.
Dass da draußen der Sturm tobt, erzähle ich nicht. Sie weiß, sie hat Angst vorm Gewitter.
Und als das letzte Wort dann schließlich gelesen ist,
verbeuge ich mich.
Der Raum applaudiert.
Immer lauter.
Ich neige den Kopf und zeige mein U
auf jedem Foto.
Und lauter.
Während ich Hände wie Türklinken drücke,
schleicht nur mein Blick hinüber zum Fenster.
Und sieht den Regen dort
toben.
Immer wilder.
Die ersten alten Bäume sind schon zu Fall gebracht.
Noch aber hat es niemand gemerkt.
Denn hinter Glas ist nur das Klatschen zu hören.
Noch aber hat es niemand gemerkt.
Dass ich nicht die Stimme des Sturmes bin.
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2014
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