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Henry

Ich saß an der Straßenecke vor unserem Haus und paffte eine Zigarette. Ich war elf, gerade geworden, und fühlte mich bereit für die weite Welt dort draußen.

Zuhause hielt mich auch nicht viel. Meine Schwester, 14 Jahre alt, erwartete ihr erstes Kind. Und es gab nur Ärger, seitdem. Seitdem sie eines Nachts sturzbetrunken in das Schlafzimmer meiner Eltern torkelte, sich plärrend auf deren Bettkante setzte und gestand. Diese eine Nacht. Mit dem Nachbarsjungen.

Seit dieser Nacht redeten meine Eltern nicht mehr allzu viel, weder mit mir noch mit sonst irgendjemanden. Sie sperrten mich ein, in mein Zimmer, aus Angst, auch ich könne eines Tages nach Hause torkeln. Sturzbetrunken. Zur Bettkante meiner Eltern. Und gestehen.

Nur ab und an ließen sie mich hinaus, ließen mich eine Runde laufen, wie einen räudigen alten Hund, dem man, nach Tagen der Isolation, noch etwas frische Luft gönnen möchte.

Auch an diesem Tag wäre es mal wieder Zeit gewesen für eben solch einen Rundgang. Doch stattdessen setzte ich mich, wie immer, an die Straßenecke und beobachtete Henry, unseren Nachbarsjungen, der im Garten arbeitete. Er war groß, verschwitzt und gerade 16 und wie jedes Mal, wenn ich Freigang hatte, wartete ich auf unser Geheimzeichen, einen kleinen Wink mit Henrys rechter Hand. Und Henrys Hand winkte. Auch an diesem Tag.

Nach einem kurzen Blick in meine Richtung verschwand er dann. Hinter dem Haus seiner Eltern. Ich drückte den Zigarettenstummel auf dem Gehweg aus und blickte um mich. Dann machte ich mich ebenfalls auf. Vorsichtig. Durch den Garten seiner Eltern, vorbei an gehacktem Holz und frischgepflanzten Blumen. Ich erreichte sein Haus, sah mich noch einmal um und bog dann um die Ecke. Hinter das Haus. Wo Henry bereits wartete.

Zwei Wochen später betrank ich mich.

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Tag der Veröffentlichung: 31.07.2014

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