Endlich war es soweit: die letzten Besucher verließen die Grabkammer von Maes Howe und das Besucherzentrum wurde abgesperrt.
„Wieso habe ich mich nur auf diese dämliche Wette eingelassen!“ flüsterte ich, als ich mich Richtung Eingang schlich. Die Sonne war gerade untergegangen und das Steinzeitgrab lag im Schatten. Vorsichtig stieg ich über das Tor und huschte die restlichen Meter zum Eingang. Hatte sich da in der Dunkelheit des Grabes nicht etwas bewegt? Puh, nein, das war nur ein Schatten.
„Ich hätte mir gestern vielleicht doch lieber nicht ‚Die Mumie’ anschauen sollen.“
Behutsam kroch ich in den niedrigen Gang der zur Grabkammer führte.
„Autsch!“ Fuck, war der Gang niedrig.
Endlich war ich in der innersten Kammer. Ich suchte mir eine Ecke, legte meinen Rucksack neben mich und wickelte mich in meine Decke.
Nach einer Stunde wurde mir langsam kalt und meine Beine waren bereits eingeschlafen. Stöhnend setzte ich mich anders hin.
„Wie konnte ich mich nur auf so eine blöde Wette einlassen!“
Meine Freundin Katya und ich waren bei Katyas Oma auf Besuch, die auf den Orkney Inseln lebte. Ihre Oma war echt cool, sie zeigte uns jede Menge Steinkreise und alte Gräber und wusste auch jede Menge interessante Geschichten über Geister und über die Kelten, die einst auf Orkney lebten. Eine meiner Lieblingsgeschichten war die über Niamh und Oisín, die in Irland spielte:
Vor langer, langer Zeit, von der Zeit des Conn Céadchathach im zweiten Jahrhundert nach Christus bis zum Tode des Cairpre Liffechair im dritten Jahrhundert, gab es in Irland eine Bande von Kriegern, die die Fianna genannt wurden und Irland gegen Eindringlinge verteidigten. Ihr Anführer war Fionn mac Cumhail [finn mac cuhl] und sein Sohn war Oisín der Dichter.
Eines Tages jagten Fionn und die Fianna in Kerry und rasteten auf einem Hügel, der den Atlantischen Ozean überblickte, denn so konnten sie sehen ob irgendwelche Eindringlinge kamen. Und sie sahen einen. Es geschah nicht oft, dass ein Eindringling sich Irland ohne eine Flotte von Booten und einer ganzen Armee hinter sich näherte, aber dieser hatte nicht einmal ein Boot. Dieser Eindringling ritt ein majestätisches weißes Pferd über die Wellen, und als Fionn und Oisín und der Rest der Fianna verwundert starrten, konnten sie sehen, dass der Eindringling eine schöne junge Frau war mit langen goldenen Haare, die im Wind wehten.
Sie war die schönste Frau, die der junge Oisín je getroffen hatte. Als die Frau mit ihrem Pferd den Hügel hinaufritt, auf dem Fionn und Oisín standen, begannen Oisíns Knie zu zittern. Sie hielt vor Fionn und Oisín, und Fionn sagte, „Ihr seid herzlich willkommen in unserem Land, junge Lady. Ich glaube nicht, dass ich Euch schon einmal gesehen habe.“
“Aber ich habe Euch gesehen,“ sagte sie, „als Ihr mich nicht sehen konntet, Fionn mac Cumhail. Ich kam oft nach Irland um Euch und die Fianna zu beobachten ... und Euren Sohn Oisín.“
Als er seinen Namen von ihren Lippen hörte, wurden Oisíns Knie weich. „Was ist Euer Name und woher kommt Ihr und wer ist Euer Vater und wie ist der Name Eures Ehemanns?“ sagte Fionn.
“Mein Name ist Niamh [niav] Chinn Óir von Tír na nÓg, und mein Vater ist Manannán mac Lir, der Herr in jenem Lande.“
Ihr Name – Niamh – bedeutet „Helligkeit“. Niamh des Goldenen Haares, aus dem Land der Jugend, wo niemand je alt wird. „Du hast den Namen deines Ehemanns in Tír na nÓg nicht erwähnt,“ erinnerte Fionn sie, und Oisín und jeder Mann der Fianna hielt seinen Atem an.
“Viele Männer in Tír na nÓg haben mir ihre Liebe angeboten,“ sagte Niamh, „aber ich habe meine Liebe keinem von ihnen gegeben.“
Oisín und die Fianna atmeten mit einem erleichterten Seufzer wieder aus. Fionn sah sie an mit einem Auge das geübt darin war, eine gute Ehefrau zu erkennen. „Es scheint sehr unfair von Euch, Eure Liebe keinem Mann zu geben,“ sagte er ernst, denn er war ein Mann mit einem guten Sinn für Gerechtes.
“Nicht einem Mann aus Tír na nÓg,“ sagte Niamh, „weil ich einen Mann aus Irland liebe, und ich kam hierher und ihn zu fragen, ob er mich heiraten will und mit mir nach Tír na nÓg zurückkehren will.“ Und dann lächelte sie Oisín an. Oisín sah seine heldenhaften Gefährten der Fianna an, und sah mehrere Sachen gleichzeitig in ihren Augen: Neid, dass Niamh nicht sie erwählt hatte, und Erleichterung, aber hauptsächlich sah er Traurigkeit wegen der Trennung von Freunden und Begleitern. Und Oisín sah Fionn an und sah die Befriedigung, die ein Vater fühlt, wenn sein Sohn eine gute Ehe eingeht, aber hauptsächlich Traurigkeit, weil sein Sohn ihn verlies.
Sie verzauberte ihn mit ihrer überirdischen Schönheit. Sie verzauberte ihn mit einem Kuss. Und ohne die geringste Schwierigkeit brachte sie ihn dazu, ihr nach Tír na nÓg zu folgen. Oisín sprang hinter ihr auf das große weiße Pferd, und sie galoppierten über die Wellen nach Tír na nÓg, wo Oisín von Manannán und seinen Leuten herzlich empfangen wurde. Und wenn Oisín sich auf den ersten Blick in Niamh verliebt hatte, verliebte er sich doppelt so sehr in sie jedes mal, wenn er sie ansah.
Sie lebten drei Jahre lang glücklich, bis Oisín eines Tages zu Niamh sagte, „Ich erinnere mich immer wieder an die Traurigkeit in den Augen meines Vaters und in den Augen meiner Freunde in der Fianna, als ich Irland verließ. Falls sie mich ebenso sehr vermissen wie ich sie, werden sie so glücklich sein mich wiederzusehen, wie ich es sein werde, wenn ich sie wiedersehe. Ich würde mir gerne das weiße Pferd ausleihen und für einen kurzen Besuch nach Irland zurückkehren.“
“Verlasse diesen Ort nicht,” sagte Niamh. „Gehe nicht weg von mir, mein Liebling. Falls du
Tír na nÓg verlässt, wirst du nie wieder zurückkehren.“
“Natürlich werde ich zurückkehren,“ sagte Oisín. “Ich liebe dich und ich konnte ohne dich nie glücklich sein. Ich werde so schnell zurückkehren, dass du nicht einmal bemerkst, dass ich fort war.“
Als Niamh sah, dass er entschlossen war zu gehen, sagte sie, “Erinnere dich, als ich nach Irland kam um dich hierher zu bringen, blieb ich die ganze Zeit auf dem Pferd. Was auch immer du tust, versprich mir, dass du nicht von dem Pferd absteigen wirst. Berühre den Boden nicht einmal.“
“Ich verspreche es,” sagte Oisín. „Ich werde schnell zurück sein.“ Und er galoppierte über die Wellen auf dem Rücken des großen weißen Pferdes, und in kürzester Zeit kam er in Irland an. Er ritt direkt nach Dún Áileann, wo Fionn und die Fianna lebten, wenn sie nicht unterwegs waren und jagten oder Irland gegen Eindringlinge verteidigten. Dies ist ein massives Fort auf dem Hügel von Knockaulin in County Kildare, das von Fionns Urgroßvater Nuada Airgetlámh gebaut wurde. Aber als Oisín den Hügel hinauf galoppierte, bemerkte er, dass die Straße überwachsen und die Felder unbebaut waren, und er hörte keine Stimmen und sah keine Menschen. Und als er Dún Áileann erreichte, sah er, dass das Dach eingefallen war und die Wände zerfielen. Er konnte sich nicht vorstellen, was geschehen war.
Das Hauptquartier der Fianna war verlassen. Oisín ritt die Straße zurück und wandte sein Pferd in Richtung Glenasmole einer der Lieblingsjagdgründe der Fianna in der Nähe von Dublin. Es war in Glenasmole dass er die ersten Menschen sah. Eine Gruppe von Männern bemühten sich, einen großen Felsen zu bewegen, und Oisín verwunderte dies. Jeder der Fianna hätte den Felsen mit einer Hand aufheben können. Und hier waren zehn Männer, die versuchten den Felsen zu bewegen, und sie waren nicht in der Lage, ihn auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Was war mit den Menschen geschehen, seit Oisín Irland für Tír na nÓg verlies?
Oisín erkannte keinen der Männer als er näher heran ritt. Er bemerkte, dass sie klein und kümmerlich waren, ungefähr so groß wie du und ich und jeder andere heutzutage. Die Männer waren überrascht, als sie Oisín auf dem großen weißen Pferd sahen. Er grüßte sie und fragte sie, wo er Fionn mac Cumhail und die Fianna finden könnte. „Fionn mac Cumhail?“ sagten sie. „Die Fianna? Es gibt hier keinen der Fionn mac Cumhail genannt wird und es gab auch nie einen. In den alten Tagen erzählten die Leute Märchen um die Kinder zu erschrecken, von einer Rasse von bösen Riesen, genannt die Fianna, die Menschen aufaßen. Aber jetzt erzählt niemand mehr diese Geschichten.“
Da begriff Oisín – 300 Jahre waren in Irland vergangen, während er dachte, er sei drei Jahre weggewesen, und sein Vater und seine Freunde waren schon seit langem tot. „Es ist gut, dass sie diese Geschichten nicht mehr erzählen,“ sagte Oisín. „Sie sind Lügen. Ich bin Fionns Sohn Oisín und ich war selbst ein Mitglied der Fianna. Wir waren keine Riesen, aber jeder von uns konnte diesen Felsen mit einer Hand aufheben.“
Und er wendete das Pferd Richtung Westen und Tír na nÓg, aber einer der Männer sagte, „Beweise die Richtigkeit deiner Worte, indem du diesen Felsen für uns aufhebst, und wir werden uns deine Geschichten von Fionn und der Fianna anhören.“
“Ich werde es tun,” sagte Oisín, „als Beweis, und dann werde ich zurück nach Tír na nÓg gehen, denn für mich gibt es nichts mehr in diesem Land.“ Oisín erinnerte sich an die Worte Niamhs, also beugte er sich aus dem Sattel und legte seine Hand unter den Felsen. Aber als er begann, ihn hochzuheben, riss der Sattelgurt unter der Belastung und Oisín fiel zu Boden. Und sobald er den Erde Irlands berührte, verwandelte er sich in einen verwelkten, blinde alten Mann. Niamhs großes weißes Pferd galoppierte davon.
Die Geschichte endete zwar traurig, aber ich mochte sie trotzdem. Besonders der erste Teil gefiel mir.
Katyas Oma war es auch, die uns von dem keltischen Fest Beltane erzählt hatte, das in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai stattfand, eine der heiligsten und gefährlichsten Nächte im ganzen Jahr. In dieser Nacht würde die Verbindung zwischen dieser Welt und der Welt der Toten oder der Feen und Geister offen sein. Besonders gefährliche Orte wären alte Gräber, Steinkreise und sogenannte Feen-Hügel. Dort sollen immer wieder Geister von Toten oder Feen und Kobolde gesehen worden sein, die dort in jener Nacht tanzen und feiern. Wir haben natürlich kein Wort geglaubt und es für eine Schauergeschichte gehalten, die dazu dient, kleine Kinder davon abzuhalten, nachts nach draußen zu gehen. Oder dazu, um tolle Romane zu schreiben, siehe Claire und Jamie.
Als wir dann am Abend vorm Fernseher saßen und uns einen uralten Gruselfilm ansahen, unterhielten wir uns darüber, dass es doch lustig wäre, eine solche Nacht unter freiem Himmel zu verbringen.
„Eigentlich müssten wir uns einen Steinkreis oder so suchen und dort die Nacht von Beltane verbringen“ sagte ich.
„Warum nicht in Maes Howe, das wär’ doch cool, und da würde man wenigstens nicht nass werden, wenn’s regnet. Außerdem sollen da zusätzlich noch die Geister von ein paar ermordeten Wikingern rumspuken“ schlug Katya vor.
So führte eins zum anderen, und schließlich schlug meine Freundin eine Wette vor:
„Wetten, dass du dich nicht traust, die Nacht ganz allein in Maes Howe zu verbringen!“
„Um was wetten wir denn?“ fragte ich.
„Mm ... wie wär’s mit einem Ticket für das Wallace Clan-Gathering? Meine Oma könnte da welche besorgen.“
„Ok, abgemacht!“ Schließlich konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen, außerdem war ich ein absoluter Braveheart Fan.
Und da saß ich nun, mir war kalt und ich spürte meine Füße nicht mehr. Langsam kroch das Mondlicht den Gang hinein und warf gespenstische Schatten.
„Es gibt keine Geister, das sind alles nur Märchen. Nur nicht an die ermordeten Wikinger denken.“ Redete ich mir nervös ein. Ich sah auf meine Armbanduhr: Mitternacht – die Stunde der Geister. Ich seufzte:
„Noch ungefähr sechs Stunden, na toll. Ich hätte mir ’ne Wärmflasche mitnehmen sollen.“ Oder wenigstens ’ne Thermosflasche mit heißem Tee anstatt ’ner Colaflasche.
Plötzlich hörte ich ein seltsames Geräusch, wie das Rauschen eines Wasserfalls. Ich schrak auf und sah mich um.
„Ganz ruhig, es gibt keine Geister, das ist entweder Einbildung, oder ... na vielleicht fliegt ja gerade ein Flugzeug vorbei“ versuchte ich mich zu beruhigen. Doch das Rauschen wurde immer lauter. Nein, das ist definitiv kein Flugzeug. Scheiße.
„Was kann das nur sein?“
Auf einmal wurde mir schwindelig und ich sah bunter Lichter vor meinen Augen. Vorsichtig setzte ich mich wieder hin und klammerte mich an meinem Rucksack fest, als ob mir der im Notfall etwas helfen würde.
Mittlerweile hatte ich panische Angst, der Schweiß lief mir runter, mir war abwechselnd kalt und heiß und mir wurde schlecht. Doch dann wurde mir schwarz vor Augen und ich fiel in eine tiefe Dunkelheit.
Mir tat der Kopf weh. Auch sonst fühlte ich mich ziemlich angeschlagen. Irgendwo piekste mich ein Stein in den Rücken. Ein Stein? Auf einmal war ich hellwach. Wieso stach mich ein Stein in meinen Rücken, wenn ich doch in meinem Bett lag? Ich tastete mit meiner Hand den Boden ab: Erde oder Sand. Ok, ich war also nicht in meinem Bett. Aber wo dann?
Vorsichtig öffnete ich die Augen: die Sonne schien.
‚Na, das ist doch schon mal gar nicht so schlecht’ dachte ich. Es könnte ja auch regnen. Es schien ungefähr mittags zu sein, dem Stand der Sonne nach zu urteilen. Langsam setzte ich mich auf. Ich war auf einem Trockenen, staubigen und steinigem Boden gelegen, und der Rest der Gegend sah auch nicht gerade viel besser aus: Soweit das Auge reichte ein unfruchtbares Land aus roten Steinen und sandigem, roten Untergrund. Nirgends war etwas Lebendes zu sehen und Wasser war auch nirgendwo zu entdecken. Insgesamt sah es sehr einsam und trostlos aus.
„Entweder ist das ein schlechter Traum, oder ich sitze wirklich in der Scheiße“ sagte ich zu dem Stein neben mir.
Ich kniff mich in den Arm. Autsch, das tat weh, also definitiv kein Traum.
„Fuck!“ Warum landet Alice im Wunderland und ich in ‚Death Valley’?
Ich sah mich um und überlegte, was passiert sein könnte. Dann fiel mir alles wieder ein: die blöde Wette, auf die ich mich eingelassen hatte, das seltsame Rauschen, wie mir schwarz vor Augen wurde. Mist. Was war da in dieser Nacht nur passiert?
„Nie wieder mache ich mich über irgendwelche Geistergeschichten oder so lustig“ stöhnte ich. Eins stand fest, ich war nicht mehr auf den Orkney Inseln. Die Landschaft war mir fremd, ich hatte so etwas noch nie gesehen. Es wirkte fremdartig, fast wie aus einem Science-Fiction Film.
‚Jetzt fehlt nur noch, dass Obi-wan Kenobi auftaucht.’
Eine Straße war nirgends zu sehen. Wie sollte ich hier nur wieder wegkommen?
Dann fiel mir mein Handy wieder ein und ich sah mich nach meinem Rucksack um. Glück gehabt. Da lag er, nur zwei Meter von mir entfernt, zusammen mit meiner Decke. Ich ging hin und kramte nach meinem Handy. Na Gott sei Dank, es war noch heil! Erleichtert schaltete ich es an, doch so sehr ich auch hin und her ging, ich bekam einfach keinen Empfang.
“Scheiße! Wie soll ich nur hier wegkommen?” Frustriert setzte ich mich auf meinen Stein und stopfte das Handy mit meiner Decke in den Rucksack.
Doch als ich sah, wie sich von weitem einige Gestallten näherten, schöpfte ich wieder Hoffnung. Aber je näher die Gruppe kam, desto mehr kam ich mir vor als wäre ich in einem Fantasy Film gelandet.
Es waren neun Personen und ein Pferd, fünf davon schienen Kinder zu sein, jedenfalls der Größe nach.
An vorderster Stelle ging ein alter Mann mit langen, grauen Haaren und Bart. Er trug ein langes, dunkelgraues Gewand mit Mantel und einen blaugrauen, spitzen Hut. Beim Gehen stützte er sich auf einen langen Stock und um seine Hüfte trug er ein Schwert.
An zweiter stelle ging eine seltsame Gestalt: Sie ging dem alten Mann nicht mal bis zu den schultern, trug einen Helm und hatte einen riesigen Vollbart. Er schien eine Art Rüstung zu tragen, mit einem Kettenhemd und beim Gehen stützte er sich auf eine enorme Axt. Alles in allem sah er fast aus wie einer der „Zwerge“ aus ‚Time Bandits’.
Nach ihm kamen zwei kleine Personen, die fast schon wie Kinder wirkten. Sie waren vielleicht etwas über einen Meter groß und liefen barfuss. Ihre Hosen waren unterhalb der Knie abgeschnitten und unter ihrem Umhang trugen sie altmodische Hemden und Westen. Der eine hatte dunkle, lockige Haare und wirkte etwas weinerlich, der andere rotbraune, ebenfalls lockige Haare und war etwas fester gebaut.
Hinter ihnen ging ein gutaussehender Mann der auf dem Rücken eine Art Köcher mit Pfeilen zu tragen schien. Er trug Stiefel und eine dunkle Hose und über einem Hemd eine Art Lederweste, die ca. zehn cm über den Knien endete. Ebenso wie der erste trug auch er ein Schwert. Sein Umhang war ebenso wie der Rest seiner Kleidung von einem undefinierbaren braun-grün, und seine schulterlangen, leichtgewellten Haare waren von einem tiefen braun Ton.
Ihm folgte ein Mann mit helleren Haaren, der ein bisschen wie ein Ritter gekleidet war. Sein blau-graues Obergewand ging ihm bis halb über die Knie runter und darunter trug er etwas rotes und es schauten Teile eines Kettenhemdes hervor. Unter seinem dunkelbraunen Mantel konnte man ein Schwert erkennen, das an seinem Gürtel hing, neben einem großen, fremdartigen Horn.
Nach diesem Ritter kamen wieder zwei kleine ‚Kinder’, die ein beladenes Pony führten. Sie waren ähnlich wie die ersten angezogen, nur hatten sie dunkelblonde bis hellbraune Haare, die jedoch auch lockig waren.
Und ‚last, but not least’ kam ein großgewachsener, schlanker Mann mit langen blonden Haaren, der sich mit einer Grazie und Eleganz bewegte, dass es mir den Atem verschlug. Behände wie eine Katze ging er am Ende der Gruppe. Ich will ja nicht übertreiben, aber dieser Typ sieht einfach umwerfend aus! Und dieser Hintern! Seine Kleidung war ganz in grün und hellgrau gehalten und lag eng an seinem perfekten Körper an. Seine dunkelgrünen Stiefel schmiegten sich an seine wohlgeformten Waden. Die hellgraue Hose saß hervorragend, nur leider war das grüne, teilweise bestickte Obergewand, das sich über seine perfekten Brustmuskeln und Schultern spannte und seine schlanke Figur hervorhob, zu lang, um genaueres zu erkennen. Es reichte ihm ungefähr bis knapp oberhalb der Knie. Er trug grüne Unterarmschoner und auf seinem Rücken trug er einen eleganten Köcher mir reichverzierten Pfeilen, sowie einen schlanken, graziösen Bogen. Seine weichen, wunderschönen Haare trug er offen und nach hinten frisiert, so dass man seine etwas seltsamen, aber absolut süßen spitzen Ohren sah. Seine Gesichtszüge hatten etwas gebieterisches, fast königliches und weises an sich. Alles in allem, er sah besser aus als Johnny Depp, Mel Gibson, Orlando Bloom und was-weiß-ich-noch-wer zusammen.
Während ich beobachtete, wie die neunköpfige Gruppe näher kam, fragte ich mich, warum ich einen so geilen Typen wie den blonden Schnuckel da noch nie in einer Disco oder so getroffen hatte. Aber seitdem ich ihn gesehen hatte, schien mir meine Lage nicht mehr ganz so trostlos.
‚Ich weiß zwar nicht, wo ich bin und wie ich wieder heimkommen soll, aber immerhin kommt da vorne gerade Mr. Universum auf mich zu’ dachte ich.
Als die Fremden nur noch einige Meter weg waren, stand ich auf und rief, dem Drang mich dem blonden Gott an den Hals zu werfen, widerstehend:
„Hey Leute! Könnt ihr mir vielleicht sagen, wie ich zur nächsten Stadt oder wenigstens zur nächsten größeren Straße komme? Ich hab' mich hoffnungslos verirrt!“
Sie hielten an und sahen mich erstaunt an. Der alte Mann, der eine Art Anführer zu sein schien, antwortete:
„Wer seid Ihr und was macht Ihr ganz allein und offensichtlich unbewaffnet in dieser Gegend?“
„Ähm, ich heiße Elena und ... ich war ja eigentlich nicht allein. Ich ... hatte eine äh ... Eskorte! Nur ... wir ... sind überfallen worden, ähm ... heute morgen. Nur ich habe mich äh, retten können“ versuchte ich, eine Erklärung für mein Hier sein zu finden, während mir ein Stein vom Herzen fiel. Immerhin konnte ich sie problemlos verstehen; das hätte ja gerade noch gefehlt, wenn wir uns nicht verstanden hätten.
„Und warum seid Ihr so seltsam gekleidet?“ warf der hellhaarige Krieger ein.
Ups, mir fiel ein, wie ich auf diese fast schon mittelalterlich gekleideten Typen wirken musste, mit meinen Cowboystiefeln, Blue Jeans, grünem Pulli und knielangen schwarzen Ledermantel, ganz zu schweigen von meinem violetten Eastpack, der neben mir am Boden lag. Na zum Glück fiel ich von der Größe her mit meinen 1,75 Metern nicht besonders auf, wenigstens etwas. Und meine roten waren glücklicherweise auch nicht ganz so besonders, hoffte ich jedenfalls. Von den anderen hatte zwar keiner direkt rote Haare, aber wenigstens hatten sie nicht alle die gleiche Haarfarbe, das hätte eventuell Ärger geben können.
„Öhm ... na ja, da wo ich herkomme’ trägt man so was halt.“ Lahme Antwort.
„Und wo soll das sein?“ bohrte der Hellhaarige nach.
„Äh ... in Bayern“ antwortete ich.
Gerade als de Skeptiker wieder etwas sagen wollte, unterbrach ihn der Alte mit dem spitzen Hut:
„Ihr habt also eure Eskorte verloren. Wohin wart Ihr denn unterwegs?“
Oh, shit. Jetzt war guter Rat teuer. Ein Königreich für eine gute Idee!
„Ich ... war auf dem Weg nach Hause zurück, nach Regensburg,“ improvisierte ich eher schlecht als recht.
„Woher wissen wir, dass sie kein Spitzel oder so ist? Sie sieht ja wirklich seltsam aus. Und ist ganz allein unterwegs, wofür sie nur eine fadenscheinige Erklärung hat!“ warf der „Ritter“ ein. Bevor der Grauhaarige antworten konnte, fuhr ich den Krieger an:
„Hallo, du brauchst nicht über mich zu reden, als ob ich nicht da wäre! Ich bin nicht taub! So was ist extrem unhöflich, hat dir das noch nie jemand gesagt? Außerdem bin ich kein ’Spitzel oder so’! Ich wüsste ja gar nicht von wem ich ein Spitzel sein sollte, vielleicht von der CIA?“
Erstaunt sahen sie mich an. Der blonde Traumtyp grinste, ebenso der dunkelhaarige Krieger mit der königlichen Ausstrahlung. Auch der alte Mann lacht und meinte: „Nun, ich glaube nicht, dass Ihr ein Spitzel seid. Ihr seid höchstens zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber der Weg zur nächsten Siedlung ist viele Tagesmärsche lang und führt durch gefährliche Gebiete. Es ist nicht ratsam in dieser Gegend allein herum zu wandern.“
„Warum nehmen wir sie nicht mit nach Moria?“ meldete sich plötzlich der Zwerg zu Wort. „Mein Cousin Balin würde sie bestimmt willkommen heißen und ihr eine Eskorte geben, die sie dort hinbringt, wo sie hin will.“
Doch der Graugekleidete widersprach: „Moria ist zu gefährlich. Wir wissen nicht was uns in den Mienen erwartet.“
„Oh, ich habe keine Angst. Moria klingt doch toll! Ich würde gerne mitkommen!“ beeilte ich mich zu sagen, da ich mir keine Gelegenheit, den blonden Schnuckel-Typ genauer kennen zu lernen, entgehen lassen wollte. Außerdem hatte ich keine Lust, hier tagelang in der Wildnis herumzuirren. Ich hätte auch gar nicht genug zu Essen dabei. Doch mir hörte ja eh keiner zu.
Der Dunkelhaarige widersprach ebenfalls: „Ich weiß wie gefährlich es in Moria ist, wir können nicht noch jemanden mitnehmen, der uns eine Last ist.“
„Hey, ich bin keine Last, ich kann sehr gut selbst auf mich aufpassen!“ warf ich ein, doch niemand schien auf mich gehört zu haben.
„In Moria ist es sicherer als hier!“ rief der Zwerg. „Mein Cousin Balin wird uns königlich empfangen!“
„Von Balin hat seit Jahren keiner mehr was gehört“ stellte ‚Mister Spitz-Hut’ fest. „Wer weiß, ob er überhaupt noch lebt.“
Und so weiter. Sie stritten sich noch einige Zeit weiter, aber von dem was sie sagten, verstand ich nicht allzu viel; nur so viel, dass sie sich nicht einig waren. Ich stand eine Zeitlang genervt daneben, bis mir der Kragen platzte: „Hey! Ich bin auch noch da! Wie wär’s, wenn ihr mich auch mal mit ins Gespräch einbezieht, um mich geht’s ja eigentlich!“
Mit einem Schlag war alles ruhig und sie starten mich verblüfft an. Dann meldete sich der gutaussehende Blonde zu Wort: „Also, alleine hier lasen können wir sie nicht. Ich glaube auch nicht, dass sie eine allzu große Last ist.“
Bei diesen Worten tat mein Herz einen Sprung. Er setzte sich für mich ein! Ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht wie ein Honigkuchenpferd grinste.
„Mm ... na gut, dann nehmen wir sie nach Moria mit“ beschloss der Grauhaarige, „Obwohl ich der Meinung bin, dass uns in Moria etwas anderes erwartet, als wir glauben.“
Er stellte mir alle vor: Der süße Typ hieß Legolas, was für ein geiler Name! Er passt zu ihm. Der alte war Gandalf, ein Zauberer. Die zwei Krieger hießen Aragorn (der dunkelhaarige) und Boromir. Gimli war der Zwerg und die Kinder, nein Hobbits hießen Frodo, Sam, Merry und Pippin.
Als wir uns aufmachten, um zu diesem Moria zu kommen, richtete ich es so ein, das ich neben Legolas ging.
Wir waren jetzt schon fast den ganzen Tag unterwegs. ‚Ich muss einfach irgendetwas sagen!’ dachte ich. ‚na komm’ schon, sag’ einfach was. Irgendwas!’ ich musste einfach eine Unterhaltung mit ihm anfangen, egal wie.
„Äh ... Tut mir leid, wenn ich zu aufdringlich bin, aber warum hast du eigentlich spitze Ohren?“
Ung! ‚Warum hast du eigentlich spitze Ohren?’ Hilfe! Geistiger Tritt in den Arsch! Wie konnte ich nur! Hätte ich doch nur meine vorlaute Klappe gehalten! Doch er schien es mir nicht übel zu nehmen und sagte grinsend: „Na, weil ich ein Elb bin. Hast du noch nie einen Elben gesehen?“
„Nein, eigentlich nicht. Ich hab’ auch noch nie ’nen Zwerg, Zauberer oder Hobbit gesehen. Ich hab’ so was immer nur für Märchen gehalten.“
„Jetzt weißt du ja, dass es kein Märchen ist“ meinte Legolas zwinkernd.
„Ja“ antwortete ich mit einem verlegenen Grinsen. Ein peinliche Stille breitete sich aus, die zum Glück von Gandalf gebrochen wurde.
„Endlich sind wir da!“ rief er und deutete nach vorne, wo man eine tiefe und enge Schlucht sehen konnte, die lehr und still war. Man konnte kaum das Plätschern des Wassers, das zwischen den braun-roten Steinen des Flussbettes floss, hören. Auf unserer Seite war ein Pfad; der war zwar nicht mehr im besten Zustand, aber immerhin noch begehbar.
„Hier floss einst der Sirannon, der Torbach. Aber was mit dem Wasser passiert ist, weiß ich nicht. Er war größer und lauter. Kommt! Wir müssen uns beeilen. Es ist spät!“ Mit diesen Worten machte sich Gandalf auf und ging den Pfad am Rande der Schlucht entlang, der schon bald zu einem See führte.
„Die Mauern Morias!“ rief Gimli und deutete nach vorne, wo jenseits des dunklen, stillen Sees in dem kein Licht reflektiert wurde, große Klippen zu sehen waren. Kein Eingang und kein Tor war zu sehen. Vorsichtig gingen wir am Rande des Sees entlang, während im Westen die Sonne langsam unterging. Wir hielten an einer Stelle an, an der im Abstand von ca. fünf Meter zwei große Stechpalmen standen, das einzige lebendige an diesem tristen Ort. Ihre mächtigen Wurzeln reichten von der Mauer bis zum Wasser.
„Hier ist das West-Tor von Moria, wo einst die Elben-Straße von Eregion endete“ bemerkte Gandalf. Er fuhr mit der Hand über den Stein.
„Ithildin -- es reflektiert nur Sternen- und Mondlicht.“
Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und das Tor leuchtete auf: Oben war ein Bogen zu sehen, in dem sich buchstabenähnliche Zeichen befanden. Der Bogen wurde von zwei Säulen getragen, an denen jeweils ein Baum hochwuchs. Unterhalb des Bogens war eine Krone mit sieben Sternen, die oberhalb eines Hammers und eines Ambosses lag. Und zwischen den zwei Bäumen befand sich ein einzelner Stern mit vielen Strahlen.
„Dort sind die Zeichen Durins!“ rief Gimli aus.
„Und da ist der Baum der Hochelben!“ rief Legolas.
„Und der Stern des Hauses von Feanor“ bemerkte Gandalf, „dort steht ‚Ennyn Durin Aran Moria: pedo mellon a minno’ was übersetzt soviel heißt wie ‚Die Tore Durins, des Herrn von Moria: sprich, Freund und tritt ein’.“
„Was soll das heißen?“ fragte Merry, einer der Hobbits.
„Oh, das ist einfach. Wenn du ein Freund bist, sagst du das Passwort und das Tor öffnet sich.“ Er ging einen Schritt zurück und hielt seinen Stab an die Felswand.
„Annon edhellen, edro hi ammen! Fennas nogothrim, lasto beth lammen!”
[Tor der Elben, öffne dich jetzt für uns! Tür der Zwerge, höre das Wort meiner Stimme!]
Nichts tat sich.
„Die Tür geht nicht auf“ stellte Pippin, ein weiterer Hobbit, fest.
„Zwergen-Türen sind nur zu öffnen, wenn man ihr Geheimnis kennt. Ist es einmal vergessen, können sie nicht einmal ihre eigenen Herren öffnen“ belehrte ihn Gimli.
„Warum nur überrascht mich das nicht?“ murmelte Legolas.
„Was willst du jetzt machen?“ bohrte der Hobbit nach.
„Ich werde mit deinem Kopf gegen das Tor schlagen, Peregrin Took“ erwiderte Gandalf genervt, „und wenn es davon nicht aufgeht, und ich ein bisschen Ruhe vor dummen Fragen habe, werde ich nachdenken und versuchen die richtigen Öffnungsworte zu finden!“
Währendessen nahm Aragorn dem Pony sein Geschirr ab und tröstete Sam, der sich um Bill Sorgen machte: „Mach' dir keine Sorgen Sam, er kennt den Weg nach Hause. Die Mienen sind kein Platz für ihn. – Bringe das Wasser nicht in Unruhe!“ warnte er Pippin, als dieser gerade einen weiteren Stein ins Wasser werfen wollte.
Nach einiger Zeit wurde mir das alles zu dumm. Bisher hatte ich nur auf einem Stein gesessen und abgewartet, aber jetzt stand ich auf und ging Richtung Tor.
„Sagt mal, kennt denn keiner von euch das Spielchen ‚Sag’, wen liebst du’?“
„Was hat denn das jetzt mit dem Öffnen des Tores zu tun?“ fragte Gandalf erstaunt.
„Ächzt. ‚Sag’ Freund und tritt ein’. Ist doch ganz einfach, man muss nur ‚Freund’ sagen!“
Plötzlich schien Gandalf verstanden zu haben, er sah mich anerkennend an und rief: „Mellon!“ [Freund!]
Knirschend öffneten sich die zwei Flügel des Tores. Wir gingen in die Dunkelheit hinein, während Gimli zu Schwärmen begann: „Bald, Herr Elb, werdet ihr die berühmte Gastfreundschaft der Zwerge kennen lernen! Brüllende Feuer, Malzbier, gut durchgebratenes Fleisch! Dies mein Freund, ist das Heim meines Cousin Balins. Und sie nennen es eine Miene! Eine Miene!“
Inzwischen hatte Gandalf die Spitze seines Stabes zum Leuchten gebracht und erhellte den Gang.
Igitt! Überall waren halb vergammelte Zwergen-Leichen zu sehen. Jedenfalls nahm ich an, dass es Zwergen-Leichen waren, die Verwesung war ja schon ziemlich weit fortgeschritten und es sah eklig und etwas gruselig aus, ich kam mir fast vor wie in einen Vincent-Price-Film.
„Das ist keine Miene, das ist ein Grab!“ flüsterte Boromir entsetzt.
Gimli schrie auf und alle wichen zurück, als Sam, nein Frodo plötzlich aufschrie und zu Boden stürzte.
Aus dem Wasser war ein langer, gewundener Tentakel gekrochen, der grünlich und nass war. Mit den Enden, an denen so etwas wie Finger saßen, hatte er Frodos Knöchel gepackt und zog ihn in Richtung See. Sam schrie um Hilfe und hackte mit seinem Schwert auf den Tentakel ein.
Plötzlich schossen ca. 20 weitere Arme aus dem Wasser heraus und der ‚Kopf’ eines seltsamen und grauenvollen Wesens erschien. Ich war vor Angst wie gelähmt und drückte mich an die Wand, in der Hoffnung unsichtbar zu werden, während die anderen Frodo zu Hilfe eilten und die Kreatur attackierten. Lieber tote Zwerge als eine lebende Krake! Scheiße! Wo bin ich hier nur reingeraten! Erst lauter Leichen, jetzt dieses Monster! Was kommt als nächstes? Ich konnte gar nicht hinsehen. Doch Aragorn, Legolas und Boromir schienen nicht zum ersten mal in einer solchen Situation zu sein und konnten es anscheinend mit dem Ungetüm aufnehmen.
Als die anderen Frodo aus dem Griff der Bestie befreit hatten, rannten sie in die Miene, verfolgt von den Tentakeln, die versuchten sie aufzuhalten. Die Arme rissen die Torflügel heraus und mit einem fürchterlichen Krachen stürzte der gesamte Eingang ein.
Jetzt herrschte totale Dunkelheit, doch dann zündete Gandalf seinen Stab wieder an und erhellte die Miene.
„Wir haben jetzt nur noch eine Möglichkeit. Wir müssen uns der langen Dunkelheit von Moria stellen.“
Mittlerweile sind wir schon einige Stunden durch die dunklen Gänge der Mienen von Moria gegangen. Es musste bereits mindesten Mitternacht sein.
Treppen und Säulen waren teilweise zerstört, ebenso die Wände und zwischendurch lagen immer wieder einige verstaubte Leichen und Waffen herum. Viel war jedoch nicht zu sehen, dazu war es viel zu dunkel. Zuerst sind wir eine breite lange Treppe hinaufgegangen, die weitestens unbeschädigt war. Danach führte Gandalf uns durch mehrere Gänge und über einige Treppen.
Seitdem wir das Tor hinter uns gelassen hatten, hatten wir nur einmal eine kurze Pause eingelegt um etwas zu essen, bei der ich mein Sandwich und einen der zehn Schokoriegel, die ich in meinem Rucksack hatte, gegessen hatte. Ich nahm auch einen Schluck aus meiner Colaflasche, doch nur einen kleinen, schließlich wusste ich nicht, wie lange es reichen musste. Zum Glück war es recht dunkel, so konnten die anderen nicht sehen, dass ich eine Plastikflasche hatte und auch die Riegel mussten für sie wohl sehr seltsam aussehen.
Nach der sehr kurzen Pause gingen wir wieder weiter. Ich war mittlerweile todmüde und meine Beine taten höllisch weh, bei jeder Bewegung durchfuhr mich ein stechender Schmerz. Doch ich ging weiter und biss stur die Zähne zusammen, schließlich hatte ich mir fest vorgenommen, keine Last zu sein.
‚Na komm’ schon, ist doch auch nicht schlimmer als eine Nacht durchzutanzen,’ redete ich mir ein.
Jetzt gingen wir eine ziemlich lange Zeit, meiner Schätzung nach; es war zu dunkel um auf meine Uhr sehen zu können; eine oder zwei Stunden, bevor der Gang wieder eben wurde. Im blassen Schein vom Stab des Zauberers erhaschte ich kurze Blicke auf Treppen und Gewölbe und von anderen Passagen und Tunneln, die anstiegen oder stark abfielen, ebenso sah ich dunkle Öffnungen auf beiden Seiten.
Es musste bereits morgens sein, als wir am Ende einer Treppe zu einer Kreuzung kamen, und sich drei Portale vor uns öffneten.
„An diesen Ort kann ich mich nicht erinnern,“ murmelte Gandalf und setzte sich auf einen Stein, um zu überlegen, welcher Weg der richtige sein könnte.
Ich war über die unerwartete Pause mehr als erfreut und setzte mich auf eine Treppenstufe. Meine Glieder waren schwer wie Blei und ich hätte meine Seele verkauft für ein weiches Bett und ein paar Stunden Schlaf, oder wenigstens eine Tasse heißen Kaffe. Ich sah, dass Frodo sich mit Gandalf unterhielt, doch ich bekam nichts mehr davon mit, denn mein Kopf sank mir auf die Knie und alles verschwamm vor meinen Augen.
Ich schrak auf, als mich jemand an der Schulter berührte. Ich war eingeschlafen und als wir uns wieder auf den Weg machten, weckte mich Legolas sanft.
„Wir gehen weiter.“
„Kein Problem, ich bin wach, ganz wach“ murmelte ich als ich mich aufrappelte.
Gandalf antwortete gerade auf irgendetwas des einer der Hobbits anscheinend vorher gesagte hatte: „Nein, aber dort riecht die Luft nicht ganz so faulig. Wenn du Zweifel hast, Meriadoc, folge immer deiner Nase.“
Wir gingen durch das mittlere Tor und nach dem wir einige weitere Gänge entlang gegangen waren, hielten wir an, um für einige Stunden zu rasten. In einem kleinen Nebenraum legten wir uns hin um etwas zu schlafen, während reihum einer von uns Wache hielt. Pippin wurde zur ersten Wache bestimmt, doch ich kümmerte mich nicht weiter darum, sondern legte mich so wie ich war in eine Ecke und war, sobald mein Kopf den Boden berührt hatte auch schon eingeschlafen.
Ich wachte erst wieder auf, als mich Aragorn weckte, weil meine Zeit Wache zu halten gekommen war. Ich hatte mehrere Stunden geschlafen und fühlte mich ziemlich erholt als ich mich auf einen Stein setzte und an einem Schokoriegel knabberte.
‚Wie schön, dass ich im Dunkeln keine Angst habe’ dachte ich ironisch. ‚es gäbe hier ja auch nirgends Leichen, die plötzlich zum Leben erwachen könnten, nein.’ Warum musste ich nur dauernd an ‚Evil Dead’ denken? Mist! Ich versuchte krampfhaft an etwas zu denken, das nichts mit wandelnden Leichen oder sonstigen Ungeheuern zu tun hatte. Ich versuchte, im Gedanken Songtexte auf zu sagen, doch ich landete immer wieder bei Songs wie ‚Murder In The Graveyard’ oder ‚Pick Up The Bones’, also gab ich es auf und begann statt dessen, zu zählen. Als ich bei 69 war, setzte sich Legolas plötzlich neben mich.
„Man, hast du mich erschreckt! Ich habe dich gar nicht kommen hören!“ flüsterte ich.
„Tut mir leid, aber ich lag wach und wollte Euch nur etwas Gesellschaft leisten,“ antwortete er.
„Schon gut, ich bin nur etwas erschrocken, weil du so plötzlich aus dem Nichts erschienen bist,“ lächelte ich ihn an.
Genau in diesem absolut unpassenden Moment stand Gandalf auf, weckte die anderen und wir gingen weiter.
Als wir an einer tiefen Schlucht mit Leitern und Ketten und Eimern vorbei kamen, hielt Gandalf an und leuchtete etwas in die Tiefe hinunter: „Der Reichtum Morias war nicht in Gold und Juwelen oder Eisen. Diese Sachen wurden hier zwar gefunden, aber danach wurde nicht gesucht. Denn hier ist der einzige Ort in Mittelerde, wo Moria-Silber gefunden wurde, oder Wahr-Silber, wie es manche nannten: Mithril ist der Elbische Name. Es war zehn mal soviel wert wie Gold und jetzt ist sein Wert unermesslich. Bilbo hatte ein Hemd aus Mithril, das ihm Thorin gab. Ich frage mich, was wohl daraus geworden ist?“
„Ein Hemd aus Moria-Silber? Das war ein wahrhaft königliches Geschenk!“ rief Gimli.
„Ja,“ antwortete Gandalf. „Ich habe es ihm nie gesagt, aber es war mehr wert als das gesamte Auenland.“
Wir gingen eine kurze, breite Treppe hinauf und durch ein langes, großes Portal. Wie selbstverständlich stieg ich über die halbverfaulte Leiche, die auf den Stufen lag. Wie schnell man sich doch an etwas gewöhnen kann, auch wenn es noch so seltsam und unheimlich war.
Plötzlich verschwanden die Mauern links und rechts und wir betraten eine riesige Halle aus Stein, gesäumt von gewaltigen Säulen und mit einer Gewölbedecke, so weit das Auge sehen konnte.
Dann sagte Gandalf: „Lasst mich etwas mehr Licht riskieren,“ und sein Stab begann stärker zu leuchten. „Erblickt jetzt das große Reich der Zwergenstadt Zwergenbinge!“
Ehrfürchtig stauenden sah ich mich um: Große Schatten sprangen auf und flohen und für eine Sekunde sah man eine gewaltige Decke weit über unseren Köpfen, die von vielen mächtigen Säulen, die aus Stein gehauen waren, gehalten wurde. Vor uns und zu beiden Seiten erstreckte sich eine riesige Halle. Ihre schwarzen Wände, poliert und glatt wie Glas, blitzten und glitzerten. Es waren drei andere Eingänge zu sehen, dunkle schwarze Bögen; einer war geradeaus vor uns Richtung Osten und jeweils einer auf jeder Seite.
Langsam gingen wir durch die große Halle. Plötzlich lief Gimli mit einem Aufschrei voraus und rannte in eine Seitenkammer, aus der ein Strahl Sonnenlicht schien. Wir folgten ihm und als ich in die Kammer kam, sah ich wie sich Gimli vor einem Sockel niederkniete und zu weinen anfing. Auf der Oberfläche standen runenartige Zeichen, die Gandalf übersetzte: „’Hier liegt Balin, Fundinssohn, Herr von Moria’ er ist also tot, genau wie ich es befürchtet hatte.“
Er übergab seinen Stab und Hut an einen der Hobbits und entnahm einem der toten Zwerge en großes und ramponiertes Buch, das er öffnete und vom größten Staub befreite.
„Wir müssen weiter, wir können hier nicht bleiben!“ drängte Legolas Aragorn.
Währendessen las Gandalf aus dem Buch vor: „Sie haben die Brücke eingenommen und die zweite Halle. Wir haben die Tore verbarrikadiert, aber wir können sie nicht lange halten. Der Boden bebt. Trommeln, Trommeln in der Tiefe. Wir können nicht raus. Ein Schatten bewegt sich in der Dunkelheit. Wir können nicht raus ... sie kommen.“
Krack! Erschrocken fuhren wir alle herum und sahen in Richtung des alten Brunnen. Schuldbewusst stand Pippin daneben. Er hatte unachtsam eine Leiche am Brunnenrand berührt und diese war in den Schacht gefallen und hatte diesen Krach verursacht.
Ängstlich lauschten wir in die Stille hinein. Nichts. Glück gehabt.
„Närrischer Took! Wirf dich das nächste mal selbst hinein und befreie uns von deiner Dummheit!“ fuhr Gandalf den Hobbit an. Auf einmal ertönten aus der Tiefe dumpfe Trommelschläge.
Ich dachte, mein Herz bleibt stehen. Diese Trommel klangen so unheilvoll, wie bei einer Voodoo-Versammlung, wenn all diese gruseligen Trommeln erklingen und das Lagerfeuer so gespenstisch flackert. Doch das hier war ja leider kein Film, sondern die Realität.
Plötzlich rief Legolas: „Orks!“
Während Boromir zur Tür rannte, um sie zu schließen, hob der Elb eines der Schwerter, die bei den Leichen herumlagen, auf und warf es mir zu.
„Wisst Ihr, wie man mit so etwas umgeht?“
Mit Müh’ und Not fing ich es auf, ohne mich dabei zu verletzen: „Ähm, das spitze Ende muss in den anderen rein?“
„So ähnlich.“
Er wand sich ab und warf Boromir einige Äxte zu, um beim Blockieren der Tür zu helfen. Trotz meiner neuen Waffe stand ich ziemlich hilflos abseits, als die ersten Orks hereingestürmt kamen.
‚Igitt, sind die hässlich, die sehen ja schlimmer aus als Michael Jackson ohne Schminke!’
Legolas und Aragorn erschossen die ersten paar Orks mit ihren Pfeilen, dann ging der Kampf erst richtig los:
Während Legolas seine weißen Messer zog, kämpften Aragorn und Boromir mit ihren Schwertern und auch Gandalf hatte sein Schwert gezogen.
Gimli stand mit gezogener Axt auf Balins Grab und rief: „Lasst sie nur kommen! Es gibt noch einen Zwerg in Moria, der noch nicht zu Staub zerfallen ist!“
Alles war ziemlich heftig. Ich umklammerte das Schwert, das mir der Elb zugeworfen hatte und wünschte mir nicht sehnsüchtiger als mich in einem Mauseloch verkriechen zu können oder unsichtbar zu werden.
Plötzlich stand ein hässlicher Ork vor mir und holte mit irgendeinem undefinierbaren, scharfen Gegenstand aus. Instinktiv riss ich mein Schwert hoch um den Schlage abzuwehren. Doch ich hatte ja keine Ahnung wie ich mit so einem Schwert umgehen sollte, woher denn auch. So konnte ich den Schlage zwar abwehren, aber ich war nicht auf dessen Wucht gefasst, und konnte das Schwert nicht halten. Mit einen Klirren fiel es zu Boden. Scheiße, jetzt stand ich ohne Waffen da und vor mir stand ein Monster mit einer gefährlichaussehenden Waffe in der Hand, die es auch zu benutzen wusste. Der Ork hatte meine Lage sofort erkannt und holte grinsend zum Schlag aus, der mich töten sollte.
‚Mist!’ dachte ich. ‚Für einen Tritt in die Eier ist er zu stark gepanzert!’
In letzter Sekunde wich ich dem heruntersausenden Schwert aus und die Klinge traf nicht mich, sondern glitt an einer Säule ab.
Hecktisch kruschte ich in meinem Rucksack, als ich ein weiteres mal vor dem Ork zurückwich. Plötzlich stieß ich mit dem Rücken gegen die Wand. Meine Hand schloss sich um die Dose mit CS-Gas, die ich endlich im Chaos meines violetten Eastpacks gefunden hatte.
Im allerletzten Moment riss ich sie heraus und sprühte dem Angreifer eine Ladung voll ins Gesicht. Aufheulen ging er zu Boden und ich nutze die Gelegenheit, wegzuschleichen.
‚Das wär’ ne tolle Werbung,’ dachte ich: ‚Haut sogar den stärksten Ork um!’
„Sie haben einen Höhlentroll!“ rief Boromir plötzlich. Krachend schlug der Troll die Tür ein. Ich spürte, wie mich jemand von Hinten packte und ein Stück zurückzog, und wollte mich schon beschweren, als ich sah, wie an der Stelle, an der ich zuvor noch gestanden hatte, ein Felsbrocken aufschlug. Ich lächelte meinen Retter, den blonden Elben dankbar an und wollte gerade etwas sagen, als der Troll komplett in den Raum herein kam.
„Fuck, ist der groß!“
„Was habt Ihr denn von einem Troll erwartet?“ fragte mich Legolas und sah mich seltsam an.
„Woher soll ich das denn wissen, ich hab ja noch nie ’nen echten Troll gesehen! Der ist ja viel größer als der in Harry Potter!“
Legolas warf mir nur einen irritierten Blick zu und schoss einen Pfeil auf den Troll ab.
Ich hob mein Schwert wieder auf und stellte mich mit dem Rücken an die Wand, in der Hoffnung dass mich die Angreifer übersehen würden. Ich versuchte mich an irgendetwas zu erinnern, das ich über Schwertkampf wusste. Als erstes hielt ich es jetzt mit beiden Händen, so wie in ‚Braveheart’, vielleicht würde ich es dann nicht so schnell verlieren.
Plötzlich stand der Troll vor mir und hob seine Keule. Ich war wie erstarrt und lies in Panik mein Schwert fallen. Soviel zum Beidhändigen Halten. Doch dann übernahm mein Überlebensinstinkt die Kontrolle über meinen Körper und ich duckte mich und rannte zwischen den Beinen des Trolls hindurch. In diesem Moment wurde der Troll von einem Pfeil getroffen und heulte vor Schmerzen auf. Wütend wand er sich seinen Peiniger zu und schlug mit der gewaltigen Metallkette nach Legolas, der jedoch mit Leichtigkeit auswich, was den troll nur noch wütender machte.
Nach einigen weiteren Versuchen verfing sich die Kette an einer Säule und der Elb kletterte dem Troll auf die Schultern und schoss einen Pfeil auf ihn ab, bevor er wieder heruntersprang.
Ich kam wieder auf die Füße und hob die nächstbeste Waffe, eine Axt, auf.
Der Troll hatte inzwischen Frodo entdeckt und ging auf ihn los. Ich ging rückwärts Richtung Mauer und kriegte fast einen Herzschlag, als ich mit einem Ork zusammenstieß. Ich fuhr herum, und es war reinem Glück zu verdanken, dass ich nicht durch den Schlag des Orks getötet wurde. Nur durch das schnell herumdrehen verfehlt mich der Hieb. Ich dachte an die Kampfszenen in ‚Braveheart’, riss die Axt mit beiden Händen hoch und schlug zu. Ich war selbst überrascht, als ich ihn tatsächlich niederschlug.
‚Wow,’ dachte ich. ‚wie Pudding.’
Auf einmal schrie Sam und als ich mich umdrehte, sah ich, wie der Troll Frodo aufgespießt hatte. Die anderen stürzten sich auf den Troll und ein Pfeil Legolas’, der ihn in den Mund traf, streckte ihn endgültig nieder. Orks waren keine mehr zu sehen, und wir liefen zu der Stelle, wo Frodo lag. Aragorn drehte ihn um und der Hobbit fing an zu stöhnen.
„Er lebt!“ rief Sam erfreut aus.
„Es geht mir gut, ich bin nicht verletzt,“ beteuerte Frodo.
„Du müsstest tot sein! Dieser Speer hätte einen wilden Eber getötet!“ rief Aragorn erstaunt aus.
Doch Gandalf meinte: „Ich glaube, an diesem Hobbit ist mehr dran, als das Auge vermuten lässt.“
Frodo knöpfte sein Hemd auf und zeigt das Mithril-Hemd, das er darunter trug. Wow, das sah wirklich cool aus! Ich hatte so etwas noch nie gesehen.
„Mithril!“ rief Gimli, „Ihr seit voller Überraschungen, Herr Beutlin!“
Auf einmal waren weitere Orks von weitem zu hören und Gandalf drängte: „Zur Brücke von Khazad-dûm!“
Wir rannten wieder in die großen Hallen von Zwergenbinge und versuchten den Orks, die uns verfolgten zu entkommen. Doch es nutzte nichts, schon bald waren wir umzingelt. Das dumpfe Trommeln, das wir schon die ganze zeit über gehört hatten, wurde lauter und am entgegengesetzten Ende der gewaltigen Halle erschien ein leuchtend rotes Licht, wie der Schein eines gigantischen Lagerfeuers. Die Orks schrieen und flohen.
„Was ist dies für eine neue Teufelei?“ fragte Boromir erschrocken.
„Ein Balrog – ein Dämon der alten Welt. Diesem Gegner seit ihr nicht gewachsen. Lauft!“ Antwortete Gandalf sichtlich beunruhigt.
Gegen diesen Rat hatte ich überhaupt nichts einzuwenden, im Gegenteil, Wegrennen war eine sehr gute Idee. Wir rannten weiter und kamen zu mehreren riesigen Treppen, die teilweise zerstört waren. Beinahe fiel Boromir herunter, da er zu schnell war, doch Legolas zog ihn in aller letzter Sekunde zurück. Vorsichtig spähte ich runter: Vor mir tat sich ein Abgrund auf, der so tief war, dass ich den Boden nicht sehen konnte, sondern nur tiefe Dunkelheit.
„Man, bin ich froh, dass ich schwindelfrei bin.“
Wir liefen eine Treppe hinunter und kamen an eine Kluft, die ca. einen Meter breit war. Legolas sprang leichtfüßig hinüber und fing Gandalf auf, der gleich nachsprang.
„Komm,“ forderte er mich auf, „ich fange dich auf.“
Ich versuchte nicht herunter zu sehen und sprang. Sicher landete ich in den Armen des blonden Elben. Oh, wenn dieser Augenblick doch ewig andauern würde! Doch ich musste mich wohl oder übel wieder von ihm lösen und ging ein paar Stufen hinunter, während sich die anderen anschickten, ebenfalls hinüberzuspringen.
Orks begannen von weiter oben Pfeile auf uns herabzuschießen.
Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner linken Schulter und, als ob ich von einem Rammbock getroffen worden wäre, riss es mich nach hinten. Ich stieß einen unterdrückten Schrei aus und versuchte verzweifelt, mein Gleichgewicht wiederzufinden. Die Zeit schien stillzustehen, als ich so am Rand der Treppe balancierte. Doch dann spürte ich, wie unter meinen Füßen ein Teil der Treppenkante abbröselte, meine Füße verloren ihren Halt und ich stürzte in den dunklen Abgrund. Ich verlor die Axt, die ich bis jetzt noch festgehalten hatte, während ich meine Hände noch verzweifelt ausstreckte, um einen Halt zu finden. Sekundenbruchteile schienen wie Stunden.
‚Gleich stirbst du,’ schoss es mir durch den Kopf.
‚Ich will aber noch nicht sterben, ich bin doch gerade erst 18!’ schrie eine Stimme in meinem Kopf.
Ich sah noch, wie Legolas sich umdrehte, doch es war zu spät, er würde mich nie rechtzeitig erreichen können.
Mit einem Ruck wurde mein Fall gestoppt. Verblüfft sah ich nach oben in die blauen Augen des Elben, in denen sich Angst wiederspiegelte. Er hatte gerade noch meinen Hand erwischt und mich so vor dem tödlichen Sturz bewahrt. Er hielt mir seine andere Hand hin und drängte: „Gebt mir Eure andere Hand!“
Ich streckte ihm meine Hand entgegen und versuchte, die seine zu ergreifen, doch ich berührte nur seinen Fingerspitzen.
„Noch mal, Ihr habt es fast geschafft!“ wiederholte er eindringlich. Mit letzter Kraft versuchte ich es noch einmal und dieses Mal schaffte ich es gerade noch, weit genug herauf zu langen. Fest schlossen sich seine starken Finger um meine und er zog mich herauf zu sich auf die Treppenstufen.
„Alles in Ordnung?“ fragte er mich besorgt.
„Ja, ich glaube schon, nur meine Schulter tut etwas weh,“ antwortete ich noch etwas zittrig.
Jetzt erst hatte ich so richtig bemerkt, dass in meiner linken Schulter ein Pfeil steckte. Ich langte hin um ihn, wie Mel Gibson in ‚Braveheart’, abzubrechen, doch ich musste feststellen, dass es im Film eben doch leichter aussieht, als es in Wirklichkeit ist. Doch ich wollte mir keinen Blöße geben, jedenfalls nicht schon wieder. Meine Vorstellung im Kampf mit den Orks und dem Troll war ja ziemlich peinlich gewesen.
Also biss ich die Zähne zusammen und schaffte es tatsächlich, den Pfeil abzubrechen. Kurzzeitig wurde mir schwarz vor Augen vor lauter Schmerzen. Dann hatte ich mich wieder einigermaßen unter Kontrolle.
Legolas erschoss einige der Orkschützen und bis auf Aragorn und Frodo waren jetzt alle auf der unteren Seite des Lochs in der Treppe.
Plötzlich fiel ein Stück aus der Decke herab und durchschlug die Treppe ein Stück oberhalb der Stelle wo die zwei Zurückgebliebenen standen. Vorsichtig balancierten sie auf dem wackeligen Treppenabschnitt und schafften es gerade noch, sicher auf die andere Seite zu kommen.
„Los, weiter!“ rief Gandalf und rannte die Treppen hinunter, gefolgt von den anderen. Mir war noch immer schlecht und ich hatte teilweise Mühe, scharf zu sehen, also stolperte ich mehr schlecht als recht ein Stück hinunter, als mich plötzlich ein starker Arm stützte. Legolas hatte mir den Arm um die Hüfte gelegt und trug mich halb die restlichen Treppen hinunter.
„Danke,“ flüsterte ich erschöpft.
Er lächelte mich kurz an und schaute dann wieder nach vorne, um auf die Stufen zu achten. Dieses Lächeln setzte mein Herz in Flammen! Ich klammerte mich an ihn und versuchte, nicht hinzufallen.
Unten angekommen ließ er mich los und fragte besorgt: „Geht es? Könnt Ihr laufen?“
„Ja,“ presste ich hervor und schluckte die Schmerzen hinunter. Wir liefen auf die schmale Brücke zu, während der Balrog, der wie eine lebende Fackel aussah, immer näher kam.
„Über die Brücke! Flieht!“ schrie Gandalf und blieb stehen um dem Feuer-Monster entgegen zu treten.
Ich rannte mit zusammengebissenen Zähnen über die Brücke, und versuchte nicht in den gähnenden Abgrund zu sehen.
Sicher auf der anderen Seite angekommen lehnte ich mich an die Wand und versuchte etwas Atem zu schöpfen.
Mit verschwommenen Blick sah ich über die Brücke, an deren Anfang Gandalf stand, zu dem Dämon hinüber. Er sah aus wie ein riesiges Monster mit Flügel, einem Schwert und einer Peitsche, das im Inneren aus Lava bestand und brannte. Er sah ein bisschen so aus, wie Tim Curry als Teufel in ‚Legende’.
Auf einmal ging ein strahlendes Licht vom Stab des Zauberers aus und hüllte ihn in einer Kugel aus weißem Licht ein.
„Ich bin der Diener des geheimen Feuers, Träger der Flamme von Anor. Das dunkle Feuer wird dir nichts nützen! Flamme von Udûn!“ schrie Gandalf und parierte den Schlag des Monsters mit seinem Schwert.
Die Waffe des Balrogs zerbrach und Gandalf rief: „Geh’ zurück in die Schatten! DU ... KANNST ... NICHT ... VORBEI!“
Mit diesen Worten schlug er mit seinem Stab auf die Brücke vor ihm, die dadurch gespalten wurde. Der Balrog trat einen Schritt nach vorne und stürzte in die Tiefe, als die Brücke unter ihm nachgab. Der Zauberer wollte sich schon umdrehen, als ihn die Feuer-Peitsche des Unholds an den Füßen erwischte und in den Abgrund zog.
Er konnte sich gerade noch am Rand der Brücke festhalten und rief uns zu: „Flieht, ihr Narren!“
Dann verließ ihn seine Kraft und er stürzte in die Dunkelheit.
Frodo schrie entsetzt auf und wollte nach vorne rennen, doch Boromir hielt ihn auf. Aragorn forderte uns auf, ihm zu folgen und führte uns über eine kleine Treppe Richtung Ausgang, gerade als einige Orkpfeile geschossen kamen.
Ich konnte es noch immer nicht ganz glauben, dass Gandalf tot sein sollte. Wie in einem Traum war ich das letzte Stück aus Moria rausgelaufen und hatte mich, wie die anderen auch, sobald wir außer Schussweite waren, zu Boden fallen lassen. Ich hatte ihn zwar erst seit ein paar Tagen gekannte, aber ich mochte ihn und es tat mir leid, dass er sterben musste. Jetzt saß ich da und starrte vor mich hin. Der Zauberer hatte immer so gewirkt, als ob er alles wusste, als ob ihm nie etwas schaden könnte. Tja, so kann man sich irren. Was nun? Der ‚Anführer’ war tot. Ich war in einer verdammt gefährlichen Fantasy-Welt mit jeder Menge gefährlicher Monster gestrandet. Na toll.
Ich sah zu den anderen hinüber: Wenigstens war ich nicht allein, und bis auf die vier Kleinen schienen alle sehr gut mit ihren Waffen umgehen zu können. Außerdem war da ja auch noch Legolas, der so gut aussah, das es mir den Atem raubte.
Erst jetzt bemerkte ich wieder den stechenden Schmerz in meiner Schulter. Ach ja, Scheiße. Da steckte ja noch der abgebrochene Pfeil drin. Ich traute mich gar nicht daran zu denken, dass er da ja irgendwie wieder raus musste. Ich hatte ja nicht mal etwas alkoholisches da, um mich zu betäuben, von örtlicher Betäubung ganz zu schweigen. Fuck.
Mir drängte sich die Szene von ‚Desperado’ auf, wo Salma Hayek Antonio Banderas die Kugel aus dem Arm entfernte. Ungh. Mir kam gleich mein Essen wider hoch. Vielleicht konnte ich den Pfeil ja einfach drinnen lassen?
Da kam Legolas auf mich zu und kniete sich neben mich.
„Der Pfeil muss raus und die Wunde ordentlich behandelt werden, sonst entzündet sie sich.“
Er besah sich den Pfeil genauer.
„Ihr habt Glück gehabt. Es scheint sich nicht um einen Pfeil mit Wiederhaken zu handeln. Er müsste also leicht rauszuziehen sein.“
Wiederhaken? Mein Magen krampfte sich zusammen.
„Ich glaub mir wird schlecht.“
Er legte seine Hand auf meinen Nacken und drückte mir meinen Kopf zwischen meine Knie.
„Drückt gegen meine Hand“, sagte er.
Das Rauschen in meinen Ohren hörte auf, und mein Bauch fing an sich zu beruhigen.
Vorsichtig strich er mir die Haare aus der Stirn.
„Es wird gleich vorbei sein. Der Pfeil sitzt nicht allzu tief, es wird nicht allzu weh tun.“
„Du hast nicht zufällig ’ne Flasche Whisky dabei?“
Er lächelte leicht und fragte mich: „Wie alt seid Ihr eigentlich?“
„18. Und du?“
„Etwas älter. Elben sind ja schließlich unsterblich. Ich bin 2931 Jahre alt.“
Darauf wusste ich erst mal gar nichts zu sagen.
„Wir werden uns auf den Weg nach Lothlórien machen“, sagte Legolas und zeigt Richtung Südwesten das Tal hinunter. Ich sah in die Richtung in die er wies, und spürte auf einmal einen höllischen Schmerz in meiner Schulter und sackte ohnmächtig zusammen. Er hatte mir den Pfeil aus der Schulter gezogen, als ich abgelenkt war.
Ich kam wieder zu mir, als er meinen Namen sagte.
„Mir geht’s gut. Ich bin nur kurz weggetreten. Alles ok“, murmelte ich noch etwas benommen.
Im Hintergrund konnte ich Aragorn und Boromir streiten hören, doch ich bekam nicht mit, worum es ging, wahrscheinlich darum, welchen Weg wir von hier aus einschlagen sollten. Meine Schulter tat höllisch weh. Sachte entfernte der Elb meine Jacke, die in dem Blut festklebte, von der Wunde. Ich schlüpfte vorsichtig aus dem Ledermantel und wollte gerade meinen übervorsichtig Pulli ausziehen, als Legolas seine Hand auf meine legte.
„Nicht.“
Ich sah ihn erstaunt an, dann ging mir das berühmte Licht auf.
„Oh! Nein, das ist schon ok, ich hab’ noch was drunter“, meinte ich lächelnd und zog den Pulli aus. Jetzt, da ich nur noch ein Spaghettiträger-Top anhatte, konnte ich die Wunde erst so richtig sehen.
Es sah schlimm aus, da war ein richtiges Loch in meiner Schulter, das ziemlich stark blutete. Mit einem Messer schnitt er ein Stück von seinem Mantel ab und versuchte, die Wunde so gut wie möglich zu säubern und verband sie anschließend.
„So, das müsste halten. In Lórien wird Eure Wunde richtig versorgt werden. Wenn wir Glück haben, sind wir heute Abend dort.“
Ich zog mir den Pulli und den Mantel wieder an und dann forderte Aragorn uns schon zum weitergehen auf:
„Wenn die Nacht hereinbricht wimmelt es hier nur so von Orks! Wir müssen die Wälder Lothlòriens erreichen. Kommt!“
Mühsam rappelte ich mich auf, mit Legolas’ Unterstützung.
Aragorn ging voran und wir folgten ihm. Unterwegs ging mir einiges durch den Kopf, das meiste davon hatte mit dem wohlgebauten Elben zu tun. Er hatte so sanfte Hände. Und diese Augen ... . Außerdem hatte er beim Reinigen der Wunde nicht nur auf meine Schulter geschaut ... . Ich grinste. Vielleicht konnte ich mir ja doch Hoffnungen machen. Er scheint mich jedenfalls zu mögen, und das nicht nur im platonischen Sinn.
Während ich so meinen Gedanken nachhing, begann der Weg, der nach Süden führte, ziemlich stark bergab zu gehen. Nach einiger Zeit kamen wir an eine tiefe Quelle mit kristallklarem Wasser aus der ein schmaler, plätschernder Bach entsprang.
„Hier entspringt der Celebrant“ sagte Aragorn. „Bald wird er ein schneller Fluss sein und sammelt Wasser von vielen anderen Gebirgsbächen. Unser Weg führt für viele Meilen an ihm entlang.“
Der Bach floss durch ein langes grünes Tal und floss dann in tiefere Ebenen, bis hin zu einem goldenen Dunstschleier, der weit entfernt lag.
„Dort liegen die Wälder Lothlóriens!“ rief Legolas. „Das ist die schönste Niederlassung meines Volkes. Es gibt keine Bäume wie die Bäume in diesem Land. Denn im Herbst fallen ihre Blätter nicht ab, sondern werden golden. Sie fallen erst, wenn der Frühling kommt und das neue Grün hervorkommt und dann sind die Äste mit gelben Blumen beladen; und der Boden des Waldes ist golden, und golden ist das Dach und seine Säulen sind aus Silber, weil die Rinde der Bäume glatt und grau ist. Diese Bäume werden Mallorn genannt. So sagen es unsere Lieder in Düsterwald. Mein Herz wäre froh, wenn ich im Frühling in diesem Wald wandern könnte!“
„Mein Herz wird sogar im Winter froh sein“, sagte Aragorn. „Aber wir sind noch viele Meilen entfernt. Wir müssen uns beeilen!“
Wir gingen an dem Bach entlang talabwärts und stiegen in die tiefere Ebene hinab. Der Bach war mittlerweile zu einem Fluss angeschwollen. Wir kamen dem geheimnisvollen Wald immer näher, während die Sonne immer weiter gegen Westen wanderte.
Legolas ließ sich etwas zurückfallen und ging jetzt neben mir.
„Hi“, grüßte ich ihn lächelnd.
„Wie geht es Eurer Schulter?“ fragte er mich.
„Oh, geht schon. Tut fast nicht mehr weh.“ Zumindestens nicht solange du neben mir gehst. Wir gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander her und ich überlegte schon verzweifelt, was ich sagen sollte, als er mich plötzlich fragte.
„Was ist das eigentlich für ein Symbol, das Ihr da um den Hals tragt?“
„Das? Das ist ein Ankh-Anhänger. Ein ägyptisches Zeichnen für Leben und Glück.“
Wir betraten die ersten Ausläufer des Waldes. Staunend sah ich mich um: Es waren zwar noch keine goldenen Bäume zu sehen, aber es sah aus wie in einem Märchenwald.
„Wow, der Wald sieht seltsam aus. Irgendwie verzaubert. Ich hab’ noch nie etwas vergleichbares gesehen“, staunte ich.
Legolas grinste und antwortete: „Willkommen in den Wäldern Lóriens!“
Gimli packte seine Axt fester und flüsterte den Hobbits zu: „Bleibt in der Nähe, junge Hobbits! Man sagt, dass eine große Zauberin in diesen Wäldern lebt. Eine Elbenhexe von entsetzlicher Macht. Alle die sie erblicken erliegen ihrem Zauberbann ... und werden nie wieder gesehen.“
Ich sah mich in dem Wald um und dachte, dass es kein Wunder war, wenn sich um diesen Wald seltsame Geschichten rankten. Die Atmosphäre war ein bisschen unheimlich, ein wenig so wie in Stonehenge, aber der Ort hatte absolut nichts negatives an sich. Er war wie ein Feenwald, aus dem durch einen Zauber alles Böse ferngehalten wird.
‚Wenn es Avalon wirklich gibt, muss es dort so ähnlich sein wie hier’ schoss es mir durch den Kopf, als mich Gimlis Stimme wieder aus meinen Gedanken riss.
„Immerhin ist hier ein Zwerg, und den kann sie nicht so leicht umgarnen. Ich habe die Augen eines Habichts und die Ohren eines Luchses!“
Auf einmal waren mehrere Pfeile auf uns gerichtet. Jesus Fucking Christ! Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht laut los zu schreien vor Schreck. Wo vorher nur Wald gewesen war, standen jetzt Elben, die in grün und grau gekleidet waren und uns mit Pfeilen bedrohten.
Ein gutaussehender blonder Elb, aber nicht halb so perfekt aussehend wie Legolas, trat vor und begann mit einer melodischen, leicht ironischen Stimme zu sprechen.
„Der Zwerg atmet so laut, wir hätten ihn im Dunkeln erschießen können.“
Der Sprecher wurde von Aragorn herzlich in einer angenehm klingenden, fremden Sprache begrüßt.
„Haldir o Lórien. Henio aníron, boe ammen i dulu lîn. Boe ammen veriad lîn.“
(Haldir aus Lórien. Ich wünsche, dass du verstehst, dass wir eure Hilfe brauchen. Wir brauchen euren Schutz.)
Sichtlich unwohl warf Gimli ein: „Aragorn, diese Wälder sind gefährlich! Wir sollten umkehren.“
„Ihr habt das Reich der Herrin des Waldes betreten“ entgegnete Haldir. „Ihr könnt nicht umkehren. Ihr müsst mit uns kommen. Aber seit Durins Zeiten wurde es keinem Zwerg mehr erlaubt, Lothlórien zu betreten. Doch wir werden eine Ausnahmen machen, wenn er sich die Augen verbinden und von uns führen lässt.“
„Ich werde mir nicht die Augen verbinden lassen, wie ein Bettler oder Gefangener! Und ich bin kein Spion. Mein Volk hatte nie etwas mit den Dienern des Feindes zu tun. Ebenso wenig haben wir den Elben etwas zu leide getan. Ich würde euch genauso wenig verraten, wie Legolas oder ein anderer meiner Gefährten.“
„Daran zweifle ich nicht“, sagte Haldir. „Doch dies ist unser Gesetz. Ich kann mich nicht über es hinwegsetzen. Ich habe bereits viel getan, indem ich Euch erlaubt habe, auch nur einen Fuß in Lórien zu setzen.“
Gimli blieb stur. Er stellte sich breitbeinig hin und griff nach seiner Axt.
„Ich werde frei mitkommen“, sagte er, „oder ich werde zurückgehen in mein eigenes Land, wo bekannt ist, dass ich mein Wort halte, auch wenn der Weg gefährlich ist.“
„Ihr könnt nicht zurückgehen“, sagte Haldir ernst. „Jetzt da Ihr soweit gekommen seid, müsst Ihr zu unserem Lord und unserer Lady gebracht werden. Sie werden über Euch richten, Euch aufhalten oder gehen lassen, wie sie es wollen. Ihr könnt den Waldrand nicht mehr überschreiten, es sind überall geheime Wächter verborgen an denen Ihr nicht vorüber könnt. Ihr würdet niedergestreckt werden, bevor Ihr sie sehen würdet.“
Gimli zog seine Axt aus ihrer Halterung. Haldir und seine Gefährten spannten ihre Bögen.
„Kommt!“ rief Aragorn. „Wenn ich diese Gemeinschaft immer noch anführen soll, müsste ihr tun, was ich sage. Es ist hart für den Zwerg so außen vor gelassen zu werden. Wir werden uns alle die Augen verbinden lassen, sogar Legolas.“
Gimli lachte plötzlich.
„Eine fröhliche Gruppe von Narren werden wir abgeben! Wird uns Haldir alle an einer Leine führen, wie viele blinde Bettler mit einem Hund? Aber ich werde mich zufrieden geben, wenn nur Legolas meine Blindheit teilt.“
„Die Gemeinschaft soll gleich behandelt werden. Verbinde uns die Augen, Haldir.“ befahl Aragorn.
Jetzt zählte er mich schon mit zur Gemeinschaft! Cool.
Einer der Elben trat zu mir und legte mir einen Streifen weichen Stoff über die Augen, den er hinter meinem Kopf zusammen band.
„Ist es so in Ordnung?“
„Alles Ok“, antwortete ich.
Der Weg auf dem man uns entlangführte war glatt und eben. Ich konnte den süßen Duft des Waldes riechen.
Nach einiger Zeit ging ich sicherer und hatte nicht mehr soviel Angst, hinzufallen. Ich versank in Gedanken. Wenn ich es schaffte, bei der Gemeinschaft zu bleiben, konnte ich Legolas vielleicht etwas näher kommen. Normalerweise sind zwar Typen, die so gut aussehen und so nett sind wie er entweder verheiratet oder schwul, aber vielleicht hatte ich ja Glück. Gibt es überhaupt schwule Elben? Hoffentlich nicht. Jedenfalls nicht er, das wäre ja dann zu gemein: Der bestaussehendste und sympathischste Mann den ich je getroffen hatte, und er wäre schwul. Nein. Besser gar nicht daran denken.
Außerdem mochte ich die anderen auch, und diese Fantasy Welt gefiel mir irgendwie. Wie oft hatte ich nicht als Kind davon geträumt, dass mich Peter Pan ins Niemandsland mitnehmen würde? Oder später. Hatte ich mir nicht vorgestellt, wie schön es wäre, wenn es einen solchen magischen Steinkreis wie in ‚Feuer und Stein’ wirklich gäbe? Ebenso oft hatte ich davon geträumt, wie Alanna eine Ritterin zu werden und gegen das Böse zu kämpfen oder eine Weltraumprinzessin mit einer coolen Laserwaffe zu sein. Tja, jetzt hatte ich eigentlich ja nur das, was ich mir schon immer gewünscht hatte. Ich beschloss, Legolas zu fragen, ob er mir bebringen könnte, mit einem Schwert umzugehen. Ich würde diesen hässlichen Orks so richtig in den Arsch treten. Und ich würde allen beweisen, dass ich kein Loser war und auf mich selbst aufpassen konnte.
Auf einmal wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich hörte einige fremde Stimmen in der gleichen seltsamen Sprache wie vorhin reden und erschrak dabei so sehr, dass ich über meine eigenen Füße stolperte und hinfiel. Scheiße.
Doch ich fiel nicht zu Boden, sondern wurde von den muskulösen Armen Legolas’ aufgefangen.
„Wow. Das war cool. Und noch dazu mit verbundenen Augen. Hast du ’ne Art Röntgenblick?“
„Nein“, antwortete er belustigt. „Ich habe Euch fallen gehört, das war gar nicht so schwer, Ihr habt ja genügend Lärm gemacht.“
„Danke“, meinte ich trocken.
Plötzlich fing Haldir zu reden an: „Ein Bote des Herrn und der Herrin der Galadhrim ist angekommen. Ihr dürft alle frei gehen, sogar der Zwerg. Es scheint, dass die Herrin jedes Mitglied eurer Gemeinschaft kennt, es müssen neue Boten aus Imladris gekommen sein.“
Unsere Augenbinden wurden uns abgenommen und ich sah mich ehrfürchtig um: Wir standen auf einem offenem Platz, der Boden war mit dichtem, leuchtend grünem Gras bedeckt. Um uns herum wuchsen hohe Bäume mit silber-weißer Rinde und hellgrünen Blättern, die Birken ähnelten und riesige Mallorn Bäume mit grau-silberner Rinde und einer goldenen Krone. Die Stämme waren so dick, dass sie sich ohne weiteres mit einem Mammutbaum messen konnten. Verstreut im Gras blühten wunderschöne Blumen, die einen waren klein mit goldenen, sternförmigen Blüten, die anderen hatten weiße und sehr hellgrüne Blüten, die auf einem langen, schlanken Stiel wuchsen. Der Himmel war von einem strahlenden Postkartenblau. Ich klappte meinen Mund zu, den ich vor Staunen offen gelassen hatte. Wahnsinn! Ich hätte mir etwas so schönes nicht einmal in meinen kühnsten Träumen vorstellen können.
Haldir führte uns weiter und ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Der Boden war mittlerweile nicht mehr nur von Gras sondern auch von weichem Moos bedeckt, in das die Füße beim Gehen sanft einsanken. Auf allem lag ein Licht für das ich keinen Namen hatte, außer vielleicht ‚magisch’. Ich konnte nur Farben sehen, die ich kannte, wie gold und weiß und blau und grün, aber sie waren so frisch und ergreifend, als ob ich sie zum ersten Mal sehen würde. Während Moria dunkel, bedrückend und gefährlich gewirkt hatte, schien Lothlórien ein Paradies auf Erden zu sein. Keine verunstaltende Krankheit oder Missbildung konnte in irgendetwas, das hier wuchs, gesehen werden. Das Land von Lórien war makellos.
Vor uns öffneten sich die Bäume und gaben die Sicht auf eine Ansammlung besonders großer und schöner Mallornbäume frei.
„Caras Galadhon“, sagte Haldir feierlich und wies auf die eben diese Bäume.
„Das Herz des Elbentums auf Erden. Das Reich des Herrn Celeborn und von Galadriel, der Herrin des Lichts.“
Wir gingen auf die ‚Stadt’ zu. Ich konnte jedoch nur Bäume sehen und fragte mich, wo denn jetzt diese ‚Stadt’ sei.
Wir kamen zu einem offenen Platz, wo das Gras und die Blumen im Licht der untergehenden Sonne leuchteten. Vor uns war eine große grüne Mauer, die aus irgendeiner Art von Bäumen oder Büschen zu bestehen schien. In dieser Mauer befand sich ein großes Tor, das von vielen Lampen in eine weiches Licht getaucht wurde. Das Tor befand sich auf der Süd-West-Seite der Stadt.
Haldir klopfte und sagte leise einige Worte, worauf sich die Torflügel leise öffneten, doch von irgendwelchen Wächtern war nichts zu sehen. Wir traten ein und die Tore schlossen sich ebenso leise wieder hinter uns. Wir waren in einer engen Straße zwischen den Enden der Mauer und gingen schnell hindurch in die Stadt der Bäume. Niemand war zu sehen, aber es waren viele stimmen überall und in der Luft über uns. Weit entfernt auf dem Hügel konnte ich jemanden singen hören, wie weicher Regen auf Blättern.
Wir gingen viele Wege entlang und stiegen viele Treppen hinauf, bis wir zu den höheren Plätzen kamen. Wir kamen zu einem weiten, freien Platz, auf dem ein schimmernder Brunnen stand. Auf der südlichen Seite stand der größte Baum den ich je gesehen hatte und in seiner goldenen Krone leuchteten Lichter wie silberne Sterne.
Entlang des Baumstamms wand sich eine weiße Treppe nach oben, die wir hinaufstiegen. Wir kamen immer weiter nach oben und ich bekam einen guten Ausblick auf die Stadt in den Bäumen. Jeder Baumwipfel war von einem überirdischen Leuchten erfüllt.
Wir betraten eine große, ovalförmige Plattform, die von einem weichen Licht erleuchtet war. Über eine breite Treppe kamen Elben herab, von denen selbst ein magisches Licht ausgehen zu schien. Beide hatten sie lange blonde Haare und waren groß und wunderschön. Der Mann, den ich für Celeborn hielt, war in weiß und silber-grau gekleidet und seine Haare hatten einen leichten silbernen Schimmer. Die Frau, anscheinend Galadriel, trug nur weiß und auf ihrer Stirn trug sie ein goldenes Band, das ihr glänzendes goldblondes Haar zurückhielt. Der Mann sprach als erstes.
„Der Feind weiß, dass ihr hier eingetroffen seid. Eure Hoffnung unerkannt zu bleiben ist nun zunichte.“ Er lies seinen Blick über unsere Gruppe schweifen.
„Sagt mir, wo ist Gandalf? Denn es verlangt mich sehr mit ihm zu sprechen.“
Da meldete sich Galadriel zu Wort und sagte mit geheimnisvoller Stimme: „Gandalf der Graue hat die Grenzen dieses Landes nicht überschritten. Er ist in den Schatten gestürzt.“
„Er wurde zugleich von Schatten und Flamme genommen. Ein Balrog von Morgoth. Denn unnötigerweise gingen wir in die Tiefen von Moria“, antwortete Legolas betrübt.
Doch Galadriel widersprach: „Unnötig war keine von Gandalfs Taten. Wir durchschauen seine genauen Absichten nur nicht.“
Sie lächelte Gimli an.
„Lasse die große Leere von Khazad-dûm nicht in dein Herz, Gimli, Glóins Sohn. Denn die Welt ist gefahrvoller als vormals, und in allen Ländern ist Liebe nun verwoben mit Trauer.“
„Was wird nun werden aus dieser Gemeinschaft?“ fragte Celeborn. „Ohne Gandalf ist die Hoffnung verloren.“
Galadriel fuhr fort: „Eure Fahrt steht auf Messers Schneide. Geht nur um ein weniges fehl und sie wird scheitern, was den Untergang für alle bedeutet.“ Sie lächelte. „Und doch besteht Hoffnung, solange die Gemeinschaft treu ist.“
Jetzt sah sie mir direkt in die Augen und ich konnte ihre Stimme in meinem Kopf hören.
‚Elena. Du kommst von weit her. Mittelerde ist nicht deine Heimat und doch erwartet dich hier viel. Seltsame Geschicke leiten dich. Der Schatten deines Schicksals hängt dunkel über dir. Doch verliere nie die Hoffnung, denn sonst wirst du scheitern. Du musst dich entscheiden, doch sei bedacht die richtige Wahl zu treffen’, sie lächelte mich an. ‚Dein Herz ist frei. Habe den Mut ihm zu folgen.’
Ich verstand zwar nicht alles was sie gesagt hatte, manches machte einfach keinen Sinn, aber bei diesen Worten lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich hatte sie zwar nur ein einziges Mal gehört, doch sie hatten sich tief in mein Gedächtnis eingegraben, ich wusste, ich würde sie nie wieder vergessen.
Jetzt wandte sich die blonde Elbin wieder an alle: „Lasst euch das Herz nicht schwer machen. Geht nun und ruht, denn ihr seid alle erschöpft nach so viel Plage und Trauer. Heute Nacht schlaft in Frieden.“
Mit diesen Worten waren wir entlassen und Haldir führte uns wieder die Treppe hinunter, wo schon ein Pavillon für uns aufgestellt worden war, direkt neben dem Springbrunnen. Dort hatte man weiche Liegen für uns hergerichtet.
‚Schade’, dachte ich mit einem anzüglichen Grinsen auf den Lippen. ‚Doppelliegen wären mir lieber gewesen.’
Nachdem wir gegessen und getrunken hatten, saß ich neben Legolas auf einer der Liegen.
„Was war das eigentlich für eine Sprache? Die, mit der sich Aragorn und Haldir unterhalten haben und die alle anderen Elben benutzen?“, fragte ich nach einiger Zeit.
„Das ist Sindarin, die Sprache der Sindar-Elben“, antwortete er.
„Das ist eine wunderschöne Sprache“, schwärmte ich. „Ich würde sie gerne mal lernen.“
„Wenn Ihr wollt, bringe ich sie Euch bei.“
“Wirklich? Das wäre super!“
„Klar,“ sagte er lächelnd. „Das mach’ ich gerne.“
In diesem Moment hörte ich eine wunderschöne Stimme, die ein trauriges Lied sang, begleitet von fremdartiger, bezaubernder Musik.
„Ein Klagelied für Gandalf“, stellte Legolas fest.
„Was singen sie denn über ihn?“ wollte Merry wissen.
„Mein Herz vermag es nicht zu sagen. Für mich ist die Trauer noch zu nah.“
Ich lauschte gebannt den wehmütigen Klängen des Liedes.
„A Olórin i yáresse [Olórin, der einst war]
Mentaner i Númeherui [Gesandt von den Herren des Westen]
Tírien i Rómenóri [Um die Länder des Osten zu beschützen]
Maiaron i Oiosaila [Weisester aller Maiar]
Manan elye etevanne [Was brachte dich dazu, das zu verlassen]
Nórie i melanelye? [Was du liebst?]
Mithrandir, Mithrandir, A Randir Vithren [Mithrandir, Mithrandir, O Grauer Pilger]
Ú-reniathach i amar galen [Nie Wieder wirst du über die grünen Felder dieser Erde wandern]
I reniad lìn ne mòr, nuithannen [Deine Reise hat in Dunkelheit geendet]
In gwidh ristennin, i fae narchannen [Die Fesseln sind zerschnitten, der Geist gebrochen]
I lach Anor ed ardhon gwannen [Die Flamme von Anor hat diese Welt verlassen]
Caled veleg, ethuiannen. [Ein großes Licht ist ausgegangen]“
Auf einmal meldete sich Sam zu Wort und stand langsam auf.
„Bestimmt erwähnen sie nichts von seinem Feuerwerk. Über das sollte es auch ’ne Strophe geben.
‚Raketen spieen, alle Pracht,
Und bunte Sterne in der Nacht.
Wie glühend Lava aus dem Berg, ...“
Gimli schlief bereits und schnarchte ziemlich geräuschvoll, was ihm einen Schlag von Aragorn einbrachte.
„ ... nie sah man solch ein Feuerwerk.’
Und selbst damit wird man ihm nicht gerecht.“
„Wir sollten jetzt alle ein wenig schlafen“, meinte Aragorn, legte sich auf eine Liege und war sofort eingeschlafen.
Wir anderen legten uns ebenfalls hin. Meine Liege war nur ca. zwei Meter von der von Legolas entfernt. Ich lag auf der bequemen Liege und lies meinen Kopf in die weichen Kissen zurück sinken. Hmm ... heute Nacht würde ich bestimmt gut schlafen. Und vor allem träumen...
Schnell war ich eingeschlafen und fing an zu träumen. Zuerst träumte ich nur konfuses Zeug, dass keinerlei Sinn ergab und an das ich mich auch nicht mehr genau erinnern konnte. Was man halt normaler weise so träumt. Dann tauchte aus einem dichten Nebel das Gesicht der Elbin Galadriel auf und wie von weit her hörte ich ihre gedämpfte Stimme ‚Dein Herz ist frei. Habe den Mut, ihm zu folgen.’ Dann verblasste ihr Gesicht wieder und danach konnte ich mich an nichts mehr erinnern, das ich geträumt hatte. Ich wusste nur noch, dass es etwas schönes gewesen war.
Als ich am nächsten Morgen (eher Vormittag) aufwachte, war ich alleine auf der Lichtung. Verschlafen setzte ich mich auf und streckte mich. Neben meiner Liege stand ein kleiner Tisch auf dem ein Becher und eine Glaskaraffe mit einer farblosen Flüssigkeit standen. Beide waren fein verziert und daneben stand ein Teller mit verschiedenen, meist exotischen Früchten. Ich goss mir etwas von dem Getränk ein und roch erst einmal daran. Sofort stieg mir ein angenehmer, leicht süßlicher Duft in die Nase. Leicht nippte ich an der Flüssigkeit. Wow! Sofort trank ich den ganzen Becher aus. Das schmeckte ja fantastisch! Es schien Wasser zu sein, aber es hatte einen leicht süßlichen frischen Beigeschmack, den ich nicht genauer beschreiben konnte. Die Früchte rochen ebenso lecker und ich konnte mich gar nicht entscheiden, welche ich zuerst essen sollte. Ich entschloss mich vorsichtshalber für eine Art Apfel. Die Frucht sah jedenfalls wie ein runder, gelb-goldener Apfel aus. Voller Vorfreude biss ich hinein. Mmmm! Wahnsinn! Blitzschnell hatte ich den ganzen ‚Apfel’ und noch zwei weitere Früchte verdrückt. Das schmeckte ja so gut, dass man fast auf der Stelle einen Orgasmus bekam! Ich hätte ja noch mehr gegessen, aber ich war leider schon satt.
Mein Blick fiel auf den Brunnen. Das klare Wasser sah ja so verführend aus! Doch nach einem kurzen Blick in die Runde, beschloss ich, lieber doch nicht darin zu baden, die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand überraschen dabei würde, war zu groß. Und einen Badeanzug hatte ich ja leider nicht dabei. Aber meine Haare waren so fettig, ich hatte sie seit Tagen nicht mehr gewaschen. Obwohl, Haare wasche würde ja gehen. Ich ging zum Brunnenrand und hielt erst mal prüfend die hand hinein. Herrlich! Wunderbar kühl und angenehm. Ich kniete mich vor den Brunnenrand und tauchte einfach den ganzen Kopf ins wasser. Ah! Schön! Und gleich noch mal! Danach presste ich so gut es ging, das Wasser aus meinen Haaren und suchte mir meinen Kamm aus dem Rucksack.
Als ich den Hügel hinuntersah, entdeckte ich, wie Legolas auf den Pavillon zukam. Schnell ein prüfender Blick an mir herunter, ob auch alles in Ordnung war und ob meine nassen Haare auch nicht zu wirr aussahen, dann stand ich auf um ihn zu begrüßen.
„Hi.“
„Mae govannen.“
„Was heißt das? Ist das Sindarin?“
„Ja“, antwortete er lächelnd. „das ist Sindarin. Und es bedeutet soviel wie ‚Sei gegrüßt’ oder ‚Seid gegrüßt’, ein einfacher Gruß, den man zu jeder Tageszeit verwenden kann.“
„So wie ‚Herzlich Willkommen’?“
„Ja, so ähnlich. Warum sind Eure Haare eigentlich so nass?“
„Oh, ich hab sie mir nur kurz im Brunnen nass gemacht, sie waren noch so staubig und so, von Moria“, antwortete ich mit einem verlegenen Grinsen.
„Wenn Ihr Euch den Staub der Reise abwaschen wollt, braucht Ihr nur etwas zu sagen.“
„Das wäre toll.“ Vor allem wenn du mir den Rücken waschen würdest. Ups, das hab’ ich doch nicht etwa laut gesagt? Nein. Glück gehabt.
Währenddessen hatte mich Legolas zu einer Art kleinem Zelt, das etwas abseits stand geführt.
„Hier könnt Ihr ein Bad nehmen. Ich werde Nimloth holen, sie kann Euch alles zeigen. Bis später dann.“
„Ja, bis später.“ Oh, warum kannst du nicht bleiben? Ich will doch am liebsten mit dir baden! Doch ich lächelte nur und passte auf, dass ich das nicht laut sagte.
Kurze Zeit später kam eine Elbin auf mich zu, sie hatte dunkelblonde Haare, die sie offen trug und ein langes, einfach geschnittenes zartgrünes Gewand an. Anmutig schritt sie die letzten Meter entlang.
„Hi“, sagte ich etwas unsicher.
„Seid gegrüßt“, antwortete sie mit weicher Stimme. „Kommt, das Bad ist gleich fertig.“
Sie führte mich in das Zelt hinein, wo eine wunderschöne Badewanne stand, gefüllt mit einladendem, duftenden Wasser. Fantastisch! Ich legte meinen Mantel ab.
„Ich bin Elena und du?“
„Nimloth. Hier, Ihr könnt Eure Kleider dort ablegen.“
Sie deutete auf einen Hocker, der etwas abseits von der Wanne stand.
„Das sind seltsame Sachen, die Ihr da tragt. Kommt Ihr von weit her?“
„Kann man wohl sagen, ziemlich weit. Sehen sie wirklich so seltsam aus für dich?“
„Ja, eigentlich schon. Vor allem der Schnitt und die Farbe deiner Hose, die ist .. ungewöhnlich. Und dein Mantel.“
„Na ja, der Schnitt ist da wo ich herkomm’ halt gerade Mode. Außerdem ist er auch praktisch. Ok, der Mantel, das kann ich verstehen, ist ja aber auch mehr ’ne Jacke als ein Mantel.“
Ich streifte mir den Pulli über den Kopf und mich durchfuhr ein stechender Schmerz. Scheiße! Die Pfeilwunde hatte ich ja ganz vergessen!
„Oh. Das sieht aber nicht so gut aus. Wie alt ist die Wunde?“ wollte Nimloth wissen.
„Oh, von gestern früh, glaub’ ich. Das ist in Moria passiert. Legolas hat sie erst mal provisorisch verbunden. Es hat aber gar nicht mehr weh getan, deshalb hab’ ich’s wahrscheinlich auch vergessen.“
„Ich werde mich darum kümmern. Wartet bitte kurz.“
Nach ein paar Minuten war sie wieder da und hatte jede Menge Zeug dabei. Vorsichtig entfernte sie den behelfsmäßigen Verband an meiner Schulter und strich eine kühle Salbe darauf. Danach verband sie die wunde mit einem frischen Tuch.
„So, das müsste reichen. Wenn es allerdings Probleme geben sollte, müsst Ihr es mir sofort sagen. Und passt auf, dass der Verband nicht nass wird.“
„Klar doch. Es tut schon fast nicht mehr weh, die Salbe scheint zu helfen.“
Ich zog schnell meine restlichen Sachen aus und stieg in die Wanne. Oh, tat das gut!
Die Elbin kam mit einer Dose an.
„Hier ist Seife, die Ihr auch für Eure Haare verwenden könnt und dort liegen Tücher zum abtrocknen.“
„Danke. Das ist wirklich nett von dir. Ich bin so froh, dass ich mir endlich den Dreck der letzten Tage abwaschen kann.“
„Kein Problem. Ich bin draußen, falls Ihr mich braucht.“
Mit diesen Worten verlies sie das Zelt. Ich lehnte mich erst einmal entspannt zurück und genoss es einfach, in dem Wasser zu sitzen. Dann nahm ich die Seife und wusch mich gründlich. Schließlich hatte ich es ja auch wirklich nötig.
Nachdem ich noch längere Zeit einfach nur in der Wanne gesessen und gefaulenzt hatte, stieg ich aus der Badewanne und hüllte mich in ein großes, weiches Tuch, das bereit lag.
Als ich mich nach meinen Klamotten umsah. Entdeckte ich einen weiteren Stapel der direkt neben meinen Sachen lag. Es waren wunderschöne elbische Stoffe in zarten Perlmutt- und Grün-Tönen. Ich sah den Stapel durch und entschied mich für eine Art langärmliges Hemd in zartem Perlmutt mit feinen Stickereien am Ausschnitt und den Ärmeln die nach unter hin leicht weiter wurden. Ich zog es über mein Top an, da es zwar nicht kalt aber immerhin kühl war.
‚Na ja, für Winter ist es ja eigentlich doch ganz schön warm’, dachte ich, als ich in meine Jeans schlüpfte.
Ich trat aus dem kleinen Zelt hinaus und sah Nimloth, die ganz in der Nähe unter einem großen Mallorn Baum gestanden hatte und jetzt auf mich zu kam.
„Eure schmutzigen Sachen könnt Ihr da lassen, wenn sie sauber sind, werden wir sie Euch zum Pavillon bringen.“
„Danke. Würde es dir etwas ausmachen, mir ein wenig die Gegend zu zeigen?“
„Nein, überhaupt nicht“, antwortete die Elbin lächelnd. „Das wollte ich Euch auch gerade vorschlagen.“
Sie führte mich den Hügel hinunter, über einige Treppen und durch einige verzierte Torbögen hindurch. Ich passte gut auf und versuchte mir einige auffallende Stellen zu merken, mit deren Hilfe ich den Weg zurück finden würde. Wir gingen gerade über eine Brücke, die über einen kleinen, leise plätschernden Bach führte, als wir Legolas trafen, der sich mit einigen anderen Elben unterhielt. Ich wollte ihm unbedingt beweisen, dass es mir ernst damit war, Sindarin zu lernen und beantwortete ihre Grüße mit „Mae govannen“. Das brachte mir von allen ein freundliches Lächeln ein und auch Legolas lächelte mich erfreut an.
„Ich führe Elena gerade ein wenig herum“, informierte Nimloth die Gruppe.
„Ich werde mich euch anschließen“, beschloss der blonde Elb zu meiner Freude.
Ecthelion, einer der Elben, die sich zuvor mit Legolas unterhalten hatten, kam auch noch mit.
Bis spät in den Nachmittag hinein führten sie mich durch Lórien. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, obwohl mir die Elben immer wieder versicherten, dass es jetzt, im Winter, eigentlich nicht so toll aussehen würde und das es schade sei, dass ich nicht im Frühling hier sein konnte. Doch ich war auch so schon begeistert. Wie fantastisch musste es hier erst im Frühling aussehen! Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es irgendwo oder irgendwann schöner sein konnte. Mir kam ein Songtext in den Sinn, als ich mich so in diesem Paradies umsah.
‚This must be just like living in paradise and I don’t wanna go home’
Oh, ja, das traf den Nagel auf den Kopf. Es war, als ob diese Zeilen Lórien beschrieben. Seufz. Warum konnte ich nicht für immer hier bleiben? Doch das ging wohl nicht. Außerdem war es unwahrscheinlich, dass Legolas ebenfalls hier bleiben würde und mittlerweile gab es keinerlei Zweifel mehr: Ich hatte mich hoffnungslos in den blonden Elben verliebt.
Irgendwann am späten Nachmittag verabschiedeten sich Nimloth und Ecthelion von uns und Legolas und ich gingen zum Pavillon zurück, wo die anderen bereits um den Brunnen herum saßen und gerade etwas aßen. Erfreut sie zu sehen, begrüßte ich sie.
Sie grüßten uns ebenfalls und forderten uns auf, auch mit ihnen zu essen. Ich setzte mich dazu und nahm mir etwas von den Früchten, die, wie die von heute Morgen, hervorragend schmeckten. Ich Gedanken lies ich noch einmal das Gespräch des letzten Abends mit Galadriel und Celeborn vorbeiziehen.
„Wen oder was meinte Celeborn gestern eigentlich mit dem Feind von dem er sprach? Und bei was darf die Gemeinschaft nicht versagen?“ fragte ich plötzlich.
Auf einmal waren alle still und starrten mich verblüfft an. Fast so, als ob sie total vergessen hätten, dass ich nicht ‚von Anfang an dabei’ war und in alles eingeweiht war.
Dann meldete sich Aragorn zu Wort: „Habt Ihr denn in Eurer Heimat nichts davon gehört, dass sich das Böse im Osten wieder erhebt?“
„Ähm, nein. Eigentlich nicht. Der Kalte Krieg ist doch schon lange vorbei.“
„Nein, der Krieg ist leider nicht schon vorbei. Er hat gerade erst angefangen. Sauron, der Dunkle Herrscher hat seine Festung in Mordor wieder aufgebaut. Er ist es, dem die Orks dienen. Er will die freien Länder Mittelerdes mit Dunkelheit und Verwüstung überziehen. Er ist der Feind aller freien Völker. Deshalb müssen wir ihm Einhalt gebieten und ihn ein für alle mal vernichten.“
„Oh. Davon hör’ ich heute zu ersten mal. Klingt aber nicht besonders toll. Und dieser Sauron ist also der Oberfiesling, so wie Darth Vader.“
Irritiert sah er mich an.
„Ich weiß zwar nicht, wen Ihr meint, aber der Feind, dem wir hier gegenüberstehen, ist mächtiger und böser, als Ihr es Euch vorstellen könnt.“
Also, das bezweifle ich. Ich hab’ ’ne verdammt gute Fantasie. Außerdem hab’ ich genug Horrorfilme gesehen. Aber wegen so was würde ich jetzt keinen Streit anfangen. Ich nahm einfach an, dieser Sauron sei ’ne Mischung aus Darth Vader, Freddy Krueger, Pinnhead (Hellraiser) und dem Teufel höchstpersönlich. Doch Aragorn hatte den zweiten Teil meiner Frage noch nicht beantwortet, was den anderen anscheinend auch schon aufgefallen war.
„Aragorn, wir wissen nicht ob wir ihr trauen können!“ rief Boromir in die Stille hinein.
„Wenn Galadriel ihr vertraut, sehe ich keinen Grund, warum wir ihr nicht vertrauen sollen“, entgegnete der Dunkelhaarige logisch.
„Ich hatte immer gedacht, dass unsere einzige Chance in der Geheimhaltung liegt! Außerdem traue ich dieser Elbin nicht ganz.“
„Du wirst nicht an der Herrin Galadriel zweifeln!“ rief Gimli empört.
„Sie weiß bereits so viel und nach dem was in Moria passiert ist, hat sie ein Recht darauf, die ganze Wahrheit zu erfahren!“ beendete Aragorn entschlossen den Streit.
‚Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit’ dachte ich sarkastisch.
Boromir wollte etwas erwidern, aber Aragorn hielt ihn mit einer Geste davon ab und begann zu erzählen.
„Es begann mit dem Schmieden der Großen Ringe. Drei wurden den unsterblichen Elben gegeben, sieben den Zwergen-Herrschern und neun Ringe wurden den Menschen geschenkt, die vor allem Macht haben wollten. In diesen Ringen lag die Macht und der Wille, jede Rasse zu beherrschen. Aber sie wurden alle betrogen, denn es wurde noch ein Ring geschmiedet.
Im Lande Mordor, in den Feuern des Schicksalsberges, schmiedete der Dunkle Herrscher Sauron heimlich einen alles beherrschenden Ring, um alle anderen zu kontrollieren. In diesen Ring tat er seine Grausamkeit, seine Bosheit und seinen Willen, alles Leben zu beherrschen.
Eines nach dem anderen fielen die freien Länder Mittelerdes unter die Macht des Ringes. Aber es gab einige, die sich ihm wiedersetzten. Eine Letzte Allianz von Menschen und Elben marschierte gegen die Armeen Mordors und am Fuße des Schicksalsberges kämpften sie für die Freiheit Mittelerdes.
Der Sieg war nah. Aber die Macht des Ringes konnte nicht gebrochen werden. Doch dann, als alle Hoffnung verloren war, nahm Isildur, der Sohn des Königs, das Schwert seines Vaters auf und schnitt den Einen Ring von Saurons Hand.
Sauron, der Feind der freien Völker Mittelerdes, war besiegt. Isildur hatte die Chance durch die Vernichtung des Ringes das Böse für immer zu zerstören.
Aber die Herzen der Menschen sind schwach. Und der Ring der Macht hat einen eigenen Willen. Isildur behielt den Ring und wurde von ihm verraten, was zu seinem Tod führte. Der Ring verschwand in den Tiefen des Anduin und manche Dinge die nie hätten vergessen werden dürfen, waren verloren.
Für zweieinhalbtausend Jahre war nichts von dem Ring bekannt. Bis er sich einen neuen Träger suchte.
Der Ring kam zu der Kreatur Gollum und nahm ihn ein. Er brachte ihm ein unnatürlich langes Leben. 500 Jahre lang vergiftete der Ring seinen Verstand. Der Ring wartete. Dunkelheit kroch zurück in die Welt. Gerüchte wuchsen, von einem Schatten im Osten, eine namenlose Furcht. Der Ring entschied, dass es Zeit war, Gollum zu verlassen. Aber dann passierte etwas, was der Ring nicht beabsichtig hatte: Er wurde von einem Hobbit gefunden.
So erfuhren wir von der drohenden Gefahr und beschlossen, den Ring nach Mordor zu den Feuern des Schicksalsberges zu bringen, denn nur dort kann er vernichtet werden.
Ich starrte ihn erst mal nur an. Oh. Das war ja ganz schön starker Stoff! Das war ja noch abgefuckter als in Star Wars! Da wusste ich auch nichts mehr drauf zu sagen.
„Oh“, meinte ich nur und lächelte unsicher.
Mittlerweile war ich schon seit einer Woche in Lórien und mein Elbisch wurde immer besser. Legolas hatte sein Wort gehalten und tat sein bestes, um mir Sindarin beizubringen. Ich genoß diese Stunden mit ihm in vollen Zügen. Meistens wanderten wir durch den Wald oder saßen auf einer Lichtung. Oh, wenn das doch nur für immer so bleiben könnte! Könnte ich doch nur mit Legolas hierbleiben.
Seufzend stand ich auf und ging, ganz in Gedanken versunken, einen Pfad entlang. Ich träumte davon, wie schön es sein könnte, wenn diese blöde Sache mit diesem Ring nicht wäre.
‚Tja’, dachte ich. ‚Da hast du dein Abenteuer. Sowas wolltest du doch immer. Jetzt bist du in einer gefährlichen, aber interessanten Welt, wo es noch richtige Abenteuer zu erleben gibt. Du wolltest an der Seite von Robin Hood kämpfen? Du wolltest mit William Wallace gegen die Engländer in die Schlacht ziehen? Oder mit Indiana Jones auf Schatzsuche gehen? Jetzt hast du alles zusammen und sogar noch besser: Ein Oberschufft, der sogar Lord Voldemort in den Schatten stellt, tapfere Schwertkämpfer die für die Freiheit kämpfen, einen verdammt gutaussehenden Bogenschützen und noch vieles mehr. Ganz zu schweigen von all den Märchengestallten und der Zauberei.’
Langsam dämmerte mir, dass ich in meinem Inneren schon längst eine Entscheidung getroffen hatte: Ich würde nicht hier in der Sicherheit Lóriens bleiben, sondern an Legolas’ Seite ins Abenteuer ziehen. Jetzt hatte ich die einmalige Chance, mir meinen Traum zu erfüllen! Ich würde lernen wie man richtig kämpft und Xena, Alanna und Flying Snow in den Schatten stellen!
Ein Grinsen huschte über mein Gesicht. Jetzt, da ich mir über das, was ich wollte, klar war, ging es mir hervorragend. Ich würde Legolas bitten, mir zu zeigen, wie man mit einem Schwert umgeht und ich würde versuchen, mich an alles zu erinnern, was ich in den zwei Jahren, in denen ich zum Karate Training gegangen war, gelernt hatte.
Mit diesen Gedanken bog ich um eine Ecke und sah eine Art Übungsplatzt auf dem mehrere Elben waren und mit Pfeilen auf Zielscheiben aus Holz schossen. Interessiert ging ich näher heran.
„Mae govannen!“ sprach ich sie an.
Sie begrüßten mich ebenfalls, einige freundlicher, einige etwas zurückhaltender. Ich wusste nicht, ob einer von ihnen die ‚Common Language’ gut genug beherrschte. Legolas hatte mir erzählt, dass viele der Elben Lóriens nur Elbisch sprachen, also stellte ich mich darauf ein, dass ich mit meinem bißchen Sindarin zurechtkommen werden müsste, als ich eine vertraute Stimme hörte.
„Mae govannen, Elena!“ rief Ecthelion lächelnd.
Ich trat näher an den Übungsplatz heran.
„Darf ich’s auch mal versuchen?“
„Natürlich. Hier, Ihr könnt meinen Bogen nehmen.“
Er hielt mir seinen Bogen hin. Als ich ihn nahm, sah ich, dass einige der anderen Elben lächelten, so als ob sie mir nicht zutrauen würden, das Ziel zu treffen. Ich grinste innerlich. Tja, es zahlt sich also doch irgendwann aus, dass ich früher beim ‚Cowboy und Indianer’ Spielen, immer ein Indianer sein wollte.
Ich nahm den Pfeil, den Ecthelion mir hinhielt und legte an. Ich zielte auf eine der Zielscheiben, die ungefähr zehn Meter entfernt war und lies den Pfeil los. Er tarf genau in die Mitte. Das hatte nun keiner erwartet. Erstaunt sahen sie mich an.
„Ihr seid gut. Wo habt Ihr Bogenschießen gelernt?“
„Von Winnetou,“ rutschte mir heraus, bevor ich mich zurückhalten konnte.
Natürlich sagte ihnen der Name nichts, aber sie nahmen an, dass er dort, wo ich herkam ein berühmter Bogenschütze sein musste. Womit sie ja eigentlich gar nicht so unrecht hatten. Ich blieb noch einige Stunden hier und übte mit den Elben, die mir zeigten, wie ich mich verbessern konnte.
‚Endlich einmal was, das ich kann’, dachte ich erfreut.
Ich war zwar nicht so gut wie die Elben, aber für einen Menschen nicht schlecht.
Wie schnell hier die Zeit verging! Jetzt war ich schon seit ungefähr zwei Wochen in Lothlórien. Ich hatte wirklich, wie ich es mir vorgenommen hatte, Legolas gebeten, mir den Umgang mit dem Schwert beizubringen. Und er hatte auch gerne eingewilligt. Anfangs hatte ich mich zwar absolut blöd angestellt, aber mit der Zeit wurde es einigermaßen besser. Jedenfalls wusste ich mittlerweile schon mehr, als nur, an welchem Ende man es halten musste.
Meine erste Unterrichtsstunde würde ich wohl nicht so schnell vergessen.
„Ihr müsst die Hände so halten,“ sagte Legolas. „So und so, seht Ihr?“
Seine Hände fühlten sich einfach wunderbar auf meinen an, als er mir zeigt, wie ich das Schwert am besten halten sollte.
„So kann man Euch das Schwert nicht so leicht aus der Hand schlagen und Ihr lauft auch nicht so leicht in Gefahr, Euch das Handgelenk zu brechen.“
Tolle Aussichten. Entweder ich verlier die Waffe und krieg’ eine über den Schädel, oder ich brech’ mir das Handgelenk. Doch ich hütete mich, das laut zu sagen. Schließlich hatte ich ihn ja darum gebeten, mir den Schwertkampf beizubringen. Und es war außerordentlich nett von ihm, sich die Zeit dazu zu nehmen, wo er doch eh schon überraschend viel Zeit damit verbrachte, mir Sindarin beizubringen. Mittlerweile konnte ich mich bereits einigermaßen verständigen. So schwer, wie man am Anfang meint, war Elbisch gar nicht. Und das von mir, die in der zehnten Klasse beinahe wegen Latein durchgefallen wäre!
Wenn ich mich doch mit dem Schwert wenigstens nur halb so gut anstellen würde! Aber ich hielt mich an meinen Vorsatz und übte verbissen. Von einem Schwert würde ich mich nicht unterkriegen lassen! So schwer konnte es ja nicht sein, wenn man sich anstrengte.
Und jetzt, in der dritten Übungsstunde schaffte ich es wenigstens, einige Hiebe hintereinander zu parieren. Am Anfang hatte ich einmal vor Schreck mein Schwert fallen lassen, noch bevor das seine es berührt hatte. Oh ja, er musste wirklich eine Wahnsinnsgeduld haben, so furchtbar, wie ich mich in dieser ersten Stunde angestellt hatte. Aber langsam wurde es besser, hoffte ich jedenfalls.
Gerade hatte ich wieder eine anstrengende Schwertstunde hinter mir und ich machte einen kleinen Spaziergang, um mich etwas zu erholen.
Ich hörte das helle Plätschern von klarem Wasser und als ich dem Geräusch folgte, kam ich zu einem kristallklaren Bach. Doch in einiger Entfernung konnte ich das Rauschen eines kleinen Wasserfalls hören. Ich ging flußaufwärst am Ufer des kleinen Baches entlang. Meine Füße sanken in der Mischung aus Gras und weichem Moos tief ein. Hin und wieder musste ich über einige Äste oder umgefallene Bäume herumgehen oder drübersteigen. Doch als ich zwischen zwei Bäumen hervortrat und den Wasserfall erblickte, kam ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Vor mir befand sich ein kleiner See, vielleicht fünf bis sechs Meter im Durchmesser, dessen Wasser glänzte und glitzerte und das sanfte Grün des Waldes wiederspiegelte. Er schien ziemlich tief zu sein, vielleicht ein bis zwei Meter und auf der anderen Seite fiel über moosbewachsene Felsen von einer Höhe von ungefähr vier Meter das Wasser herab. Durch eine Lücke im Blätterdach fielen mehrere Sonnenstrahlen ein, die das herabstürzende Wasser in allen Farben aufglänzen liesen und die ganze Szene in goldenes Licht tauchten.
Es sah verdammt verlockend aus. Vorsichtig ging ich ans Ufer und hielt meine Hand hinein. Kalt – aber nicht so kalt wie das Meer auf den Orkney Inseln. Und da war ich ja auch ins Wasser gesprungen. Außerdem bei einem so traumhaften kleinen Wasserfall – wer konnte da schon wiederstehen? Ich sah mich um. Niemand war zu sehen.
‚Ach, was solls, ich bade jetzt einfach’, dachte ich und zog meine Stiefel aus.
Ich stellte sie auf einen flachen Stein und legte meine anderen Sachen daneben. Meine Uhr nahm ich auch ab, obwohl sie ja eigentlich wasserdicht sein sollte. Aber man kann ja nie wissen.
Dann steckte ich vorsichtig einen Zeh in das Wasser.
„Uh ... kalt.“
Doch das würde mich nicht aufhalten, ich wusste ja, dass ich mich bald an die Temperatur gewöhnt haben würde. Langsam setzte ich meinen Fuß zu Boden. Das Wasser ging mir bis über die Knie. Jetzt zog ich auch meinen zweiten Fuß ins Wasser. Langsam tat ich einen Schritt nach vorne. Das Ufer fiel ziemlich steil ab, bald stand ich bis zur Hüfte im glitzernden Nass. Ich zählte in Gedanken bis drei und tauchte dann blitzschnell unter.
Als ich wieder auftauchte, lies ich meine Kof zurückschnalzen, so dass meine nassen Haare nach hinten flogen. Ah! Fantstisch! Jetzt, da ich ganz drin war, war das Wasser nicht mehr kalt, sondern angenehm kühl.
Ein Stückchen weiter zur Mitte, war der Boden bereits so tief, dass ich nicht mehr stehen konnte. Ich genoß die angenehme Kühle des Wassers und schwamm ein wenig hin und her. Meine Gedanken wanderten zu Legolas und ich begann leise zu singen:
I give him all my love
That’s all I do
And if you saw my love
You’d love him too
I love him
He gives me everything
And tenderly
The kiss my lover brings
He brings to me
And I love him
A love like our
Could never die
As long as I
Have you near me
Bright are the stars that shine
Dark is the sky
I know this love of mine
Will never die
And I love him
Bright are the stars that shine
Dark is the sky
I know this love of mine
Will never die
And I love him
Zuerst hatte ich nur ganz leise gesungen, doch nach ein paar Zeilen wurde meine Stimme etwas lauter. Was ich jedoch nicht wusste, war, dass man sie in dem stillen Wald weithin hören konnte.
Knacks! Ich erschrak furchtbar als ich einen Zweig brechen hörte und ging beinahe unter. Gerade noch konnte ich wieder Boden unter den Füßen bekommen. Überrascht starrte ich ans Ufer.
Dort stand, mindestens ebenso überrascht, Legolas.
„Hi“, brachte ich schließlich hervor.
Meine Stimme schien ihm wieder bewusst werden lassen, wo er war, denn er errötete leicht und entschuldigte sich.
„Tut mir leid, ich wollte Euch nicht erschrecken, ich hörte jemanden in einer fremden Sprache singen und ... „
„Oh das macht doch nichts. Komm doch auch rein, das Wasser ist wunderbar.“
Hatte ich das wirklich gesagt? Oh! Woher hatte ich nur den Mut genommen? Hoffentlich fasst er das nicht falsch auf. Ich lächelte verlegen.
„Das ist ja ein verlockendes Angebot, aber ich glaube ich gehe lieber, ich will Euch nicht stören.“
Scheiße! Dabei war das doch DIE Gelegenheit! Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Jetzt oder nie. Ich spritzte ihn ein wenig an.
„Na komm schon, so kalt ist es gar nicht.“
Als er immer noch ablehnte, gab ich mir einen Ruck, denn das war die Gelegenheit, die konnte ich einfach nicht so verstreichen lassen.
„Feigling“, neckte ich ihn lachend und packte blitzschnell seinen Fuß und zog ihn ins Wasser. Platsch!
Prustend tauchte er wieder auf und für einen kurzen schrecklichen Moment befürchtete ich, ich wäre zu weit gegangen, doch dann grinste er.
„Na warte, das zahl’ ich Euch heim.“
Er warf sich nach mir und ich schwamm lachend weg.
„Dazu musst du mich erst mal kriegen!“
Wieder verfehlte er mich nur knapp und ich wich ein Stückchen näher zum Ufer weg. Er riss die Arme hoch, als ich ihn vollspritzte, doch dann musste ich auch schon den Kopf wegdrehen, um dem Wasser zu entgehen, das er in meine Richtung spritzte.
Dadurch sah ich etwas zu spät, dass er auf mich zu kam. Ich wich zurück, doch er erwischte mich gerade noch am Arm. Lachend versuchte ich mich zu befreien, doch er zog mich zu sich. Wir standen jetzt so eng beieinander, dass sich unsere Körper berührten und als ich zu ihm aufsah, hielten mich seine Augen für einen Moment fest. Sie waren tief genug, um darin zu ertrinken und als sein Blick etwas sanfter wurde bekam ich ein warmes Kribbeln im Bauch. Langsam senkte sich sein Mund auf den meinen und er küsste mich. Der Kuss war einfach köstlich, sein Mund war sanft und unsere Zungen berührten sich und der Kuss vertiefte sich. Ich kam mir vor wie im siebten Himmel. Zuerst war der Kuss sachte und zärtlich gewesen, doch jetzt wurde er heiß und stürmisch. Seine Hände hatten meine Arme schon längst losgelassen und streichelten meinen Rücken und drückten mich an ihn. Oh, wenn dieser Kuss doch ewig dauern konnte! Langsam und wiederstreben lösten sich unsere Lippen wieder voneinander und ich lächelte ihn selig an.
Miteinmal grinste er hinterhältig und ehe ich mich versah, hatte er mich auch schon kräftig untergetaucht. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich den Boden unter den Füßen verlor und erst mal mein Gleichgewicht wieder finden musste, ehe ich auftauchen konnte. Entrüstert sah ich ihn an.
„Na warte, Rache ist süß!“
Und mit diesen Worten stürzte ich ich auf ihn und wir lieferten uns eine herrliche Wasserschlacht.
Später saßen wir auf einem umgefallenen Baumstamm und genoßen die warme Nachmittagssonne.
„Ich wusste gar nicht, dass du so toll singen kannst.“
„Na so toll nun auch wieder nicht. Aber es reicht, um mir nebenbei als Sängerin einer Dorfband etwas dazu zuverdienen.“
„Du bist nur bescheiden. Was für eine Sprache war das denn, in der du gesungen hast? Ich hab’ solche Worte noch nie gehört.“
„Das war Englisch. Kennst du das nicht? Da wo ich herkomm’, kann das fast jeder, zumindest ein bißchen.“
„Englisch? Nein, davon habe ich noch nie etwas gehört. Du musst wirklich von ziemlich weit her kommen, denn die meisten der Menschensprachen kenne ich zumindest, wenn ich sie auch nicht alle spreche.“
Du ahnst ja gar nicht von wie weit her ich wirklich komme. Eigentlich weiß ich das ja selber nicht. Sind Zeitreisen möglich? Tja, wahrscheinlich schon, entweder dass, oder ich bin verrückt und sitzte in irgendeinem Irrenhaus. ‚In dem Fall möchte ich aber weiter in meiner Fantasie bleiben,’ dachte ich innerlich grinsend. Ich beschränkte mich auf eine ausweichende Antwort:
„Naja, jedenfalls kann man in Englisch besonders schön singen, fast alle guten Lieder die ich kenne sind in Englisch. Das hört sich einfach viel besser an. Aber du hast ‚Menschensprachen’ gesagt, haben Zwerge und Hobbits zum Beispiel keine eigene Sprache?“
Gekonnter Themawechsel.
„Die Hobbits haben schon lange die Sprache der Menschen angenommen. Und die Zwerge benutzen sie immer wenn sie sich mit anderen Völkern verständigen wollen. Wie sie untereinander reden, interessiert mich nicht besonders.“
„Nein? Eine neue Sprache zu lernen ist doch immer toll, vor allem wenn man alle Zeit der Welt hat. Magst du denn keine Zwerge?“
Er lachte. „Nein, nicht besonders. Elben und Zwerge mögen sich nicht.“
„Das ist mit bei Haldir auch schon aufgefallen, als wir hier ankamen. Aber ich hab’ das eher für eine Ausnahmen gehalten, ich habe nicht gewusst, dass das immer so ist,“ antwortete ich belustigt.
„Das hat seinen Ursprung in grauer Vorzeit, lange vor dem ersten Ringkrieg. Gegen Ende des Ersten Zeitalters haben Zwerge Doriath, ein Elbenreich, überfallen und viele Elben getötet. Das haben ihnen viele nicht vergessen.“
Also so ähnlich wie die Schotten und die Engländer, mit dem Unterschied, dass es Elben gibt, die das noch erlebt haben, da sie ja unsterblich sind. Kein Wunder, dass die sich nicht ausstehen können.
„Aber Gimli ist doch in Ordnung, oder?“ warf ich ein. „Ich jedenfalls mag ihn.“
„Ich mag ihn auch. Er ist anders als die meisten Zwerge. Vielleicht ist er ja eine Ausnahme.“
„Die Ausnahme, die die Regel bestätigt?“ fragte ich ihn grinsend.
Legolas lacht und legte seine Arm um meine Schultern. „Wer weiß? Aber zurück zum Thema. Was war das eigentlich für ein Lied, das du gesungen hast? Es war wunderschön.“
‚Natürlich,’ dachte ich. ‚Es ist ja auch von den Beatles.’ Doch bei seine Worten wurde mir richtig warm ums Herz und ich lächelte.
„Das war ein Liebeslied. Wenn du willst, kann ich dir den Text ja mal überstzen.“
„Das wäre schön.“ Er lächelte zurück. „Bringst du mir die Sprache bei?“
„Na klar, gerne. Ist auch gar nicht so schwer zu lernen.“
Eine Zeitlang saßen wir einfach nur so da.
„Sing ein Lied für mich“, bat er aufeinmal. Ich lachte.
„Was für eins denn? Ich kenn’ jede Menge verschiedene.“
„Egal, irgendeines. Ich möchte dich einfach nur singen hören.“
Ich lächelte und begann zu singen:
Mull of Kintyre
Oh mist rolling in from the sea
My desire is always to be here
Oh Mull of Kintyre
Far have I travelled and much have I seen
Dark distant mountains with valleys of green
Past painted deserts, the sunset’s on fire
As he carries me home to the Mull of Kintyre
Mull of Kintyre
Oh mist rolling in from the sea
My desire is always to be here
Oh Mull of Kintyre
Sweep through the heather like deer in the glen
Carry me back to the days I knew then
Nights when we sang like a heavenly choir
Of the life and the times of the Mull of Kintyre
Mull of Kintyre
Oh mist rolling in from the sea
My desire is always to be here
Oh Mull of Kintyre
Smiles in the sunshine and tears in the rain
Still take me back where my memories remain
Flickering embers grow higher and higher
As they carry me back to the Mull of Kintyre
Mull of Kintyre
Oh mist rolling in from the sea
My desire is always to be here
Oh Mull of Kintyre
Mull of Kintyre
Oh mist rolling in from the sea
My desire is always to be here
Oh Mull of Kintyre
Morgen würden wir wieder aufbrechen. Ich seufzte. Die Tage sind so schnell vergangen!
Auf einmal wurde ich in meinen Gedanken durch Galadriel unterbrochen. Sie schritt eine Treppe hinunter und schien von einer Blüte aus Licht umgeben zu sein, als sie auf mich zukam. Überrascht stand ich auf, um sie zu begrüßen. Mit sanfter Stimme bat sie mich, ihr zu folgen und führte mich zu dem großen Baum, auf den wir am Abend unserer Ankunft gestiegen waren.
Schweigend ging ich hinter ihr die Stufen hinauf. Wir kamen zu der Plattform, auf der sie und Celeborn uns damals begrüßt hatten. Die Elbin überquerte sie und stieg die Treppe hinauf, über die sie damals hinuntergekommen war. Nach kurzem Zögern folgte ich ihr. Die Äste des Mallorn schimmerten im Licht der Mittagssonne. Über eine weitere reichverzierte Treppe stiegen wir zu einer kleinen Plattform hinauf, auf der sich nur eine Bank und eine längliche hölzerne Truhe befanden.
„Setzt Euch“, forderte mich Galadriel auf und setzte sich dann neben mich auf die Bank.
„Vor langer Zeit, als die Welt noch jung war, lebten noch viele Elben in Mittelerde. Sie gründeten viele prachtvolle Reiche im Westen. Doch es war uns nicht beschieden, in Frieden zu leben. Denn Morgoth, der ’Dunkle Feind’, herrschte im kargen Norden und er wollte die ganze Welt unterwerfen und vernichten.“
„So wie jetzt Sauron?“ fragte ich.
„Ja, so ähnlich. Nur war Morgoth viel mächtiger, als Sauron es ist oder je sein wird. Doch nach vielen Jahrhunderten des Krieges gegen Morgoth, schickten schließlich die Valar Hilfe nach Mittelerde.“
Ich nickte, von den Valar hatte mir Legolas bereits erzählt. Die waren eine Art Götter, die in Aman, dem gesegneten Land, lebten. Es lag weit im Westen und nur noch die Elben konnten seine Gestrande erreichen.
„Sie sanden ein gewaltiges Heer über den Ozean und der Anführer dieser Armee war Eönwe, der Herold Manwes, dem mächtigsten der Valar. Mit ihrer Hilfe wurden die dunklen Schaaren Morgoths besiegt.“
Ich fragte mich, worauf das hinauslaufen würde, als sie die Truhe öffnete und einige feine Tücher zur Seite schlug, so dass ich den Inhalt sehen konnte. Es war ein Schwert. Aber nicht irgendein Schwert.
Am Ende des Hefts befand sich ein grünlich schimmernder, runder Stein der im Sonnenlicht seltsam zu leuchten schien. Der silberne Griff war mit dunklen, eingravierten Zeichen bedeckt, die sich spiralenförmig um ihn herum wanden:
Das waagrechte Teil zwischen dem Griff und der Klinge ist von einem dunkleren Silber-Ton und wird nach außen hin schmaler, bevor es jeweils in einer kleinen Kugel endet. Aber das faszinierendste an der Waffe war die Klinge. Sie schimmerte in einem seltsamen blau-violett, war lang und elegant und auf Hochglanz poliert. Auch hier war etwas in silbernen Zeichen eingraviert:
Und als Galadriel vorsichtig das Schwert heraus nahm und auf ihren Schoß legte, konnte ich sehen, dass sich auf der ‚Rückseite’ der Klinge ebenfalls einige Zeichen befanden:
“Das ist das Schwert Eönwes, das er vor seiner Rückkehr nach Aman in meine Obhut gegeben hatte. Es ist ein besonderes Schwert, und das nicht nur, weil es in Valinor geschmiedet wurde.“
Sie hob die Augen und sah mich an.
„Es wurde von Aule, dem kunstfertigsten der Valar angefertigt. Unter der Aufsicht Vardas, der Sternenkönigin, wurde es in Taniquetil aus Sternenmetall geschmiedet. Sie schloss einen kleinen Teil des silbernen Sternenlichts in der Klinge ein, denn Morgoth fürchtete nichts so sehr wie Ihre Macht. Und Ihre Macht liegt im Licht, und das Licht der Sterne ist das reinste und mächtigste das es nach der Zerstörung der Zwei Bäume noch gibt. Der Name des Schwertes ist Gilmegil, Sternenschwert, sie wurde mit mithril verziert und an ihrem Knauf sitzt ein Kristall, wie es keinen Zweiten gibt. Er ist aus der gleichen Substanz hergestellt wie einst die Silmarils und Este, die Heilerin, hat einen Teil ihrer Kräfte darin eingeschlossen.“
Sie deutete auf die Zeichen, die die Klinge zierten.
„Hier steht ‚Hen magol e gilraud tân aen’ und ‚Uino i-duath, giro!’, was soviel heißt, wie ‚Dieses Schwert ist aus Sternenmetall gemacht’ und ‚Kreaturen der Dunkelheit, erschaudert!’.“
„Und was heißen die Zeichen auf dem Griff?“
„Das ist eine Hymne an Elbereth: ‚A Elbereth Gilthoniel, silivren penna míriel, o menel aglar elenath! Elbereth le linnathon, a tiro nin, Fanuilos!’. Übersetzt würde es etwa so lauten: Oh, Sternenkönigin Sternen-Entfammerin, … glänzend wie Juwelen, vom Firmament der Glanz der Sterne … , Sternenkönigin zu dir will ich singen, Oh wache über mich Schnee-Weiß.“
Sie gab mir das Schwert. Vorsichtig hielt ich es, so als ob es aus Glas wäre und jeden Augenblick zerbrechen könnte.
„Als Eönwe mir Gilmegil übergab befahl er mir, es zu bewahren, bis jemand kommen würde, der die Prophezeiung erfüllt.“
Ich blickte auf und sah sie fragend an.
„Was für eine Prophezeiung?“
„E phalan-dor, e phalan-lû
Ne lui e-baur telitha i vagor.
Findel e naur, gur e chôl,
Eglan ned i ú-var, ma ú-eriol.
Min-o-tad, elena telitha.
Aus fernen Land, aus ferner Zeit / Wird in Zeiten der Not der Schwertkämpfer kommen. / Haare aus Feuer, Herz aus Gold, / Verlassen in der Fremde aber nicht allein. / Einer-von-zweien, wird von den Sternen kommen.“
Ich starrte Galadriel nur verwundert an. Es dauerte eine Zeit, bis ich meine Stimme wiederfand.
„Was ... was soll das heißen?“
„Die Prophezeiung meint Euch. Alles trifft auf Euch zu. Auch ein Rätsel, dass mich sehr beschäftigt hat, ist jetzt gelöst. Es war nie gemeint, dass jemand tatsächlich von den Sternen herabkommen sollte, es wart Ihr gemeint. Euer Name, Elena, ist Sindarin für ‚von den Sternen’. Dass ich nicht eher auf die Idee gekommen bin, dass es ein Name sein könnte! Nur eines verstehe ich noch nicht ganz: ‚Einer-von-zweien’. Wart Ihr mit jemanden unterwegs, den Ihr verloren habt, bevor Ihr hierher kamt?“
Wie betäubt flüsterte ich: „Meine Zwillingsschwester ist bei meiner Geburt gestorben.“
„Das tut mir leid,“ antwortete Galadriel mit leiser Stimme und beugte sich vor, um meine Finger um die Klinge zu schließen.
„Aber damit ist auch das letzte Rätsel gelöst. Gilmegil gehört Euch. Sie ist Eure Bestimmung.“
Immer noch wie betäubt starrte ich das Schwert in meinen Händen an. Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gehört hatte. Diese uralte Prophezeiung und dieses wundersame, mysteriöse Schwert! Und das sollte mir gehören, sollte mein Schiksal sein! Es lief mir eiskalt den Rücken runter, als ich daran dachte, dass ich eine jahrtausend alte Weissagung erfüllen sollte. Es war doch von jemanden die Rede, der Hilfe und Rettung bringen sollte, jemand der dieses Schwert führen konnte! Mittlerweile war ich zwar schon besser im Umgang mit dem Schwert, aber ich würde mir nie zutrauen, ein solches magisches Schwert zu führen. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was es bedeuten würde, wenn ich dieses Schwert und damit irgendein bedeutsames und gefährliches Schiksal annehmen würde. Ich wollte zwar immer eine Heldin sein und große Taten vollbringen, aber das hier war doch eine Nummer zu groß für mich. Ich fühlte Panik in mir aufsteigen.
‚Ich bin doch nur ein Mensch! Ich kann das nicht! Ich bin kein heldenhafter Elbenkrieger mit magischen Kräften!’ wollte ich schreien, doch ich bekam keinen Ton heraus. Ich sah auf, blickte Galadriel ins Gesicht und flüsterte:
„Ich ... ich kann das nicht! Ich ... die Prophezeiung meint bestimmt jemand anderen, eine Elben oder einen Zauberer ...,“ mir stockte die Stimme und ich kämpfte gegen die Panik an, die drohte, von mir Besitz zu ergreifen. Beruhigend legte die Elbin ihre Hand auf die meine.
„In Euch steckt mehr als Ihr denkt. In Euren Adern fließt altes elbisches Blut, ebenso wie das Blut der Könige Numenors. Ihr habt mehr Kraft als man auf den ersten Blick sehen kann. Ihr werdet nicht scheitern, denn Ihr seid die Auserwählte. Seid einfach Ihr selbst und fürchtet Euch nicht, dann wird Euch nichts geschehen. Wenn ihr Euch selbst nicht vertraut, vertraut Gilmegil. Vertraut mir.“
Sie nahm das Schwert aus meinen Händen und tat es in die verzierte Lederscheide, die ich zuerst gar nicht bemerkt hatte. Sie war aus glänzendem dunklen Leder, mit silbernen Verzierungen. Galadriel gab mir das Schwert wieder und ging an mir vorbei, die Treppe hinunter. Ich blieb allein zurück und saß still da, während in meinem Kopf die Gedanken verrückt spielten.
Nach langer Zeit stand ich auf und nahm das Schwert mit. Irgendwie würde ich das mit der Prophezeiung schon auf die Reihe bringen, schließlich war ich ja nicht allein, ich hatte Legolas.
Heute war der letzte Abend, den wir in Lórien verbringen sollten. Legolas und ich standen engumschlungen am Ufer des Celebrant und sahen zu, wie das Wasser vorbeifloss und die letzten Sonnenstrahlen im Westen verschwanden. Mein Herz wurde schwer bei dem Gedanken, dass ich diesen magischen Ort verlassen musste und ihn vielleicht nie wiedersehen würde. Doch ich hatte meine Wahl getroffen und nichts würde mich mehr umstimmen können.
Ich hatte mich lange nicht mehr so wohl gefühlt wie in den Tagen, die ich in diesem goldenen Wald verbracht hatte. Wie viele Tage waren es überhaupt gewesen? Viele!
‚Allerdings konnte das auch an der angenehmen Gesellschaft liegen’, dachte ich mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen und kuschelte mich an den warmen muskulösen Oberkörper des Elben. Langsam begann eine samtige Dunkelheit herabzusinken. Die Sterne leuchteten wie Millionen kleiner Augen und das Mondlicht fiel wie Tränen durch die silbernen Baumstämme. Eine kühle Brise umspielte uns, als wir so unter den Bäumen im Licht der Nacht standen.
„Aníron darthach ned Lórien. Ned Lórien le beriathar aen“ [Ich wünsche, dass du in Lórien bleibst. In Lórien wärst du sicher.], sagte der Elb mit leiser und sanfter Stimme.
Ich drehte mich um, so dass ich ihn sehen konnte. In seinen ebenmäßigen Gesichtszügen spiegelte sich Sorge und Trauer wieder.
„Aníron ah nâ cen“ [Ich will bei dir sein.], flüsterte ich.
„Andelu i ven.“ [Der Weg ist gefährlich.]
Ich sah ihm in die Augen, diese wunderschönen Augen, aus strahlendem hellblau, umringt von Azur und antwortete ihm mit fester Stimme.
„Galadriel pent boe aphadon gur nîn. A gur nîn ah nâ cen. » [Galadriel sagte, ich muss meinem Herzen folgen. Und mein Herz ist bei dir.]
Ich lächelte, küsste ihn leicht auf die Lippen und ging in Richtung Pavillon.
In dieser Nacht schlief ich schlecht. Ich wälzte mich immer wieder hin und her, wobei ich mich bemühte, so leise wie möglich zu sein, um die anderen nicht zu stören. Es gab so vieles, worüber ich nachdenken musste. Dieses Schwert zum Beispiel. Ich musste nicht meinen Arm ausstrecken, um zu wissen, dass es gleich neben meiner Liege lag. Ich konnte es spüren. Und das machte mir ein wenig Angst. Genauso wie diese Prophezeiung. Das klang mir alles ein bißchen zu sehr wie Alice Im Wunderland. Vielleicht würde ich ja Morgen aufwachen und feststellen, das alles nur ein Traum gewesen war. Obwohl es mir leid täte, wenn es tatsächlich so sein sollte. Ich hatte schon immer gerne Fantasy gelesen, und jetzt hatte ich die Gelegenheit, selbst große Taten zu vollbringen, wie die Heldinnen in meinen Büchern. Aber ich war keine Heldin, ich konnte ja nicht einmal besonders gut mit dem Schwert umgehen.
‚Alles kann man lernen und ich werde mich von einem Schwert nicht unterkriegen lassen, auch wenn es noch so magisch ist.’
Am nächsten Morgen begannen wir gleich, unsere Sachen zusammen zu packen und zum Fluss zu bringen. Einige Elben, darunter Nimloth, kamen und brachten uns Proviant. Mit einem kleinen Bündel kam Nimloth auf mich zu und sagte:
„Hier sind einige Kleidungsstücke, vor allem Hemden, die Euch bestimmt nützlich sein werden auf eurer Reise.“
Ich nahm das Bündel und bedankte mich bei ihr. Es war so klein und leicht, dass es problemlos in meinem Eastpack Platz hatte.
Währendessen wurde der Proviant in den drei Booten, die am Ufer lagen, verstaut. Er bestand hauptsächlich aus sehr dünnen, ungefähr Handflächen großen, hellbraunen ‚Keksen’, die von großen Blättern umhüllt waren. Ehrfürchtig nahm Legolas einen der ‚Kekse’ in die Hand.
„Lembas. Elbisches Wegbrot. Ein kleiner Biss ist genug, um den Bauch eines ausgewachsenen Mannes zu füllen. Solange die Waffeln in den Blättern eingehüllt bleiben, werden sie für viele, viele Tage frisch bleiben.“
Wow, nicht schlecht. Genau das was wir brauchten. Das wäre auch bei Rock Im Park ganz nützlich. Auf einmal kam ich mir irgendwie seltsam vor. Wie von selbst legte sich meine Hand auf den Knauf von Gilmegil. Ich hatte den anderen nichts davon gesagt, was es mit dem Schwert auf sich hatte. Sie nahmen einfach an, dass es ein normales Schwert sei, was mir auch ganz recht so war. Ich hatte meinen Rucksack gerade in einem der Boote verstaut, als ich hörte, wie sich Merry und Pippin unterhielten.
„Wie viele von den Lembas-Waffeln hast du gegessen, Pippin?“
„Vier.“
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Hobbits! Im Vergleich dazu isst ja sogar Obelix wie ein Spatz!
Mit dem Packen fertig, standen wir alle in einer Reihe, um Abschied von Celeborn und Galadriel, die eben gekommen waren, zu nehmen. Auf ein Zeichen von Celeborn hin gaben die anderen Elben jedem von uns einen Mantel mit Kapuze, der jedem natürlich perfekt passte. Die Elbenmäntel waren aus einem leichten, aber warmen, seidenähnlichen Material. Die Farbe konnte man unmöglich genau bestimmen. In einem Moment schienen sie grau wie das Dämmerlicht des Waldes zu sein, im nächsten grün wie Blätter im Schatten der Bäume, oder braun wie die Zweige des Waldes, silbern wie Wasser im Sternenlicht. Zusammen gehalten wurde der Mantel mit einer grün-silbernen Blattbrosche.
„Nie zuvor haben wir Fremde mit unseren Mänteln bekleidet. Mögen sie Euch vor unfreundlichen Augen verbergen,“ sagte Celeborn und trat einen Schritt zurück.
Jetzt trat Galadriel vor, gefolgt von mehreren Elbinnen, die verschiedene Sachen trugen.
„Aber ehe Ihr geht, habe ich Geschenke für Euch, die Euch Euren schweren Weg erleichtern und Euch an Lórien erinnern sollen.“
Sie trat zu Aragorn, nahm von einer der Elbinnen einen gebogenen Dolch entgegen und überreicht ihn dem Krieger.
„Ich kann dir nicht mehr geben, als das Geschenk, das du bereits trägst.“
Sie berührte die silberne Kette, die Aragorn trug.
„Am meleth dîn, i ant e-guil Arwen Undómiel pelitha. [Wegen ihrer Liebe, fürchte ich, wird die Anmut von Arwen Abendstern schwinden.]“
„Aníron i e broniatha ar periatham amar hen. Aníron e ciratha a Valannor. [Ich wünschte, dass sie diese Gestrande verlässt und mit ihrem Volk ist. Ich wünschte dass sie das Schiff nach Valinor nimmt.]“
„Diese Entscheidung liegt noch vor ihr. Du musst deine einge Entscheidung treffen, Aragorn. All deine Ahnen seit der Tage Elendils zu übertreffen, oder in Dunkelheit zu fallen, mit allen, die von deinem Volk noch übrig sind. Namárie! [Lebe wohl!] Es gibt vieles was du noch zu tun hast, Elessar.“
Sie neigte ihren Kopf leicht zum Abschied und wandte sich Boromir zu. Ihm gab sie einen Gürtel aus Gold, Merry und Pippin erhielten jeweils einen reichverzierten Gürtel mit einem kleinen Dolch.
„Dies sind die Dolche der Noldorin. Sie wurden bereits in Kriegen benutzt.“
Pippin schaute die Elbin erstaunt an.
„Habt keine Angst, junger Peregrin Took. Ihr werdet Euren Mut finden.“
Nun wandte sie sich Legolas zu und reichte ihm einen wunderschönen Bogen, sowie einen Köcher voller Pfeile.
„Mein Geschenk an Euch, Legolas, ist ein Bogen der Galadhrim, würdig der Kunstfertigkeit unserer Verwandten des Waldlandes.“
Sanft lies der Elb seine Finger über den Bogen gleiten und spannte ihn zur Probe.
Jetzt war es soweit. Die Herrin des Waldes stand vor mir. Sie reichte mir ebenfalls einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen.
„Auch für Euch Elena, habe ich einen Bogen. Doch erinnert Euch an das was ich Euch gestern gesagt habe.“
Mit leicht zitternden Händen nahm ich ihr Geschenk entgegen. Ich hörte kaum, wie Galadriel zu Sam sagte:
„Und für Euch, Samwise Gamgee, Elbenseil aus hithlain.“
Sam antwortete etwas, doch ich hörte es nicht. Ich holte tief Luft und ermahnte mich, mich zusammen zu reissen.
Nun war die Elbin bei Gimli angelangt.
„Und was würde ein Zwerg von den Elben erbitten?“
„Nichts. Außer der Ehre, die Herrin der Galadhrim ein letztes mal sehen zu dürfen. Denn sie ist schöner als alle Juwelen der Erde.“
Galadriel lachte wohlwollend. Gimli schien jetzt seinen ganzen Mut zusammen zu nehmen:
„Es gäbe da etwas ... wenn es erlaubt wäre ... Euch um eines Eurer Haare zu bitten, die das Gold der Erde an Glanz und Schönheit übertreffen, wie die Sterne die Juwelen in den Minen.“
Die Elbin lächelte und antwortete:
„Man sagt, dass die Kunst der Zwerge eher in der Arbeit ihrer Hände liegt, als in ihren Worten, doch das trifft nicht auf Gimli zu.“
Sie schnitt sich drei goldene Haare ab und reichte sie dem Zwerg.
„Empfange diese Worte mit meinem Geschenk. Wenn die Hoffnung nicht versagt, werdet Ihr Gold im Überfluss haben, doch wird dich das Gold nicht beherrschen.“
Zuletzt kam Galadriel zu Frodo, der die ganze Zeit mit abwesendem (und leicht belämmerten) Blick dagestanden hatte. Sie reichte ihm eine Phiole aus Kristall, in der sich eine schimmernde und glänzende Substanz befand.
„Frodo Beutlin. Ich gebe Euch das Licht Eärendils, unseres geliebten Sterns. Möge es Euch ein Licht an dunklen Orten sein, wenn alle anderen Lichter ausgegangen sind.“
Sie ging einen Schritt zurück und wand sich an alle:
„Namárie. [Lebt wohl.] Mögen Euch die Valar auf Eurem Weg beschützen.“
Wir gingen zu den Booten. Aragorn stieg mit Frodo und Sam in ein Boot, Boromir mit Merry und Pippin in ein anderes. Also blieben Legolas, Gimli und ich fürs letzte Boot übrig.
„Ich kann beim Rudern helfen,“ bot ich an. „Ich bin schon einige Male mit Booten gefahren.“ Ich sagte natürlich nicht, dass es sich dabei nur um Kanutouren auf langsam fließenden Flüssen gehandelt hatte. Legolas nickte.
„Dann setze dich nach vorne. Ich werde hinten sitzen, damit ich leichter Steuern kann, und Gimli kann in der Mitte sitzen.“
Schade. Also würde ich mich nicht an seine muskulöse Brust lehnen können. Na ja machte nichts, Hauptsache ich war mit dabei.
Langsam paddelten wir mit der Strömung. Galadriel hob die Hand zum Gruß. Ich warf einen letzten Blick zurück auf diesen verzauberten Ort, den ich wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Doch das Abenteuer ging weiter! Jetzt waren die Elben, die uns verabschiedet hatten, schon nicht mehr zu sehen. Vor uns lag der Celebrant, das Sonnenlicht glitzerte auf dem Wasser und ließ den Wald auf beiden Seiten in einem sanften Licht schimmern. Von weit her hörte ich die Stimme der Herrin des Waldes, hell und klar und wunderschön.
Ai! Laurie lantar lassi súrinen, Ah! Wie Gold fallen die Blätter im Wind
yeni únótime ve rámar aldaron! lange Jahre, zahllos wie die Flügel der Bäume!
Yeni ve linte yuldar avánier Die Jahre sind vergangen wie schnelle Brisen
mi oromardi lisse-miruvóreva von süßem Met in den luftigen Hallen
Andúne pella, Vardo tellumar hinter den Westen, unter Vardas blauen Gewölben
nu luini yassen tintilar i eleni wo die Sterne zittern im
ómaryo airetári-lírinen. Lied ihrer Stimme, heilig und königlich.
Sí man i yulmar nin enquantuva? Wer wird jetzt den Becher für mich füllen?
An sí Tintalle Varda Oiolosseo Denn jetzt hat die Entflammerin Varda von Everwhite aus
ve fanyar máryat Elentári ortane, ihre Hände wie Wolken erhoben, die Königin der Sterne,
ar ilye tier unduláve lumbule; und alle Wege ertrinken in tiefen Schatten;
ar sindanóriello caita mornie und aus einem grauen Land heraus liegt Dunkelheit
i falmalinnar imbe met, ar hísie auf den schäumenden Wellen zwischen uns, und Nebel
untúpa Calaciryo míri oiale. bedeckt die Juwelen von Calacirya für immer.
Sí vanwa ná, Rómello vanwa, Valimar! Verloren jetzt, verloren für die aus dem Osten ist Valimar!
Namárie! Nai hiruvalye Valimar. Lebt wohl! Möge es sein, dass Ihr Valimar findet.
Nai elye hiruva. Namárie ! Möge es sein, dass auch Ihr es findet. Lebt wohl!
Ohne einen Laut floss der gewaltige Fluss nach Süden. Mittlerweile waren wir schon seit mehreren Stunden auf dem Wasser und der Wald auf beiden Seiten des Flusses begann sich zu verändern. Es war zwar noch immer ein undurchdringlicher Urwald, doch er wirkte um einiges düsterer. Man hörte nicht einmal mehr die Vögel singen.
Zu Anfangs hatte man noch entfernt die goldenen Kronen Caras Galathons sehen können, sowie vereinzelte große Mallornbäume. Doch ich hatte seit über einer Stunde keinen mehr gesehen.
Dafür, dass es immer noch Winter war, war es bemerkenswert warm. Mittags zog ich sogar meine Jacke aus und krempelte die Ärmel meines Pullis hoch. Ich genoss die wärmenden Strahlen der Sonne. Seltsamerweise tat mir meine Schulter überhaupt nicht mehr weh. Ich hatte anfangs befürchtet, dass sie mich beim rudern vielleicht behindern würde, doch zum Glück war dem nicht so. Obwohl mir jetzt, kurz nach Mittag dem Stand der Sonne nach, die Arme schon ein bisschen weh taten. Doch ich versuchte nicht daran zu denken und mich lieber auf etwas anderes zu konzentrieren. Zum Beispiel auf den blonden Elb, der hinter in Boot saß. ‚Das tolle an einem ca. 3000 Jahre alten Elben ist, dass er seine Midlife-Crisis höchstwahrscheinlich schon hinter sich hat,’ schoss mir durch den Kopf und ich musste grinsen.
‚So was kann aber auch nur mir einfallen!’
Langsam begann sich der Wald auf beiden Seiten zu verändern. Er schien noch dunkler und düsterer und nach und nach verschwand das meiste Unterholz, sowie die meisten der helleren und freundlicheren Bäume, sowie Birken oder Buchen. Jetzt herrschten andere Bäume vor, Nadelbäume, Eichen und andere dunkle und teilweise trostlose Bäume, die ich nicht kannte.
Als der Tag verging, verschwand auch der strahlend blaue Himmel. Ich hatte schon lange meine Jacke wieder angezogen. Die Sonne schien nur noch schwach hinter dunstigen, grauen Wolken hervor.
Die Abendsonne stand jetzt schon so tief, dass sie gerade noch über die Baumwipfel schaute. Die Dämmerung kam überraschend schnell und eine graue, sternlose Nacht zog auf. Es wurde immer dunkler und kälter.
‚Was gäb’ ich jetzt für ein Paar Handschuhe,’ dachte ich und zog meinen Elbenmantel enger um mich. Wir paddelten noch immer weiter, obwohl es mittlerweile schon komplett dunkel war, doch ich würde keinen Ton sagen, schließlich wollte ich mir keine Blöße geben. Der Wald am Ufer wirkte in der Dunkelheit bedrohlich, teilweise richtig unheimlich. Große Bäume erschienen mir hin und wieder wie Geister oder die Schatten von Monstern. Doch trotz der Finsternis kamen wir gut voran. Und die Kälte hatte auch ihre Vorteile: Meine Arme und Beine waren bereits so kalt, dass sie mir schon gar nicht mehr weh taten.
Endlich beschloss Aragorn anzuhalten und ein Nachtlager aufzuschlagen. Ich war so müde, dass ich mich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Und die Taubheit in meinen Gliedern half natürlich nicht sehr viel. Wenn mich Legolas nicht rechtzeitig festgehalten hätte, wäre ich beim Aussteigen der Länge nach ins Wasser gefallen.
„Danke,“ murmelte ich todmüde.
„Schon in Ordnung, wir sind alle müde,“ antwortete er leicht amüsiert.
‚Na alle außer dir vielleicht, Mr. Perfect,’ dachte ich genervt, doch ich hütete mich, es laut zu sagen. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich ziemlich unausstehlich sein konnte, wenn ich so richtig müde war. Meine Freundinnen hatten es mir schon öfters gesagt. Und ich wollte nicht, dass er einen schlechten Eindruck von mir bekam. Na ja, wenigstens nicht schlechter, als er schon war. Es war schon schlimm genug, dass ich mich anfangs so furchtbar im Umgang mit dem Schwert angestellt hatte.
Ich wartete gar nicht mehr, bis das Lager fertig war, sondern rollte mich einfach in der Nähe des Feuers in meinem Mantel zusammen und war sofort eingeschlafen.
Ich schlief tief und traumlos. Nicht einmal der unbequeme Boden oder die Geräusche der Nacht konnten meinen wohlverdienten Schlaf stören. Als mich Legolas am nächsten Morgen weckte, (na ja nicht morgen, es war noch dunkel, jedenfalls kurz vor der Dämmerung) war ich total steif. Gierig schlang ich die halbe Lembas-Waffel hinunter, die er mir reichte. Ich hatte einen Mordshunger, schließlich hatte ich seit gestern früh nichts mehr gegessen, da ich gestern abend zu müde dazu gewesen war.
Bald saßen wir wieder in unseren Booten und als die Sonne aufging, waren wir schon eine Zeitlang unterwegs. Heute ließen wir uns Zeit und hörten zwischendurch sogar auf zu paddeln. Der gesamte Tag verlief ruhig, nicht einmal die Landschaft änderte sich. Aber das war mir ganz recht so, da konnte ich mich ausruhen. Ich war solche Anstrengung nicht gewöhnt, daher war ich sogar zum nachdenken zu müde. Meistens starte ich einfach nur auf die Wasseroberfläche vor uns und versuchte, wach zu bleiben.
Am dritten Tag begannen die Bäume dünner zu werden und nach einiger Zeit verschwanden sie ganz. Am Ostufer sah ich braune, leblose Hügel, soweit das Auge reichte. Nirgends war etwas grünes zu sehen, nicht einmal ein verdorrter Baum oder ein großer Stein, nur braune, öde Erde. Richtig deprimierend. Toller Slogan fürs Reisebüro: ’Wenn sie nicht schon depressiv sind – hier werden sie’s bestimmt!’
„Die Braunen Lande,“ erklärte mir Gimli. „Sie erstrecken sich vom südlichen Ende Düsterwalds bis zu den Emyn Muil.“
‚Wow, also praktisch die ganze Strecke lang ein solcher Anblick, wie aufmunternd,’ dachte ich. Ich wusste zwar nicht genau, wo wir hinfuhren, aber ich hatte Aragorn etwas über die Emyn Muil sagen hören, dass wir dort weitergehen würden oder so.
Am Westufer sah’s dagegen schon etwas besser aus. Es waren zwar auch hier keine Bäume zu sehen, aber dafür wenigstens große und kleine Büsche. Aber ziemlich flach. Weit im Westen konnte ich hin und wieder das Nebelgebirge erkennen.
Im Laufe des Tages sah ich im Westen auch immer wieder mal kleine Wälder, manche reichten sogar bis an den Fluss heran. Aber trotzdem waren Vögel die einzigen Lebewesen, die ich sah, sosehr ich mich auch anstrengte. Gegen Abend taten mir meine arme wieder höllisch weh, da ich jetzt auch noch Muskelkater bekommen hatte. Doch zum Glück paddelten wir ja nicht die ganze Zeit, so dass ich mich immer wieder ausruhen konnte. Ich hatte Legolas in Verdacht, dass er die Pausen absichtlich so legte, dass ich mich am Besten ausruhen konnte. Aber ich war so k.o., dass ich ihm das nicht übel nahm. Scheiß auf Gleichberechtigung oder was auch immer, wenn ich mich auf diese Art und Weise immer mal wieder ausruhen konnte und so meinen schmerzenden Armen die wohlverdiente Ruhe gönnen konnte.
Als wir nach Sonnenuntergang anhielten war ich schon bei weitem nicht mehr so müde wie an den letzten beiden Abenden. Ich beteiligte mich sogar beim Lageraufschlagen und half Merry und Pippin beim Holzsammeln.
Am nächsten Tag taten mir die Arme schon fast nicht mehr weh. Langsam gewöhnte ich mich daran, den ganzen Tag auf dem Fluss unterwegs zu sein. Geredet wurde während der ganzen Zeit eigentlich nicht viel. Jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich versuchte jedoch, an alles, außer an das Schwert an meiner Seite zu denken. Darüber mochte ich einfach noch nicht allzu genau nachdenken.. Es war viel zu schön, wieder unterwegs zu sein. ‚On the road again’. Und natürlich war es mit Legolas zusammen noch um einiges schöner. Viel passierte zwar nicht, da wir im Boot ja nicht neben- oder hintereinander saßen und wir morgens und abends kaum Zeit hatten. Doch für vielsagende Blicke und einige Berührungen reichte es. Wenn die anderen etwas bemerkten, oder wenn ihnen auffiel, dass sich in der Beziehung zwischen Legolas und mir etwas geändert hatte, sagten sie es nicht. Das war mir ganz recht so. Ich hatte keine Lust auf irgendwelche Diskussionen. Ich wusste ja nicht, ob es irgendwelche Tabus gab, in bezug auf Beziehungen zwischen Menschen und Elben, oder ob jemand von den anderen etwas dagegen haben würde. Zuerst hatte ich mir darüber Gedanken gemacht, aber jetzt hatte sich ja herausgestellt, dass das alles umsonst gewesen war. Zum Glück.
Gegen Mittag ungefähr wurde der Fluss breiter und flacher. Immer wieder sah ich kleine ‚Sandbänke’ aus Kies und Steinen im Wasser. Und die Ufer waren meistens nicht mehr steil, sondern es erstreckten sich lange Kiesstrände an den beiden Seiten des Flusses. Wir mussten jedoch besser aufpassen, wohin wir fuhren, denn jetzt bestand die Gefahr, dass wir an einer seichten Stelle aufsaßen. Ansonsten blieb die Landschaft ziemlich gleich. Doch der Fluss schien immer breiter und breiter zu werden, was ganz schön beeindruckend war. Ich war zwar große Flüsse wie z.b. die Donau gewöhnt, doch der Anduin war um einiges breiter als die Donau in Regensburg. Vielleicht sogar doppelt so breit, doch dass konnte ich schlecht sagen, da ich noch nie besonders gut im Schätzen gewesen war.
Heute hielten wir sehr früh an, es war noch ziemlich hell. Während ich Boromir half Feuerholz zu sammeln, saßen Legolas und Aragorn am Wasser und unterhielten sich. Plötzlich zeigte der Elb auf das gegenüber liegende Ufer. Ich strengte mich an um zu hören, was sie sagten.
„Gollum,“ stellte Aragorn fest. „Er verfolgt uns seit Moria. Ich hatte gehofft, dass wir ihn auf dem Fluss abhängen würden, aber er ist zu geschickt.“
„Und wenn er den Feind auf uns aufmerksam macht, wird die Fahrt noch gefährlicher,“ antwortete Legolas leise.
Boromir hatte anscheinend die letzten Worte mitbekommen, denn er warf das Holz zu Boden und ging auf Aragorn zu.
„Minas Tirith ist der sicherere Weg. Du weißt das. Dort können wir uns sammeln. Mordor von einem Ort der Stärke aus angreifen.“
Jetzt ging das schon wieder los. Die letzten paar Abende hatten sie sich auch schon über dieses Thema unterhalten. Aragorn wollte sich Mordor von Norden her nähern, über die Emyn Muil, Boromir wollte zuerst nach Minas Tirith und von dort aus weiter. Ich wollte gerade den Mund aufmachen, um dem Krieger aus Gondor meine Meinung zu sagen, sozusagen von Mensch zu Mann, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Ich drehte mich um und sah in die strahlend blauen Augen des Elben. Er schüttelt leicht den Kopf und zog mich mit sich weg. Ich konnte gerade noch Aragorns Antwort hören, bevor wir außer Hörweite waren.
„Es gibt keine Stärke in Gondor, die uns helfen kann.“
Legolas und ich gingen ein Stück das Ufer entlang. Nach einiger Zeit unterbrach er die Stille.
„Lass’ sie das unter sich ausmachen. Es bringt nichts, wenn du dich einmischst.“
„Ich wollte mich doch gar nicht einmischen,“ verteidigte ich mich lahm.
„Also, so gut kenne ich dich bereits. Du warst kurz davor, eine große Dummheit zu begehen.“
„Ach ja? Elben begehen natürlich nie Dummheiten,“ antwortete ich ironisch.
„Aber natürlich nicht,“ entgegnete er mit ernster Stimme, doch sein Gesichtsausdruck verriet ihn.
„Ha! Wir werden schon sehen, niemand ist perfekt,“ antwortete ich lachend. Obwohl er sehr gut die Ausnahme sein könnte, die die Regel bestätigt.
Diese Nacht hielten wir Wache. Ich war gerade zur zeit des Sonnenaufgangs an der Reihe. Als mich Legolas weckte, war ich gerade im Tiefschlaf und dementsprechend war meine Reaktion.
„Was? Who killed Bambi?”
“Aufwachen, es ist deine Zeit, Wache zu halten.“
Jetzt wusste ich erst wieder wo ich war.
„Ok, kein Problem, ich bin schon wach, ganz wach.“
Gähnend setzte ich mich auf einen Stein während sich der blonde Elb wieder hinlegte. Ich setzte mich absichtlich etwas wackelig hin, um wach zu bleiben. Im Osten sah ich die Sonne aufgehen.
‚Das ist glaub’ ich, das erste Mal, dass ich 'nen Sonnenaufgang live sehe.’ Völlig überbewertet so was.
Rumms! Mit einem Schlag fiel ich vom Stein und wurde dadurch unsanft aufgeweckt.
‚Scheiße! So viel zum Thema >Sleeping on the job
Irgendwo schrie ein Vogel. Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Moment mal! Es war doch schon fast hell, ich sollte eigentlich schon seit mindestens einer Stunde zum Wachehalten an der Reihe sein. Schnell stand ich auf und sah, dass Legolas neben dem Feuer saß. Häh? Eigentlich wäre doch Aragorn vor mir dran gewesen?
Mit einem Lächeln deutete der Elb an, ich solle mich neben ihn auf den Baumstamm setzten. Sobald ich mich hingesetzt hatte, klärte er mich auf, ohne meine Frage abzuwarten.
„Ich habe Aragorn gar nicht erst geweckt. Er braucht seinen Schlaf mehr als ich.“
Auf meinen erstaunten Gesichtsausdruck hin fügte er hinzu: „Elben brauchen nicht so viel Schlaf wie Menschen. Wenn es sein muss, reicht mir eine Stunde pro Nacht zum Ausruhen.“
Ich nickte.
‚Womit klar und deutlich bewiesen wäre, dass ich keine Elbin bin,’ dachte ich. Mein Minimum lag normalerweise bei sechs bis acht Stunden. An einem Wochenende schlief ich schon mal so zwölf bis vierzehn Stunden durch.
Schweigend nahm ich die Lembas-Waffel entgegen, die mir Legolas reichte. Nebel hing über dem Wasser. Er war so dicht, dass das gegenüberliegende Ufer nicht mehr zu sehen war. Fröstelnd rutschte ich näher zu Legolas hinüber, der seinen Arm um mich legte.
Die Sonne musste gerade hinter den Bäumen aufgegangen sein, da es langsam heller wurde, doch wegen dem Nebel war nicht viel zu sehen. Im Osten war der Himmel voll mit dunklen, fast schon schwarzen Wolken, die aussahen wie der Qualm eines überdimensionalen Feuers. Legolas warf einen unruhigen Blick auf die schlafenden Gestallten.
„Wenn es an mir wäre, zu entscheiden, würde ich sofort aufbrechen,“ sagte er leise zu mir. Überrascht sah ich ihn an.
„Aber ich dachte, Orks patrollieren das Ostufer. Wir wollten deshalb doch heute noch rasten und dann erst abends, im Schutz der Dunkelheit aufbrechen.“
„Es ist nicht das östliche Ufer, das mir Sorgen macht. Es ist eher ein bedrohlicher Schatten, der sich meiner bemächtigt. Irgendetwas zieht herauf, ich kann es spüren.“
„Ich fühle mich hier auch nicht gerade wohl,“ antwortete ich ihm.
Langsam wurden die anderen auch wach.
„Du hättest mich wecken sollen,“ meinte Aragorn zu Legolas, doch der widersprach.
„Eine Nacht ohne Unterbrechung durchzuschlafen,, schadet dir nicht. Seit Gandalfs Tod hast du dir sowieso schon zu viel zugemutet.“
Daraufhin sagte der Krieger nichts mehr, sondern nickte nur dankbar.
Nachdem alle etwas gegessen hatten, setzten wir uns zusammen, um zu entscheiden, welchen Weg wir nehmen sollten.
„Der Tag der Entscheidung ist gekommen. Lange habe ich versucht es hinauszuschieben, doch nun haben wir keine Wahl mehr. Was soll nun werden aus unserer Gemeinschaft, die so weit gereist ist? Sollen wir uns mit Boromir nach westen wenden und zu den Kriegen von Gondor gehen? Oder sollen wir uns nach Osten wenden, in Richtung von Angst und Schatten? Oder soll unsere Gemeinschaft zerbrechen? Was auch immer wir entscheiden, wir müssen uns beeilen. Jeder Tag der vergeht, spielt dem Feind in die Hand.“
Stille. Niemand sagte etwas. Nicht einmal Boromir, und ich hatte gedacht, er würde sofort wieder von Minas Tirith sprechen. Nach einiger Zeit fuhr Aragorn fort.
„Nun Frodo. Ich befürchte, dass es an dir liegt, eine Entscheidung zu treffen. Du bist der Träger der vom Rat gewählt wurde. Nur du allein kannst deinen Weg bestimmen.“
Nach einer kurzen Pause antwortete der Hobbit langsam.
„Ich weiß, dass Eile vonnöten ist, doch kann ich nicht wählen. Ich muss allein sein, gebt mir eine Stunde, dann werde ich mich entscheiden.“
„In Ordnung, Frodo Sohn des Drogo. Du sollst eine Stunde haben. Wir werden einstweilen hier warten, aber gehe nicht zu weit weg.“
Nach diesen Worten Aragorns stand der Ringträger auf und ging in den Wald hinein. Wir anderen blieben sitzen und nach einer Weile begannen die ersten, sich zu unterhalten.
Nach kürzester Zeit langweilte ich mich, weil ich bei den meisten Gesprächsthemen nicht mitkam. Daraufhin begann ich, neben mir aus den Steinen, die überall herumlagen, einen kleinen Turm zu bauen. Immer aufwendiger wurde das ca. zehn cm hohes Gebilde, bis ich einen zweiten Turm baute und eine Mauer zwischen den beiden und so weiter. Auf diese Weise entstand schließlich eine nette kleine Ritterburg.
Als ich aufsah, bemerkte ich, dass mich Merry und Pippin beobachteten. Ich grinste sie an.
„Nettes Bauwerk,“ meinte Pippin, ebenfalls grinsend.
„Tja, ich hatte Übung,“ antwortete ich.
„Also baust du öfter Türme aus Steinen?“ fragte Merry.
„Nur wenn mir langweilig ist,“ entgegnete ich.
Plötzlich fragte Legolas leise: „Wo ist Boromir?“
„Frodo ist noch nicht zurück und die Stunde ist schon lange um!“ rief Sam und sprang auf. Er rannte in den Wald, gefolgt von Merry und Pippin, die laut „Frodo!“ riefen.
„Halt!“ rief Aragorn noch, doch sie hörten ihn nicht mehr. Auch Gimli machte schon Anstallten den Hobbits nachzulaufen.
„Ach was soll’s,“ gab der braunhaarige Krieger auf. „Wir treffen uns wieder hier.“
Damit sprang er auf und lief den Hobbits nach. Gimli war schon nicht mehr zu sehen. Legolas warf mir meinen Köcher mit dem Bogen zu.
„Komm.“
Ich lief hinter ihm her in den Wald hinein. Er folgte einer Art Wildpfad und als dieser sich gabelte, blieb er stehen und fragte mich.
„Rechts oder links?“
„Oder,“ antwortete ich ohne nachzudenken. „Äh, eigentlich egal.“
Der Elb lächelte nur kurz und wand sich mit einem Achselzucken nach links. Wir rannten bergauf, über Steine und Wurzeln hinweg. Und, wie sollte es auch anders sein, ich blieb mit meinem Fuß an einer Wurzel hängen, wäre beinahe der Länge nach hingefallen. Gerade noch konnte ich meinen Fall mit Hilfe meines Bogens auffangen, in dem ich mich darauf stützte.
Plötzlich blieb Legolas stehen und lauschte.
„Orks!“ stieß er angewidert hervor. „Hier entlang!“
‚Immer diese Überraschungen!’ dachte ich und folgte ihm schnaufend. Als wir über einen kleinen Kamm stiegen und zu einem etwas ebenerem Stück kamen, sah ich sie. Dutzende von Orks mit dunklen, hässlichen Leder- und Metallrüstungen kamen auf uns zu. Sie sahen im Tageslicht noch viel grässlicher aus.
„Oh Mann,“ sagte ich leise zu mir selbst. „Wenn einer von denen zu Hause zu seinem Spiegel sagt ‚wer ist der Schönste im ganzen Land?’, dann sagte der Spiegel ‚geh’ aus dem weg du Arschgesicht, ich kann nix sehen.’“
Legolas schien mich nicht gehört zu haben, er hatte seinen Bogen in der Hand und so schnell gleich drei Pfeile abgeschossen, dass ich ihm gar nicht mit den Augen folgen konnte.
„Oh scheiße,“ flüsterte ich und legte einen Pfeil an, wobei ich ihn zuerst beinahe fallen ließ. Dann hob ich den Bogen und schoss, während ich hoffte, dass ich mich nicht wieder so dumm anstellen würde, wie bei meiner letzten Schlacht gegen Orks. Doch, oh Wunder, der Pfeil traf einen der Orks direkt ins Auge. Er fiel um, als ob er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt wäre.
‚Cool,’ dachte ich. ‚Gar nicht so schlecht für jemanden, der in der Schule im Weitwurf nach hinten abgegeben hat.’
Der zweite Pfeil traf nicht ganz so gut, aber gut genug. Plötzlich waren sie schon zu nahe, um noch Pfeile abzuschießen.
‚Oh Mann, jetzt geht’s aber richtig los. Das ist der beste Test um festzustellen, ob ich’s gelernt hab’, mit dem Schwert umzugehen,’ dachte ich nervös und zog Gilmegil. Die ansonsten eher violett-blaue Klinge schimmerte eindeutig bläulich. Doch ich hatte keine Zeit zum Nachdenken mehr. Ich riss mein Schwert hoch um den Hieb einer Orkklinge abzufangen und zu meinem erstaunen zerbrach die Orkwaffe, als ob sie aus Styropor wäre. Wow. Nicht schlecht für den Anfang. Ich fackelte nicht lange und schlug in Richtung Kopf zu. Wahnsinn, der Kopf wurde total abgetrennt und flog dem nächsten Ork direkt ins Gesicht, so dass er meinem nächsten Schlag gar nicht sehen konnte.
Also, dieses Schwert hatte es wirklich in sich, es war überraschend leicht und schien sogar Orkrüstungen wie Butter zu durchschneiden. Ich tötete noch zwei weitere Orks ohne allzu große Probleme.
‚Die sind anscheinend nicht besonders intelligent,’ dachte ich. ‚Bloß Fett, kein Grips. Na mir soll’s recht sein.’
Der letzte Ork erlag einem Pfeil des Elben und fiel seltsam langsam zu Boden. Jetzt blieb ich erst mal ruhig stehen und überblickte das ‚Schlachtfeld’. Ach du scheiße. Ich hatte zuerst gar nicht bemerkt wie viele Orks es waren, die uns angegriffen hatten, doch jetzt konnte ich sehen, dass es ungefähr 15 oder 16 gewesen waren. Meine Knie fingen an zu zittern.
‚Shit, das hätte leicht schief gehen können.’
Beim Anblick der nicht allzu appetitlichen Leichen wurde mir leicht übel. Seltsam wie schnell man sich an die verrücktesten Sachen gewöhnen konnte. Das Töten hatte mir bei weitem nicht soviel ausgemacht wie damals in Moria. Meine Güte, war das erst einen Monat her? Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, soviel hatte sich verändert.
In dem Moment kam Legolas zu mir herüber, um sich zu vergewissern, dass ich nicht verletzt war. Ich lächelte ihn beruhigend an.
„Mir ist nichts passiert.“
Nur mein Mantel hatte ein paar Spritzer Orkblut abbekommen.
Für das Lächeln das er mir als Antwort schenkte, hätte ich auch noch gegen viel mehr Orks gekämpft. (Und ich hatte eine leise Ahnung, dass das auch bald der Fall sein würde.)
„Du hast hervorragend gekämpft,“ lobte er mich. „Komm, wir suchen Aragorn.“
Mit diesen Worten lief er weiter. Schon wieder rennen. Ich folgte in einem kleinen Abstand und gab mein bestes, mitzuhalten.
„Elendil!“ erscholl es etwas links von mir und ich konnte Kampflärm hören.
‚Aragorn!’ dachte ich und lief in die Richtung des Lärms. Legolas hatte ich bereits aus den Augen verloren, doch als ich auf der Lichtung ankam, kämpfte der Elb schon Seite an Seite mit dem Menschen. Ohne zu überlegen stürzte ich mich in den Kampf. Da ertönte ein seltsames Geräusch, vielleicht eine Trompete oder so.
„Das Horn von Gondor!“ rief Legolas.
„Boromir!“ rief Aragorn und rannte in die Richtung aus der der Hilferuf erklungen war. Legolas folgte etwas langsamer und blieb etwas zurück, um die Orks davon abzuhalten, Aragorn zu folgen. Ich tötete den Ork, mit dem ich gerade kämpfte und schloss mich Legolas an.
Da ertönte ein anderes Horn, dumpfer und hässlicher. Die Orks hielten in ihrem Ansturm inne und liefen in die andere Richtung davon. (Was auch ganz gut so war, denn wir hätten ihnen nicht mehr lange standhalten können.) Die letzten erlagen noch unseren Pfeilen, doch die meisten verschwanden zwischen den Bäumen.
„Ich weiß zwar nicht, was das gerade bedeutet hat, aber wir können sie jetzt nicht verfolgen, wir müssen Aragorn und Boromir helfen.“
Ich nickte nur als Antwort und hob mir den Atem zum Rennen auf, da Legolas bereits loslief. Ich stolperte hinterher und versuchte, einerseits mithalten zu können und andererseits nicht gegen einen Baum zu laufen.
‚DAS ist ein Hindernisrennen, nicht dieses lächerliche über-Hürden-Springen-und-so,’ dachte ich sarkastisch und duckte mich gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass ich gegen einen Ast lief.
Auf einmal blieb Legolas so plötzlich stehen, dass ich beinahe in ihn hinein gelaufen wäre. Zuerst starrte ich nur nach vorne, ohne wirklich etwas zu sehen, doch dann begann mein Hirn wieder zu arbeiten. Mehrere tote Orks lagen auf dem Boden, wie übergroße Puppen, die jemand weggeworfen hatte. Inmitten dieser Leichen lag Boromir, der mit Pfeilen durchbohrt war. Aragorn kniete neben ihm. Sah nicht besonders gut aus für den Krieger aus Gondor. Ich schluckte. Zuerst hatte ich mich zwar nicht so gut mit ihm verstanden, aber ich hatte Boromir trotzdem gemocht. Ich fand es einfach unfair, dass er sterben musste.
Langsam ging Legolas auf die Beiden zu. Ich folgte ihm mit etwas Abstand. Traurig stand Aragorn auf und ging einige Schritte auf uns zu.
„Boromir ist tot. Er fiel, als er Merry und Pippin vor den Orks beschützen zu versucht,“ sagte er mit leiser Stimme. Legolas legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu trösten.
„Die Hobbits!“ rief Gimli, der gerade eben gekommen war, plötzlich. „Wo sind sie denn? Wo ist Frodo?“
„Ich weiß es nicht,“ antwortete Aragorn müde. „Bevor er starb, teilte mir Boromir mit, dass Merry und Pippin von den Uruk-Hai gefangengenommen worden sind. Wo Frodo und Sam sind, weiß ich nicht. Doch bevor wir irgendetwas unternehmen, müssen wir uns um Boromir kümmern: Er hat tapfer gekämpft und verdient es nicht, zwischen diesen stinkenden Orks liegengelassen zu werden.“
„Wir müssen uns beeilen. Er würde nicht wollen, dass wir allzu viel Zeit verlieren. Wir haben weder die Zeit noch die Möglichkeit, ihm ein Grab auszuheben,“ sagte Gimli.
Da ich nicht wusste, was für einen Krieger aus Gondor ein angemessenes Begräbnis wäre, schwieg ich lieber, bevor ich noch etwas Falsches sagte. Wäre nicht das erste Mal.
„Lasst den Fluss sein Grab sein,“ schlug Legolas vor.
„Wir könnten ihn zusammen mit seinen Waffen und den Waffen seiner erschlagenen Feinde in ein Boot legen und ihn so Anduin übergeben,“ ergänzte Aragorn.
Dagegen schien niemand etwas einzuwenden zu haben, also machten wir uns daran, die Orkwaffen sowie ihre zerbrochenen Helme auf einen Stapel zu tragen. Orkblut, igitt! Nebenbei sammelte Legolas alle unbeschädigten Pfeile ein und füllte seinen Köcher wieder auf. Er reichte auch mir ein paar Pfeile.
„Hier. Du hast bereits einige deiner Pfeile verschossen. Es ist immer von Vorteil, nach einer Schlacht die unbeschädigten wieder einzusammeln, so kommst du nicht so leicht in die Lage, dass du keine Pfeile mehr hast.“
„Danke.“ Daran hatte ich ja überhaupt nicht gedacht. In den Robin Hood Filmen füllten sich die Köcher ja immer wieder von selbst auf. Aber in Wirklichkeit muss man das wohl selbst machen.
Gimli hatte mit seiner Axt einige Äste abgeschnitten und eine provisorische Bahre hergestellt. Auf diese wurde nun die Leiche Boromirs gelegt, zusammen mit den Waffen und Helmen der Orks. So schafften wir alles ans Ufer. Dort fanden wir jedoch nur zwei anstatt von drei Booten.
„Seltsames passiert hier,“ stellte Aragorn fest. „Doch darum wollen wir uns später kümmern.“
‚Mir soll’s recht sein,’ dachte ich und half Gimli dabei eines der Boote zu leeren.
Aragorn und Legolas legten anschließend Boromir hinein. Seinen Elbenmantel legten sie unter seinen Kopf und sein Schwert legten sie in seine Hände. Das Horn von Gondor kam neben ihn und zu seinen Füßen stapelten sich die Waffen und Helme seiner erschlagenen Feinde. Sah alles in allem sehr beeindruckend aus. Die Pfeile, die ihn getötet hatten, lagen ebenfalls neben ihm.
Zusammen schoben wir das Boot ins Wasser und sahen zu, wie es von der Strömung erfasst wurde. Keiner sagte etwas, alle sahen nur still dem Totenboot nach. Ich fühlte mich an die Schlussszene des Films ‚Der Erste Ritter’ erinnert. Nur dass wir das Boot nicht angezündet hatten. Jetzt verschwand es lautlos über den Wasserfall. Weg, einfach so. Vor noch nicht mal einer Stunde hatte Boromir noch hier gesessen und sich unterhalten und jetzt war er weg, den Wasserfall hinunter.
Eine Zeitlang unterbrach niemand die Stille, bis Aragorn traurig sagte: „Vom Weißen Turm aus werden sie nach ihm Ausschau halten, doch er wird nicht zurückkehren.“
Dann begann er langsam zu singen:
„Durch Rohan über Moorland und Feld wo das lange Gras wächst
Der West Wind kommt, und er geht über die Mauern.
’Was bringst du mir heute Nacht Neues aus dem Westen, O wandernder Wind?
Hast du Boromir den Großen gesehen, unter Mond oder Sternenlicht?’
’Ich sah ihn reiten über sieben Ströme, über Gewässer weit und grau;
Ich sah ihn in leeren Landen gehen, bis er entschwunden war
In den Schatten des Norden. Ich sah ihn dann nicht mehr.
Der Nord Wind mag gehört haben das Horn von Denethors Sohn.’
’O Boromir! Weit westwärts blickte ich von den hohen Mauern,
Aber du kamst nicht von den leeren Landen wo keine Menschen sind.’“
Darauf sang Legolas:
„Vom Rande der See der Süd Wind fliegt, von den Sandhügeln und den Steinen;
Das Geklage der Möwen trägt er, und am Tor stöhnt er.
’Was bringst du mir Abends Neues aus dem Süden, O seufzender Wind?
Wo ist Boromir der Schöne jetzt? Er verweilt und ich trauere.’
’Erfrage nicht von mir wo er sich befindet – so viele Knochen liegen dort
An den weißen Küsten und an den dunklen Küsten unter den stürmischen Himmel;
So viel sind den Anduin hinunter, um die ströhmende See zu finden.
Erfrage vom Nord Wind Neues von jenen die der Nord Wind zu mir sendet!’
’O Boromir! Hinter dem Tor verläuft südlich die Straße zum Meer,
Aber du kamst nicht mit den klagenden Möwen vom grauen Munde der See.’“
Dann sang Aragorn wieder:
„Vom Tor der Könige reitet der Nord Wind, und über die brüllenden Fälle;
Und klar und kalt rufen seine lauten Hörner über dem Turm.
’Was bringst du mir heute Neues aus dem Norden, O mächtiger Wind?
Was für Neuigkeiten von Boromir dem Tapferen? Denn er ist lange abwesend.’
’Unterhalb von Amon Hen hörte ich seinen Schrei. Er bekämpfte viele Feinde dort.
Sein gespaltenes Schild, sein zerbrochenes Schwert, brachten sie zum Wasser.
Sein Kopf so stolz, sein Gesicht so schön, seine Glieder sie zur Ruhe legten;
Und Rauros, goldene Rauros-Fälle, trugen ihn auf ihrer Brust.’
’O Boromir! Die Wachtürme werden immer nordwärts blicken
Zu Rauros, goldene Rauros-Fälle, bis ans Ende aller Tage.’“
Diese Totenklagen waren wirklich wunderschön. Ich wollte auch etwas singen, wollte dem Krieger auch die letzte Ehre erweisen. Ich sah Legolas fragend an und als er nickte, fing auch ich an zu singen:
„Nothing on Earth stays forever,
But none of your deeds were in vain,
Deep in our hearts you will live again,
You’re gone to the home of the Brave.”
Außer mir und Legolas verstand zwar niemand diese Worte, doch die anderen schien ihren Sinn verstanden zu haben, denn Aragorn warf mir einen beifälligen Blick zu.
“Ihr habt den Ost Wind mir überlassen,” sagte Gimli. „Aber ich werde nichts über ihn sagen.“
„Das ist wie es sein soll,“ antwortete Aragorn. „In Minas Tirith erdulden sie den Ost Wind, doch sie fragen ihn nicht nach Neuigkeiten. Aber jetzt ist Boromir auf seinem Weg unterwegs und wir müssen uns beeilen, unseren eigenen zu wählen.“
Daraufhin ging er zu dem letzten Boot zurück, um das Rätsel des verschwundenen Bootes zu lösen.
‚Hey cooler Titel: Sherlock Holmes und das Rätsel des verschwundenen Bootes. Mit Gimli als Dr. Watson,’ schoss mir durch den Kopf.
„Orks waren keine hier, soviel kann ich sicher sagen, doch mehr kann ich nicht erkennen, dazu sind die Spuren zu sehr verwischt,“ stellte Aragorn fest.
Ich war mit den anderen zurückgekehrt und warf einen Blick auf das letzte Boot und das Gepäck, das daneben lag. Da war mein bereits leicht verdreckter aber ansonsten unbeschädigter Eastpack und einiger Proviant sowie Wasserbehälter. Auch die kleineren Bündel von Merry und Pippin waren da. Ebenso die Sachen von Aragorn, Gimli und Legolas und natürlich der Rest von Boromirs Sachen. Das Einzigen was fehlte, soweit ich das erkennen konnte, war Sams Zeug, das leicht an dem Kochgeschirr zu erkennen war, und das von Frodo. Das sagte ich auch.
„Nur die Sachen von Sam und Frodo fehlen. Vielleicht sind sie alleine aufgebrochen und haben den See überquert.“
„Am Ostufer kann ich im Schatten der Bäume den Kiel eines Elbenbootes erkennen,“ warf Legolas ein.
„Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Frodo und Sam haben anscheinend tatsächlich beschlossen, zu versuchen Mordor alleine zu erreichen. Die Frage ist nur, was wir jetzt machen. Folgen wir Frodo und Sam oder versuchen wir Merry und Pippin zu helfen.“
Der Krieger schwieg kurz und sagte dann entschlossen: „Frodos Schicksal liegt nicht länger in unseren Händen.“
„Dann war alles umsonst?“ fragte Gimli. „Die Gemeinschaft hat versagt.“
„Nicht, wenn wir zusammen halten,“ antwortete Aragorn mit fester Stimme und legte mir und Gimli jeweils eine Hand auf die Schulter. Mit einem leichten Lächeln legte ich nun meinerseits Legolas die Hand auf die Schulter. Der Zwerg tat es mir nach.
„Wir werden Merry und Pippin nicht der Folter und dem Tod überlassen,“ sagte Aragorn entschlossen. „Nicht solange wir noch Kraft übrig haben. Lasst alles zurück, was zurückgelassen werden kann. Wir reisen mit leichtem Gepäck. Lasst uns Orks jagen!“
Aragorn rannte los, quer durch den Wald und wir folgten ihm. Die Wälder neben dem See ließen wir bald zurück. Der Weg ging jetzt stetig bergauf. Mittlerweile lief Legolas an erster Stelle, die Augen auf die Spur gerichtet, die die Orks hinterlassen hatten. Aragorn folgte ihm in kurzem Abstand. Gimli und ich kamen mit etwas mehr Abstand hinter her.
Wir liefen jetzt schon seit einer Stunde, ohne Pause. Ächz. Meine Lunge brannte. Nicht nur, dass ich querfeldein hetzte, ich musste ja auch noch mein Gepäck mitschleppen. Aragorn und Legolas schien das nichts auszumachen, die rannten noch immer, als ob sie gerade erst gestartet wären. Gimli war zwar langsamer als die Beiden, aber er trug ja auch bestimmt einige Kilo an Rüstung mit sich herum. Die Entschuldigung hatte ich leider nicht.
Die Sonne war bereits hinter den Hügeln verschwunden. Die Dämmerung senkte sich herab. Ich warf einen Blick zurück. Der Anduin war von dichtem Nebel verhüllt. Der Himmel vor uns war jedoch klar. Im Westen konnte ich den Mond sehen, sowie mehrere Sterne. Dadurch war es noch hell genug, so dass Legolas und Aragorn die Spur der Orks noch finden konnten. Doch als wir am Fuße mehrerer steiniger Hügel ankamen, hatten sie langsam ihre Probleme und liefen langsamer. Zum Glück. Ich hatte das Gefühl, meine Lungen wären aus Feuer. Ich konnte schon kaum mehr atmen und meine Füße taten mir weh. Oh nein, jetzt kletterten sie auch noch auf den ersten Hügelkamm hinauf. Shit. Ich kroch eh schon fast auf allen vieren, und jetzt sollte es auch noch bergauf gehen? Na toll.
Sobald wir oben waren, ging es auf der anderen Seite wieder runter.
‚Prima. Rauf, runter, was kommt als nächstes, wieder rauf?’ dachte ich völlig außer Atem. Doch glücklicherweise folgten wir dem Tal in Richtung Nordwesten.
Als ich wirklich fast keine Luft mehr bekam und kurz davor war, zusammenzubrechen, gab Aragorn das Zeichen zum Anhalten. Endlich. Ich lies mich einfach zu Boden fallen und konzentrierte mich darauf, wieder einigermaßend normal zu atmen. Wir waren bereits mehrere stunden unterwegs gewesen und hatten schon eine ganz schöne Strecke zwischen uns und Amon Hen gebracht.
Aragorn und Legolas unterhielten sich leise, während Gimli nur da saß und zuhörte. So weit ich es mitbekam, hatten sie die Spur verloren. Aber momentan war mir das egal.
Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder aufmachte, wurde der Himmel im Osten schon grau. Ich setzte mich langsam auf und sah mich um. Ich befand mich in einem schmalen Tal, das mit Steinen und Felsen nur so übersäht war. Ein Wunder, dass ich mir hier im Dunkeln nicht den Knöchel gebrochen hatte. In dem Moment kam Legolas auf mich zu, reichte mir etwas zu essen und zu Trinken und setzte sich neben mich.
„Du siehst furchtbar aus.“
„Danke,“ sagte ich sarkastisch zwischen zwei Bissen. „Aber das ist gar nichts. Warte bis heute abend.“
Er lächelte nur und informierte mich darüber, was am letzten Abend vorgefallen war.
„Wir hatten in der Dunkelheit die Spur verloren. Deshalb sind Aragorn und ich losgegangen um sie zusuchen, sobald es hell genug war. Gerade erst haben wir sie wieder gefunden. Wenn du so weit bist, können wir weiterlaufen.“
‚Na toll. Natürlich bin ich mal wieder die letzte,’ dachte ich und nickte nur, da ich den Mund voll hatte.
„Kannst du noch weiterlaufen?“ fragte er mich leise und etwas besorgt. Er musste wohl gesehen haben, wie ich gestern abend herumgestolpert war.
„Das wird schon irgendwie gehen,“ meinte ich mit bei weitem mehr Zuversicht als ich wirklich hatte. „Jetzt wo ich ja sehen kann, wo ich hintrete, werde ich bestimmt nicht mehr so oft stolpern.“
Mit einem Lächeln, das die Arktis auftauen hätte können, beugte sich Legolas plötzlich zu mir herüber und küsste mich sanft auf den Mund. Auf einmal hatte ich überhaupt keine Zweifel mehr daran, dass ich heute beim Laufen mithalten können würde. Ich war sogar davon überzeugt, dass ich, sollte es nötig sein, auch fliegen könnte. Der Kuss dauerte nicht lange, bestenfalls eine Sekunde, aber danach fühlte ich mich unendlich viel besser.
„Mir geht’s schon viel besser, ich könnte bis zum Mond laufen,“ antwortete ich strahlend.
Der Elb reichte mir die Hand und half mir hoch. Einen Moment lang standen wir eng beieinander, dann lächelte er leicht und ging zu Aragorn zurück. Währendessen hob ich meine Sachen auf und machte mich fertig.
Wir rannten wieder los, zuerst bergauf und dann in das nächste Tal hinunter. Hier wurden die Steine immer weniger. Am Talgrund beugte sich Aragorn zu Boden und hob etwas auf. Als ich näher kam, sah ich, dass es sich um eine Brosche aus Lórien handelte. Eine Brosche wie diejenige, die meinen Elbenmantel zusammenhielt. Sie musste einem der Hobbits gehören. Also schienen wir tatsächlich auf dem richtigen weg zu sein.
„Nicht zwecklos fallen Lóriens Blätter,“ sagte Aragorn wie in Gedanken versunken und blickte in Richtung westen, dort wo die Spur der Orks hinführte.
„Dann sind sie vielleicht noch am Leben,“ wandte sich Legolas an Aragorn.
„Weniger als einen Tag voraus. Kommt!“ Mit diesen Worten rannte der Krieger weiter.
Im Osten ging jetzt die Sonne auf und die Schatten verschwanden langsam. Ein kühler wind wehte, um den ich sehr dankbar war, da mir vom Laufen schon wieder warm war. Wir erreichten die Kuppe des letzten großen Hügels der Emyn Muil und konnten jetzt ein weites grünes Land sehen. Grüne Weiden und sanfte Hügel so weit das Auge reichte. Weißer Nebel schimmerte in den kleinen Tälern in denen sich glitzernde Wasserläufe ihren Weg bahnten. Weit im Westen befand sich das Nebelgebirge. Wir blieben kurz stehen auf unserem Ausblick und sahen auf die Ebene die sich vor uns ausbreitete herab.
„Rohan. Heimat der Pferde-Herren,“ sagte Aragorn und beschattete seine Augen mit der Hand. „Etwas seltsames geschieht hier. Etwas böses verleiht diesen Kreaturen Geschwindigkeit und behindert uns.“
Legolas lief nach vorne und blickt nun ebenfalls angestrengt nach vorne.
„Legolas, was sehen deine Elbenaugen?“ fragte ihn der braunhaarige.
„Die Uruks wenden sich nach Nordwesten. Sie bringen die Hobbits nach Isengard!“
„Saruman!“ rief Aragorn aus. Schien anscheinend keine gute Nachricht zu sein. Wer war nur dieser Saruman? Ich glaubte nicht, dass ich diesen Namen schon mal gehört hatte.
Und weiter ging’s, bergab in Richtung Nordwesten. Je höher die Sonne stieg, desto wärmer wurde es, doch zum Glück ging noch immer ein kühler Wind. Den Winter schienen wir endgültig hinter uns gelassen zu haben.
Als die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, liefen wir noch immer durch das kniehohe Gras Rohans. Ich hatte schon wieder furchtbares Seitenstechen und atmete schwer.
‚Weiteratmen,’ dachte ich. ‚Einfach weiteratmen, das ist der ganze Trick dabei.’
Als am späten Nachmittag Wolken heraufzogen, war ich bereits fix und fertig.
‚Ich hätte wohl doch nicht so oft den Sportunterricht schwänzen sollen,’ dachte ich total außer Atem. ‚Das rächt sich jetzt. Und dabei hatte ich immer gedacht, ich hätte ne relativ gute Kondition.’
Dabei war sogar Gimli noch schneller als ich. Doch ich würde nicht aufgeben, wenn die anderen noch laufen konnten, würde ich das auch können. Eisern klammerte ich mich an den Gedanken, dass ich es schaffen würde, dass ich weiterlaufen musste. Ich versuchte sogar ich abzulenken, indem ich in Gedanken Songtexte aufsagte.
‚We all came out to Montreaux, on the lake Geneva shoreline, …’
Die Schatten wurden immer länger als die Sonne immer niedriger am Horizont stand. Als sie ganz verschwunden war, rannten wir immer noch. Ich hatte es längst aufgegeben, Songtexte aufsagen zu wollen und konzentrierte mich nur noch darauf, weiter zu atmen und eine Fuß vor den anderen zu setzen. Als es komplett dunkel war, hielten wir endlich an. Ich lies mich zu Boden fallen und schnappte nach Luft.
„Nun müssen wir eine schwere Entscheidung treffen,“ sagte Aragorn. „Sollen wir in der Nacht rasten oder sollen wir weiter gehen?“
‚Ausruhen!’ dachte ich, doch ich sagte es nicht laut. Ich hätte wahrscheinlich sowieso keinen Ton mehr herausgebracht.
„Wenn unsere Feinde nicht rasten, werden sie uns weit hinter sich lassen, falls wir hier bleiben und schlafen,“ stellte Legolas fest.
„Aber wenn wir nachts weitergehen, können wir ihrer Spur nicht folgen,“ warf Gimli ein.
„Die Spur verläuft gerade, so weit ich sehen kann,“ antwortete der Elb.
„Vielleicht könnte ich euch auf gut Glück führen und die Richtung halten,“ sagte Aragorn. „Doch falls wir vom Weg abkommen oder falls die Orks eine andere Richtung einschlagen, werden wir große Schwierigkeiten haben, die Spur wieder zu finden.“
„Außerdem,“ fügte Gimli hinzu. “wird es unmöglich sein, irgendwelche spuren zu sehen, die zur Seite führen. Oder Hinweise wie die Brosche zu finden. Was ist, wenn einem von den beiden die Flucht gelungen ist?“
„Unwahrscheinlich,“ sagte Aragorn. „Aber du hast recht. In der Dunkelheit könnten wir vieles übersehen. Was sollen wir also tun?“
„Dun bist unser Anführer,“ antwortete der Zwerg. „Es ist deine Entscheidung.“
Legolas sagte ebenfalls, dass er Aragorns Entschluss folgen würde. Ich nickte nur. Ich war noch immer ziemlich außer Atem und meine Füße brachten mich um. Nach kurzer Zeit traf Aragorn eine Entscheidung.
„Wir werden in der Dunkelheit nicht weitergehen. Die Gefahr, dass wir etwas übersehen, ist zu groß. Lasst uns die Zeit, die uns bleibt nutzen.“
Darauf hin legte er sich zu Boden, wickelte sich in seinen Elbenmantel und schlief ein. Gimli tat es ihm nach. Ich lag bereits am Boden und als ich wieder normal atmen konnte, schlief auch ich ein.
Natürlich war ich die letzte, die aufwachte. Gimli schüttelte mich leicht und reichte mir etwas zu trinken. Seltsamerweise fühlte ich mich relativ ausgeruht, obwohl die Sonne noch nicht ganz aufgegangen war. Dabei hatte ich doch die Nacht davor höchstens ein paar Stunden Schlaf gehabt und war den ganzen Tag gelaufen. Egal.
Nachdem ich etwas gegessen hatte, brachen wir auf. Die Sonne ging gerade im Osten auf und tauchte alles in ein milchiges Licht. Den ganzen Tag über war sie von Wolken bedeckt und es war relativ kühl.
Doch ich schien mich anscheinend langsam daran gewöhnt zu haben, die ganze Zeit zu rennen. Es war jetzt schon mittags und ich hatte noch kein einziges Mal Seitenstechen gehabt. Ich hatte sogar Gimli eingeholt und lief jetzt zwischen ihm und Aragorn. Legolas lief natürlich an erster Stelle. Er wirkte so frisch und ausgeruht, als ob er gerade eine lange Ruhepause hinter sich hätte und gerade erst zu laufen angefangen hätte. Beneidenswert, so ’ne Kondition. Lag’ wohl daran, dass er ein Elb ist. Den ganzen Tag über führte die Spur der Orks geradeaus nach Nordwesten. Abends bog er nach Norden ab, auf eine baumlose Hügelkette zu.
‚Na toll, wieder bergauf rennen,’ dachte ich erschöpft, als ich die Hügel vor mir sah. Doch zum Glück waren diese Hügel nicht einmal annähernd so hoch oder steil wie die Emyn Muil.
Abends hielten wir wieder an. Der zunehmende Mond gab wenig Licht und die Sterne waren von Wolken verhüllt. Schweigend aßen wir etwas Lembas, tranken etwas Wasser und legten uns Schlafen.
Am nächsten Morgen waren wir bei Sonnenaufgang schon wieder unterwegs. Als die sonne endlich aufging, erstrahlte der ganze östliche Himmel in einem ungewöhnlichen Rot. Es sah fast so aus, als ob der Himmel brennen würde. Sogar die Sonne selbst schien rot zu sein.
„Eine rote Sonne geht auf.“ Legolas blieb kurz stehen um nach Osten zu sehen. „Seltsame Dinge kommen auf uns zu.“
Ich fühlte mich total ausgeruht und konnte sogar mit Aragorn einigermaßend mithalten, was mich natürlich sehr wunderte. Das Laufen machte mir nicht mehr aus, als ob ich gemütlich spazieren gehen würde. Seltsam.
‚Vielleicht kann sich der Körper an alles gewöhnen, wenn man es nur lange genug macht,’ dachte ich.
Aus welchem Grund auch immer, ich hatte auch am Nachmittage, als es bergauf und bergab ging, keine übermäßigen Probleme mehr mit zu halten.
Als die Sonne schon tief am Himmel stand, hatten wir unsere Geschwindigkeit etwas verlangsamt. Wir waren jetzt mitten in den Hügeln und die Spur der Orks war laut Aragorn bereits alt. Ich konnte auf dem trockenen und teilweise steinigen Boden nichts sehen, obwohl selbst ich den Orkpfad im hohen Gras gesehen hatte. Aber ich war ja noch nie besonders gut im Spurenlesen gewesen. Das war etwas in den Karl-May-Büchern gewesen, dass mich schon immer verblüfft hatte. Wie man soviel aus einer Spur, die ich nicht mal sehen würde, herauslesen konnte. ‚Das erste Pferd lahmt hinten rechts’ und so was. Auf einmal musste ich an den Schuh des Manitu denken: ‚Ich muss nicht schreiben können, ich kann Spurenlesen!’ Grins.
Legolas führte uns auf einen größeren, mit Gras bewachsenen Hügel, der nördlichste der Kette. Die Sonne sank und die Schatten der Nacht krochen schnell herauf. Im Nordwesten konnte man die dunklen Formen des Nebelgebirges und davor einen noch dunkleren Wald erkennen. Doch die Nacht zog schnell herauf und bald konnte ich fast gar nichts mehr sehen, da weder Mond noch Sterne Licht in der Dunkelheit spendeten.
Die Nacht war kalt. Ich wickelte mich eng in meinen Elbenmantel ein, doch so richtig warm wurde mir nicht. Als ich, ausnahmsweise von selbst, aufwachte, war der Himmel bereits grau. Ich nahm mir etwas zu essen und setzte mich neben Legolas, der nach Osten schaute. Aragorn und Gimli waren auch schon wach. Schweigend beobachteten wir den Sonnenaufgang. Der Himmel war klar und hell und aus dem Osten wehte ein schwacher Wind. Im Nordwesten konnte ich jetzt den Wald, den Aragorn gestern Fangorn genannt hatte, besser sehen. Doch selbst im Tageslicht sah er nicht gerade einladend aus.
„Dort ist ein Schatten, der sich bewegt,“ Aragorn stand auf und zeigte in Richtung des Waldes. Ein Schatten? Na ja, eher ein kleiner dunkler Fleck.
„Reiter!“ rief Aragorn. „Viele Reiter kommen auf uns zu!“
„Ja,“ sagte Legolas, der ebenfalls aufgestanden war. „ Es sind hundert und fünf. Gelb sind ihre Haare und ihre Speere glänzen im Sonnenlicht. Ihr Anführer ist sehr groß.“
Wow. Nicht schlecht. In meinen Augen hätten das ebenso Ameisen sein können. Aragorn lächelte.
„Scharf sind die Augen der Elben.“
„Nein. Die Reiter sind nicht mehr als fünf Wegstunden [1 Wegstunde = 4,8 km] entfernt,“ stellte Legolas fest.
„Fünf Wegstunden oder eine,“ sagte Ginli. „Wir können ihnen in diesem leeren Land nicht entkommen. Sollen wir hier auf sie warten oder weitergehen?“
„Wir warten,“ entschied Aragorn.
Danach führte er uns den Hügel hinunter, da wir sonst zu leicht zu sehen waren. Am Fuße des Hügels hielten wir an, wickelten uns in unsere Mäntel und machten es uns so bequem wie möglich.
Während Gimli Aragorn über Rohan und seine Bewohner ausfragte, saß ich mit Legolas ein wenig abseits. Zum ersten mal seit Lórien hatten wir die Gelegenheit, uns ungestört zu unterhalten.
„Du hast ja heute gut mithalten können,“ stellte der Elb fest.
„Keine Ahnung woran das liegt. Hat mich schon gewundert. Vielleicht hab' ich mich einfach daran gewöhnt, dauernd zu laufen.“
„Wenn du so weiter machst, holst du mich auch noch irgendwann ein. Bist du dir sicher, dass nicht zufällig ein Elb unter deinen Vorfahren ist?“ fragte Legolas halbscherzhaft, halb im Ernst.
„Oh ja, ganz sicher. Da wo ich herkomm’ gibt es keine Elben. Antwortete ich mit mehr Überzeugung, als ich tatsächlich hatte. Galadriel hatte doch da etwas angedeutet... aber egal. Das wäre doch zu unwahrscheinlich.
Daraufhin sagte keiner von uns für einige Zeit etwas.
„Erzähle mir mehr von deiner Heimat. Wie sieht es dort aus, wo du herkommst?“ fragte mich Legolas plötzlich.
Überrascht sah ich ihn an und überlegte gleichzeitig, was ich ihm erzählen konnte. Ich konnte ihm ja schlecht von den tollen Kneipen in Regensburg vorschwärmen.
„Na ja,“ sagte ich langsam. „Also, es sieht ein bisschen so ähnlich aus wie hier in Rohan. Aber bei uns gibt es mehr Wälder. Und Felder, jede Menge Felder. Es ist auch ein bisschen mehr hügelig. Und die Hügel sind auch etwas größer. Also, eigentlich sieht es nicht wirklich so aus wie in Rohan.“
Der Elb lächelte.
„Hört sich doch gar nicht so schlecht an. Aber deine Heimat muss weit entfernt und ziemlich abgelegen sein. Ich habe noch nie zuvor einen Menschen getroffen, der keine Elben kannte. Zumindest aus Erzählungen sind wir ihnen bekannt.“
„Tja, in den Geschichten die bei uns den Kindern erzählt werden, gibt es nur Elfen, und die sind ca. 30cm groß und haben kleine Flügel,“ antwortete ich mit einem leichten Grinsen.
„Flügel? 30cm groß? Das habe ich ja noch nie gehört!“ meinte Legolas belustigt.
„Ja, klingt ziemlich komisch, nicht?“
Nach kurzer Zeit fragte ich ihn, wie es denn bei ihm zu Hause aussehen würde. Und wo das überhaupt sei.
„Ich komme aus dem Düsterwald,“ klärte er mich auf. “Das Reich meines Vaters liegt im Norden des großen Waldes. Dort wirkt er nicht so dunkel und bedrohlich wie weiter im Süden. Die Bäume sind heller, freundlicher. Obwohl auch dort immer wieder faule Kreaturen eindringen, ist der Wald dort wunderschön. Nicht so wie in Lórien, anders. Lórien wirkt, als ob es nicht ganz zu dieser Welt gehören würde, aber der Düsterwald ist voll und ganz ein Teil dieser Welt.“
„Wow,“ meinte ich. „Das Reich deines Vaters? Dann bist du also eine Art Prinz?“
„Nicht ganz in dem Sinne, wie du das meinst, glaube ich. Aber ja, mein Vater ist der Herrscher der Elben die im nördlichen Düsterwald leben.“
„Nicht schlecht. Mein Vater ist nur ein ganz normaler Lehrer.“
Legolas lächelte.
„In der Hinsicht denken wir etwas anders als die Menschen. Jeder Beruf hat seinen Platz in der Gesellschaft. Ein einfacher Bauer ist nicht besser oder schlechter als ein König. Er hat nur andere Begabungen und erfüllt andere Aufgaben. Doch sind beider, Bauer und König notwendig für ein Land.“
„Das nenn’ ich mal ’ne liberale Sichtweise. Cool,“ ich grinste.
Der Elb lachte.
„Du hast manchmal wirklich eine seltsame Ausdrucksweise!“
Ich lachte ebenfalls.
„Na, solange du mich verstehen kannst ist ja alles in Ordnung.“
Die Reiter waren mittlerweile nahe genug, dass sogar ich genaueres erkennen konnte. Schweigend sahen wir ihnen entgegen. Sie ritten in einer langen zweier Reihe und trugen alle eine Art Rüstung. Sie ritten sehr schnell. Ihre Pferde waren hauptsächlich grau und braun und hatten lange Mähnen und Schweife, die im Wind wehten. Die Reiter waren auch nicht gerade von kleiner Statur. Was man von ihrer Kleidung sehen konnte, war hauptsächlich in grün und braun Tönen gehalten, und die langen Haare, die unter den Helmen hervorschauten waren blond. Alle hatten sie einen Speer in der Hand und so wie es aussah, dazu noch jeweils ein Schwert oder eine Axt oder so was. Insgesamt sahen sie ziemlich beeindruckend aus. Erinnerten mich fast ein bisschen an Wikinger.
Jetzt waren sie nur noch wenige hundert Meter entfernt. Der Boden zitterte und dröhnte unter den vielen Pferdehufen.
Die Reiter preschten leicht schräg an uns vorbei. Anscheinend hatten sie uns nicht gesehen. Na ja, immerhin saßen wir in einer Mulde. Außerdem hatten die Elben nicht gesagt, die Mäntel aus Lórien würden uns helfen, mit dem Hintergrund zu verschmelzen? Egal. Jedenfalls war ich gespannt, was Aragorn jetzt tun würde. Würde er sich verstecken und warten, bis die Reiter weg waren? Aber er hatte doch gesagt, die Leute Rohans seien Freunde? Oder etwa nicht?
„Reiter von Rohan! Was gibt es neues in der Mark!“
Mit diesen Worten stand Aragorn auf und ging ein paar Schritte auf die davon reitenden Reiter zu. Auch wir standen auf.
Der Reiter an der Spitze gab ein Zeichen, worauf die Reiter umdrehten und auf uns zuritten. Sie umringten uns, bildeten einen engen Kreis um uns herum und richteten ihre langen Speere auf uns. Der Anführer, dessen Helm mit einem Pferdekopf und Pferdehaaren verziert war, ritt auf uns zu.
„Was treiben ein Elb, ein Mensch, ein Zwerg und eine Frau hier in der Riddermark? Sprecht rasch!“
Der schien es gewohnt zu sein, Befehle zu erteilen, so wie er sprach. Der Ton gefiel mir nicht besonders, vor allem die Betonung auf ’Frau’ nicht, aber ich blieb lieber ruhig und wollte Aragorn das Reden überlassen. Also beschränkte ich mich darauf, ihm einen Blick zu zuwerfen, der Death Valley zur Mittagszeit hätte einfrieren können. Doch Gimli sprach zuerst.
„Nennt mir Euren Namen, Pferde-Herr, dann werde ich euch meinen nennen.“
Diese Antwort schien dem anderen nicht besonders zu gefallen, denn er reichte seinen Speer einem der Reiter und stieg ab. Ich konnte sehen, dass Aragorn Gimli die Hand auf die Schulter legte, um ihn zu beruhigen. Ha! Diesmal war es nicht ich, die das Fettnäpfchen traf!
„Ich würde Euch den Kopf abschlagen, Zwerg, wenn er nur etwas höher über den Erdboden ragte,“ sagte der Reiter sichtlich verärgert.
So schnell, dass ich es gar nichtrichtig sehen konnte, hatte Legolas einen Pfeil auf den Mann aus Rohan angelegt.
„Ihr würdet sterben, bevor ihr zum Streich ausholtet!“
Wow. Langsam fängt die Situation an, zu eskalieren. Ich legte vorsichtshalber die Hand auf meinen Schwertgriff. Die Reiter schlossen den Ring enger um uns. Nach einem angespannten Moment machte Aragorn einen Schritt auf Legolas zu und drückte den Arm des Elben herunter, so dass sich der Pfeil senkte.
„Ich bin Aragorn, Arathorns Sohn. Das ist Gimli, Gloins Sohn, Legolas aus dem Waldlandreich und Elena aus Bayern. Wir sind Freunde Rohans und Théodens, eures Königs.“
„Théoden vermag nicht länger Freund von Feind zu unterscheiden.“ Der Anführer der Reiter nahm seinen Helm ab und die anderen Reiter zogen ihre Speere zurück. „Selbst seine eigene Sippe erkennt er nicht. Ich bin Éomer, Éomunds Sohn, der dritte Marshall der Riddermark.“
Die anderen Reiter relaxten sichtlich. Anscheinend war jetzt allen klar, dass wir zumindest keine Feinde waren, oder wenigstens, dass von uns keine unmittelbare Gefahr ausging.
„Saruman hat den Geist des Königs vergiftet,“ fuhr Éomer fort. „und fordert die Herrschaft über dieses Land. Meine Schar besteht aus jenen, die treu zu Rohan stehen und dafür wurden wir verbannt. Der weiße Zauberer ist listenreich. Er erscheint hier und dort heißt es, als alter Mann in Kapuze und Mantel. Und überall schlüpfen seine Spitzel durch unsere Netze.“
„Wir sind keine Spitzel,“ wiedersprach Aragorn energisch. „Wir verfolgen eine Gruppe Uruk-Hai westwärts über die Ebene. Sie haben zwei unserer Freunde gefangengenommen.“
„Die Uruks sind vernichtet. Wir erschlugen alle in der Nacht,“ antwortete Éomer.
„Aber da waren zwei Hobbits!“ rief Gimli besorgt. „Habt Ihr unter ihnen zwei Hobbits gesehen?“
„Sie wären klein – nur Kinder in euren Augen,“ fügte Aragorn schnell hinzu.
Éomer senkte den Kopf.
„Wir ließen niemanden am Leben. Die Kadaver legten wir auf einen Haufen und verbrannten sie.“
Mit diesen Worten zeigte er in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Tatsächlich, da konnte man dunklen Rauch erkennen. Das durfte doch nicht wahr sein!
„Sie sind tot?“ fragte ich ungläubig.
Éomer nickte mit sichtlichem Bedauern.
„Es tut mir leid.“
Legolas legte mir tröstend die Hand auf die Schulter. Auf einmal schien Éomer eine Entscheidung getroffen zu haben. Er pfiff kurz und schrill.
„Hasufel! Arod! Léofa!“
Drei Pferde kamen angelaufen, das vorderste war graubraun, das mittlere weißgrau und das letzte beigefarben mit dunkler Mähne. Éomer wand sich wieder an uns.
„Mögen diese Pferde Euch einem besseren Geschick entgegentragen als ihre letzten Herren. Lebt wohl.“
Daraufhin setzte er seinen Helm wieder auf und stieg wieder auf sein Pferd. Er wollte schon losreiten, als er es sich anders überlegte und sich noch einmal zu uns umdrehte.
„Sucht nach Euren Freunden. Doch macht Euch keine Hoffnung, denn die ist verloren in diesem Land.“
Er riss sein Pferd herum und rief seinen Reitern einen Befehl zu.
„Wir reiten nordwärts!“
Die Reiter aus Rohan wendeten ihre Pferde und galoppierten davon. Wie benommen standen wir da und sahen ihnen nach bis Aragorn schließlich die Stille brach.
„Kannst du reiten, Elena?“
Ich nickte.
„Ja. Zum Kunstreiten ist’s zwar noch weit gefehlt, aber fürs normale Reiten müsst’s schon noch langen.“
Zum Glück war ich vor einem Jahr auf diesem Reiterhof gewesen!
„Legolas, du bist der beste Reiter von uns, du nimmst Gimli hinter dich. Dann geht es genau auf mit den Pferden,“ beschloss Aragorn.
Schade. Zusammen auf einem Pferd, das wäre ja noch besser gewesen, als hintereinander in einem Boot. Aber dafür hatte ich jetzt ein eigenes Pferd. Zumindest eine Zeitlang. Das Aufsteigen bereitete mir zum Glück keine Schwierigkeiten, obwohl ich so einen Sattel noch nie gesehen hatte. Die Steigbügel waren viel kürzer als bei normalen Sätteln und er sah irgendwie total altmodisch aus. Er war aber bequem, sogar bequemer als die Sättel, die ich bisher gekannt hatte.
Legolas lies den Sattel gleich weg. Elben brauchten anscheinend keine Steigbügel um auf einem Pferd zu bleiben. Oder er mochte nur die Sättel aus Rohan nicht.
‚Mir soll’s egal sein,’ dachte ich. ‚Ich lass den Sattel jedenfalls lieber oben, ich will ja nicht riskieren, dass ich runterfalle.’
Auf ein Zeichen von Aragorn ritten wir los.
Die Pferde von Rohan waren schnell. Aragorn ritt voraus, die Augen auf den Boden geheftet. Wir überquerten die hügeligen Wiesen, die uns von Fangorn trennten jetzt sehr viel schneller als vorher zu Fuß. Bald kamen wir an einen Fluss. Der war bei weitem nicht so groß wie der Anduin, aber doch schon so ca. zehn Meter breit. Er war nicht sehr tief, nur ca. einen halben Meter. Wir mussten gar nicht absitzen, um den Fluss der laut Legolas übrigens Entwasser hieß, zu überqueren. Wir ritten immer weiter und nachmittags zogen graue Wolken herauf. Ich genoss das Reiten in vollen Zügen. Stundenlang nebeneinander herreiten...
‚Schade dass mein Pferd nicht Jaqueline heißt,’ dachte ich grinsend. ‚Langsam Jaqueline, sonst kotzt du wieder.’
Während die baumbewachsenen Hügel des Fangorn Waldes immer näher kamen, versankt die Sonne immer weiter im Westen und die Schatten wurden immer länger. Als wir endlich am Waldrand ankamen, hatte die Dämmerung fast schon eingesetzt. Was aus der Entfernung wie ein rauchender Erdhaufen ausgesehen hatte, entpuppte sich als riesiger Scheiterhaufen. Würg. Zum Glück wehte der Wind in eine andere Richtung. Neben dem Überrest des Feuers steckte ein abgetrennter Orkkopf auf einem Speer. Nicht gerade ein appetitlicher Anblick.
‚Na ja,’ dachte ich mit einem gequälten Grinsen. ‚Lächeln hilft den Brechreiz zu unterdrücken.’
Die anderen ignorierten den gepfählten Kopf und die verkohlten Leichen.
‚Wenn du einmal einen Haufen verkohlender toter Orks gesehen hast, dann hast du sie anscheinend alle gesehen.’
Bestürzt hielt Aragorn an und sprang vom Pferd, um sich die Umgebung genauer anzusehen. Ich blieb vorsichtshalber sitzen. Nicht, dass ich noch ein paar Spuren oder Hinweise vernichtete. Aragorn und Legolas suchten alles um den Scheiterhaufen ab. Doch bereits nachkürzester Zeit war es dazu zu dunkel.
„Wir können nicht mehr tun,“ sagte Gimli traurig. „Ich würde sagen, dass die verbrannten Knochen der Hobbits jetzt mit denen der Orks vermischt sind. Es wird ein schwerer Schlag für Frodo sein, falls er solange überlebt, um davon zu erfahren. Ebenso für den alten Hobbit, der in Bruchtal wartet. Elrond wollte nicht, dass sie mitkommen.“
„Aber Gandalf wollte es,“ warf Legolas ein.
„Aber Gandalf beschloss selbst mitzukommen und er war der erste, der verloren ging. Seine Voraussicht hat ihn im Stich gelassen.“
„Gandalfs Rat beruhte nicht auf einer Vorahnung von Sicherheit, werde für sich selbst noch für andere,“ widersprach Aragorn. „Es gibt manche Dinge, die man besser anfängt als gleich aufzugeben, auch wenn das Ende finster sein mag. Aber ich werde diesen Platz noch nicht verlassen. Auf jeden Fall werden wir hier das Morgenlicht erwarten.“
Etwas abseits der toten Orks errichteten wir am Waldrand ein Lager. Der Wald wirkte im dunkeln fast ein bisschen bedrohlich. Wir waren sehr vorsichtig beim Holzsammeln und verwendeten nur totes Holz für das Feuer. Ich hatte diesmal gleich die erste wache. Schweigend starrte ich in die Dunkelheit außerhalb des Kreises, der von dem Feuer erhellt wurde. Nichts regte sich. Die Bäume wirkten richtig gruselig im Dunkeln. Wie Trolle oder Monster.
‚Nur nicht daran denken.’
Als es am nächsten Morgen langsam hell wurde, frühstückten wir bereits. Es war immer noch ziemlich kalt. Aber zum Glück wärmten diese Elbenmäntel sehr viel besser als man aufgrund ihrer Dicke meinen könnte. Nachdem wir alle etwas gegessen hatten, stand Aragorn auf.
„Es wird schnell hell. Schauen wir uns erst einmal genau um, ob wir vielleicht irgendeine Spur von den Hobbits entdecken.“
Daraufhin schritt er entschlossen in Richtung tote Orks davon, die Augen fest auf den Boden gerichtet. Ich blieb vorsichtshalber wo ich war.
Plötzlich blieb Aragorn stehen und sank auf die Knie.
„Ein Hobbit lag hier und dort der andere,“ er zeigte auf etwas, was auch genauso gut eine zufällige Spur am Boden hätte sein können.
„Sie sind gekrochen,“ stellte er erstaunt fest. Er stand auf und folgte den Spuren.
‚Nicht schlecht,’ dachte ich. ‚Gut kombiniert, Dr. Watson.’ Ich folgte Aragorn zusammen mit Legolas und Gimli.
„Ihre Hände waren gebunden. Ihre Fesseln wurden zerschnitten.“ Der Krieger hob ein Stück Seil hoch.
„Sie rannten dort entlang. Sie wurden verfolgt.“ Aragorn sah sich die Spuren genauer an.
„Die Spuren führen weg von der Schlacht...“ Er lief an der Spur entlang und blieb stehen. Als diese ihn direkt zum Waldrand führte.
„...in den Fangorn Wald hinein.“
Ich sah in den dunklen Wald hinein und bildete mir kurzeitig sogar ein, Augen dort im Dickicht zu sehen.
‚Na a, immer noch besser als ein Haufen Orks.’
„Fangorn. Was trieb sie dort hinein?“ Gimli schien den Wald auch etwas unheimlich zu finden. Doch Aragorn lies sich nicht einschüchtern und führte uns, nachdem wir die Pferde angebunden hatten, in den Wald hinein. Es war dunkel und stickig hier zwischen den Bäumen. Überall knackte und knarrte es und ich konnte mir fast einbilden, aus dem Blätterrauschen eine Art Flüstern rauszuhören.
„Die Luft ist so stickig hier drin,“ stellte Gimli beunruhigt fest.
„Dieser Wald ist alt,“ sagte Legolas leise und sah sich um. „Sehr alt. Voll von Erinnerungen... und Wut.“ Die Bäume knirschten und Gimli erschrak. Er hob seine Axt etwas höher. War wohl nicht so gut, denn die Bäume wurden lauter.
„Die Bäume sprechen miteinander!“ rief der Elb.
„Gimli!“ flüsterte ich warnend. Eine Axt in der Nähe eines wütenden Baumes war bestimmt keine besonders gute Idee.
„Zügle deine Axt,“ riet Aragorn dem Zwerg, der sofort gehorchte und sich nervös umsah.
„Sie haben Gefühle, mein Freund,“ klärte ihn Legolas leicht amüsiert auf. „Die Elben fingen damit an, die Bäume aufzuwecken, ihnen das Reden beizubringen.“
„Sprechende Bäume? Worüber sollen Bäume denn reden?“ fragte Gimli irritiert. „Außer vielleicht die Beschaffenheit von Eichhörnchen-Mist?“
Ich grinste amüsiert. ‚Beschaffenheit von Eichhörnchen-Mist’, also wirklich. Wir kamen an eine Stelle an der ein großer Baum stand, vor dem sich seltsame Spuren auf dem Boden befanden.
„Dies sind seltsame Spuren,“ stellte Aragorn fest und sah sich um. Von den Hobbits waren keine weiteren Spuren mehr zu finden. Als ob sie sich direkt vor dem Baum in Luft aufgelöst hätten.
‚Oder der Baum hatte Hunger,’ dachte ich ironisch.
Plötzlich blieb Legolas beunruhigt stehen und sah sich um.
„Aragorn, nad no ennas! [Aragorn, da draußen ist etwas!]” sagte er leise und deutet nach links.
„Man cenich? [Was siehst du?]“ fragte der Dunkelhaarige nach.
„Der weiße Zauberer nähert sich.“
Jetzt, da er es sagte, konnte ich es auch sehen. Da vorne wischen den Bäumen kam eine weißgekleidete Gestallt näher.
„Lasst ihn nicht sprechen,“ warnte Aragorn. „Er wird uns verzaubern. Wir müssen schnell sein.“
Er umfasste den Griff seines Schwertes, Gimli hielt seine Axt fester und Legolas legte einen Pfeil ein.
‚Ich sollte mich wohl auch besser bereit machen,’ dachte ich und legte meine Hand auf Gilmegils Griff. Ich konnte die herannahende Person nur noch aus meinen Augenwinkeln sehen, da sie sich von der Seite her näherte. Auf Aragorns Schrei hin drehten wir uns um und griffen an. Oder versuchten es jedenfalls. Gimlis Axt, die er warf, prallte in der Luft ab und Legolas Pfeil ging in Flammen auf. Aragorn ließ sein Schwert, dass zu glühen schien, fallen und ich bekam meines gar nicht erst heraus. Als on es jemand mit Sekundenkleber in der Schwertscheide festgeklebt hätte. Der ‚Zauberer’ war jetzt in gleißendes Licht gehüllt. Ich hielt mir eine Hand vor die Augen, damit ich besser sehen konnte.
„Ihr verflogt die Spuren zweier Hobbits,“ stellte der in Licht gehüllte fest. Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor.
„Wo sind sie?“ rief Aragorn.
„Sie sind hier vorgestern vorbeigekommen. Sie trafen jemanden, den sie nicht erwartet hatten. Beruhigt Euch das?“
„Wer seid Ihr? Zeigt Euch!“ forderte Aragorn.
Daraufhin wurde das Licht schwächer und ich konnte erkennen, wer dort stand. Gandalf. Ganz in weiß.
„Mithrandir. Vergebt mir.“ Legolas verbeugte sich.
„Das kann nicht sein,“ sagte Aragorn ungläubig.
Ich sagte nichts und tat es nur Gimli nach, der sich stumm verbeugte.
‚Gandalf war doch tot, oder?’ dachte ich. ‚Jeder normale Mensch wäre das, wenn er in so einen Abgrund fallen würde.’
„Ich hielt Euch für Saruman,“ entschuldigte sich der Elb.
„Ich bin Saruman,“ antwortete Gandalf. „Oder besser gesagt, Saruman, so wie er sein sollte.“
Aragorn konnte es immer noch nicht glauben.
„Ihr seid gefallen?!“
„Durch Feuer und Wasser,“ stimmte der Todgeglaubte zu. „Vom tiefsten Kerker bis zum höchsten Gipfel kämpfte ich mit dem Balrog von Morgoth. Bis ich schließlich meinen Feind besiegt hatte und seinen Körper auf den Berghang schmetterte. Dunkelheit umgab mich. Und ich verlor mich in Gedanken und der Zeit. Sterne zogen über mich hinweg und jeder Tag war so lang wie ein Zeitalter dieser Welt. Aber es war nicht das Ende. Leben regte sich wieder in mir. Ich wurde zurückgeschickt bis meine Aufgabe beendet ist.“
„Gandalf!“ rief Aragorn erfreut.
„Gandalf? Ja... das war mein Name. Gandalf der Graue.“
„Gandalf!“ rief nun auch Gimli erfreut.
Der Zauberer lächelte. „Ich bin Gandalf der Weiße. Und ich komme nun zu euch, am Wendepunkt der Gezeiten.“
‚Wow. Soviel zum Thema Auferstehung. Gandalf ist wieder da! Cool. Der weiß bestimmt was zu tun ist.’
Ich grinste als ich zusammen mit den anderen dem Weißen Zauberer folgte. Gandalf führte uns in Richtung Waldrand zurück. Er hatte jetzt seinen Elbenmantel über seine weiße Kleidung geworfen und schritt zügig dahin.
„Ein Teil eurer Reise ist vorüber, ein anderer beginnt. Wir müssen so schnell wie möglich nach Edoras reiten.“
„Edoras?“ fragte Gimli erstaunt. „Das ist keine kurze Strecke.“
Edoras? Wo war das noch mal? Keine Ahnung.
„Wir hörten von Schwierigkeiten in Rohan. Es steht schlecht um den König,“ warf Aragorn ein.
„Ja,“ stimmte Gandalf zu. „Und es wird nicht leicht sein, etwas dagegen zu unternehmen.“
Je näher wir dem Waldrand kamen, desto heller wurde es. Schließlich verließen wir den Wald an fast der gleichen Stelle, an der wir hineingegangen waren. Sobald wir draußen waren, pfiff Gandalf. In der Ferne hörte ich ein Wiehern und sah bald darauf ein wunderschönes weißes Pferd herangaloppieren. Wow. Ich hatte noch nie ein so schönes Pferd gesehen. Dieses Pferd war sogar noch um Klassen herrlicher als die Pferde die man m Ende des Filmes ‚King Arthur’ sieht.
„Das ist eines der Mearas, falls meine Augen nicht durch einen Zauber getäuscht sind,“ stellte Legolas ehrfürchtig fest.
„Schattenfell,“ begrüßte Gandalf das Pferd das nun bei ihm angekommen war. „Er ist der Herr aller Pferde und er war mein freund in vielen Gefahren.“
Es war bereits fast Mittag. Wir saßen alle auf und ritten in Richtung Süden.
Wir ritten den ganzen Tag über ohne Pause. Die Berge, die man im Süden sehen konnte, wurden immer größer als wir uns ihnen näherten.
Als es dunkel war, schlugen wir unser Lager auf. Gandalf erzählte noch mal etwas detaillierter von seinem Kampf mit dem Balrog und wie er von Gwaihir dem Adler nach Lórien gebracht wurde.
„Bevor ich Lórien verließ, gab mir Galadriel noch Ratschläge für euch mit,“ fügte der Zauberer hinzu.
Erstaunt setzte ich mich gerade hin. Ratschläge von Galadriel? Das könnte interessant werden.
„Zu Aragorn sollte ich dies sagen:
Wo sind nun die Dúnedain, Elessar, Elessar?
Warum wandert dein Volk in der Ferne?
Nah ist die Stunde in der die Verlorenen hervortreten,
Und die Graue Gemeinschaft aus dem Norden reitet.
Aber dunkel ist der Pfad der dir vorherbestimmt ist:
Die Toten bewachen die Straße, die zum Meer führt.
Für Legolas sendet sie folgendes:
Legolas Grünblatt, lange unter Bäumen
Hast du glücklich gelebt. Hüte dich vor dem Meer!
Wenn du hörst den Schrei der Möwe an der Küste,
Wird dein Herz nicht mehr im Walde verweilen.
Und für Elena gab sie mir folgende Worte mit:
Habe keine Angst Elena, du wirst deinen Mut finden.
Wenn die Zeit gekommen ist, folge deiner Bestimmung,
Doch dunkel ist der Weg zur Entscheidung.
Schwanke nicht in deiner Überzeugung.“
Als wir am nächsten Morgen weiterritten war ich noch tief in Gedanken versunken. Ich musste dauernd an Galadriels Worte denken:
‚Habe keine Angst Elena, du wirst deinen Mut finden.
Wenn die Zeit gekommen ist, folge deiner Bestimmung,
Doch dunkel ist der Weg zur Entscheidung.
Schwanke nicht in deiner Überzeugung.’
Nachdem ich gestern Abend diesen ‚Rat’ vernommen hatte, hatte ich sonst nicht mehr viel mitbekommen. Ich wusste noch nicht einmal mehr, was für eine Nachricht die Herrin des Waldes für Gimli gehabt hatte. Je mehr ich über die Bedeutung der Worte nachdachte, desto mulmiger wurde zumute. Der Anfang klang ja noch ganz ermutigend, aber die zweite Hälfte klang eher ein bisschen nach Kamikaze.
Der Morgen war hell und klar und ich konnte sogar Vögel singen hören. Die Berge im Süden kamen immer näher. Sie schienen sehr hoch zu sein, denn ihre Gipfel waren schneebedeckt. Der Fluss den wir vor kurzem überquert hatten, schien in jenen Bergen zu entspringen.
Ein Stück vorderhalb der Berge befand sich ein Hügel. Je näher wir kamen, desto genauer konnte ich ihn erkennen. Er schien von einem hohen Holzzaun umgeben zu sein und war von Häusern bedeckt. Eine Art Stadt anscheinend. Logische Wahl, ein Hügel war ja auch besser zu verteidigen als ein Platz auf der Ebene. Ganz oben auf dem Hügel war eine Art Burg. Oder doch keine Burg, es sah eher so aus wie eine große Halle aus Holz. Das Dach schimmerte und glänzte golden im Licht der Sonne. An irgendwas erinnerte mich diese Halle. Natürlich! Ich lächelte. Beowulf! Aber klar, die „Mead-hall“ Heorot, die von dem Monster Grendel heimgesucht wurde. Dann musste in dieser Halle der König wohnen, von dem Aragorn gestern gesprochen hatte.
Plötzlich wurde ich durch Gandalfs Stimme aus meinen Gedanken gerissen.
„Edoras wird diese Stadt dort vorne genannt,“ sagte er zu mir und deutete nach vorne. „Und Meduseld ist diese goldene Halle. Dort weilt Théoden, Sohn von Thengel, König der Mark von Rohan.“
Er wand sich wieder an alle.
„Ich rate euch, keine Waffe zu ziehen, keine raschen Worte zu sprechen, bevor wir vor Théodens Thron angekommen sind.“
Schweigend ritten wir weiter.
Schließlich kamen wir zum Fuße des Hügels auf dem Edoras lag. Wir ritten direkt auf ein Tor in dem Holzzaun, der die Stadt umgab, zu. Links und rechts davon standen zwei Wächter in Rüstungen und Helmen. Sie hatten jeweils ein Schwert umgebunden und einen Speer in der Hand. Sie trugen einen dunkelgrünen Mantel und sahen den Reitern denen wir vorgestern begegnet waren sehr ähnlich. Erinnerten mich aber auch ein bisschen an Wikinger. Aber nur ein bisschen. Als wir näher kamen, versperrten sie uns den Weg mit ihren Pferden und einer rief und etwas in einer fremden Sprache zu. Gandalf antwortete in der selben Sprache und sie unterhielten sich eine Zeitlang. Dann ging einer der Wächter in die Stadt hinein, anscheinend um uns anzukündigen, oder um etwas nachzufragen. Jetzt konnten wir nur warten.
Nach kurzer Zeit kam er wieder zurück und bat uns herein.
„Folgt mir. Théoden gibt euch die Erlaubnis, zu ihm zu kommen, aber eure Waffen müsst ihr an dem Eingangstor abgeben, wo sie die Türwächter aufbewahren werden.“
Wir folgtem ihm der Reihe nach. Zuerst Gandalf, dann Aragorn, dann kann ich und Legolas bildete zusammen mit Gimli den Schluss. Der Boden stieg immer stärker an und die Pferde gingen langsam den Weg hinauf. Die flachen Stufen, die sich an einigen Stellen befanden, behinderten sie nicht sehr. Nun, da ich die Häuser aus so naher Entfernung sehen konnte, wurde mein erster Eindruck bestätigt. Es sah wirklich ein bisschen nach Wikinger aus. So ein bisschen nach Beowulf. Die meisten der hölzernen Häuser waren mit Stroh bedeckt.
Nach kurzer Zeit kamen wir zur Kuppe des Hügels, auf dem sich Edoras befand. Nun konnte ich die große Halle genauer sehen. Sie stand auf einer Art ‚Terrasse’ aus Stein, auf die eine Treppe hinaufführte. Die Halle selbst war aus Holz und mit kunstvollen goldenen Schnitzereien bedeckt. Vorherrschend waren Pferdeschnitzereien. Das Stroh, welches das Dach bedeckte, glänzte golden in Licht der Sonne. Vor den verzierten Säulen die sich vor der Eingangstür befanden, standen zwei Wächter.
Vor der Steintreppe, die zu dieser Halle hinaufführte, blieben wir stehen und saßen ab. Mann, tat mir mein Hintern weh! Ich war es nicht gewohnt, solange zu reiten. Doch ich würde mich hüten, etwas zu sagen. Der Krieger der und vom Tor hergeführt hatte, winkte ein paar Männer herbei, die sich um die Pferde kümmern sollten und ging dann wieder auf seinen Posten zurück. Die Pferde wurden in ein Gebäude geführt, dass anscheinend ein Stall zu sein schien. Es war der prächtigste und sauberste Stall der ich je gesehen hatte. Ich hatte jedoch jetzt nicht die Zeit mir die Ställe genauer anzusehen, da Gandalf bereits die Treppe hinaufstieg. Schnell ging ich den anderen hinterher. Als wir oben waren, trat uns einer der Wächter entgegen.
„Seid gegrüßt. Fremde aus der Ferne. Ich bin der Torhüter von Théoden, Háma ist mein Name. Ich muss euch jetzt bitten, eure Waffen auf die Seite zu legen, bevor ihr eintretet.“
Als Gandalf zustimmend nickte reichte Legolas Háma seinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen und den zwei weißen Messern.
„Bewahrt diese gut, denn sie kommen aus dem goldenen Wald und die Herrin von Lothlórien gab sie mir,“ ermahnte er den Krieger aus Rohan. Dessen Augen weiteten sich vor Erstaunen und Wunder und er legte die Waffen hastig auf eine hölzerne Bank die rechts neben dem Tor stand.
„Kein Mann wird diese Waffen berühren, das verspreche ich Euch.“
Aragorn jedoch zögerte.
„Es ist nicht mein Wille, mein Schwert auf die Seite zu legen oder Andúril irgendjemand anderem in die Hände zu geben.“ Dann öffnete er langsam seinen Schwertgurt und legt Andúril (was für ein schöner Name für ein Schwert!) selbst auf die Bank neben Legolas’ Waffen.
„Hier lege ich die Flamme des Westens nieder, aber ich gebiete Euch, sie nicht zu berühren und auch niemanden zu erlauben sie anzulangen.“
Háma nickte ehrfürchtig. Ich war erleichtert, als mir Aragorn auf diese Weise einen Ausweg aus meinem Dilemma zeigte. Bei dem Gedanken, dass jemand anderes Gilmegil auch nur berühren würde, wurde mir ganz anders. Das würde ich nicht zulassen. Das Schwert war mir zwar noch immer nicht ganz geheuer, aber ich hatte mich daran gewöhnt und irgendwie ‚mochte’ ich sie. Wenn man das bei einem Schwert überhaupt so sagen konnte. Irgendwie hatte ich fast das Gefühl, als ob Gilmegil bereits zu einem Teil von mir geworden war. Da konnte ich Aragorn schon ganz gut verstehen, dass er nicht wollte, dass jemand anders Andúril berührte. Behutsam legte ich meine Waffen neben die anderen. Auch Gimli und Gandalf legten ihre Waffen ab.
„Ich versichere euch, dass niemand diese Waffen anrühren wird,“ versprach uns Háma. Doch als wir nun eintreten wollten, zögerte er noch.
„Euer Stab,“ wandte er sich an Gandalf.
„Hmm?“ Der Zauberer sah seinen Stab verwundert an und schien gleich ein bisschen zerbrechlicher und älter zu wirken, als er sich auf ihn stützte. „Oh. Ihr würdet einem alten Mann doch nicht seine Gehhilfe wegnehmen wollten?“
Ich musste ein Grinsen verbergen. Gandalf war eben ein guter Schauspieler. Er spielte den alten Mann so überzeugend, als er auf seinen Stab gestützt langsam nach vorne ging.
Nach kurzem Zögern hatte Háma den Befehl gegeben, das Tor zu öffnen und wir traten jetzt in die Halle hinein. Es war warm hier drinnen, da der ständige Wind der draußen wehte, jetzt nicht mehr vorhanden war. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die dunklere Umgebung. Die Halle war lang und breit und ziemlich dunkel, da es nur wenige Fenster gab. Das Dach wurde durch viele Holzsäulen gehalten und an den Wänden hingen viele Teppiche und Fahnen mit fantastischen Mustern und Bildern. Der Boden war mit verschiedenfarbigen Steinen gepflastert, die verschlungene Muster bildeten. In der Mitte des Raumes befand sich eine Feuerstelle und auf der gegenüberliegenden Seite befand sich der Thron. Auf ihm saß ein alter Mann, der irgendwie so richtig eklig aussah. So halb verfault und mit einem Bein bereits im Grab. Ein Facelifting hätte dem bestimmt nicht geschadet. Neben ihm saß auf einem niedrigerem Stuhl ein schwarz gekleideter Mann, der mindestens genauso eklig aussah. Er hatte total fettige Haare und seine Hautfarbe war ungesund bleich. Er schien eine Art Berater zu sein.
‚Ha, soviel zu Thema >Grendel
Als ich die Augen aufschlug, war es noch ziemlich dunkel. Im Osten wurde der Himmel bereits hellgrau, aber im Westen war er noch fast schwarz. Verschlafen setzte ich mich auf.
Innerhalb kürzester Zeit saß ich wieder auf meinem Pferd und wir ritten weiter, nach Westen in die Dunkelheit hinein. Hinter uns wurde der Himmel heller. Ich hielt mich eisern am Sattel fest.
‚Nur nicht runterfallen, das hätte’ ja grad noch gefehlt,’ dachte ich noch etwas müde.
Der Himmel wurde immer blauer und im Osten ging endlich die Sonne auf. Langsam wurde ich wacher. Das Kettenhemd war noch immer ziemlich unbequem und vor allem schwer. Wie hielt Gimli das nur aus? Der trug ja ’ne ganze Rüstung.
Da es jetzt endlich ganz hell war, konnte man weit im Nordwesten eine riesige dunkle Rauchwolke oder so etwas sehen.
Gandalf lies sich etwas zurückfallen und ritt jetzt neben mir und Legolas.
„Kannst du irgendetwas dort erkennen, weit entfernt in Richtung Isengard?“ fragte der Zauberer den Elb.
„Viele Meilen liegen dazwischen,“ antwortete dieser und beschattete seine Augen mit einer Hand um besser sehen zu können. „ Ich kann eine Dunkelheit erkennen. Darin bewegen sich Gestallten, große Gestallten, weit entfernt am Ufer des Flusses; aber was sie sind kann ich nicht sagen. Ein verhüllender Schatten liegt auf dem Land und bewegt sich langsam den Fluss entlang. Es ist, als ob das Dämmerlicht unter endlosen Bäumen die Hügel hinunter fließen würde.“
„Und hinter uns kommt ein Sturm aus Mordor,“ sagte Gandalf. „Es wird eine dunkle Nacht werden.“ Mit diesen aufmunternden Worten ritt der Weiße Zauberer wieder nach vorne, zu Théoden und Aragorn.
Wir ritten stundenlang ohne Unterbrechung nach Westen und ich wäre bereits ein paar mal beinahe eingeschlafen, so eintönig war das Ganze. Die Landschaft war auch nicht gerade abwechslungsreich. Je später am Tag es wurde, desto dunkler wurde es. Es konnte nicht viel später als früher Nachmittag sein, als die Sonne endgültig von dunklen, bedrohlichen Wolken verhüllt war. Es kam mir schon fast wie eine Sonnenfinsternis vor. Auch wurde es immer kälter. Ich war froh um meinen warmen Elbenmantel, den ich immer enger um mich zog. Das Kettenhemd störte mich mittlerweile schon fast nicht mehr.
Den Sonnenuntergang konnte man eigentlich gar nicht richtig sehen. Der ganze westliche Himmel war in ein blutiges Rot getaucht, das langsam immer dunkler wurde, während die Temperatur noch mal um einige Grad sank. Wir ritten immer noch weiter.
Mittlerweile befanden wir uns schon ganz nahe an den Bergen, die mit Schnee bedeckt waren. Die Gipfel direkt vor uns bestand aus drei einzelnen rauen Zacken, die im diffusen Licht der untergehenden Sonne glänzten. Im schwindenden Licht konnte ich erkennen, dass uns ein einzelner Reiter entgegen kam, der es offenbar sehr eilig hatte. Der König gab ein Signal zum anhalten und wir warteten auf den herannahenden Reiter.
Der Kleidung nach war er eindeutig ein Mann aus Rohan. Er sah total müde und erschöpft aus und musste, als er ankam erst mal eine Weile nach Atem ringen, bevor er etwas sagen konnte.
„Ist Éomer hier?“ fragte er schließlich. „Ihr seid endlich gekommen, doch ihr seid zu spät und zu wenige. Seit Théodred fiel ist es schlecht gelaufen. Letzte Nacht wurden wir von einem großen Heer angegriffen und wir konnten die Furten des Isen nicht halten. Ganz Isengard muss gelehrt sein, so viele waren es, mindestens zehntausend, Orks und einige Männer aus Dunland. Sie haben uns überrannt und der Schildwall wurde durchbrochen. Erkenbrand von der Westfold hat sich mit einigen in der Festung von Helms Klamm verschanzt. Wo ist Éomer? Sagt im, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Er sollte nach Edoras zurückkehren, bevor die Wölfe Isengards kommen.“
Der König hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch nur ritt er auf den Mann zu.
„Ich bin hier. Die letzte Heerschar der Eorlingas ist losgezogen. Wir werden nicht ohne eine Schlacht zurückkehren.“
Der Reiter schien positiv überrascht sein, den König zu sehen.
„Befiehlt mir, mein Herr! Und verzeiht mir! Ich dachte...“
„Ihr dachtet, ich wäre in Meduseld geblieben, gebeugt wie ein alter Baum unter dem Schnee des Winters. So war es, als ihr in den Krieg gezogen seid. Doch ein Westwind hat die Zweige erschüttert,“ antwortete ihm Théoden. „Gebt diesem Mann ein frisches Pferd! Lasst uns Erkenbrand zu Hilfe eilen!“ rief er den Reiter zu.
Nun meldete sich auch Gandalf zu Wort.
„Reite Théoden! Reite nach Helms Klamm! Ich muss Euch nun für eine Weile verlassen. Erwartet mich an Helms Tor! Lebt wohl!“
Daraufhin ritt der Zauberer in Richtung Nordwesten davon. Er war so schnell verschwunden, das es schon an Zauberei grenzte, denn kein Pferd konnte so schnell laufen. Aber Gandalf war ja auch ein Zauberer und Schattenfell war ja auch schließlich kein normales Pferd.
Auf ein Zeichen Théodens setzten wir uns wieder in Bewegung, diesmal nach Süden, auf die Berge zu. Die flache Ebene erstreckte sich dunkel bis zum Fuß der Berge, wo ich zwischen zwei Bergen ein schmales, tiefes Tal sehen konnte. Die Seitenwände des Tales waren sehr hoch und steil und nach hinten wurde es immer schmaler und enger. Als wir näher kamen, sah ich, dass sich in dem Tal eine Burg befand. An einer relativ engen Stelle, wo von der nördlichen Felswand eine Felsenklippe herausragte, befand sich eine hohe und mächtige Mauer, die bis zur anderen Seite hinüberragte und somit das ganze hintere Tal absperrte. Hinter dieser Mauer befand sich eine Festung aus hohen Steinmauer, in deren Mitte ein hoher Turm stand. Durch das Tal floss uns ein kleiner Bach entgegen und ich konnte eine Rampe sehen, die zu einem Tor am rechten Ende der Mauer führte. Wir ritten so schnell wir konnten auf diese Mauer zu und ich nahm an, dass es sich bei der Festung um Helms Klamm handeln musste.
Als wir vor der Rampe angekommen waren, wurden wir von einigen Kriegern, die anscheinend Wache gehalten hatten, begrüßt. Ich war zu weit hinten, um alles zu hören, was sie sagten, doch ich bekam mit, dass Erkenbrand nicht in Helms Klamm war. Es waren einige Krieger da, doch die meisten die sich in der Festung aufhielten, waren entweder zu alt oder zu jung um richtig kämpfen zu können und es waren viele Frauen und Kinder da, die aus der umliegenden Gegend in die Burg geflohen waren.
Théoden führte uns die Rampe hinauf und in die Festung hinein. Die meisten Reiter ritten zu der freien Fläche hinter dem großen Wall aber ich blieb zusammen mit Legolas, Aragorn, Gimli und mehreren anderen beim König. Unsere Pferde führten wir in den Inneren Bereich der Burg hinein. Théoden gab den Befehl, dass sich alle Frauen und Kinder in die Höhlen zurückziehen sollten und dass alle, die fähig waren zu kämpfen, sich bereit halten sollten. Die Tore wurden gesichert und die Pferde weiter aufwärts im Tal angebunden.
Ich stand etwas abseits und hatte mich an die Wand gelehnt, als Legolas auf mich zukam.
„Es besteht wohl keine Chance, dass ich dich überreden könnte, mit den Frauen und Kindern in die Höhlen zu gehen?“ fragte mich der Elb besorgt.
„Nein,“ antwortete ich mit einem schwachen Lächeln. „Ich werde hier bleiben und mitkämpfen. Wozu habe ich sonst gelernt, mit einem Schwert umzugehen? Außerdem würde mich das Warten und die Ungewissheit verrückt machen. Ich möchte bei dir bleiben.“ Fügte ich mit einem wärmeren Lächeln hinzu.
„Ich hatte auch keine große Hoffnung, dich überreden zu können.“
Aragorn kam langsam und sichtlich erschöpft zu uns herüber.
„Bauern, Schmiede, Stallburschen. Dies sind keine Soldaten.“
„Die meisten haben zu viele Winter gesehen,“ fügte Gimli, der sich ebenfalls dazugesellt hatte, hinzu.
„Oder zu wenige,“ ergänzte ich.
„Unsere Chancen stehen schlecht, die Armee Isengards ist uns um ein vieles überlegen. Aber hinter diesen Mauern haben wir vielleicht eine Chance, wenn wir nur lange genug aushalten. Gandalf wird kommen,“ sagte Aragorn entschlossen.
Auf einmal ertönte von draußen ein klares Horn. Es hörte sich wunderschön an und erinnerte mich an etwas, ich konnte nur nicht genau sagen, was. Legolas reagierte erfreut und lief bereits nach draußen.
„Dies ist kein Ork-Horn!“
Wir folgten ihn, so schnell wir konnten. Auf dem Vorplatz der Hornburg blieben wir stehen und sahen in Richtung des großen Tores. Es wurde bereits nach dem König geschickt und ich versuchte, ebenfalls zu sehen, was da los war. Ein Trupp von ungefähr 200 Männer kam die Rampe empor, im Gleichschritt wie erfahrene Soldaten und in dunkelblaue Mäntel gekleidet. Doch als ich näher hinsah, konnte ich erkennen, dass es keine Menschen sondern Elben waren. Sie trugen alle eine Rüstung und waren mit Pfeil und Bogen und höchstwahrscheinlich auch mit einem Schwert bewaffnet, obwohl ich das nicht sehen konnte, da sie lange Umhänge trugen. Der Elb der an vorderster Stelle ging, hatte einen dunkelroten Mantel an und hatte seine Kapuze zurückgeschlagen. Haldir!
‚Ja,’ dachte ich, als ich ein zweites Mal hinschaute. Es war tatsächlich Haldir aus Lórien. Doch wie kam er hierher? Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, dass wir jetzt circa 200 erfahrene Elbenkrieger zur Unterstützung hatten.
Die Elben hatte mittlerweile den Vorplatz erreicht und auch Théoden war aus dem Inneren der Burg gekommen.
„Wie ist dies möglich?“ wunderte sich der König von Rohan.
„Ich bringe Wort von Elrond von Imladris,“ sagte Haldir, der anscheinend der Anführer der Elben war, mit melodischer Stimme. „Ein Bündnis existierte einst zwischen Elben und Menschen. Vor langer Zeit kämpften und starben wir zusammen. Wir kommen, um dieses Bündnis zu ehren.“
„Mae govannen, Haldir,“ begrüßte Aragorn den Elben mit einer Verbeugung. Doch dann umarmte er ihn spontan. „Ihr seid sehr willkommen!“
Auch Legolas und ich begrüßten den Elb aus Lórien erfreut. Théoden konnte es immer noch nicht richtig fassen, dass so unerwartet Hilfe gekommen war und hieß die Elben herzlich willkommen.
„Wir sind stolz, wieder Seite an Seite mit den Menschen zu kämpfen,“ erwiderte Haldir lächelnd.
Die Sonne war schon seit einiger Zeit untergegangen. Ich stand zwischen Legolas und Haldir oben an der Mauer, den Bogen in der Hand. In der Ferne konnte man die Orkarmee sehen, die immer näher kam. Es war schaurig anzusehen, wie das riesige Heer mit den Fackeln näher kam. 10 000, das hört sich so wenig an, aber wenn man das dann vor sich sieht... also mir erscheint das ja eher wie eine Million. Aber schätzen konnte ich ja noch nie. Ich sah verstohlen nach links und rechts. Schon beeindruckend, wie die ganzen Elbenkrieger da aufgereiht standen, mit ihren Bögen. Aber es waren nur ca. 200 und dann noch 300 Menschen, von denen die Hälfte mindestens zu jung oder zu alt zum Kämpfen war.
‚Ich glaube, jetzt kann ich mir vorstellen, wie sich die Schottische Armee kurz vor der Schlacht von Culloden gefühlt haben muss.’
Ich seufzte. Legolas drehte sich zu mir und lächelte mich aufmunternd an. Ich lächelte schief zurück und sagte leise:
„Es könnte schlimmer sein. Es könnte regnen.“
Kaum hatte ich das gesagt, donnerte es und es begann zu regnen. Deprimiert zog ich meinen Mantel enger um mich.
„Ich und meine große Klappe.“
Ich musste gar nicht erst zu Legolas hinsehen, um zu wissen, dass er ironisch lächelte.
‚Na komm schon,’ dachte ich. ‚Positiv denken, das Glas ist immer halb voll.’ Ein weiter Blitz erhellte das Tal vor mir und mein Mut sank wieder. ‚Oh Sch... ist positiv das Gegenteil von realistisch?’
Mann, dass sah ja aus, als ob die Hölle heute wegen Überfüllung geschlossen hätte und sie alle, die nicht mehr reingekommen sind, hierher geschickt hätten.
Aragorn ging hinter uns vorbei und wand sich an die Elbenkrieger.
„A Eruchîn, ú-dano i faelas a hyn an uben tanatha le faelas! [Oh Kinder Erus, zeigt keine Gnade für sie, denn sie werden euch keine zeigen!]”
‚Tolle Aussichten. Wen versuchen wir hier eigentlich zu verarschen? Wir sind so was von tot.’
Auf einmal ertönte von einem der Orks ein schrecklicher und lauter Schrei, der anscheinend ein Zeichen zum Anhalten war. Kurz darauf fingen die Uruk-Hai an mit ihren Waffen auf den Boden zu stampfen und furchterregend zu brüllen. Shit, waren die laut! Die hätte ja sogar Van Gough gehört und der ist tot und ihm fehlt ein Ohr.
Einer der Männer aus Rohan schien aus Versehen einen Pfeil abgeschossen zu haben, denn einer der Uruks in der ersten Reihe fiel mit einem Grunzen um. Yeah! One down, 9999 to go!
“Dartho! [Halt!]” befahl Aragorn.
Die Orks waren anscheinend ‚not amused’ und brüllten noch lauter und wütender als zuvor. Auf ein Zeichen hin, begannen sie, auf den Wall zu zu stürmen.
‚Oh scheiße,’ dachte ich. ‚Wie war das bei Otto? Noch sind wir nicht verloren! Erst in drei Minuten.’ Doch ich bezweifelte, dass uns jetzt noch drei Minuten blieben.
„Tangado a chadad! [Macht euch bereit zu feuern!]“ ertönte Aragorns Befehl und ich legte wie in Trance einen Pfeil ein und hielt mich bereit.
„Faeg i-varv dîn na lanc a nu ranc. [Ihre Rüstung ist schwach am Nacken und unter dem Arm.]” informierte uns Legolas. Das nützte mir zwar nicht viel, so eine gute Bogenschützin war ich nun auch wieder nicht, aber irgendwie beruhigte mich es trotzdem.
„Leithio i philinn! [Schießt die Pfeile ab!]“ befahl Aragorn.
Ich lies den Pfeil zusammen mit den anderen los und die Geschosse hagelten auf die Orks herab. Alle trafen, sogar meiner, doch leider waren nicht alle tödlich. Auch Théoden gab seinen Männern nun den Befehl zu schießen. Die trafen schon weniger, aber trotzdem waren sie ganz effektiv. Irgendetwas trifft man bei einer so großen Anzahl von Feinden ja immer. Und wenn ein Pfeil im Bein einen Uruk-Hai vielleicht nicht allzu sehr behindert, ist es doch zumindest ein guter Anfang.
„Ribed had!“ rief Aragorn, doch wir brauchten keine weitere Aufforderung mehr. Ein Pfeil nach dem anderen wurde auf die angreifenden Uruks abgefeuert. Die meisten fanden ihr Ziel.
‚Jetzt bräuchten wir so große Kugeln aus brennendem Material, so wie in Troja!’ dachte ich, als ich einen weiteren Pfeil losschickte. Aber so ging’s auch.
„Pendraith! [Leitern!]“ warnte uns Aragorn, doch es war nicht nötig, denn wir konnten ziemlich gut sehen, wie von hinten Orks mit riesigen Leitern angerannt kamen. Die Nacht wurde jetzt regelmäßig von Blitzen erhellt, da würde man sich die Scheinwerfer sparen können. Außerdem waren da ja auch noch die Fackeln der Orkarmee. Ich war überhaupt nicht mehr müde und das Kettenhemd hatte eich bereits vergessen, nur der Helm rutschte mir einmal über die Augen. Verärgert schob ich ihn nach hinten und sorgte dafür, dass er diesmal auch wirklich fest saß.
Ich wartete den Ruf Aragorns, nach den Schwertern zu greifen gar nicht erst ab, sondern zog Gilmegil sofort als die ersten Uruk-Hai die Mauer erkletterten. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Legolas seine weißen Messer zog und auch Haldir machte sich bereit. Mein Schwert lag leicht in meiner Hand und als der erste Ork auf mich zusprang, riss ich die Klinge automatisch hoch und traf ihn quer über die Brust. Mit einem überraschten Grunzen fiel er seitlich nach hinten und in das angreifende Heer Isengards hinein.
‚Yeah!’ dachte ich triumphierend. ‚Das hab’ ich jetzt gebraucht.’
„Legolas! Zwei hab’ ich schon!“ rief Gimli grinsend.
„Ich bin bei 17!“ antwortete der Elb lächelnd.
‚Ein Wettstreit!’ dachte ich überrascht. ‚Ich bin dabei! 8 Pfeile und zwei mit dem Schwert macht 10. Nicht schlecht für den Anfang.’
Dem nächsten Uruk, der über den Wall kletterte, traf ich mit Gilmegil in den Magen. Doch links von mir konnte ich sehen, wie mehrere Ork mit einem Rammbock das Tor attackierten.
„Rampe! Na fennas! Hado ribed! Hado! [Rampe! Schießt! Schießt!]“ ertönte Aragorns Stimme über den Kampflärm.
Eine Leiter, die nur noch ungefähr drei oder vier Meter von der Mauer entfernt war, fiel nach hinten zurück, da Legolas mit einem Pfeil das Seil durchtrennt hatte, dass sie hochzog. Yeah! Fliegenklatsche! Dadurch hatte ich Zeit noch schnell drei Pfeile in Richtung Tor abzuschießen, bevor ich wieder zu meinem Schwert greifen musste.
Es schien mir, als ob ich mittlerweile schon eine Ewigkeit auf der Mauer kämpfte und meine Arme taten mir langsam weh, aber ich war immerhin schon bei 22, wenn ich mich nicht verzählt hatte.
„Togo hon dad, Legolas! [Bring ihn runter, Legolas!]” schrie Aragorn auf einmal und zeigte auf einen Uruk-Hai, der mit einer Fackel auf den Wall zurannte. Scheiße! Kannten die Orks etwa schon Dynamit?
„Dago hon! Dago hon! [Töte ihn! Töte ihn!]“ rief der Waldläufer verzweifelt. Doch obwohl ihn die Pfeile getroffen hatte, schaffte der Ork die letzten paar Schritte noch und schmiss sich in Richtung Mauer. Ein gewaltiger Knall ertönte und der Boden bebte unter meine Füßen. Ich verlor den Halt und konnte nur mit Mühe dem Schwert eines Uruks ausweichen als ich stolperte. Fuck! Das war unfair!
Mühsam rappelte ich mich auf und starrte ungläubig auf das riesige Loch in der Mauer durch dass eine Masse Uruk-Hai strömte. ‚Also, des würd’ ich etz reklamieren.’
Ich stieg aus Versehen auf einen toten Uruk und wäre um ein Haar von der Mauer gefallen, doch ich konnte gerade noch rechtzeitig mein Gleichgewicht wiederfinden und den nächsten abwehren. Wie viel waren das jetzt? 26? Hinter mir konnte ich Aragorn hören.
„Herio! [Angriff!]“
Gute Idee. Den nächsten Uruk-Hai stieß ich einfach wieder von dem Wall herunter. Von meiner Müdigkeit spürte ich gar nichts mehr, so pumpte das Adrenalin durch meine Adern.
Wie aus weiter Ferne hörte ich jemanden rufen:
„Nan Barad! Nan Barad! [Zur Festung! Zur Festung!]“
Leichter gesagt als getan. Zwischen mir und der Festung waren jede Menge mordlustige Uruks. Ich griff den nächsten Ork an, der über die Mauer sprang doch ich traf ihn nicht richtig mit dem Schwert, also lies ich meinen Ellbogen auf seinen Nacken hinuntersausen, als er herumfahren wollte. Shit! Tat das weh! Mein Arm wurde ganz taub. ‚Fuck, des funktioniert auch nur im Fernsehen.’
Ich sah den nächsten Schlag zwar kommen, doch ich konnte meinen Arm nicht mehr rechtzeitig heben. Verzweifelt versuchte ich der Klinge auszuweichen und warf mich zu Boden, doch da wurde sie von einem Elbenschwert aufgehalten. Haldir schlug dem Uruk-Hai mit einer fließenden Bewegung den Arm ab und stieß ihn nach innen von der Mauer. Ich schnappte nach Luft und wollte ihn danken, da sah ich den Ork hinter ihm.
„Nein!“ Mein Schrei ging im allgemeinen Lärm unter und Haldir wurde mit voller Wucht in den Rücken getroffen. Verzweifelt rappelte ich mich auf, doch zwischen mir und dem Elben befand sich plötzlich ein weiterer Uruk, den ich mit Müh und Not erledigte, doch da war es bereits zu spät. Ein zweiter Hieb hatte Haldir tödlich getroffen und er sank auf die Knie.
„Nein! Haldir!“ Ich stieß den Ork weg und rannte zu dem sterbenden Elben, der in meine Arme sank und starb.
Eine Hand packte mich von hinten und Aragorn zog mich weg.
„Komm!“
Fassungslos lies ich mich von dem Waldläufer wegzeihen und in Richtung Festung mitschleppen.
Wir liefen über eine versteckte Treppe in den Inneren Bereich und kamen so zum großen Tor, wo sich auch der König befand. Wo Legolas und Gimli waren, wusste ich nicht. Das Tor war bereits eingebrochen und halb zerstört und sah nicht so aus, als ob es noch lange halten würde.
„Wir können das Tor nicht mehr viel länger halten,“ teilte uns Théoden überflüssigerweise mit.
„Wie lange braucht ihr?“ fragte Aragorn nur.
„So lange wie Ihr uns geben könnt!“ rief der König zurück.
Der Dunkelhaarige nickte und lief seitlich in eine Nische hinein. Ich wollte nicht zurückbleiben und folgte ihm. Durch eine gut versteckte Seitentür kletterten wir auf einen Felsvorsprung hinaus. Ich warf einen vorsichtigen Blick um die Ecke auf das belagerte Tor. Eine Entfernung von ungefähr zweieinhalb Metern, das sollte zu schaffen sein. Aragorn warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich nickte nur entschlossen. Mit einem Schrei sprang der Krieger auf die Rampe rüber und attackierte die völlig überraschten Uruk-Hai.
„AH!“ Schreiend sprang ich ebenfalls und prallte gegen einen Ork, den ich durch die Wucht umwarf. Ich lies meine ganze Wut heraus und griff die Uruks wütend an. ‚Ey, ihr kommt hier net rein!’
Die Männer hinter uns nutzten die Gelegenheit, das Tor zu verstärken und einigermaßen wieder anzudichten. Nach einiger Zeit rief Théoden uns durch das letzte Loch in der Tür zu, das kurz darauf auch noch zugemacht wurde.
„Aragorn! Elena! Macht dass ihr da raus kommt!“
Aber mit Vergnügen. Ich sah mich nach einer Möglichkeit um, genau das zu tun, als ich plötzlich Legolas von der Mauer oben rufen hörte. Der Elb warf uns ein Seil zu. Aragorn hatte ihn auch gehört und gab mir Rückendeckung, so dass ich das Seil ergreifen konnte. Mit einem großen Satz ergriff auch der Waldläufer das Seil und stieß sich von der Rampe ab. Gerade noch rechtzeitig, denn die nachstürmenden Orks verfehlten uns nur um Haaresbreite. Langsam zog Legolas uns rauf. Pfeile prallten neben uns auf die Steinmauer, doch sie trafen uns nicht.
‚Schlumpschützen,’ dachte ich als ich nach unten schaute. Wir waren schon fast oben.
Auf einmal fühlte ich wie mich etwas mit voller Wucht in die Brust traf. Seltsamer Weise fühlte ich keinen Schmerz. Wie in Zeitlupe sah ich, wie meine Hände den Halt verloren und das Seil losließen. Langsam fiel ich nach hinten und Aragorn schien nach oben zu verschwinden, als ich nach unten sank. Er hatte den Mund offen und schien etwas zu rufen, doch ich konnte ihn nicht hören. Ich konnte überhaupt nichts hören. Noch nicht einmal die Schreie der Uruk-Hai und den normalen Schlachtenlärm. Es war, als ob jemand nicht nur auf slow-motion sonder auch auf lautlos gestellt hätte. Seltsam. Vielleicht war ich ja auch taub?
Der Sturz dauerte eine Ewigkeit. Schließlich landete ich mit einem satten Plumps auf den Rücken und bekam erst einmal keine Luft mehr. Ich lag wie gelähmt am Boden. Irgendein Teil meines Verstandes sagte mir, dass es besser wäre, wenn ich aufstehen würde. Doch ich konnte mich nicht bewegen.
Tag der Veröffentlichung: 17.02.2013
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