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Vorwort

 

Beim Aufräumen wurde kürzlich ein Tagebuch gefunden. Ein Buch, an das niemand mehr dachte, obwohl man das, was dort zu lesen war, eigentlich nicht vergessen hatte. Umso mehr wurde es von allen Familienmitgliedern jetzt noch einmal gelesen. Jemand schlug vor, daraus eine Milieugeschichte zu machen und wurde dazu verdonnert, es selbst zu tun, was nahe lag, da er selbst Autor des Tagebuches war. Nun ist die Geschichte fertig. Sie erzählt vom ersten und einzigen Campingurlaub einer Durchschnittsfamilie in den 1970er Jahren. Die Geschichte ist also fast tatsächlich so passiert. Vielleicht ist sie hier und da ein wenig übertrieben worden. Vielleicht wird sie irgendwann hier und da auch noch ein wenig ergänzt. Namen und Orte sind frei erfunden. Bei einer Satire darf man das.

 

Camping am Schlappen-See

Man schrieb das Jahr 1974. Infolge eines Beschlusses des "Zentralkomitees des ZK" usw. wurde den Betrieben, die kein eigenes Ferienheim hatten, ein Platz an einem See zur Verfügung gestellt. Der "VEB Grundplatten und Zwergösen" bekam einen Uferabschnitt am Schlappensee, einer um 1945 gefluteten Braunkohlengrube, zugewiesen. Nach fast 30 Jahren hatte die Natur das Terrain zurückerobert und ein bewaldetes Schmuckstück daraus gemacht. Auch der Strand konnte sich sehenlassen. Der Abteilungsleiter Erwin Klagemann wurde mit der möglichst sparsamen aber gediegenen Einrichtung eines Campingplatzes für die Belegschaft beauftragt. Klagemann war sehr umtriebig bei der Organisation und verstand es, mit seinen Beziehungen alles zu besorgen, was so ein Campingplatz braucht. Die ersten Urlauber sollten die fünf großen Familienzelte und ein Kulturzelt, alles ehemalige NVA-Mannschaftszelte, perfekt eingerichtet vorfinden. Vier handwerklich begabte Kollegen wurden zwei Wochen vor dem ersten Durchgang dafür abkommandiert und machten sich mit dem schwer beladenen LKW vom Typ H3A plus Hänger auf den Weg. Einen Tag vor der Anreise des ersten Durchganges, kam vom "Aufbau-Kommando Schlappensee" die Meldung, dass alles in Ordnung wäre. Kollege Klagemann, der selbst zeitig ein Zelt gebucht hatte, war zufrieden. Der Direktor schlug ihm anerkennend auf die Schulter und wünschte seiner Familie einen schönen Urlaub. Über eine Karte vom bunten Camping-Getümmel würde er sich freuen. Im Speisesaal hing nun ein großes Plakat, auf dem Camping an sich und besonders auf diesem Platz als das Non plus Ultra des Urlaubes gepriesen wurde. 

 

 Einen Tag später saß Erwin Klagemann (35) kerzengerade hinter dem Steuer eines "Mossi's", der mit etwa 60 km/h auf der löcherigen Fernverkehrsstraße, sanft schaukelnd, in Richtung "Schlappensee" rollte. Die Federung war wirklich toll, trotz übervollem Kofferraum und zusätzlichen Kisten und Decken auf der Hinterbank. Man war ja schließlich „Selbstverpfleger“. Erwins Frau Anne (33) saß etwas angespannt auf dem Beifahrer-Sessel und beobachtete ihren Mann etwas skeptisch aus den Augenwinkeln. Tochter Susi (12) lümmelte mit ihrem Bruder Hansi (10) auf der durch Sachen eingeengten Rückbank. Der "Mossi", ein schon etwas älterer, russischer, himmelblauer "Moskwitsch 407", stand bisher dem Direktor des "VEB Grundplatten und Zwergösen", Franz-Erwin Blumentritt (58) und seinem Assistenten, Emil Krampsch, als Dienstwagen zur Verfügung. Hans-Erwin Klagemann war in der "Grundöse", so nannte man im ganzen Ort den Betrieb, Abteilungsleiter für Export, D+J und Medien. Das D+J stand für Dieses und Jenes, was er jedoch nicht so gern erwähnte. Der Betrieb stellte in drei Schichten Grundplatten und Zwergösen für den Export in die SU her, Ölfilter für den T34 und Trillerpfeifen sowie Fahrradklingeln für den Bevölkerungsbedarf. Direktor Blumentritt wurde vor Kurzem aufgrund der Übererfüllung des Exportplanes mit einem neuen Dienstwagen, einem fast neuen "Moskwitsch 408" ausgezeichnet, den ihn ein Vertreter des Patenbetriebes in Kaluga mit großem Aufgebot, besten Grüßen und viel Wodka brachte. Der alte 407er wurde quasi degradiert und konnte nun durch verdiente Mitarbeiter mit Vorbestellung auch für Privatzwecke nach dem "Sauber-Volltank-Prinzip" genutzt werden. Jetzt rollte die Familie Klagemann erstmals damit zum Camping. Die Nachfrage der Kollegen nach diesen Ferienplätzen hielt sich noch in Grenzen. Nur zwei Familien kamen heute noch dazu, zwei weitere wollten ein paar Tage später kommen, was sich später als Nachteil erwies.

 

Die Klagemanns kamen auf ihrer Fahrt zum Schlappensee zügig voran. Der Verkehr war damals noch kein hemmender Faktor. Für die 120 km würden sie mit Pause und ohne Panne etwa drei Stunden benötigen, meinte Vater Erwin. Bei dem Wort "Panne", zuckte die Mutter kurz zusammen. Hansi und Susi hörten das nicht, weil sie hinten herumalberten. Anne raunzte ihren Mann an: "Musst du so herumunken?" Der lenkte ab: "Schaut mal, der Himmel meint es gut zu uns. Ist der nicht herrlich blau? Und schön warm ist es auch. Das sieht nach gutem Badewetter aus." Anne erwiderte: "Ich empfinde die Wärme als schwül. Hoffentlich kommt heute nicht noch 'was runter." Erwin schaute seine Frau grinsend an: "Jetzt unkst du, aber gewaltig!" Der schwere PKW ruckelte ein wenig, brachte den Deckenstapel auf der Rückbank zum Rutschen und fiel auf Hans-Peter. Lachend kroch der heraus, obwohl seine Schwester ihn daran hindern wollte. Es gab ein spaßiges Handgemenge. Der Vater drehte sich um und ließ den Spruch ab: "So kann man auch mit kleinen Dingen, den Kindern eine Freude bringen!" Seine Gattin wies ihn zurecht: "Gucke nach vorn!" Plötzlich gab es einen Schlag, als wenn jemand einen großen Stein auf das Dach geworfen hätte. Der Motor schwieg abrupt und irgendetwas blockierte die Räder. Der Mossi rutschte noch ein paar Meter weiter und bockte wie eine störrische Ziege. Die Insassen saßen wie versteinert da. Im Wagen roch es nach verbranntem Öl. "Ich schaue mal nach", ließ sich der Vater mit gespielt fester Stimme vernehmen. "Es wird schon nicht so schlimm sein", brabbelte er beim Aussteigen und öffnete die Motorhaube. So gründlich er auch schaute, er konnte nichts entdecken. Zwei weitere Startversuche misslangen. Der Anlasser versagte jedes Mal und ließ dabei nur ein müdes "Klack-Klack" vernehmen. Klagemann, der unter hohem Blutdruck litt, bekam einen knallroten Kopf. Das war den anderen ein Signal, lieber keine Bemerkungen zu machen. 40 Kilometer waren es noch bis zum See, 80 lagen hinter ihnen. Um die Mittagszeit konnten sie in dieser ländlichen Gegend kaum auf schnelle Hilfe rechnen. Die Straße war leer und so war Klagemanns Erleuchtung: "Essen wir was und machen das Beste daraus bis jemand kommt", eigentlich keine. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es zum Zeitpunkt der Geschichte noch keine Handys gab und Autobahnsäulen auf Straßen schon immer nicht. Dafür waren die Leute vielleicht etwas hilfsbereiter als heute, womit auch Vater Klagemann rechnete. Irgendwann würde schon jemand kommen, der helfen kann oder Hilfe holen kann, beruhigte er seine aufgeregte Familie, die besorgt die aufziehenden Wolken zur Kenntnis nahm.

 

Sie hatten Glück. Nach kurzer Zeit rollte hinter ihnen ein blauer "Wartburg“ heran und hielt. Ein Kollege von Klagemann, der ebenso mit seiner Familie zum Schlappensee wollte, stieg aus. Er hatte erst vor 2 Wochen den "Wartburg-Tourist" von seiner bemittelten West-Oma über GENEX bekommen. Er war also ein Glückspilz. Jürgen Helmich, so hieß er, ließ sich alles erklären und schaute ebenfalls vergebens unter die Motorhaube des Moskwitsch. Er tippte auf Kolbenfresser und meinte, dass man da nichts machen könne. Beim Trabbi müsse man im Leerlauf gleich wieder Gas geben, dann ginge es wieder, aber hier ...? Obwohl der neue „Wartburg“ noch nicht eingefahren war, schleppte Jürgen mit dem leichteren Zweitakter den klotzigen Viertakter die letzten 40 Kilometer bis zum Campingplatz ab. Keinem der Männer war es wohl dabei. Die Sache ging aber gut aus. Kaum auf dem kleinen Parkplatz hinter Zelt 1 angekommen, begann es zu regnen.

 

 Ohne den mit Sachen des täglichen Bedarfes, Kleidung, Wäsche, Küchenzeug und Verpflegung vollgepfropften Kofferraum zu entladen, eilte Erwin Klagemann auf dem kürzesten Weg zum Eingang des Zeltes Nr. 4 voran. Er meinte, dass zum Ausladen noch Zeit wäre und wollte zunächst den Regen vorbeilassen. Die Familie folgte ihm auf den Fuß. Den Wolken nach dürfte es nur ein Schauer werden, war Erwin überzeugt. Außerdem war er darauf gespannt, wie das Vorkommando gearbeitet hatte. Ihrem Bericht nach, sollte alles ordentlich eingerichtet sein. Genügend Zeit hatten sie ja. Hinter ihm drängten seine Frau und die Kinder ins Trockene. Erwin zog die Eingangsplane zur Seite und blieb wie angewurzelt stehen. Er war schockiert, lief rot an und brüllte los: "Das kann doch nicht wahr sein, schaut euch das einmal an!" Aus dem Zelt Nr. 5, in das die Helmichs verschwanden, waren ähnliche Schreie zu hören. Der Anblick im Inneren der Zelte war erschreckend. Wild durcheinander hatte das Vorkommando die Tische, Stühle und Betten abgestellt. Stapel mit Bettwäsche und zusammengeknüllte Wolldecken lagen herum. Ebenso Küchenutensilien, spinnenbewebtes Geschirr, Besteck Waschschüssel und eine Milchkanne. Eine Rolle Fußbodenbelag lag quer im Raum. Vor den Zelten trafen sich die zwei Frauen, gestikulierten laut und schlugen entsetzt die Hände über ihren Köpfen zusammen. Die zwei Männer schleppten Wasser in den dafür vorgesehenen Milchkannen herbei. Der Hahn war zum Glück nur 20 Meter entfernt. Die Sachen aus dem Kofferraum wurden unter Regenschirmen in das Zelt getragen und fanden ihren Platz in den zwei Spinden. Hansi und Susi machten sich trotz des miesen Wetters aus dem Staube. Im Zelt Nr. 2 zog die Familie Eddy Schrömer ein.

 

Erwin und Anne begannen mit der mühsamen Säuberung des Inventars und der Einrichtung ihres Zeltes, was am Ende 3 Milchkannen Wasser, 3 Stunden Zeit und 2 zusätzliche Decken und Bettlaken erforderte, die kurzerhand den noch unbesetzten Zelten 1 und 3 entnommen wurden. Hellmichs machten das auch so. Das war zwar unfair aber notwendig, womit man sich beruhigte. Jeder musste eben sehen, wie er zurechtkam. Da die Zelte keinen Boden hatten, wurde dieser mit gebrauchten Linoleumresten abgedeckt, die sich in der bereits erwähnten Rolle befanden. Mit Laken und Decken, die mit Wäscheklammern an einer Wäscheleine befestigt wurden, trennte Erwin den Wohn-, Küchen- und Schlafbereich optisch voneinander. Die Betten wurden aufgestellt und bezogen. Jeweils eine Wolldecke kam in einem Bezug. Dann sanken die zwei total erschöpft auf ihre Bettkanten.

 

Pitschnass kamen die Kinder von ihrer Erkundung zurück. Es war Abendbrotzeit. Erwin hatten einen alten einflammigen Spirituskocher mitgenommen, der den letzten Weltkrieg überstanden hatte - ein Geschenk des Schwiegervaters. Das Gerät funktionierte noch prima, anders als der Elektrokocher von Schrömers im Zelt Nr. 2. In jedem Zelt gab es eine Glühbirne mit Schalter und eine Feuchtraum-Steckdose, die in einer Feuchtraum-Abzweigdose mit der außen befindlichen, flüchtig zugentlasteten Freileitung, verbunden war. Als Frau Schrömer ihren Kocher in Betrieb nehmen wollte, knallte es. Dieser Knall und eine Stichflamme aus der Abzweigdose verhinderten nicht nur ihr Vorhaben, sondern unterbrachen die Stromversorgung in allen Zelten. Draußen regnete es noch immer. Eddy eilte zum Anschlusskasten und stellte fest, dass eine Schmelzsicherung "gekommen" war. Zum Glück hatte man vorgesorgt und noch drei Ersatzsicherungen dagelassen. Er schraubte eine neue ein. In dem Augenblick, wo sie Kontakt bekam, machte es „Fatsch“. Gerade noch rechtzeitig konnte Eddy von Erwin, der gerade dazugekommen war, daran gehindert werden, es mit einer weiteren Sicherung zu probieren. Die verschmorte Abzweigdose musste gewechselt und zunächst provisorisch neu verklemmt werden. Das Provisorium gelang. Erwin war gelernter Elektriker.

 

Als die Kinder in ihren Betten lagen, kamen die Erwachsenen noch für eine Stunde im „Kulturzelt“ auf eine Flasche Bier zusammen, um den ersten Tag auszuwerten. Er kam dabei nicht gut weg, wie auch das „Vorkommando“, dass sich wohl eher eine schöne Woche gemacht hatte, anstatt hier alles ordentlich vorzubereiten. Erwin Klagemann fühlte sich angesprochen. Die Kollegen hatten Recht. Er hätte die Arbeiten kontrollieren und abnehmen müssen. Sie mussten schließlich auch hier im Kulturzelt erst die Stühle und Tische zusammenstellen und abwischen. Sauerei! Der Regen hatte nachgelassen. Die 25 Watt Glühbirne in der Mitte des Zeltes verbreitete ein gedämpftes Licht. Ein Fernsehapparat stand auf einem kleinen viereckigen Tisch. Das Stromkabel lag zusammengerollt daneben, eine Zimmerantenne auch. Sie war nicht angeschlossen. Eddy hatte sich schon vergebens daran versucht. Mit der Zimmerantenne wäre kein Bild zu bekommen, meinte er. Erwin Klagemann versprach, sich darum zu kümmern. Seine Gedanken kreisten dabei um den defekten Moskwitsch und um die Suche nach einer Werkstatt, was er am nächsten Tage unbedingt als Erstes in Angriff nehmen wollte. Ein Telefon würde schon zu finden sein. In der Rezeption wollte er nachfragen. Eine Stunde später lagen alle Neuankömmlinge in ihren Betten. Ohne es abgesprochen zu haben, standen bei allen die Betten der Erwachsenen wie Ehebetten nebeneinander, die der Kinder im Doppelstock übereinander. Bei den Klagemanns stand noch jeweils ein Stuhl daneben, der, mit einem Laken bedeckt, als Nachttisch diente. Auf dem Campingplatz zog Ruhe ein. Auch der See hatte sein leises Geplätscher eingestellt. Der Regen wurde heftiger und trommelte die müden Urlauber des ersten Durchganges in den Schlaf.

 

Nachts um halb drei weckte Tochter Susi die ganze Familie auf. Sie hatte sich das obere Bett gewünscht. Ihre Zudecke war heruntergerutscht und lag nun unten auf dem Linoleum. Der Regen trommelte wie verrückt auf das Zeltdach. Vater Erwin knipste seine Taschenlampe an, stand auf und machte das „große“ Licht an. Dann sahen alle die Bescherung. Regenwasser war in das Zelt eingedrungen und bedeckte den Boden. Susis Decke hatte sich vollgesogen. Während Erwin im Zelt herumpatschte, entfernte die Mutter die Wolldecken-Trennwand zum Wohnbereich und deckte damit ihre Tochter zu. Erwin umrundete inzwischen barfüßig und im Schlafanzug das Zelt von außen. Das Regenwasser stand auf der Wiese und hatte sich einen Weg in das Zelt gebahnt. Nichts behinderte es. Erwin lief zum Auto und holte sich den Feldspaten, den er mitgenommen hatte. Er war ein vorsorglicher Mensch und hatte auch eine Rolle Bindedraht, ein paar Nägel, Isolierband, Werkzeug und sogar eine Eisensäge eingepackt. Irgendwer hatte ihm mal beim Anblick des Mossis gesagt: "Hast du Zange, Hammer, Draht, kommst du bis nach Leningrad." Jetzt war aber ein Feldspaten gefragt. Erwin eilte damit zum Zelt und begann, ringsherum einen Graben auszuheben. Inzwischen war er selbst total durchnässt. Sein Schlafanzug klebte am Körper. Die Nacht war zudem recht kühl, was er aber im Eifer des Gefechts nicht wahrnahm. Es regnete Bindfäden. Annes Kopf erschien im Eingang: "Zieh dir was über!" Es klang wie ein besorgter Befehl. Als sie keine Antwort bekam, rief sie noch: "Soll ich dir einen Schirm bringen?" Erwin sah aus wie ein nassverschmutzer Iltis in der Pfütze. "Jetzt ist es sowieso egal!", rief er zurück und schaufelte wie rasend weiter. Nach einer Stunde war das Werk vollbracht. Das vom Zeltdach kommende Regenwasser lief in den Graben und versickerte in einem Loch, das Erwin noch an der tiefsten Stelle ausgehoben hatte. Zufrieden über sein nächtliches Werk im Schlafanzug entledigte er sich im Zelt seiner nassem Klamotten. Seine Frau reichte ihm ein Handtuch und trockene Sachen. Susi's Zudecke steckte wieder in einem Bezug. Sie schlief. Anna hatte den Fußboden fast trocken bekommen, die Luft im Zelt war klamm. Petrus hatte den Regen-Hebel auf halbe Kraft gestellt. Draußen rief jemand: "So eine Scheiße!"

 

Während sich am nächsten Tag Erwin Klagemann im 500 m entfernten Postamt telefonisch um eine Autowerkstatt bemühte, saßen alle vier Kinder im doppelt so entfernten Zeltkino und schauten sich für 20 Pfennige, plus 5 Kulturaufschlag, den "Kleinen Muck" an.  Mit Vorfilm dauerte das 2 Stunden, so dass sie pünktlich zu Mittag wieder zurück sein konnten. Erwin hatte Glück. Er bekam eine Zusage von einer Autowerkstatt, die in der 8 km entfernten Kreisstadt residierte. Am nächsten Tag wollten sie den Mossi abholen und in etwa drei Tagen fertiggestellt haben, vorausgesetzt, dass die Teile geliefert wurden. Er solle vorher anrufen. Blumi, der Direktor, hatte der Kostenübernahme murrend zugestimmt, wolle aber am Telefon wissen, wie so etwas passieren konnte. Erwin war als leitender Mitarbeiter in Erklärungen geübt und konnte seinen Chef zufriedenstellen. Am Nachmittag wollten die drei Männer sich um den Fernsehempfang im Kulturzelt kümmern, die Frauen sich beim Canasta, dem diesjährigen Modespiel, treffen. Die Kinder machten ohnehin was sie wollten und stromerten am liebsten herum. Der Regen hatte aufgehört. Zum Baden war es allerdings noch zu frisch. Eddy zeigte den Damen die Frische mit Daumen und Zeigefinger an.

 

Im Kulturzelt wurde der Fernseher unter die Lupe genommen und mit der Steckdose und dem VHF-Kabel der Zimmerantenne verbunden. Der schon erfahrene Eddy schaltete ihn ein. Außer grauer Helligkeit war auf der Bildschirm-Röhre nichts zu sehen. Dafür rauschte es laut. Jürgen drehte die Antenne mal hierhin und mal dahin, wobei sich lediglich das Rauschen änderte. Erwin, der schon als Lehrling seinen Kollegen nach Feierabend beim privaten Antennenbau half, hatte sich einige Kenntnisse angeeignet und meinte, dass wegen der Entfernung zum Sender eine Zimmerantenne nicht ausreichen würde. "Das hättest du deinen Kollegen, die hier alles vorbereiten sollten, auch sagen können", murrte Eddy. "Wie auch immer", kam die Antwort von Erwin, "wir müssen eine richtige Antenne besorgen oder selbst bauen; am besten eine Yagi-Antenne." Jürgen grinste: "Das mit dem besorgen kannst du vergessen; basteln ist angesagt." Am Ende stimmten alle zu und hofften auf Erwins Erfahrungen. Der wusste aber die Maße für den Kanal 7 (wenn schon, denn schon) nicht mehr genau und schlug vor, im Antennenbuch von Rothammel nachzuschauen. Jürgen erklärte sich bereit, mit Erwin in die Kreisstadt zu fahren und im Buchladen die paar Daten aus dem besagten Buch herauszuschreiben. Eddy sollte sich derweil hier umsehen, um etwas Brauchbares für den Bau zu finden. 

Erwin und Jürgen waren erfolgreich und ermittelten die erforderlichen Daten, ohne das Buch zu kaufen. Die 10 Mark, die das Werk mit dem knallroten Umschlag kostete, wollten sie nicht ausgeben.

Eddy fand in der Gegend eine Dachlatte, Baustahlreste 10mm und einen armdicken toten Kiefernstamm, der einen Mast hergeben könnte. Um es kurz zu machen: Am Ende stand eine 6-Elemente-Yagiantenne auf einem 6m hohen Mast neben dem Kulturzelt mit Ausrichtung auf den Berliner Scholzplatz. Das Bild war zu ertragen. Der erste Fernsehabend wurde mit Knabberschale, Sekt und Bier zu einem Urlaubshöhepunkt. Der Regen hatte wieder eingesetzt, hielt über Nacht an und hörte am nächsten Morgen ganz auf.

 

Der Himmel verhieß allerdings nichts Gutes. Nur ab und zu stach die Sonne durch die Wolkenfetzen. Schaute man am Strand entlang, sah man weiter hinten schon ein paar Mutige im Wasser planschen. Zwei Tretboote näherten sich der See-Mitte. Den Tretern sah man die Mühe an, den Damen hinter ihnen nicht. Das Thermometer zeigte 28 Grad, die Luft war etwas schwül. Vorsichtige Hoffnung auf besseres Wetter stieg auf, was sich tatsächlich im Verlaufe der nächsten zwei Tage bestätigte. Die an einem See üblichen Urlaubsaktivitäten wurden nun von allen wahrgenommen, erhellten die Gesichter und hoben die Laune. Erwin konnte den reparierten Mossi abholen. Ein Kolbenring hatte seinen Geist aufgeben und sich im Zylinder verklemmt. Der musste vorher ausgeschliffen werden und, und, und. Der Meister verlor sich in Einzelheiten. Nun war alles wieder gut.

 

Leider hielt dieses Urlaubsidyll nicht lange an.  Die zwei noch freien Zelte wurden belegt. Im Zelt Nr. 3 zogen Emil Krampsch, persönlicher Assistent und Referent des Direktors, und seine mürrische Frau Frieda ein. Zelt Nr. 1 belegte das Renter-Ehepaar August und Emma Blommke, die viele Jahre lang in der "Grundöse" beschäftigt waren. Frieda Krampsch stürzte wütend aus dem Zelt, als sie die Bescherung im Inneren sah. Sie fuchtelte wild mit ihren Armen umher und schimpfte lauthals mit hochrotem Kopf über den unzumutbaren Zustand der Unterkunft. Emil Krampsch entdeckte die Fernseh-Antenne, bevor er zur Poststelle eilte, um mit dem Direktor zu telefonieren. Die Blommkes schwiegen und begannen, sich mit Hilfe der anderen einzurichten. Die Krampsch ließen sich abends nicht mehr sehen.

 

Am nächsten Tag stach die Sonne noch mehr. Die Luft wurde unangenehm warm und feucht. Mittags zogen schwarze Wolken auf, die sich kurz darauf in einem gewaltigen Gewitter entluden. Der Regen stürzte nur so herab. Windböen ließen die Zeltwände flattern. Die Leute liefen aufgeregt hin und her, zurrten Leinen fest und sicherten alles, was fortfliegen konnte. Der aufgewühlte See schickte seine Wellen weit über den Uferrand. Tornadoähnliche Sturmspitzen ließen den Antennenmast umknicken und Zeltstäbe brechen. Es war ein Chaos. Gegen Abend rissen die Wolken auf. Wie ausgeknipst schwieg der Sturm. Auf dem Campingplatz der "Grundöse" sah es wüst aus. Bis spät in die Nacht hinein räumten die Bewohner soweit auf, dass sie dort noch schlafen konnten, was natürlich nicht ging.

Für die Klagemanns, die Schrömers und die Helmichs endete der "Urlaub" vorzeitig schon am nächsten Tag. Als die Blommkes das erfuhren, schlossen sie sich an. Die Krampschs blieben und warteten auf das "Vorkommando", das alles wieder in Ordnung bringen sollte. So geschah es. Emil und Frieda Krampsch blieben allein zurück.

Die Krone setzte die Natur auf die kurze Geschichte des betriebseigenen Campingplatzes. Ein gewaltiger Erdrutsch führte zur amtlichen Sperrung des Gewässers.

 

E N D E

 

 

Impressum

Texte: Wolf Rebelow
Bildmaterialien: pixabay.com
Cover: Wolf Rebelow
Tag der Veröffentlichung: 16.04.2025

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidment denen zur Freude, die immer schon wussten, dass es damals so war.

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