Intro
Ganz früher gab es noch Könige, und zwar in jedem Lande, das etwas auf sich hielt, wenigstens einen. Manchmal waren die Königreiche klein und manchmal groß. Es gab auch welche, die waren riesengroß. Jedoch unabhängig davon taten die meisten Könige so, als wären sie die
Größten. Jeder wollte den anderen übertrumpfen. So kam es, dass die kleinsten Könige oft den größten Hofstaat unterhielten. Sie brüsteten sich, den größten Reichtum sowie die umfangreichsten, teuersten Kunstsammlungen zu besitzen. Viele richteten die prunkvollsten sowie üppigsten Feste aus, zu denen sie alle anderen Könige ringsum einluden. Sie wollten deren Neid schüren. Es gab aber auch Könige, die das alles durchschauten und schlitzohrig für sich ausnutzten.
Die Kühlung des königlichen Sommerfestes
Einmal hatte der König Stark von Saxonia, der sich gerade anschickte auch noch König von Polingen zu werden, zum größten Sommerfest aller Zeiten in sein wärmstes Land eingeladen. Alle Könige der Nachbarländer und deren Nachbarländer waren gekommen. In der Tat war es in Saxonia immer fünf Grad wärmer als anderswo, was an dem großen Strom lag, der durch das Land floss. Das Klima war so gut, dass sogar süße Trauben und Orangen wuchsen, die der König in seinen größten Galerien zur Schau stellte. Anfangs empfanden die Gäste die besonders sanfte und warme Luft von Saxonia angenehm, später schwitzten sie auf dem Fest so sehr, dass sie zuerst einen Knopf öffneten, später zwei und noch etwas später drei. Dann begann einer nach dem anderen, die Etikette vergessend, sich Stück für Stück seiner Sachen zu entledigen. Bald lagen die kostbaren Kleidungsstücke sowohl der Herrscher als auch ihrer Damen, die nur noch ihre Unterhosen bzw. Mieder anhatten, kreuz und quer im Saal herum. Diener, die das Chaos hätten aufräumen können, durften ihn nicht betreten. Eine derartige Entwicklung des Festes hatte der König von Saxonia allerdings nicht beabsichtigt. Er musste schnell handeln, um das Fest noch zu retten. Hilfesuchend blickte er sich in der heftig ausgelassenen Runde um.
Das sah der König des südlichen Nachbarlandes Böhmingen. Er bot ihm seine Hilfe für hundert Goldstücke an. Dafür wollte er aus seinem Land den kühlen böhminger Wind holen, der allein in der Lage wäre, so sagte er, die dicke Luft in Saxonia zu vertreiben, um den erhitzten Gemütern eine Abkühlung zu verschaffen.
Dem König von Saxonia blieb nichts anderes übrig, als zuzustimmen, obwohl ihm der Verlust der hundert Goldstücke mächtig schmerzte. Sie waren eigentlich für die Bestechung einflussreicher Polinger gedacht, die ihn bei seinen Bemühungen um den Erwerb der dortigen Königskrone unterstützen sollten. Möge sich doch der Finanzminister um neue Steuereinnahmen kümmern, dachte sich der saxinger König und nickte noch einmal dem böhminger König aufmunternd zu. Der verließ kurz darauf den Saal, um die entsprechenden Anweisungen zu geben, wie er sagte. Ihm drückte aber in Wirklichkeit der Hosenbund, sodass er ein stilles Örtchen aufsuchte, um sich nach dem vielen Essen und Trinken zu erleichtern. Er wusste als gebildeter Mann, dass der böhminger Wind ohnehin gleich einsetzen würde. Eine bestimmte Wetterlage brachte das jedes Mal mit sich, was der saxinger König nicht wusste. Dummheit muss eben bestraft werden. So dachte der böhmiger Monarch. Gleichzeitig kam ihm die Idee, mit seinem Wissen über die Dinge viele Goldstücke machen zu können. Er war zuversichtlich, dass es ihm hier und künftig auch bei anderen benachbarten Königen gelingen würde.
Tatsächlich begann sich jetzt der Wind in den Bäumen zu regen. Ein erster kühler Hauch erreichte das Jagdschloss des Königs von Saxonia, wo man schnell die Fenster schloss. Der Wind wurde stärker, vertrieb die stickig-heiße Luft aus dem Land, dem Schloss und aus dem Festsaal, wo jetzt alle Gäste geschwind ihre abgelegten Sachen sowie die Sachen ihrer Damen suchten. Die Temperatur sank auf angenehme 25 Grad. Der König von Böhmingen verließ vergnügt sein stilles Örtchen, nahm des Saxingers Dank sowie die vereinbarten Goldstücke entgegen. Er versprach seine weitere Hilfe, sollte der böhminger Wind wieder einmal gewünscht werden. Alle waren begeistert. Das Fest konnte weitergehen.
Am nächsten Tag kündeten reitende Boten im ganzen Land von der Macht des Königs von Saxonia über die Natur. Auch in Polingen war man von der Macht des saxinger Königs so beeindruckt, dass man ihn auch zum König von Polingen wählte. Im südlichen Nachbarland war der böhmiger König mit sich und dem Geschäft zufrieden. Er verstaute die Goldstücke in seiner geheimen Schatztruhe, konnte es aber nicht lassen zu protzen, wobei er es seinen Vertrauten erzählte. So wurde sein großes Geheimnis hinter vorgehaltenen Händen weitererzählt.
Wie der böhmiger Wind entstand
Und wie so oft, hatte der Teufel Schuld an diesem kalten Wind aus Böhmingen. Nach seinem misslungenen Versuch, das ganze Harzgebirge in einer Nacht zu ummauern, hatte er keine Ruhe mehr. Er wollte immer noch über ein eigenes Land verfügen und darin teuflisch herrschen. Nachts irrte er ruhelos in der Welt umher. Dabei kam er irgendwann auch in die Gegend von Böhmingen. Ihm gefiel das hügelige Land sehr und darum begann er, ringsherum eine Grenze aus hohen Bergen zu errichten. Auf eine mickrige Mauer, wie im Harz, wollte er sich nicht mehr einlassen. Dieses Mal sollte alles viel gewaltiger werden. Darum baute er das Erzgebirge, das Elbsandsteingebirge, das Lausitzer Gebirge sowie auch das Isergebirge. Auf der anderen Seite errichtete er den Böhmerwald und das Fichtelgebirge. Nun war die Gegend von Bergen umringt und glich einer großen Schüssel, die die Leute später als böhmiger Becken bezeichneten. Das gefiel dem Teufel. Mit großer Zufriedenheit setzte er sich mitten in dieses Becken hinein, nahm die Gegend als sein Land in Besitz und begann zu regieren.
Doch dann kam der Winter mit seiner Kälte. Der Teufel hoffte, dass die großen Berge ihn davor schützen würden, hatte aber die Rechnung wieder einmal ohne den lieben Gott gemacht. Der legte nämlich bei der Erschaffung der Welt die Regel fest, dass kalte Luft nach unten zu fallen hat, warme Luft hingegen nach oben steigen muss. Darum sammelten sich nun die kalten Luftmassen im Becken, sodass der Teufel bald jämmerlich fror. Die frostige Luft stieg weiter und weiter. Sie füllte das Becken bis zum Rand, schwappte über und strömte hinunter nach Saxonia. Besonders vor Bergkämmen, an den Stellen, wo die Berge eine Lücke hatten, wo ein Pass war oder ein Tal, wurde dieser „Fallwind“ immer heftiger und bescherte den Saxingern kalte Füße. Dabei fauchte er wie ein Orkan. Im Sommer war er nicht ganz so schlimm. Jetzt aber fror der Teufel in seinem Becken immer mehr. Eines Tages wurde es ihm zuviel. Er wollte in diesem "kalten Loch" nicht mehr wohnen, wurde fuchsteufelswild angesichts dieser erneuten Niederlage und verließ, heftig mit seinem Pferdefuß aufstampfend, fluchtartig das Land.
Der Teufel verlangt seinen Lohn
Wo der Teufel die ganzen Jahre geblieben war, wusste niemand so richtig. Einige Leute sichteten ihn in der Nähe des Brockens zusammen mit ein paar Hexen. Eines Tages hatte er auch von dieser Geschichte um den König von Saxonia gehört und ebenso von den hundert Goldstücken, die der gewiefte König von Böhmingen vom Saxinger für den kalten Wind erhalten hatte. Der Teufel stampfte wütend mit seinem Pferdefuß auf die Erde, sodass die Funken nur so sprühten. War es nicht er, der die Gebirge rund um das böhmiger Becken errichtet hatte, die jetzt den Wind erzeugten, den sich so ein dahergelaufener König bezahlen ließ? Er schlug sich an die Brust und brüllte den Brocken an: "Mir gehört das Geld!" Und etwas leiser: "Wenigstens größtenteils!"
Dann brauste er mit einem ungeheuren Tempo durch die Lüfte und landete im böhminger Becken, um seinen Anteil vom König zu holen. Er wollte mindestens die Hälfte seines gesamten Goldes haben und von der anderen Hälfte auch die Hälfte. Als orientalischer Kaufmann verkleidet, wurde er am nächsten Tag beim König von Böhmingen vorgelassen. Der Teufel rollte mit einem großen Pferdewagen an, der von vier schwarzen Hengsten gezogen wurde. Unter der großen Plane lagen unendlich viele Waren, die er dem König als wertvolle Kostbarkeiten andrehen wollte. In Wirklichkeit aber war alles nur Plunder, was der König auch erkannte. Immer wieder schüttelte er den Kopf, wenn der Teufel mit blumigen Worten ihm etwas anpries, unzählige Teppiche vor ihm ausbreitete, ihm goldverzierte Mäntel, Umhänge, Tücher, Bilder, Vasen, Opiumpfeifen, Schatullen, Ohrringe, Klunkern und vieles andere zeigte.
Als der Teufel merkte, dass er auf diese Art und Weise nicht zu den gewünschten Goldstücken kam, verwandelte er sich mit einem Donnerschlag wieder in seine eigentliche Gestalt. Gleichzeitig schlossen sich krachend alle Fenster und Türen des Schlosses, sodass die Wachen vor Schreck zurückspringen mussten und sich im Treppenhaus wiederfanden. Alle ausgebreiteten Waren verschwanden. Dem König fuhr der Schreck in die Glieder. Er wurde blass und sah den Teufel mit großen Augen ängstlich an. Der zog nun einen Vertrag aus seinem roten Umhang und knallte ihn auf den Tisch. Der König ergriff das Papier mit zitternden Händen. Er las die Forderung des Teufels, ihm die Hälfte seines ganzen Goldes und von der anderen Hälfte auch die Hälfte zu geben, desgleichen künftig für jeden verkauften böhminger Wind die Hälfte des Goldes oder zu sterben. Es blieb dem böhminger Herrscher angesichts der aussichtslosen Lage nichts anderes übrig, als zähneknirschend zu unterschreiben. Im selben Augenblick war der Teufel aus dem Audienz-Saal verschwunden. Den Vertrag hatte er mitgenommen. Die Türen und Fenster öffneten sich wieder. Die Wachen stürzten herein. Sie konnten aber nichts mehr ausrichten. Der böhmiger König aber erfüllte die Forderungen des Teufels nicht. Vielleicht war er zu geizig, vielleicht wollte er sich nichts sagen lassen oder vielleicht hatte er es auch nur vergessen.
Sieben Hexen und Katzendreck
Die Zeit verging. Besonders in den heißen Sommermonaten bat der König von Saxonia oft vom böhminger König den kühlenden Wind. Der ließ sich das gut bezahlen. Die Saxinger waren stolz auf ihren Herrscher und zahlten gern erhöhte Steuern dafür. Der Teufel bekam aber nichts davon. Er sah sich die Vertragsverletzung eine Weile vom fernen Brocken aus an. Dann erschien er dem König von Saxonia dreimal mahnend im Traum. Auch das war vergebens. Daraufhin fasste er einen teuflischen Plan. Er holte sieben der besten Hexen vom Hexentanzplatz zu sich und beauftragte sie, auf ihren Besen nach Böhmingen zu fliegen, um dort sieben Hexenhäuser zu errichten. In diesen Häusern sollte jede Hexe einen Sud kochen, der allein genommen angenehm roch, jedoch zusammen und mit Luft vermischt, bestialisch nach Schwefel und Katzendreck stinken sollte. Der Teufel lobte sich selbst und seine geniale Idee, weil auf diese Art und Weise niemand die Ursache des Gestanks finden konnte. Die Hexen würden zu gegebener Zeit ihren angenehmen Sudgeruch über den Schornstein in die Welt hinauspusten. Weit oben würden sich alle Duftnoten mit der Luft vermischen und als Katzendreck-Gestank mit dem böhminger Wind nach Saxonia ziehen bis der König seine Schulden getilgt hatte. Die Hexen hatten alles verstanden, stellten die Rezepte zusammen, machten sich reisefertig und schwangen sich auf ihre Besen.
Weihnachten im Erzgebirge
Kurz vor dem Weihnachtsfest setzte wieder einmal der böhminger Wind ein. Auf dem Erzgebirgskamm, gerade dort, wo sich das größte Weihnachtsland befindet, war er zuerst zu spüren. Das ganze Jahr über hatten die Leute dort fleißig Nussknacker, Lichterengel, Pyramiden, Schwibbögen und Spielzeug gedrechselt, ausgesägt, geschnitzt, geleimt, lackiert, registriert, eingepackt, gelagert, verkauft und verschickt. Jetzt begannen sie auch, ihre Häuschen, Straßen, auch Plätze weihnachtlich zu schmücken, Lieder zu proben, Kerzen auf Leuchter zu stecken, zu fegen, zu putzen, den großen Weihnachtsbaum aufzustellen, kurz – sich auf Weihnachten gründlich vorzubereiten.
Alle waren mitten in der Arbeit, als plötzlich jemand seine Nase rümpfte und mal in diese und mal in jene Richtung schnüffelte. Auch andere wurden stutzig und taten es ihm gleich. Es roch fürchterlich nach Schwefel und Katzendreck. Zuerst nur ein wenig, dann immer mehr bis es nicht mehr auszuhalten war. Dann kam ein Nebel auf, der dick wie Brei war. Es war so, als würde er den Gestank noch verstärken. Das alles geschah ausgerechnet zuerst in Seiffen, dem Hauptweihnachtsort, dessen Namen eine absolute Sauberkeit suggerierte. Der Gestank verbreitete sich im gesamten Gebirge, wobei er beiderseits des Kammes nach unten hin weniger wurde. So erreichte er des Königs Nase in seinem Schloss nicht mehr. Das gefiel dem Teufel natürlich nicht. Er trieb die sieben Hexen an, die Leistung ihrer Kessel zu verdoppeln. Aber es nützte nichts. Bevor der Gestank beim saxinger König ankam, hatte ihn der immer stärker werdende Wind in alle Richtungen zerstoben. Dafür mussten die Bergbewohner auf dem Gebirgskamm besonders leiden. Ihr Weihnachtsfest geriet in Gefahr.
Die Bergbewohner wehren sich
Der Bergälteste rief alle Bergbewohner zusammen. Sie gründeten eine Abordnung, die hinunter nach Böhmingen laufen sollte, um die Ursache des Gestanks herauszufinden. Nach einem langen Marsch sowie nach Hinweisen von Einheimischen erreichten sie die Gegend, in der angeblich fremde Frauen vor Kurzem sieben eigenartige Häuser errichten ließen, aus denen es angenehm duftete. Zuerst wollten sie nicht dorthin, weil sie ja nach der Ursache des Gestanks und nicht nach angenehmen Düften suchen wollten. Dann meinte einer aber, dass es nicht schaden könnte, trotzdem einmal nachzuschauen. So gingen sie zu den sieben Häusern, wurden in allen von freundlichen Damen eingelassen, durften an den kupfernen Kesseln schnuppern und auf ihrer Bitte hin Probefläschchen, die nach Veilchen, Rosen oder Flieder dufteten, mitnehmen. Danach suchten sie noch eine Weile im Land nach den Ursachen des Gestanks, fanden aber nichts und machten sich schließlich wieder auf dem Heimweg.
Inzwischen aber hatte der König Bronislaw von Böhmingen von der Mission der Bergbewohner aus Saxonia erfahren und schickte seinerseits eine militärische Formation zu den sieben Häusern. Auf dem halben Weg dorthin trafen die Soldaten auf die Abordnung der Bergbewohner. Weil diese aber, ohne zu fragen, in das Land gekommen waren, gab es eine derbe Auseinandersetzung, bei der ihnen die wohlriechenden Probefläschchen abgenommen wurden. Die Soldaten stritten sich, wer welches Fläschchen mit nach Hause nehmen durfte. Es kam zu einem Handgemenge. Dabei zerbrachen sie. Die lieblichen Düfte entwichen und vermischten sich in der Luft sofort zu einem fürchterlichen Gestank nach Katzendreck und Schwefel. Der Wind trug ihn fort. Jetzt wusste man, woher er kam. Die Soldaten ließen die Bergbewohner gehen, verzichteten auf den Weitermarsch zu den sieben Häusern und meldeten ihrem Hauptmann, die Quelle des Gestanks gefunden und beseitigt zu haben.
Die sieben Hexen waren inzwischen auch nicht untätig und meldeten dem Teufel, dass man ihnen wahrscheinlich auf die Schliche gekommen sei. Der ordnete ihren sofortigen Rückzug an, was sie umgehend befolgten. Sie verschwanden auf ein Zeichen der Ober-Hexe mit ihren Häusern und Kupferkesseln in Richtung Brocken.
Die anrückenden Soldaten fanden nur noch ein paar unwesentliche Spuren, meldeten aber dem König einen grandiosen Erfolg.
Der König von Böhmingen ließ am nächsten Tag offiziell bekannt geben, dass es ihm allein gelungen sei, die Ursache für den Katzendreck-Gestank zu finden und zu beseitigen.
Die Abordnung der Bergbewohner wurden nach ihrer Rückkehr freudig begrüßt, denn der Gestank war verschwunden, was ihnen wichtig war. Ihnen war es egal, wer sich den Erfolg zuschrieb. Sie waren es doch gewohnt, dass es immer andere waren, die den Lohn ihrer Arbeit für sich in Anspruch nahmen. Ihrem Weihnachtsfest jedenfalls stand jedenfalls nichts mehr im Weg. Das war für sie wichtig. Es wurde ein besonders schönes Fest in kühler, klarer und reiner Luft.
Ende
Texte: Wolf Rebelow
Bildmaterialien: pixabay.com
Cover: Wolf Rebelow
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2024
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