Jeden Abend räumte Paulchen sein Kinderzimmer auf, ging ins Bad, wusch sich, putzte seine Zähne und zog sich den Schlafanzug an. Dann setzte er sich vor den Fernsehapparat und sah die Abendsendung für Kinder. Nachdem der Sandmann seinen Sand verstreut hatte, ging Paulchen ins Bett. Das war jetzt die Kurzfassung seines täglichen Rituals um diese Zeit. In Wirklichkeit lief es meistens nicht so glatt ab. Sein Einfallsreichtum, die Zeit hinauszuzögern, war beeindruckend. Plötzlich fiel ihm noch etwas ein, was keinen Aufschub duldete. Oder er hatte noch eine wichtige Frage oder etwas vergessen, musste nochmal auf die Toilette oder etwas suchen, und so weiter. Da kam schon mal eine halbe Stunde zusammen.
Eines Tages aber war Paulchen in sein Spielzeug und seine Bücher so vertieft, dass ihm tatsächlich die Zeit zum Aufräumen fehlte. Kurzentschlossen warf er alle Sachen schnell in die Spielkiste und schob sie weit unter sein Bett. Dort sah sie seine Mutter nicht, wenn sie noch einmal hereinkam, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Und so kam es auch. Sie merkte nichts und glaubte, dass alles in Ordnung sei.
Als Paulchen nun allein im Bett lag, musste er ständig an seine Spielsachen und Bücher denken, die in der Spielkiste unter dem Bett unordentlich und durcheinander lagen und vielleicht in unbequemer Lage die Nacht verbringen mussten. Er stellte sich vor, wie sich der harte Deckel eines Buches in das flauschige Fell seines Teddys bohrte und der spitze Haken des Kranes eine Seite oder mehrere im Märchenbuch zerkratzte.
Paulchens Gewissen plagte ihn. Er konnte darum nicht einschlafen und wälzte sich in seinem Bett von einer Seite auf die andere und wieder zurück und wieder zurück und hin und her. Der Mond schien an diesem Abend besonders hell durch das Fenster und hatte das alles beobachtet. Er runzelte seine Stirn, was aber der Junge nicht sah.
Plötzlich hörte er einen hellen und feinen Ton, wie ihn silberne Glöckchen hervorbringen. Eine tiefe Stimme ertönte: "Paulchen, kannst du mich hören?"
Der Junge erstarrte und lag jetzt ganz still auf dem Rücken. Er schielte zum Fenster, weil er glaubte, dass der Ton und die Stimme von dort kamen, blinzelte in den Mond, fasste sich ein Herz und fragte stockend: "Wer ... ruft ... mich, wer ruft mich da?"
Schon kam die Antwort mit der gleichen Stimme:
"Ich bin der Mond, der gut es meint,
der gerade in dein Zimmer scheint."
Und wieder erklang das helle Silberglöckchen. Jetzt mischte sich noch das Knarren des Bettes und das Rascheln der Bettdecke hinzu. Paulchen rieb sich die Augen, richtete sich auf und sprach leise:
"Lieber Mondmann, sprichst du hier,
ich kann nicht schlafen, hilfst du mir?
Ich wälze mich im Bette sehr,
voll Sorgen hin und her."
Wieder erklang das helle Glöckchen bevor der Mond antwortete:
"Ich weiß, ich weiß, weiß auch wieso;
dein Spielzeug unterm Bette dort
ist nicht glücklich und nicht froh.
Es ist am falschen Ort."
Dann machte es wieder "Klingelingeling". Für einen Moment trat Ruhe ein und Paulchen musste wohl jetzt antworten, überlegte kurz und gestand:
"Es tut mir leid, es tut mir leid,
ich hatte heute keine Zeit
und musste leider es versäumen,
das Spielzeug aufzuräumen."
Paulchen sah den Mond mit einer schuldbewussten Miene an. In der Kiste unter seinem Bett begann es zu rumoren. Er hörte, wie sich die Spielsachen und Bücher laut unterhielten und es klang so, als ob sie sehr unzufrieden waren. Sie stießen von innen an die Kistenwand, sie nörgelten und schimpften. Zweimal hörte er ziemlich laut: "Pass doch auf!" Dann war wieder das Glöckchen des Mondes zu hören, bevor er mit seiner ruhigen Stimme sprach:
"Hörst du, wie sie poltern, stöhnen,
kannst du dich daran gewöhnen?
Dein Spielzeug in der Kiste schmachtet,
die Bücher fühlen sich missachtet!
Und ehe Paulchen etwas sagen konnte, meldeten sich die Kistenbewohner nacheinander zu Wort.
Der Atlas sprach zuerst:
"Ich Atlas will kein Eselsohr,
ich will von unten schnell hervor.
Das Lexikon hat mich bedrängt
und meine Seiten eingezwängt."
Dann meldete sich das Lexikon:
"Ich bin als Lexikon sehr wichtig,
berate meine Leser richtig,
erkläre allen diese Welt,
obwohl mir hier die Achtung fehlt."
Dann kam das Märchenbuch an die Reihe:
"Es ist nicht richtig, meine Märchen
in einer Kiste einzupferchen.
Ich bin weise, ich bin klug,
die Kiste ist mir nicht genug."
Nun brummte das Liederbuch:
"Ich kann nichts hören und nicht singen,
könnt ihr mich nach draußen bringen?
Ich liege nackt und aufgeschlagen,
wie Liederbücher noch nie lagen."
Das Bilderbuch konnte es kaum abwarten:
"Ich liebe die Bebilderung,
mehr als Text und Schilderung.
Als Bilderbuch bin ich ein Schatz,
mir gebührt ein Ehrenplatz."
Das Abenteuerbuch brüllte:
"Wir wollen raus auf jeden Fall,
zurück in unser Buchregal.
Das ist hier kein Abenteuer,
sondern schlecht und ungeheuer."
Jetzt begannen die Spielsachen zu murren. Der Teddybär brummte gefährlich. Sein rechtes Bein war unter dem Kran eingeklemmt. Der wiederum beschwerte sich über die Feuerwehr, die auf der Seite lag und seine Räder blockierte. Die Feuerwehrleute, alle aus Holz, klemmten zwischen den Zwischenräumen. Der Bauernhof war völlig von der Rolle, weil die Holztiere ausgerissen waren. Sie lümmelten in der ganzen Kiste herum. Der bunte Ball war von zwei Seiten eingedrückt und konnte sich nicht bewegen. Die Lok hatte sich, so sah es wenigstens aus, vor den Dampfer gespannt, der unbequem auf der Trillerpfeife lag. Es war ein höllisches Durcheinander und das Gezerre in der Kiste wurde immer mehr.
Dann war wieder das Silberglöckchen des Mondes zu hören und zwar lauter als bisher, um den Tumult in der Spielkiste zu übertönen. Daraufhin trat Ruhe ein, sodass der Mond gut zu hören war, als er sich an Paulchen wandte:
"Hast du das gehört?
Sie alle sind verstört!
Steh jetzt auf und mache Licht,
räume auf und warte nicht!"
Paulchen sah ein, dass er etwas tun musste, damit seine Bücher, die Spielsachen und er selber endlich zur Ruhe kamen. Er erwiderte:
"Ich kann ja auch nicht eher ruh'n,
drum will ich es sofort auch tun."
Dann machte er Licht, stand auf, holte die Kiste unter dem Bett hervor und räumte alle Sachen an ihren richtigen Platz. Die Bücher kamen in den Bücherschrank und die Spielsachen geordnet in ihre Spielkiste, so dass sie es bequem hatten. Der Mond schaute zufrieden durch das Fenster und lächelte, bevor er seinen nächtlichen Weg am Himmel fortsetzte. Er hörte noch, wie Paulchen zufrieden in die Hände klatschte und sagte:
"Fertig, fertig ist das Werk,
alles ist am rechten Platz,
alle meine Spielzeugsachen
und auch mein Bücherschatz."
Langsam verschwand der Mond hinter einer großen Wolke. Paulchen kroch müde in sein Bett und knipste das Licht aus. Schnell war er eingeschlafen. Aus der Ferne klang leise ein Silberglöckchen.
Ende
Texte: Wolf Rebelow
Bildmaterialien: pixabay, Collagen Rebelow
Cover: Wolf Rebelow
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2024
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