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Carola und Petra

 

Carola und Petra waren zwei Schwestern. Sie wohnten am Rand einer großen Stadt. Die Stadt lag in einem weiten Tal, durch das von Ost nach West ein breiter Strom floss. Das Tuten der Dampfer konnten sie aber nicht mehr hören. Es war zu weit entfernt. Von ihrem Kinderzimmerfenster aus überblickten sie fast das ganze Tal mit unendlich vielen Häusern, Kirchen und Bäumen. Nur ein paar hochgewachsene Baumkronen im Vordergrund störten die Sicht ein wenig. Bei schönem Wetter sahen sie auch ganz weit entfernt einen Teil des bewaldeten Gegenhanges, der dann in das dahinterliegende Gebirge überging. Das Haus, in dem die beiden Kinder in der ersten Etage wohnten, stand zusammen mit ein paar weiteren inmitten von Bäumen und Sträuchern. Sie mussten auch den Hang hinunter gehen, wenn sie morgens zur Schule liefen. Carola ging in die vierte Klasse und Petra in die zweite.

 

Ihr Kinderzimmer war gemütlich eingerichtet. Links und rechts vom Fenster standen ihre Betten und an den Kopfenden die Nachtschränkchen. Zwei Schränke standen an den Fußenden. Dort waren ihre Sachen untergebracht. Dann gab es noch einen großen Tisch mit zwei Stühlen und dahinter ein gemütliches Sofa, eine Leselampe und ein Bücherregal. An den Wänden hingen viele selbst gemalte Bilder und Poster. Ein paar Blumentöpfe schmückten das Zimmer. Es war ein schönes Zimmer und sie fühlten sich dort wohl.

 

Morgens, nach dem Frühstück, brachte die Mutter ihre Betten in Ordnung und die Kinder setzten danach ihre Plüschtiere ordentlich oben auf die Decke, auf jedes Bett drei. Dann ermahnten sie diese, während ihrer Abwesenheit keine Dummheiten zu machen und verließen mit den großen Schultaschen Hand in Hand das Haus. Mittags waren die Kinder meistens wieder zu Hause. So war das immer, also auch an dem Tag, der sehr aufregend werden sollte.

 

Die Plüschtiere

 

Beutelbär Trolli, Hund Moppi, Fuchs Gustav, Raupe Wuschel und die zwei Schlafteddys Weißpfötchen und Purzel, so hießen die sechs Plüschtiere, verbrachten also den halben Tag allein in der Wohnung.

 

Trolli sah aus wie ein Teddybär. Es war aber kein richtiger, sondern eigentlich ein Klammerbeutel, was man ihm aber nicht sagen durfte. In seinem Beutel war jedoch nie eine Klammer. Beide Kinder und auch Trolli selbst protestierten, als jemand einmal versuchte, ihm welche hinein zu stecken. Die Kinder ernannten ihn daraufhin zu einem echten Teddybären. Er konnte schelmisch, keck oder kühn gucken, die Augen verdrehen oder traurig sein Gesicht mit der Knopfnase verziehen. Meistens war er aber lieb. Manchmal hatte er aber eine etwas zu große und vorlaute Klappe. Trolli war also ein richtiger Kobold und natürlich der „Allerschönste“, was er immer wieder betonte. Er war sehr neugierig, redete überall mit, guckte gern in die Fernsehröhre und wenn das Abendbrot auf dem Tisch stand, musste er überall und unbedingt so lange kosten, bis ihm schlecht wurde. Die ganze Familie verwöhnte ihn.

 

Fuchs Gustav war auch der älteste von den Dreien. Er stammt aus Böhmen, was nicht sehr weit entfernt lag. Er sah fast so aus wie der Fuchs aus dem Kinderfernsehen, saß immer auf seinem Hinterteil und lächelte vor sich hin. Er war lieb, etwas zurückhaltend, bescheiden und dankbar. Sein rotes Fell war etwas hart. An der Nase hatte er nach links und rechts abstehende Haare aus dicker Angelsehne, die beim Schmusen ganz schön piekten. Aber dafür konnte er ja nichts. Gustav war sehr gescheit und hatte viel von der Welt gesehen, weil er längere Zeit, es müssen wohl so drei Jahre gewesen sein, im Auto hinten an der Heckscheibe saß. Eines Tages hatte er genug davon und wollte auch einmal mit in die Wohnung genommen werden. Seit dem war er nun dort.

 

Hund Moppi, manchmal auch „unsere Moppe“ oder das liebe „Möppchen“ genannt, war der dritte im Bund. Er lag meistens auf dem Bauch und hatte ein schönes, weiches, schwarzweißes Fell sowie braune Kulleraugen. Aufmerksam schaute er den anderen Plüschtieren zu und bewachte sie, wenn sie spielten oder schliefen. Ging etwas schief oder drohte eine Gefahr, knurrte und bellte er mit gefletschten Zähnen. Das sah sehr gefährlich aus und es hörte sich auch so an. Er konnte auch im äußersten Notfall beißen, hatte aber bisher stets darauf verzichtet. Moppi war sehr zuverlässig, schnell und stark. Man konnte sich auf ihn verlassen und er war allen anderen ein guter Beschützer und Freund.

 

Dann gab es noch die Schlafteddys Weißpfötchen und Purzel. Das waren richtige Kuschelbären, denn sie waren leise, freundlich, weich und anschmiegsam. Weißpfötchen gehörte Petra und Purzel gehörte Carola und sie durften abends mit in deren Bett und auch über Nacht dort bleiben. Sie sorgten sich um schöne Träume und einen erholsamen Schlaf. Schlechte Träume verscheuchten sie, so dass die Kinder am anderen Morgen gut gelaunt aufstehen konnten.

 

Die Raupe Wuschel sollte eigentlich nur an ganz kalten Tagen die untere Türritze abdichten, weil es da manchmal etwas unangenehm zog. Nachdem sie das aber einmal getan hatte, bekam sie am nächsten Tag das Reißen und jammerte zum Erbarmen. Petra und Carola gaben ihr daraufhin Rotlicht und einen Schal. Sie durfte es sich ab sofort und für immer auf der Sofarücklehne bequem machen. Damit war das Problem gelöst.

 

Abends kamen sie alle mit in die Stube zum Fernsehen. Gustav und Moppi verfolgten in der Regel sehr aufmerksam das Programm und nickten oft zustimmend mit dem Kopf. Besonders freute sich Gustav, wenn er eine Gegend wiedererkannte, die er durch die Autoscheibe schon gesehen hatte. Trolli mäkelte öfter herum, schlief zwischendurch etwas, kostete hier und da von dem, was auf dem Tisch stand, und beschwerte sich, wenn es einmal nichts gab. Ab und zu stachelte er so aus Spaß Gustav und Moppi an, bezeichnete sie als alte „Trantuten“ und schimpft, weil das Programm ihm zu langweilig war. Wenn er dann zur Ordnung gerufen wurde, hielt er seinen Kopf schief, und seine großen Augen sahen vollkommen unschuldig aus. Weißpfötchen, Purzel und Wuschel waren meistens ruhig. Jeder hatte seinen eigenen Charakter, genau wie das so bei den Menschen ist, und man konnte sich mit ihnen richtig unterhalten.

 

Nur phantasielose Menschen, wie zum Beispiel Tante Karin, konnten das nicht. Als besagte Tante Trolli das erste Mal sah, fragte sie: „Was ist denn das für ein vermanschtes Vieh?“ Trolli war dermaßen beleidigt, dass er heute noch Tante Karin lieber gehen als kommen sieht. Und den Kindern kamen beinahe die Tränen über diese Herzlosigkeit. Tagelang mussten sie ihn trösten. Dann ging es wieder. Mit der Tante Karin hatte er bis heute noch keinen Frieden geschlossen. Sie war für ihn eine ganz böse Frau, weil er nicht wusste, warum er diese Bezeichnung verdient hat. Er konnte ja nichts für seinen Beutel und seinen Henkel. Gustav und Moppi hatten auch mit ihren Köpfen gewackelt, als sie diese Beleidigung hörten. Moppi hatte sogar kurz gebellt, was er sonst nur bei Gefahr machte. Alle haben es gesehen und gehört, natürlich außer Tante Karin. Weißpfötchen, Purzel und Wuschel schauten auch ganz erschrocken. Bis auf diese eine Begebenheit schien sich das Leben der sechs in völlig normalen Gleisen zu bewegen.

 

Die Frage

 

Dann aber kam Petra einmal auf die Idee zu fragen, was denn die sechs so tagsüber machten, wenn niemand weiter in der Wohnung war. Anfangs stießen Petra und Carola auf eine schweigende Wand. Was sollten denn Plüschtiere schon erleben, schienen Trollis Augen zu fragen. Die Kinder waren aber nicht so phantasielos wie Tante Karin, und deshalb bemerkten sie mittags hin und wieder einige kleine Veränderungen in der Sitzhaltung der sechs oder auch nur am Gesichtsausdruck gegenüber morgens. Irgendetwas war eben mittags anders als morgens. Da war mal ein Ohr von Moppi nach vorn gerutscht, Gustavs Schwanz, der morgens genau auf die Nachttischlampe zeigte, war mittags etwas nach hinten in Richtung Fenster gebogen, Trollis Henkel war einmal nach vorn abgeklappt, die beiden Schlafbären lagen auf dem Bauch und die Raupe Wuschel auf dem Rücken, was morgens noch nicht so war. Man musste allerdings genau hinsehen, um diese kleinen Veränderungen wahrzunehmen. Auf die Frage, was das zu bedeuten hätte, schwiegen sie alle. Besonders Gustav und Moppi lagen beziehungsweise saßen unschuldig wie immer da. Die Schlafbären und die Raupe schauten angestrengt zur Lampe. Nur Trolli rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her und hielt, vielleicht etwas zu auffallend, seinen Kopf schief und schaute, vielleicht etwas zu betont, unschuldig und vielleicht etwas übertrieben lieb.

 

Trollis Beichte

 

Das ging so ein paar Tage lang, und die Kinder Carola und Petra wären bis heute nicht dahintergekommen, wenn es aus Trolli nicht eines Tages herausgeplatzt wäre: „Ich war heute auf dem Dach!“ Carola und Petra saß der Schreck in den Gliedern. Moppi sagte zu Trolli: „Du alte Petze“, und Gustav nuschelte etwas, das wie „altes Quatschfass“ klang. „Naja, wenn ich aber doch auf dem Dach war“, verteidigte sich Trolli und sah ganz belämmert aus. „Du warst ja gar nicht ganz oben“, setzte Moppi das Gespräch fort, „du hast es überhaupt nicht geschafft, und beinahe wäre etwas Schlimmes passiert“. Die anderen sagten nichts. Die Kinder wollten aber nun gerade alles genau wissen und ließen nicht locker. Immer wieder fragten sie.

 

Endlich fing Trolli zu erzählen an. „Immer, wenn Ihr morgens aus dem Hause geht, schlafen wir noch ein kleines Weilchen auf unserer Spielwiese, bis die Sonne kommt und Gustav und Moppi an den Schwänzen krabbelt. Die Schlafbären müssen dann meistens niesen. Dann krabbelt sie auch noch an meinem Henkel. Wir wachen auf und beraten, was wir so alles am Tag machen könnten. Und weil ich immer so neugierig bin, will ich alles kennenlernen. Und da kommt es vor, dass wir ein paar Dummheiten machen. So ist das.“

 

So eine lange Rede hatte Trolli noch nie gehalten. Er sah richtig erschöpft aus. „Ich habe ja immer gesagt, dass wir das nicht dürfen“, setzte Moppi fort. Gustav nickte mit dem Kopf und ergänzte: „...weil da nämlich auch etwas passieren kann. Aber Trolli wollte nicht auf uns hören, und dabei wäre es beinahe passiert.“ Nun war es Trolli, der ein lautes „Pssst“ von sich gab und mit den kleinen Pfoten aufgeregt umher wedelte. Aber Gustav sah das nicht und sprach weiter: „Wenn uns nicht alle anderen aus der Nachbarschaft geholfen hätten, vor allem der Kuckuck Franz, wer weiß ...“. Der Kuckuck Franz aber saß in seiner Uhr im Wohnzimmer und hatte die Klappe geschlossen. Sicher hörte er von innen zu, denn er war an der Sache auch beteiligt gewesen. Nach und nach stellte sich die folgende Geschichte heraus.

 

Eine verbotene Idee

 

Eines schönen Tages kam Trolli auf die Idee, einmal auf das Dach des Hauses zu steigen, in dem er und seine Freunde wohnen. Er hatte abends beim Fernsehen gehört, dass ganz oben eine Dachluke mit Leiter war. Eigentlich gab es diese Luke nur, damit der Dachdecker Erwin Obendicht hin und wieder die kleinen Risse mit Teer zuschmieren konnten und damit der Antennenbauer, Fritz Weitguck, ab und zu nach dem Rechten sehen konnte. Damals gab es noch viele Antennen auf den Dächern. Das alles wusste Trolli, und er wusste auch, dass das, was er vorhatte, eigentlich verboten war. Trotzdem grübelte er die ganze Nacht darüber nach und war dann fest entschlossen, sich davon zu überzeugen, wie die Stadt von ganz oben ohne störende Baumkronen wohl aussah. Als dann die Eltern und die Kinder zur Arbeit bzw. in die Schule gingen und es im ganzen Hause still wurde, sprang Trolli vom Bett herunter und öffnete die Zimmertür, die nicht ganz geschlossen war. In diesem Augenblick wurden Moppi, Gustav und die anderen wach und waren sehr erschrocken, dass Trolli fehlte. Moppi sprang sofort zur Tür, die noch einen Spalt offenstand, lief schnell durch alle Zimmer und bellte gerade so laut, dass man es nur in der Wohnung hören konnte. Trolli stand aber schon in der Küche und besah sich die vergitterte Öffnung des Luftschachtes. „Was machst du da, Trolli?“ bellte Moppi, „komm wieder zurück, das macht man nicht. Du bist ein Plüschtrolli, und Plüschtrollis müssen auf dem Bett bleiben.“ Trolli schaute seinen Freund an und sagte: „Ich bin aber ein neugieriger Trolli und außerdem müssen Trollis viel wissen. Ich will heute auf das Dach gehen und erzähle euch später, wie es da oben aussieht.“ Er fügte fröhlich hinzu:

 

„Ich will die ganze Welt begucken,

die Häuser und die Berge,
ihr könnt ja unten weiter glucken,
von oben seid ihr Zwerge.“

 

Inzwischen war auch Gustav in die Küche gekommen und warnten Trolli vor solchen Abenteuern. „Das ist nicht gut, was du vorhast. Bleib doch bitte hier, wir haben Angst um dich.“ „Ach papperlapapp, es kann schon nichts passieren. Ich mache es so, dass mich keiner sieht und mittags, wenn Carola und Petra aus der Schule kommen, bin ich spätestens wieder da, und dann sitzen wir wieder auf den Betten als wenn nichts gewesen wäre. Geht nur wieder zurück, Trolli macht das ganz alleine.“

 

Trolli macht ernst

 

 Alles Reden half nichts. Trolli war von seiner Idee besessen und ließ sich nicht abhalten. Gustav versuchte es noch einmal: „Wir wohnen doch im ersten Stock, und bis zum Dach ist es so weit, und das Dach ist so hoch, und es ist sehr gefährlich. Du bist doch kein Bergsteiger. Höre auf uns!“ Aber Trolli flitzte aus der Küche und begann die Wohnungstür zu untersuchen. Aber die war zugeschlossen. Was nun? Schon war er wieder vom Korridor in die Stube gerannt. Moppi und Gustav liefen immer hinterher und redeten ununterbrochen auf ihn ein. In der Stube saßen die Teddybären Weißpfötchen und Purzel sowie die Raupe Wuschel auf dem Sofa. Sie schauten verwundert auf die wilde Jagd, waren ganz aufgeregt, blieben aber auf ihren Plätzen. Nur die Raupe Wuschel hüpfte vor Aufregung einmal kurz nach links und rechts. Gustav und Moppi gaben schließlich auf und legten sich wieder im Kinderzimmer auf ihre Spielwiese. Trolli blieb in der Stube. Er sprang auf das Sofa, schaute sich suchend um und schniefte mit der Nase.

 

Es roch irgendwie fremd hier. Gestern war Tante Karin da und hatte wieder geraucht. Trolli verzog die Nase. Er hatte sich deswegen auch den ganzen Abend nicht sehen lassen. Und da schoss es ihm durch den Kopf: Wenn im Wohnzimmer jemand geraucht hatte, bleibt doch die Balkontür immer einen Spalt offen, zumindest in der Nacht. Vielleicht, so dachte er, ist diese Tür auch jetzt noch offen. Und schon hüpfte er so schnell er konnte auf seinem Beutel dorthin. Er traute seinen Augen kaum, die Tür war tatsächlich einen Spalt geöffnet. Um sie noch mehr zu öffnen, musste ein gewaltig schwerer Sessel zur Seite gerückt werden. Dieser hatte zwar Räder, war aber zu groß und viel zu schwer. Er zwängte sich nun mit ganzer Kraft zwischen den Türspalt, spannte alle seine Muskeln fürchterlich an, holte tief Luft und drückte seinen Beutel nach hinten und wieder nach vorn. Sein Henkel stand kerzengerade senkrecht nach oben, seine Augen wurden vor Anstrengung groß und größer und das Fell sträubte sich. Endlich gab der Sessel etwas nach und rollte ein ganz kleines Stückchen zur Seite. Das war die Freiheit! Trolli zwängte sich erst ein wenig, dann ganz durch und stand endlich auf dem luftigen Balkon. „Geschafft!“, rief er stolz aus.

 

Der Weg nach oben

 

„Aber wie nun weiter?“, überlegte er laut. Die Balkonbrüstung war mächtig hoch. Man konnte sie auch nicht einfach so besteigen. Da sah er die Bank und den langen herunterhängenden Aufrollgurt der Markise. Trolli wusste, dass er vor ein paar Tagen erst ausgewechselt wurde und er war auch noch viel zu lang. Trolli überlegte nicht lange, erfasste den Gurt und kletterte geschwind an diesem hoch. Er erreichte nach kurzer Zeit wohlbehalten die Balkonbrüstung. Wie ein Bergsteiger holte er nun den ganzen Gurt nach oben und schaute sich erst einmal um. Von hier oben hatte er einen guten Blick, schon besser als aus dem Kinderzimmerfenster. Nicht lange, und er begann den weiteren Aufstieg zu erforschen. Rechts war gleich nebenan noch ein Balkon. Er rutschte vorsichtig oben auf der Brüstung nach rechts, bis er um die Ecke sehen konnte. Aber da ging es auch nicht weiter. Nun blickte er nach oben. Aber da war nur Luft, und bis zum nächsten Balkon über ihm war es noch höher als ein Kirchturm. Die Wände waren auch zu glatt. Nun rutschte er wieder auf der Brüstung ganz nach links und sah dort um die Ecke. Da war das Kinderzimmerfenster, das man von hier auch nicht erreichen konnte. Wozu auch? Es ging von da aus nicht weiter. Die ganze Sache erwies sich als schwieriger als vorher gedacht. Guter Rat war teuer, Aber den konnte ihm niemand geben. Plötzlich flatterte etwas neben Trolli, und ein kleiner Spatz setzte sich neben ihn auf die Balkonbrüstung. „He, wer bist du denn?“ fragte Trolli, „kannst du mir sagen, wie ich am besten von hier auf das Dach komme?“ Der Spatz ordnete zunächst etwas hastig seine Flügel und trippelte aufgeregt von einem Bein auf das andere und wieder zurück. Dann hielt er den Kopf schief und schaute Trolli an: „Ich bin der Spatz Schiedelpilp, schilp, schilp und wohne dort drüben auf den Bäumen, schilp, schilp. Wenn du auf das Dach willst, dann musst du ganz schnell mit deinen Flügeln schlagen“. Der Spatz demonstrierte das auch gleich mehrmals gründlich und Trolli schaute etwas verwundert zu. „Aber ich habe doch keine Flügel, nur diese zwei kleinen Pfoten“, erwiderte er etwas traurig. „Dann kannst du eben nicht fliegen“, schilpte der Spatz Schiedelpilp mit hoher Stimme, drehte sich um und flog über so viel Unvernunft schimpfend zu seinen Bäumen zurück.

 

Aber dann sah Trolli etwas, was sein Herz höher schlagen ließ. Es bummerte vor Aufregung in seinem Beutel. Zwischen dem Kinderzimmerfenster und dem nächsten Fenster, das bereits zur Nebenwohnung gehört, ging ein dicker, dicker Draht ganz nach oben und ganz nach unten. Das war die Lösung! Der Draht, ein Blitzableiter, war wie üblich in einem bestimmten Abstand mit Wandstützen befestigt, so dass zwischen Draht und Wand ein handbreiter Abstand entstand. Am Draht konnte man, wenn man geschickt genug war, bis ganz nach oben klettern. Und wenn man sich zwischen Draht und Wand einklemmt, konnte man sich auf so einer Wandstütze ganz gut ausruhen. Trolli freute sich über seine Idee:

 

„Ach, wie bin ich klug und weise,
durchdenke selbst die schwerste Reise.
Darum wird es leicht, wie immer,
bleibt ihr nur in eurem Zimmer!“

 

Damit meinte er die anderen Plüschtiere, die im Kinderzimmer geblieben waren. Und die ahnten nichts von Trollis Absichten, obwohl sie sich schon wunderten, warum er so lange fort blieb.

 

Das Abenteuer beginnt

Trolli bog den Kopf ganz weit zurück und schaute nach oben. Die ungeheure Entfernung bis zum Dach ließ ihn etwas ängstlich werden. Er unterdrückte aber sofort diese Angst indem er sich laut und deutlich Mut zuredete: „Ich bin der liebe Trolli, der Schönste und der Kräftigste weit und breit. Ich bin mutig und tapfer. Gustav und Moppi sind Angsthasen.“ Und bei diesem Gerede fiel ihm auch gleich ein, wie er den Blitzableiter am besten erreichen konnte. Man musste nur vom Balkon auf die Wiese herunterklettern und zum Blitzableiter laufen. So einfach war das! Trolli reckte stolz seine Brust und ließ den Markisengurt langsam hinunter, immer weiter, immer weiter. Ein Stück über der Erde war er aber zu Ende. Also musste er von da ab hinunterspringen. Das ging bestimmt einfach, denn unten war ein schöner weicher Rasen, auf dem er landen würde. Kurz entschlossen nahm er seinen ganzen Mut zusammen und kletterte am Gurt Stück für Stück und langsam nach unten. Niemand sah ihm dabei zu. Dann sprang er das letzte Stück einfach hinunter. Und „Plumps“, landete er unversehrt im weichen Gras. Er rappelte sich sofort wieder auf und rannte, so schnell sein Beutel wackeln konnte, hinüber zum Blitzableiter, wobei er rief:

 

„Ich bin der Trolli Beutelbär,
was ihr auch könnt, ich kann noch mehr.
Ich steig jetzt hoch, wobei ich lache,
bis ganz nach oben, bis zum Dache!“

 

Er schaute am Blitzableiterdraht bis ganz nach oben und bekam nun doch ein komisches Gefühl im Beutel. So hoch hatte er es sich doch nicht vorgestellt. „Nur Mut!“ redete er sich zu und schon machte er die ersten Klimmzüge. Er kam anfangs gut voran und war im Nu ein beträchtliches Stück nach oben gekommen. Das ging es noch eine Weile so weiter: Klimmzug - Beutel krumm machen - unten festhalten - strecken - und wieder Klimmzug. Für eine „Trolli-Länge“ musste er das drei-, bis vier Mal so machen. Je höher er kam, wurde das Klettern jedoch langsam immer schwerer. Nach einer Weile hatte er die Erdgeschosshöhe erreicht und war mit den Fensterbrettern auf gleicher Höhe. „Nur nicht nach unten sehen“, sagte er sich und kämpfte sich tapfer bis zur nächsten, zur übernächsten und zur überübernächsten Wandstütze weiter. Dann musste eine Rast machen. Er prustete und japste. Sein schönes Fell klebte am Körper und am Kopf und war auch schon etwas verschmutzt. Er murmelte vor sich hin:

 

„Die Kletterei wird langsam schwer,
die Pfoten wollen auch nicht mehr.
Bevor ich wieder runter sause,
mache ich nun eine Pause.“

 

Aber nur kurz ruhte er sich aus. Immer weiter und weiter ging nun die Kletterpartie und bald waren die Fenster des ersten Stockwerkes erreicht. Es fiel ihm immer schwerer und oft musste er eine kleine Pause einlegen. Zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk war da eine besonders dicke Befestigungsstütze. Bis dahin wollte er sich noch durchkämpfen und dann dort eine größere Rast machen.

 

Ob er es wohl bis ganz oben schaffen würde? Erste Zweifel befielen ihn, und er dachte an Gustav und Moppi, die im warmen Zimmer mit den Teddys Weißpfötchen und Purzel und mit der Raupe Wuschel auf ihrer Spielwiese saßen und von seiner Kletterei nichts ahnten. Die wurde auch immer anstrengender und er wäre jetzt doch am liebsten bei ihnen. Aber das ging nicht mehr, er wollte sich schließlich nicht deren Spott anhören müssen. Außerdem hatte er schon fast die Hälfte geschafft. Also stieg er langsam und mühsam Stück für Stück immer weiter nach oben und hatte Mitleid mit sich selbst:

 

„Ach, ich armer, armer Bär,
wenn ich doch schon oben wär´.
Helfen kann mir keiner mehr,
ach, ich armer, armer Bär.“

 

Das Wetter schlägt um

Die Sonne versteckte sich jetzt hinter den Wolken. Und diese wurden immer dunkler. Zum großen Unglück fing es nun auch noch zu regnen an, zuerst ein wenig, dann immer stärker. Die Tropfen klatschten laut auf alle Fensterbretter, sprangen zurück und eine große Anzahl fiel auf Trollis Fell. Als Plüschtier war man natürlich für so ein Wetter ungeeignet. Einen Regenumhang hatte er nicht mit und auch keinen Regenschirm, nicht einmal eine Mütze. Trollis Fell sog sich immer mehr voll Regenwasser, und er wurde immer schwerer. Dazu wurde der Blitzableiter glitschig. Mehrmals rutschte er ein Stück zurück. Er brauchte immer mehr Kraft, um den nächsten Klimmzug zu schaffen. Und die Kraft verließ ihn endgültig zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk an der besonders dicken Wandstütze. Da saß er nun endgültig fest. Große Kullertränen rannen über sein Gesicht. Trolli war wie ein nasser Schwamm, sehr schwer und sehr kraftlos. Er klemmte sich mit allerletzter Kraft zwischen Hauswand und Draht und saß mit seinem Beutel auf der besonders dicken Stütze. Das war zwar unbequem, aber so konnte er wenigstens nicht herunterfallen. Er wusste nicht mehr weiter, und als zum Regen nun noch ein kräftiger Sturm aufkam, schrie er laut um Hilfe.

 

„So helft mir denn, so helft mir schnell,
ich sitze fest mit nassem Fell!
Ich kann nicht runter, kann nicht rauf
und der Regen hört nicht auf!“

 

Trolli jammerte zum Erbarmen. Seine Hilferufe und sein Jammern wurden jedoch immer leiser. „Niemand hört mich“, schluchzte er leise vor sich hin.

 

Die Suche

Die anderen saßen zu dieser Zeit alle im Kinderzimmer auf ihrer „Spielwiese“ und waren schon wegen des schlechten Wetters und des langen Fernbleibens von Troll beunruhigt. „Vielleicht ist er im Flur oder im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer oder in der Küche, meinte Gustav. Moppi ging gleich hin um nachzusehen. Gustav folgte ihm und schaute zunächst in der Küche nach. Aber es war vergebens. Dann suchten alle Plüschtiere den Ausreißer in der gesamten Wohnung. Sie riefen, bellten, brummten, fiepten und rannten von Zimmer zu Zimmer, guckten unter die Schränke, in die Schränke, hinter die Kissen, unter den Herd, in den Herd, hinter die Badewanne und wurden immer aufgeregter. „Hätten wir ihn doch nie alleingelassen“, jammerte Gustav. Alle machten sich nun Vorwürfe.

 

Moppi entdeckte zuerst die halboffen stehende Balkontür und hörte zuerst das immer leiser werdende Jammern, weil Hunde ein sehr gutes Gehör haben. Er alarmierte alle anderen durch lautes Bellen und mit gemeinsamer Kraft wurde der schwere Rollsessel noch ein Stück zur Seite gerückt, so dass der Türspalt groß genug wurde, um alle Tiere, selbst die dicksten, durchzulassen. Alles stürmte nun auf den Balkon, aber zunächst sah keiner den verzweifelten Trolli an der Hauswand kleben. Sie riefen:

 

Ist er hier, ist er da,
wo ist er denn geblieben?
Wir suchen fern, wir suchen nah,
was hat ihn angetrieben?

 

In diesem Augenblick kam der Spatz Schiedelpilp angeflattert und seine hohe Stimme überschlug sich förmlich: „ Dort, dort an der Wand ist er, seht ihr ihn denn nicht?“ Dabei zeigte er mit seinem rechten Flügel kurz in die Richtung, wo Trolli zwischen Blitzableiter und Wand eingeklemmt war. Er sah erbärmlich aus: nass, schmutzig und frierend zitterte er am ganzen Körper. Sein Henkel und seine Ohren hingen schlaff nach unten, die Ärmchen hatten keine Kraft mehr, und das Fell war wie ein schwerer Schwamm voller Regenwasser. Er jammerte: „Trolli will das nie wieder tun, Trolli ist doch so lieb, warum muss er hier so eingeklemmt sitzen? Ach, helft mir doch wieder hinunter. Ich möchte auf meine Spielwiese!“ Der Wind zauste sein Fell, und die dicken Tropfen klatschten in sein Gesicht.

 

Vergebliche Rettungsversuche

 

Nun sahen alle Plüschtiere die jammervolle Gestalt und schnatterten, fiepten, und brummten vor Aufregung durcheinander. „Ruuuhe!!!“, rief Gustav dazwischen. Und mit einem Mal war es ganz still. Dann dachte er eine Weile nach, kratze sich mehrmals am Kopf und sagte dann ruhig und gefasst, was jetzt zu tun sei, nämlich eine große Rettungsaktion. Alle hörten aufmerksam zu, fanden seine Idee gut und wählten ihn darum zum Leiter dieser Rettungsaktion, die die größte aller Zeiten nach einem eingeklemmten Trolli werden sollte.

 

Und das war sein Plan: Moppi, Weißpfötchen, Purzel und er selbst sollten sich mit der Spielwiesendecke am Markisengurt hinunterlassen und unmittelbar unter Trolli die Decke wie ein Sprungtuch ausbreiten. Und so geschah es. Alles ging sehr schnell. Raupe Wuschel, die nicht unmittelbar an der Rettungsaktion beteiligt war, lag auf der Balkonbrüstung, schaute zu und führte das Protokoll. Keiner bemerkte vor Aufregung die Nässe und die Kälte. Sie kletterten also alle schnell nach unten und Gustav hatte dabei die Decke im Mund.

 

Trolli sah von oben, wie die vier Freunde das Sprungtuch entfalteten. Er wollte sich nun freimachen und mit seinem letzten Mut hinunterspringen, aber alle Bemühungen waren umsonst. Sein Fell war durch den Regen so aufgequollen, dass er nun nicht mehr hinter seinem Blitzableiterdraht hervorkommen konnte. Dazu hätte er viel Kraft gebraucht, die ihm aber gänzlich fehlte. Die vier am Sprungtuch feuerten ihn an und Raupe Wuschel auf der Brüstung stimmte mit ein. Es war wie beim Wettlauf, nur nicht so schön. Oben zerrte Trolli einmal nach links, einmal nach rechts und wieder nach links. Er strengte sich dabei mächtig an. Ab und zu schaute er kurz nach unten auf das Sprungtuch, setzte aber sofort seine Bemühungen fort. Es ging aber nicht. Alles war umsonst. Trolli saß fest, und um sich zu befreien, hätte er ein Stück nach oben rücken müssen und dann nach rechts oder links. Aber so war noch unter ihm die Strebe, und auf der saß er mit seinem ganzen nassen Gewicht fest. „Trolli, halte durch, wir lassen uns etwas Neues einfallen“, rief Gustav nach oben, und alle Tiere nickten. Trolli schaute verzweifelt nach unten, weinte aber nicht mehr, denn er hatte großes Vertrauen zu seinen Freunden. Er saß nun wieder ganz still zwischen Draht und Wand und fasste sich in Geduld.

 

Unten fing man an, einen neuen Rettungsweg zu suchen. Zunächst bot sich Purzel an hochzuklettern, was aber wegen der Gefährlichkeit abgelehnt wurde. Dann wollte Moppi sich mit dem Markisengurt vom Balkon aus hinüber pendeln. Da diese Methode wegen der Trefferungenauigkeit zu ungewiss war, wurde sie auch abgelehnt. Es gab dann noch ein paar andere Vorschläge, die aber hier aus Zeitgründen nicht mehr genannt werden, weil sie letztlich alle als ungeeignet oder zu gefährlich nicht in Frage kamen.

 

Die Rettung

Plötzlich wurde Gustav ganz still und fing an zu überlegen. Auf seiner Stirn zeichneten sich scharfe Falten ab, sein Mund schloss sich, was sonst selten der Fall ist, und seine Barthaare aus Angelsehne standen steif und waagerecht nach links und rechts ab. Nach einer Weile klärte sich sein Gesicht, und freudig mit dem Schwanz wedelnd teilte er allen, so dass Trolli es auch hören konnte, das Ergebnis seiner Überlegungen mit. Der Grundgedanke war recht einfach und dennoch genial. Helfen konnte hier nur einer: der Kuckuck Franz aus der Gernröder Schwarzwälder-Uhr, die in der Stube an der Wand hing. Er konnte fliegen, und wer fliegen kann, hat demzufolge auch eine Flugerlaubnis. Und wer eine Flugerlaubnis hat, kann auch einen Hubschrauber fliegen, der unten einen Haken hat, mit dessen Hilfe Trolli an seinem Henkel aus seiner Verklemmung gezogen werden kann. Einen Hubschrauber haben meistens Jungens, und solche Jungens wohnen im Nebenhaus. Alle waren begeistert.

 

Gustav schaute auf die Uhr. Es war genau fünf Minuten vor Zwölf. Jetzt kam es auf Tempo an, denn der Kuckuck Franz kam Punkt Zwölf und rief zwölfmal, dass es Zwölf ist, also eine lange Zeit und Zeit genug, um ihm die Situation in kurzen Worten darzulegen und ihn um Hilfe zu bitten. Gesagt, getan. Gustav turnte bereits auf halber Höhe am Markisengurt und war kurz darauf über die Balkonbrüstung ins Wohnzimmer gestürmt. Alle anderen, außer Moppi, machten es ebenso. Moppi blieb unten am Blitzableiter sitzen und tröstete Trolli. Inzwischen waren alle anderen um die Kuckucksuhr versammelt. Es waren noch zehn Sekunden Zeit, und alle zählten: „10 ... 9 ... 8 ... 7 ... 6 ... 5 ... 4 ...3 ... 2 ... 1 ... 0!“

 

Die kleine braune Tür flog auf und dem Kuckuck Franz verschlug es zunächst die Sprache angesichts des großen Publikums, das ihn da erwartete. Dann aber schwellte sich seine Brust vor Stolz, und er „kuckute“ laut, schnell und deutlich los. Gustav unterbrach ihn sofort: „Halte mal den Schnabel, eine Katastrophe ist geschehen, du musst sofort helfen!“ Der Kuckuck Franz versprach zu helfen und bat aber noch, seine Zeitansage ordentlich zu Ende bringen zu können. Das wurde ihm zugebilligt, und nach dem zwölften „Kuckuck“ schloss er wie üblich geräuschvoll seine Tür, öffnete sie aber gleich wieder. Er flog herab und setzte sich auf den Teppich. Mit kurzen Worten war er eingewiesen. Nun galt es nur noch, schnell einen geeigneten Hubschrauber zu finden. Kuckuck Franz machte sich sofort auf die Suche. Er flog auf dem Balkon, von da aus die ganze lange Häuserfront entlang und verschwand schließlich in einem offenen Fenster. Die Plüschtiere beobachteten ihn vom Balkon aus und gaben an Trolli Zwischenbericht, da dieser gewissermaßen zwischen zwei Balkons nichts sehen konnte. Nach einer Weile kam er Kuckuck Franz wieder heraus, schüttelte mit dem Kopf und flog weiter. Im dritten Zimmer blieb er ungewöhnlich lange. Alle wurde schon unruhig, und die Uhr zeigte zwanzig Minuten vor halb eins. Die ganze Rettungsaktion musste also in knapp zwanzig Minuten zu Ende sein, damit der Kuckuck Franz wieder die Zeit zur rechten Zeit ausrufen konnte. Das war wichtig und anders ging es nicht. Endlich ertönte von ganz links ein kräftiges Brummen, und bald schaukelte auch schon ein nähkastengroßer Holzhubschrauber mit dem Kuckuck Franz als Pilot schwerfällig heran. Der saß angestrengt im Cockpit und umklammerte fest das Steuer. Er war aufgeregt und der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er war aber ein sehr guter Pilot und beherrschte das Steuer, alle Hebel und Knöpfe.

 

Das war eine Freude. Alle klatschten in die Hände, und selbst Trolli strahlte, wenn auch matt, über sein flaches Gesicht. Immer noch goss es in Strömen, und der Wind war inzwischen zu einem mittleren Sturm mit kräftigen Spitzen angewachsen, der es dem Piloten nicht gerade einfach machte. Schließlich war Präzisionsarbeit nötig. Unter dem Hubschrauber konnte man einen Kleiderbügelhaken entdecken, den, wie es sich später herausstellte, die Plüschtiere des Jungen kurzerhand besorgten und in das Holz drehten. Alles war also bestens vorbereitet, und es kam nur noch auf das Geschick vom Kuckuck Franz an. Inzwischen war es viertel eins geworden. Der Hubschrauber näherte sich. Er klapperte recht laut. Scheinbar war ein Propellerflügel nicht richtig angeleimt, eine Nachlässigkeit, die man Spielzeug gegenüber nicht dulden darf. Jetzt war aber keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, man konnte nur hoffen und mit fiebern, dass alles in Ordnung ging. Eine Windböe peitschte den Regen gegen die Hauswand und erfasste den Hubschrauber. Alle Plüschtiere hielten den Atem an. Trolli hing triefend an der Wand und sah auf das schaukelnde Ding, das da fast vor seiner Nase wie ein Schmetterling hin- und her taumelte. Der Pilot gab sich alle Mühe. Er riss das Steuer bald hierher und bald dahin und trotzte so dem Unwetter. Plötzlich krachte es, und ein Propellerblatt löste sich, wurde gegen die Hauswand geschleudert und zog haarscharf an Trollis rechtem Ohr vorbei, sauste nach unten, wo er im Gras steckenblieb. Trolli zitterte vor Schreck und klammerte sich am Blitzdraht fest. Mit drei Blättern zu fliegen war für den Kuckuck noch schwieriger. Der Hubschrauber näherte sich langsam der Wand. Der Kleiderbügelhaken war nur noch wenig von Trollis Henkel entfernt. Jetzt galt es, Maßarbeit zu leisten und der Kuckuck Franz schaffte es trotz Regen, trotz Sturm und mit nur drei Flügeln. Es gab einen kurzen Ruck, der Hubschrauber brummte wieder stärker und zog den nassen, schmutzigen und verquollenen Trolli aus seiner verklemmten Lage. Nun baumelte er am Hubschrauber, und der Wind, den der kranke Propeller trotzdem noch machte, begann bereits das Fell zu trocknen. Nach wenigen und sehr geschickt durchgeführten Flugmanövern landete Trolli wohlbehalten auf dem Balkon, wurde vom Haken gehängt und sank kraftlos seinen Freunden in die Pfoten.

 

Die Pflicht ruft

 

Es war genau 12.28 Uhr, und somit nur noch 2 Minuten Zeit für den Kuckuck Franz, die Zeit wieder pünktlich auszurufen. Das ließ er sich nicht nehmen. Das war Pflicht. Noch einmal stieg die Spannung bei allen Beteiligten. Ohne sich auch lange aufzuhalten, ließ der den Hubschrauber plötzlich überlaut aufheulen, schnellte mit ihm nach oben, kippte ein wenig mit dem Heck an und sauste zurück zu dem Fenster, von wo er gekommen war. Kurze Zeit darauf jagte der Kuckuck Franz mit kurzen und schnellen Flügelflattern wieder selbst heran. Weißpfötchen hatte schnell mit ein paar anderen einen Besen aus der Küche geholt und unter die Kuckucksuhr gestellt, so dass die Raupe Wuschel am Stiel hochkriechen und die Tür aufhalten konnte, sobald der Kuckuck Franz in der Nähe erscheinen sollte. Und da kam er auch schon. Es fehlten noch etwa drei Sekunden bis halb Eins. Die Raupe Wuschel riss die Kuckuckstür auf, und wie ein Meteorit sauste der kleine graugelbe Vogel in sein Gehäuse und die Tür klappte wieder zu. Fast im gleichen Augenblick klappte sie wieder auf und noch ganz außer Atem, ließ Franz sein „Kuckuck“ erschallen, vielleicht etwas leiser als sonst und auch nicht so deutlich. Aber er war ein pünktlicher Vogel und er war stets verlässlich. Im Wohnzimmer ertönte ein anhaltender Beifall, der in ein rhythmisches begeistertes Klatschen überging. Alle Plüschtiere und auch der Spatz Schiedelpilp als Gast, hatten sich dort versammelt. Zum allerersten Mal gab der Kuckuck Franz ein Dakapo, ohne dass die Uhr zur Reparatur gegeben werden musste. Das war eine Freude! Nun war alles geschafft.

 

 

Das Ende

 

Alles geschafft? Nein, noch nicht! Jetzt musste eine große Säuberungsaktion beginnen. In genau einer Stunde kamen die Kinder aus der Schule, und dann mussten alle wieder auf den gleichen Plätzen sein wie früh. Ein reges Hantieren begann: ein Fön wurde herbeigeschleppt, Bürsten und Kämme geholt. Struppi brachte einen Karton mit Lockenwicklern, die aber nicht benötigt wurden, die Raupe Wuschel versuchte auf ihrem Rücken einen Spiegel herbei zu schleppen, was aber misslang. Und dann wurde der noch schwache Trolli in einen warmen Pantoffel gesteckt, geföhnt, gekämmt und gebürstet, bis sein Fell wieder ganz sauber und flauschig war. Alle anderen Plüschtiere trockneten ebenfalls ihr Fell. Der Spatz Schiedelpiep verabschiedete sich danach und flog durch die noch offene Balkontür zu seinem Nest zurück. Alle anderen versammelten sich wieder im Kinderzimmer um Trolli, der bereits zwischen Gustav und Moppi auf der schönen warmen, sauberen und weichen Spielwiese saß. Er musste versprechen, dass er nie wieder solche Dummheiten machen würde und er versprach es auch seinen Freunden. Dann schlief er erschöpft ein, und alle anderen Tiere hüpften wieder auf ihre Plätze, wobei sie noch so lange aufgeregt schnatterten, bis Schritte im Hause zu hören waren, ein Schlüssel im Schloss klapperte und die Kinder Carola und Petra aus der Schule kamen. Sie sahen die Plüschtiere alle ordentlich auf den Betten sitzen und wunderten sich nur, dass der Fuchs Gustav nicht mehr wie früh auf dem linken Bett saß, sondern auf dem rechten und dass Trolli irgendwie besonders sauber glänzte. Zudem klang der Kuckuck bei der Zeitansage heute recht heiser, als ob er sich erkältet hätte. Oder irrten sie sich da? Und das war genau der Moment, wo diese Geschichte vor ein paar Seiten begann.

Impressum

Texte: Wolf Rebelow
Bildmaterialien: pixabay.com
Cover: Wolf Rebelow
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2024

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