Ein Geschenk, auch wenn es noch so klein und unbedeutend erscheint, soll man dankbar entgegennehmen und in Ehren halten. Die Kinder Rosa und Bernd bekommen von ihrem Opa ein paar Kastanien geschenkt. Rosa freut sich darüber sehr. Bernd ist enttäuscht und wirft sie weg. Dann erleben beide Kinder, ihre Eltern und ihre Großeltern recht seltsame Dinge sowie einen Kriminalfall, der sich im Dorf abspielt.
Rosa und Bernd wohnten mit ihren Eltern in einem kleinen Haus in Mümmelhausen an der Knatter. Das Dorf bestand fast nur aus einer langen, gewundenen Straße, die ganz sacht anstieg. Ihr Haus war das letzte im Oberdorf. Es stand direkt dort, wo der große Oberwald begann. In der Mitte des Dorfes gab es eine Straßenkreuzung, um die sich die Kirche mit dem Friedhof, das Rathaus mit dem Bürgermeister Bauchspeck, die Dorfschule, die Dorfschänke, das alte Schloss mit dem Schlosspark und der Dorfladen gruppierten. Ganz am unteren Ende der Dorfstraße, im Unterdorf, wohnten die Großeltern von Rosa und Bernd. Gleich dahinter begann ebenfalls ein großes Waldstück. Das war der Unterwald. Ein Waldbach durchfloss den Ort. Er kam aus dem Oberwald, plätscherte mal links und mal rechts neben der Straße, floss durch den Schlosspark und verschwand am anderen Ende des Dorfes im Unterwald. Das war die „Knatter“.
Im Hause wohnten außerdem noch der Collie-Rüde „Mike“ und die rotbraun-weiß-gefleckte Katze „Queeny“, die früher eigentlich „Tüpfli“ hieß. Diesen Namen konnte sie aber nicht leiden und hörte nicht darauf. Deswegen wurde er dann in „Queeny“ geändert. Das gefiel ihr sofort. Weil sie aber stets wie eine Turbine durch das Haus sauste, rief man sie einfach „Bine“. Darauf hörte sie auch. Mike und Bine hatten Freundschaft geschlossen. Bine bestimmte, wo es entlang ging. Das machen Katzen ja immer. Dafür massierte sie gelegentlich das Fell von Mike, dem das gefiel. Oft lag sie auch auf seinem Rücken und genoss schnurrend seine Wärme. Mike ließ es sich gefallen. Rosa beschäftigte sich nach der Schule gern mit den beiden. Sie unternahm mit dem Hund Spaziergänge in den Wald oder in das Dorf. Sie las, zeichnete und bastelte gern. Bernd hingegen saß stundenlang an seinem Computer. Er probierte laufend neue Spiele aus, wenn er nicht gerade mit dem Fahrrad unterwegs war.
Die Leute im Dorf lebten ruhig, friedlich und gern zusammen. Niemand störte, Bösewichte gab es auch nicht. Oft besuchten die Kinder ihre Großeltern. Der Weg war ja nicht weit. Er konnte in 15 Minuten bewältigt werden, wenn sie nicht bummelten. Oft kamen auch diese zu Besuch in das Haus von Rosa und Bernd. Sie brachten jedes Mal für die Kinder etwas mit, meistens eine Tafel Schokolade, eine Tüte mit Gummibärchen oder ein Büchlein. Die Kinder freuten sich darüber und zeigten sich dankbar. Mike und Bine bekamen stets ein Leckerli und wurden schon zappelig, wenn die Großeltern in die Nähe des Hauses kamen.
Eines Tages aber kam der Opa allein. Die Oma war plötzlich sehr krank geworden und musste das Bett hüten. Rosa und Bernd waren darüber traurig und wollten genau wissen, was der Oma fehlte. Der Opa druckste aber nur herum und sah sehr traurig aus. Die Kinder wollten sie am nächsten Tag besuchen und schöne Blumen mitbringen. Der Opa brachte trotz der schlechten Nachricht auch dieses Mal je ein Leckerli für die Tiere und ein kleines Geschenk für jedes Kind mit. Es wäre ein besonderes, ein ungewöhnliches, ein geheimnisvolles Geschenk, betonte er, als er suchend in seinen zwei Hosentaschen herumkramte, woraus er schließlich sechs Kastanien hervorholte. Alle hatten noch die grüne und stachelige Fruchtschale.
Dann erzählte er: "Gestern bin ich im Unterwald spazieren gegangen und hörte plötzlich ein lautes Jammern und Klagen. Ich ging dem nach und entdeckte hinter einem großen Busch sieben Wurzelwichte. Sie waren völlig aufgelöst und jammerten herzerweichend.“ Die Kinder hörten aufmerksam zu und der Opa erzählte weiter: „Normalerweise kann man die Wurzelwichte nicht sehen, weil sie nachts unterirdisch mit der Pflege der Baumwurzeln beschäftigt sind und tagsüber in Baumhöhlen oder unter Pilzen schlafen. Es musste also etwas Schreckliches passiert sein, dass sie sich mir zeigten.“
Der Opa fuhr fort: „Dann erzählten sie, sie hätten erfahren, dass der Bürgermeister ihren Wald verkaufen wollte. Der Käufer hatte vor, alle Tiere sowie auch alle Wurzelwichte daraus zu vertreiben, ein großes Luxushotel zu bauen und eine große Mauer ringsum zu errichten. Nur die Urlauber wollte er noch in den Wald lassen. An dieser Stelle knurrte Mike gefährlich laut. Der Opa erzählte weiter: „Ich wusste allerdings nichts von den Plänen des Bürgermeisters, versprach aber, den Wurzelwichten zu helfen, indem ich alle Dorfbewohner gegen den Verkauf des Waldes aufbringen wollte. Ich wusste zwar noch nicht, wie ich das machen könnte, mir würde aber schon etwas einfallen. Davon war ich überzeugt. Die Wurzelwichte bedankten und freuten sich. Einer sagte mir noch, dass ich gut auf den weiteren Weg achten und aufheben sollte, was mir besonders gefiel. Dann verschwanden die sieben Wurzelwichte plötzlich. Ich ging weiter durch den Wald und sah nach einer Weile sieben schöne Kastanien auf dem Weg liegen. Sie hatten alle noch ihren stacheligen Fruchtmantel. Sie leuchteten so schön hellgrün, dass ich sie aufhob und mitnahm. Eine habe ich mir behalten, damit sie mich immer an mein Versprechen gegenüber den Wurzelwichten erinnert und die anderen gehören nun euch." Damit übergab er seinen Enkelkindern je drei dieser Kastanien.
Rosa und Bernd bedankten sich artig, wobei Bernd seine Augen verdrehte. Er hatte sich wohl ein anderes Geschenk vorgestellt und wusste nicht so recht, was er mit seinen drei Kastanien anfangen sollte. Rosa dagegen nahm ihre drei Kastanien erfreut an und legte sie mit einer schönen Serviette auf ihren Nachttisch. Der Opa blieb noch zum Abendbrot und bekam auch etwas für die Oma mit auf den Weg. Alle wünschten der Oma eine gute Besserung.
Danach wurde es für die Kinder Zeit, ins Bett zu gehen. Der Tag war lang und aufregend. Rosa hatte ihre Bettdecke weit nach oben gezogen. Der Mond schien durch das Fenster und bewachte beide Kinder. Im Zimmer war es darum nicht so dunkel. Bernd war schon eingeschlafen. Rosa hörte es an seinen gleichmäßigen Atemzügen. Sie schaute nochmal auf ihre drei Kastanien und glaubte, einen Lichtschein zu sehen, der von ihnen ausging. Sie dachte noch einmal an die Geschichte mit den Wurzelwichten und stellte sich die kleinen Wesen bildlich vor. Sie selbst hatte, wie die meisten Menschen, noch nie welche gesehen. Es tat ihr auch leid, dass sie nun ihren Wald und damit ihre Heimat verlieren sollten und hoffte, dass der Opa den Verkauf noch verhindern konnte. Bei diesen Gedanken war auch sie eingeschlafen.
Im Traum ging sie leichtfüßig, fast schwebend durch den nächtlichen Unterwald. Der Mond schien hell, sie konnte den Weg gut erkennen und es war überhaupt nicht kalt, obwohl sie nur im Nachthemd war. Erstaunt war sie über die riesengroßen Grashalme, Blumen und Bäume ringsherum. Der Weg war ungewöhnlich breit. Die Steine, die auf dem Weg lagen, waren riesig.
Als sie an einem Busch vorbeikam, hörte sie lustige Stimmen und Gesang. Sie umrundete langsam diesen Busch. Dann sah sie dahinter sieben kleine Wesen an einem Tisch sitzen. Sie waren so klein, wie sie selbst, labten sich an Speisen und Getränken, erzählten dabei und sangen auch. "Komm doch her, Mädchen, setze dich zu uns", sagte der Oberwichtel. Alle winkten sie heran. Das mussten die Wurzelwichte sein, dachte Rosa. Ihr wurde auf einmal klar, dass sie genauso klein war, wie diese. Darum erschien ihr alles ringsherum so groß. Sie hatte aber keine Angst, denn die Wurzelwichte waren sehr freundlich.
Sie setzte sich zu ihnen, aß und trank und lachte auch, wenn jemand etwas Lustiges erzählte. Nach einer Weile gab der Oberwichtel ein Zeichen. Daraufhin räumten alle den Tisch, formierten sich zum Gänsemarsch und gingen in eine bestimmte Richtung los. Die Frühstückspause war zu Ende, die Arbeit wartete. Der Oberwichtel lud Rosa ein, mitzukommen und sich anzusehen, was sie taten.
Rosa willigte ein und so gingen alle auf einen großen Fliegenpilz zu, an dessen Fuß sich ein Einstiegsloch befand. Dahinein führte eine lange Leiter weit nach unten bis hin zu den Baumwurzeln. Einer nach dem anderen stiegen die Wichtel hinunter. Unten angekommen, wies der Oberwichtel jedem seinen Platz zu. Dann begannen alle zu graben, um ein Wurzelstück freizulegen. Ihre Stirnlampen gaben genügend Licht.
Rosa schaute dem Treiben erstaunt zu und der Oberwichtel erklärte: "Es ist so wie mit dem Zähneputzen bei euch Menschen. An den Wurzeln der Bäume lagern sich schlechte Stoffe ab, die mit dem Regen bis zu ihnen durchsickern. Sie bilden einen Belag um die Wurzeln. Dieser Belag muss gründlich entfernt werden, weil er sonst die Poren verstopft, mit denen die Wurzeln atmen und das Wasser aufnehmen, dass sie nach oben in die Baumkrone weiterleiten. Wir nehmen dazu eine echte Wurzelbürste. Dadurch wird der Baum kräftig, die Blätter werden saftig grün. Wenn sich niemand darum kümmert, sterben die Wälder. Man darf uns schon deswegen nicht aus dem Wald vertreiben, weil dort jemand ein Hotel bauen will. Der Wald gehört doch allen und muss erhalten bleiben.“ Der Oberwichtel schaute bei diesen Worten ganz traurig. Dann erzählte er weiter: "Die Bäume danken uns die Wurzelpflege."
Seine Stimme wurde ganz leise als er sagte: "Der größte Kastanienbaum verschenkt einmal im Jahr ein paar verzauberte Kastanien an gute Menschen, mit denen sie sich einen Wunsch erfüllen können. Wir legen sie dann unmittelbar vor ihnen ab. Und wir hoffen, dass sie sich auch für den Wald und für uns etwas wünschen. Wir können ihnen das aber nur im Traum sagen. Sie dürfen es anderen Menschen nicht erzählen, sonst ist der Zauber weg. Der Traum kommt aber nur, wenn sie die gefundenen Kastanien als Geschenk des Waldes annehmen und sie nachts in ihrer Nähe haben. Es ist alles sehr kompliziert, hat aber seine tiefere Bedeutung.“
Der Oberwichtel blickte Rosa freundlich an und sagte: "Du hast dich über die drei Kastanien ehrlich gefreut, die dir dein Opa geschenkt hat und du hast sie auf deinen Nachttisch gelegt. Damit hast du die Bedingungen für diesen Traum erfüllt. Wir können dir nun sagen, was du jetzt tun musst.“ Der Oberwichtel räusperte sich und sagte: „Du musst eine Kastanie so auf den Boden werfen, dass die grüne Fruchtschale aufplatzt und die glänzende Kastanie herausspringt. Dabei kannst du dir etwas wünschen. Den Wunsch darfst du aber niemanden sagen. Überlege genau, was du dir wünschst. Es kann ein Segen werden, aber auch ein Fluch. Kastanien, deren Fruchtschale schon aufgeplatzt ist oder die nicht mehr leuchten, haben keine Zauberkraft mehr. Du darfst also nicht zu lange warten.“
Am anderen Morgen wachte Rosa auf und dachte über den Traum nach. Ihr Bruder Bernd schlief noch. Sicherlich hatte er diesen Traum nicht, weil sie seine drei Kastanien nicht in seiner Nähe entdecken konnte. Sie durfte aber ihm und auch ihrem Opa nichts von diesem Traum sagen. Beide durften von der Zauberkraft der Kastanien auch nur aus ihrem eigenen Traum erfahren. Den bekamen sie aber nur, wenn sie das Geschenk erfreut angenommen hatten und es nachts in ihrer Nähe lag.
Noch vor dem Frühstück wollte Rosa den Zauber mit einer Kastanie probieren. Sie ging dazu heimlich hinter das Haus, wo es viele Büsche gab. Sie hatte sich ihren ersten Wunsch gründlich überlegt. Entschlossen nahm sie eine der grünen Stachelfrüchte in die rechte Hand und warf sie so auf die Erde, dass die Schale zerplatzte. Die glänzende braune Kastanie sprang heraus. Rosa schloss die Augen und sprach in Gedanken ihren Wunsch aus: "Ich wünsche mir, dass die Oma wieder gesund wird!" Ein Donnerschlag ertönte, die Kastanie zersprang in tausend kleine Stücke und ein heftiger Windstoß blies sie fort. Sie erschrak, ahnte aber gleich, dass der Zauber gelungen sein musste.
Sie ging zum Haus zurück, bereitete mit der Mutter schweigend das Frühstück vor und deckte den gemütlichen Tisch in der Küche. Die Mutter wunderte sich zwar über ihre stille Tochter, sagte aber nichts. Dann nahm die Familie am Frühstückstisch Platz. Bernd kam zum Schluss dazu. Er wirkte noch sehr verschlafen. "Wo hast du denn deine drei Kastanien?", fragte Rosa ihren Bruder. „Was für Kastanien?“, stammelte er. „Na die, die dir gestern der Opa geschenkt hat“, sagte sie und schaute etwas streng ihren Bruder an. „Ach, die meinst du …“, erwiderte er etwas scheinheilig und fügte hinzu: „die habe ich im Wald vergraben, wollte mal sehen, ob daraus Bäume werden.“ Das klang nicht sehr überzeugend, fand Rosa und sie war überzeugt, dass er sie einfach fortgeworfen hatte. Er reagierte schon so gelangweilt, als er sie bekam.
Die Familie hatte gerade mit dem Frühstück begonnen, als es auf einmal an der Haustür klingelte. Der Vater stand etwas unwillig auf und ging nachschauen, wer denn wohl am frühen Morgen so einen Radau machte. Er glaubte kaum seinen Augen trauen zu können, als er öffnete. Da standen seine Eltern, also Rosa und Bernds Großeltern, total vergnügt vor der Tür. Dem Opa sprudelten die Worte nur so hervor: „Stell dir vor, die Oma ist plötzlich ganz gesund aus dem Bett gesprungen. Wir wollten euch die gute Nachricht sofort überbringen und sind gleich zu euch geeilt. Die Oma immer vorneweg. Ich konnte ihr kaum folgen.“ Das war eine Freude! Die Mutter legte noch schnell zwei Frühstücksgedecke auf den Tisch, holte den Schinken und weitere Leckereien aus dem Kühlschrank und alle ließen es sich so richtig schmecken. „Wie kann denn so etwas sein?“, begann die Mutter das Gespräch. Keiner konnte eine Antwort geben. Nur Rosa hätte es tun können. Aber sie schwieg wohlweislich.
Die plötzliche Gesundung der Oma war wie ein Wunder. Man konnte es nicht fassen. Alle freuten sich und klatschten in die Hände. Nur Rosa saß lächelnd auf ihrem Stuhl. Sie wusste nun, dass der Zauber funktionierte und überlegte, wie sie dem Opa und ihrem Bruder die Sache erklären konnte, ohne dass der Zauber verfliegt. Der Opa würde seine einzige Kastanie gewiss für einen guten Zweck verwenden. Bei ihrem Bruder war sie sich nicht so sicher. Auf alle Fälle würde er nach seinen Kastanien suchen. Ob sie aber noch ihre Zauberkraft hätten, bezweifelte sie stark. Sie erinnerte sich auch an die Worte des Oberwichtels: „Der Traum kommt nur, wenn man die gefundenen Kastanien als ein Geschenk des Waldes annimmt und sie nachts in seiner Nähe aufbewahrt." Und sie erinnerte sich auch daran, dass sie beiden nichts sagen durfte. Es war eine verzwickte Sache. Rosa wusste keine Lösung.
Den ganzen Tag beschäftigte sie dieser Gedanke. Erst am Abend hatte sie die Lösung gefunden. Die erforderte aber, dass sie eine zweite Kastanie von sich für einen neuen Zauber opferte. Nach dem Abendessen, es war schon wieder dunkel geworden, ging sie noch einmal hinaus hinter das große Gebüsch und warf ihre zweite Kastanie auf den Boden. Sie schloss ihre Augen und wünschte sich, dass Opa und Bernd heute Nacht den gleichen Traum bekämen, obwohl sie ihre Kastanien nicht so behandelt hatten, wie es erforderlich gewesen wäre. Mit einem besonders lauten Donnerschlag zersprangen die grüne Fruchtschale und die Kastanie in tausend Stücke und ein heftiger Windstoß zerstob alle Teile. Dann ging Rosa in das Haus zurück. Etwas später lagen die beiden Kinder in ihren Betten. Während Bernd gleich einschlief, lag Rosa vor Aufregung noch lange wach.
Am nächsten Tag holte Rosa frische Brötchen für das Frühstück. Die gab es an der Kreuzung im Dorfladen. Mike wollte mit und brachte gleich seine Leine angeschleppt. Im Laden standen schon mehrere Frauen aus dem Dorf. Sie redeten aufgeregt durcheinander. Zuerst verstand Rosa kein Wort. Doch dann erfuhr sie, dass der Bürgermeister, Herr Alois Bauchspeck, verhaftet und mit einem Polizeiauto abtransportiert wurde. Er soll eine wichtige Urkunde aus dem Archiv gestohlen haben. Für Rosa war diese Nachricht nicht so wichtig. Sie konnte, wie viele andere auch, den Bürgermeister Bauchspeck nicht so richtig leiden. Er war sehr arrogant, wusste alles besser und hatte auch nur wenige Freunde. Seine Entscheidungen brachten oft nur Ärger für die Dorfbewohner und sie waren stets so, dass sie ihm selbst am meisten nutzten. Das merkten auch die Kinder schon. Am Anfang war das nicht so. Da versprach er, sich für das Dorf und jeden Bewohner einzusetzen und wurde darum auch gewählt. Inzwischen wurde Rosa von der freundlichen Frau Bögelsack bedient, bekam ihre frischen Brötchen und machte sich mit ihrem Hund Mike auf den Heimweg. Beim Frühstück erzählte sie, was sie im Dorfladen erlebt hatte. Die Eltern waren nicht sehr überrascht und der Vater meinte: „Das musste ja mal so kommen.“
Nach dem Frühstück verkündete Bernd völlig überraschend, dass er mit Mike einen langen Spaziergang durch den Oberwald machen wolle. Der hob nur kurz seinen Kopf, knurrte und legte seinen Kopf wieder zwischen die Vorderpfoten. Er war das nicht von Bernd gewöhnt. Die Eltern waren auch verwundert, sagten aber nichts. Auch Rosa schaute ihren Bruder etwas misstrauisch an. Der gab dem Hund unmissverständlich ein deutliches Aufforderungszeichen, legte ihm die Leine an und trottete mit ihm aus dem Zimmer. Die anderen saßen noch eine Weile am Tisch und plauderten etwas.
Bernd schloss die Küchentür hinter sich, blieb kurz stehen und überzeugte sich, dass ihm niemand folgte. Mike sah ihn fragend an. Dann tappte er leise mit dem Hund noch einmal in das Kinderzimmer und ging auf Rosas Nachtschränkchen zu. Da lag ihre letzte Kastanie, von deren wahrer Bedeutung er im Traum erfahren hatte. Er wusste also Bescheid, durfte aber nichts sagen. Seine drei Kastanien hatte er einfach weggeworfen. Er wusste aber nicht mehr, wo das genau war und wollte sie nun mit der Hilfe von Mike suchen. Vielleicht hatte er Glück, dass ihre Zauberkraft noch nicht verloren war. Er hielt dem Hund die letzte Kastanie von Rosa unter die Nase. Der schnupperte daran und nahm so den Geruch auf. Er verstand, was er tun sollte. Dann verließen beide das Haus und liefen in den Wald. Bernd schlug mal diese und mal jene Richtung ein und befahl dabei dem Hund: „Such, such!“ Mike gab sich alle Mühe. So ging das eine ganze Weile. Dann hatte er endlich nach einer halben Stunde die erste Zauberkastanie gefunden. Die grüne stachelige Fruchtschale war aufgeplatzt. Sie war auch nicht mehr so leuchtend, nicht mehr so hell und grün. Die Kastanie, die noch halb in ihr steckte, hatte demnach ihre Zauberkraft verloren. Bernd steckte sie trotzdem in seine Hosentasche. Dann ging die Suche weiter. Nach einer halben Stunde schlug Mike wieder an und fand die zweite Zauberkastanie. Auch sie war aufgeplatzt. Enttäuscht steckte Bernd sie ein. Nach einer weiteren halben Stunde endlich fand der Hund die dritte Zauberkastanie. Die war nicht aufgeplatzt, besaß also noch ihre Zauberkraft.
Bernd musste sich beeilen, wenn sie ihm noch einen Wunsch erfüllen sollte. Bisher hatte er sich aber noch keinen überlegt und wurde etwas nervös. Er warf die Kastanie gleich auf
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Wolf Rebelow
Bildmaterialien: pixabay.com
Cover: Wolf Rebelow
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2021
ISBN: 978-3-7487-8641-2
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