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Prolog Wilbert

 

Ich liebe meinen Neffen Matthew ja sehr, aber in den letzten Jahren wird er mir doch ein wenig zu leichtherzig. Seinen ehemals sprühenden Charme setzt er nur noch zu seinem Vorteil ein, auf seine Mitmenschen nimmt er dabei wenig Rücksicht. Seine unzähligen Frauengeschichten üben auch keinen guten Einfluss auf ihn aus. Wo ist nur der kleine Junge geblieben, der früher jeden kleinen Käfer gerettet hat, der ihm über den Weg lief?

Für den Erfolg seiner Werbefilmproduktion mag das der richtige Lebenswandel sein. Schließlich ist »Sex sells« der Leitsatz seiner Corporate Identity. Doch für meine Firma gilt etwas anderes, da sind es Liebe, Vertrauen und Hoffnung. Ich produziere Familienserien, die verkauft man mit Emotionen.

So viel Spaß das auch immer gemacht hat, es wird für mich langsam Zeit, den Stab weiterzureichen. Am liebsten natürlich an Matty, der das Erbe auch gerne antreten will. Nur, wenn er so weitermacht, produziert er an der Seele meiner Zuschauer vorbei. Und dann ist die ganze Firma in Gefahr, weil die Message die Menschen nicht mehr ins Herz trifft.

Was soll ich nur tun, damit ich mein Lebenswerk in würdige Hände übergebe? Mir bleibt doch gar nichts anderes übrig, als Matty mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

Gestern war eine hübsche junge Frau, Emma, mit einem vielversprechenden Drehbuchentwurf da. Sie wäre die Richtige für meinen Plan. Ich habe ihr gesagt, dass ich zurzeit keine neuen Serien mehr plane, weil ich den Stab bald an meinen Neffen weiterreiche.

Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass Matty gerade mal wieder eine neue Assistentin sucht. Ich empfahl Emma, sich dort zu bewerben, und versprach ihr, sie bei ihren Plänen zu unterstützen, wo ich kann. Ich hoffe, dass sie dafür unwissentlich auch meine Pläne unterstützt. Von Mattys hohem Verschleiß an Assistentinnen habe ich ihr natürlich nichts erzählt. Ich wollte sie nicht von vorneherein verschrecken und hoffe inständig, dass sie nicht seinen Launen zum Opfer fällt.

Ich weiß, es ist ein kühner Plan. Das Mädel ist hübsch … und blond. Sie passt vollständig in Matthews Beuteschema. Vom Charakter hingegen entspricht sie eher meinen Vorstellungen. Ich bringe die beiden zusammen, wende einen bewährten Trick an und schaue was passiert.

 

 

Kapitel 1 Das Vorstellungsgespräch

 

Ich atme durch und betrachte das mit Lamellenmarkisen geschützte Gebäude der Smart Bigseller Werbeagentur, die SBS Advertising. Das Haus wirkt modern und edel. Ganz klar, hier wird viel Geld verdient. Diese Firma ist die Nummer eins der Werbefirmen. Wer sie beauftragt, bucht die Erfolgsgarantie gleich mit.

Als ich das Gebäude betrete, begegnen mir lauter perfekt wirkende Menschen. Die Empfangsdame mit ihrem Zahnpastalächeln trägt ein Schild mit dem Namen Sharon. Sie hat raspelkurze graue Haare und ein paar Krähenfüße um die Augen.

»Guten Tag, mein Name ist Emma Andrews. Ich habe um elf Uhr ein Bewerbungsgespräch mit Matthew Leavitt.«

»Ah, ja. Wir haben dich schon erwartet. Pearl bringt dich zu Matt«, sagt sie lässig und winkt einem Mädchen hinter der Theke. »Das ist Emma«, sagt sie.

Pearl nickt und entlässt ein knappes »Hallo«. Sie hat ein apartes Gesicht und dunkle Haare, die zu einem eleganten Kurzhaarschnitt frisiert sind.

»Folge mir«, fordert sie und geht voran. »Wir nennen uns hier alle beim Vornamen. Matthew möchte übrigens Matt genannt werden«, erklärt sie unterwegs.

»Okay, danke«, antworte ich und denke, dass es hier wahnsinnig hipster ist.

Ich gehe mit Pearl durch hallende Gänge, an ein paar Einzelbüros vorbei. Durch die Fenster zu den Arbeitsräumen kann man genau sehen, dass die Männer dahinter im Prinzip nur spielen. Videospiele, Jo-Jo, diverse Ballspiele und einiges andere mehr.

»Was machen die da? Produkttests?«, frage ich Perl.

»Nein, das sind die Kreativleute. Die dürfen alles und bekommen alles, Hauptsache, sie liefern gute Ideen.«

»Und warum sind das nur Männer?«

»Praktisch alle großen Künstler sind Männer, sagt Matt. Er hält es mit den arabischen Ländern. Da sind die Männer die Visionäre und Lenker und die Frauen machen die Arbeit. Eine gottgewollte Ordnung.«

»Das ist nicht sein Ernst«, antworte ich ungläubig.

»Na ja, ehrlich gesagt frage ich mich das mittlerweile schon.«

»Oh, mein Gott!«, seufze ich.

»Du sagst es. Aber solange er Leute findet, die das mitmachen … müssen, kommt er ja damit durch.«

Am Ende des Ganges schließt ein gut besetztes Großraumbüro an. Es ist ziemlich laut und wuselig. Hoffentlich muss ich hier nicht arbeiten, denke ich. Gott sei Dank gehen wir schnell hindurch, während Pearl den einen oder anderen Kollegen freundlich grüßt.

Am anderen Ende des Saals voller fleißiger Bienchen befindet sich ein kurzer Flur aus edlem Marmor. Eine Art Empfangsraum ist leer und ich hoffe inständig, dass das der Arbeitsplatz für die Assistentin ist.

Ein ausgerollter Teppich führt zu einer schweren dunklen Holztür. Das kann nur Matts Büro sein. Als wir über den roten Läufer gehen, hoffe ich, dass er eher ein Zeichen von Humor, denn eins von Größenwahn ist.

Pearl klopft und öffnet die dramatisch knarrende Tür, nachdem ein »Ja« zu hören ist.

»Emma ist da«, verkündet sie.

»Wer ist Emma?«, kommt es mit männlicher Stimme zurück.

»Dein Bewerbungsgespräch.«

»Ach ja, okay. Lass sie rein und bring uns zwei Kaffee!«

Ich trete in ein riesengroßes Büro mit zwei Wandseiten aus Fensterglas. Was für ein krasser Gegensatz zu dem Großraumbüro. Matthew versucht sich im Einlochgolf auf einer Kunstrasen-Puttingmatte mit automatischem Ballrücklauf.

»Oder willst du keinen?«, fragt er mich.

»Was bitte?«, erwidere ich verdattert, während ich mich in dem modernen Arbeitsraum umsehe.

»Kaffee«, antwortet er leicht gereizt.

»Ach so, ja. Sehr gerne«, sage ich eilig.

»Setz dich schon mal hin. Ich bin gleich bei dir«, weist Matt mich an. »Seit ich den automatischen Ballrücklauf habe, finde ich kein Ende.«

»Danke«, sage ich, setze mich und weiß nicht wohin mit dem Blick.

Matthew schlägt ein paar Mal neben das Golfloch und flucht. »Mist verdammter! Warum habe ich eigentlich keine Gerätschaft, die die Fehlschläge einfängt?!« Genervt wuschelt er sich durchs Haar. »Könntest du mal …?«, fragt er und sieht mich auffordernd an.

Was ist das? Ein Test? »Soll ich die Bälle einsammeln?«, frage ich irritiert.

»Ja, bitte. Wenn ich das selber mache, bringt es mich immer aus der Konzentration«, antwortet er schulterzuckend.

Das geht hier ja gut los. So was hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Ich unterdrücke ein Stöhnen, während ich die Bälle einsammele. Doch ich will den Job nicht riskieren, bevor ich nicht weiß, was hier von mir verlangt wird. Schließlich ist sich meine Freundin Karissa sicher, dass das hier der große Wurf für uns werden könnte.

»Danke«, sagt er und legt persönlich die Kugeln vor sich ab. Wenigstens das bringt ihn nicht aus der Konzentration.

Ich stehe eine Weile unschlüssig herum und setze mich dann wieder.

»Weißt du, was man wirklich noch erfinden müsste? So einen Ballrücklauf für die Matte auf meiner Toilette. Das sollten wir einer dieser Firmen nahebringen und auch gleich die Vermarktung übernehmen. Ich muss die Sitzungen meistens vorzeitig beenden, weil mir der Ball weggerollt ist.«

Aha.

Ich versuche, nicht so mitleidig zu lächeln. Die Info gehört hoffentlich in die Abteilung nutzloses Wissen.

»Kannst du Golfen? Ich habe es ja immer für einen Sport der Gediegeneren gehalten. Doch es gibt einfach viel zu viele Kunden, die gerne auf einem Golfplatz Geschäfte abschließen. Ich habe angefangen, es zu lernen, und erhoffe mir da eine ziemliche Umsatzsteigerung. Eigentlich ist es gar nicht schlecht, so an der frischen Luft«, erklärt Matt, während wieder ein Schlag daneben geht. »Fuck! Was mache ich bloß falsch?«, fragt er mit hochgezogenen Schultern und sieht mich ratlos an.

»Der Ball wurde nicht mit der richtigen Bewegung getroffen, daher driftet er ab. Du musst die Arme locker hängen lassen, nicht so durchstrecken. Unterarme parallel zueinander und den Rücken beim Putten nicht so gerade wie beim Abschlag, sondern relativ rund … also auch lockerer«, weise ich ihn an.

»Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass mir mal jemand sagt, dass ich nicht locker genug bin«, murmelt Matt amüsiert. »Und das von einer Bewerberin, die noch nicht einmal einen Vertrag in der Tasche hat.« Er dreht sich zu mir. »Respekt! Du hast Mut, das gefällt mir. Woher hast du das Fachwissen?«

»Mein Vater ist Golflehrer«, informiere ich ihn.

Matthew zieht die Brauen hoch. »Und du willst ihm einen neuen Schüler vermitteln?«

»Er ist schon Rentner und spielt nur noch zu seinem Vergnügen.«

»Ach so, ich dachte schon …«

Ich krause die Stirn. Was soll das denn heißen?

»Dann kannst du gut Golf?«, erkundigt sich Matt weiter.

»Es geht. Ist das denn eine Bedingung für die Stelle?«, frage ich und unterdrücke einen genervten Ton.

»Nein, eher Kaffee kochen, aber schaden kann es nicht, wenn du Golf kannst … oder Tischfußball. Was kannst du noch?«

»Steht in meiner Mappe. Allerdings habe ich Kaffee kochen, Tischfußball und Golf nicht explizit erwähnt. Das käme noch dazu.«

»Okay, okay. Ich habe verstanden«, lacht er. Auf seinem Gesicht erscheinen ein paar Grübchen, die zu seiner Frohnatur passen. Matt lässt den Golfschläger fallen und kommt zu seinem Arbeitsplatz.

Bevor er meine Bewerbungsmappe nimmt, zerknüllt er ein Stück Papier, das auf dem Schreibtisch liegt, und wirft es mit einem »Immer diese Bettelbriefe« in einen Papierkorb mit Basketballkorb als Aufsatz. Er trifft und der Korb applaudiert ihm so laut wie ein ganzes Stadion. Dazu erklingt ein Kommentar wie bei einem echten NBA Spiel im Fernsehen.

Was für ein nerviges Teil.

»Das ist der erfolgreichste Korb seiner Art – dank unserer Werbekampagne. Wie findest du ihn?«, erkundigt er sich.

»Das ist … da fehlen mir die Worte«, antworte ich und lächle leicht gekünstelt.

»Ja, mir auch immer wieder«, sagt er und wirft einen Blick in meine Mappe.

Endlich!

Doch dann ist Pearl mit dem Kaffee da und lenkt ihn wieder ab, während sie die Tassen auf den Schreibtisch stellt.

»Danke, du kannst jetzt gehen«, nuschelt Matthew, als sie fertig ist und ihn erwartungsvoll ansieht. Der Aufforderung kommt Pearl eilig nach.

»Ich hatte ja gedacht, dass Pearls Name mehr Programm ist. Aber, nun gut«, murmelt er, während er ihr hinterher sieht.

Als sie verschwunden ist, schaut er mich prüfend an. Klar, er will mich definitiv testen. Ich lächle selbstbewusst zurück.

Matthew grinst sein Grübchengrinsen, bevor er einen Schluck Kaffee nimmt. »Weißt du, was deine erste Aufgabe hier sein wird?«

Ich hebe meine Augenbrauen. »Nein?«

»Dich drum kümmern, dass der Kaffeeautomat im Vorzimmer wieder funktioniert. Der Kaffee ist kalt.«

»Okay«, antworte ich gelassen und nicke. Soll er doch noch mit mehr solcher Sachen drohen, ich lasse mich nicht so leicht vertreiben. Ich will diesen Job!

Endlich beugt sich Matthew abermals über meine Unterlagen. »Es gefällt mir, dass du anscheinend so vielseitige Talente hast. Die wirst du für diesen Job auch brauchen«, sagt er und sieht von meinen Bewerbungsunterlagen auf.

»Schon klar.« Ich lächle gelassen.

Matthew verschränkt mit einer großspurigen Geste die Hände im Nacken, lehnt sich zurück und legt seine Füße auf dem Schreibtisch ab. Sein durchdringender Blick scheint mich auszuziehen. Die dunkelblauen Augen funkeln schelmisch. Er gehört ganz klar zu jenen Männern, die nicht erwachsen werden wollen. Ich habe große Lust, ihm durch das wilde Haar mit dem frechen Rotstich zu wuscheln.

Verrückt.

Obwohl ich durch meine Freundin Karissa und eine gründliche Internetrecherche auf ihn vorbereitet bin, bringt mich Matthew ein bisschen aus dem Konzept. Er hatte ein Charisma, das einen sofort für sich einnimmt. Das liegt sicher nicht nur an diesem jungenhaften Charme, sondern auch an seinem guten Aussehen. Ich wette, dass sich alle Augen auf ihn richten, wenn er einen Raum betritt. Er ist jemand, der das Leben leicht nimmt und allein seine Anwesenheit reicht aus, um das Leben auch selbst leichter zu nehmen.

»Aber eine Sache wäre da noch, die ich verlangen muss«, sagt er schließlich.

»Und die wäre?«, frage ich verunsichert.

Ich will diesen Job, denn ich will meine Serienidee umgesetzt sehen. Seit ich sechzehn bin, gehe ich mit dieser Idee schwanger. Trotzdem hat es mir Mut abverlangt, sie Karissa zu präsentieren, die bei Wilbert Leavitt in seiner Firma Hearttime arbeitet. Sie hat mich damals überredet, sie ihrem Chef vorzustellen. Ich war enttäuscht, als mir Mister Leavitt gestand, dass er den Stab bald an Matt abgeben will. Aber ich war froh, als er versprochen hat, mich zu unterstützen, damit die Idee unter seinem Neffen verwirklicht wird. Ich will diese Chance nutzen, auch wenn sie sich womöglich als Strohhalm erweist – wie mir gerade schwant.

Matthew nimmt seine Hände vom Nacken und faltet sie zu einer Raute. »Du bist eindeutig zu hübsch. Meine Freundin Melody Ireland besteht auf hässliche Assistentinnen oder Männer. Doch Männer lassen sich auf diesen Job leider nicht ein.«

Nicht? Wie kann das nur sein?

Ich unterdrücke ein Grinsen. Was soll ich darauf sagen? Matthew ist berüchtigt für seinen gewaltigen Frauenverschleiß. Ich kann seine Freundin verstehen, obwohl ihr Ruf selbst kaum besser ist. Sie hat durch die Verbindung jede Menge Vorteile für ihren Job als Model und Werbeikone. Sie hat ihn gezähmt, und das Image will gepflegt sein.

»Also, diese blonden Haare sind schon mal ganz schlecht. Melody ist ja selbst blond. Womöglich wittert sie darin mein Beuteschema«, murmelt er vor sich hin.

Echt jetzt? Er verlangte doch jetzt nicht, dass ich sie dunkel färbe?

»Doch die Frisur ist gut«, beschwichtigt er.

Puh – immerhin.

Ich trage sie zu einem Dutt im Nacken gebunden.

»Genauso, wie die Ohrstecker«, fährt Matt fort.

Ich nicke. Der Schmuck ist wunderbar altmodisch. Ich trage die heiß geliebten Perlen meiner Oma liebend gern und halte noch allerlei andere Erinnerungsstücke in Ehren. Die Stecker geben mir genau den seriösen Touch, den ich für Matt brauche. Wer will schon zur leichten Beute eines solchen Hallodris werden?

»Aber ich muss dich bitten, ungeschminkt zur Arbeit zu kommen. Die künstlichen Wimpern müssen ab. Die schönen braunen Augen kann man ja leider nicht verdecken. Obwohl leider … stimmt nicht ganz«, ergänzt er, während er sich nachdenklich übers Kinn streicht.

Jetzt reicht’s!

»Meine Augen sind ungeschminkt. Soll ich mir jetzt vielleicht die Wimpern ausreißen?«, grummle ich.

Matthew zieht die Augenbrauen hoch. Ich kann ein stummes Wow von seinen Lippen lesen.

»Nein, natürlich nicht. Aber lass es mich so sagen … deine Kleidung kann nicht unvorteilhaft genug sein. Zumindest wenn die Gefahr besteht, dass Melody hier vorbeischneit. Das, was du da anhast, ist schon ziemlich gut geeignet. Ich denke, das wird reichen, um sie zufriedenzustellen.« Zu seinem schelmischen Blick gesellt sich ein ebenso schelmisches Grinsen.

Ich lächle zufrieden. Zu dem grauen Wollkostüm, mit über dem Knie reichenden Rock, hatte mir meine Freundin Karissa geraten.

Selbstverständlich würde dieser Playboy alles tun, um seine Freundin zufriedenzustellen. Denn so lange die beiden dieses erfolgreiche Parfüm vermarkten, wird er sich kaum von ihr trennen. Matt und Melody sind DAS Glamourpaar Hollywoods. Ihre Partys sind legendär und von der Boulevardpresse viel beachtet.

Seltsamerweise scheint sein Charme sogar so weit zu reichen, dass ihm sein grenzwertiges Benehmen nie negativ angerechnet wird. Matthew gehört zu denen, die sich um rein gar nichts scheren. Klimawandel, die Umwelt oder die Meinung anderer … ob Luxusjacht oder der private Party-Jet … Matt und seine Freundin lassen’s krachen, ohne Rücksicht auf Verluste. Zwei Kreisel, die sich virtuos um sich selbst drehen und dabei gerne alle, die es interessiert, unterhalten.

»Okay, dann lassen wir es beim Dutt, der unvorteilhaften Kleidung und den Perlenohrsteckern. Falls es Probleme gibt, müssen wir nachverhandeln«, sagt er und schiebt mir den Vertrag zur Unterschrift zu.

So leicht geht das?

Es macht mich skeptisch, doch dann denke ich an mein Ziel und greife zum Kugelschreiber.

»Kannst du morgen anfangen?«, drängt Matt mich.

Jetzt kommen mir auf einmal doch Bedenken. Ich nicke, zögere aber mit dem Unterschreiben.

»Neun Uhr? Ich mag Pünktlichkeit«, fordert er.

Ich druckse um die Antwort herum. ›Das würde mich sehr freuen‹, wäre jetzt gelogen.

Matt sieht mich erwartungsvoll an. »Ich stehe ja eigentlich nicht so auf diese Taktik«, murmelt er, nimmt den Vertrag, streicht das Gehalt durch und setzt die doppelte Summe ein.

Ich schnappe heimlich nach Luft.

»Deal?«, fragt Matt und streckt mir die Hand entgegen.

Was soll’s? Das Gehalt kann sich sehen lassen! »Deal«, antworte ich und schlage ein.

»Super, dann musst du nur noch unterschreiben.«

Schon während ich unterschreibe, gibt Matt der Personalabteilung Bescheid. Mann, hat der es eilig, alles unter Dach und Fach zu bringen. Das wird sicher seinen Grund haben, aber das werde ich sicher erfahren, sobald ich meine ersten Tage hinter mir habe. Wenn es zu schlimm wird, kündige ich eben wieder.

»Du kannst morgen deinen Firmenausweis am Empfang abholen«, informiert er mich.

 

Kapitel 2 Champagnerlaune

 

»Vielen Dank für den guten Rat und die Warnungen, Karissa. Ohne dich hätte ich es nie geschafft«, sage ich und halte mein Sektglas hoch.

Meine Freundin und ich haben zusammen Medienwissenschaften studiert. Während sie Glück hatte und seit einem Jahr bei Hearttime als Produktionsassistentin fest angestellt ist, halte ich mich immer noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Ich möchte lieber bereit sein, für die ganz große Chance einer eigenen Serie. Am liebsten würden wir sie zusammen verwirklichen, deshalb hat sie mich ermuntert, nach der Absage von Mister Leavitt am Ball zu bleiben. Sie hat immer an mich geglaubt, was mir enorm viel Zuversicht gegeben hat.

»Keine Ursache, Emma. Ich hab bloß ein bisschen meine Fühler ausgestreckt, war ja auch nicht uneigennützig«, antwortet meine beste Freundin Karissa und stößt mit ihrem Champagner an. Die Perlen im Glas steigen verstärkt an die Oberfläche und kitzeln in meiner Nase, als ich einen Schluck trinke.

»Also ehrlich gesagt schmecke ich keinen großen Unterschied zu meinem Lieblingssekt«, bemerke ich, nachdem das Prickeln auf meiner Zunge wieder verschwunden ist.

Lächelnd fährt sie sich nach dem Trinken mit der Hand durch die dunklen Locken. »Das macht nichts, manchmal muss man einfach nur wissen, dass es teuer ist«, antwortet sie augenzwinkernd.

»Anscheinend«, seufze ich. »So kam es mir jedenfalls vor, als ich sein pompöses Büro betreten habe.«

»Ja komm, jetzt erzähle: Bitte in allen schmutzigen Details.« Karissa lacht.

»Lach nur! Absolut keine schmutzigen Details. Wenn Matt im Arbeitsmodus ist, will er von nichts abgelenkt werden. Beziehungsweise will es Melody nicht. Allerdings hat er eine sehr seltsame Vorstellung von Arbeit.«

»Na ja, so einer wie er kann sich das eben erlauben. Aber Achtung, es sind immer Blondinen, die er im Visier hat.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber er legt größten Wert darauf, seine Freundin nicht zu verärgern. Er kann es sich sicher nicht leisten, sein gewinnträchtigstes Pferd im Stall zu verlieren. Und vielen Dank für den Einkaufstipp mit dem Kostüm. Es ist zwar fürchterlich kratzig und warm, hat aber genau den Zweck erfüllt, den es sollte.«

»Hihi, ja, das Teil ist wirklich grausam. Der Vorteil ist, dass es wie eine Ritterrüstung gegen seine Attacken wirken wird.«

»Absolut. Und nun darf ich mich so die ganze Woche einkleiden, brauche also noch mehr von dem Zeug. Ich schwitze jetzt schon bei der Vorstellung«, stöhne ich.

»Na ja, du brauchst doch nur Blusen, für jeden Tag eine frische weiße. Beim grauen Kostüm genügt eines zum Wechseln, wenn das andere in der Reinigung ist. Ansonsten kannst du es auslüften, ist reine Schurwolle.«

»Oh Mann, das wird sicher großartig«, seufze ich.

»Die Perlenohrstecker nicht vergessen«, ergänzt meine Freundin mit schiefem Grinsen.

»Die habe ich von meiner Oma geerbt. Sie erinnern mich an sie, aber sind eigentlich nicht für jeden Tag gedacht. Die sind so groß, dass sie am Ohrläppchen ziehen.«

»Ignorier dein Outfit. Es kommt darauf an, dass du endlich zeigen kannst, was in dir steckt. Und jetzt erzähl endlich, wie es lief!«, fordert Karissa ungeduldig.

»Okay … am Anfang konnte ich kaum Luft holen – diese Stimme. Ich war wie hypnotisiert von diesem Mann. Er hat geredet und geredet und ich musste mich arg zusammenreißen, um zuzuhören, was er sagt«, foppe ich sie.

Karissa fällt die Kinnlade runter.

»Dann habe ich mich mit aller Kraft von seinem hinreißenden Gesicht losgeeist und auf seine Hände gesehen, die mit dem teuren Füller gespielt haben. Leider war ich sogar von seinen schlanken, männlichen Händen fasziniert. Ich musste mir ständig vorstellen, wie es ist, wenn sie mich berühren«, scherze ich weiter. Doch so weit weg von der Realität ist das leider nicht. Deshalb hole ich mir konzentriert die Vorstellung vom Golf spielenden Matt auf dem Klo ins Gedächtnis, während ich erzähle.

»Moment, Moment! Emma Andrews«, tadelt Karissa. »Was redest du denn da? Das geht ja wohl in die ganz falsche Richtung.« Karissa hebt die Hände und formt das Time-out-Zeichen. »Was habe ich dir gesagt?«

Ich beiße auf meine Lippen, um mir ein Lächeln zu verkneifen. »Dass Matt in seiner Freizeit ein Frauenjäger ist, der auf Blondinen …«

»Genau! Und weiter?«, wirft sie mit strengem Blick dazwischen.

»Dass ich froh sein kann, dass das so ist, weil ich es dann bei der Bewerbung leichter habe, aber ich auf keinen Fall auf seinen Charme reinfallen darf.«

»Genau. Und was noch?«

»Er kennt keine verantwortungsvolle Beziehung. Er kennt überhaupt keine Verantwortung.«

»Richtig! Und was ist die Konsequenz?«

»Dass ich mich voll auf meine Karriere konzentriere.«

»Puh! Das hast du ja doch behalten. Denk dran, du bist sofort gefeuert, wenn Melody etwas gegen den Strich geht« Karissa atmet laut aus und wischt sich theatralisch den Schweiß von der Stirn.

»Er hat zwar wirklich Charme, aber in dieser Hinsicht brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, antworte ich augenzwinkernd.

Karissas Gesicht verzieht sich, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Er ist der Prototyp eines Egoisten, glaub mir. Ich bekomme bei Wilbert viel zu viel davon mit. Charme hat er vor allem, wenn er etwas will. Den Rest kannst du in der Klatschpresse lesen.«

»Ja, er wechselt Frauen wie Unterhosen, ich weiß. Aber er ist viel zu kindisch, um mir gefährlich zu werden«, beruhige ich sie und erzähle, wie das Bewerbungsgespräch tatsächlich abgelaufen ist.

»Puh, das ist schräg«, seufzt Karissa. »Du hast jetzt sicher eine anstrengende Zeit vor dir. Denk dran, dass du genug auf dem Kasten und nicht nötig hast, dir von so einem Kerl auf der Nase herumtanzen zu lassen. Er wechselt seine Assistentinnen wie Unterhosen. Die Luft wird für ihn dünner, weil das keine lange mitmacht. Das Seltsame ist, dass du bei Hearttime fragen kannst, wen du willst. Jeder, der ihn schon lange kennt, mag ihn.«

»Ist ja schon gut. Du hast ja recht. Es wird schwer werden … irgendwie … anstrengend … und heiß«, sage ich grinsend.

Karissa sieht mich ernst an. »Sein Onkel Wilbert kommt ganz oft vorbei, den musst du auf deiner Seite haben. Dann wird es Matt nicht wagen, dich zu vergraulen.«

»Stimmt. Er hat versprochen, mir zu helfen«, bestätige ich.

»Aus irgendeinem Grund meint mein Chef, dass bei Matt Hopfen und Malz noch nicht ganz verloren sind. Wilbert ist wirklich nett. Und, Geheimtipp, er liebt Zitronenkuchen, genauso wie sein Neffe.«

»Okay … das ist ja schon mal gut.« Backen und Kochen ist schließlich meine Leidenschaft.

Karissa holt einen Zettel aus ihrer Handtasche und wedelt damit vor meiner Nase herum. »Also, ich habe das Zitronenkuchen Rezept von Wilberts verstorbener Frau. Das kriegst du doch hin, oder?«

»Klar. Wie kommst du zu dem Rezept?«, frage ich verwundert.

»Das hat er irgendwann mal in der ganzen Firma verteilt. Er hat seine Frau sehr geliebt und war sehr stolz auf ihre Kochkünste. Wenn du dich erst mal so richtig beliebt gemacht hast, bewirbst du dich noch mal bei Hearttime. Das ist dann sicher nur noch Formsache«, freut sich Karissa mit leuchtenden Augen. »Und dann sind wir beide endlich Kolleginnen und setzen deine Serienidee um.«

»Das klingt ein bisschen sehr optimistisch. Immerhin werden erstmals keine neuen Projekte in Angriff genommen. Ich denke, das wird erst der Fall sein, wenn Matt die Firma übernommen hat.«

»Die Hoffnung stirbt doch zuletzt, oder?« Karissa lächelt mich an und prostet mir noch einmal zu.

Seit der Highschool, und auch später auf dem College, waren wir unzertrennlich. Wer kann schon von sich behaupten, eine so gute Freundin zu haben?

»Du brauchst nur auf mich zu hören, dann kann gar nichts schiefgehen. Es wird funktionieren – früher oder später. Das Arbeiten bei Wilbert ist einfach traumhaft, fast wie in einer Familie. Ganz schön selten in einer Traumfabrik«, schwärmt Karissa.

»Okay, okay, ich hoffe, ich bekomme es hin. Ansonsten können wir nur hoffen, dass unter Matt ein ähnliches Arbeitsklima herrscht«, antworte ich eifrig und hebe die Hände.

»Natürlich bekommst du das hin. Pass auf Melody auf. Du darfst dich nicht zu sehr ärgern oder sogar einwickeln lassen«, warnt Karissa noch einmal. »Matt hasst angeblich Ja-Sager.«

Ich nicke. Das klingt nach Drahtseilakt. »Ich weiß, dass ich bei solch egoistischen Typen wie Matt vorsichtig sein muss. Ich gebe mein Bestes, okay?«

Karissa hält ihre Hand für ein High-five hin, ich schlage lachend ein. »Okay, erzähl mir lieber, was du sonst noch so weißt, was ich beachten muss.«

»Alsooo … meine Kollegin, die schon mal für ihn gearbeitet hat, hat mir da Einiges verraten. Dir muss klar sein, dass du als Neue in der Hackordnung ganz unten stehst. Das heißt, dass du damit rechnen musst, dass dir alle ihre unliebsamen Aufgaben übertragen wollen.«

»Ist das nicht immer so?«, frage ich und nehme einen Schluck. Der Champagner ist inzwischen schal.

»Matt wird damit rechnen, dass du sehr ehrgeizig bist und alles für deine Karriere tust. Vielleicht wird er auch deine Grenzen austesten«, fährt Karissa fort und nimmt einen Schluck aus ihrem Glas. »Hm, das Zeug wird genauso schnell warm, wie das billige«, bemerkt sie und rümpft die Nase.

Lachend hole ich die Flasche aus dem Kühlschrank und halte sie hoch. »Komm, ich fülle dir noch etwas nach.«

Karissa nimmt noch einen Schluck. »Schon besser. Ich schätze, ich muss schneller trinken.«

»Erzähl weiter«, fordere ich sie auf.

»Er testet jede neue Mitarbeiterin auf die harte Tour, damit er sofort merkt, ob sie es mit ihm aushält, oder nicht.«

»Okay. Ich glaube, der erste Test war schon mal das Bewerbungsgespräch.«

Karissa nickt. »Möglich. Mach dich also darauf gefasst, dass du ins kalte Wasser geworfen wirst, indem du dir für ein dämliches Projekt ein Bein ausreißen musst.«

Ich nicke. »Alles klar, dann bereite ich mich schon mal mental darauf vor.«

»Gute Maßnahme. Und vergiss nicht, den Zitronenkuchen zu backen, wenn Onkel Wilbert sich ankündigt. Er ist der Kuchenjunkie schlechthin.«

»Das ist das geringste Problem«, erkläre ich und leere mein Glas mit einem großen Schluck. Warm schmeckt er wirklich nicht besonders.

»Erkundige dich schon mal nach seiner Melody, was die so mag oder nicht. Dann kannst du mit ihr besser umgehen.«

Ich nicke. »Das klingt nach einer guten Taktik.«

»Zumal sich Matt angeblich nie selbst um die Aufmerksamkeiten kümmert, die er den Damen zukommen lässt. Er ist der Meinung, dass Frauen das besser können.«

»Oh je, die armen Freundinnen. Wissen die das etwa?«

Karissa schüttelt den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Was denkst du dir? Aber wenn ›seine‹ Aufmerksamkeiten bei Melody den gewünschten Erfolg haben, stehst du schon mal ganz oben in seiner Gunst. Dann bist du in seinen Augen unentbehrlich und kannst dir mehr erlauben«, erklärt sie und macht mit den Fingern Gänsefüßchen.

»Verstehe, es stärkt meine Position.«

Karissa zwinkert mich an. »Genau. Ich glaube, jetzt hast du’s. Ich hoffe, das ist die richtige Strategie, zu der ich dir gerade geraten habe. Es ist das, was man bei Hearttime so erfährt, wenn man etwas herumfragt.«

Ich nicke. Na, das kann ja was werden … Aber ich bin fest entschlossen, unsere Pläne durchzusetzen. »Wie sieht es aus? Köpfen wir noch eine Flasche?«

»Aber hallo!«, bestätigt Karissa lachend.

 

Kapitel 3 Katerstimmung

 

Wie komme ich eigentlich auf die Idee, am Abend vor meinem ersten Arbeitstag zwei Flaschen Sekt mit meiner Freundin zu trinken? Und wer ist diese Person, die mich so brummig aus dem Spiegel ansieht? Wieso habe ich mich auf diese dämliche Sache eingelassen? Missmutig ziehe ich mit den Fäusten an meinen zerzausten Haaren.

Schnell habe ich die Antwort: Ich bin zu begeisterungsfähig! Ich sollte meine Träume besser begraben. Die Serienidee ist sowieso Mist, genauso wie das erste Drehbuch, das ich schon fertig in der Schublade habe.

Seufzend ziehe ich die Unterhose hinunter und setze ich mich auf die Toilette. Gleich kommt mir der Golf spielende Matt in den Sinn. Wie soll ich das Bild je wieder aus meinem Kopf bekommen?

Karissa hat mir gestern meinen neuen Arbeitgeber in den knalligsten Warnfarben ausgemalt, die man sich nur denken kann. Hätte sie das doch nur früher getan. Aber sie wusste sicher, warum, denn dann hätte ich mir das Ganze überlegt. Ich fürchte, ich muss ihre Warnungen ernst nehmen.

Ich muss verrückt sein!

Doch es ist zu spät, ich habe den Vertrag unterzeichnet. Vielleicht ist es auch nur mein Kater, der mich alles so trüb sehen lässt. Ich muss es wenigstens versuchen, diese Aufgabe zu meistern.

Obwohl ich nicht so üppig frühstücke, ist es schon fünf nach neun, als ich auf meinem neuen Arbeitsplatz ankomme. Dabei hat mich mein neuer Chef gestern noch zu Pünktlichkeit ermahnt. Mist, so etwas passiert mir sonst nie und dann gleich am ersten Arbeitstag. Mit schlechtem Gewissen betrete ich das Gebäude. Sharon erkennt mich und empfängt mich mit Händeschütteln.

»Er hat dir sicher gesagt, dass er Unpünktlichkeit nicht mag«, murmelt sie, während sie meinen Mitarbeiterausweis hervorkramt.

»Ja, hat er. Normalerweise ist das gar nicht meine Art. Ich habe gestern zu lange mit meiner Freundin die neue Stelle gefeiert.«

Über Sharons Gesicht blitzt ein mitleidiges Lächeln. »Mach dir keinen Kopf, er ist selbst noch nicht da.«

Puh. »Dann hab ich ja Glück gehabt.«

»Zeigt sich noch. Du bist auf jeden Fall die erste Blondine, die er einstellt, seit er mit Melody zusammen ist. Du musst einen ziemlichen Eindruck auf ihn gemacht haben.« Mit vielsagender Miene schiebt sie den Ausweis herüber.

»Vielleicht, weil mein Vater Golflehrer ist?«

»Vielleicht«, antwortet Sharon mit süßlichem Lächeln. »Du findest den Weg?«

»Ja, danke. Ich denke schon«, antworte ich, während ich den Ausweis an mein Kostüm hefte. Wie konnte ich mich nur auf diese Dienstbekleidung einlassen? Der dichte Stoff bringt mich jetzt schon zum Schwitzen.

Mein zukünftiger Arbeitsplatz ist merkwürdig leer. Außer einem Computer, jede Menge Aktenordner und einem kaputten Kaffeeautomaten findet sich nichts. Kein Papier, kein Stift oder anderes Büromaterial. Ja, nicht einmal Kaffee ist da.

Auf meiner Suche nach dem Materiallager begegne ich einem bekannten Gesicht. »Hi Pearl. Kannst du mir sagen, wo ich Büromaterial bekomme?«

»Hallo Emma. Ja klar, folge mir.«

»Vielleicht verrätst du mir dann auch, wieso das Vorzimmer so leer gefegt ist?«, frage ich, während ich hinter ihr herlaufe.

Pearl grinst. »Weil jeder diesen Arbeitsplatz so schnell verlässt, wie er kann. Deine Vorgängerin arbeitet jetzt im Großraumbüro und hat ihre Sachen mitgenommen.«

»Auch den Kaffee?«

»Nein, natürlich nicht. Der wird auch so leer sein.«

»Klingt ja noch anstrengender, als ich bisher dachte«, stöhne ich.

Pearl bleibt stehen. »Hattest du ernsthaft einen leichten Job erwartet?«

»Ähm … nein. Aber so merkwürdig habe ich mir die Sache hier auch nicht vorgestellt.«

»So, hier ist die Materialausgabe. Nimm dir, was du brauchst, und trage es auf dem Bogen hier ein«, rattert Pearl herunter, während sie eine Tür öffnet und auf einen kleinen Tisch zeigt.

»Einfach so?«

»Einfach so.«

»Aber ich könnte es ausräumen.«

»Wenn du Lust hast … Hier will sonst keiner das Lager verwalten.«

»Okay, dann … vielen Dank.«

»Gerne. Und noch viel Erfolg«, antwortet Pearl und verschwindet eilig.

Ich komme mir alleingelassen vor. Was für eine merkwürdige Firma. Schnell suche ich eine Schreibunterlage, ein paar Schreibsachen, Mappen und was mir sonst noch ins Auge fällt zusammen. Es wird ohnehin nicht alles sein, was ich brauchen werde, dafür muss ich mir noch eine gesonderte Liste machen.

Als die Sachen auf dem Schreibtisch stehen, sieht er schon gleich anders aus – lebendiger. Morgen bringe ich noch ein paar persönliche Dinge mit.

Matthew ist immer noch nicht da. Also werde ich mich noch ein wenig selbst beschäftigen müssen. Als Nächstes nehme ich mir die Kaffeemaschine vor und stelle fest, dass sie nur entkalkt werden muss. Das Mittel zur Reinigung steht sogar neben der Maschine und ich kann mich an die relativ aufwendige Prozedur machen. Morgen besorge ich den Kaffee. Nachdem ich auch noch alle Chromteile des Apparates geputzt habe, sehe ich erneut auf die Uhr. Es ist fast Mittag und Matthew ist noch immer nicht da.

Als ich den Computer hochfahre und ein wenig über meinen neuen Chef im Internet recherchiere, wird mir klar, warum. Er hat gestern Nacht mit Melody eine ›Abschiedsparty‹ in einem Restaurant gefeiert. Seine Freundin fliegt für eine Fotosession nach New York. Die Party muss nicht nur rauschend, sondern auch unglaublich berauschend gewesen sein. Auf den Bildern tanzt ein sichtlich derangiertes Pärchen auf dem Tisch und prostet sich zu. Man könnte meinen, Melody wandert aus.

Vollkommen ratlos schlendere ich zum Großraumbüro und blinzle unauffällig um die Ecke. Pearl unterhält sich mit einer Kollegin und winkt nur abwesend. Im ganzen Büro sitzen grob geschätzt zwanzig Frauen, dagegen kann ich nur drei Männer erblicken. Alle reden miteinander, wie gackernde Hühner. Was ist das für ein merkwürdiges Arbeitsklima? Ich wage mich ein bisschen hervor, um an den Gesprächen teilzuhaben, und werde geflissentlich ignoriert. Keiner der Kollegen sieht so aus, als hätte er Lust zum Kennenlernen oder auf ein Schwätzchen mit einer neuen Mitarbeiterin.

Auf einmal wird es still, die Menge wirkt plötzlich geschäftig. Kurze Zeit später sehe ich den Grund. Matthew hat das Büro betreten. Zufrieden blickt er nach links und rechts. »So muss es sein. Alle schön fleißig, wenn der Chef vorbeikommt«, verkündet er grinsend. Was ist in der großen Tasche, die er in der Hand hat?

»Hast du das Konzept rechtzeitig fertig?«, fragt er einen der Männer im Vorbeigehen.

»Morgen, wie besprochen«, antwortet der Angesprochene etwas gehetzt.

»Okay, weitermachen.«

Ich beobachte die Szene wie angewurzelt. Achte auf die Reaktion der Kollegen und registriere gar nicht, dass Matt schon fast bei mir angelangt ist. Mein Chef bleibt stehen und stutzt. »Schon fertig mit der Arbeit?«, fragt er mich.

»Guten Morgen Matt«, antworte ich.

»Guten Morgen? Es ist bereits Lunchzeit«, murmelt er.

»Anscheinend genau die richtige Zeit, um mit der Arbeit anzufangen«, kann ich mir nicht verkneifen.

»Wie? Du hast noch nichts gemacht? Bei dem Gehalt, das ich zahle?!« Einige meiner Kollegen drehen sich nach mir um.

Ich schlucke und kann nicht verhindern, dass ich blass werde. Was für ein A…!

»Ich war schon einkaufen, nur für dich«, sagt er, während er großspurig an mir vorbeigeht. Mit offenem Mund weiche ich ihm aus. »Was ist? Komm schon. Sonst schaffen wir heute gar nichts mehr!«, drängelt er.

Etwas verdattert folge ich ihm.

»Hast du wenigstens die Kaffeemaschine schon fertig?«, fragt er, während er eine Packung Kaffeebohnen auf den Schreibtisch stellt.

»Ja, die musste nur entkalkt werden.«

»Na, immerhin. Dann bringe mir gleich eine Tasse ins Büro. Ich habe eine Überraschung für dich«, sagt er und verschwindet mit der Tasche hinter seiner Tür.

Wenn das mal keine böse Überraschung ist.

 

Mit leicht mulmigem Gefühl schnappe ich mir die Packung und koche den gewünschten Kaffee.

Ich hole tief Luft, bevor ich die Tür zu Matts Büro öffne.

»Na endlich! Ich dachte schon, du bist mit dem Kaffee kochen überfordert«, kommentiert er mein Erscheinen.

»Ich muss mich erst in die Maschine einfuchsen«, entschuldige ich mich und stelle ihm die Tasse auf den Schreibtisch.

»Na, wie auch immer … Tada!«, antwortet er und zeigt auf eine zweite Puttingmatte. »Ich habe dir eine Eigene besorgt, damit wir besser zusammen üben können«, verkündet er strahlend.

Ich schnappe nach Luft. Was wird das hier? »Hast du keinen Golflehrer?«

»Schon, aber der kann mir das Üben nicht ersparen.«

»Aber ich doch auch nicht«, gebe ich zu bedenken.

Ein Test. Es ist sicher nur ein Test.

»Das vielleicht nicht, aber du

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Mia Benton / Alica H. White Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Dieses Buch ist rein fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Bildmaterialien: Vektorbild Cover: Pixabay
Cover: Kooky Rooster
Lektorat: Christine Hann
Korrektorat: Christine Hann
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2022
ISBN: 978-3-7554-1235-9

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