Ich stehe hier und kann immer noch nicht begreifen, wie das alles passieren konnte. Im unschuldigen Weiß liegt der Slopestyle-Kurs von Aspen vor mir. Dahinter die kahlen Äste der Laub- und das Grün der Nadelbäume. Die Sonne strahlt vom tiefblauen Himmel und lässt den Schnee leuchten, als bestünde er aus unzähligen kleinen Diamanten. Das atemberaubende Panorama der Berge wirkt heute wie ein verkitschter Ölschinken aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Ich liebe diesen Blick. Immer noch.
Trotz der Enge in meiner Brust sauge ich die kalte, klare Luft so tief wie möglich in die Lungen. Der Geruch ist unverwechselbar. Er pusht meine Seele wie eh und je.
Ich schließe die Augen, wie ich das immer vor den Wettbewerben getan habe, und versuche, den Kurs im Geist abzuspulen.
Es klappt nicht. Immer noch nicht.
Fuck!
Meine Herzfrequenz steigt. Leider liegt das nicht an der adrenalingeschwängerten Vorfreude, wie es jahrelang der Fall war. Das schwarze Loch, das, was meine Erinnerung sein sollte, macht mir Angst. War es früher der Respekt vor der Herausforderung, der meine Konzentration auf Trab gebracht hat, ist es jetzt diese nicht greifbare Art von Beklemmung, die mein Hirn zu Brei werden lässt.
Ich muss es schaffen, wenigstens im Kopf.
Was ist passiert? Wie konnte das passieren? Ich habe mir die Bilder wieder und wieder angesehen. Wie konnte ich vom Geländer abrutschen? Wie konnte ich so unglücklich fallen? Warum ist mir trotz der Protektoren so viel zugestoßen? Ich hatte doch einen Helm auf.
Diese Scheißzeit im Koma. Fast alles ist wieder in meinem Gedächtnis. Nur die zwei Stunden vor dem Unfall, sie wollen einfach nicht zurückkommen.
Wo ist meine Erinnerung? Warum kommt sie nicht zurück?
Auch jetzt nicht. Leere.
Frustriert presse ich die Luft aus den Lungen. Denn solange ich nicht weiß, warum das alles passiert ist, werde ich diese verdammte Panik nicht mehr los. Ich habe gehofft, dass ich das Gedächtnis wiedererlange, wenn ich die Bahn sehe, aber das hat nicht geklappt.
Fuck!
Aber ich gebe nicht auf! Ich werde zurückkommen.
Alle in meinem Umfeld denken, ich bin wieder der Alte. Der strahlende Sunnyboy, der alle mit seinem Charme einwickelt. Doch was sie nicht wissen, ist, dass ich seit diesem verfluchten Tag keine Nacht mehr richtig geschlafen habe, ohne mir die Frage zu stellen, was passiert ist. Warum war ich unkonzentriert? Nur deswegen ist mir dieser eine fatale Fehler unterlaufen. Dass dieser winzige Augenblick all meine Träume, alles, worauf ich jahrelang hingearbeitet habe, zunichtegemacht und mein Leben auf den Kopf gestellt hat.
Meine Mom ist froh, dass es keine Wettbewerbe mehr geben wird. Verständlich. Aber so will ich nicht abtreten. Nicht, ohne zu wissen, warum das alles geschehen ist.
Auch der Besuch des Parcours wird mich nicht weiterbringen. Nicht heute.
Ich verkrampfe mich, presse die Lider zusammen und beiße auf die Unterlippe.
Ich muss loslassen!
Niemand soll merken, was wirklich in mir vorgeht. Die Ärzte sagen, es hätte einen Sinn, dass ich mich nicht erinnere. Mein Körper will mich schützen.
Das ist mir scheißegal!
Ich will mein Leben zurück. Deshalb werde ich mir etwas einfallen lassen müssen. In einem Monat sind hier wieder die X-Games, die könnten mein Gedächtnis triggern. Nur dürfen Mom und meine Freundin Layla nichts von meinem Vorhaben erfahren, sie würden mich aufhalten wollen. »In einem Monat bin ich wieder hier, dann hole ich mir mein Gedächtnis zurück. Also, Showtime, Baby!«, rufe ich über die leere Bahn.
Ticktack, ticktack. Mein Blick huscht von dem dünnen Plastikteststreifen zwischen meinen Fingern hinüber zu der großen hellblauen Wanduhr. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, werde ich ein klein wenig nervöser, und obwohl mir bewusst ist, dass ich noch mindestens vier Minuten warten muss, wünsche ich mir, der große Zeiger würde ein wenig schneller im Uhrzeigersinn wandern. Vergebens. Die Sekunden ziehen sich wie ein endloser Faden in die Länge. Die Zeit kriecht vor sich hin, und ich gehe nervös auf und ab. Was schwierig ist, denn mein Badezimmer ist winzig, und mit nur drei Schritten bin ich am Ende des Raumes angelangt.
Erneut gehe ich denselben Weg zurück. Versuche, die negativen Gedanken, die sich an die Oberfläche schleichen wollen, zu verdrängen. Stattdessen flüstere ich leise: »Dieses Mal hat es geklappt. Ganz bestimmt. Es hat geklappt. Ich weiß es einfach. Ich kann mir all die Symptome nicht einbilden. Ganz bestimmt nicht.«
Noch während ich vor mich hinmurmle, höre ich, wie sich die Wohnungstür öffnet und jemand ruft: »Ich habe meine Aktentasche vergessen. Ich bin gleich wieder weg und …«
Seine Stimme genügt, um mich gleich noch nervöser werden zu lassen.
Verflucht!
Unter gar keinen Umständen möchte ich, dass Richard mich hier vorfindet. Zumindest nicht, solange ich nicht weiß, ob sich unser Wunsch nun endlich erfüllen wird.
Vielmehr mein Wunsch, korrigiere ich meine Gedanken. Ich ignoriere die letzten Wochen und all die Diskussionen, die wir über dieses Thema bereits geführt haben.
»Darling, weißt du, wo ich meine Aktentasche hingelegt habe? Ich kann sie nicht finden und … Wo steckst du überhaupt?«
»Ähm. Ich bin im Bad«, gebe ich zurück und starre auf die Tür. »Hast du schon im Schlafzimmer nachgesehen? Ich meine, deine Tasche dort entdeckt zu haben.« Diese kleine Notlüge müsste mir genug Zeit verschaffen, das Ergebnis auszuwerten und …
Doch noch ehe ich mich umdrehen kann, springt die Badezimmertür auf, und Richard steht vor mir.
Erschrocken mache ich einen Satz zurück. Dabei lasse ich den Teststreifen fallen, der nun direkt vor die Füße meines Freundes segelt.
Sein Blick wandert von mir zu dem Plastikteil auf dem Boden und dann wieder zurück.
»Ist es das, was ich denke?«, murrt er. Seine Mimik ändert sich binnen eines Augenblickes. Tadelnd, fast schon verärgert, sieht er auf mich herab. »Ich dachte, wir hätten das geklärt, Harper. Wir hatten doch besprochen, das Thema Baby langsam angehen zu lassen. Wenn es passiert, dann passiert es. Wenn nicht, dann soll es wohl so sein.«
»Meine Periode ist seit einem Tag überfällig, und ich dachte –«, versuche ich mich rauszureden. In Wirklichkeit ist sie schon vorbei, aber da sie schwächer ausgefallen ist, könnte es trotzdem geklappt haben. Ich habe gezögert, den Test zu machen, aber dann wollte ich doch Klarheit. Immerhin kann man schwanger sein und dennoch die Tage bekommen. Das hat man ja schon oft gehört.
Ich kann mir das doch nicht alles einbilden! Nein, wirklich, ich fühle mich so … schwanger. Oder nicht? Wie fühlt man sich dann? Anders, das ist klar. Aber wie?
»Ich weiß genau, was du dachtest. Schließlich sprichst du seit Monaten von nichts anderem mehr«, unterbricht Richard mich. Seine dunklen Augen haben sich zu zwei kleinen Schlitzen verengt, während er sich mit einer Hand frustriert durch sein schwarzes Haar fährt.
Mir ist durchaus bewusst, dass Richard nicht dieselbe Euphorie beim Thema Baby verspürt wie ich. Was meiner Ansicht nach daran liegt, dass er die Karriereleiter weiter nach oben steigen möchte, während ich bereits da bin, wo ich hinwill. Mit meinen dreiunddreißig Jahren möchte ich endlich ein neues Kapitel in unserem Leben aufschlagen. Denn ich weiß, es bleibt nicht mehr allzu viel Zeit für eine problemlose Schwangerschaft. Ich beuge mich hinab, hebe den Teststreifen auf. »Ich weiß, dass ich die letzten Wochen sehr viel über das Thema geredet habe. Aber dieses Mal bin ich mir wirklich sicher. Es sind andere Anzeichen als die Male zuvor und …«
Ich drehe den Streifen um, starre auf das Anzeigefeld und verstumme.
Meine Vorfreude verpufft und wird von einem wehmütigen Druck auf der Brust abgelöst. Ich wage es nicht, Richard in die Augen zu sehen. Wie könnte ich auch. Dieser erneute Tiefschlag lässt mich kraftlos zurücktaumeln und auf den Toilettendeckel plumpsen.
»Darling, sei bitte nicht traurig.« Richard kommt zu mir und legt mir tröstend die Hand auf die Schulter. »Im Moment ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt für ein Baby.«
Schweigend nicke ich. Es würde mich mehr trösten, wenn er nicht vor dem Satz erleichtert durchgeatmet hätte. Aber ich bleibe stumm, denn meine Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt. Da nimmt man jahrelang Hormone zu sich, um nicht schwanger zu werden, und dann, wenn man es sich so sehr wünscht, geschieht nichts.
Erneut drückt mein Freund meine Schulter und erhebt sich wieder. »Ich muss langsam los. In knapp einer Stunde habe ich mein Meeting, und ich muss noch ein paar Dinge vorbereiten«, murmelt er, beugt sich zu mir und gibt mir einen schnellen Kuss auf die Wange. »Wünsch mir Glück, Darling.«
»Viel Glück«, bringe ich mit Mühe und Not heraus und hebe den Blick, um zuzusehen, wie Richard aus dem Badezimmer eilt.
»Draußen ist es übrigens richtig kalt geworden. Du solltest eine Jacke anziehen«, empfiehlt er noch, ohne sich umzudrehen.
»Hm.« Über das Wetter mache ich mir im Moment gar keine Gedanken. Nein, in meinem Kopf dreht sich alles nur um diese eine Frage. Warum werde ich nicht schwanger? Dabei befolge ich jeden noch so kleinen Ratschlag von meinen Freundinnen und diversen Internetforen, die sich mit diesem Thema befassen.
»Unsere Wintersachen sind im obersten Fach im Schrank, oder?«, ruft Richard durch die Tür.
»Ja.«
»Gut, denn ich brauche unbedingt auch eine. Also dann, bis später.«
Völlig in Gedanken versunken höre ich, wie kurz darauf die Wohnungstür ins Schloss fällt. Mit einem Seufzer rappele ich mich auf. Es hilft ja doch nichts. Ich muss zur Arbeit, ob ich will oder nicht. Lustlos schlendere ich ins Schlafzimmer. Als ich die Tür öffne, trifft mich der Schlag. Unser Kleiderschrank steht noch immer weit offen. Ich liebe es ja, wenn ein Mann männlich ist. Aber Richards Hang zur Unordnung ist schlicht unsexy. Wie so oft hat er alles, was er denkt gebrauchen zu können, herausgezogen. Und anstatt die Sachen, die er nicht benötigt, wieder aufzuräumen, hat er sie einfach auf dem Boden liegen lassen.
Im Moment fühle ich mich zu kraftlos, um seine Klamotten zurückzuhängen. Stattdessen mache ich einen großen Schritt darüber und greife in dem Kleiderschrank nach meiner Jacke. Ich muss mich auf Zehenspitzen stellen, um an die bunte Stoffbox zu gelangen, in welcher sich ein paar Accessoires befinden.
»Jetzt komm schon her«, bettele ich die Box an, die ich lediglich mit den Fingerspitzen berühren kann. Wie so oft wünsche ich mir, ein paar Zentimeter größer zu sein. Doch leider habe ich meine Körpergröße von meinen Eltern geerbt. Mit Mühe und Not schaffe ich es schließlich und ziehe die Box herunter. Dabei segelt auch ein Stück Papier, welches sich darunter befunden hat, an mir vorbei.
Ich bücke mich, um das Blatt aufzuheben, und möchte es schon wieder zurücklegen, da fällt mein Augenmerk auf das Logo einer Klinik in Las Vegas. Ich war noch nie dort und werde neugierig.
Ich drehe das Papier, und was ich dann zu sehen bekomme, zieht mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Blut weicht aus meinem Kopf. Mir wird schwindelig, ich sollte mich besser aufs Bett setzen.
»Nein … Das kann nicht sein … Nein«, stottere ich und blinzle verzweifelt.
Das hier muss ein Scherz sein! Einer der übelsten Sorte!
Ich taumele rückwärts. Benommen. Kraftlos. Erst als ich die Matratze in meinen Kniekehlen spüre, lasse ich mich darauf sinken.
Wie kann mich der Mensch, der mich angeblich liebt, so hintergehen? Mit jedem Gedanken, der durch mein Hirn schießt, bricht ein Stück meiner perfekt geglaubten Welt weiter auseinander. Dieses dumme Papier ändert alles.
Erfolgreich!
Das Wort will nicht mehr aus meinem Kopf verschwinden. Warum hat er das gemacht? Warum hat er das nicht mit mir besprochen? Übelkeit steigt in mir empor, raubt mir die Luft zum Atmen. Wie konnte er mir das nur antun? Wie konnte er mir so ins Gesicht lügen?
Ich presse meine Hand vor den Mund. Eine einzelne Träne quillt hervor, bahnt sich einen Weg meine Wange hinab. Ich wünschte, das alles wäre nur ein böser Traum. Doch das Stück Papier in meiner Hand sagt mir, dass dem nicht so ist.
Alles ist real. Zu real!
Ich schließe die Augen und sehe Richards Gesicht vor mir. Seine tröstenden Worte, die er immer ausgesprochen hat. Jedes Mal wenn die Enttäuschung meine Kehle zuschnürte, bis zuletzt, als mir immer mehr der Boden unter den Füßen wankte beim Anblick des negativen Testergebnisses.
Dabei wusste er es! Jedes verfluchte Mal!
Ich springe auf. Meine Trauer wird von einem ganz anderen Gefühl verdrängt.
Wut. Unfassbare Wut!
Wie konnte er so respektlos sein und mir so dreist ins Gesicht lügen?!
Ich bin doch kein dummer Teenager!
Eilig hole ich meinen Koffer hervor und werfe planlos ein paar Sachen hinein. Ich bin so in Rage! Ich muss mich beruhigen, damit ich nachdenken kann. Ich werde zu meinen Eltern nach Silverton fahren. Wenn ich dort mit Skiern die Berge hinunterrausche, bin ich ganz bei mir, und mein Kopf wird wieder frei. Ich sollte vorher mit Richard reden, ruhig und sachlich, das weiß ich. Aber im Moment kann ich das nicht. Dafür sind mir die Tatsachen zu endgültig. Vorher will ich meine Gedanken runterkühlen, doch selbst das ist nicht möglich – nicht hier, wo er mir jeden Tag begegnet.
Erschrocken halte ich inne. Ich muss doch zur Arbeit!
Nein, das geht nicht! Nicht die nächsten Tage. Wenn ich so spontan keinen Urlaub bekomme, kann ich nur krankfeiern. Die Saison in Las Vegas ist vorbei, das mit dem spontanen Urlaub sollte also kein Problem darstellen.
Wo ist bloß meine Skibrille? Ich habe keine Lust, danach zu suchen. Ich werde mir einfach in Aspen, wo ich ohnehin vorbeifahre, eine neue kaufen. Hauptsache, ich bin verschwunden, bevor Richard nach Hause kommt.
Als ich den Koffer schließe, schießt mir das nächste Problem durch den Kopf. Wie immer hat Richard den Rangerover mit Vierradantrieb genommen, um damit zur Arbeit zu fahren. Ich habe nur meinen Käfer-Cabrio, der für das Wetter hier völlig ausreicht. Aber nicht für das in Colorado. Dort ist es bitterkalt, es fällt bis zu zehn Meter Schnee in der Saison, und der Vierradantrieb wird dringend benötigt. Egal, zur Not besorge ich mir Schneeketten. Die kriege ich auch in Aspen. Ein Blick auf die Wetter-App sagt mir, dass ich noch ganz gut nach Silverton durchkommen müsste.
Plötzlich überfällt mich mein schlechtes Gewissen. Kann ich einfach so verschwinden? Richard wird sich Sorgen machen. Hat er das verdient? Ich werde ihm sagen, dass ich nach Hause fahre. Aber nicht jetzt. Nicht solange ich so aufgewühlt bin. Ich muss zuerst meine Gedanken sortieren. Das alles sich setzen lassen. Die mehrstündige Autofahrt wird vielleicht helfen.
»Layla, hi, was gibt’s?«, begrüße ich meine Freundin über die Freisprechanlage im Auto.
»Lucas, wo bist du?«, fragt sie aufgeregt.
»Mach dir keine Sorgen.«
»Was soll das heißen? ›Mach dir keine Sorgen.‹ Natürlich tue ich das.«
»Musst du aber nicht«, beschwichtige ich sie so überzeugend wie möglich. »Ich brauche einfach eine Auszeit.«
»Bei den X-Games? Da willst du doch hin, oder? Warum hast du das nicht mit mir besprochen? Ich wäre doch mitgekommen.«
»Nein, Layla, da bin ich nicht. Ich kann dir nicht sagen, wo ich bin. Ich muss nachdenken«, antworte ich gereizt. Mir ist bewusst, dass sie es nicht verstehen wird. Sie kann einfach nicht kapieren, warum ich diese zwei Stunden in meinem Gedächtnis wiederfinden will.
»Das kannst du doch auch, wenn ich dabei bin«, fleht sie. »Ich bin doch immer mitgekommen, überallhin.«
Ich atme tief durch. »Da wollte ich auch nicht meine Erinnerung zurück. Du weißt, dass ich das tun muss. Allein.«
»Nein.«
Das Gespräch dreht sich im Kreis, wie so oft in der letzten Zeit. Fast scheint es mir, als wollte Layla mich um jeden Preis von meinem Vorhaben abhalten. ›Ich will dich doch nur schützen‹, sagt sie ständig. Mir geht ihr Gehabe ziemlich gegen den Strich. Ich tue es ungern, aber ich muss den Stecker ziehen, auch wenn Layla es wahrscheinlich sofort durchschaut. Sie soll mich nicht von meinem Plan abbringen. »Layla?! Bist du noch da?! Es knackt so in der Leitung!«
»Natürlich bin ich noch da! Die Verbindung ist glasklar. Lucas! Untersteh dich das Gespräch –«
»Layla! Layla! Ich kann dich nicht hören!«
»Nicht schon wieder dieser alte Trick! Lucas! Wo bist du?!«, faucht sie streng.
Das weißt du besser nicht, denke ich und mache ein Geräusch mit den Fingernägeln auf dem Armaturenbrett, bevor ich auflege. Genau ein Jahr nach meinem Unfall will ich mich intensiv mit den Stunden davor beschäftigen. Es wird Zeit, dass ich mich erinnere. Doch dazu muss ich erst einmal den Kopf freibekommen – frei für den Blick auf das Vergessene. In Aspen, diesem relativ großen und lebhaften Ort, wird mir das nur schwer gelingen. Da bin ich mir sicher. Auch wenn Layla nicht dabei ist, das rege Treiben hier macht es fast unmöglich, mich zu konzentrieren.
Loslassen solle ich, haben die Ärzte geraten. Wenn ich es unbedingt will und mich dabei verkrampfe, hat mein Hirn es schwerer. Leichter gesagt, als getan. Schließlich ist Layla nicht die Einzige, die mich davon abhalten will, in der Vergangenheit zu kramen.
Die andere Person ist meine Mom, die von der Angst besessen ist, dass ich wieder auf ein Snowboard steige und noch einmal mein Schicksal herausfordere. Doch ohne dass ich weiß, wie das alles hat kommen können, würde ich gar keinen Parcours mehr bewältigen. Und genau darauf spekuliert sie. Keine Erinnerung – keine Wettkämpfe – keine Gefahr.
Als hätte ich sie mit meinen Gedanken dazu aufgefordert, ruft Mom an.
»Lucas, Kind, wo bist du? Wir machen uns Sorgen.«
Hörbar laut stöhne ich auf. War ja klar, dass Layla meine Mom kontaktiert hat, um sie zu fragen, wo ich bin.
»Das brauchst du nicht, Mom«, beschwichtige ich und versuche dabei angestrengt, einen genervten Tonfall zu unterdrücken.
»Wenn du das sagst, tue ich es erst recht. Wo steckst du?«
»Ich bin schon ein großer Junge, Mom«, erwidere ich. Mit meinen knapp dreißig Lebensjahren sollte sie das doch wissen.
»Bitte fahr nicht nach Aspen. Es ist vorbei. Auch ohne Wettkämpfe hast du doch ein gutes Leben und eine Freundin, die dich liebt.«
»Nein, Mom. Ich fahre nicht nach Aspen.« Das ist immerhin nicht ganz gelogen. Schließlich bin ich schon da, werde aber auch nicht hierbleiben.
»Ich will nur nicht, dass noch einmal etwas passiert. Bitte, bitte, keine Akrobatik auf dem Snowboard.«
»Wo denkst du hin, Mom? Ich habe doch noch nicht einmal ein Snowboard dabei.«
Ihr weinerliches Räuspern lässt mich schlucken. Nein, sie soll mich nicht weichkochen. Mein Leben wird erst weitergehen, wenn meine Fragen beantwortet sind.
»Was versprichst du dir nur davon?«, erklingt es mit gebrochener Stimme.
»Mom, das habe ich dir schon oft zu erklären versucht. Ich habe das Gefühl, ich muss ein paar Dinge in meinem Leben ändern. Irgendetwas fühlt sich falsch an. Ich weiß bloß nicht, was und warum.«
»Ich weiß, ich versteh es nur nicht«, wimmert sie.
»Mom, du brauchst keine Angst um mich zu haben, wirklich nicht. Ich muss jetzt Schluss machen.« Noch bevor sie etwas erwidern kann, lege ich auf.
Ich war durch das Gespräch mit meiner Mutter abgelenkt und habe die Anklopffunktion meines Handys überhört.
»Lucas Holt! Das ist der Gipfel!«, kreischt Layla durch den Lautsprecher.
Ich unterdrücke ein Stöhnen. »Hi Layla, da bist du ja wieder. Wir sind unterbrochen worden.«
»Tu nicht so unschuldig, du Blödmann!«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Oh doch. Ich hatte dich nach deiner Adresse gefragt!«, keift meine Freundin.
»Und ich hatte gesagt, dass ich allein sein will«, antworte ich lapidar. Unwillen grummelt in meinem Bauch, steigt mir mehr und mehr in den Kopf zu steigen und erhöht dort den Druck.
»Du kannst da nicht allein sein!«, zischt sie giftig.
»Was soll das denn heißen? Du kannst mich doch nicht herumkommandieren.«
»Und du kannst mich nicht so einfach ausschließen. Was ist, wenn du das alles nicht bewältigst, was auf dich einströmt? Hast du die Ärzte gefragt?« Layla versucht, ihre Stimme besorgt klingen zu lassen.
»Ja, habe ich«, antworte ich nachdrücklich. Ihre Hartnäckigkeit geht mir ziemlich gegen den Strich. »Mach dir keine Gedanken. Ich weiß, was ich tue.«
»Weißt du nicht!«, kreischt sie.
»Layla, stell meine Geduld nicht zu sehr auf die Probe«, warne ich mit gesenkter Stimme.
»Willst du mir etwa drohen?!«
Ich sehe Layla vor meinem inneren Auge, wie sie ihre Fäuste in die Hüften stemmt.
»Nur wenn du mir drohen willst«, stöhne ich genervt.
»Wenn du mich liebst, kommst du zurück«, bettelt sie weinerlich.
»Das ist Erpressung! Ich lasse mich nicht erpressen.«
»Na schön, Vorschlag zur Güte … Sag mir, wo du übernachtest«, säuselt Layla.
»Was wird das hier? Ich will allein sein. Kapier das endlich!«
»Du musst wissen, was du tust. Wenn du allein sein willst, dann bist du es – ab jetzt immer«, erwidert sie beleidigt.
»Layla! Was soll das heißen?!«
»Das soll heißen, dass du dich überhaupt nicht für meine Gefühle interessierst!«
»Das stimmt doch gar nicht.«
»Und ob das stimmt. Du nimmst überhaupt keine Rücksicht auf mich!«, keift es durch den Lautsprecher.
»Ich hör mir das jetzt nicht länger an!«
»Das brauchst du auch nicht! Nie mehr!«, giftet sie und legt auf.
Was soll das jetzt? Wütend wähle ich ihre Nummer.
»Wie meinst du das?!«, frage ich sofort, als sie abnimmt. Ich muss das Gespräch kurz halten, denn ich biege gerade auf den Parkplatz des Sportgeschäftes ein.
»Wenn du nicht sofort zurückkommst, ist Schluss!« Peng! Aufgelegt.
In mir kocht das Blut und rauscht in den Ohren. Diese zickige Dramaqueen! »Na, dann ist eben Schluss«, murmle ich vor mich hin. Im selben Moment wundert es mich, dass mich dieser Gedanke überhaupt nicht erschreckt. Sie wird es sich sicher noch einmal überlegen.
Ich habe mich ablenken lassen und kann nur noch zusehen, wie ein mit Blumen bemalter Käfer Cabrio in den von mir anvisierten Parkplatz fährt.
Noch aufgebracht von den anstrengenden Gesprächen davor, drücke ich ungeduldig auf die Hupe meines Ford Pick-up und lasse die Scheibe herunter. Der große Wagen ist ein Überbleibsel meiner aktiven Wettbewerbszeit. Auch wenn ich vielleicht nie wieder einen Slopestyle-Kurs herunterfahren werde, hänge ich an dem Teil.
»Hey Sie da, mit Ihrer Althippie-Kutsche! Das ist mein Parkplatz!«, rufe ich genervt, als die Fahrerin aussteigt.
»So? Hier steht aber gar nicht, dass dieser Platz für Grünschnäbel mit Papas Suppenschüssel reserviert ist«, giftet die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe. Irritiert halte ich die Luft an. Unter langem, kastanienbraunem Haar lugen zwei große braune Kulleraugen mitsamt kleiner Stupsnase hervor. Besonders gefangen bin ich von ihren vollen Lippen, die geradezu zum Küssen einladen. Sie grinst spöttisch, und ich muss erst einmal schlucken.
»Da hinten ist noch eine Parklücke frei.« Mit einem Augenzwinkern zeigt sie auf das andere Ende des Stellplatzes.
Gebannt von ihrer Stimme und Ausstrahlung kann ich nur baff nicken. Die Frau hebt die Augenbrauen, zuckt mit den Schultern und verschwindet im Laden. Es ist bloß ein kurzer Moment, aber so lange hätte ich besser nicht zögern sollen, denn als ich in die Richtung des freien Parkplatzes fahre, wird der gerade besetzt. So bleibt mir nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass noch einer frei wird. Als ich endlich den Laden betrete, geht die Schönheit gerade wieder heraus und lächelt mich unschuldig an. So ein Herzchen … Die hat mich jetzt genug geärgert.
Zielstrebig gehe ich zum Ausrüstungsverleih und borge mir das hochwertigste Snowboard aus, das im Angebot ist. Dazu kaufe ich mir neue Kleidung. Alle alten Sachen hat Mom weggeschmissen, als ich im Koma lag.
»Wissen Sie eigentlich, dass Sie verdammt viel Ähnlichkeit mit Lucas Holt haben? Wenn Sie sich nicht eine Ausrüstung geliehen hätten, würde ich glauben, Sie wären das«, sagt der Verkäufer, während er mir die Ausstattung über den Tresen schiebt.
»Ja, so was höre ich öfter. Schön wär’s. Aber so gut wie er werde ich wohl nie«, antworte ich schulterzuckend und verkneife mir ein Grinsen.
»Kaum einer ist so gut wie er. Ein paar Jahre hat er die Szene beherrscht, bis zu diesem schrecklichen Unfall. Seitdem ist er völlig von der Bildfläche verschwunden.«
»Davon habe ich gehört. Seitdem ist er wohl nicht mehr derselbe«, erwidere ich ungerührt.
Der Verkäufer nickt. »Viel Spaß, Mister.«
»Danke.« Den werde ich mir nicht nehmen lassen.
Kaum habe ich den Laden verlassen, wandern meine Gedanken zu der faszinierenden Parkplatzdiebin. Einen Moment bin ich sogar in Versuchung, hier in Aspen zu bleiben, nur um die Chance zu haben, ihr noch einmal zu begegnen. Sofort schüttle ich die Vorstellung wieder ab. Ich habe eine Freundin, die mich sicher noch liebt – sobald sie sich wieder beruhigt hat.
Doch tue ich das auch? Komischerweise stört mich der Gedanke an ein Ende der Beziehung gar nicht so sehr. In den letzten Wochen, ja Monaten, war unsere Verhältnis – sagen wir mal – kompliziert.
Mit einem Kopfschütteln versuche ich diese Überlegung loszuwerden. Ich muss jetzt wichtigere Sachen erledigen, als unbekannten Frauen zu begegnen.
Ich werfe die Ausrüstung auf die Ladefläche meines Pick-ups und mache mich auf den Weg nach Silverton Mountain. Das ist das steilste und eins der anspruchsvollsten Skigebiete in Nordamerika. Die nicht präparierten Pisten werden lediglich auf Lawinengefahr geprüft, dort fahren nur Könner. Wer sich nicht auskennt, benötigt einen Guide. Leider werde ich auch einen brauchen, denn ich hatte in den letzten Jahren nur wenig Zeit für diese Art von Freiheit. Allein in der wilden Natur. Eins sein mit den Elementen, das macht den Kopf frei. Okay, allein mit dem Führer, schließlich bin ich nicht lebensmüde …
Als ich in den hübschen Ort einbiege, überkommt mich ein Glücksgefühl. Die liebevoll gepflegten alten, bunten Häuser lassen ihn nostalgisch wirken. Silverton wurde in einer früheren Caldera gegründet und hat nur ein paar hundert Einwohner. Die kleine Stadt hat ihre Wurzeln im Bergbau, als die Berge für ihren hohen Mineraliengehalt bekannt wurden und die Blair Street für ihre zwielichtigen Damen. Jetzt sind die Minen Touristenattraktion im Sommer, die Bordelle sind Hotels und die Höhen berühmt für ihre riesigen Schneemengen.
Ich habe ein Zimmer in einer dieser ›Bordellpensionen‹ reserviert. Früher, als ich noch an den Wettbewerben hier teilgenommen habe, habe ich von diesem Ort gehört. Schon damals haben die urigen Häuser meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, einmal hierherzukommen und in einem dieser Hotels zu übernachten. Doch Lalya war immer dagegen. Für sie war es zu einsam dort und nicht luxuriös genug. So haben ›wir‹ ein Hotel in Aspen vorgezogen. Apropos Layla. Ich sollte noch einmal mit ihr telefonieren. Aber zuerst werde ich mein Zimmer beziehen und mir ein paar Minuten Ruhe gönnen.
Zielsicher marschiere ich über die geräumte Schneedecke auf die Pension zu, klopfe die Schuhe ab und trete dann ein. Mein Blick fällt auf den altertümlichen Kachelofen, der aussieht, als ob er hier schon ein halbes Jahrhundert stehen würde. Wohlige Wärme empfängt mich. Sie führt dazu, dass ich meine Wollmütze vom Kopf ziehe und mir kurz durch das Haar fahre, bevor ich zum Tresen gehe, hinter dem ein Mann auf mich wartet.
»Einen wunderschönen guten Tag, Mister. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?«
Ich nicke. Bis auf die Telefonate und den Zwischenfall auf dem Parkplatz ist die Autofahrt gut verlaufen. Ich nenne ihm meinen Namen. »Lucas Holt, ich hatte reserviert.«
»Verzeihen Sie, sind Sie der Lucas Holt? Ich kann es kaum glauben«, erwidert der Rezeptionist erfreut.
»Falls Sie den mit den sportlichen Erfolgen meinen, dann ja.«
»Nolan Moore, der Besitzer dieser kleinen Pension. Ich freue mich sehr, dass ich Sie hier begrüßen darf.« Strahlend streckt er mir die Hand entgegen. Ich sehe ihn mir näher an. Er hat volle graue Haare und warme, dunkelbraune Augen. Offensichtlich ist er stolz, einen ehemaligen Snowboardstar bei sich zu beherbergen. Es fällt mir nicht schwer, zurückzulächeln, während ich ihm die Hand schüttle.
»Kann ich bitte Ihren Ausweis bekommen?«
Ich nicke, krame ihn hervor und reiche ihn hinüber.
Routiniert nennt er mir die Frühstückszeiten und meine Zimmernummer.
»Einen angenehmen Aufenthalt«, wünscht er, als er mir den altmodischen Schlüssel zum Zimmer überreicht.
»Danke. Eine Bitte habe ich noch. Es wäre sehr nett, wenn niemand erfahren würde, dass ich hier bin und wer ich bin«, sage ich.
Nolan nickt. »Selbstverständlich.«
»Wie sind eigentlich die aktuellen Schneeverhältnisse hier?«, frage ich.
Der sympathische Mann lächelt warm. »Sie haben einen günstigen Moment erwischt. Vor ein paar Tagen hatten wir Neuschnee.«
»Sind auch ein paar attraktive Wege freigegeben?«
»Sicher. Aber haben Sie keinen Guide gebucht?« Er zieht sich die gestreifte Weste glatt, als ob er verlegen wäre.
»Nein, noch nicht. Können Sie mir einen besorgen?«
»Natürlich, Sir. Kein Problem. Das übernehmen wir gerne für Sie. Sie wissen, dass die Lifte um fünfzehn Uhr schließen? Das Gelände hier ist nur für Frühaufsteher.«
»Schon klar. Von mir aus können wir starten, sobald es hell genug ist.«
»Okay, dann bestelle ich Ihren Guide für neun Uhr am Lift. Er wird einen Button tragen, an dem Sie ihn erkennen, falls noch mehr Führer da sind, die mit Ihnen nach oben wollen.«
»Ich danke Ihnen«, verabschiede ich mich höflich.
»Möchten Sie noch etwas essen, Sir?«, fragt er, als ich schon das Gepäck aufnehme.
Ich drehe mich wieder um. »Heute nicht. Ich möchte gleich noch ein paar Schritte durch den Ort laufen.«
»Wie Sie wünschen, Sir.«
Die Dielen knarren, als ich mit meinem kleinen Koffer und einem Teil der Ausrüstung den Flur entlanggehe. Mein Zimmer ist klein und hat die rustikale Gemütlichkeit eines Raums aus einem alten Western. Ich werfe den Trolley auf das dafür vorgesehene Gestell, ziehe meine Jacke aus, schmeiße sie auch darüber und lasse mich erschöpft auf das große Holzbett plumpsen, das mich mit einem lauten Ächzen begrüßt.
Müde reibe ich über meine Augen. Ich wollte ja noch einmal Layla anrufen. Vielleicht sollte ich es besser nicht tun, denn alles in mir sträubt sich dagegen, auf ihre unsensible Art einzugehen. Nur mit Widerwillen greife ich zum Handy.
»Na? Hast du dich wieder beruhigt?«, entschlüpft es mir, als sie abnimmt.
»Was bildest du dir ein, du arroganter Arsch?«, ätzt sie zurück.
Mein Herz hämmert.
»Okay, dann ist ja alles klar. Ich wollte nur noch einmal wissen, ob wirklich Schluss ist«, fauche ich. Ich habe keine Lust auf so ein Gespräch und denke nicht im Traum daran, mich von ihr beleidigen zu lassen.
Der Wunsch, noch einmal durch den Ort zu spazieren, ist einem drängenderen Bedürfnis nach Alkohol gewichen. In dieser Situation gehe ich besser nicht nach draußen. Jedenfalls nicht, wenn ich morgen früh auf die Piste will.
Vielleicht hätte ich mir doch Essen aufs Zimmer schicken lassen sollen? Unschlüssig schnappe ich mir die Fernbedienung des Fernsehers und zappe durch ein paar Werbekanäle. Das lenkt mich etwas ab, und ich bekomme richtig Lust, wieder mit dem Snowboard über den Tiefschnee zu fliegen. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Kleine weiße Kristalle rieseln langsam vom Himmel und laden fast dazu ein, noch einmal nach draußen zu gehen. Kurzzeitig überlege ich, das zu tun, entscheide mich dann aber für das warme Zimmer und den Fernseher. Vielleicht werde ich nachher, vor dem Schlafen, noch frische Luft schnappen.
»Es ist schön, wieder hier zu sein, Mom.«
»Und es ist so schön, dich hierzuhaben, Harper.« Mom greift nach meiner Hand, und die Wärme, die sie ausstrahlt, gemischt mit dem seligen Lächeln, welches sie mir schenkt, führt dazu, dass ich schwer schlucken muss. Doch ich lächle beherzt zurück.
Noch weiß sie nichts davon, was in den letzten Stunden vorgefallen ist, weder von Richards Geheimnis noch, dass er mich monatelang belogen hat. Sie weiß nichts von all den Tränen, die ich auf der Fahrt hierher geweint habe. Von dem Schmerz, der sich tief in meine Brust gebohrt hat, und davon, dass der Mann, den ich zu kennen glaubte, gar nicht der ist, der er vorgibt zu sein.
Je näher ich meiner Heimat kam, desto leichter wurde mein Herz. Schon in Aspen freute ich mich auf die Geborgenheit und Sicherheit zu Hause. Bei der Begegnung auf dem Parkplatz habe ich sogar ein Lächeln hinbekommen, auch wenn es ein wenig aufgesetzt war. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass es die richtige Entscheidung war, sich Richards Einfluss zu entziehen. Doch kann ich die letzten Jahre mit ihm einfach so abschütteln? Hier werde
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Texte: Alica H. White / Leana Winter
Bildmaterialien: ©Schutterstock.com (Rustic, Ellegant)
Cover: Marie-Katharina Becker; www.wolkenart.com
Lektorat: Dr. Andreas Fischer
Tag der Veröffentlichung: 28.10.2020
ISBN: 978-3-7487-6256-0
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