Cover

Das Buch:

 

Nie wieder in so einem Aufzug zum Feiern gehen! Das schwört sich Frauke, als sie mit ihren Freundinnen aufbricht, ihre Scheidung zu vergessen. Die vier Frauen lenken die Blicke auf sich, doch Frauke wäre am liebsten unsichtbar. Bis sie Elias begegnet. Lässig, sexy und unverschämt gutaussehend verschafft er ihr ein aufregendes Kribbeln, das sie zögernd anfängt zu genießen. Schon bald schwelgt sie in nie gekannten Gefühlen. An diesem Abend interessiert es sie nicht, wer Elias wirklich ist und die beiden vergessen die Zeit.
Für Elias steht fest, dass es mehr ist und er offenbart sich. Noch ahnt er nicht, dass für Frauke der siebte Himmel und die Hölle verdammt nah beieinander liegen…

 

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher

Genehmigung von Alica H. White

 

Dieses Buch ist rein fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Prolog in Bierlaune


»Das ist eine tolle Idee, das machen wir!«, Karina lächelte begeistert.

»Meinst du wirklich, Manu? Ist das nicht zu unanständig?« Lea war die Skepsis ins Gesicht geschrieben.

»Nein, nein, Lea, ich hab solch einen Busen schon zum Feiern angehabt, das ist prima angekommen!«

Die vier Freundinnen blickten noch einmal zur Bühne der örtlichen Frauensitzung. Mit verhaltener Eleganz und bescheidenem Rhythmusgefühl bewegte sich die Tanzgruppe der katholischen Frauengemeinschaft über die Bühne. Aber nicht die Professionalität der Tanzdarbietung war das Faszinierende für Frauke, sondern die obszöne Freizügigkeit der Kostüme. Die Tänzerinnen trugen riesige Plastikbrüste und kleine Teufelshörner.

Der Gesang ist wohl Playback, dachte sich Frauke gerade, als die ausgefeilte Choreographie eine Drehung vorsah. Das ermöglichte einen Blick auf prachtvolle, zum Busen passende Plastikärsche.

Frauke wohnte nun schon seit über zehn Jahren im Rheinland, entdeckte aber immer wieder neue, seltsame Karnevalsbräuche.

»Was meinst du, Lea?«, schrie sie, den Mund möglichst dicht an ihrem Ohr. »Möchtest du so ein Kostüm tragen?«

Diese zuckte nur mit den Schultern. »Lass uns das nachher besprechen!«, brüllte sie schließlich zurück und klatschte ausgelassen mit den Händen.

Also wanderte Fraukes Blick wieder zur Bühne. Mit so etwas hatte sie bei einer katholischen Frauensitzung nicht gerechnet. Überhaupt, wie hatte sie sich eine solche Veranstaltung vorgestellt? Sittsamer. Vor allen Dingen sittsamer! Manche der Beiträge konnte man nur mit Wohlwollen als unartig bezeichnen, im Grunde waren sie nichts anderes, als versaut. Frauke war im evangelischen Norddeutschland aufgewachsen, dort wurde kaum Karneval gefeiert. Und wenn, dann nicht so ausgelassen, wie hier. Ihre Mutter hatte ihr schon als Kind verraten: »Die Katholiken, die sind hemmungsloser, die legen eine Beichte ab und schon sind alle Sünden vergeben!«

Ob sie sich dann dafür am Aschermittwoch alle ein Aschekreuz auf die Stirn malen lassen? Mit diesem Ritual in der heiligen Messe zum Beginn der Fastenzeit soll der Mensch an seine Vergänglichkeit erinnert und zur Umkehr aufgerufen werden.

Als zwei ›Weather Girls‹ Doubles die Bühne betreten und ›It’s Raining Men‹ zum Besten gaben, waren die Zuschauer endgültig nicht mehr zu halten. Etliche von ihnen kletterten auf die wackeligen Bierzeltgarnituren, mit denen die Turnhalle ausgestattet war, und brüllten. Die, die noch auf dem Boden geblieben waren, schunkelten.

Leider konnte von einem ›Männerregen‹ keine Rede sein. Zur Frauensitzung durften auch nur diese in den Saal. Natürlich waren als Bedienung, Bühnenbauer und Band auch wenige (systemrelevante) Exemplare des starken Geschlechts zugelassen.

Frauke und ihre Freundinnen waren als Putzfrauen verkleidet. Ja, hier kann man so etwas wagen, ein Kostüm, das unattraktiv macht.

Frauke fragte sich gerade, was bei einer Herrensitzung wohl geboten wurde, als sich Karina unterhakte und sie zum Schunkeln mitriss. Der Refrain ließ das Trommelfell vibrieren.

»Am besten grölt man mit, dann kommt mehr Stimmung auf«, verriet Manuela.

Auf jeden Fall durfte vor der anstehenden Fastenzeit, die meist nur noch aus figurtechnischen Gründen eingehalten wurde, noch einmal richtig zugeschlagen werden.

»Habt ihr Durst?«, fragte Manuela. Ohne auf eine Antwort zu warten, winkte sie lässig mit dem Arm und nickte der männlichen Bedienung zu. Der Kellner kam herangeeilt, das Tablett ausschließlich mit gefüllten Altbiergläsern bestückt. Wer hier etwas anderes als Bier trinken wollte, musste viel Geduld mitbringen. Jeder bekam von dem breitschultrigen Schönling ein Glas des dunklen, herben Gebräus zugeteilt.

»Danke! Für diese Veranstaltung braucht man wirklich einen gewissen Alkoholpegel, sonst ist das hier nicht auszuhalten!«, tönte Lea ausgelassen in die Runde, die anderen nicken zustimmend.

Dann stimmte die Band ›Die Vögelein vom Titikakasee‹ an. Da mussten, ähnlich wie beim Ententanz, lächerliche Bewegungen nachgeahmt werden. Also hob Frauke bei Sonnenschein das Schwänzchen in die Höh. Warum auch nicht? Hier machten sich schließlich alle zu Idioten!

Schnell nahm sie noch einen kräftigen Zug aus dem Bierglas, das erhöhte die Toleranzgrenze.

Danach wurde doch tatsächlich ein ›ernsthafter‹ Sketch eingestreut. Die Stimmung ging sofort steil nach unten.

»Das ist ja wohl nicht deren Ernst, uns jetzt wieder von den Tischen zu holen«, maulte Manuela und blickte fragend in die Runde. Natürlich war sie sich der Zustimmung ihrer Freundinnen sicher.

Lea zupfte dem gerade vorbeilaufenden Kellner auffordernd am Hosenbein. Wie sollte man auch sonst die Stimmungslücke füllen? Wieder stand ein frisches Glas vor Frauke … also runter damit.

Nachdem die Veranstaltung überstanden war, machten sie sich aufgedreht auf den Heimweg. Alle vier waren ineinander gehakt, so gaben sie sich gegenseitig Halt.

»Wie wärs, wenn wir als OP-Schlampen an Altweiber gehen? Ich kann für uns echte Kittel besorgen, dann binden wir den Busen und die Ärsche darüber.« Manuela schien von der Plastikbusenidee jetzt doch angetan zu sein.

»Also ich weiß nicht!«, gab Lea ihre Bedenken kund.

»Als sexy Krankenschwester zu gehen ist doch viel schlimmer, die laufen oft richtig nuttig rum!«

Karina blieb unbeeindruckt und schwärmte weiter: »Keiner auf der Feier, wo ich dieses Kostüm anhatte, hat mich irgendwie schräg angemacht. Davor braucht ihr keine Angst zu haben, die Jecken nehmen doch alles mit Humor! YOLO Lea, mein Neffe sagt immer You Only Live Once, das ist so ein angesagter Spruch unter den Jugendlichen«, erklärte Manuela mit einem Augenzwinkern.

»Hm«, wirklich überzeugt klang Leas Zustimmung nicht.

»Wir werden sicher viel Aufmerksamkeit bekommen«, ergänzte Karina. »Das wird bestimmt ein Riesenspaß!«

Frauke blickte ihre Freundin kritisch an. Karina hatte leicht reden, die war ja auch glücklich verheiratet und hatte einen verständnisvollen Mann, der für jeden Spaß zu haben war. Sie war immer wieder überrascht, wie ausgelassen und tolerant hier alle Generationen miteinander feierten. Von Kind bis zum Greis, man mochte Karneval - oder eben nicht. Karnevalsmuffel flüchteten, denn wenn die fünfte Jahreszeit erst einmal auf dem Höhepunkt war, gab es kein Entrinnen.

»Okay, was soll’s!« Frauke freundete sich langsam mit der Kostümidee an, denn der Alkohol lockerte ihre Gedanken zu einem federleichten Gefühl. "Es wird vielleicht wirklich Zeit, mal wieder etwas ausgelassener zu werden."

Alle nickten, die Kostümwahl war damit entschieden.





Kapitel 1 Unter die Haut


Elias ließ die letzten Zeilen seines Liedes ausklingen, die Gefühle hallten in seinem Herzen nach. Wie immer gab er alles, um die Menschen mit seiner Musik zu berühren. Auch diesmal war es ihm gelungen, denn die kleine Runde, die seiner Musik gelauscht hatte, war sichtlich ergriffen und löste sich nur zögernd auf. Die, die noch nichts in die geöffnete Gitarrenhülle geworfen hatten, holten dies nach, bevor sie davoneilten. Elias trat vor, um das Geld in die Tasche zu stecken.

»Mensch Karina, ich fühle mich wirklich nicht wohl dabei. Warum können wir nicht die Hexenkostüme vom letzten Jahr nehmen?«

Elias sah auf. Die sanfte Stimme, die sich so rührend beklagte, wühlte ihn merkwürdig auf.

»Es ist doch egal, dass die langweilig sind, Hauptsache wir fühlen uns wohl.«

Während die Frau weitertelefonierte, blieb sie stehen und kramte in ihrer Jackentasche. Das lange braune Haar glänzte, selbst bei der schlechten Bahnhofsbeleuchtung, wie Seide. Ihr ungeschminktes Gesicht wurde beherrscht von sinnlich vollen Lippen und großen braunen Augen. Die waren so von dichten Wimpern umrahmt, dass sie keine zusätzliche Farbe nötig hatten.

»Ich fand unsere Notlösung letztes Jahr schön«, sprach sie fast flehend in ihr Smartphone, während sie Kleingeld in ihrer Jackentasche gefunden hatte und eine Handvoll in die Gitarrenhülle warf.

Elias beobachtete die Menschen hier im Bahnhof genau. Das inspirierte ihn immer wieder für seine Musik. Nur wenige hatten Kleingeld griffbereit, um ein wenig zu spenden. Diese Frau gehörte sicher zu den Menschen, die auch etwas für Bettler und Obdachlose übrig hatten. Das gefiel ihm.

»Danke«, sagte er leise.

Die Frau sah ihn an und zog schüchtern die Mundwinkel hoch. Die Augen funkelten warm und mitfühlend. Ihm war, als würde etwas von ihrem Blick direkt in sein Herz dringen und von dort aus jede Zelle elektrisieren. Elias schluckte verlegen, denn so etwas hatte er noch nie erlebt. Verwirrt lächelte er zurück. Er hatte es zwar schon gehört, dass ein Lächeln unter die Haut ging, hatte es aber bisher eher in die Abteilung Märchen und Wunschdenken eingeordnet.

»Okay, wenn du schon alles besorgt hast … dann bis morgen«, seufzte die Frau herzzerreißend und wandte sich ab. »Ja, ich bringe die Brötchen mit.«

Das Lied vom Süßholzraspler James Blunt, You’re Beautifull, kam ihm in den Sinn während er der Frau hinterher sah. Als sie weiter weg war, hatte er überraschenderweise den Wunsch, dieses Lied zu singen. Das war noch nie dagewesen. Lächelnd überlegte er, ob er dieser Frau jetzt hinterherlaufen und sie ansprechen, oder das Lied anstimmen sollte.

So scheu, wie sie eben wirkte, gehörte sie sicherlich nicht zu der Sorte, die sich einfach so ansprechen ließ, also stimmte er die ersten Töne von James Lied an und zog es durch. Bis es hieß, And I don’t think that I’ll see her again, but we shared a moment that will last ’til the end, da wurde er langsamer. Denn das bedeutete so viel wie: Und ich glaube nicht, dass ich sie wiedersehen werde, aber wir haben einen Moment geteilt, der bis zum Ende dauern wird. Da wurde ihm klar, dass es dumm gewesen war, ihr nicht zu folgen.

Elias bekam ein mulmiges Bauchgefühl. Er war sich sicher, dass er einen Fehler gemacht hatte. Das nahm ihm die Lust, weiter zu spielen. Als er das Lied beendet hatte, packte er hastig zusammen, schulterte seine Gitarre und machte sich auf den Weg zu Tom.

Tom war sein Freund seit der Schulzeit. Er hatte sich, zum Leidwesen von Elias, freiwillig unter die Fuchtel eines zänkischen Weibes gestellt. Elias’ Freigeist war Toms Laura schon immer ein Dorn im Auge. Rief der doch bei Tom einen gewissen Neid hervor, den sie gar nicht mochte. Schließlich lief Tom dann Gefahr, sich ihrer Kontrolle zu entziehen. Deshalb war der Kontakt zu seinem Freund mehr oder weniger abgebrochen.

Nun war Laura, ausgerechnet zu Karneval, auf Dienstreise und Tom verspürte den unbändigen Wunsch, mal wieder so richtig auf die Trommel zu hauen – wie in alten Zeiten. Dafür brauchte er Mittäter. Dass Elias sich für so was nur bedingt geeignet fühlte, war ihm egal. So entschied Elias, das Beste daraus zu machen und sich mit Tom ins Getümmel zu stürzen. Vielleicht konnte er ja positiv auf ihn einwirken. Mit dem geeigneten Alkoholspiegel würde er den peinlichen Trubel wahrscheinlich überleben.

Elias kaufte sich eine Bahnkarte, um zu Toms neuer Wohnung zu gelangen. Sein Freund hatte mit Laura zusammen Eigentum erworben und war dafür auf die andere Rheinseite, in das preiswertere Umland von Düsseldorf, gezogen. Hier fanden vor allem junge Familien ein neues Zuhause, entsprechend langweilig war es dort. Na ja, was tat man nicht alles für seine Kumpels.

Doch Elias’ Laune hob sich, als er die Schönheit von eben auf dem Bahnsteig entdeckte. Er musste sich zusammennehmen, um nicht auf sie loszustürmen. Die Unbekannte sah auf, als ob sie spürte, dass er sie musterte. Elias lächelte unsicher. Genau wie vorhin wich sie wieder seinem Blick aus. Seine Euphorie war gedämpft. Diese Frau durfte man nicht überfallen. Aber vielleicht hatte er nun die Möglichkeit, herauszufinden wo sie wohnte.

Er sah zu, dass er in denselben Wagen stieg, wie die Schönheit. Jetzt, zur Mittagszeit, ging das recht gut. Die Bahn war nicht überfüllt. Er setzte sich etwas weiter weg, aber dicht genug, um die Unbekannte gut zu sehen. Zufrieden stellte er fest, dass sie ein paar Mal verstohlen zu ihm hinübersah. Elias gab sich alle Mühe, dass die Frau nichts von der Beobachtung merkte. Kreuzten sich trotzdem ihre Blicke, lächelte er.

Tatsächlich stiegen sie an derselben Station aus. Elias’ Herz jubelte. Vielleicht hatte er ja die Chance, über Tom herauszubekommen, wer die schöne Unbekannte war. Leider war ihr Weg nicht der gleiche. Aber vielleicht war das auch gut so, sie sollte ihn schließlich nicht für einen Stalker, oder etwas Ähnliches, halten.

»Da bist du ja endlich«, begrüßte ihn Tom freudig und klopfte ihm so heftig auf die Schulter, dass er etwas zusammensackte.

»Hallo, Kumpel«, erwiderte er lässig und absolvierte das alte Handschlagritual mit seinem Freund.

»Komm rein. Wollen wir Essen bestellen? Pizza?«

»Schon wieder Pizza? Die bekomme ich so oft«, brummte Elias, während er eintrat.

»Alter, was willst du sonst? Aber bitte etwas, das man bestellen kann. Kochen werde ich für dich nicht. Ich hätte auch gar nichts Passendes hier. Schließlich bin ich froh, dass ich Lauras kalorienarmen Kochkünsten mal entkommen kann.«

»Meinetwegen, dann eben Pizza«, knurrte Elias.

»Prima«, strahlte Tom.

»Sag mal. Kennst du hier eigentlich irgendwelche Leute?«

»Wieso fragst du?«, erkundigte sich Tom, während er zum Telefon griff.

»Ach nichts, ich habe in der Bahn so eine Frau gesehen …«

»Was sonst? Hätte ich mir doch denken können«, winkte sein Freund ab. »Hier ist Pendlerschlafstadt. Zu den konservativen Einheimischen bekommt man nur über den Schützenverein oder die Feuerwehr Kontakt. Das ist nicht so meins.«

»Okay, na dann … ist auch egal«, erwiderte Elias mit unterdrückter Enttäuschung. Selten hatte er sich so über eine vertane Chance geärgert. Doch er schob den Gedanken wieder weg. Sie war bestimmt nicht die Frau, die einem Fremden ihre Telefonnummer gab.

»Ich habe dir mein altes Cowboykostüm herausgesucht. Ist das recht?«, fragte Tom und holte ihn damit wider aus seinen Gedanken.

Elias zuckte mit den Schultern. »Du weißt schon, dass mir das ziemlich egal ist?«

»Warum bist du so komisch, Mann? Wegen dieser Frau, die dir vorhin begegnet ist?«

»Eher nicht. Du solltest eigentlich wissen, dass ich noch nie etwas an Karneval gefunden habe.«

»Komm schon, mach nicht einen auf Spaßbremse. Vielleicht treffen wir sogar deine schöne Unbekannte morgen wieder. So viele Frauen gehen an Altweiber auf Tour … und die Männer müssen auf die Kinder aufpassen.«

Elias’ Laune hob sich. Hatte die Schöne nicht etwas von einem Hexenkostüm erzählt? Wer weiß, vielleicht war das Schicksal ihm morgen ja gnädig.

»Okay, was willst du jetzt für eine Pizza?«




Kapitel 2 Karneval


»Also, ich weiß nicht. Ich finde, ihr habt mich dieses Jahr mit den Kostümen irgendwie überrumpelt.« Nachdenklich zog Frauke die schwarze Wimperntusche über ihre langen Wimpern.

"Blödsinn, wir haben es alle gemeinsam beschlossen", antwortete Karina ungerührt.

»Ihr habt mich mit Alkohol gefügig gemacht und dann meine Schwäche ausgenutzt«, ergänzte Frauke unbeeindruckt.

Als sie ihre Schminkerei beendet hatte, blickte sie ihrer Freundin Manuela über den großen Badezimmerspiegel in die Augen.

Manuela verteilte großzügig einen grellen, lila Lidschatten über ihre Lider und grinste.

»Ach was«, winkte sie mit dem Schminkpinsel in der Hand ab. »Nun sei doch nicht immer so feige. Für einen guten Marktwert muss man sich auch mal etwas zutrauen. Schau dich doch an, du siehst toll aus.« Sie hielt Frauke auffordernd die geöffnete Hand hin, als Zeichen, dass sie jetzt die Wimperntusche benötigte.

Aus Manuela wurde Frauke manchmal nicht richtig schlau. Zwar gab sie sich sehr selbstbewusst, aber immer wieder ließ sie ahnen, dass viel von dem zur Schau getragenen Selbstbewusstsein Fassade war.

Geistesabwesend steckte Frauke die Wimpernbürste in die Tusche und reichte ihrer Freundin, was sie begehrte, während sie ihren riesigen Plastikbusen im Spiegel betrachtete.

»Karneval ist alles erlaubt«, raunte Lea von hinten und reichte ihr ein Glas Sekt. »Mir behagt es auch nicht so richtig, aber ich will das Beste draus machen. Nutz die Beachtung, die du zweifellos bekommen wirst, um mal wieder so richtig zu flirten. Denk an unser Motto: YOLO, You Only Live Once. Du lebst nur einmal. Das solltest du dir nicht nur bei diesem Kostüm zu Herzen nehmen.«

Lea fuhr sich mit beiden Händen durch die langen Haare. »Was meint ihr? Soll ich noch ein wenig Glitzerspray ins Haar geben?«

»Ein Rauschgoldengel im OP, warum nicht?«, bemerkte Karina. »Es kann absolut nicht schaden, wenn man zeigt, was man hat.« Sie drehte sich zu Lea um und zwinkerte ihr zu. »YOLO.«

Frauke verdrehte die Augen. Ihre Freundinnen waren so übermütig. Nur ihre Bedenken, was das Kostüm betraf, schienen nicht verschwinden zu wollen. So nahm erst mal einen tiefen Zug aus ihrem Sektglas. Gleich würde sie sich besser fühlen …

»Frauke, ich finde auch, du solltest deinen Ex jetzt langsam mal in den Wind schießen und dich endlich zu neuen Ufern aufmachen. Der Typ ist doch keinen Schuss Pulver wert. Der hat es überhaupt nicht verdient, dass du ihm so lange nachtrauerst«, sagte Karina und legte dabei aufmunternd die Hand auf Fraukes Schulter.

»Ihr habt ja recht«, seufzte Frauke und stellte ihr Glas ab, um aus ihrem glatten, langen Haar einen Pferdeschwanz zu binden. »Ich bin nur … irgendwie … völlig aus der Übung … mit dieser Flirterei …«

»Aus der Übung? Soll das dein Ernst sein? Ich stell mir dich gerade als jugendliche Flirtkanone vor und kriege einfach kein Bild in den Kopf.« Lachend schlug Lea ihr kumpelhaft auf die Schulter. »Hast du damals nicht gleich deinen ersten Freund geheiratet?«

»Na ja …«

»Nutz deine Chancen«, ergänzte Manuela, »was hast du schon zu verlieren?«

»Pffft. Als wenn schon jemals jemand im Karneval einen vernünftigen Mann gefunden hätte«, murmelte Frauke kopfschüttelnd.

»Du willst dir gleich einen Heiratskandidaten angeln? Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein! Konzentrier dich besser darauf, nachzuholen, was du in deiner Jugend versäumt hast.«

»Nein Manu, ich finde, man braucht sich nicht erst mal durch alle Betten schlafen, bevor man sich bindet. Jedes Mal reibst du mir das unter die Nase!«, gab Frauke aufbrausend zurück. Blut stieg in ihren Kopf und ließ die Wangen erröten.

»Du bist nicht nur hübsch«, tröstete Karina, »Du bist eine richtige Schönheit. Jonas und ich haben uns übrigens auch im Karneval kennengelernt, über Freunde.«

»Jedes Mal laufen dir die meisten Männer sabbernd hinterher. Du brauchst doch nur die ›norddeutsch Unterkühlte‹ abzulegen«, sagte Manuela und machte Gänsefüßchen mit den Fingern.

Inzwischen hatten sich alle drei Freundinnen Frauke zugewandt. Der blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. »Ja, ja, ich weiß schon! YOLO! Möglich, dass ich schüchtern bin, aber das ist gar nicht so einfach abzulegen.«

»Na kommt«, beendete Lea die Diskussion. »Lasst uns noch was trinken.«

»Ja«, stimmte Karina zu. »Ich brauche definitiv einen höheren Pegel, um mich mit diesem Kostüm wohlzufühlen.«


Noch immer skeptisch machte sich Frauke mit ihren Freundinnen auf den Weg zur Bahnstation.

»Oh Mann, so ein Mist! Ich kann meine Jacke überhaupt nicht zumachen«, beschwerte sich Karina.

»Das kann wohl keiner von uns«, gab Lea zurück. »Dann müssen wir eben abwechselnd die Sektflasche halten. Ich stelle mich zur Verfügung und stecke den Nachschub in meine Tasche.«

»Kommt jetzt endlich, sonst verpassen wir noch die Bahn. Ich hab noch keine Fahrkarte«, trieb Manuela die Gruppe an.

»Gib mal die Flasche, die kann noch einen Spritzer von unserem Likör-Blut aus der Spritze vertragen. Ich brauche definitiv noch ein paar Umdrehungen«, stöhnte Frauke.

Mit zügigen Schritten erreichten sie die Bahnstation. Sie ließen die Flasche mit dem aufgepeppten Sekt so lange in ihrer Runde kreisen, bis die Bahn einfuhr.

Frauke nahm besonders tiefe Schlucke und versuchte so, die neugierigeren Blicke der anderen Passanten wegzutrinken.

Während der Fahrt drehten sich ihre Gespräche hauptsächlich um ihre Kinder, über die sie sich vor einigen Jahren im Kindergarten kennengelernt hatten. Die Kinder waren, durch die regelmäßigen Treffen ihrer Mütter, auch immer noch befreundet.

Vollkommen auf das Gespräch konzentriert, konnte Frauke die neugierigen Blicke auf die ungewöhnlichen Kostüme verdrängen.

»Jetzt müssen wir aber Gas geben, um noch die zweite Flasche zu schaffen. Ihr wisst ja, in der Altstadt ist Glasverbot, bis dahin müssen wir sie leer haben«, sagte Karina und ließ den Korken der zweiten Flasche knallen.

Bis zum Erreichen der Altstadt war Fraukes Alkoholpegel endlich zufriedenstellend. Sie war so betrunken, dass ihr das Kostüm egal war. Einige kleine Erlebnisse auf dem Weg ließen die Stimmung weiter steigen. Das ermöglichte es ihr endlich, den Leuten fröhlich ins Gesicht zu sehen, als die Gruppe eine Kneipe betrat.

Hier war es extrem voll und laute Stimmungsmusik ließ die Ohren dröhnen. Die meisten Gäste waren Männer im Anzug. Die Kneipe war nicht dekoriert, deshalb kam wohl keine echte Karnevalsstimmung auf.

Karina und Lea stürmten trotzdem ins Getümmel, während Frauke und Manuela am Rand blieben und das Treiben beobachteten.

»Die sind so früh wie möglich aus ihren Büros geflüchtet, um sich einen auf die Lampe zu gießen!«, brüllte Manuela ihr ins Ohr.

Frauke nickte und sah sich einen Mann an, der gefährlich schwankend vor ihr stehen blieb. Sie lächelte, denn er hatte erhebliche Schwierigkeiten beim Fokussieren. Dämlich grinsend schielte er auf Fraukes Plastikvorbau mit den künstlerisch gemalten Brustwarzen.

»Man könnte meinen, er denkt, die sind echt!«, schrie Frauke Manuela zu. Diese nickte zustimmend und grinste breit.

Der Anzugträger stutzte und schwankte davon.

»Betrunkene Bürohengste, scheußlich!«, bemerkte Frauke.

»Du musst es ja wissen, du hast ja genug Büroerfahrung!«, gab ihre Freundin zurück. »Komm, lass uns woanders hingehen, hier sind zu viele Betrunkene und die Anzugträger sind nicht wirklich amüsant!«

Wild winkend gab sie den anderen beiden ein Zeichen, dass sie gehen wollten.

Manuela und Lea nickten und folgten ihren Freundinnen auf die Straße.

»Kommt, lasst uns in die Rheinterrassen gehen, da landen wir sowieso jedes Jahr!«, schlug Karina vor.

»Ja, ich finde auch … da sind die Leute wenigstens verkleidet!«, stimmte Lea zu.

Frauke stockte der Atem, als sie auf den Ausgang zugingen. Ein hinreißend aussehender Cowboy kam gerade mit einem Ritter hinein. Wo hatte sie dieses Gesicht nur schon mal gesehen? Mit so einem würde sie gerne flirten üben, schoss es ihr frech durch den Kopf.

»Oh, hallo«, grüßte der Cowboy verlegen.

Frauke sah sich um, ob vielleicht jemand hinter ihr gemeint war. Doch er konnte niemand anderen gemeint haben. Ihr Herz schlug höher. »Kennen wir uns?«, fragte sie kühl. Für diese, durchaus ernst gemeinte, aber ungeschickte Frage, hätte sie sich am liebsten umgehend in den Hintern gebissen.

»Ist das beim Karneval wichtig?«, erwiderte er grinsend.

Frauke brachte ein verlegenes Lächeln zustande.

Der Cowboy sah zu ihren Freundinnen, die sich nach Frauke umgedreht hatten. »Wollt ihr schon gehen? Das kannst du nicht machen! Du bist der einzige Lichtblick hier!«

Frauke holte tief Luft. Nun hatte sie schon so einen hohen Alkoholspiegel und war immer noch schüchtern.

»Kommst du? Du wolltest doch auch weg hier!«, sagte Karina und zog sie Richtung Ausgang.

Frauke zuckte entschuldigend mit den Schultern.

Der schöne Cowboy sah sie entgeistert an. »Wo geht ihr hin?«

»Ist das Karneval wichtig?«, gab sie leichtsinnig zurück, bevor sie von ihrer Freundin eingehakt wurde. Schon wieder könnte sie sich sonst wohin beißen. Sie reagierte auf diesen Typen. Warum war sie da so abweisend? Norddeutsch unterkühlt …

Als Zeichen der Einigung hakten sich alle unter und Frauke schüttelte die Gedanken ab. Gut gelaunt machten sie sich entlang des Rheinufers auf den Weg zu den großen Veranstaltungshallen.

»Lasst uns beeilen, sonst kommen wir womöglich nicht mehr rechtzeitig«, trieb Manuela die drei an.

»Die Schlange vor den Rheinterrassen ist lang, aber ich finde es immer amüsant, mir die ganzen anderen Leute anzusehen«, warf Frauke ein.

»Du sollst dir die Leute nicht nur ansehen, sondern auch mit ihnen reeeden! Und am besten mit gaaanz vielen Männern flirten.«

»Karina, hör bitte auf. Ich bin nicht plötzlich ein anderer Mensch, nur weil Karneval ist.«, fauchte Frauke.

»Oh Mann!«, rief Manuela plötzlich, »ich hätte in der Kneipe auf die Toilette gehen sollen. Die Tour, die Schlange vor dem Haus und dann noch die Toilettenschlange … das überlebe ich nicht!«

»Dann musst du wohl in die Büsche, so wie ich letztes Jahr«, kicherte Karina.

»Fuck«, fluchte Manuela, während sie die Flussböschung hinunterkletterte. »Kommt noch jemand mit? Oder muss ich etwa alleine gehen?«

»Pass auf den Wind auf, sonst pinkelst du dir selbst gegen das Bein! Du bist kein Mann!«, rief Lea ihr lachend hinterher.

»Was du nicht sagst! Was meinst du wohl, warum ich so ungern allein pinkle«, gab sie zurück.


***


»Mein Gott, was bist du nur für eine trübe Tasse! Du stehst hier die ganze Zeit blöd rum. Komm jetzt, da hinten sind ein paar heiße Feger!«, rief Tom genervt zu Elias.

»Hast du gesehen? Sie war eben da!«, antwortete der ungeduldig.

Tom runzelte die Stirn. »Wer sie?«

»Na sie! Die Frau von gestern, aus der Bahn! Und ich weiß nicht, wo sie hin sind!«

»Oh Gott! Etwa die mit den riesigen Plastiktitten?!«, fragte Tom mit aufgerissenen Augen. »Ganz schön provokativ!«

»Blödsinn, das ist bestimmt ironisch gemeint! Aber das Dumme ist, sie hat nicht verraten, wohin sie gehen!«

»Ha! Das habe ich zufällig mitbekommen! Die gehen zu den Rheinterrassen!«, verkündete Tom stolz.

»Oh, cool! Wollen wir da nicht auch hin?!«

»Hab ich mir doch fast gedacht! Aber dann müssen wir da ganz hinlaufen!«, wiegelte Tom ab.

»Komm schon! Die Frau hat irgendwas! Ich möchte sie gern näher kennenlernen!«

»Na gut, wenn du unbedingt willst. Hauptsache, du machst nicht mehr einen auf trübe Tasse!«

»Versprochen!«

***


Triumphierend blickte Manuela auf die drei Mädels, als diese am Zielort in der Toilettenschlange standen. »Soll ich schon mal vorgehen und uns ein Bier bestellen?«, fragte sie süffisant.

»Die beste Idee des Tages!«, erwiderte Frauke, »ich brauche unbedingt Nachschub, sonst werde ich noch nüchtern!«

»Das wäre einfach schrecklich!«

»Nicht auszuhalten!«

Manuela hatte sich schon längst umgedreht und steuerte zielstrebig die Veranstaltungsräume an.

Sie erwartete ihre Freundinnen bereits, als diese von der Toilette kamen, und verteilte die Gläser. Das dunkelbraune Altbier rann in wenigen Zügen durch ihre Kehlen.

Frisch gestärkt konnte nun endlich die Tanzfläche erobert werden. Ausgelassen tanzen, das war einer der Hauptgründe, warum Frauke sich diese Veranstaltung jedes Jahr wieder antat. Nach einer Weile stand sie leicht aus der Puste am Rand und sah sich das bunte Treiben an.

Sie musste ihren Freundinnen recht geben, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten fanden sich seltsame Attraktionen. Geworben wurde mit allem, was irgendwie Erfolg versprach. Tiefste Dekolletés, Netzstrümpfe, Strapse aller Art und natürlich superkurze Röcke … Sie hatte längst bemerkt, dass ihre künstlich-weiblichen Rundungen nicht von jedem als Satire verstanden wurden.

Ihre Freundinnen waren schon fleißig am Flirten, doch sie hatte dazu immer noch nicht den richtigen Mut gefunden. Deshalb besorgte sie die nächste Runde Bier für die Mädels. Irgendwann würde sie schon noch beherzter werden.


Langsam stieg ihr der Alkohol wieder in den Kopf und erneuerte das Gefühl der Leichtigkeit – endlich.

»Oh holde Maid, welch edles Gewand«, scherzte ein Ritter belustigt mit ihr.

Frauke lächelte den Ritter an, und erkannte darin erfreut die Begleitung des schönen Cowboys von eben, bis der ein stimmungstötendes »Ich bin ein Raubritter, darf ich ihnen einen Kuss rauben?« von sich gab.

Manche Typen waren doch einfach zu dämlich! Genervt drehte sie sich weg.

Da blickte sie in das Gesicht des gut aussehenden Cowboys, der die Szene belustigt beobachtet hatte.

»Nettes Kostüm«, bemerkte er lächelnd und zeigte, neben einer ebenmäßigen Reihe schneeweißer Zähne, auch zwei niedliche Grübchen … Wow!

Bei Frauke stellte sich ein merkwürdiges Bauchgefühl ein. Ihre Knie wurden weich und der Atem ging schneller. Sie fühlte sich wie ein Teenager, der das erste Mal von einem Jungen angesprochen wurde. Ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr gehabt hatte.

Starr stand sie da und war von seinen dunklen, tiefgründigen Augen gefesselt. Langsam stieg Wärme in ihren Kopf. »Danke«, stotterte sie und fluchte innerlich über ihre geringe Schlagfertigkeit.

Aber auch er wirkte überrascht, sein gewinnendes Lächeln erstarb. Er schien mit einem Mal genauso aufgeregt zu sein, wie sie.

Für eine gefühlte Ewigkeit standen sie sich gegenüber und sahen sich an.

Die Zeit stand still.

Als würden zwei Magneten in ihnen angeschaltet, näherten sich plötzlich ihre Köpfe.

Frauke sah auf den schön geschwungenen Mund des Cowboys. Sie wollte diese Lippen spüren, ihren Geschmack kosten. Ein Hauch seines Geruchs stieg in ihre Nase, hm … Instinktiv öffnete sie ihren Mund ganz leicht, sie konnte seinen Kuss kaum noch erwarten und schloss die Augen.

Sein Atem kitzelte in ihrem Gesicht, es konnte sich nur noch um Millimeter handeln. Frauke musste ein ungeduldiges Seufzen unterdrücken.

Da tippte ihr von hinten jemand auf die Schulter.

»Stör ich?«, wurde sie von Manuela aus dieser traumhaften Szene gerissen. »Kommst du mit auf die Toilette?«

»Jetzt?!«, gab Frauke entsetzt zurück.

»Ja, die Schlange ist lang und die anderen beiden waren vorhin schon … bitte!«, bettelte Manuela. »Du weißt doch, ich geh nicht gerne allein, dann ist das auch nicht so langweilig.«

Mit einem Schmollmund und Dackelblick stand sie vor ihr. Wer konnte dazu schon Nein sagen?

Also drehte Frauke sich zu ihrem Cowboy um und warf ihm einen bedauernden Blick zu. Der sah tatsächlich enttäuscht aus. Mit einem Achselzucken entschuldigte sie sich und wurde von Manuela am Arm weggezogen.

»Tut mir wirklich leid, dass ich dich von diesem Schnuckelchen wegholen musste. Freut mich, dass du jetzt auch so weit bist und endlich anfängst zu flirten. Wie küsst er denn so?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Ach du je, ich bin schon ein Trampel, oder? Ich hoffe, ihr könnt gleich anknüpfen.«

Frauke antwortete mit einem Seufzen.

Bei dieser Veranstaltung war die Wartezeit in der Toilettenschlange oft kurzweilig und ›Frau‹ konnte nette Leute kennenlernen.

Diesmal stand vor ihnen eine Gruppe von Frauen, die als Hexen verkleidet waren und sich auch so benahmen. Sie entrüsteten sich über das, ihrer Meinung nach, unmoralische, Kostüm.

»Ich glaub, die sind nur neidisch, weil wir mehr Beachtung bekommen«, raunte Manuela Frauke ins Ohr.

Frauke nickte grinsend. Seitdem ihr Kostüm dem Cowboy gefiel, hatte sie ihren Frieden damit geschlossen.


Erwartungsvoll kehrte sie zum Sammelpunkt zurück.

Ihr Cowboy flirtete nun mit einem süßen Marienkäferchen, das begierig an seinen Lippen hing. Allerdings sah er immer wieder hoch und suchte die Umgebung ab. Als er Frauke ausmachte, blieb sein Blick an ihr hängen. Und da war es wieder, dieses unwiderstehliche Lächeln. Diesmal zuckte er mit den Schultern.

Frauke versuchte, ein gleichgültiges Gesicht aufzusetzen, aber die Szene versetzte ihr trotzdem einen Stich.

Nur, so schnell gab das Marienkäferchen natürlich nicht auf. Es drehte sein Gesicht wieder zu sich und erzwang seine Aufmerksamkeit.

Cool bleiben!, dachte Frauke und wandte sich ab. Vor ihr stand ein hochgewachsener Schönheitschirurg, der gegen Küsse neue Nasen anbot. Diese hingen in Form von Pappnasen an seinem Kittel.

»Mit uns kannst du aber nichts verdienen!«, entfuhr es Frauke in einem Anflug von Kühnheit.

Der Chirurg grinste. »Ja, ich seh schon, ihr seid einfach unverbesserlich!«

»Kann ich dir ein Bier ausgeben?!«, kam es plötzlich von hinten.

Frauke zuckte zusammen, drehte sich um und brach in innere Jubelstürme aus. Ihr Cowboy stand wieder vor ihr. Fast wäre sie ihm um den Hals gefallen.

Cool bleiben! Schoss es ihr erneut durch den Kopf. Sie nickte, konnte sich aber ein erfreutes Lächeln nicht verkneifen. Er gab das Lächeln zurück und Frauke schmolz dahin.

Der Cowboy nahm ihre Hand und drückte kurz zu, dann zog er, mit Frauke an der Hand, Richtung Theke. Frauke war von der Berührung wie elektrisiert und ließ sich nur zu gerne von ihm leiten.

»Für deine Freundinnen auch, oder?!«

Frauke nickte.

Gemeinsam vollbrachten sie die logistische Meisterleistung, ohne viel zu verschütten, das Bier an die anderen Mädels zu verteilen. Zum Schluss hielt jeder nur noch sein eigenes Bier in den Händen.

»Halt das mal bitte!«, sagte der Cowboy und reichte Frauke sein Glas.

Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und drückte ihr einen Kuss auf. Erst ganz sanft und zärtlich, dann intensiver.

Frauke bog sich überrascht nach hinten. Sie hielt den Atem an. Die zärtliche Leidenschaft, die in dieser Geste lag, verstärkte in Frauke das Kribbeln, das ohnehin immer wilder wurde. Genussvoll schloss sie ihre Augen und ergab sich dem Kuss, erst zögernd, dann mit Hingabe.

Dabei vergoss sie die Hälfte des Bieres. Mist!

Lachend löste sich der Cowboy von ihr, sah ihr in die Augen und drückte ihr noch ein kurzes Küsschen auf die Stirn.

»Das wollte ich vorhin schon tun«, murmelte er ihr mit tiefer Stimme ins Ohr. »Komm, lass uns ein ruhiges Plätzchen suchen.«



Kapitel 3 Geht doch!


Sie wählten einen Platz auf hohen Fensterbänken im Gang, wo man sich etwas anlehnen konnte.

»Wie heißt du?!«, fragte der Cowboy.

»Frauke!«

»Frauke, was für ein außergewöhnlicher Name. Du kommst nicht von hier, oder?!«

»Nein, das ist ein norddeutscher Name! Ich wohne aber schon länger hier in der Gegend von Düsseldorf! Und du, wie heißt du?!«

»Elias, geboren und aufgewachsen in diesem wunderschönen Städtchen, mit den seltsamen Feierritualen.« Wieder einmal zeigte er sein gewinnendes Lachen und Frauke schmolz bei dem Anblick dahin.

Dieser ausgesprochen schlichte Wortwechsel übte seltsamerweise einen ganz besonderen Zauber auf Frauke aus. Oder war es das Lachen mit diesen Grübchen? Jedenfalls überkam sie schon wieder das Verlangen, ihn zu küssen.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, nahm er ihr Glas und stellte es zusammen mit seinem ab. Mit einem routinierten Griff zog er sie entschlossen zu sich hin. Diesmal begann er seinen Kuss nicht so zögerlich, sondern forderte direkt Einlass in ihren Mund. Auch die zweite Hand machte aus seiner Leidenschaft keinen Hehl. Frauke spürte sie leidenschaftlich über ihren Rücken streicheln.

Die Schmetterlinge, die sich bisher vorwiegend in ihrem Bauch aufgehalten hatten, zogen tiefer, in ihren Unterleib. Plötzlich fiel ihr auf, wie lange sie schon keinen Mann mehr gehabt hatte. Dieses Bedürfnis hatte sie nach ihrer Scheidung vehement verdrängt.

An Karneval ist eine derartige Direktheit erlaubt, dachte Frauke und gab sich ganz ihren Gefühlen hin. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen solch langen Kuss ausgetauscht zu haben. Einen Kuss, der die Hormone in ihrem Körper Tango tanzen ließ.

Als sie ihn schließlich doch beendete, weil sie das dringende Bedürfnis spürte, zwischendurch einmal tief durchzuatmen, ließ er nur zögernd von ihr ab.

Er legte seine Stirn gegen ihre und schloss die Augen. »Erzähl mir mehr von dir«, forderte er leise.

Auch Frauke schloss die Lider und fühlte eine seltsame Wärme in ihren Körper strömen. Sie nickte und sahen sich tief in die Augen.

Elias lächelte. »Aber lass uns nach draußen gehen und ein bisschen frische Luft schnappen, dann müssen wir nicht so schreien!«

Er nahm ihre Hand und drückte sie kurz. Auf dem Weg nach draußen leitete er sie sanft mit seiner Hand auf ihrem unteren Rücken. Mittlerweile fühlte sich jede seiner Berührungen wie ein Stromstoß an.

Sie stellten sich etwas abseits vom Trubel an den Rand der Terrasse. Von hier aus konnte man die beleuchteten Schiffe auf dem Rhein fahren sehen. Die Februarnacht war sternenklar und windstill. Die Fahrtwellen der vorbeiziehenden Schiffe verursachten ein schwaches Plätschern. Lichter spiegelten sich auf dem Wasser, boten einen verträumten Tanz.

»Ich hoffe, dir ist nicht zu kalt«, murmelte er und platzierte sich hinter Frauke. Zärtlich schlang er seine Arme um ihren Körper. Fest an sie gekuschelt, lehnte er sanft sein Kinn auf ihren Kopf.

Sie empfand Sicherheit und Geborgenheit, die sie lange vermisst hatte. Eine Weile standen sie einfach so da und genossen den wunderbaren Blick.

»Der Ausblick ist wahnsinnig schön«, flüsterte sie und schmiegte sich noch ein bisschen dichter an ihn.

»Ich hätte nicht gedacht, hier heute noch einen solch romantischen Moment zu erleben«, hauchte er ihr leise ins Ohr und bedeckte ihren Hals mit zärtlichen Küssen.

Frauke schloss die Augen und genoss die Gänsehaut, die in heißen Schauern durch den Körper zog. Sie gab einen wohligen Laut von sich und wünschte, aus diesem Traum niemals zu erwachen. Sie drehte sich um und gab ihm einen Kuss, in den sie all ihre Leidenschaft legte. Sie küssten sich hingebungsvoll, bis sie Luft holen mussten.

»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du den Trubel eigentlich auch nicht magst«, spekulierte Elias.

Frauke zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Manchmal tut es gut, den Alltag zu vergessen. Auf jeden Fall meinten meine Freundinnen, dass ich langsam über meine Scheidung hinwegkommen sollte.«

Elias Blick hellte sich auf. »Du bist geschieden?«

»Ja. Ich habe ziemlich darunter gelitten, dass mein Mann mich ausgetauscht hat. Wir hätten uns auseinandergelebt, meinte er.«

»Oh, versteh mich nicht falsch. Es tut mir leid, dass du so damit zu tun hattest. Ich hatte mich nur gerade gefreut, dass du Single bist«, antwortete er mit erhobenen Händen und seinem unwiderstehlichen Lachen.

Frauke holte tief Luft. Was wurde das hier? »Das ist auch besser so, dass ich Single bin. Die Kinder haben genug mitgemacht«, stellte sie klar.

Elias lächelte, konnte aber seine Enttäuschung nicht verbergen. Ob es für ihn mehr als ein Flirt war? Der Gedanke machte Frauke Angst. Eigentlich wäre es besser, jetzt wieder zurück zu ihren Freundinnen zu gehen. Aber eine magische Kraft hielt sie davon ab. Sie wollte einfach noch ein bisschen weiter flirten. Wer weiß, vielleicht war dieses Unverhohlene ja seine Masche, mit der er alle Frauen rumkriegte, und es stünde nichts weiter dahinter.

Auch Elias schien zu merken, dass Fraukes Stimmung plötzlich anders war. Eine Weile blickten sie schweigend aufs Wasser.

»Fühlst du dich wohl hier, bei uns im Rheinland?«, fragte er.

»Am Anfang war es schon eine Umstellung. Die Leute sind offener und es sind so viele ... so dichte Bevölkerung hier, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt«, antwortete Frauke nachdenklich.

»Warum bist du eigentlich hierher gezogen?«

»Weil mein Mann hier Arbeit gefunden hatte. In Norddeutschland sind die guten Stellen nicht so dicht gesät.«

»Und dann?«

»Dann haben wir Kinder bekommen, gebaut und uns ewig gestritten. Da habe ich dann auf Teilzeit umgestellt, aber dadurch wurde es nicht besser.«

»Es ist auch sicher nicht einfach, das alles unter einen Hut zu bekommen.«

»Stimmt. Man unterschätzt das. Aber für die Kinder ist es gut, in einem Haus mit Garten und etwas ländlicher zu wohnen.«

Elias nickte. »Kann ich verstehen.«

»Und du bist in der Stadt groß geworden?«, erkundigte sich Frauke.

»Ja, schon …«, stockte er im Satz.

Elias wirkte,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alica H. White
Bildmaterialien: Coverbilder: Fotolia_88435848_XL Skyline: Pixabay (Florian Lenz) Rest: Freepick
Cover: Michaela Feitsch
Lektorat: Christine Hann
Korrektorat: Christine Hann
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2020
ISBN: 978-3-7487-5782-5

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