Ungefähr jede dritte Ehe wird heute geschieden. Das passt bei dieser Reihe gut, denn "Liebe passiert" handelt ja von Neuanfängen. Doch als ich die Romane damals konzipiert habe, wurde mir ans Herz gelegt, dass eine Ehe auch gerettet werden müsste. Eigentlich fand ich das auch. Eigentlich, doch die Sache war nicht ganz einfach. Ich meine, wer will schon von Eheproblemen lesen? Wenn, dann doch nur mit viel Humor. Ob es mir, und natürlich Karina und Julian gelungen ist, die Ehe zu retten? Findet es heraus. Ich wünsche euch viel Spaß dabei.
Das Leben verlief in Wellen. Mal sah man sich oben, dann wieder unten, und manchmal wurde man sogar überrollt, oder es warf einen gleich ganz um. An diesem Tag ahnte Karina nicht, was für eine zerstörerische Welle da gerade auf sie zukam, die ihre Eltern ins Haus spülte.
Die Anfänge eines Unglücks wirkten meistens harmlos, so war es auch mit einer Erdbebenwoge. Die Erschütterungen waren vielleicht nur schwach zu spüren, dann zog sich das Wasser zunächst zurück. Aus der Entfernung schien sie klein, geradezu ungefährlich, doch wenn sie sich dann unaufhaltsam näherte, entfaltete sie ihre ganz zerstörerische Kraft, die den festen Grund unterspülte und alles mit sich riss.
Mit gemischten Gefühlen ging Karina zur Tür, um ihre Eltern hereinzulassen. Wenn Kerstin und Ralf sich die Ehre gaben, hatte es immer einen Grund und der war selten erfreulich. Das Verhältnis zu ihnen war vielleicht nicht unterkühlt, aber es funktionierte zu sehr im Sinne ihrer Eltern und man konnte es daher schwierig nennen.
Aus diesem Grund war Karina sehr erleichtert gewesen, als sie damals endlich aus ihrem Elternhaus ausziehen und in eine Studentenbude in Düsseldorf ziehen konnte. Das Leben als einziges Kind einer Unternehmerfamilie aus der Textilbranche war kein Zuckerschlecken. Ihre Eltern wurden dem konservativen Ruf des Linken Niederrheins mehr als gerecht.
So war ihr Leben vorherbestimmt, und zwar von ihrer Familie, was im Endeffekt ihre Mutter bedeutete. Diese hatte das Unternehmen von Karinas Großvater geerbt, unter der Voraussetzung, dass sie sich niemals in die Geschäfte einmischte, denn nach der Meinung von Karinas Opa, war das harte Geschäftsleben nichts für zarte Frauenseelen. Die sollten sich lieber um die Erben kümmern. Kerstin fügte sich damals, obwohl das absolut nicht ihrer Natur entsprach. So flüchtete sie vor Hausarbeit und Kinderbetreuung von einem Charityevent zum nächsten. Am Ende hatte sie durch das strenge Patriarchat einen sehr resoluten Charakter entwickelt, der absolut nicht zum Freiheitsdrang ihrer Tochter Karina passte.
Dass Karina während ihres Kunststudiums ihren heißgeliebten Julian kennenlernte, war mehr als ein Glücksfall. Ihr zukünftiger Ehemann und Vater ihrer Kinder studierte nämlich BWL und war der perfekte Kandidat, um später den elterlichen Textilbetrieb zu übernehmen. Es brauchte dringend einen guten Manager in der immer härter werdenden Branche.
Das Erdbeben, das damit ausgelöst wurde, war zunächst kaum spürbar. Als Karina dann noch zwei Kinder bekam, waren die Anforderungen erst mal erfüllt. Die Woge, in Form ihrer Eltern, war zufrieden und zog sich zurück. Karina wollte es besser machen als ihre Eltern. Sie ging so in ihrer Mutterrolle auf, dass sie gar nicht mehr daran dachte, dass das Leben in unberechenbaren Wellen verlief.
Sie konnte nicht wissen, wie zerstörerisch der Tsunami war, der in diesem Moment ins Haus spülte, doch ihr Instinkt sagte ihr, dass Achtsamkeit geboten war. Sie griff zur Klinke. Eine Sekunde lang überlegte sie, ob es legitim wäre, sie nicht herunterzudrücken. Doch ihre Eltern wussten, dass sie um die Mittagszeit normalerweise immer kochte. Karina hatte noch nicht alle Optionen durchdacht, da ertönte schon die Türglocke.
»Juhu, meine Süße!«, begrüßte ihre Mutter sie in zuckersüßem Ton. In der rechten Hand schüttelte sie eine Champagnerflasche. »Es gibt was zum Anstoßen.«
»Ich stille, Mama! Und seid ihr nicht mit dem Auto da?«, entfuhr es Karinas leergefegtem Hirn.
Ihrer Mutter klappte die Kinnlade herunter, als sie die unaufgeräumte Wohnung sah. »Wann willst du dir denn endlich ein Kindermädchen zulegen? Das sollte dem Kind die Flasche geben, dann kannst du dich endlich um deine eigentlichen Aufgaben kümmern.«
»Und was meine eigentlichen Aufgaben sind, bestimmst du«, fauchte Karina.
»Das solltest du eigentlich schon lange gelernt haben«, giftete ihre Mutter zurück. »Du kannst deinen hart arbeiteten Mann doch nicht in dieser Messiewohnung empfangen.«
Karina unterdrückte ein Augenrollen.
Ihre Mutter stemmte die Hände in die Hüften. »Hat deine Putzfrau gekündigt? Wohl aus Frust.«
»Die war gestern erst da. Ich sperre meine Kinder nicht in den Laufstall, so wie du, dann ist es eben etwas schneller wieder unordentlich«, entrüstete sich Karina.
»Dann such dir eine Haushälterin, die hier ein bisschen Zug reinbringt. Dass du selber kochst, ist auch beschämend.«
»Das ist mein Haus. Ich habe keine Lust darauf, dass Personal um mich herumläuft. Wenn du das magst, bitteschön. Ich mache, was ich will. Mal ganz davon abgesehen, dass das heute unbezahlbar ist.«
»Ich habe es dir schon oft gesagt, dass das Haus immer in einem Zustand sein sollte, dass dein Mann jederzeit Geschäftsfreunde mit nach Hause bringen kann. Ich bin entsetzt darüber, wie es hier aussieht! Da hast du bei mir aber anderes gelernt.«
Eben, deswegen, dachte Karina genervt, sagte aber nichts. Es hatte keinen Sinn, sich an den altmodischen Vorstellungen ihrer dickköpfigen Mutter abzuarbeiten. Sie war aus »gutem Hause« und auch nur ein Opfer ihrer Erziehung. »Wollt ihr einen Kaffee?«
»Na bitte, geht doch«, antwortete die Mutter.
Diesmal war der genervte Seufzer nicht zu unterdrücken. Karina drehte sich um und ging in die Küche. Natürlich musste die Mutter ihr folgen, deswegen war es leider nicht zu verhindern, dass sie sah, wie ihre Tochter Janina den Inhalt einer Mehltüte künstlerisch auf dem Boden verteilte.
»Siehst du, das kommt dabei heraus, wenn die Kinder überall hinkommen. Dies Mal ist es nur Mehl, doch das nächste Mal vielleicht schon etwas Gefährlicheres.«
Karina verkniff sich die Antwort, es war sowieso hoffnungslos. »Willst du gar nicht Opa begrüßen?«, fragte sie ihre Tochter.
»Opa ist da?«
Kerstin klatschte in ihre Hände, um die Aufmerksamkeit ihrer Enkelin auf sich zu lenken. »Willst du nicht erst mich begrüßen?«, fragte sie säuerlich.
Doch Janina schenkte ihr nur einen flüchtigen Blick. »Opa!«, rief sie, denn er war ihr klarer Favorit. Zu dem konnte sie jetzt nicht schnell genug stürmen und wurde mit offenen Armen empfangen. »Janina, meine Prinzessin!«
»Hast du mir was mitgebracht?«
»Aber sicher doch!«
Karina konnte von der Küche aus beobachten, wie er ein eingepacktes Geschenk hervorholte und es seiner Enkelin gab. Er hatte sichtlich Vergnügen daran, wie sie mit ihren kleinen Kinderhänden das Papier entfernte. Karinas Vater war trotz der vielen Verantwortung, die er durch das Unternehmen trug – oder gerade deswegen – ein fröhlicher Mensch geblieben. Mittlerweile hatte Karina einen anderen Blick auf ihn, sodass sie manchmal überlegte, ob es vielleicht nur eine Art Galgenhumor war.
»Deine Erziehung lässt zu wünschen übrig«, tadelte Kerstin ihre Tochter und reckte den Hals, um zu sehen, wie ihre Enkelin auf das Geschenk reagierte.
»Eine Glitzertasche!«
»Gefällt sie dir? Sieh mal rein, da ist was drin«, empfahl Ralf.
»Oh! So ein großer Lolli!«, staunte Janina.
»Wieso kaufst du dem Kind etwas Süßes? Das ist nicht abgesprochen«, tadelte Kerstin ihren Mann.
Karina staunte, anscheinend war das ein Wettstreit um die Gunst ihrer Tochter.
»Oma hat dir auch was mitgebracht«, säuselte Kerstin und zog ein Mandala-Malbuch aus der Tasche. Dafür war Janina noch nicht alt genug. Und im Gegensatz zu ihrer Mutter malte sie sowieso nicht gerne, so landete das Buch postwendend achtlos auf dem Boden.
Dafür erntete Karina einen vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter, als könnte sie etwas dafür, wohingegen sich ihr Vater mühsam ein Feixen verkniff.
»Das ist aber unartig Janina. Also wirklich!«, entrüstete sich Kerstin und wandte sich dann empört an Karina: »Willst du sie nicht mal zurechtweisen?«
Nein, zurechtweisen war nicht Karinas Ding, denn das hatte sie selbst als Kind zu oft ertragen müssen. »Dafür, dass du nicht weißt, was sie mag?«, konterte sie daher und warf einen Blick auf das Buch. »Außerdem sind Mandalas nicht gerade altersgerecht, sie kann ja kaum einen Stift halten.« Damit hatte ihre Mutter Janina sicher nur ruhigstellen wollen und bestenfalls die Geduld und Ausdauer fördern. Für Kerstin die wichtigsten Eigenschaften einer Frau.
»Altersempfehlungen ignoriert deine Mutter aus Prinzip«, warf ihr Vater ein.
Die Kiefermuskeln ihrer Mutter zuckten. »Und dir ist egal, ob etwas pädagogisch oder gesundheitlich wertvoll ist.«
»Zum Erziehen sind die Eltern da, die Großeltern zum Verwöhnen.« Ralf wusste, dass er damit seine Frau auf die Palme bringen konnte.
Karina grinste und war froh, dass es diesen Geschenke-Wettstreit zwischen ihren Eltern gab, so konnte sie jetzt in Ruhe das Mehl beseitigen und Kaffee kochen, während die beiden weiter um die Gunst ihrer Enkelin warben.
Doch noch bevor sie ihre Arbeit beenden konnte, verkündete Dennis, ihr drei Monate alter Sohn, dass er aufgewacht war und demnächst etwas essen wollte.
»Ich kümmere mich schon«, flötete Kerstin.
»Ja mach nur, der Arme kann sich ja noch nicht wehren«, setzte ihr Vater eine Spitze nach.
»Danke, Mama«, antwortete Karina. »Er hat bestimmt Hunger, ich werde ihn gleich stillen.«
»Siehst du jetzt endlich, wie unpraktisch es ist? Wenn du ihn schon abgestillt hättest, könnte ich ihm das Fläschchen geben.«
»Was soll das jetzt wieder?!«, schimpfte der Vater. »Karina kann das handhaben, wie sie will. Du hast dir dabei auch nicht reinreden lassen.«
Kerstin ignorierte ihn und zog einen hölzernen Beißring aus der Tasche. »Dir habe ich natürlich auch was mitgebracht, du kleiner Goldschatz.«
Dennis griff schon danach, was Karina ein bisschen Zeit verschaffte, weiter aufzuräumen und Kaffee aufzusetzen, doch dann war die Schonfrist definitiv vorbei. Schnell schwoll das Quengeln zu ungeduldigem Schreien an. Karina eilte zu ihrem Baby und legte es an.
Während ihr Vater sich mit Janina beschäftigte, inspizierte ihre Mutter die Wohnung, meckerte über die Arbeit der Putzfrau und hörte erst auf, als Brandgeruch aus der Küche drang.
»Mein Gott! Der Kuchen!«, entfuhr es Karina. »Mama, hol ihn bitte schnell raus.«
Ihre Mutter stutzte und folgte der Bitte nur zögernd.
»Was ist?«, fragte Karina irritiert.
»Dann riecht das Kostüm wieder so. Es ist doch gerade erst aus der Reinigung zurück. Warum hast du denn keinen Kuchen gekauft?«
Himmel! Karina seufzte.
»Ist das deine einzige Sorge? Wenn ich Dennis jetzt von der Brust nehme, schreit er.«
»Ich mache es schon«, lenkte ihr Vater ein und eilte in die Küche.
»Ich glaube, den kann man getrost vergessen«, sagte er, als er wieder zurückkam. »Schade.«
»Was ist schade?« In dem Trubel hatte keiner gemerkt, dass Karinas Mann Julian in das Wohnzimmer gekommen war. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
»Papa! Guck mal, Opa hat mir eine Glitzertasche geschenkt!«, rief Janina und lief, die Tasche schwenkend, auf ihren Vater zu. Julian wusste sofort, was Sache war, und schickte einen kritischen Blick zu seiner Schwiegermutter. »Hallo ihr beiden. Was verschafft uns die Ehre?«
Mit raumgreifenden Schritten ging er erst zu Kerstin. »Eleganteste aller Schwiegermütter«, schmeichelte er und deutete einen Handkuss an.
Kerstin lächelte zuckersüß.
Einen Handkuss! Karina presste die Lippen aufeinander. Ihre Mutter bei der Eitelkeit zu packen war sicher ein geschickter Schachzug, auch wenn Karina so was nie könnte. Aber ein Handkuss? Manchmal war ihr die diplomatische Ader ihres Mannes einen Tick zu viel, auch wenn er das in seinem Job gut gebrauchen konnte, und er ihre Mutter damit erstaunlich gut einfing.
»Ich wollte dir einen Kuchen zum Hochzeitstag backen, der ist leider verbrannt.« Mit einem Nicken deutete Karina auf das verkohlte Gebäck in Herzform.
Julian kniete, streichelte kurz die Wange seines Sohnes und sah seiner Frau tief in die Augen. »Das ist so süß. Ich liebe dich, mein Schatz.«
Karina beugte sich zu ihm hin und gab ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. »Tut mir echt leid, dass es nicht geklappt hat.«
»Ach, macht doch nichts, wir schneiden das Schwarze einfach ab. Den letzten selbstgebackenen Kuchen habe ich von meiner Oma bekommen, als sie noch lebte.«
»Ich weiß.« Karina lächelte. »Deswegen wollte ich keinen kaufen, das wäre mir zu schnöde gewesen.«
»Was hältst du davon, wenn wir nachher schick Essen gehen? Deine Eltern bleiben sicher so lange da und passen auf die Kinder auf.«
Ihre Eltern als Babysitter einzuspannen, das hätte Karina nie gewagt, aber wenn die Bitte von deren Lieblingsschwiegersohn kam, war das sicher etwas anderes. Sie sah die beiden fragend an.
»Klar machen wir das«, kam ihr Vater der Mutter zuvor. »Seht es als Geschenk, wenn wir den Termin schon vergessen haben.«
»Aber für nächstes Jahr kümmert ihr euch um einen anderen Babysitter«, verlangte Kerstin.
Die beiden nickten eifrig.
»Dann decken wir jetzt mal den Kaffeetisch«, verkündete Julian.
Karinas Laune wuchs. Ihr Mann schaffte es irgendwie immer, dass sie sich stärker fühlte, wenn er bei ihr war.
Später saßen sie am Kaffeetisch und würgten das trockne Innere des Kuchens herunter. Wie gut, dass er mit der Sahne besser rutschte.
»Wir haben noch ein Geschenk für euch«, begann Kerstin.
»Der eigentliche Grund, warum wir gekommen sind«, ergänzte der Vater.
Kerstin setzte eine feierliche Mine auf. »Julian, wir wollten dich fragen, ob du die stellvertretende Geschäftsleitung übernehmen willst.«
»Und wenn du gründlich eingearbeitet bist, wirst du auch Prokura bekommen«, fügte der Vater eilig an.
»Jetzt schon?«, entfuhr es Karina, denn eine böse Vorahnung überfiel sie, dass das viel Arbeit bedeuten würde.
»Ich würde sagen, es ist höchste Zeit. Irgendwann wollen wir ja auch einmal die Früchte unserer Arbeit ernten«, erwiderte Kerstin bestimmt.
»Also ist es Mamas Idee«, vermutete Karina.
»Na ja, nicht ganz«, lenkte ihr Vater ein.
»Was heißt das?«
»Dein Vater hat mir schon vor einiger Zeit eine Weltreise versprochen und die wollen wir in ein paar Jahren antreten – wenn Julian so weit ist.«
»Willst du wirklich mit Mama auf Weltreise gehen?«, fragte Karina ungläubig ihren Vater. Es verwunderte sie, denn sie war sich sicher, dass sich die beiden gehörig auf den Wecker gehen würden. Die Interessen der beiden konnten kaum unterschiedlicher sein. Das war mit ein Grund, warum die beiden nur wenige Urlaubsreisen gemacht hatten, auch wenn Ralf immer die Arbeit vorgeschoben hatte.
»Eine schöne lange Kreuzfahrt einmal um die Welt«, bestätigte ihre Mutter.
»Von Wollen kann keine Rede sein, ich muss. Das habe ich ihr versprochen, als Ersatz für die vielen Urlaube, die ich zu früh abgebrochen oder erst gar nicht angetreten habe«, erklärte der Vater.
Karina nickte. Was sollte sie da noch sagen? Es stimmte, als Kind hatte sie ihren Vater nur selten gesehen. Aus nachvollziehbaren Gründen war er auch mit seiner Arbeit verheiratet.
»Was sagst du, Julian?«, erkundigte sich Kerstin.
Julian nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse bedächtig ab. »Wenn ihr mir das zutraut, fände ich es schon verlockend.«
»Natürlich trauen wir dir das zu. Irgendwann werden wir euch die Firma ja auch ganz überschreiben«, bestätigte Ralf.
Julian nickte eifrig und lächelte. »Ja, ja … sehr gerne … ich freu mich.«
Karina schluckte ihre Bedenken hinunter, wenn sie jetzt meckerte, würde sie alles nur schlimmer machen.
Zwei Stunden später saßen sie bei ihrem Lieblingsitaliener. Kerstin wollte schließlich nicht zu spät zu Hause sein. In dieser rustikalen Kneipe mit angeklebten Steinwänden und dem bäuerlichen Mobiliar hatten sie damals ihr erstes Date gehabt und später hatte Julian ihr hier auch einen Heiratsantrag gemacht. Es gab also kaum einen besseren Ort, den Hochzeitstag zu feiern.
»Wie konntest du meinen Eltern zustimmen? Wir wollten doch endlich unsere Hochzeitsreise nachholen, sobald ich abgestillt habe. Deine Mutter hat sich schon gefreut, die Kinder zu betreuen«, brach es bald aus ihr hervor.
»Sollte ich etwa ablehnen? Es ist dein Erbe!«, erwiderte Julian, fasste nach ihrer Hand und streichelte sie beschwichtigend mit dem Daumen. »Auf unsere Hochzeitsreise haben wir jetzt so lange gewartet, da kommt es doch auf ein paar Monate mehr auch nicht mehr an. Deine Mutter musste sich viel länger gedulden. Sobald es rund läuft, holen wir alles nach.«
»Monate? Es werden eher Jahre, bis es in der Firma richtig wieder fluppt. Und ob sich mein Vater, dieser alte Workaholic, wirklich aus der Firma zurückzieht, steht auch noch nicht fest. Der kann doch gar nicht ohne Arbeit! Schon allein, weil er es nicht den ganzen Tag mit Mama aushält.«
»Nun sei doch nicht so negativ.«
»Ich soll nicht negativ sein? Wer ist denn mit den beiden aufgewachsen? Wenn du dabei bist, zeigen sie nur ihre Schokoladenseite, weil du der supersmarte Schwiegersohn bist.«
»Das ist doch gut. Ist es nicht normalerweise so, dass kein Schwiegersohn für die Tochter gut genug ist?«
»Das ist ein Klischee, das nicht für meine Familie gilt. Du bist der Ersatz für meinen nicht vorhandenen Bruder.«
»Ich glaube, du siehst das alles zu schwarz. Wir werden uns schon unsere Auszeiten freischaufeln.«
»Ich werde dich dran erinnern«, knurrte Karina.
Es war ein heißer Septembertag, die Eisdiele war brechend voll. Leider hatten Karina und ihre Freundinnen keinen Tisch im Schatten ergattern können, sodass sie gehörig ins Schwitzen kamen. Dafür war das Eis eine willkommene Erfrischung bei einem dieser berühmt-berüchtigten SatV-Treffen. SatV, das stand für »Sex and the Village«. Sie hatten sich diesen schrägen Namen ausgedacht, weil die Freundinnen sich zu diesen Anlässen gern über ihr oft holpriges Liebesleben austauschten. Doch eine nach der anderen hatte in den letzten Jahren ein neues Glück gefunden, sodass die Beziehungsfragen immer mehr in den Hintergrund traten.
Karina hatte sich noch nicht überwunden, etwas von ihrer ständig öder werdenden Ehe zu verraten. Die Freundinnen glaubten, sie wäre die Einzige von ihnen, die in einer glücklichen Beziehung lebte. Auch sie selbst musste sich immer und immer wieder sagen, dass sie sich ja wirklich nicht beklagen konnte. Im Grunde waren ihre Probleme Luxusprobleme. Sie hatte zwei hübsche, kluge Kinder, die keine Langeweile aufkommen ließen, und einen Mann, der sich Mühe gab. Er war stets bemüht, ging es ihr durch den Kopf. Ein leises, abfälliges Schnauben entfuhr ihr. Alle Augen waren plötzlich auf sie gerichtet.
»Was ist?«, fragte Frauke. Sie war diejenige, zu der Karina die engste Beziehung hatte. Das lag wohl daran, dass ihre Kinder befreundet und im exakt gleichen Alter waren, aber womöglich auch daran, dass sie in Sachen Familiensinn auf einer Wellenlinie lagen.
»Ach, ich musste gerade an was denken«, winkte Karina ab.
»Ist irgendwas? Du bist schon den ganzen Nachmittag so still«, erkundigte sich die sensible Lea und fuhr sich durch die blonde Mähne. Sie war der Engel unter den Freundinnen und hatte ihr Glück mehr als verdient.
Karina rang sich ein Lächeln ab. »Nein, nicht wirklich.«
»Was heißt nicht wirklich? Also ist doch irgendwas«, kombinierte Anne nüchtern und musterte Karina eindringlich mit sanftem Blick.
»Also, raus damit«, forderte Ela, die das schwerste Schicksal hinter sich hatte. »Es bringt doch nichts, die Sachen zu verdrängen.«
»Ich verdränge nichts«, behauptete Karina, doch an den skeptischen Blicken ihrer Freundinnen konnte sie ablesen, dass sie ihr nicht glaubten.
»Eheprobleme?«, vermutete Lea, das war schließlich das Naheliegendste. »Ich weiß, der Spruch ist aus einem Theaterstück, oder so. Aber bei mir hat es sich mal wieder gezeigt: Am Ende wird alles gut«, behauptete sie mitfühlend.
»Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht zu Ende«, ergänzte Frauke.
»Ist der Spruch nicht von Oscar Wilde? Der hatte aber kein gutes Ende«, gab Karina zurück.
»Ich kann auf jeden Fall sagen, dass etwas nicht verschwindet, nur weil man nicht darüber spricht«, mahnte Lea.
»Stimmt. Auch wenn du schwere Zeiten durchmachst, du weißt immer erst hinterher, wofür es gut war«, ergänzte Anne, die ihre schlimmen Erlebnisse erst mit dem geduldigen Ciro überwinden hatte können.
»Ja, vor allem die schlechten Erfahrungen bringen einen ans Ziel, weil man durch sie die guten erst zu schätzen weiß«, sinnierte Ela, die immer so stark wirkte, aber darunter ziemlich zerbrechlich war.
»Wir waren alle unglücklich … fast.« Frauke klopfte Karina kumpelhaft auf die Schulter. »Bis auf Karina hier. Sie war das leuchtende Beispiel, dass es die Liebe fürs Leben geben muss, und dass es auch glückliche Ehen gibt. Und wenn sie sagt, dass so weit alles in Ordnung ist, dann ist es das auch.« Anscheinend hatte sie gemerkt, dass ihre Freundin nicht bereit war, über die Dinge, die sie belasteten, zu reden.
Karina versuchte, ihr Lächeln nicht so matt aussehen zu lassen. Die Wahrheit war, dass es sich mit ihrem Mann schon lange nicht mehr leuchtend anfühlte.
»Du hast aber auch eine Sahneschnitte abbekommen. Diese dunkelbraunen Augen … Überhaupt, er sieht so wahnsinnig gut aus, er könnte auch als Model für Rasierer durchgehen«, versicherte Ela eifrig.
»Und klug ist dein Mann auch noch«, ergänzte Anne lachend.
»Klug, schön und erfolgreich, im Gegensatz zu mir«, entfuhr es Karina resigniert.
Wieder waren alle Augen auf sie gerichtet.
»Waaas? Wie kommst du jetzt da drauf? Du bist doch nicht dumm! Und dazu sehr hübsch, mit deinen großen blauen Augen und den naturblonden Haaren, sie glänzen so schön«, erwiderte Frauke erstaunt.
»Nur die Figur glänzt leider nicht«, brummte Karina.
»Blödsinn«, erklang es im Chor.
»Ihr habt alle leicht reden.«
»Deine Figur ist doch toll. Ich wünschte, ich hätte ein paar mehr Kurven«, beteuerte Ela.
»Deinem Mann gefällt sie doch, oder? Ist das nicht die Hauptsache?«, erkundigte sich Anne.
Karina verdrehte die Augen. »Nein. Mir muss es gefallen, oder nicht?«
»Und du bist dir ganz sicher, dass du da nicht von außen beeinflusst bist?«, ahnte Frauke.
Bingo! Schon in Karinas Kindheit gab es das Drama um ihre Figur. Für ihre perfektionistische Mutter war es ein unerträglicher Gedanke, ein Moppelchen als Kind zu haben. Auch wenn sich Karina von ihrer Mutter gelöst hatte, die Mahnungen hatten sich eingebrannt und beeinflussten sie noch heute.
»Na ja, von meinem Mann nicht, das stimmt schon. Er sagt mir immer, dass ich hübsch bin«, erwiderte sie nachdenklich.
»Na siehst du. Alles andere sollte dich nicht interessieren«, warf Anne ein.
»Dein Mann steht zu dir, was willst du mehr? Und erfolgreich ist er auch. Er hat eure Firma aus der Krise geführt, davor ziehe ich den Hut«, ergänzte Frauke.
Karina nickte. Natürlich wusste sie, dass es da ganz andere Geschichten gab. Vielleicht war gerade das ihr Problem. Sie hatte, objektiv gesehen, keinen Grund, sich zu beklagen. »Allerdings konnte er das nur, weil ich ihm bedingungslos den Rücken freigehalten habe.«
»Siehst du, sag nicht, dass du nicht wichtig bist. Ihr seid ein tolles Team«, bestätigte Lea.
Karina unterdrückte ein Seufzen. Manchmal blickte sie ein bisschen neidisch auf ihre Freundinnen, die beruflich eigene Wege gingen, und nicht in einem derart steifen Rahmen agieren mussten, wie sie selbst. Sie tat pflichtbewusst immer noch das, was von ihr erwartet wurde. Wie schön wäre es, dort einmal auszubrechen, und wenn es nur für einen langen Urlaub wäre.
»Ja, du hast es gut, dass du dir diesen Luxus leisten kannst, zu Hause zu bleiben. Manchmal hätte ich auch gern mehr Zeit für die Kinder … und für mich«, seufzte Frauke.
Karina lächelte ihr Missbehagen weg. Natürlich war ihr klar, dass es für ihre Freundinnen nicht immer einfach war, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Oft genug war sie als Babysitter eingesprungen, denn die Freundinnen hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Doch, in letzter Zeit fragte sie ich immer öfter, ob es nicht an der Zeit war, etwas Neues zu beginnen. Schließlich wurden die Kinder immer selbstständiger. Sie entwickelten sich altersgerecht – altersgerecht anstrengend. Janina war Elf und mutierte immer mehr zum Pubertier, während Dennis mit seinen neun Jahren nur Blödsinn im Kopf hatte. Damit nicht genug, die beiden zankten sich in letzter Zeit wie Hund und Katze.
Karina fragte sich warum, obwohl ihr insgeheim klar war, dass Langeweile bei ihren Kindern eine Rolle spielte. Konnte sie sie früher noch ziemlich einfach bespaßen, wie zum Beispiel mit einem spontanen Ausflug, wurden Karinas Freizeitvorschläge zunehmend als uncool bewertet. Es wurde immer deutlicher, dass sie anfangen musste, loszulassen. Allerdings war es nicht einfach, das richtige Maß zu finden. Die Kinder hatten es zu schätzen gelernt, dass immer jemand für sie da war, sobald sie mit dem Finger schnippten.
Es war anstrengend, Dennis von der Spielkonsole fernzuhalten. Reale »Abenteuer« gaben ihm anscheinend nicht den Kick, den er suchte. Und wenn es Karina doch gelang, in Sachen Gaming die Bremse anzuziehen, verkrümelte er sich zu Freunden und zockte dort Computerspiele, wo sie dann noch weniger Einfluss auf das Geschehen hatte.
Und es war noch anstrengender, die endlosen Diskussionen mit ihrer Tochter zu führen. Sie musste sich immer wieder vor Augen halten, dass sie selbst in der Pubertät genauso war. Ja, das Karma war eine Bitch. Fast täglich bat sie ihre Eltern deswegen still um Verzeihung.
Still war das Stichwort, denn wenn sie eins nicht ausstehen konnte, waren es die guten Ratschläge ihrer Mutter, die immer noch bei jeder Gelegenheit auf sie einprasselten. Mama hatte ja immer alles richtig gemacht – natürlich auch mit ihrem Vater.
Und Karina wusste, ihr Mann gab sein Bestes, den Familienbetrieb über Wasser zu halten. Brautmode war trotz Nische ein hart umkämpfter Markt, aber noch behaupteten sie sich. Dennoch schien es gerade alle Kraft aus ihrer Ehe zu saugen, genau so, wie sie es damals befürchtet hatte.
Trotzdem, Karina durfte sich nicht beklagen! Schließlich war es ihr Erbe, das da alle Anstrengungen forderte. Deshalb war sie froh, als das Gespräch weiterging, doch leider gab es nicht den erhofften Themenwechsel.
»Ich wollte es mir ja nicht eingestehen, aber meine Ehe war schon längst am Ende. Ich war nicht das, was mein Exmann brauchte. Und er war nicht das, was ich brauchte. Nach dem Hausbau war es dann nur noch toxisch zwischen uns beiden. Bei euch ist es anders«, behauptete Frauke.
»Ja, das ist die Voraussetzung für einen Neuanfang. Man muss sich eingestehen, dass es so nicht weitergehen kann«, erklärte auch Lea lächelnd. »Ich habe viel zu lange an meinem Idealbild von einer Familie festgehalten.«
»Genauso ging es mir«, bestätigte Frauke eifrig. »Man kommt nicht darum herum, etwas zu wagen, anders geht es nicht. Und so ist es bei dir doch nicht, oder?«
Karina hob abwehrend die Hände. »Nein! Ich sag doch, es ist alles in Ordnung.«
Sie wusste, alle vier Freundinnen hatten sich irgendwann eingestehen müssen, dass es so nicht weiterging, und ein neues Leben angefangen. Alle vier dachten, dass sie, Karina, die Einzige von ihnen war, die die ganze Zeit glücklich gewesen war.
Da war es ihr fast peinlich, dass sie sich bloß wünschte, dass irgendetwas Aufregendes in ihrem Leben passierte. Oder zumindest eine Abwechslung. Ihre Hochzeitsreise nachholen, zum Beispiel. Das war doch nicht zu viel verlangt.
»Ich will keinen anderen Mann … nur …«
»Nur was?«, erklang es im Chor.
»Manchmal wünsche ich mir das gewisse Kribbeln zurück … ihr versteht?«
Fraukes Augen wurden groß. »Aber dafür würde ich doch nicht meine glückliche Ehe aufs Spiel setzen. Das ist doch nur natürlich, dass das nachlässt.«
»Glücklich … na ja«, murmelte Karina.
»Meine Mutter hat mal gesagt, dass die Ehe wie ein Vollbad ist, man muss es immer schön warmhalten, wenn man darin schrumpelig werden will«, warf Anne ein.
»Könnte man so sehen, funktioniert aber nicht immer. In Wahrheit haben wir nachgeholfen, damit jede sieht, was schiefläuft, und ihr neues Glück findet, oder?«, forderte Lea grinsend.
»Okay, okay.« Anne hob die Hände. »Wart ihr eigentlich schon immer so?«
»Alles fing damit an, dass wir aus einer Bierlaune heraus beschlossen hatten, mal wieder so richtig Karneval feiern zu gehen«, gestand Karina, froh für die Vorlage, das Thema zu wechseln.
»Man könnte auch sagen, du hast uns zu einem grenzwertigen Kostüm überredet«, spottete Frauke.
»Schon, es war … auffällig. Aber es hat doch seinen Zweck erfüllt, oder nicht? Es war der Wendepunkt in eurem Leben«, antwortete Karina mit gespielter Entrüstung.
»In Fraukes Leben«, berichtigte Lea. »Meiner kam durch den Besuch im Fitnessstudio.«
»Na gut, das Ding ist aber doch, dass man etwas wagen muss, oder nicht?«, beharrte Karina und ärgerte sich, dass sie selbst wieder auf das ungeliebte Thema Ehekrise zusteuerte. Ihr kamen schon wieder Zweifel, doch gleich darauf schüttelte sie innerlich den Kopf. Sie und ihr Mann passten perfekt zusammen. Wie konnte sie da überhaupt auf solche Gedanken kommen? Dass sie füreinander bestimmt waren, daran gab es doch keinen Zweifel. Sie brauchte sich doch nur die Schicksale ihrer Freundinnen anzusehen, dann wurden ihre Probleme zu Luxusproblemen.
»Jetzt habt ihr mich trotzdem neugierig gemacht. Was war das denn für ein Kostüm?«, erkundigte sich Anna und holte Karina wieder aus ihren Gedanken.
Frauke winkte ab. »Egal.«
»Ein riesiger Plastikarsch und Titten«, verriet Ela, ohne mit der Wimper zu zucken.
Anne lachte auf. »Und dann seid ihr ernsthaft mit diesem Kostüm unter die Leute gegangen?«, fragte sie ungläubig.
»Na und?«, fragte Karina schulterzuckend. »Hat meinen echten Hintern großartig verdeckt.«
»War aber ziemlich mutig, könnte schließlich auch falsch verstanden werden«, meinte Anne, mit Bewunderung in der Stimme.
»Sprich’s ruhig aus. Du meinst, dass wir notgeil wären?«, fragte Ela unverhohlen.
Annes herzerfrischendes Lachen war ansteckend, die Mädels des Sex and the Village-Treffens stimmten ein. »Ist jetzt vielleicht ein bisschen krass formuliert.«
Anne war eine Frau, die ihr Herz am rechten Fleck hatte. Sie war erst später dazugekommen, war aber definitiv ein Gewinn für die Clique. »Na ja, die Idee für das Kostüm ist ja aus einer Bierlaune heraus entstanden und so auch nur mit Bierlaune zu ertragen. Aber das ist im Karneval ja kein Problem.«
»Und wie haben die Leute so reagiert?«, fragte Anne und lehnte sich neugierig ein kleines Stückchen nach vorne.
»Durchwachsen. Wir haben einander Mut gemacht, bis wir den nötigen Pegel hatten, und dann war es uns egal«, antwortete Lea. »Für Frauke hat es sich ja wirklich gelohnt, sie hat damals Elias kennengelernt.«
Anne sah erstaunt zu Frauke hinüber.
Frauke lachte auf. »Mir war es anfangs peinlich ohne Ende, aber Elias fand es cool. Er ist nicht unbedingt der Karnevalsfan und sah es mehr als Satire.«
»Genau, Humor ist wichtig. Den braucht man«, ergänzte Karina. »Schließlich geht es darum, das Leben zu genießen. Und wie heißt es so schön? Jeder Jeck ist anders.«
Die anderen grinsten und nickten zustimmend.
»Is dat nich et kölsche Jrundjesetz?«, fragte Ela lachend, mit Betonung auf kölsche.
»Du willst doch nicht etwa die alte Fehde zwischen Köln und Düsseldorf auf den Arm nehmen?«, fragte Anne.
»Was meinst du? Die Düsseldorfer sind alle gleich?«, erkundigte sich Lea, die gebürtige Düsseldorferin war, amüsiert.
»Oder glaubst du, die Düsseldorfer haben keinen Humor?«, fragte Frauke grinsend, die aus Norddeutschland kam.
Karina kicherte. »Ich sag nur: Lackschuhkarneval.«
»Jeder Narr ist anders, und ein bisschen verrückt sind wir doch alle – sogar die Düsseldorfer«, meinte Karina und zwinkerte. »Ich finde ja immer, dass Karneval eine ganz besondere Zeit ist. Zwar setzen viele Menschen Masken auf, aber eigentlich, um die darunter abzulegen.«
»Schon allein die Reaktion über das Kostüm verrät viel über die Männer. Und enthemmt durch den Alkohol zeigt sich doch oft, wie sie wirklich ticken«, erklärte Ela, die das am eigenen Leib erfahren hatte.
»Nicht nur beim Flirten«, meinte Lea und fuhr sich durchs Haar.
Karina lächelte stumm in sich hinein. Ela hatte das aufregendste Abenteuer von ihnen erlebt. Lea hatte lange gebraucht, um locker zu werden. Und auch, wenn es manchmal gefährlich war, sie hatten wenigstens etwas erlebt, das ihr Herz hatte höher schlagen lassen. Bei Karina schlug das Herz nur noch höher, wenn sie sich über irgendetwas aufregte.
»Und die Frauen sind bestimmt nicht besser. Nicht umsonst nennen es manche Die Lizenz zum Fremdgehen«, warf Anne hinterher.
»Dazu gehören immer zwei«, meinte Ela.
Das bestellte Eis kam endlich und Karina konnte den Wunsch nach einer Abwechslung in ihrem eintönigen Leben für einen Moment verdrängen. Doch da alle zunächst schweigend die köstliche Süßspeise genossen, holten sie ihre Sehnsüchte schnell wieder ein. Wieder kochte der Wunsch nach einer Auszeit hoch. Raus aus dem tristen Alltag, länger als ein Nachmittag in der Eisdiele.
»Ich finde, wir sollten uns dieses Jahr mal frühzeitig um unsere Kostüme für Altweiber kümmern«, schlug sie vor.
»Ich bin zu schwanger für diesen Scheiß«, murrte Ela und strich schützend über ihre kleine Babykugel. Karina beneidete sie ein bisschen, denn Ela und Luca waren sich einig, dass sie trotz Kind auf jeden Fall ihr Studium beenden und später auch arbeiten sollte.
»Das ist doch Quatsch«, wandte Karina ein. »Wir suchen einfach ein Kostüm, das deinen Bauch versteckt.«
Ela winkte ab. »Ich hab keine Lust, ohne Alkohol dort herumzustehen und mir dicke Knöchel zu holen.«
»Ach, komm schon, sei keine Spaßbremse«, drängte Karina.
»Und was hab ich davon?«, erwiderte Ela.
»Ich weiß auch nicht, ob ich es diesmal hinbekomme«, warf die harmoniesüchtige Frauke schnell ein. »Elias ist immer wieder unterwegs und Stephan angeblich in Amerika. Das behaupten jedenfalls seine Eltern. Ich glaube ja, wenn er in Amerika ist, dann in einer Entzugsklinik. Für mich wird es schwierig, einen Babysitter zu finden.«
»Frag doch deine Schwiegermutter«, forderte Karina.
»Irina ist doch nicht meine Schwiegermutter.«
»Aber doch in spe, nehme ich mal an«, ließ Karina nicht locker.
Frauke schüttelte den Kopf. »Selbst wenn sie es machen würde … die Kinder sind ihr gegenüber noch sehr skeptisch. Irina hat eine … disziplinierte Ausstrahlung, die die Kids irgendwie einschüchtert.«
Karina versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Sagt mal, werdet ihr alt?«, fragte sie und zwinkerte. »Was ist mit dir, Lea?«
»Tim ist Karneval immer eingespannt«, wand Lea sich heraus.
»Du kannst doch deine Eltern fragen, ob sie auf die Kleine aufpassen«, antwortete Karina enttäuscht.
»Okay … also, ich wollte es euch ja noch nicht sagen, weil es noch so frisch ist, aber ich bin auch schwanger«, gestand Lea leise.
Das war’s wohl mit dem Karneval. Im neuen Leben ihrer Freundinnen hatten diese offensichtlich nicht mehr das Bedürfnis auszugehen. Warum auch, deren Leben war wahrscheinlich jeden Tag ein Fest. Jetzt war ein Seufzer nicht mehr aufzuhalten.
»Warum seufzst du?«, fragte Frauke und sah sie erstaunt an. »Sag nicht, du bist auch schwanger?«
Karina hob abwehrend die Hände. »Um Himmels willen! Ich bin ja gerade erst aus
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alica H. White
Bildmaterialien: Coverbild ID: fotolia_140657933, Skyline: Florian Lenz auf Pixarbay, Rest: Freepik
Cover: Michela Feitsch
Lektorat: Christine Hann
Korrektorat: Christine Hann
Tag der Veröffentlichung: 23.08.2023
ISBN: 978-3-7554-5089-4
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