Vier Männer standen noch immer - das ist das Problem, wenn man junge Leute aus der Schule reißt, ihnen Gewehren in die Hand drückt und ihnen befiehlt, zehn gefangene Franzosen zu exekutieren.
Für beide Seiten ein Schnitt ins eigene Fleisch, die Gefangenen sterben einen qualvollen Tod und die Schützen kämpfen ein Leben lang mit den Erinnerungen.
Ich war schon bei mehreren Exekutionen als Beobachter anwesend. Meist ein kurzes, trauriges Schauspiel: „An die Wand! Legt ihnen die Augenbinden um! Gewehre im Anschlag! Zielen! Feuer!“ Die Männer sichern, die Getroffenen fallen tot um.
Doch hier war es anders, von den zehn Unglücklichen hatten wir nur sechs getroffen, von denen sich wiederum zwei, von starken Schmerzen geplagt, im Schlamm wanden. Bei einem der noch lebenden Gefangenen war die Augenbinde verrutscht und ich konnte, nein, ich musste in die tiefen glasigen Augen sehen.
In diesem Moment ertönte wieder der Ruf des Kommandanten: „Legt an!“ Ein dunkler Fleck breitete sich auf der Hose eines der Verurteilten aus. „Zielt! … Feuert!“
Eine gute Salve, unsere fünfzehn Schützen schossen nahezu gleichzeitig. Nun stand keiner mehr. Nur noch die zwei Verletzten am Boden störten das Bild perfekter Idylle.
Der Kommandant deutete in meine Richtung und meinte: „Erledigen sie das, Erich, wozu haben Sie Ihre Luger?“ Mit weichen Knien zog ich meine Pistole aus dem Holster, ging auf den ersten Getroffenen zu, presste ihm die Mündung gegen die Stirn und drückte ab. Ein reflexartiges Zucken durchlief den Körper des Mannes, dann war es still.
Durch die Augenbinde konnte der andere Todgeweihte zwar nicht sehen, was vor sich ging, doch er hatte es bestimmt bemerkt. Jedenfalls stoppte er seine Windungen, richtete sich kniend auf und blickte durch die Leinenbinde in meine Richtung. Seine Verwundung wäre ohnehin tödlich gewesen. Er war von zwei Kugeln getroffen worden, die eine hatte ihm die linke Schulter zerschmettert, der Arm hing nutzlos an der Seite herab, die andere Patrone hatte seinen Kopf an der Seite gestreift, dickes Blut quoll aus seiner Schläfe hervor. Ich spürte Übelkeit in mir aufsteigen, unterdrückte den Brechreiz, zielte, und schoss dem Mann drei, vier, fünf Mal in die Brust, so lange bis der Mechanismus meiner Pistole nur noch klickte und sich der Torso des Mannes in einen blutigen Fleischklumpen verwandelt hatte. Der Mann fiel seitlich aufs Gesicht. Ich spürte Tränen auf meinen Wangen, und den vom Schießen geprellten Unterarm, ansonsten spürte ich nichts.
Unsere Mannschaft zog ab, zurück in die Gräben. Ich entfernte mich kurz von unseren Leuten unter dem Vorwand hier irgendwo noch meinen Spaten vergessen zu haben. In Wirklichkeit lief ich ein Stück in den Wald, beugte mich vorn über und erbrach.
Mein Name ist Erich Holzmann, wir befinden uns in Frankreich im glorreichen Jahr 1914.
Tag der Veröffentlichung: 12.05.2013
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