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Zeit-los.

 

Es waren nun an die 60 Leute, die sich im Wartesaal des Bahnhofs drängten. Die Luft in dem kleinen stickigen Zimmer war so abgestanden, dass man sie greifen konnte, schwer lastete sie auf den Köpfen der Wartenden, dicht an dicht drängten sich die Körper der Leute.

Gerne wäre der alte Mann nach draußen gegangen aber dort war es kalt und dunkel.

Zu kalt und zu dunkel um dort zu warten.

„Tack“, tönte es von der großen an der Decke hängenden Uhr, nur er hörte sie, vernahm sie trotz all der anderen Geräusche, die um ihn herum schwirrten.

Die Geräusche lachender Kinder, aufgeregt schwatzender Frauen, hektisch telefonierender Männer. All das hörte er nicht. Er lauschte lieber der Uhr, was für eine präzise akkurate Meisterleistung sie doch war. Fast wie ein Mensch, dachte der alte Mann und gab sich Mühe das Gleichgewicht zu halten, als ihn ein junger Mann im vorbei hasten anrempelte.

Zu gern hätte er einen Sitzplatz gehabt, die Hüfte und das Knie bereiteten ihm schon seit einiger Zeit Probleme und ohne Stock konnte er das Haus gar nicht mehr verlassen. Doch der alte Mann fragte niemanden. Es war ihm egal, der Anblick von jungen Menschen erfüllte ihn mit Freude, da wollte er sie doch nicht mit fragen nach einem Sitzplatz nerven.

„Tack“,wieder wanderte der Zeiger eine Minute weiter. Es war nun 18:11 in 4 Minuten würde der Zug kommen. Langsam machte sich der Alte auf den Weg in Richtung Bahnsteig, er wollte wenigstens versuchen im Zug einen der zu dieser Zeit seltenen Sitzplätze abzugreifen.

Mit kurzen tapsigen Schritten machte er sich auf den Weg. Er war klein geworden in den letzten Jahren, klein und zerbrechlich und so konnte er sich nur langsam einen Weg durch die Leiber der Wartenden bahnen.

Doch es störte ihn nicht dass er nicht schnell vorankam, das Ziel würde er trotzdem erreichen.

Schritt für Schritt ging er weiter auf die Tür zu und trat schließlich durch sie hindurch auf den Bahnsteig. Es war nun 18:13. Die Nacht war hereingebrochen, es war kalt und finster, trotzdem schritt der alte Mann unbeirrt weiter auf die Gelbe Linie zu. Jene Linie vor der man immer zurücktreten musste wenn sich ein Zug näherte, diese gelb leuchtende Grenze, dort wollte er stehen bleiben und warten.

Vor wenigen Tagen war der Winter hereingebrochen und erste Schneeflocken trieben vom Himmel und zuckerten den Weg vor ihm. Noch zwei Schritte trennten ihn von seinem Ziel.

Und in der Ferne konnte er schon die Lichter des Zuges ausmachen. Nun kamen auch die restlichen Wartenden aus dem Saal. Der alte Mann stand jetzt ganz vorne an der Linie auf seinen Stock gestützt und wartete.

Der Zug fuhr sehr schnell in den Bahnhof ein, er musste es wohl sehr eilig haben. Der Mann hatte Glück und einer der Waggons kam genau so zum stehen, dass eine Türe direkt vor ihm lag. Zaghaft setze er einen Schritt zurück, er wollte doch den Aussteigenden genug Platz bieten. Doch als er sich nach hinten bewegte verspürte er sofort den Ellbogen eines Mit-wartenden im Rücken. Die Schneise öffnete sich und heraus kam ein Schwall Menschen. Die Leute strömten gleichermaßen heraus wie hinein.

So gut es ging versuchte sich der alte Mann auf den Beinen zu halten. Hier und da verschenkte er ein Lächeln an einen ihm entgegenkommenden Aussteigenden. Jedoch drängten sich diese nur, so schnell es ging an ihm vorbei um anderen, wichtigeren Tätlichkeiten nachzugehen. Doch auch wenn das den alten Mann verletzte, war es ihm doch egal, denn das hier war nicht mehr seine Zeit.

Endlich waren alle alle ausgestiegen wie ein vom Wind gepacktes Blatt wurde der alte hin und her geworfen bis er schließlich am Ende der Schlange zu stehen kam. Sitzplatz würde er zwar keinen mehr bekommen, aber das war jetzt auch unwichtig. Der Zug war schon ein etwas älteres Modell, eines wo es galt drei steile Stufen zu überwinden ehe man in den warmen Waggon eintreten durfte. Erst jetzt fiel dem alten Mann auf dass an der Tür wo er stand, das Geländer fehlte. Es war abgebrochen, nur noch die zwei senkrechten Haltestangen auf denen es angebracht gewesen war zeugten von seiner einstigen Präsenz. Er konnte nicht ohne Geländer hoch, er schaffte es mit schon kaum. Zaghaft blickte er sich um,doch alle waren bereits in den warmen Abteilen, er stand vollkommen allein am Bahnsteig, niemand da der ihm helfen konnte.

Schnell zu einer anderen Tür dachte er und wanderte los. Doch er hatte noch kein viertel der Strecke zurückgelegt als er die Zugtüren zufallen hörte.

Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Rollte davon in die Nacht. Der Mann starrte ihm nach bis das Leuchten in der Ferne erlosch.

Traurig drehte er sich um und machte sich auf dem inzwischen weißen Weg zurück in den Wartesaal.

 

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Tag der Veröffentlichung: 12.05.2013

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