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Letzte Worte

Liebe Mutter, dieser Brief ist wohl der erste und der letzte den ich dir je schicken werden. Durch unser schwieriges Verhältnis, war es mir zuwider den Kontakt mit dir und auch meiner restlichen Familie zu pflegen. Ich denke du weißt, dass ich den Tod von Vater nie verkraftet habe und ich dies auch nie werde. So kam es das ihr mich mit der Zeit immer mehr ausgegrenzt habt, bis ich mich wahrlich nicht mehr als ein Teil der Familie bezeichnen konnte. Aber du brauchst dir auch jetzt keine Vorwürfe zu machen, dass hast du dein ganzes Leben nie getan, also nimm meinen Tod bitte nicht als Anlass dich je zu ändern. Ich denke, dass du, wer auch immer sich noch umbringen wird, so bleiben solltest wie du bist. Du hast einen Steinreichenmann, der dir fremd geht (und ja sogar mit deiner eigenen Tochter), dir alles schenkt was du brauchst, außer Liebe und Zuwendung. Aber das ist nun wieder verständlich, immerhin ist er in seinem „Buiseness“ als reicher Frührentner auch viel beschäftigt. Du musst wirklich eine glückliche Frau sein, bei all der Liebe die du deinen kleinen Hunden, nicht aber deinen Kindern, schenkst. Kinder sind wirklich anstrengend, sie kosten so schrecklich viel Geld und quengeln wenn sie etwas nicht bekommen, aber damit hattest du wirklich kein Problem, weil du uns immer diese schreckliche Nanny auf den Hals gehetzt hast, die uns sogar noch weniger Liebe geschenkt hatte als du, vielleicht sollte man sie dafür für einen Novellpreis einschreiben lassen. Aber das ist nicht der Grund warum ich dir diesen Brief schicke. Ich brauchte eine Möglichkeit jemanden meinen Tod zu erklären. Ich bin mir sicher, dass du diesen Brief lesen wirst.

Dieser Grund beginnt doch tatsächlich mit einer Liebe, die wirklich durch alle Welten geht und das meine ich Wortwörtlich, so wie es dort steht. Ich habe sie das erste Mal gesehen als ich alleine (wie immer) in meiner kleinen Einzimmerwohnung hockte und ich, wie so oft, mit einem Rasiermesser über mein Leben plauderte. Ich schaute also in diesem Moment aus dem Fenster und sah sie, Josephine, eine junge Frau mit dunkle roten Locken und Haut, so weiß wie Schnee. Sie stand dort reglos und starrte mit leerem Blick gerade zu mit hoch. Ich kann mich genau daran erinnern wie ein Lächeln über ihre Lippen huschte als sie sah wie ich sie beobachtete. Josephine schien für mich erst wie ein schöner Traum gewesen zu sein, denn als ich ihr winkte erstarrte sie und schaute sich um. Damals dachte ich wirklich, dass sie nur auf jemanden gewartet hatte und von dem blassen 21 Jährigen Mann überrascht wurde, der ihr so verunsichert zu winkte. Aber überspringen wir die langweilige Geschichte am Anfang meines Endes, denn wirklich interessant wird es erst als wir uns annäherten. Ich ging ein paar mal mit ihr aus, und beachtete auch ihre merkwürdigen Wünsche, dort zu bleiben wo sonst niemand anderes her kam, ihre Ausreden, dass sie nichts essen konnte wegen einer strengen Fastenzeit und den Drang um 12 Uhr Nachts zu schlafen. Ja, denk nur, dass sie ein komische Mädchen ist, aber damit hast du einmal in deinem Leben recht, sie ist anders als die anderen. Sie ist tot. Ich meine damit nicht, dass sie verstorben ist, wegen einem Unfall oder einer Krankheit, nein ich meine damit das sie die ganze Zeit über, jede Sekunde der Zeit die sie mit mir verbracht hat tot war und es auch für immer bleiben wird. Du kannst mich gerne für verrückt erklären, aber das macht mir wirklich nichts mehr aus, ich meine was willst du meinem totem ich auch anhaben? Mir wird es auch egal sein, ob du mich verfluchst oder meine Leiche in irgendeinem Wassergraben ertränken wirst, bis meine vermoderten Knochen irgendwo in Afrika angeschwemmt werden, das einzige was jetzt noch für mich zählt ist bei Josephine zu sein. Sie ist die einzige Person in meinem Leben die wirklich jemals aufrichtig für mich da war. Und mit der Zeit habe ich festgestellt das wirklich alle toten Menschen denen ich in meinem Umkreis begegnet bin, netter sind als es meine ganze Familie jemals zu mir war. Ich habe, so hat Josephine es mir erklärt, durch meine zahlreichen Versuche mir das Leben zu nehmen, die Fähigkeit erlangt, zwischen den toten und den lebendigen Menschen keinen Unterschied mehr zu sehen. Ich hatte mich schon gefragt warum ich Menschen mit merkwürdigen Entstellungen aus meinem Fenster heraus betrachten konnte, habe mich aber nie wirklich daran gestört, immerhin, gab es da etwas Interessantes in meinem Leben, was nicht von einem viel zu altem Fernseher abhängig war. Wenn du mich jetzt als Wahnsinnig einstufst, kannst du, wenn du willst auch dir die Schuld geben, da es deinem Herz aus Stein wirklich keinen Kummer bereiten sollte, noch ein paar Tote mehr auf Gewissen zu haben, denn du kannst die Menschen um dich herum wirklich zur Verzweiflung treiben. Aber du brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich zu machen, mein Tot wird schnell und schmerzlos sein und die Zeit danach auf ewig wunderbar. Bevor du dich fragst wie ich mir so sicher sein kann, dass ich auch wirklich als ein „Geist“ weiterlebe, werde ich es dir erklären: Ich habe doch tatsächlich zwei deiner schrecklich hässlichen Hunde eingeschläfert. Ich weiß nicht ob du bemerkt hast das „Pink“ und „Gucci“ fehlen, aber ich habe absichtlich nur deine zweitliebsten Hunde genommen. Um mein Leben nach dem Tod wirklich perfekt zu gestalten, bin ich in eine Tierklinik eingebrochen und habe dort einige Spritzen mit dem Einschläferungs-Zeug (wen interessiert es schon wie es heißt) geklaut. Falls der Tierarzt jetzt eine Anzeige aufgibt, wegen Einbruch und Diebstahl kannst du ihm gerne erklären, dass es dein toter Sohn war, der sich an seiner schrecklichen Mutter rächen wollte.

Ich denke ich habe dir nun genug zu meinem Tot erklärt und hoffe, dass es dir trotzdem wunderbar geht und dein Ralf dich nie wieder betrügt, falls ja, kannst du dir ja die verschwunden Überwachungsvideos, die er immer in einem geheimen Bodenfach im zweiten Badezimmer im Erdgeschoss aufbewahrt anschauen, vielleicht kannst du ihn ja damit Erpressen dir eine neues Paar „Pink“ und „Gucci“ zu kaufen, aber mein Tipp ist es, dass du doch bitte auf diese schrecklichen Rassenhunde verzichten solltest, selbst deine beste Freundin Nummer 177 „Renate“ hat sich schon über diese (ich zitiere) „Übelriechenden und verzogenen Köter“ beschwert. Frag dich nicht woher ich das und noch vieles mehr weiß, ich meine es ist praktisch einen Geist als feste Freundin zu haben.

Dein Sohn Roy.

Ps.: Ich denke nicht, dass ich dir irgendetwas außer meiner Zahnstocher Sammlung vererben sollte, vielleicht bekommst du dafür noch ein paar Cent.

Pps.: Grüß auch den Rest der Familie ganz Herzlich von mir, vielleicht erinnern sie sich ja noch an mich, aber ich denke, dass sie den „Looser“ schon gar nicht mehr in ihrer Familie sehen.

Ich betrachtete die geschriebenen Zeilen sorgfältig und wischte mir eine kleine Schweißperle von der Stirn. Josephine stand hinter mir und legte mir eine ihrer zarten Hände auf die Schulter. „Und du bist dir wirklich sicher, dass du es tun willst?“, ihr besorgter Blick regte mich zum nachdenken an. Es war wirklich kein leichter Schritt den ich tat, aber ich war absolut entschlossen. Mit einer raschen Handbewegung klebte ich die Briefmarke auf das vergilbte Papier des Briefes und steckte ihn in meine Manteltasche. Als ich vor die Tür trat, schauerte ich bei dem eisigen Hauch der über meine Haut fuhr und schnürte den Mantel etwas fester um mich. Josephine ging immer einen Schritt hinter mir und schaute sich wie immer etwas verunsichert in der Gegend um, bis sie die paar Meter mit mir zu dem Abgemoderten Briefkasten um die Ecke ging. Ich habe nie in einer schönen Gegend gewohnt, nicht in meiner Kindheit und jetzt auch nicht. Es war einer dieser typischen Sozialbausiedlungen, die dunkel und verdreckt am Ende eines kleinen Vorortest lagen, für deren Wohnung ich über 100 Euro im Monat ließ, die ich mir durch Schwarzarbeit und betteln bei ehemaligen Freunden zusammensuchte. Ich bog also um die Ecke und mein Herz pochte etwas schneller als ich den Briefkasten erblickte, der mitten in einer dunklen Gasse stand. Mit zitternder Hand griff ich nach dem Brief und legte ihn in den Spalt, ich zögerte, vielleicht auch etwas zu lang, denn ich hörte nur ein aufgeregtes Kreischen hinter mir: „ROY! HINTER DIR!“, doch bevor ich überhaupt die Chance bekam mich umzudrehen spürte ich, wie etwas spitzes in meinem Rücken eindrang und geradewegs durch meine Brust das freie Erblickte, eine blinkende Messespitze Ragte aus mir hervor. Ich taumelte rückwärts und viel auf den kalten trostlosen Boden. Während ich das warme Blut auf meiner Brust spürte und merkte wie ein T-Shirt und mein Mantel darin getränkt wurden, wurde mir schwarz vor den Augen. So hatte ich mir meinen Tot sicherlich nicht vorgestellt, aber vielleicht war es besser so. Ein Mord würde meine Familie noch mehr zum Nachdenken anregen. Eine Frage blieb jedoch offen. Würde der Brief jemals bei meiner Mutter ankommen?

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Tag der Veröffentlichung: 03.04.2013

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