Cover

Wichtige Hinweise:

Sämtliche Personen dieser Geschichte sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.

 

Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für homophobe Menschen nicht geeignet. Im wahren Leben gilt ein verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer‐Sex!

 

 

Diese Geschichte ist allein lesbar, gehört aber zur Neandertaler-Reihe:

 

Band 1: Willkommen im Neandertal

Band 2: Grüße aus dem Neandertal

Band 3: Kämpfe im Neandertal

Ursache und Wirkung

 

Als der Hausmeister des Museums an Tobias Tür klopfte, ruckte dessen Kopf hoch. Völlig vertieft hatte er sich auf die Tonscherben von der Neandertaler-Fundstätte konzentriert. Lächelnd begrüßte er den älteren Mann, den guten Geist der Institution. „Was bringst du mir schönes?“

Erich hob einen dicken braunen Umschlag in die Höhe und lächelte breit.

Die Analysen! Freudig sprang Tobias von seinem Hocker und ging seinem Freund entgegen. Blitzschnell riss er das große Kuvert auf und zog die Akte heraus. Gemeinsam mit Erich beugte er sich über die Papiere. Graphiken, wissenschaftliche Texte, Skizzen und Tabellen sprangen ihnen entgegen.

„Du kannst da was rauslesen?“, erkundigte sich Erich ehrfürchtig.

Nickend bestätigte Tobias und erklärte: „Kannst du auch, wenn du sie dir mit etwas Ruhe ansiehst.“ Dabei legte er eine Tabelle vor Erich ab und dieser nahm natürlich die Herausforderung an. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er die Daten. Vorne standen lateinische Namen, wenn er es richtig beurteilte, handelte es sich dabei um Pflanzennamen, hinten standen Zahlen in Gramm. Könnte das die Analyse des Mageninhalts sein? „Mageninhalt?“

Nickend sah Tobias Erich an und erklärte: „Es handelt sich um die letzte Mahlzeit des Homo sapiens. Auf dem nächsten Blatt findest du die Zusammenstellung des Essens des Neandertalers. Wir können sehr viel aus diesen Daten ableiten.“

Jetzt wiederum nickte der ältere Mann und richtete sich wieder auf. Sein Rücken mochte es nicht sonderlich, wenn er so nach vorne gebeugt herum stand. „Ich muss als nächstes zu den Archäologen. Soll ich Damian Bescheid sagen, dass die Analyse da ist?“

Freudig lächelnd bestätigte Tobias und begleitete Erich bis zu Bürotür. Danach kehrte er schnell an seinen Arbeitsplatz zurück und vertiefte sich in die Papiere.

 

***

 

Am Lagerfeuer tummelten sich die Mitglieder von Bromms Sippe und ihre Besucher. Die vierköpfige Jagdgesellschaft eines anderen Stammes kam am späten Nachmittag vorbei und Bromm lud sie daher zum gemeinsamen Essen ein.

Prahl beäugte die vier Männer kritisch. Sie wirkten heruntergekommen und ihre Felle abgerissen. Alles an ihnen machte den Eindruck von schlechter Planung und genauso miserabler Nutzung der natürlichen Ressourcen. Der Schwächliche hatte bei den Vieren einfach kein gutes Gefühl. Alles in ihm schrie: „Gefahr“. Trotzdem konnte er seine Sorge nicht an etwas Bestimmtem fest machen. Es blieb Prahl nur die Möglichkeit alles zu beobachten und die Fremden nicht aus den Augen zu lassen.

Natürlich bemerkte Bromm die Unruhe seines Gefährten. Liebevoll nahm er ihn in den Arm und erkundigte sich nach seinen Sorgen.

Hilflos sah Prahl zu Bromm auf und sah seiner Breitnase tief in die dunklen Augen: „Ich misstraue den Fremden. Sie wirken irgendwie verzweifelt. Verzweifelte Menschen tun Ding, vor denen andere zurück schrecken.“

Nachdenklich nickte Bromm und drückte seinen Kleinen liebevoll. In der ganzen Zeit, in der sie nun ein Lager und ihr Leben teilten, hatte der Grobknochige gelernt auf seinen kleinen Schwächlichen zu hören. Die Instinkte des hellhaarigen Mannes waren extrem gut ausgeprägt. Er witterte Gefahr einen Tagesmarsch gegen den Wind und man sollte seine Ängste durchaus ernst nehmen.

Erstmals betrachtete der Anführer der Neandertaler-Sippe die Fremden mit den Augen eines kritischen Beobachters. Dabei entdeckte er deren taxierendes Verhalten. Jeder der Vier inspizierte die Frauen, ihre Ausrüstung, ihre Bekleidung und das Angebot an Nahrung und Vorräten. Hier bestand die Gefahr eines Überfalls. Jetzt verstand Bromm Prahls Befürchtungen. Durch einen Fingerzeig alarmierte Bromm seine Jäger und die Männer bewaffneten sich unauffällig. Jeder nahm einen strategischen Standort ein und behielten die Fremden im Auge. Jetzt hatten sie keine Chance mehr etwas zu erreichen.

Dies erkannten wohl auch die Besucher. Nach dem gemeinsamen Essen verabschiedeten sie sich und verschwanden in der Dunkelheit.

Besorgt sah Prahl ihnen hinterher. Diese Sache war noch nicht ausgestanden.

Auch Bromm ahnte, dass da noch etwas nachkommen würde. Seufzend schloss er seinen Schwächlichen in die Arme und küsste seine Schläfe: „Wir werden Wachen aufstellen. Ich möchte nicht im Morgengrauen überrannt werden.“

Wieder gab Prahl ihm Recht, bevor er sich in ihre Wohnhöhle zurückzog.

 

***

 

Als Damian bei Tobias eintraf, schäumte dieser gerade vor Wut. Der Forensiker, der die Analyse der verheilten Knochenbrüche der beiden Steinzeitmenschen vorgenommen hatte, ließ seine eigene Meinung in seine Texte einfließen und widersprach damit Tobias von Grund auf. Der ihm unbekannte Wissenschaftler zog jeden seiner Schlüsse in Zweifel, selbst das Fett im Rektum des Homo sapiens interpretierte er anders als Tobias. Verhielt sich Tobias engstirnig? Hatte er eine zu eingeschränkte Weltsicht aufgrund seiner eigenen sexuellen Ausrichtung? Er brauchte eine zweite Meinung. Als er aufblickte entdeckte er gerade seinen Partner durch die Tür kommen. Erleichtert lächelte er ihn an.

Was für eine Begrüßung! Damian freute sich extrem, dass ihn Tobias regelrecht anstrahlte. Sofort umrundet er dessen Schreibtisch und ließ sich von seinem wesentlich größeren Freund fest in die Arme nehmen. Anlehnungsbedürftig? So kannte Damian Tobias gar nicht. Seit ihrem Besuch des Gala-Diners hatte sich ihre Beziehung subtil verändert. Mittlerweile ging Tobias nicht mehr so auf Distanz und gab viel mehr seinen Gefühlen und Impulsen nach. Es fand eine Annährung zwischen ihnen statt.

Vom Charakter her könnten sie ja auch nicht unterschiedlicher sein. Damien von Strahlen, der bunt schillernde Paradiesvogel und Tobias Harthausen der distinguierte konservative Wissenschaftler, Welten prallten aufeinander und trotzdem ergaben sie ein perfektes Ganzes. Da beide im Landesmuseum für Menschheitsgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen arbeiteten, ergänzten sie sich auch beruflich perfekt. Tobias war Paleoanthropologe und Damien Archäologe. Zusammen konnten sei alles erreichen.

Seit Tobias Analyse des Mumienfundes in der Nähe der Düssel hatte der großgewachsene und extrem attraktive Anthropologe Furore gemacht und das nicht nur in der Fachpresse. Selbst die Bild-Zeitung hatte über den Fund berichtet. Der Fund eines schwulen Steinzeitpaares schlug ein wie eine Bombe. Für alle Homophobiker war dies regelrecht ein Schlag unter die Gürtellinie.

„Was beschäftigt dich, Liebling?“, erkundigte sich Damian bei seinem Partner.

Tobias fuhr mit den Fingern durch Damians franzig geschnittenes Haar und sah ihm tief in die kajalumrandeten Augen. Seufzend deutete er mit dem Kinn in Richtung Unterlagen. „Könntest du da reinsehen und mir deine Meinung sagen?“

„Sicher“, kam es ohne Zögern von Damian. Als ihn Tobias das letzte Mal um so etwas bat, fand er sich mit einem schwulen Steinzeitpärchen konfrontiert. Auf was würde er heute stoßen.

Während Tobias noch immer die Hände auf Damians Hüften hatte, begann diese die Akte zu studieren. Mit jeder Minute die verging wurde der Gesichtsausdruck des Lesenden finsterer und grimmiger. „Den hat wohl der Hafer gestochen! Spinnt der? Es ist nicht seine Aufgabe unsere Daten zu analysieren, er soll nur Ergebnisse und Zahlen liefern!“ Ruckartig sah Damian zu Tobias auf und entdeckte, dass diesem gerade ein Stein vom Herzen fiel.

„Ich hab mich gefragt, ob ich voreingenommen oder einfach nur empfindlich bin. Aber meine Bedenken sind also berechtigt?“, erkundigte sich Tobias bei seinem Partner.

Als Antwort erhielt er ein heftiges Nicken: „Dieser Analyst hat seine Kompetenzen weit überschritten. Mit einer solchen Subjektivierung führt er jede objektive wissenschaftliche Untersuchung ad absurdum. Damit musst du zum Kurator. Das geht so nicht.“

Nach einem tiefen Durchatmen griff sich Tobias den Telefonhörer und wählte die Nummer ihres Museumsleiters. Natürlich landete er bei dessen Assistentin, die für ihn einen Termin bei Dr. Ungefehr ausmachte.

„Um fünfzehn Uhr bei Ungefehr. Willst du mich begleiten?“, erkundigte sich Tobias bei Damian.

Doch sein Partner schüttelte den Kopf: „Das würde defensiv wirken. Aber es wäre sinnvoll, wenn du einem anderen Kollegen noch auf die Analysen sehen lassen würdest, einen heterosexuellen, wenn möglich. Es wäre objektiver, wenn die Beschwerde nicht nur von uns beiden käme.“

Wieder stimmte Tobias seinem Freund zu und verließ zusammen mit ihm sein Büro. Zwei Büros weiter hatte ein netter Kollege von Tobias sein Domizil. Diesem wollte er die Analysen zeigen. Dort trennten sich Damians und Tobias Wege. Während Tobias anklopfte und wartete, ging Damien den Gang weiter hinunter bis zum Treppenhaus. Als Damian gerade die Tür zur Stiege aufstieß, wurde auch Tobias hereingebeten.

Kämpfe aller Art

 

Lärm und Radau rissen Bromm und Prahl aus dem Schlaf. Sie wurden überfallen! Anders konnte man die verängstigten Schreie nicht interpretieren. Sofort waren die beiden Männer auf den Beinen und beide griffen sich die nächstbeste Waffe, der sie habhaft wurden. Bromm stürzte mit einem großen Prügel ins Freie, während Prahl einen Speer in Händen hielt, der ihn noch um einiges überragte. Beide hatten ihr Arsenal perfekt für ihre eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten zusammengestellt. Bromm verfügte über eine immense Stärke, die solche Knüppel und Prügel zur perfekten Angriffswaffe für ihn machten. Prahl hingegen handelte eher taktisch und vorsichtig. Er überrumpelte und überraschte seine Gegner und überwältigte sie mit List und Tücke und nicht durch brachiale Gewalt.

Bromm näherte sich dem Höhlenausgang und verharrte im Schatten der Höhlenwand. Wie ein wilder Stier warf er sich auf den ersten Angreifer und erschlug ihn kurzerhand mit seiner Keule.

Auch Prahl verließ leise und verstohlen die Höhle. Er bewegte sich geduckt an der Steinwand entlang und brachte sich in die optimale Position. Mit dem erhobenen Speer warf er sich einem der Fremden entgegen. Sie kamen diesmal nicht nur zu viert. Es handelte sich um mehr als zehn Männer, alle in abgerissenen und schmutzigen Fellen. Man sah ihnen den Hunger und die Verwahrlosung an. Zielsicher attackierte Prahl die Kniekehle eines Angreifers, schlug ihm mit dem Holzstab ins Gelenk und erstach ihn anschließend mit der scharf geschliffenen Steinspeerspitze. Mit diesen Spießen erlegen sie normalerweise Wollnashörner oder Mammuts. Ein Grobknochiger stellte daher kein Problem dar. Gekonnt ließ Prahl den Stab um sich wirbeln, traf fremde Kämpfer an Armen, Beinen, am Kopf, in die Weichteile und setzte so viele wie möglich außer Gefecht. Dabei bewegte er sich in Zentrum des Kampfes wie ein wildgewordener Derwisch. Seine Jägerkollegen hatten sich am Rand aufgebaut und nutzen die Ablenkung, die Prahl schuf, um die Aggressoren einfach hinterrücks zu Erschlagen.

Natürlich funktionierte diese Taktik, aber es gab auch auf ihrer Seite Verletzte und Verwundete. Als der Kampf endlich endete, lagen alle Fremden tot auf dem Platz und leider auch einige ihrer eigenen Sippenmitglieder. Auch Prahl kauerte in der Hocke und hielt sich die schmerzenden Rippen. Einer der eingefallenen Breitnasen hatte ihn mit seinem Prügel getroffen und er hatte das Knirschen regelrecht hören können. Sofort im Anschluss raste der Schmerz durch seinen Körper und machte ihm das Atmen schwer.

Suchend sah sich Bromm um. Fast sofort entdeckte er seinen knienden Gefährten. Schweratmend, mit Blut im Gesicht und auf den Kleidern befand er sich in der Mitte des nun beendeten Tumults. Die Tatsache, dass sich Prahl einer solchen Gefahr aussetzte ließ Bromm wütend knurren. Natürlich verstand er Prahls Verhalten. Sein Kleiner war ebenso Mann wie jeder andere auch und ihre Strategie hatte im Kampf genauso gut funktioniert wie bei der Jagd, trotzdem gefiel es ihm nicht, wenn sich sein Partner als Zielscheibe anbot. Natürlich hielten ihn die Angreifer für leichte Beute, die sie leicht überwältigen konnten, doch darin täuschten sie sich. Was Prahl an Kraft fehlte, machte er durch Wendigkeit und Geschicklichkeit wett.

Besorgt näherte sich Bromm seinem Gefährten und ging nehmen ihm in die Hocke. So schwer wie er atmete, schien er verletzt zu sein. Hoffentlich würde er sich von der Verletzung erholen. „Was fehlt dir?“

Prahls zitternde Hand legte sich auf Bromms muskulöse Schulter: „Ich bekomme so schlecht Luft. Ich denke meine Rippen sind gebrochen. Das wird heilen.“

Beide wussten, dass dies in den meisten Fällen stimmte. Wenn sich nicht irgendwelche Splitter ins Körperinnere bohrten überlebten die meisten Verletzten einen solchen Knochenbruch. Auch Bromm hatte kleinere Verletzungen davongetragen. Zwei Finger seiner linken Hand standen in seltsamem Winkel ab und er würde sie zügig richten müssen. Vielleicht blieben sie auch steif. Wenn dies geschah, würde er damit klar kommen, zumal nicht seine dominante Hand betroffen war.

Prahl inspizierte die abstehenden Finger und umfasste sie vorsichtig mit seiner Hand. Dann sah er zu seinem Geliebten auf. Als sie sich tief in die Augen sahen, ruckte er schnell an den Fingern und richtete sie wieder. Die einzige Reaktion die Bromm zeigte, war ein hartes Zusammenbeißen der Zähne und ein tiefes kehliges Knurren. Prahl hatte sich da weniger im Griff. Ein gequältes Wimmern entkam seinen zitternden Lippen. Er fühlte Bromms Schmerz, als wäre es sein eigener.

Der Grobknochige hob langsam seine Hand und strich seinem Schwächlichen eine schweißfeuchte Strähne aus dem Gesicht. Er liebte ihn. Anders konnte er diese Empfindung nicht benennen, auch wenn er es ihm niemals sagen würde.

 

***

 

Um punkt drei betrat Tobias das Büro seines Kurators. Dr. Ungefehr bat ihn Platz zu nehmen und erkundigte sich nach dem Grund seines Hierseins. Ohne Kommentar schob er dem Museumsleiter die Unterlagen der Forensik hinüber und wartete, bis dieser sie gesichtet hatte.

Schnell überflog der Mittfünfziger die Daten und stockte ebenso wie Tobias, Damian und auch deren Kollege bei mehreren Formulierungen. Je weiter er blätterte und je mehr er las, umso ärgerlicher wurde er.

Erleichterung machte sich in Tobias breit. Dr. Ungefehr beurteilte die Sachlage wohl so wie er selbst. Auf dieser Basis konnte man nicht wissenschaftlich arbeiten. Vorurteile gehörten nicht in diesen Prozess und musste unbedingt eliminiert werden. Da sie kein eigenes forensisches Labor zur Verfügung hatten, bedienten sie sich eines privaten. Doch mit dieser Aktion hatte es sich als wissenschaftlicher Dienstleister disqualifiziert.

Harsch klappte Ungefehr die Akte zu und sah wutentbrannt zu Tobias auf: „Ich verstehe warum sie hier sind. Für sie muss das wie ein Schlag ins Gesicht sein. Es ist unerhört, dass sich ein Forensiker anmaßt unsere Arbeit besser tun zu können als wir. Das hört auf, auf der Stelle. Ich kümmere mich um eine erneute Auswertung der Daten.“

Natürlich stimmte Tobias diesem zu, aber dann brachte er noch einen Vorwand vor: „Eine neue Analyse ist im Grunde nicht notwendig. Nur die Texte müssten neu formuliert werden. Dies könnte problemlos auf Basis der Tabellen und Graphiken auch ein wissenschaftlicher Assistent tun, vorausgesetzt, er wäre nicht in der Paleoanthropologie tätig. Das würde dem Museum immense Kosten sparen.“

Nickend gab Dr. Ungefehr seinem Untergebenen Recht. Dann ergänzte er noch: „Ich werde an das Institut schreiben und unseren Vertrag kündigen. Es gibt genug Labore, die diese Arbeit übernehmen können. Wir sind nicht unbedingt auf diese angewiesen.“

„Danke. Ich wollte keinen Ärger machen. Aber mit diesen Daten kann ich nicht objektiv weiterarbeiten. Sie führen in dieser Form all meine bisherigen Ergebnisse ad absurdum und widersprechen jedem Schluss, den ich gezogen habe.“

„Es ist meine Aufgabe, meinen Wissenschaftlern das passende Arbeitsmaterial an die Hand zu geben. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, muss umgehend gegengesteuert werden. In der Privatwirtschaft gibt es auch keine zweiten Chancen und es wird Zeit, dass diese Praktik auch im staatlichen Sektor endlich Anwendung findet. Wirtschaftlichkeit, Effizienz und wissenschaftliches Arbeiten schließen sich nicht unbedingt aus.“ Man merkte Gerhard Ungefehr an, dass er davon felsenfest überzeugt war und diese Meinung auch ganz öffentlich vertreten würde.

Weitreichende Folgen

 

Die Breitnasen schafften als erstes die Leichen ihrer Angreifer aus ihrer Siedlung. Anschließend kümmerten sie sich um ihre Verletzten. Es gab nur einige Knochenbrüche, Platzwunden und einige Abschürfungen. Leider gab es auch drei Tote.

Tief traurig kniete Prahl neben den Leichen von Harin und seiner Gefährtin. Man hatte dem Jäger mit einem schweren Stein den Schädel eingeschlagen und Reava verblutete, als man ihr die Kehle durchschnitt. So wie es aussah, hatte sie sich über ihren gefallenen Gefährten gebeugt und wurde so zur leichten Beute. Die Beiden hinterließen fünf Kinder, drei Jungen und zwei Mädchen. Jetzt war es ihre Aufgabe, die Kinder gut unterzubringen. Der dritte Tote war ihr Ältester. Er hatte der Sippe immer mit Rat zur Seite gestanden und alle profitierten von seinen vielseitigen Erfahrungen. Jetzt mussten sie ohne seine Empfehlungen und Weisheit auskommen.

Prahl sah der Zukunft sowieso mit Sorge entgegen. Alles veränderte sich. Mit jedem Jahr wurde die kalte Jahreszeit länger und die frostfreien Perioden kürzer. Mittlerweile fiel es den Frauen extrem schwer genügend Getreidekörner und Kräuter zu sammeln, dass sie über den strammen Winter kamen. Bezüglich der Fleischvorräte sah die Sache besser aus. In seinem alten Stamm hatte der Schwächliche gelernt Fleisch in Streifen zu trocknen und so haltbar zu machen. Ein Großteil ihrer Beute wurde nun so konserviert und in den Höhlen eingelagert. Trotzdem wurde es jedes Jahr schwieriger zu überleben.

Leise näherte sich Bromm seinem Gefährten und ging hinter ihm in die Knie, bis er sich gegen den Sitzenden schmiegen konnte. „Die Frauen haben beratschlagt. Sie empfehlen Harins Ältesten nicht mehr in eine Familie aufzunehmen. Sie halten ihn für alt genug, dass er mit der Jägerausbildung beginnen kann. Die Jüngste muss noch gesäugt werden, daher soll sie bei Cailis bleiben. Sie hat ihr Kind verloren, aber ihre Brüste geben noch Milch. Die Frauen denken, dass die anderen drei bei uns bleiben sollten.“

Prahls Kopf ruckte herum: „Bei uns?“ Pure Verwunderung lag in dieser Frage. Die Frauen hielten sie für fähig Kinder zu erziehen?

Als Antwort erhielt er erst nur ein Nicken. Nach einigen Atemzügen ergänzte Bromm: „Sie sagen, dass wir als Paar ebenso Verantwortung übernehmen sollten wie alle anderen auch. Sie halten es für ungerecht, dass nur sie sich mit der Erziehung von Kindern herumschlagen müssen. Im Grunde machen sie dich damit zur Mutter.“

Verdutzt sah Prahl zu Bromm auf, dann drehte er sich vollständig um und funkelte seinen Gefährten an: „Das kannst du vergessen! Ja, wir nehmen die Kinder, aber die Erziehung teilen wir auf. Du wälzt das nicht auf mich alleine ab. Habe ich mich verständlich ausgedrückt? Ich bin nicht dein Heimchen am Herd!“

Brummend nickte Bromm. Damit hatte er schon gerechnet. Zumal Prahl auch Recht hatte. Sie brauchten ihn bei der Jagd und seine Erfahrung beim Fallenstellen, daher würden sie sich die Aufgabe mit den Kindern teilen. „Gut, gehst du und hilfst ihnen beim Packen. Ich kümmere mich um Harin und Reava.“

Nickend erhob sich Prahl und durchquerte ihr Lager. Schnell bückte er sich durch den etwas niedrigeren Eingang der Haupthöhle. In einem Seitenbereich hatten Harin und seine Familie ihre Lager. Dort fand er wie erwartet die fünf Kinder eng beisammen.

 

***

 

Wütend stapfte Marcel Schmitt durch den Flur des Bürokomplexes. Sein Chef hatte ihn wegen des „infantilen und anmaßenden“ Analyseberichts für das Landesmuseum zu sich zitiert. Marcel fand an seiner Arbeit nichts auszusetzen und schon gar nicht, dass er anmaßend oder gar infantil wäre. Er galt bei seinen Kollegen und Freunden als gewissenhaft und sorgfältig. Es war eine Unverschämtheit, dass man ihm jetzt etwas anderes unterstellte. Diesen Zorn befeuerte Marcel durch seine vorgetäuschte Rechtschaffenheit, mit der er seine Vorbehalte und sein Abneigung gegenüber Homosexuellen tarnte. Mit einem energischen Klopfen kündigte er sich bei seinem Chef an.

„Herein“, kam es dumpf von der anderen Türseite.

Sofort riss er die Tür auf und betrat das normal große Büro. Die Arbeitsplätze aller Angestellten waren bei Forensic Labs ziemlich gleichgroß. Diejenigen, die große Apparaturen für ihre Arbeit brauchten, hatten nur aufgrund dessen größere Räume. „Du wolltest mich sehen!“ Auch das „du“ war im kompletten Labor obligatorisch. Ihr Boss stammte ursprünglich aus ihren Reihen und er hatte sich nur deshalb selbstständig gemacht, weil er sich über das oft unwissenschaftliche Arbeiten anderer forensischer Institute geärgert hatte.

„Ja, setzt dich.“ Doch danach ging’s erst los. Als erstes bekam Marcel das offizielle Schreiben des Landesmuseums zu lesen. Darin wurde seine Analyse regelrecht in der Luft zerrissen. Der Schreiber machte ganz deutlich, dass er nicht die Daten an sich anzweifelte, sondern es unmöglich fand, dass ein Forensiker von sich aus Schlüsse zog, die eigentlich einem Anthropologen zustünden. Daher konnte die Analyse in dieser Form für eine neutrale und objektive Beurteilung nicht als Basis herangezogen werden. Aus diesem Grund kündigen sie hiermit den Vertrag mit Forensic Labs und bitten um Verständnis für diesen Schritt, da solche Analysen einfach zu teuer wären, um sie immer doppelt machen zu lassen.

Marcel kochte, pure Wut pulsierte durch seinen Körper. Das war ja wohl die Höhe. Das Schreiben trug die Unterschrift des Museumsleiters und das des zuständigen Anthropologen, einem gewissen Tobias Harteisen. Den würde er sich mal vornehmen.

Nach einer ausführlichen und für Marcel sehr niederschmetternden Diskussion, erhielt er die Order sich bei dem betreffenden Anthropologen für seine Anmaßung zu entschuldigen und dies persönlich wenn es recht wäre. Rigoros erhielt er von seinem Chef einen kleinen Zettel mit der Anschrift des Museums und den Öffnungszeiten. Bebend vor Zorn verließ Marcel das Büro seines Chefs und kehrte in sein eigenes zurück. Da er heute eh nichts mehr arbeiten könnte, seine Konzentration war für den Arsch, machte er einfach Schluss. Die Uhr zeigte gerade mal kurz nach zehn. Von Düsseldorf nach Essen war es nicht weit. Er würde noch heute diesen Mist hinter sich bringen.

Gefahr im Verzug

 

Mit sorgenvoll gerunzelter Stirn betrachtete Prahl die vorbeiziehende Neandertaler-Sippe. Im geringen Abstand passierten sie ihr Lager und an der Tatsache, dass sich nur noch Jungen und sehr alte Männer unter ihnen befanden, erkannte Prahl, dass es sich hier wohl um den Stamm ihrer Angreifer handeln musste. Die Frauen und Kinder wirkten ausgezehrt und ausgemergelt. Ebenso wiesen ihre Felle regelrecht kahle Stellen auf. Diese Sippe wurde den kommenden Frost nicht überleben.

Prahl befürchtete, dass sie ein Blick in ihre eigene Zukunft sein könnten. Dies sorgte für ein sehr ungutes Gefühl in den schmalen Mann. Die Sorge zeigte sich ganz deutlich auf seinem ausdrucksstarken Gesicht.

Sofort verabschiedete sich Bromm bei den anderen Jägern, um zu seinem Partner hinüber zu gehen. Worüber zerbrach sich sein hübscher Schwächlicher nur den Kopf? Sorgen schienen zu ihm zu gehören, wie sein helles Haar auf dem Kopf und er konnte sie nicht wirklich dauerhaft vertreiben. Natürlich wusste auch Bromm, dass die Zeiten immer härter und die Lebensbedingungen immer unwirtlicher wurden, aber sie rüsteten sich so gut sie konnten. Ihr Fleischlager war bis Anschlag gefüllt, ihre Kleidung hielt sie auch bei extremen Temperaturen warm und sie hatten riesige Mengen Tierdung gesammelt und getrocknet, damit sie genügend Heizmaterial hatten. Mehr konnten sie nicht tun.

Liebevoll umfasste er Prahls schmalen Körper und zog ihn fest an seine breite Brust. Mit geschlossenen Augen vergrub Bromm seine Nase in dem lohfarbenen Haar und inhalierte den Duft nach Mann. Er liebte und begehrte seinen Schwächlichen wie am ersten Tag. Doch jetzt musste er erst einmal herausfinden, was ihn so sehr belastete. „Was geht dir im Kopf herum?“

Als Antwort erhielt er ein herzerweichendes Seufzen: „Ich sehe diese ausgemergelten Gestalten und fürchte, dass wir in einigen Jahren ebenso daher kommen.“

Mit festem Griff drehte Bromm seinen Gefährten zu sich um und sah ihm tief in die Augen, während er ihm darauf antwortete: „Wir werden so nicht enden. Wir haben uns im Gegensatz zu ihnen auf das Kommende vorbereitete. Es müsste schon der Berg über uns zusammenstürzen oder alles in Flammen aufgehen. So lange das nicht passiert, sind wir sicher.“

Ein kleines aber liebes Lächeln legte sich auf Prahls Lippen. Seine Hand legte er auf das energisch schlagende Herz seines Grobknochigen und flüsterte: „Deine Umarmung ist für mich der sicherste Platz der Welt!“ Dabei schmiegte er sich fest in die Arme seines Partners.

Lächelnd schloss die Breitnase ihre starken Arme um seinen Gefährten und gab ihm die Geborgenheit und Sicherheit, die er im Moment gerade brauchte.

 

***

 

Konzentriert schrieb Tobias gerade am endgültigen Bericht bezüglich der forensischen Ergebnisse. Mit Hilfe des nun neutral verfassten Datenblattes konnte er allerhand aus den Fakten ableiten.

Die Sippe hatte wohl drei Jahre vor ihrem plötzlichen Tod einen Kampf bestreiten müssen. Denn darauf wiesen die diversen Knochenbrüche hin. Bei dem Neandertaler wurden zwei ausgerenkte Finger diagnostiziert, die eher schlecht wieder eingerenkt wurden und daher eine gewisse Steifheit in den Fingern zurück blieben. Etwa zur gleichen Zeit erlitt der Homo sapiens einen einseitigen Rippenbruch. Eine Rippe brach komplett durch und zwei weitere, eine darüber und eine darunter, waren angebrochen. Die Brüche wirkten, als hätte er einen Knüppel in die Seite bekommen. Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, dass eine groß angelegte Jagd auf Großwild schief gegangen sein könnte. Diese Wunden hätte auch ein Mammut, eine Büffelherde oder ein Wollnashorn verursachen können, doch wenn etwas nach Prügel aussah, war es das meist auch. In der Wissenschaft hielt man sich an die Devise: „Bei Hufgetrappel erwartete man Pferde und keine Zebras“.

Als letztes speicherte er das Dokument als PDF und hängte sie an seine Mail an den Kurator des Museums. Bei der Datei handelte es sich nur um eine essentielle Zusammenfassung die nur die Quintessenz des kompletten Abhandlung. Mal sehen, was sein Chef davon hielt.

Ein harsches Klopfen riss Tobias aus seiner Überlegung und er rief noch immer gut gelaunt: „Herein!“

Sein Besucher wirkte, als hätte er mit Essig gegurgelt. Seine Augen blitzten wütend und sein Schultern hielt er dermaßen starr, als müsste er ein Ballen der Fäuste unterdrücken. Am meisten ärgerte Tobias, dass er sein Büro stürmte ohne ihn zu begrüßen, es kam weder ein „Hüh“ noch ein „Hott“. Aus ganzem Herzen verabscheute er solche grobe Unhöflichkeit.

„Ja?“ Aus genau diesem Grund ließ er sich auch nicht zu einer Begrüßung hinreißen. Der Fremde wollte etwas von ihm und nicht umgekehrt.

„Sind sie Harteisen?“, kam es schnarrend von dem etwas kleineren Mann.

Intensiv musterte Tobias sein Gegenüber. Der Kerl klang anmaßend und überheblich. Wer zum Geier war das? Also antwortete er mit einer ebenso überheblichen Erwiderung: „Zumindest steht es außen auf dem Namensschild neben der Tür.“ Dabei lehnte sich Tobias in seinem Bürostuhl zurück. Die meisten Männer würden sich aufgrund der Tatsache, dass ihr Kontrahent stand unterlegen fühlen, doch Tobias diskutierte viel im Sitzen, während sein Partner vor ihm auf und ab ging. Er hatte sich dies im Laufe der Jahre angewöhnt, da er Damien um fast einen Kopf überragte und er ihn nicht einschüchtern wollte.

„Welche Herablassung“, dachte sich Marcel und beugte sich nach vorne. Dabei stütze er seine Fäuste auf der Schreibtischkannte auf und blickte den Büroinhaber sehr bedrohlich an.

Es amüsierte Tobias, dass er den Fremden zu dieser Reaktion verleiten konnte. Die aggressive Haltung zeigte ganz klar, dass er auf Konfrontationskurs war. Mal sehen, was er wollte.

„Ihretwegen wurde unser Vertrag gekündigt! Mein Chef hat mir die Hölle heiß gemacht! Was sollte das?“

Ah, daher wehte der Wind. Tobias schnalzte mit der Zunge und erwiderte ganz ruhig und sachlich: „Ich weiß nicht wer sie sind und nur aus ihrer Anschuldigung kann ich heraushören, um was es genau geht. Dazu kann ich ihnen nur eines sagen: Ich habe die Kündigung des Vertrages mit Forensic Labs weder gewollt noch angestrebt. Diese Maßnahme hat unserer Kurator ergriffen und befürwortet, da er die Mehrkosten durch die wertneutrale Umschreibung gescheut hat. Wenn so etwas einmal vorkommt, kann es immer wieder passieren. Zumindest sieht der Museumsleiter das so. Er ist diplomierter Betriebswirt, Wirtschaftlichkeit ist sein Steckenpferd.“ Noch immer ruhten Tobias Unterarme entspannt auf den Armstützen seins Bürostuhles. Die meisten hätten sie jetzt trotzig oder abwehrend vor der Brust verschränkt, doch er fühlte sich im Recht, daher konnte er ganz ruhig und gelassen bleiben.

Zischend richtete sich der Andere kerzengerade auf. „Wo lag überhaupt das Problem? Daten sind Daten und die kann jeder interpretieren, wie er will!“

Im Grunde hatte sein Besucher Recht, daher nickte Tobias, doch dann ergänzte er: „Ja, Daten kann jeder interpretieren, wie es ihm beliebt. Man kann aus jeder Statistik und Datenerhebung herauslesen, was einem in den Kram passt. Doch ihre Aufgabe bei Forensic Labs besteht darin unbelastete und uninterpretierte Daten zu liefern. Das Auslegen ist dann unsere Sache. Zumal ihnen nur ein geringer Sachverhalt kenntlich ist.“

Schnaubend ließ sich Marcel auf den Besucherstuhl fallen und frage nach: „Zum Beispiel?“

Nun lehnte sich Tobias nach vorne. Es beeindruckte ihn, dass sein Gegenüber sich nicht vollständig von seiner Wut beherrschen ließ, sondern auch noch vernünftigen Argumenten zugänglich war. „Ihre Interpretation schließt Homosexualität der betroffenen Individuen vollkommen aus. Jede ihre Interpretationen dient dazu diese Möglichkeit vollständig zu eliminieren. Doch man fand den Neandertaler und den Neuzeitmann schlafend in Löffelchenstellung. Bei der ersten Untersuchung kam zu Tage, dass der Neandertaler ein Ledersäckchen mit ausgekochtem Talk, versetzt mit diversen schmerzlindernden Kräutern um den Hals trug. Das selbe Fett fand man sowohl im Enddarm des Homo sapiens, als auch im Intimbereich des Homo neanderthalensis. Es gibt keine andere Interpretationsmöglichkeit, als anzunehmen, dass die beiden Männer eine homosexuelle Beziehung geführt haben.“

Wie erstarrt saß der Forensiker auf seinem Stuhl und starrte sein Gegenüber an. Das konnte einfach nicht sein! Nein! Homos sind was Unnatürliches, etwas Abartiges! Wutentbrannt sprang der Fremde auf, dabei stürzte dessen Stuhl krachend zu Boden.

Obwohl Tobias mit so einer Reaktion gerechnet hatte, zuckte er doch vor der extremen Wut im Gesicht seines Gastes zurück. Himmel! Wie konnte man nur so intolerant und rückständig sein.

Der Fremde fuhr auf dem Absatz herum und marschierte direkt auf die Tür zu. Leider kollidierte er in der Tür mit Damian, der zu Tobias wollte. Dabei hufte er den viel kleineren Mann fast um. „Scheiß Schwuchtel!“, blaffte er den Archäologen an und rauschte einfach an ihm vorbei.

Schnell packte Damian den Türrahmen, um nicht umzufallen, dabei sah er sehr erschrocken dem Davonstürmenden nach. Was in drei Teufels Namen? Fragend sah er Tobias an.

Dieser umrundete gerade seinen Schreibtisch und ging direkt auf Damian zu. Sein Süßer zitterte und fühlte sich durch diese überraschende Begegnung sichtlich mitgenommen. Seit der letzten homophoben Attacke war schon einige Zeit vergangen. Sie hatten eigentlich geglaubt, dass sie beide zumindest hier auf der Arbeit und zu Hause in Sicherheit wären. Liebevoll nahm er seinen Schatz in die Arme und wiegte ihn tröstend hin und her. „Es tut mir leid, dass du diesem Deppen begegnet bist.“

Damian seufzte und schmiegte seine Stirn gegen das mittlerweile stoppelige Kinn seines Partners. Leise flüsterte er ihm zu: „Du bist Sicherheit für mich. Jetzt und hier fühle ich mich geborgen. Mehr brauche ich nicht.“

Diesen Gefühlen gaben sich die beiden Männer noch eine kleine Weile hin, bevor sie sich langsam voneinander lösten. Damian hob als erstes den umgefallenen Stuhl wieder auf und setzte sich dann rittlings darauf. „Wer war das überhaupt und was hat er gewollt?“

Tobias ließ sich in seinen Stuhl fallen und erklärte: „Er hat sich nicht vorgestellt, aber aus seinen Worten konnte ich schließen, dass er wohl der Forensiker war, der für die Interpretation der Daten der beiden Steinzeitmenschen verantwortlich war.“ Dabei hob Tobias bezeichnend die Hände in die Luft und deutete Gänsefüßchen an, als er das Wort „Interpretation“ aussprach.

Nickend schürzte Damian die Lippen. Dann schüttelte er den Kopf: „Was willst du tun?“

„Nichts. Forensic Labs erhält von uns keine Aufträge mehr. Es gibt nichts mehr zu tun. Ihn jetzt nochmal eine überzubraten macht die Sache nicht besser. Ich denke nicht, dass ihn das von seinem Hass gegenüber Homosexuellen abbringen würde“, antwortet Tobias. Er fühlte sich bei dieser Entscheidung aber nicht ganz wohl. Es fühlte sich für ihn wie Schwanzeinziehen an. Er war kein Duckmäuser und wollte auch keiner werden.

Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete Damian seinen Partner und wusste, dass dieser mit seinen Überlegungen noch nicht abgeschlossen hatte. Was würde er im Endeffekt wirklich tun?

Keine Handlung ohne Konsequenzen

 

Prahl stand mittig in der Höhle und stütze wütend seine Fäuste in die Taille. Diese kleinen Scheißer! Wenn man bisher keine Kinder hatte und plötzlich zu dreien kam, konnte einen das schon ganz schön überfordern. Ständig schien eines auf der Flucht zu sein, ein anderes etwas anzustellen und das dritte etwas zu essen, was es nicht sollte. Mittlerweile raufte sich der Schwächliche nonstop die Haare und wusste nicht mehr ein noch aus. Die Kleinen tanzten ihm auf der Nase herum, sie nahmen ihn einfach nicht ernst. Dies frustrierte ihn enorm, doch er wusste einfach nicht, was er dagegen tun sollte. Er konnte sie nicht schlagen und hungern stand als Strafe ebenso wenig zur Diskussion. Hoffentlich fiel Bromm etwas ein.

Kaum hatte Prahl das gedacht, erschien sein Gefährte in der gemeinsamen Höhle. Schnell verschaffte sich der Stammesführer einen Überblick und erkannte, dass sein Partner an dieser Aufgabe schier verzweifelte. Da konnte er behilflich sein. „Raischa – hinaus zu Cailis. Sie braucht Hilfe bei deiner Schwester.“ So das Mädchen hätte er beschäftigt.

Dann richtete er sein Augenmerk auf den älteren der beiden Jungen. „Dubrey – geh zusammen mit Ricon Brennmaterial sammeln.“ Ricon war Dubreys älterer Bruder und wurde jetzt zum Jäger ausgebildet. Trotzdem beteiligten sich die Männer auch an den alltäglichen Arbeiten, wenn sie nicht nach Beute jagten. Der Umgang mit dem älteren Bruder würde dem Ansteller gut tun. Vor allem wenn Ricon ihm berichtete, wie anstrengend das Leben als Jäger ohne die Unterstützung eines Elternteils war.

Als letztes noch den sechs Jährigen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte er den Kleinen. Sofort ließ der Junge das Fell fallen, welches er durch die Höhle zerrte. „Para – Was willst du mit dem Fell?“, erkundigte sich Bromm neugierig.

Mürrisch erwiderte der Kleine: „Ich bin müde. Ich will neben Prahl schlafen.“ Der pure Trotz sprach aus den leuchtenden Kinderaugen.

Vermutlich fühlte er sich in der direkten Nähe des Schwächlichen sicher. Lächelnd sah Bromm zu Prahl hinüber.

Sein Partner seufzte und griff das Fell. Schnell zog er es neben das eigene und kniete sich dann darauf. Der kleine Junge schmiegte sich fest in Prahls Umarmung. Man merkte dem Kleinen an, dass er die Eltern wahnsinnig vermisste und in Prahl einen adäquaten Ersatz sah. Vermutlich fühlte der Junge genauso wie Prahl bei Bromm. In dessen Armen war einfach der sicherste Ort dieser Welt.

Lächelnd sah Prahl zu Bromm auf. Oh ja, so ging das also. Er musste die Kinder nur beschäftigen, ihnen Aufgaben geben, die sie bewältigen konnten und ihnen gleichzeitig die Liebe geben, die sie benötigten. Das konnte er.

Bromm lehnte sich zu seinem Partner hinunter und küsste ihn kurz aber liebevoll über den Scheitel des Kindes hinweg. Der Kuss versprach noch viel mehr innige Intimitäten, aber erst später am Abend. Vermutlich würden sie erst einmal im Freien ihrer körperlichen Liebe nachgehen, bis sich die Kleinen bei ihnen eingewöhnt hatten. Natürlich kannten sie die körperliche Liebe ihrer Eltern, doch das zwischen Bromm und Prahl war doch noch etwas anderes.

„Später“, antwortete Prahl, indem er nur die Lippen bewegte.

Trotzdem verstand Bromm und nickte bestätigend. Schnell verließ er wieder die gemeinsame Höhle, um nach ihren anderen Kindern zu sehen. Man durfte die Racker keinen Moment aus den Augen lassen.

 

***

 

Gegen halb fünf klingelte Tobias Festnetzanschluss im Büro. Wie immer nahm er ab und meldete sich nur mit „Harteisen“.

Nach einem leisen Räuspern kam dann eine Erwiderung: „Hallo, ich bin Gernod Schneider von Forensic Labs.“

Schon an der Stimme und der Tonlage, denn er schrie nicht, erkannte Tobias, dass er nicht den Mann vom Nachmittag am Apparat hatte.

„Was kann ich für sie tun?“, entgegnete Tobias.

Als Antwort kam diesmal ein Seufzen: „Nichts. Ich möchte mich entschuldigen. Mein Angestellter ist ihnen gegenüber wohl ausfällig geworden. Eigentlich habe ich ihn mit dem Auftrag nach Essen geschickt, sich für sein Handeln zu entschuldigen. Im Endeffekt hat er dann genau das Gegenteil gemacht. Es tut mir extrem leid.“

Tobias hatte Verständnis für den Chef dieses Cholerikers. Vielleicht half ja eine Crashkur? Mit einem Lachen in der Stimme entgegnete Tobias: „Wir haben es überlebt, auch wenn er meinen Partner beinahe über den Haufen gerannt hat. Dürfte ich einen Vorschlag machen?“

„Immer raus damit!“, kam es durch den Äther.

„Es gibt meines Wissens nach in Düsseldorf das private Theaterensemble „Hot Bodys“. Sie führen bekannte Stücke in eigener Interpretation auf. Dort werden immer helfende Hände gebraucht.“

Im ersten Moment kam kein Kommentar darauf und dann nur ein fragendes „Aha?“

„Googeln sie mal. Das werden sie interessant finden. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Feierabend.“ Mit diesen Worten legte Tobias leise den Hörer auf.

 

***

 

Marcels Chef tat genau das. Er informierte sich im Internet über „Hot Bodys“ und stellte fest, dass es sich dabei um ein Enssemble schwuler und lesbischer Laienschauspieler handelte, die bekannte Stücke wie Romeo und Julia in veränderter Besetzung aufführten. Im letzten Jahr spielten sie „Die Schwulen von Windsor“, direkt abgeleitet von besagten Weibern. Im Jahr davor interpretierten sie das Stück „Die Zauberflöte“ von Mozart, wobei Tamino nicht Tamina sondern Taminas, also einen Mann, rettete. Oh ja, wenn er Marcel zwang zur Strafe dort mitzuhelfen, würde er vielleicht endlich etwas Toleranz lernen und diese unnütze Homophobie ablegen. Genau das würde er machen.

Dieses Jahr stand „Romeo und Julian“ auf dem Programm. Er würde dafür sorgen, dass die komplette Belegschaft von Forensic Labs auf Firmenkosten zur Aufführung ging. Grinsend griff er nach dem Telefonhörer.

 

Ende

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.07.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Geschichte ist für alle meine treuen Leser bei BookRix. Ich hoffe, ihr habt mit meinen Steinzeit-Jungs genauso viel Freude wie ich. Eure Celia

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