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Liebe lieber ungewöhnlich

von Jacky Ried

Amanda

Zwei Wochen war es nun her. Martin hatte unsere langjährige Beziehung beendet. Ich war aus allen Wolken gefallen. Es war doch alles gut zwischen uns gelaufen. Wir lebten zusammen, lachten zusammen, weinten zusammen, planten unseren Urlaub, hatten passablen Sex – mal mehr, mal weniger. Kurz und um, ich war rundum zufrieden. Ich hatte einen tollen Job, eine schöne Wohnung, nette Freunde, viele Bekannte und einen wundervollen Mann. Mein Leben war so, wie ich es mir mit meinen 28 Jahren gewünscht hatte und ich wollte nichts daran ändern. Zumindest nicht in nächster Zeit, denn Kinder und heiraten lagen für mich eher in der ferneren als in der näheren Zukunft.

Ich hatte einen anstrengenden Tag gehabt und träumte in der Straßenbahn schon davon wie ich mich mit einem Glas Rotwein, Kerzen und einem Buch in ein wundervolles Schaumbad fallen lassen würde, sobald ich nach Hause kommen würde. So etwas heiterte mich immer auf und ließ mich entspannen, um für den nächsten Tag gewappnet zu sein. Unwillkürlich musste ich lächeln, vielleicht würde ja auch Martin dazu stoßen und wir könnten den Abend ein wenig gemeinsam ausklingen lassen. Das hatten wir schon länger nicht mehr gemacht. Wir sollten uns ein wenig mehr Zeit für uns nehmen, dachte ich. So in Gedanken versunken, machte ich noch einen kurzen Abstecher in den Supermarkt. Mit Martins Lieblingswein in der Tasche und ein paar Knabbersachen für einen schönen, gemütlichen Abend im Einkaufskorb, konnte eigentlich nicht mehr viel schief gehen. Ich war zufrieden mit mir und da ich so gut gelaunt war, nahm ich statt des Aufzugs die Treppe nach oben, ein wenig Sport tat auch mir gut. Martin würde sich freuen, da war ich mir sicher! Und mich im Anschluss daran auch. Ich mochte sein Lächeln auf seinem Gesicht, das manchmal auch seine Augen erreichte, wenn er mich ansah oder ich ihn überraschte. Ach, er war einfach toll. Einen anderen Ausdruck konnte ich für ihn nicht finden. Toll, entsprach dem, was ihn ausmachte.

So in Gedanken versunken, schloss ich die Tür auf, stellte meine Tasche und den Einkaufskorb ab, ließ die Schlüssel auf unser Sideboard fallen. Aber das Geräusch eines Schlüssels auf Glas blieb aus, stattdessen landeten sie mir wieder vor den Füßen. Hatte ich jetzt etwa das Sideboard verfehlt? Das passierte mir nie! Nach zwei Jahren in dieser Wohnung hatte ich den Wurf perfektioniert – mit der rechten und der linken Hand wohlgemerkt! Wohl oder übel hob ich den Kopf und wollte schon die zwei Schritte zum schon erwähnten Sideboard machen, als mein Blick auf die Stelle traf, wo es stehen sollte. Es war weg. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Doch auch nachdem ich wieder hingesehen hatte, blieb es verschwunden. Hatte Martin es ohne mich zu fragen weggeräumt? Wann hätte er das denn tun sollen? Und warum denn überhaupt? Ich war verwirrt. Irgendetwas schien hier nicht zu stimmen. Mit dem Schlüssel in der Hand, ging ich weiter. In unserem Flur stand nur das Sideboard und das war weg. Vielleicht wollte Martin streichen und hatte es ins Wohnzimmer schieben? Auch das war eigentlich nicht Martins Art, aber Wunder sollte es ja anscheinend geben. Doch auch im Wohnzimmer fand ich es nicht. Stattdessen musste ich feststellen, dass auch unsere über alles geliebte Couch und der Fernseher wie von Zauberhand verschwunden waren. Was zum Teufel war hier los. Waren wir ausgeraubt worden? Mein Herz setzte einen Sprung aus. Das würde einer mittleren Katastrophe gleichkommen. Meine ganzen Sachen. Wir müssten ausziehen. Eine neue Wohnung müsste her. Wieso musste so etwas immer nur mir passieren? Ich hatte nicht einmal eine Versicherung gegen Einbruch? Wer würde mir die Sachen ersetzen? Und was war alles verschwunden? Hoffentlich hatten sie mir wenigstens meinen Laptop gelassen – nebenbei gesagt, von regelmäßiger Datensicherung hielt ich leider nicht viel. Schnell flitzte ich ins Arbeitszimmer nach nebenan. Auch hier hatten die Einbrecher ganze Arbeit gelassen. Martins Computer und auch der Drucker waren weg, meinen alten Laptop hatten sie Gott sei Dank stehen lassen. Puh! Mir fiel ein Stein vom Herzen, da hatte ich wohl nochmal Glück gehabt, aber armer Martin. Da würde heute wohl eher etwas härteren Alkohol brauchen statt nur eine Flasche Wein. Ob ich ihn anrufen sollte, um ihm diese schreckliche Nachricht zu überbringen? Ja, das musste ich wohl tun. Martin würde mir auch sagen, was zu tun ist. Was machte man im Falle eines Einbruchs? Rief man erst den Versicherungsspezialisten oder die Polizei? Mir war so etwas noch nie passiert und die Tür hatte ich ja verschlossen vorgefunden. Martin wurde zwar nicht gerne auf der Arbeit gestört, aber das war ein absoluter Notfall. Schnell holte ich mein Handy aus der Tasche im Flur und wählte seine Nummer. „Der von Ihnen angerufene Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar. Versuchen Sie es später erneut!“

Das konnte doch nicht wahr sein. Mein Freund sollte sein Handy aus haben? Er gehörte doch zu den Menschen, die ihr heiß geliebtes I Phone nie ausschalteten. Ich probierte es erneut. „Der von Ihnen angerufene…“ Ich legte auf, sobald ich die Stimme hörte. Scheinbar musste ich mit dieser Situation ohne Martin zurechtkommen. Unbewusst war ich wieder ins Wohnzimmer gegangen und hatte mich mangels Sitzgelegenheiten auf den weißen Teppich neben dem Couchtisch fallen lassen. Kurz schloss ich die Augen, das durfte doch nicht wahr sein. Meine Hand strich über den ebenfalls weißen Couchtisch, meinetwegen hätten sie dieses Ungetüm gerne mitnehmen können, die Couch hatte ich gerne gehabt. Unser Happyland hatten wir es immer genannt. Zum Streiten waren wir immer woanders hingegangen. Ein vergessenes Glas stand noch auf dem Couchtisch, darunter lag ein Zettel. Das hatte ich wohl gestern vergessen wegzuräumen, bevor ich ins Bett gegangen war. Was die Einbrecher wohl davon gehalten hatten?

„Sorry, Amanda! Es geht nicht mehr!“

Amanda? Seit wann nannte mich jemand denn noch Amanda? Jeder nannte mich Mandy, Amanda klang so seriös und das war ich Tollpatsch sicher nicht. Und was sollte das denn bitte heißen? „Es geht nicht mehr!“

Plötzlich ging mir ein Licht auf. Das war Martins Handschrift! Mit „es“ meinte er unsere Beziehung, unsere Bilderbuchbeziehung. Es viel mir wie Schuppen von den Augen. Die Einbrecher, das ausgeschaltete Handy. Das war er gewesen. Martin war ausgezogen, Martin hatte mich, seine kleine Mandy verlassen, er wollte nicht mehr mit mir zusammen sein.

Die Tränen liefen mir übers Gesicht, als ich langsam in unserem leeren Wohnzimmer sitzend begriff, was hier vorging. Es gab kein „uns“ mehr. Martin war einfach gegangen. Und er hatte sich nicht einmal verabschiedet. Er hatte mir keine Chance gegeben, ihn umzustimmen. Und er hatte unser Happyland mitgenommen. Einfach so. Er hatte mir nicht nur sich genommen, sondern auch unsere glücklichen Erinnerungen. Nur dieses Ungetüm von Couchtisch war mir geblieben. Wie? Wieso? Weshalb? Warum? Ich schluchzte, ich heulte, ich schrie, ich schlug meinen Kopf gegen den Tisch, unfähig etwas gegen diese aufkommende Leere in meinem Körper zu tun. Ich kringelte mich ein, wie ein kleines Kind, wippte hin und her, während mir die Tränen wie Sturzbäche von den Wangen rannen. Schließlich legte ich mich auf den Teppich. Ich wollte nur weinen. Was war nur geschehen? Ich konnte mir das alles nicht erklären.

Irgendwann schnappte ich mir die Flasche Wein, öffnete den Schraubverschluss und trank aus dem Glas, das sowieso schon auf dem Tisch stand. Ich traute mich nicht in die Küche oder unser Schlafzimmer zu gehen, ich wollte nicht sehen, was er aus diesen Zimmern mitgenommen hatte. Ich war mir sicher, dass mich dies noch weiter runterziehen würde und das verkraftete ich nicht. Das einzige, was ich regelmäßig tat, war Martin anzurufen. Jede halbe Stunde. Ich wusste, er hatte sich keinen Scherz mit mir erlaubt und ich war noch nicht in der Lage wütend auf ihn zu sein. Ich wollte nur eine Frage beantwortet haben: Warum? Aber so war Martin eben nicht, so wundervoll er sein konnte, Auseinandersetzungen mochte er nicht. Einerseits war das immer schön für mich gewesen, denn wir hatten uns in den seltensten Fällen gestritten, lieber hatte er nachgegeben. Das war angenehm und meiner Meinung nach wurde heißer Versöhnungssex so oder so gänzlich überbewertet. Andererseits war ich mir dadurch fast sicher, Martin würde nicht abheben. Er würde auch nicht zurückrufen. Er schien sich frei genommen zu haben, ausgezogen zu sein und es uns seiner Meinung nach am einfachsten gemacht zu haben. Keine Streitigkeiten, keine Tränen, kein Kummer, kein kaputtes Geschirr – praktisch eben. Ob er das von langer Hand geplant hatte? Hatte er am heutigen Tag einen Schlussstrich ziehen können? Wahrscheinlich. Aber ich hatte diese Möglichkeit gehabt, er hatte mir nicht einmal die Chance gegeben an uns zu arbeiten. Das hätte ich ja getan. Auf jeden Fall. Wieder übermannten mich meine Tränen. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich so viel weinen konnte.

„Tock, tock, tock! RRRRRRIing, rrrrrring!“ Jemand klopfte und klingelte Sturm bei uns. Sicher die Nachbarn von unten oder nebenan, die sich mein Schluchzen und Heulen nun schon seit einiger Zeit anhören mussten. Ich ignorierte es. Hatte nicht jeder ein Recht auf seine Trauer? Und hatte ich jemals gemeckert, wenn die Nachbarn mal wieder an einem Sonntagmorgen in voller Lautstärke gehämmert oder gebohrt hatten. Nein, ich hatte mich nie beklagt. Die sollten schön wegbleiben.

„Rrrrrrring, rrrrring!“

„Ich will nicht an die Tür gehen! Lassen Sie mich in Ruhe!“, schrie ich nun doch in Richtung Tür.

Plötzlich hörte ich das leise Geräusch, wenn ein Schlüssel in die Tür gesteckt wird. Martin, dachte ich. Er kommt zurück jauchzte ich innerlich. So schnell ich konnte, sprang ich auf, rannte aus dem Wohnzimmer und schlitterte in Richtung Wohnungstür, um Martin dort in Empfang zu nehmen. Es war mir egal, wie ich aussah, ich war nur überglücklich, dass er wieder zurückkam. Er hatte sich um entschieden. Es war nicht vorbei. Martin gab uns noch eine Chance.

„Amanda…es tut mir so leid!“, vor mir stand Anja, meine beste Freundin seit Kindertagen und schloss mich liebevoll in die Arme.

Ich war nicht fähig etwas zu antworten. Ich ließ die Umarmung zu und hängte mich wie an einen rettenden Fels an sie in der Hoffnung sie nie wieder loslassen zu müssen. Sanft streichelte sie mir übers Haar.

„Es tut mir so leid, meine Süße. Das hast du nicht verdient. Wir kriegen das schon wieder hin. Schhhhh.“, beruhigend redete sie auf mich ein, während sie mich sanft in die Wohnung zurückschob, um zumindest die Wohnungstür hinter sich zu schließen.

Langsam löste sie sich aus meiner Umarmung und lehnte mich gegen die Wand. Ihre Hand an mein Kinn gesetzt, zwang sie mich ihr in die Augen zu sehen.

„Hier kannst du heute Nacht nicht bleiben. Ich pack dir jetzt ein paar Sachen zusammen und dann fahren wir zu mir, da kannst du eine Weile bleiben. Mein Auto steht direkt vor dem Haus.“, erklärte sie mir bestimmend.

Fragend schaute ich sie an: „Martin?“ Das war das einzige, was aus meinem Mund herauskam.

Anja schüttelte den Kopf. „Komm schon, wir gehen jetzt!“

Scheinbar wollte sie nicht mit mir darüber sprechen. Aber ich reimte es mir so oder so zusammen. Rechnen konnte ich ja noch. Sie hatte davon gewusst. Wie lange schon wusste ich nicht. Martin musste ihr Bescheid gegeben haben, ihr den Schlüssel in die Hand gedrückt haben und hatte sich so galant aus der Affäre gezogen, indem er zwei Fliegen mit einer Klappe schlug. Er musste mir den Schlüssel nicht mehr übergeben und in seiner Fürsorglichkeit hatte er dafür gesorgt, dass sich jemand um mich kümmern würde. Ob ich nun von selbst aufmachen würde oder nicht. Anja als meine beste und bestimmende Freundin würde für mich da sein, so wie sie es immer gewesen war und ich es im umgekehrten Fall gewesen wäre. Anja war unser Anker. Während ich so nachgedacht hatte, war Anja mit meiner Reisetasche (die schien Martin also nicht mitgenommen zu haben) zurückgekehrt. Anja würde an alles gedacht haben und ansonsten konnte ich es bei ihr ausborgen.

„Los, raus hier!“, flüsterte sie, dabei strich sie mir nochmals über meinen Arm, nahm mich an der Hand und zog mich aus der Wohnung. Traurig blickte ich noch einmal zurück, weigerte mich aber nicht, mit Anja zu gehen. Ich vertraute ihr.





2. Anja

„Dadaaaadadadaaaaa“, kam es aus meiner Tasche. Natürlich fand ich mein Handy nie in den untiefen Derselben. Ich musste sie also wohl oder übel mitten auf den Gehsteig abstellen, um anständig darin wühlen zu können. Vor zwei Tagen hatte ich eine Verabredung mit einem süßen Bauingenieur gehabt, der sich noch nicht gemeldet hatte, ich hatte also einen triftigen Grund den Gehsteig zu blockieren. Heute war Freitag, eigentlich also der perfekte Tag, um mich um ein weiteres Date zu bitten. Tief durchatmen, mahnte ich mich, während sich schon dieses leise Bauchkribbeln in mir breit machte. Endlich, ich hatte mein Telefon gefunden. Martin prangte in großen Lettern auf dem Display. Ein klein wenig enttäuscht, registrierte ich, dass mich der langweilige Freund meiner besten Freundin Mandy anrief. Das tat er nie. Wir mochten uns nicht sonderlich. Nein, das war nicht ganz richtig. Ich mochte ihn, allerdings nicht als Freund meiner besten Freundin. Er war ein netter Kerl und die Beziehung der beiden war auch nett, aber eben in dem Sinne „Nett, die kleine Schwester von Scheiße“. Mandy war in den letzten drei Jahren etwas langweilig geworden ohne es zu merken. Sie war zum Teil eines spießigen Pärchens geworden, das den Freitagabend lieber auf der Couch verbrachte, als auszugehen. Vielleicht war das ja der Lauf der Zeit, wenn man die fünfundzwanzig überschritten hatte. Schon wollte ich Martin wegdrücken, aber wer weiß, vielleicht war ja was mit Mandy.

„Hallo Martin“, meldete ich mich.

„Hey Anja“, kam es aus der Leitung und danach war es ruhig. Ich sah schon das kleine Fragezeichen auf meiner Stirn prangen, daher machte ich schweren Herzens den Anfang.

„Was gibt es? Ist was mit Mandy?“, fragte ich ungeduldig.

„Tja, hm, weißt du.“, druckste er herum, „Also, ich hab mich von Mandy getrennt.“

Nun hatte es mir die Sprache verschlagen. Ich war perplex. Doch bevor ich um genauere Informationen bitten konnte, redete er schon weiter.

„Ich bin auch schon ausgezogen und habe alles so geregelt, dass die Trennung ohne größere Diskussionen oder Streitigkeiten über die Bühne geht. Ich mache mir nur Sorgen um Mandy. Das ging jetzt alles so flott und sie wird es erst heute Abend bemerken, wenn sie nach Hause kommt. Die Schlüssel hab ich dir schon in den Briefkasten geworfen, dann kannst du sie besuchen und bei Bedarf trösten“, beendete Martin seinen Monolog.

Ich hatte mir in der Zwischenzeit eine Bank gesucht, um mich zu setzen.

Leise sprach ich weiter: „Habe ich das richtig verstanden, du hast Mandy verlassen, aber es versäumt, ihr davon zu erzählen und erwartest nun von mir, dass ich den Karren aus dem Dreck ziehe, damit du kein schlechtes Gewissen haben musst? Rede mit ihr, bitte! Sie hat so etwas nicht verdient, sie hat immer alles für dich getan!“ Meine Stimme war nun auf die doppelte Lautstärke angeschwollen. Die vorbeigehenden Menschen starrten mich schon an, doch das war mir egal.

„So kannst du das nicht ganz ausdrücken.“, verteidigte sich Martin, „Ich habe mich nun mal entschlossen, mein weiteres Leben ohne Mandy zu führen. Sie würde das ausdiskutieren wollen und wir würden streiten, es würde Tränen geben. Das möchte ich uns beiden ersparen. “

„Das willst du dir ersparen du Arschloch!“, schrie ich entrüstet ins Telefon.

„So muss ich nicht mit mir sprechen lassen, Anja. Du weißt nun alles und wenn du eine gute Freundin bist, kümmerst du dich um Mandy. Ich habe die Beziehung mit Mandy beendet und sie sollte das gleiche tun. Ich werde jetzt auflegen!“, erwiderte er nun auch eine Spur unhöflicher.

Staunend starrte ich mein Telefon an. Wie unverschämt konnte denn ein einzelner Mensch sein? Wie konnte er es wagen, Mandy, die unglaublich liebe, süße Mandy zu verlassen, ohne ihr auch nur die Chance zu geben, mit ihm zu sprechen. Ich hätte ausrasten können. Aber ich würde mich um Mandy kümmern, Martin kannte mich gut, er hatte gewusst, dass er seinen Part auf mir abladen konnte. Männer!

In diesem Moment läutete mein Handy wieder. Ich dachte schon Martin hätte doch noch zu seinem Anstand zurückgefunden, doch dieses Mal war es Hannes, mein Bauingenieur. Ich drückte ihn weg. Diese Sache konnte ich jetzt auf Eis legen. Seufzend steckte ich das Telefon in die Tasche. Mandy war jetzt wichtiger. So ist das Leben eben.

Ich entschloss mich dazu, Mandy nicht anzurufen. Sie würde ihre Zeit brauchen und diesen Moment wollte ich ihr für sich lassen, würde ich es ihr jetzt sagen, würde ihre ganze Wut und Enttäuschung auf mich prallen. Also fuhr ich als erstes nach Hause und holte Martins Schlüssel aus dem Postkasten.

Das alles war nun zwei Wochen her. Hannes hatte nicht mehr angerufen und ich hatte nicht zurückgerufen. Schade eigentlich, wenn man es so betrachtete. Mandy war bei mir eingezogen und ich hatte alle Hände voll zu tun, dass sie mir nicht in irgendein Martinloch abdriftete. Sie schien ihn wirklich geliebt zu haben. Aber damit war jetzt Schluss. Mir stand es bis Oben hin.



3. Amanda

Das alles war nun vor zwei Wochen geschehen und man konnte nicht behaupten, dass es mir sonderlich viel besser ging. Klar, ich schlug nicht mehr meinen Kopf gegen den Tisch und heulte mir auch nicht mehr die Augen aus dem Kopf. Aber ich war noch immer bei Anja, lebte aus der Tasche und fühlte mich völlig leer und wie gelähmt, da Martin mir die Möglichkeit verweigert hatte, mit ihm gemeinsam einen Schlussstrich zu ziehen.

Nach und nach hatte sich das Rätsel um den vermeintlichen Einbruch aufgelöst. Martin hatte mich verlassen und unser Happyland mitgenommen. Dazu hatte er sich extra freigenommen, eine Umzugsfirma organisiert (unsere Freunde wollte er nicht damit belasten) und hatte all die Dinge, die er in unsere Wohnung mitgebracht oder bezahlt hatte, eingepackt, um in seine neue Bleibe zu ziehen. Ich hatte also Recht gehabt, er schien sich alles wohl überlegt zu haben. Und um mir und ihm einige traurige Szenen zu ersparen und mich in guten Händen zu wissen, hatte er Anja am Tag seines Auszugs von seinen Plänen in Kenntnis gesetzt. Anja hatte ihn beschimpft, gewettert und gezetert, sie hatte ihn sogar angefleht mit mir noch einmal darüber zu reden, doch es hatte alles nichts genutzt. Er hatte seine Entscheidung gefällt und damit war die Diskussion, die nie stattgefunden hatte, für ihn beendet. Sogar in der Trennung war er seinem Motto treu geblieben, keine Auseinandersetzungen, kein Streit und er hatte für mich gesorgt, er brauchte also kein schlechtes Gewissen zu haben. Er war lieb geblieben und hatte mir jede Peinlichkeit im Nachhinein erspart. Ich hatte keinen Grund wütend auf ihn zu sein. Das war zumindest meine Ansicht, Anja teilte diese nicht. All dieses Wissen hatte ich nämlich nicht durch Martin erlangt, sondern durch Anja. Denn Martin weigerte sich nach wie vor mit mir zu telefonieren. Auch mit Anja redete er nicht mehr. Er hatte für sich die Beziehung beendet und wir sollten das auch tun. Mit diesen Worten hatte er sich damals von Anja am Telefon verabschiedet. Die Schlüssel hatte er ihr in den Briefkasten geschmissen. Ob er wohl Angst vor ihr gehabt hatte? Ich hätte es gehabt.

Anja war noch immer fuchsteufelswild und konnte nicht verstehen warum ich weder sauer auf Martin war, geschweige denn ein schlechtes Wort über ihn verlauten ließ noch mich aufrappelte und ihm zeigte wo der Hammer hing.

Martin hatte unsere Trennung zum passenden Termin angesetzt. Es war ein Freitag gewesen, ich musste also nicht am nächsten Tag im Büro erscheinen, sondern hatte zwei Tage Zeit, mich zu erholen. Im Stillen war ich ihm sogar dankbar dafür, schämte mich aber so sehr, dass ich dies Anja gegenüber nicht erwähnte, wer weiß, wie wütend sie dann auch mich wäre. Am Montag meldete ich mich krank und am Dienstag hatte Anja mich schon so weit aufgepäppelt, dass ich mit viel Schminke im Gesicht einen Tag auf der Arbeit durchstehen konnte, ohne andauernd in Tränen auszubrechen. Das tat ich dann abends auf der Couch, wenn Anja versuchte mich mit allerlei Ablenkungsmanövern aufzuheitern. So plätscherten die Tage dahin, inzwischen hatte ich es auch aufgegeben Martin zu erreichen. Er wollte nicht mit mir sprechen und ich konnte nichts dagegen tun, da musste ich wohl oder übel durch. Er hatte mir ja nicht einmal seine neue Adresse hinterlassen.

Gestern aber war Anja der Kragen doch noch geplatzt.

„Mandy“, sprach sie im leisen Ton, „ich habe keine Lust mehr jeden Abend, wenn ich heimkomme, eine heulendes Elend auf meiner Couch vorzufinden. Wir sind jung, wir sind hübsch, wir sind interessant und da morgen Freitag ist, werden wir ausgehen. Es ist zwei Wochen her. Martin hat freundlicherweise alles so geregelt, dass du nichts zu tun hast, als diesen unglaublichen Vollidioten in den Wind zu schießen und endlich wieder auszuleben, was du nach Jahren in dieser ach so glücklichen Beziehung verpasst hast und daher, wirst du dich morgen mit mir hübsch machen, deinen kurzen Rock und die hohen Pumps aus den Tiefen deiner Reisetasche heraus kramen und endlich wieder leben. Genauso wenig wie Martin werde ich mit dir darüber diskutieren. Das ist ein Befehl und du hast keine Chance dich davor zu drücken und wenn du gerade gedanklich durchgehst, mit welchen Schmerzen du dich von dieser Aktion befreien kannst oder welche Ausrede wohl am besten bei mir zieht, dann lass es einfach. Es hat keinen Sinn. Ich habe dich zwei Wochen lang leiden sehen und versucht dich aufzuheitern. Ich bin bisher kläglich gescheitert und daher ziehe ich jetzt andere Seiten auf. Du gehst mit und das ist das Ende dieses Gesprächs. Magst du Eis? Schokolade oder Vanille?“ Damit drehte sie sich um und ließ mich auf der Couch sitzen. Wenn Anja leise sprach, wusste jeder, man hatte verloren. Dann duldete sie keine Widerrede mehr. Ich hatte also die Wahl, entweder ich beugte mich ihrem Willen und tat wie mir geheißen oder ich ging. Aber wohin könnte ich schon gehen? In meine halbleere Wohnung? Nein, sicher nicht. Naja, vielleicht ließ sich ja noch mit ihr verhandeln.

„Schokolade, wie immer“, rief ich ihr in versöhnlichem Ton hinterher. „Ich komme mit, aber nur unter zwei Bedingungen, ich muss keinen Rock anziehen und es bleibt bei einem Drink. Nach einer Stunde darf ich wieder nach Hause zu dir, ja?“

Mit einer Schüssel Schokoladeneis mit Schokosoße und Sahne bewaffnet und der gleichen Kreation nur mit Vanilleeis für sich kam Anja wieder ins Wohnzimmer. Skeptisch schaute sie mich an.

„Was für eine Jeans willst du anziehen?“, fragte sie. Das würde wohl doch schwerer werden, als ich gedacht hatte.

„Eine blaue?“, fragte ich.

„Welche blaue?“, fragte sie in einem Ton, der mich schon vermuten ließ, dass meine Lieblingsjeans nicht ihrem Wunschoutfit für mich entsprach.

„Na, du weißt schon welche ich meine, die, die so gut sitzt.“, versuchte ich es weiter.

„Du meinst die, in die dein Hintern zweimal passen würde, wenn du Lust hättest?“, lächelte sie etwas boshaft zurück.

„Höchstens 1,5mal. Ich mag es nun mal bequem.“, widersprach ich ihr, in der Hoffnung doch noch zumindest das Anziehen zu können, was ich wollte.

„Bequem war auch deine Beziehung mit Martin und was ist draus geworden? Darüber müssen wir ja jetzt wirklich nicht sprechen.“, konterte sie schlagfertig.

Betreten schaute ich sie an. War ich wirklich einfach nur bequem gewesen und hatte deswegen keine Beziehung mehr? Ich beschloss die nächste Frage zu riskieren: „Was schlägst du also vor?“

„Ich schlage dir einen Kompromiss vor, drei Drinks und du darfst dir dein Outfit selbst aussuchen. Zwei Drinks und du kannst die Jeans frei wählen. Ein Drink und ich kleide dich ein.“, schelmisch lächelte sie mich an. Das hatte sie von Anfang an im Sinn gehabt. Sie wusste, wie sehr ich es hasste, von ihr eingekleidet zu werden und jetzt spielte sie das Spiel, egal was du tust, du hast so oder so verloren.

Ich überlegte, die letzte Möglichkeit kam nicht in Betracht. Wenn ich mich von Anja stylen ließe, würde sie versuchen, mich als sexy Hexy zu verkleiden und mir so zeigen wollen, wie begehrt ich war. Damit würde ich mich komplett unwohl fühlen. Das war nicht ich. Der erste Vorschlag war eigentlich der verlockendste. Ich könnte Sneakers, einen Kapuzenpulli und meine Lieblingsjeans anziehen. Ich könnte also genau so rumlaufen, wie ich mich am wohlsten fühlte. Der Haken war aber, ich müsste für ganze drei Drinks bleiben und das wollte ich auch nicht, denn wenn ich so viel getrunken hätte, würde es nicht bei drei Drinks bleiben. Das wussten wir beide. Einmal angefangen, würde ich nicht mehr aufhören und wer weiß, in was für eine Verfassung ich dann geraten würde. Nein, das würde ich hübsch bleiben lassen. Daher wählte ich die goldene Mitte. Mit einer von Anja ausgewählten Jeans konnte ich leben und mit etwas Glück könnte ich schon nach nur einer Stunde wieder gemütlich auf der Couch liegen und über mein verkorkstes Leben nachdenken, so wie ich es in den letzten beiden Wochen schon getan hatte.

„Also gut“, antwortete ich daher scheinbar resigniert, „zwei Drinks und du darfst die Jeans wählen.“

Zufrieden stieß Anja mit ihrem Eisbecher gegen meinen. „Abgemacht! Und wehe, du denkst an einen Rückzieher!“, mahnte sie.

Wer wäre so naiv und würde das bei einer solch bestimmenden Person wie Anja schon tun. Da konnte man ja gleich gegen eine Wand reden. Schweigend stieß auch ich mit ihr an und wendete mich der gerade laufenden Folge von „Sex and the City“ zu. Wenigstens diesen Abend wollte ich genießen, wenn mir das am nächsten Tag schon nicht vergönnt war.



4. Anja

Es war Freitag und ich gab ehrlich zu, ich wollte ausgehen. Aber ich konnte Mandy schlecht alleine lassen. Zwei Wochenenden hintereinander hatte ich zu Hause verbracht und Mandy versucht zu trösten. Aber irgendwann war es genug. Würde ich noch einen Abend länger daheim sitzen müssen und mir eine Schnulze nach der anderen anschauen – ich hätte einen Lagerkoller bekommen. Ich wollte mich hübsch machen, ich wollte ein wenig mit Männern flirten und das Eis auf der Couch mit dem Drink an der Bar tauschen. Kurzum ich wollte mal wieder leben. Ich weiß ja, jeder braucht seine Trauerzeit und ich wollte sie Mandy ja auch geben, aber da ich sie nicht alleine zu Hause sitzen lassen konnte, musste sie mit und wer weiß, vielleicht tat es ihr ja gut. Das ständige Jammern machte zumindest nicht alles besser. Ganz hinten im Winkel meines Gehirns hoffte ich auch Hannes wieder zu sehen. Ihn hatte ich in der Bar, in die ich heute wollte, zum ersten Mal gesehen. Dort hatte er mich auch ganz charmant angesprochen, nachdem er mir ganz klassisch einen Drink über den Kellner geschickt hatte. Erst später hatte ich bemerkt, dass er seine Handynummer auf den dazugehörigen Untersetzer geschrieben hatte. Ich fand das süß. Noch bevor er mit mir geredet hatte, wollte er schon, dass ich ihn anrief. Das war mal ein Vertrauensbeweis. Genau deswegen hatte ich ihm dann auch ein paar Tage später eine Sms geschrieben, obwohl ich das normalerweise nicht tat. Er war etwa fünfunddreißig, ein klein wenig größer als ich und hatte die schönsten Lachfältchen um die Augen, die ich je gesehen habe. Ich mochte es so sehr, wenn er lachte, dass ich ständig versuchte ihn dazu zu bringen. Wenn er das tat, traten zu den sich vertiefenden Fältchen kleine Fünkchen in seine Augen, in die ich mich sofort hätte verlieben können. Allerdings fand ich es nicht sonderlich verlockend mich Hals über Kopf in jemanden zu verlieben. Lieber verliebte ich mich Kopf über Hals – das war weitaus sicherer.

Die Verabredung mit Hannes war schön gewesen. Wir hatten eine Radtour gemeinsam gemacht. Das war zwar ungewöhnlich und sicher nicht ganz vorteilhaft für mich, da ich bei sämtlichen sportlichen Aktivitäten einen tomatenähnlichen Kopf bekomme, aber es hatte trotzdem Spaß gemacht. Meistens trifft man sich ja Abends zum Essen oder in einer Bar und hat schon das Gefühl, der Typ gegenüber rechnet sich gerade aus, wie viel er dir noch ausgeben muss, bis er dich ins Bett abschleppen kann, doch so war es mit Hannes nicht gewesen. Er hatte auch keine Anstalten gemacht, mich zu küssen. Scheinbar wollte er mich einfach nur kennenlernen ohne etwas zu überstürzen und genau das machte ihn für mich so interessant. Und der hübsche Sixpack, den ich beim Baden im See während der Radtour entdecken durfte, war auch nicht gerade abschreckend.

Leider war ich zu stolz mich nochmals bei ihm zu melden, nachdem er mich angerufen hatte. Ich setzte auf Zufall und dieser Zufall war hoffentlich heute. Als ich wieder daran dachte, ihn zurückzurufen, waren schon drei Tage vergangen und Mandy konnte ich so oder so nicht allein lassen. Was hätte es also gebracht?

Nachdem Mandy zugestimmt hatte, ein wenig auszugehen, konnte ich mich meinem Beautyprogramm widmen. Falls ich Hannes heute über den Weg laufen sollte, wollte ich gut aussehen, sehr gut, um genau zu sein und Mandy musste ich ja auch noch ausgehtauglich machen. Ich hoffte so sehr, dass sie diesen Idioten zumindest für eine Stunde am Abend vergessen konnte. Das alles hatte sie nicht verdient.



5. Amanda

Ein fremdes Gesicht blickte mir da aus Anjas Spiegel entgegen. Staunend berührte ich leicht meine Wangen, um zu testen, ob das wirklich ich war. Seit wann hatte ich denn so große, traurige Augen. Und irgendetwas hatte Anja mit meinen Lippen angestellt, sie waren viel voller als sonst. Wobei ich auch zugeben musste, dass der rote Lipgloss, den sie mir da aufgetragen hatte, ziemlich auf meinem Mund brannte. Musste das so sein? Scheinbar hatte ich diese Frage wohl doch laut gestellt.

„Wer schön sein will, muss leiden. Hat dir das deine Mama etwa nicht beigebracht? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“, antwortete Anja leicht sarkastisch als sie zu mir ins Bad kam. Anja sah traumhaft aus. Gerade machte sie ihre Creolen an ihren Ohren fest. Sie hatte sich heute ganz in schwarz gekleidet, mal abgesehen von ihren roten Pumps die sie zu der engen Hose und dem Wasserfalltop trug. Außerdem hatte sie ihre blonden Haare geglättet und ihr Pony fiel ihr fransig ein klein wenig in die Augen. Auch ihre Lippen waren rot geschminkt, allerdings war ihr Rotton ein wenig knalliger und passte perfekt zu ihren Schuhen. Ich konnte mir schon bildlich vorstellen, wie ihr die Männer zu Füßen liegen würden. Anders als ich hatte Anja nicht ganz so viel Glück mit Männern wie ich. Ihre Beziehungen hielten nicht sonderlich lang, was aber hauptsächlich daran lag, dass Anja sich sehr schnell langweilte und beschloss den Mann an ihrer Seite lieber wieder auszutauschen, als Probleme, die eigentlich keine waren, anzugehen. Das hatte ich ihr bisher nie gesagt. Sie schien ja glücklich so zu sein und nur weil es nicht meine Art war, eine Beziehung zu führen, war es nicht automatisch die Falsche. Doch ich musste ja nichts sagen, irgendetwas schien eher ich nicht verstanden zu haben. Denn ich war hier diejenige mit den traurigen Augen, der halbleeren Wohnung und einem Ex, der mir nicht einmal erklären wollte, warum er mich verlassen hatte. Einen kleinen Seufzer konnte ich nicht verhindern, während ich mich so im Spiegel ansah. Anja hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. So hatte ich nicht mehr ausgesehen, seit ich angefangen hatte, mit Martin auszugehen. Wir mochten es beide lieber sportlicher. Anja zufolge war es ganz gut, so hatte meine Haut in all den Jahren nicht durch vieles MakeUp gelitten und ich brauchte kaum welches aufzutragen. Die Definition von kaum musste sie mir allerdings nochmals erläutern. Ich fühlte mich eher so, als wäre ich lebendig unter einer Schicht MapeUp, Creme und Abdeckstift begraben. Mein Outfit aber gefiel mir. Meine beste Freundin hatte mir nach längerer Diskussion eine königsblaue Jeans angezogen, dazu trug ich ein schwarzes Pailettenshirt und für Anjas Verhältnisse niedrige, für mich aber sehr hohe Sandalen. Meine Haare trug ich offen, haselnussbraun und lockig waren sie mein ganzer Stolz. So würde ich es heute Abend aushalten können. Das hoffte ich zumindest. Ich nahm mir vor, wirklich nur zwei Drinks zu mir zu nehmen und Anja dann alleine zu lassen. Sicher brauchte sie auch mal wieder Zeit für sich und wenn wir erst in der Bar wären, würden ihr sowieso die Männer zu Füßen liegen. Nach all dem Trösten und Umsorgen hatte sie ihren Spaß´verdient.

„Mandy, wenn du noch weiter in den Spiegel starrst, wirst du noch hübscher und stichst mich ganz aus und das wollen wir doch nicht!“, brüllte es aus dem Flur ins Bad.

„Anja, ich komm sowieso mit, du brauchst mich nicht mehr mit geheuchelten Komplimenten zu überreden, auf der dicken, fetten Schleimspur, die du hier hinterlässt, könnte man ja ausrutschen.“, antwortete ich, während ich auf die Haustür zustöckelte. Diese Schuhe würden mich umbringen.

Augen zu und durch dachte ich mir, während ich mich zwang für Anja ein Lächeln aufzusetzen.

Anja hakte sich bei mir unter und zu Fuß führte sie mich in eine nahe gelegene Bar. Es schien als sei dir Bar sehr angesagt, es war schon zu dieser Zeit gerammelt voll und nur durch Anjas perfekt trainierten Augenaufschlag besorgte uns der Kellner einen Tisch in einer Nische direkt am Fenster. So konnten wir die Leute, die draußen rauchten oder kamen und gingen in Ruhe beobachten und fielen selbst nicht zu sehr auf.

„Zwei Cuba Libre bitte!“, orderte Anja kaum, dass wir saßen.

Fragend schaute ich sie an, wenn ich schon ausging, wollte ich selbst aussuchen, was ich trank.

„Bis der Kellner wieder da ist, um unsere Bestellungen aufzunehmen, verdursten wir, vertrau mir. Außerdem ist Cuba Libre genau das Richtige für uns.“, beschwichtigte mich Anja, sie kannte mich einfach zu gut.

„Ist ja in Ordnung, aber den nächsten will ich mir dann doch aussuchen können!“, schmollte ich.

Kaum hatte ich das gesagt, war Anja schon wortlos aufgestanden und hatte sich am Nachbartisch zwei Cocktailkarten besorgt.

„Bitteschön“, triumphierte sie lächelnd.

Meine Laune schien nicht ansteckend zu sein, im Gegenteil, je miesepetriger ich wurde, desto bessere Laune schien sie zu haben. Wie schaffte sie das nur? Ihr Blick hing schon ein wenig länger an einem Typen an der Bar. Etwas klein war er zwar für ihr Beuteschema, aber auch seine Augen wanderten immer wieder zu uns herüber. Ob die beiden sich wohl kannten?

„Was ist denn das für einer? Kennst du ihn?“, fragte ich Anja nachdem sie sich mir wieder zugewandt hatte und ein wenig traurig auf ihr leeres Glas blickte. Auch ich hatte mittlerweile meinen Cuba Libre ausgetrunken und langsam spürte ich auch seine Wirkung. Hatte ich den früher nicht besser vertragen? Ach, egal!

„Das ist Hannes, letztens hab ich eine Radtour mit ihm gemacht.“, sagte sie und bei der Erinnerung an dieses Ereignis fingen ihre Augen ein klein wenig an, zu strahlen.

„Eine Radtour? Seit wann lässt du dich denn nicht mehr zum Essen ausführen? Und warum weiß ich nichts davon mein Liebe?“, fragte ich ein wenig entrüstet.

„Das hat er vorgeschlagen. Es war ganz nett, da wir noch schwimmen waren, hat sich der Anblick definitiv gelohnt.“ , erklärte sie mir ein wenig zu schwärmerisch für Anjas Verhältnisse.

Wie auf Kommando drehten sich unsere beiden Köpfe zu Hannes an die Bar. Wie peinlich, ich schätze mal, das würden wir nie lernen. Doch da stand er gar nicht mehr. Stattdessen stand er mit zwei Drinks bewaffnet direkt vor unserem Tisch und lächelte uns entwaffnend an.

„Wenn ihr mir erlaubt, mich neben euch zu setzen, kann ich vielleicht an eurem Gespräch über mich teilnehmen und weiteren Spekulationen über mich vorbeugen. Indem ihr mich einfach direkt fragt, könntet ihr Antworten darauf bekommen. Sofern ihr daran Interesse habt.“, sprach er uns mit einem leicht sarkastischen Unterton an.

Ich hätte im Boden versinken können. Waren wir so offensichtlich vorgegangen. So was war mir noch nie passiert, wie konnte jemand auch nur so direkt sein?!

„Setz dich doch!“, antwortete Anja ihm lächelnd und deutete auf den Sessel neben sich, „Dann können wir auch gleich mit dem Verhör beginnen. Mir brennen da so einige Fragen unter den Nägeln. Wie zum Beispiel, trinkst du die beiden Drinks selbst oder sind die als Bestechung für uns gedacht?“

Anja hatte die Gabe sich viel schneller fassen zu können, man merkte ihr nicht an, dass ihr die ganze Geschichte auch nur ein klitzekleines Bisschen peinlich war. Nur wenn man sie so gut kannte wie ich, wusste man, dass diese innere Ruhe und die Schlagfertigkeit kurzzeitig nur aufgesetzt waren.

Spöttisch lächelnd ließ sich Hannes nieder. Stellte die Getränke – schon wieder Cuba Libre – vor uns ab und reichte danach mir die Hand.

„Hi, ich bin Hannes, Anjas Exdate und du bist?“, stellte er sich mir vor.

„Mandy, nein, ich meinte Amanda.“, antwortete ich.

„Was nun, Mandy oder Amanda?“, fragend schaute er mich dabei an.

„Ist egal, such`s dir aus!“, achselzuckend wendete ich mich meinem Glas zu. Martin hatte mich immer mit Mandy vorgestellt und so war ich auch zu Mandy geworden. Früher fand ich das romantisch und dachte immer an das passende Lied dazu. Es war unser Lied gewesen, aber vielleicht war es ja langsam Zeit, aus Mandy herauszuwachsen und zu Amanda zu werden.

„Amanda also“, zwinkerte Hannes mir zu und erhob sein Glas, um mit mir anzustoßen. Auch Anja hatte ihres an sich genommen und nickte mir aufmunternd zu, das war wohl der falsche Augenblick in Trübsal zu versinken. Ich entschied mich also, mit zu trinken. Vor allem aber aus Neugier, ich war neugierig zu beobachten, was da zwischen Hannes und Anja lief. Seit wann ging man denn Rad fahren bei einem ersten Date? Ich schien wirklich lange vergeben gewesen zu sein, wenn das jetzt Usus war. Ich beschloss, die Beiden nach diesem Cuba Libre allein zu lassen. So wie Anja Hannes anschaute, erhoffte sie sich mehr und da wollte ich nicht stören.



6. Anja

Puh, das war ja gerade nochmal gut gegangen. Ich gebe zu, mein Herz hatte vielleicht ein klein wenig schneller geklopft als üblich, als ich Hannes da lässig an der Bar hatte lehnen sehen. Er sah heute auch wirklich gut aus. Seine Haare hingen ihm ein klein wenig ins Gesicht, er hatte diesen „Gerade-aus-dem-Bett-gestiegen“ –Look perfekt drauf, sodass man als Frau gleich das Bedürfnis hatte, einmal kurz durchzufahren und sie ein bisschen ordentlicher aussehen zu lassen. Dazu trug er eine Levis und ein schönes tailliertes Hemd, das jede erahnen ließ, dass sich darunter ein schöner Männerkörper verbergen musste. Ich muss zugeben, ich war nicht abgeneigt. Als er dann so plötzlich mir nichts dir nichts vor uns stand, war ich doch etwas geschockt. Wer hätte das denn ahnen können? Ich hatte eigentlich geplant, darauf zu warten, bis Mandy – oder neuerdings Amanda – gegangen war, um ihn dann kurz anzusprechen. Und was tat dieser Typ? Er flirtete mit Amanda, was sie noch nicht einmal merkte. Ich gönnte es ihr ja, dass sie von ihrem Ex abgelenkt wurde, aber musste unbedingt Hannes dafür in die Bresche springen. In der Bar waren sicherlich 30 Typen, die auf der Suche zu sein schienen. Aber naja, da musste ich wohl durch, nachdem ich nicht zurückgerufen hatte, hatte ich das wohl verdient und Hannes war ein Typ der Sorte, der sich das nicht so leicht gefallen ließ. Daher biss ich in den sauren Apfel und versuchte mich, in das Gespräch mit ihm zu integrieren.

„Danke für den Drink!“, versuchte ich es daher.

„Gern geschehen.“, antwortete er kurz und widmete sich wieder dem Gespräch mit Mandy.

Rrrrrrrr, machte es in mir. Er wollte es mir wohl nicht leicht machen. Zu freundlich war das aber auch. Ich hatte also die Wahl, entweder ich ging schmollend oder ich brachte mich irgendwie in das Gespräch ein. Als ich so über meine Situation nachdachte und meinen Blick durch die Bar schweifen ließ, entdeckte ich plötzlich ein alt bekanntes Gesicht. Ich grinste in mich hinein. Dort drüben stand Philipp und Philipp hatte mich schon immer gemocht, es hatte nie so richtig zwischen uns gefunkt, doch er sah gut genug aus, um Hannes zu zeigen, dass ich nicht darauf warten würde, bis er aufhören würde zu schmollen. Mit Philipp konnte ich flirten und shakern ohne über Konsequenzen mit ihm nachdenken zu müssen. Die wenigen Male, die wir miteinander ausgegangen waren, hatten uns beiden gezeigt, dass wir nicht zusammenpassten, uns aber trotzdem mochten. Ich war mir sicher, er würde mir den Gefallen tun und Hannes ein wenig ärgern. Und wer weiß, so wie er aussah, wäre er ja vielleicht auch was für Mandy.

„Philipp“, rief ich auch schon quer durch die Bar, stand auf und hoffte, dass Hannes nicht zu sehr ins Gespräch vertieft war, um zu bemerken, dass ich drauf und dran war, einen anderen abzuschleppen.

Er hatte mich aufgrund der Lautstärke durch Gespräche und angenehmer Musik nicht gehört. Erst als ich fast bei ihm war und ihm gerade auf die Schulter klopfen wollte, drehte er sich um.

„Anja, hi, das ist ja mal eine schöne Überraschung. Die letzten beiden Wochen warst du ja wie vom Erdboden verschluckt. Schön, dich zu sehen. Wie geht’s dir?“, begrüßte er mich freudig und gab mir zwei Küsschen auf die Wangen, während er mir die Hand an die Hüfte legte und sich während er sprach zu mir hinunter beugte, damit ich ihn besser verstand. Philipp, der alte Charmeur. Er tat mir einfach gut, auch wenn es leider nicht funkte. So einen Freund wie ihn sollte jede Frau haben, ein Notgroschen sozusagen, falls man zu verzweifelt war oder einfach nur einsam oder eben für die unglückliche beste Freundin!

„Hey, gut geht’s mir. Ich musste meine Freundin ein wenig trösten. Ihr wurde von ihrem Ex übel mitgespielt. Und selbst?“, antwortete ich während ich ihm lächelnd entgegenblickte.

„Auch wunderbar – nur mit der Damenwelt will es nicht so recht klappen. Du hast mich ja verschmäht und nun bin ich für alle Zeiten verdorben.“, sprach er weiter in mein Ohr.

„Wenn das mal stimmen würde. Ich bin mit meiner Freundin hier. Magst du dich nicht zu uns setzen? Dann können wir ja sehen, ob ich dich wirklich so verdorben habe oder ob du noch für andere Frauen empfänglich bist.“, lachte ich. Ich liebte es mit Männern zu flirten ohne mir Gedanken machen zu müssen, wie ich den ernstere Annäherungsversuche abwehren könnte.

„Ein Versuch wäre es ja wert! Führe mich zu dieser geheimnisvollen Frau!“, stimmte Philipp meinem Vorschlag zu.











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Tag der Veröffentlichung: 22.08.2013

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