Ich hätte schreien können vor Glück, die ganze Welt umarmen und um ehrlich zu sein, hatte ich dem alten Bärtigen vor dem Supermarkt beim Einkaufen einen Zwanziger in die Hand gedrückt.
Zugegeben, das war übertrieben, aber ich hatte es endlich geschafft und wenn ich sage ich, dann meine ich auch ICH! An einem wunderschönen Wochenende im 5-Sterne-Luxus-Spa- Hotel nach dem Candlelightdinner, das ICH für mich und meinen Zukünftigen oder besser gesagt meinen „Topf“, wie ich ihn liebevoll nenne, gebucht habe, war es endlich so weit. Mein Topf steckte mir den Ring aus dem Prospekt, den ICH ganz zufälligerweise auf unserer Toilette hatte liegen lassen, an den Finger und stellte mir die alles entscheidende Frage. Und nun durfte ICH unsere Hochzeit planen! Mein Mädchentraum würde wahr werden.
Ich sage dir, ich habe einen wunderbaren, liebevollen, aufmerksamen, einfühlsamen, gutaussehenden und vor allem sehr geduldigen Mann der Marke „Den-gibt’s-doch-nur-im-Märchen“ gefunden und nach fünf Jahren glücklicher Beziehung schlussendlich dazu gebracht, bei meinem Vater (ja, du hast richtig gelesen) und dann bei mir, um meine Hand anzuhalten.
Das Beste daran war, er glaubte, er sei selbst auf die Idee gekommen. Aber dazu ist Frau ja bekanntlich da. Bösartige Stimmen könnten jetzt behaupten, das sei Manipulation. Stell dir aber nur dein Gesicht vor, du bekommst endlich deinen Heiratsantrag, der Mann kniet vor dir, erklärt dir, warum gerade du die Eine bist, mit der er den Rest seines Lebens verbringen will, dann zückt er den Ring, du bist kurz davor ja zu sagen und dann? Dann ist es genau der Ring, den du nicht willst und du denkst nur: Den soll ich jetzt doch nicht wirklich bis zur Hochzeit und darüber hinaus tragen? Oder noch schlimmer, die letzten Jahre hast du dir den perfekten Antrag vorgestellt. Du weißt jedes Detail in und auswendig, was du für Kleidung, Schuhe und Make-Up tragen willst, was für Musik laufen soll, welche Blumen du dazu willst und vor allem wo und mit wem diese wichtigste Frage überhaupt gestellt werden soll und nur, weil du nichts gesagt hast, wirst du enttäuscht und ziehst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Tja, da muss ich sagen: Pech gehabt – lieber manipuliere oder besser gesagt beeinflusse ich den, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will, im für uns beide positiven Sinne, als dass ich später auf den Tag zurückblicke, der der zweitschönste in meinem Leben werden sollte, und darüber nachgrüble, was er alles hätte anders machen können, um den Tag auch wirklich dazu zu machen.
Zurück zu mir, natürlich war es nicht so, dass ich sofort das bekommen habe, was ich wollte. Wir hatten mehrere Reisen und Wellnesswochenenden gemeinsam gebucht, ich hatte seiner besten Freundin lang und breit erklärt, was für einen Ring ich haben wollte und habe auf Hochzeiten immer wieder Bemerkungen gemacht, wie schön es ist zu heiraten. Einmal habe ich sogar extra den Brautstrauß gefangen und wochenlang in unserer gemeinsamen Wohnung direkt mitten auf den Couchtisch platziert. Der Zaunpfahl müsste also eigentlich meinen Topf direkt auf den Kopf geschlagen und noch dazu eine mächtige Beule hinterlassen haben. Aber nichts da, ich habe dieses Spiel ganze zwei Jahre spielen müssen. Ich war nicht so aufdringlich, dass ich ihm erzählt hätte, ich würde mit meinen Freundinnen Brautkleider probieren gehen - ob du es glaubst oder nicht – auch das ist in meinem Freundeskreis vorgekommen. Auf den netten Rat einer meiner Freunde, ich könnte ja mal ganz direkt meinen über alles geliebten Topf fragen, was er denn davon hielte mich im nächsten Jahr zu ehelichen, reagierte ich nur mit einem genervten Schnauben. Männer eben…Nein, ich habe ihn indirekt dazu verleitet, sich mehr und mehr mit der Heiratsfrage auseinanderzusetzen, ihm die Hinweise dazu gegeben, wie der für mich perfekte Antrag auszusehen hat und welche Art von Ring ich gerne an meinem Finger stecken haben würde. Ich glaube, es wären weniger Männer über meine Vorgehensweise verärgert als erfreut, denn vor was haben sie denn mehr Angst, als unseren Vorstellungen nicht gerecht zu werden? Da können wir ruhig mal nachhelfen.
Letzten Endes haben sich die zwei Jahre Knochenarbeit in Punkto Hinweise legen: Hallo, ich will heiraten!!! gelohnt. Er hat gefragt, ich habe ja gesagt und nun konnte ich die rund 400 Kilometer in meine Heimatstadt fahren und alles organisieren, was es zu tun gab – ohne meinen Topf. Jetzt hast du sicher ein großes Fragezeichen auf deiner Stirn prangen. Sie will eine Hochzeit ohne ihre bessere Hälfte vorbereiten, hat mehr oder weniger ihren eigenen Heiratsantrag geplant – warum heiratet sie eigentlich nicht gleich sich selbst, sondern will mir hier lang und breit erzählen, sie würde ihren Topf über alles lieben? Da kann ich dir nur sagen, lerne mich kennen und du weißt genau, dass kein Mann während dieser Vorbereitungen in meiner Nähe sein möchte. Ich weiß, wie alles sein soll und niemand, nicht einmal mein Topf, könnte es mir, die in solchen Fällen zur Furie mutieren kann, recht machen. Daher verzichten wir beide freiwillig auf Zweisamkeit während dieser nervenaufreibenden Zeit und unsere Liebe bleibt erhalten! Hurra!
Puh..gerade noch so hatte ich es in den Zug geschafft. Seit wann war die deutsche Bahn denn eigentlich pünktlich?! Schnell hatte ich mir vor dem älteren Herrn den freien Sitz mit Tischchen geschnappt und legte all meine Hochzeitszeitschriften darauf ab. Das brachte mir zwar einen missbilligenden Blick des erwähnten Mannes ein, aber meine Güte, es gibt ja noch jede Menge Plätze im Waggon und ich brauchte dieses Tischchen nun mal. Manchmal muss man eben Abstriche machen! Hoch erhobenen Hauptes widmete ich mich meiner Lektüre. Ich hatte nun insgesamt drei Stunden Zeit, um mich gemütlich durch alle Zeitschriften zum Thema „Hochzeit“ zu blättern und konnte in meinen Vorstellungen schwelgen. Jetzt musste ich nicht mehr irgendwelchen Wunschträumen nachhängen, es würde im nächsten Frühsommer war werden– ich würde heiraten! Strahlend betrachtete ich meinen wundervollen Ring und vergaß alles um mich herum, die Zeit blieb stehen. Er war einfach perfekt, mir wurde warm ums Herz, wenn ich mir dieses edle Schmuckstück ansah. Ich hatte ihn noch nicht einmal – abgesehen vom Duschen – abgelegt. Auch nachts in meinen Träumen wollte ich diesen Ring nicht missen. Der Ring war eher schlicht gehalten, schmal, mit einem etwas größeren Edelstein in der Mitte, gerahmt war er von vier kleineren Steinen. Diese sollten unsere letzten gemeinsamen fünf Jahre symbolisieren. Der große Stein stand für das fünfte, das schönste Jahr, wie mein Topf mir gesagt hatte – das hat ER sich übrigens ausgedacht, alles habe ich also doch nicht geplant, das muss ich zu meiner Verteidigung mal erwähnen. Als ich ihn in dem Prospekt gesehen hatte, hatte ich mich sofort in ihn verliebt. Ja, es gab sie also wirklich, die Liebe auf den ersten Blick – zwischen Frau und dem Objekt ihrer Begierde (und damit meine ich nicht das andere Geschlecht).
„Fahrkarte bitte!“ – Wie bitte, was? Wer störte mich in meinem Tagtraum? Ach, der Schaffner. Lächelnd schaute mich der ältliche Herr an. Ich konnte fast spüren, was er dachte, als sein Blick die Zeitschriften auf meinem Tischchen streifte. „Herzlichen Glückwunsch“, sagte er noch und wendete sich dem nächsten Fahrgast zu. Es gab eben einfach noch nette Menschen.
Ich wusste natürlich schon, wie mein Kleid aussehen sollte. Da wir nur standesamtlich heiraten würden, sollte es ein knielanges Kleid werden, am besten in A-Form, mit Spitze. Trotz der Kürze sollte es sehr elegant wirken. Ich wollte eine außergewöhnliche Braut werden, eine, bei der auch die Passanten stehen bleiben und denken wir hübsch sie ist, wie strahlend und passend ihr Kleid ist. Im Klartext, sie sollten ein klein wenig neidisch auf mich und meinen Topf sein! Am schwierigsten würde es werden, meine Eltern davon zu überzeugen, dass ein Hochzeitskleid nicht lang sein muss. Aber das Ass im Ärmel hatte ja ich. Mein Topf liebte meine Beine und da meine Eltern meinen Topf fast so sehr liebten wie ich ihn, würden sie alles tun, um ihn glücklich zu machen. Fast könnte man meinen, sie waren froh mich endlich (ich war ja schon ganze 29 Jahre alt) gut untergebracht zu haben. Hätten wir noch in Zeiten gelebt, in der die Familie der Frau noch eine Mitgift zahlen musste, hätten meine Eltern wohl freiwillig eine ganze Menge Geld rausgerückt, nur um dieses Goldstück von einem Mann bei mir zu halten. Ich versuchte diese Anhimmelei seitens meiner Eltern immer so auszulegen, dass sie mir damit sagten, was für einen guten Geschmack ich hatte und nicht, dass ich so anstrengend war und es nur rechtens wäre, dafür zu bezahlen, dass dieser Mann mich aushielt. Immer positiv denken – das war mein Mantra!
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich mit meiner Träumerei bereits mehr als eine halbe Stunde verplempert hatte und ich mich doch mal wieder den Prospekten widmen sollte. Und das tat ich auch, wieder vergaß ich alles um mich herum – darin war ich gut. Mit Auszeichnung erhielt ich immer wieder den Preis für die nicht existente Multitaskingfähigkeit der Frau in unserer Familie. Aber was soll‘s, immerhin konnte ich mich auf eine Sache zu hundert Prozent konzentrieren und darin völlig aufgehen – das können nicht viele Menschen von sich behaupten.
Und so saß ich im Zug, blätterte und las, bis ich diese Stimme hörte. Diese Stimme, die ich unter tausenden erkennen würde, aber niemals wagen würde, sie selbst heraufzubeschwören. Die erotischste Stimme aller Zeiten – und nein, sie war leider nicht meinem Topf zuzuordnen. Sie gehörte einem Mann aus meiner Heimat, genauer gesagt noch dazu aus meiner Vergangenheit und ich musste mich nicht umdrehen um zu wissen, zu wem diese Stimme passte und dass dieser jemand im Gegensatz zu mir, deren Styling heute schon sehr gelitten hatte – für Make-Up hatte es nicht mehr gereicht – fantastisch aussah.
Innerhalb eines Bruchteils von Sekunden ratterten hundert Gedanken durch meinen Kopf, von denen sich aber nur zwei durchsetzten. Was zum Teufel macht meine “Never-ending-Story“ hier? Und was zum Henker tu ich jetzt? Meine Alarmglocken schrillten. Irgendwo in meinem Innern rief jemand, durchatmen, tief durchatmen. Haha, lachte eine andere ziemlich hämisch. Eine weitere, meine Neugier wohl, meinte, dreh dich um! Dreh dich um! Sprech ihn an, sag was, zeig ihm deinen Ring! Wie viele Stimmen kann ein Mensch denn in seinem Kopf gleichzeitig haben? Und auf welche sollte ich hören? Ich wusste, ich musste mich zu etwas zwingen, ich musste irgendwas tun. Ich musste mich retten. Retten vor dieser Stimme, retten vor allem, was sie begleitete. Und ausnahmsweise hatte mein Gehirn eine gute Idee und sagt e mir: Mädchen, steig sofort aus diesem Zug aus. Egal wo du bist, egal was passiert, verschwinde hier! Gott sei Dank hatte mein Gehirn auch einen Draht zum Rest meines Körpers und zwang ihn wie in Trance meine Sachen zusammen zu packen, aufzustehen, in die entgegengesetzte Richtung der Stimme, die jetzt auch noch lachte, dieses lustige Lachen, nicht das Lachen, mit dem er mich immer bedacht hat und in das ich mich vor Ewigkeiten verliebt hatte, und sich vor die Türe zu stellen. Ohne einen klaren Gedanken packen zu können, stieg ich bei der nächsten Station aus. Es war mir egal, wo ich war. Es war mir egal, wie lange ich zu meinen Eltern brauchen würde. Hauptsache er sah mich nicht und vor allem, ich ihn nicht. Endlich hielt der Zug, ich stieg aus und dann beging ich wider jede Vernunft diese riesige Dummheit. Als der Zug abfuhr, hob ich den Blick, sah durchs Fenster und schaute geradewegs in seine meeresblauen Augen. Langsam verzog er den Mund zu einem Lächeln. Er hob seinen linken Mundwinkel leicht an, blinzelte kurz und weg war er. Das hatte ich fünf Jahre nicht gesehen und tief, tief, tief in mir vergraben – nicht verbannt wie ich dachte, nur vergraben. Und ich, ich war jetzt allein, auf einem Bahnsteig im Nirgendwo, mit meinem Paket an Hochzeitsbroschüren und meinen Gedanken, die nicht um meinen über alles geliebten Topf kreisten – das erste Mal seit langer, langer Zeit, sondern um ihn, meine Never-ending-Story….
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 04.08.2013
ISBN: 978-3-7309-4070-9
Alle Rechte vorbehalten