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Kapitel 1

Schizophren

 

Prolog

 

Pferderennen sind hart. Falsche Entscheidungen, die in Bruchteilen einer Sekunde getroffen werden müssen, können eine Niederlage statt eines Sieges bedeuten. Nur die besten Pferde kommen weiter und haben die Möglichkeit, bei dem berühmten Kentucky Derby zu starten. Dort zu siegen bedeutete die Chance auf die begehrte Triple Crown: Kentucky Derby, Preakness Stakes und Belmont Stakes. Pferde wie Sir Barton, Secretariat und Seattle Slew sind Legenden im Pferderennsport… und alles Sieger der Triple Crown. Lange gab es das nicht mehr. Seit nunmehr 35 Jahren hatte kein Pferd die Schnelligkeit und das Stehvermögen, um die Triple Crown für sich zu gewinnen.

Ein junger Hengst, der auf Copacabana Farms, einem Trainings- und Zuchtstall für Rennpferde in Lexington, trainiert wurde, gibt zum ersten Mal wieder Hoffnung auf diese außergewöhnliche Auszeichnung.

Und genau dort, auf der Trainingsbahn des Stalls in Lexington, begann die Geschichte des rotbraunen Vollbluthengstes namens Diamond Dash.

 

Kapitel 1

Genauso wie an jedem anderen Morgen, an dem ich auf der Copacabana Farm arbeiten musste, ging ich gegen halb Sieben über den geteerten Innenhof des Geländes, geradewegs in Richtung des Stalls mit den Trainingspferden. Doch auf dem Weg dorthin fiel mir ungewöhnlicher Lärm auf. Aufgeregtes Stimmengewirr und das laute, etwas panische Wiehern eines Pferdes. Ich folgte den Stimmen und ging bis hin zu dem Verladeplatz hinter dem Stall, wo einige der Stallhelfer versuchten, einen rotbraunen jungen Hengst halbwegs vorsichtig aus dem Pferdehänger auszuladen. Es würde wohl der Zweijährige aus England sein, den der Stallbesitzer Mr. Carson schon angekündigt hatte. Er wirkte alles andere als ruhig: Er blähte die Nüstern, hatte den Kopf hoch erhoben, die Augen weit aufgerissen und tänzelte nervös auf der Stelle, als er von einem der Stalljungen nach dem Ausladen festgehalten wurde. Es war Tobias, der den Rotbraunen kurz am Strick hielt. Tobi war in meinem Alter, also ebenfalls stolze 23 Jahre alt und arbeitete hier auch schon, seit ich denken konnte. Er war ein sehr guter Freund von mir und wir unternahmen auch in unserer Freizeit viel zusammen.

Ich hörte ihn leise fluchen und musste ein wenig grinsen. „Na, macht der Neue schon Probleme?“, fragte ich und feixte ein wenig, als ich direkt auf ihn zuging.

„Das kann man wohl sagen.“, meinte der Stalljunge und verdrehte leicht die Augen wegen des auffälligen Verhaltens des Hengstes. „Och, so schlimm kann er nicht sein. Er sieht doch so lieb aus…“ grinste ich, strich dem Zweijährigen Hengst dann vorsichtig über den Hals.

Tobi grinste. „ ’Lieb aussehen’ und ’Lieb sein’ ist aber ein Unterschied!“ bemerkte er schief grinsend und führte den aufgeregten und nervösen Hengst dann in den Stall. Mit einem grinsenden Kopfschütteln folgte ich den beiden mit ein wenig Abstand. Ich musste mich jetzt ein wenig beeilen, ich musste gleich im Training reiten.

 

Tobias half mir in den Rennsattel eines Rappwallachs. Ich nickte ihm mit einem leichten Lächeln dankend zu, stellte die Füße in die Steigbügel, nahm die Zügel auf und setzte mich noch im Sattel zurecht, ehe ich den dreijährigen Wallach in Richtung der Trainingsbahn des Gestüts lenkte. Er lies sich in ruhigem, gleichmäßigen Schritt dorthin reiten, wurde jedoch gleich aufmerksamer, als er den Sand unter seinen Hufen spürte. Ein leichtes Grinsen umspielte von nun an meine Lippen, das auch während des gesamten Ritts nicht weichen wollte.

Es war wie jeden Morgen, wenn ich ein Pferd über die Bahn ritt. Ich trabte ein kurzes Stück zum Aufwärmen und lies den Rappwallach dann in einen langsamen, leichten Galopp fallen. Nach einer halben Bahn gab ich die Zügel ein klein wenig nach und lies ihn von nun an immer etwas schneller werden.

Im Bogen, der auf die Schlussgerade führte, gab ich noch ein wenig mehr nach und machte mich leichter im Rennsattel, hielt den eifrigen Rappen aber nach wie vor noch ein wenig zurück. Erst auf den letzten 200 Metern lies ich ihn sprinten, machte mich ganz flach im Sattel und folgte seiner Kopfbewegung mit den Armen.

Ich parierte ihn schließlich durch, nachdem ich ihn ausgaloppieren hatte lassen, und ritt in Schritt von der Bahn. Am Stall schwang ich mich elegant wie immer aus dem Sattel und nahm den Rappen den Sattel ab, bevor ich ihn abspritzte. Mit dem Schweißmesser entfernte ich noch das Wasser von seinem muskulösen Körper und stellte ihn anschließend zurück in die Box. Ich strich dem Rappen noch mit einem leichten Lächeln über die Stirn, bevor ich ihn allein in der Box zurück lies und mich dem nächsten Pferd widmete, dass ich trainieren sollte. Immerhin hatte ich noch vier andere Vollblüter vor mir, die ihr morgendliches Training brauchten.

 

Ab Mittag hatte ich frei. Aber selbst an meinen freien Nachmittagen hielt ich mich im Pferdestall oder bei den Koppeln auf. Weil mir der unsichere, rotbraune Hengst von heute morgen nicht aus dem Kopf gehen wollte beschloss ich, mal nach ihm zu sehen. Inzwischen würde er sich sicher ein wenig eingelebt und an die Umgebung gewöhnt haben.

Doch meine Vermutung sollte verworfen werden, als ich an der Box mit dem Namensschild ’Diamond Dash’ ankam und der junge Hengst sich an die hintere Boxenwand drängte. Wieder hatte er die Augen etwas weiter geöffnet, den Kopf krampfhaft nach oben gerissen.

Das Verhalten des Zweijährigen gab mir wirklich ein wenig zu denken, es war ungewöhnlich. Ich beobachtete ihn eine ganze Weile still schweigend, damit er sich an meine Gesellschaft gewöhnen konnte. Schließlich öffnete ich dann seine Boxentür, womit ich bewirkte, das er sich nur noch enger an die Wand drängte.

„Hey Großer… ich tu’ dir schon nichts. Ganz ruhig… du bist sowieso der Stärkere von uns beiden.“, sagte ich mit ruhiger Stimme und lächelte ein klein wenig, blieb aber am Boxeneingang stehen und näherte mich ihm nicht weiter. Das würde ihn ja doch nur noch weiter beängstigen.

Nach einigen weiteren Minuten schien er langsam wieder etwas runterzukommen, traute sich dann, mal einen Schritt nach vorne zu machen und drehte den Kopf leicht in meine Richtung. Vorsichtig streckte ich meine Hand in seine Richtung aus, woraufhin er den Kopf wieder abwendete und nach oben riss.

Geduldig lies ich meinen Arm ausgestreckt und wartete wieder einige Minuten. Mein Arm wurde schon langsam schwer, als Diamond Dash schließlich doch wieder in meine Richtung sah. Noch immer nervös und unsicher machte der Vollbluthengst einen Schritt auf mich zu, beschnupperte ganz vorsichtig meine Hand. Dann hob er wieder den Kopf und sah mich mit seinen großen braunen Augen an. Er regte sich keinen Millimeter, schien mich einfach nur ganz genau unter die Lupe zu nehmen.

Mit ganz langsamen und vorsichtigen Bewegungen hob ich die Hand erneut, um ihn zu streicheln. Ganz sanft strich ich ihm über den Hals und flüsterte noch beruhigende Worte. Ich konnte sehen, wie er sich langsam ein wenig entspannte und die Muskeln seines Körpers sich lockerten.

Ich verlies seine Box noch einmal, um Tobi aufzusuchen. Nach kurzer Zeit fand ich ihn in der Sattelkammer, wo er gerade das Sattelzeug putzte. „Du Tobi, musst du noch lange arbeiten? Ich würd’ mir den Hengst von heute morgen gerne noch mal mit dir zusammen ansehen.“, lächelte ich ihn an und setzte mich auf einen Hocker. Der Stalljunge schüttelte leicht den Kopf. „Hey Kate... Nur noch die zwei Trensen die da auf dem Boden liegen, dann bin ich fertig.“, sagte er und verstaute den Rennsattel, den er gerade eben geputzt hatte, wieder auf einem der Sattelhalter. Ich unterhielt mich noch mit Tobias und wir lachten zwischendurch, während er nebenbei die letzten beiden Trensen putzte.

Kapitel 2

Kapitel 2

Wir hatten am vorherigen Tag noch bis spät abends über den Hengst geredet, ich hatte mich auch nochmals zu ihm in die Box gestellt und er war nicht mehr ganz so ängstlich gewesen. Tobi war zusammen mit mir noch zum Büro von Mr. Carson gegangen, wo wir ihn darum gebeten hatten, das Training für den Hengst übernehmen zu dürfen. Nach längerer Überlegung hatte er zugestimmt und dem Trainer mitgeteilt, mich als Reiterin für Diamond Dash’s Trainingsritte einzuteilen.

 

Ich hatte wie jeden anderen Donnerstag auch meine morgendlichen Ritte auf der Reitbahn hinter mir, als ich erneut zusammen bin Tobi zur Box des scheuen, rotbraunen Hengstes ging. Vorsichtig legte ich ihm ein schwarzes Lederhalfter an und führte ihn aus der Box. Jeder seiner Schritte war sehr unsicher und er war nervös – ein ganz offensichtlicher Dauerzustand von ihm.

Tobi stellte die Putzbox in der Stallgasse ab und reichte mir dann eine Bürste, mit der ich vorsichtig eine Seite des Hengstes putzte, der mittlerweile auch den Stalljungen akzeptierte und sein restliches Fell von ihm striegeln lies, während ich mich um Schweif und Mähne kümmerte.

Während Tobi dabei war die Hufe auszukratzen, holte ich dann Sattel und Trense für Diamond, wie ich ihn immer nur nannte. Ich nahm auch noch vier weiße Bandagen mit, weil ich gerade bei den jungen Pferden immer sehr auf den Schutz der Beine achtete, da diese noch empfindlich waren.

Tobias bandagierte vorsichtig und sehr genau die Beine des Vollbluthengstes, während ich ihm vorsichtig den Sattel auflegte. Diamond Dash zuckte unruhig zusammen und riss den Kopf nach oben. Er schien sehr sensibel zu sein, also schloss ich den Sattelgurt ganz vorsichtig, langsam und erstmal nicht zu eng. Ich legte ihm dann noch die Trense an und Tobi war gerade mit dem Bandagieren fertig.

„Dann mal los.“, lächelte er mir zu. Er wusste ebenso wenig wie ich, wie sich der Rotbraune beim Training anstellen würde. Aber ich erwartete nicht allzu viel, falls er sich genauso ängstlich verhalten sollte, wie im Stall.

Draußen vor dem Stall half Tobi mir wieder in den Sattel. Diamond Dash sprang einmal zur Seite weg, weshalb wir noch einen zweiten Versuch brauchten. Na das fing ja schon mal echt super an.

Schon auf dem Weg zur Bahn tänzelte der Vollbluthengst ganz nervös, aber ich lies mich von seiner Unruhe nicht anstecken. „Ganz ruhig Großer.“, redete ich mit beruhigender Stimme auf Diamond ein, woraufhin er nur ungeduldig den Kopf schüttelte. Tobi hatte den Hengst bis zum Eingang der Bahn nur am Führseil gehalten und löste es von seiner Trense, als wir erste Schritte in den Sand machten.

Wider erwarten schoss der junge Hengst los und ich war völlig unvorbereitet. Ich kam etwas aus dem Gleichgewicht und musste mich erst wieder fangen, bevor ich ihn zügeln und nur mit sehr viel Mühe in den Trab bremsen konnte.

Einen kurzen Seitenblick warf ich in Tobis Richtung, der wohl ebenso erstaunt war wie ich, etwas verwirrt in meine Richtung sah und mich beim Reiten beobachtete.

Ich konzentrierte mich wieder voll und ganz auf Diamond, wärmte ihn dann erst noch ein wenig im Trab auf, ehe ich ihn wieder angaloppieren lies. Wieder raste er in einem Wahnsinnstempo los und ich musste mein Gewicht stark nach hinten verlagern, um ihn in einen langsamen und ruhigen Galopp zu bringen. Allerdings wurde das auf Dauer sehr anstrengend, meine Arme und Hände taten schon weh.

Im Bogen, der auf die Schlussgerade führte, schwanden meine Kräfte dann und ich konnte nicht mehr. Also gab ich dem Zweijährigen die Zügel frei und machte mich leicht im Sattel, sodass wir die restlichen 600 Meter der Bahn in irrsinnigem Tempo dahinrasten.

Ich ritt schließlich im Schritt zu Tobias an die Rails und hielt den Zweijährigen an. Diamond Dash atmete schwer, prustete jetzt aber zufrieden ab und ging in lockerem Schritt, hatte den Kopf gemütlich ein wenig gesenkt. Kopfschüttelnd sah ich zu Tobi. „Also das hätte ich jetzt echt nicht gedacht…“, sagte ich, noch immer etwas erstaunt über das Potenzial des Vollbluthengstes. Tobi nickte. „Ja… ist echt krass! Ihr seid echt geflogen. Wir sollten gleich morgen seine Zeit auf 1000m nehmen, dann können wir ihn noch ein wenig besser einschätzen.

Ich nickte dem Stalljungen leicht lächelnd zu. Dann trieb ich Diamond wieder zum Schritt ab und ritt neben Tobi her zurück zum Stall. Ich schien jetzt einen völlig anderen Hengst unter mir zu haben. Es schien, als wäre er schizophren und hätte jetzt seinen zweiten Charakter angenommen. Jetzt war er ausgeglichen, sah sich seine Umgebung zwar aufmerksam aber nicht mehr so nervös an. Kopfschüttelnd sah ich auf das Vollblut hinunter.

 

Nachdem ich den Hengst zusammen mit Tobias fertig gemacht, in die Box gestellt und dann noch gefüttert hatte, gingen wir mit ausgelassener Stimmung zum Wohnhaus für Angestellte.

„Guck’n wir noch ’nen Film? Hab keine Lust schlafen zu gehn.“, fragte Tobi, als wir unsere Stallschuhe im Flur auszogen. Ich nickte. „Klar. Aber ich hol mir erst noch was zu essen.“, sagte ich und verschwand halb lachend in die Küche, wo ich mir noch ein einfaches Sandwich machte. Dann schmiss ich mich im Wohnzimmer zu Tobias auf die Couch und biss in mein Sandwich, als der Film startete.

 

Ich wachte schließlich an Tobi gekuschelt im Dunkeln auf, der Fernseher lief noch. Müde blinzelte ich und sah zu dem Stalljungen, der tief und fest zu schlafen schien. Aufstehen wollte ich jetzt nicht, also blieb ich einfach an Tobias’ warmen Oberkörper geschmiegt dort liegen und war schon wenig später wieder eingeschlafen.

 

Donnernde Pferdehufe um mich herum, keuchender Atem und die Zielgerade war nur noch wenige Meter entfernt. Kopf an Kopf mit zwei anderen Pferden jagte ich mit Diamond Dash vom Schlussbogen in die Schlussgerade. Ich verlagerte mein Gewicht weiter nach vorne, machte mich noch leichter im Sattel und war eins mit dem Rhythmus des Vollbluts. „Zeig was du kannst, Diamond… LOS!“ spornte ich den rotbraunen Hengst weiter an und schwenkte die Gerte in sein Sichtfeld. Der Vollbluthengst setzte noch um einiges zu und wir hatten die anderen Pferde weit hinter uns gelassen, als ich mit ihm über die Zielgerade preschte.

Und es ist Diamond Dash! … Diamond Dash gewinnt nach dem Kentucky Derby auch noch die Preakness Stakes!“, dröhnte es aus den Lautsprechern der Rennbahn.

Impressum

Texte: M. Tiedje
Bildmaterialien: Coverbild: polovallarta.com
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2013

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