Is all that we see or seem
but a dream within a dream?
A DREAM WITHIN A DREAM
Edgar Allan Poe
Heute Abend ist es außergewöhnlich still in meiner Wohnung.
Vielleicht ist das aber auch nur Einbildung, denn was sollte noch Geräusche erzeugen, zu so später Stunde?
Ich verdränge den seltsamen Gedanken und lege mich ins Bett, das mir, lockend in der Ecke wartend, eine erholsame Nacht verspricht. Meine rechte Hand betätigt den Schalter der Nachttischleuchte. Die Dunkelheit schwappt heran wie eine Welle schwarzen Teers – irgendwie viel zu langsam – und begräbt mich unter sich.
Diesmal ist es jedoch nicht der Schlaf, der mich überkommt, sondern etwas völlig anderes! Ein grausamer Sog zerrt mich noch oben – die Zimmerdecke bietet keinen Widerstand, an dem ich zerschmettert werden könnte. Stattdessen gleite ich hindurch wie durch eine semipermeable Membran. Hals, Arme und Beine werden mir von der unfassbaren Geschwindigkeit nach hinten weg gebogen, während ich mit schockstarren, aus den Höhlen fast hervorquellenden Augen durch das schwarze, von widerlich weißen Adern durchzogene Inferno rase – einem unbekannten Ziel entgegen. Schleier tanzen vor meinem Gesicht, eine Ohnmacht kündigt sich an. Eine geregelte Atmung ist unmöglich – der brüllende Fahrtwind presst sich gnadenlos zwischen meine Lippen – unmöglich, sie zu schließen. Beim bloßen Versuch droht mein Unterkiefer abzureißen!
Da erscheint im wirbelnden Chaos vor mir ein grünlicher Fleck und nähert sich beängstigend schnell. Was ist das – und vor allem: Ist es etwa massiv?
Mein Irrsinnsflug wird nochmals beschleunigt. Das widerwärtige Gefühl, mich übergeben zu müssen, wird wohl nicht mehr lange nur ein Gefühl bleiben …
Die Fläche eilt heran, wird immer größer, detaillierter – dann ist es soweit: Unter ohrenbetäubendem Fauchen werde ich aus dem dunklen, albtraumhaften Tunnel geschleudert und stürze in eine unbegreifliche Vision hinein: Eine drohende Moorlandschaft, umgürtet von hohen, finsteren Felswänden, breitet sich unter mir aus. Nur mit Mühe kann ich einige missgebildete Bäume erkennen, die ihre verbogenen Klauen suchend in die Luft strecken, denn ich falle aus großer Höhe auf all das zu. Sollte ich die Schreckensfahrt nur überlebt haben, um mich in dieser fremden Welt zu Tode zu stürzen? Allein die Vorstellung des Aufprallschmerzes umfasst mein wild pulsierendes Herz wie eine kalte, schleimige Klaue. Der Tod ist nur ein paar Sekunden entfernt – gleich wird er mich holen!
Die brodelnde Sumpfmasse unter mir will mich verschlingen. Entsetzt schließe ich die Augen. Hoffentlich geht es wenigstens schnell.
Kurz bevor mein Magen nach oben durch meine Kehle dringen kann, weil jemand in diesem abstürzenden Hochgeschwindigkeitsfahrstuhl den Nothalt gedrückt hat, höre ich eine Stimme – undefinierbar, auf eine unmöglich zu schildernde Weise fremd und düster – die nur ein einziges furchtbares, ebenso fremdartiges Wort murmelt.
Dann schlage ich auf! Die faulige Brühe spritzt meterhoch und gibt, einem glitschigen Trampolin gleich, unter meinen Füßen nach, so dass ich bis zum Hals in den grünbraunen Schlamm eindringe. Ein unbeschreiblich penetranter Gestank schneidet in meine Nase wie ein Rasiermesser. Eigentlich unbegreiflich, aber ich lebe noch. Wieso ist mein Sturz plötzlich gebremst worden – und von wem?
Mit einem erstickten Keuchen versuche ich mich aus der klebrigen Umarmung des Morastes zu befreien, aber der hat etwas dagegen und beginnt, mich nach unten zu ziehen.
Oh Gott, hört das denn nie auf?, schießt es mir durch den Kopf. Da legt sich etwas um meinen Hals! Es folgt ein brutales Zerren, das mir die Tränen in die Augen treibt. Was – oder wer – auch immer mich da herauszieht, muss unvorstellbar stark sein! Der Sumpf gibt widerborstig meine Beine frei und schwappt sogleich mit einem widerlichen Schmatzen wieder zusammen. Ich werde auf den klammen Untergrund gestellt, sinke nun aber unerklärlicherweise nur minimal ein.
Soll ich mich umdrehen? Soll ich mich wirklich umdrehen?
Mich beschleicht das unangenehme Gefühl, dass das Moorloch das kleinere Übel gewesen sein könnte. Am liebsten würde ich mich wie ein kleines Kind hinter meinen Händen verstecken, auch wenn das völlig sinnlos wäre.
„Guten Abend!“
Diese beiden Worte brennen sich wie glühendes Eisen in meine Ohren. Der grimmige Klang der Stimme – es ist die gleiche, die ich kurz vorm Auftreffen vernommen habe.
Schwer atmend wende ich mich um, mit dem Schlimmsten rechnend – trotzdem lähmt mich der Schock, als ich ihn erblicke. Keiner kann das Grauen ermessen, das ich gerade fühle!
In einen dunkelgrauen Kapuzenumhang gehüllt steht er da. Seine vier langen, sehnigen, in messerscharfen Klauenhänden endenden Arme sind mir lauernd entgegengestreckt. Aber der grausigste Körperteil ist der Schädel, der auf einem mit kleinen Tentakeln besetzten Hals sitzt, mich höhnisch mit seinem Raubtiergebiss angrinst und mit dem einzigen, lang gezogenen, grellblau strahlenden Auge fixiert.
Wer ist das, um Himmels Willen?
„Ich heiße dich willkommen, mein Freund. Du fragst dich sicher, wer dich mit seiner Anwesenheit ehrt …“
Diese Stimme!
„… Ich werde es dir verraten: Man nennt mich Llorlh! Das sagt dir natürlich überhaupt nichts – hahaha! Betrachte mich einfach als deinen persönlichen, treuen, stets bereiten Nachtmahr!
Nein, du träumst nicht – ich bin real, wie du noch am eigenen Leibe erfahren wirst! Nur wenige haben das Glück, jemals ihrem eigenen Nachtmahr zu begegnen. Aufgrund der lästigen Gesetze eines … gewissen Jemands gelingt es mir und meinesgleichen leider nur selten, den Schläfer in unsere jeweilige Dimension zu ziehen und ihm echten Schmerz und Schrecken zu bereiten.
Was du hier siehst, ist mein Reich, der Kratersumpf! Hier wirst du dich mit mir messen müssen. Siegst du, wirst du morgen früh in deinem Bettchen aufwachen. Gewinne jedoch ich, erwartet dich … nun ja, ich will nicht zuviel verraten! Hab acht, Träumer, denn ich, Llorlh, der Gebieter über Maden und Würmer, fordere dich hiermit heraus!“
Die letzten Worte der röhrenden Stimme sind kaum verklungen, da reißt mein unheimliches Gegenüber die vier Arme in die Höhe und fährt unter furchtbarem Heulen in den Schlamm hinein.
Mein Schrecken entlädt sich in einer physischen Fluchtreaktion. Blindlings renne ich in die bedrohliche Umgebung hinein. Aber ich komme höchstens hundert Meter weit: Aus dem schleimigen Untergrund vor mir schiebt sich eine weiße, glatte Mauer! Es folgen Türme, Zinnen und Erker in atemberaubender, jegliche irdische Geometrie verspottender Verschachtelung. Kaum eine Minute hat der Vorgang benötigt – und schon bin ich im Hof des bizarren Schlosses gefangen!
Eine Gänsehaut beschleicht mich, während ich mich unsicher umsehe. Da: Auf dem Treppenpodest vor mir liegt ein Schwert, lang und scharf und glänzend.
„Nimm es – schnell“, schreit eine Stimme in mir, vor Panik bebend. Ich stürze mich förmlich auf die Waffe. Ein Gefühl von Sicherheit durchströmt trügerisch meinen Körper, als ich ihren kunstvoll gearbeiteten Griff in meiner rechten Hand spüre – bis mich jäh ein Geräusch herumfahren lässt!
Er ist zurück – jedoch nicht allein. Ein wunderschönes, schwarzhaariges Mädchen mit traurigen Augen steht links neben ihm. In seiner rechten oberen Hand ruht eine gezackte Klinge aus einem mir unbekannten dunklen Metall.
„Sei erneut begrüßt, mein Freund! Ist es nicht schön, dass wir uns so rasch wieder begegnen? Kommen wir gleich zur Sache: zu unserem Duell. Ich dachte, wir erweitern den Einsatz geringfügig. Nun geht es nicht mehr allein um dein erbärmliches Leben, sondern auch um die hier! Wie ich sehe, gefällt sie dir vorzüglich. Deine Äuglein blicken so richtig dämlich verliebt. Ha!“
Mit gräulichem Gelächter stößt er sie von sich. Die kleinen Fortsätze in seinem Hals, die mich an Regenwürmer beim Eindringen in einen fauligen Baumstumpf erinnern, zucken in orgiastischer Vorfreude. Das Mädchen liegt vor mir im Schlamm und schaut mich angstvoll und flehend an. Ihr Blick verzaubert – und verändert – mich sofort. Und das in einem Maße, das mich selbst überrascht. Irgendwo tief in mir erwacht unvermutet der Kämpfer. Entschlossen schreite ich Llorlh entgegen. Das verwundert ihn für einen Moment sichtlich. Dann aber lässt er sein Schwert in atemberaubendem Tempo rotieren und dringt vehement auf mich ein! Ich pariere den ersten Hieb mühelos – aber eigentlich ist diese Reaktion viel zu schnell für einen ungeübten Schwerkämpfer wie mich gewesen. Llorlh bestätigt mir das ungefragt: „In diesem Duell bist du genauso schnell und stark wie ich. Hier kommt es nur auf die rechte Finte an, Träumer!“
Trotz der scheinbaren Chancengleichheit ist er mir an Kampferfahrung weit überlegen und dazu noch listig wie ein Fuchs. Mehrmals verursacht mir sein Schwert kleine, aber bösartig schmerzende Wunden – trotz meiner raschen Ausweichmanöver. Dennoch gebe ich nicht auf! Das Singen der aufeinander treffenden Klingen hallt durch das ansonsten gespenstisch stille Schloss, untermalt von Llorlhs kehligen Kampfschreien und meinem keuchenden Atem.
In jeder Sekunde des Duells habe ich die strahlend grünen, endlos tiefen Augen des namenlosen Mädchens vor mir. Sie hat mein Herz mit ihrem ersten Blick gewonnen. Nur sie verleiht mir die Kraft zum Weiterkämpfen gegen den Unhold. Ich will sie retten und dann mit mir nehmen! Niemand wird mich daran hindern – noch nicht einmal Llorlh!
Er attackiert erneut. Weißer Schaum blitzt auf seinen Zähnen. Ich springe in den Angriff hinein, fange ab. Er stößt mich zurück und holt zu einem furchtbaren Hieb aus, um mich sauber der Länge nach zu spalten! Sein Zyklopenauge flackert vor Gier. Sein Schwung reißt das Monster nach vorne, während ich anmutig zur Seite tänzle – und dann sofort mit aller Kraft zuschlage! Der scharfe Stahl meines Schwerts fährt mühelos in seinen Hals und trennt Llorlhs hässlichen Schädel vom Rumpf – er kommt ein paar Meter weiter klatschend auf …
Ich kann es kaum fassen: Er ist überwunden.
Triumphierend wende ich mich meiner Angebeteten zu, die voller Sehnsucht ihre schlanken Arme öffnet. Leidenschaft durchflutet mich, als ich sie umarme und ihren köstlichen Körper unter dem dünnen Gewand spüre. Es ist wie im Traum.
Mit vor Ergriffenheit bebender Stimme spricht sie zu mir: „Hab Dank für mein Leben, Fremdling.“
Ich krächze irgendetwas Sinnloses, zu Tode erschöpft von dem gnadenlosen Kampf und gleichzeitig zutiefst erregt von ihrer atemberaubenden Nähe.
„Du bist ja verletzt … warte, lass mich deine Wunden sehen“, stößt sie besorgt aus und drückt mich sanft auf den weißen Steinboden. Die Steinplatten sind ja gar nicht so kalt wie erwartet – im Gegenteil, eine leichte, angenehme Wärme geht von ihnen aus. Ob es wohl in dieser schauerlichen Sumpfmasse unter dem Schloss heiße Quellen gibt? Ich kann den Gedanken nicht weiter verfolgen, denn das Mädchen streift mir gerade behutsam mein halb zerfetztes Schlafanzugoberteil ab. Die Berührung ihrer Fingerspitzen erscheint mir wie das Tanzen von Schmetterlingsflügeln auf meiner schweißnassen Haut. Ich keuche protestierend, als sie mir auch noch die Hose auszieht, doch ich wehre mich nicht. Wie könnte ich denn? Ich stehe völlig im Bann ihrer unwiderstehlichen Schönheit.
Sie scheint sich nicht daran zu stören, dass ich nur noch meine Unterhose trage. Die Unterhose, die nicht verbergen kann, wie sehr mich ihre Nähe elektrisiert. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, setzt sie sich auf meine Oberschenkel. Mit weit aufgerissenen Augen mustert sie jede meiner Verletzungen, während mich die Erregung martert. Ich schäme mich zutiefst, doch das Mädchen achtet nicht auf meine Erektion. Sie nähert sich dem handlangen Schnitt an meinem rechten Oberarm. Ihr warmer Atem streicht darüber. Ich erbebe vor Schmerz und Lust.
„Lass mich deine Wunden versorgen, mein Retter“, haucht sie – und küsst ohne Vorwarnung die blutende Stelle – intensiv – hingebungsvoll. Ich zucke erschrocken zusammen, während sie unendlich zart fortfährt.
„Bitte … hör auf … es könnte sich entzünden. Dein Speichel …“, stammele ich widerwillig, denn es fühlt sich unbeschreiblich an.
„Glaub mir, es wird sich nicht entzünden. Ganz im Gegenteil: Es wird ganz schnell verheilen“, flüstert sie, kurz innehaltend, und lässt ihre Zunge dann wieder eifrig in den Schnitt gleiten. Als sie fertig ist, hebt sie ihr Gewand über den Kopf und offenbart mir ohne Scham ihre blasse, vollkommene Schönheit, während sie den Stoff in feine Streifen reißt, um mich zu verbinden.
Und nun geht sie weiter zu dem Kratzer an meiner linken Brust …
Weiter zu dem Schnitt über dem Bauchnabel … Oh Gott!
Als ihre Haarspitzen auf dem Weg zu dem Stich am rechten Oberschenkel den Stoff der Unterhose streifen, durchfährt mich eine Welle von Krämpfen. Sie murmelt beruhigende Laute, während sie die letzte Wunde auf ihre unnachahmliche Weise behandelt. Tatsächlich setzt bereits die Wirkung ein. Am Oberarm spüre ich kaum noch Schmerzen, sondern nur ein warmes Pulsieren.
Das Mädchen tupft sich vorsichtig die vollen Lippen an einem der Gewandfetzen ab. Sie lächelt mich an und fragt flüsternd: „Hilft es?“
„Oh ja, allerdings … es hilft“, ächze ich unbeholfen. Mein Gesicht ist tiefrot angelaufen, ich kenne das Gefühl nur allzu gut.
Noch nie zuvor war ich in einer so intimen Situation mit einem Mädchen, höchstens in meinem Träumen – doch selbst im Traum hätte ich mir solch eine vollkommene Schönheit nicht ausmalen können. Ihre langen Haare bedecken ihre wundervollen Brüste kaum. Ebenholzfarbene Strähnen auf Alabasteräpfeln. Ihr Bauch ist leicht gerundet, der Grund ihres kleinen Nabels liegt im Schatten.
„Und nun, mein Retter … mein Held … lass mich dir danken, so gut ich es vermag!“, haucht sie mit wankender Stimme, während sie mich ganz auszieht. Ungläubig sehe ich ihr zu. Wie gelähmt bin ich gerade, völlig verunsichert, wie sie auf meinen nackten Körper reagieren wird – vor allem auf …
Was, wenn sie mich abstoßend findet?
Was, wenn sie mich sogar auslacht?
Das könnte ich nicht ertragen! Bitte … bitte … bitte!
Als sich das Mädchen nun endlich – schwer atmend und mit glänzenden Augen – auf meinen Schoß setzt, überkommt mich eine gnadenvolle mentale Erleichterung: Offenbar gefalle ich ihr.
Als jedoch ihre warmen Schenkel meinen Penis nur leicht zur Seite biegen, geschieht das Peinliche: Es durchrast mich wie ein Blitzschlag und –
Sie erstickt meine ungeschickten Entschuldigungen mit einem Kuss, der erst zart und verständnisvoll ist, dann aber voller Glut und fordernder Lust. Und ich kann ihrem Drängen erstaunlicherweise auf der Stelle nachkommen. Sie biegt mich zurück, damit ich sehen kann, wie sie sich auf mein sich bereits wieder aufbäumendes Glied niederlässt. Ihre rote Pforte öffnet sich, umfließt mich geradezu.
Mein Verstand ertrinkt in ihren Bewegungen, rasch und bereitwillig.
Wir treiben davon in einem rasenden Strudel, für den es keine Worte gibt …
Nur langsam kommen wir wieder zu uns. Nur widerwillig habe ich wieder Augen für die Umgebung.
„Das war wunderschön! Wer hätte gedacht, dass das so schön sein könnte“, flüstert mir das Mädchen zu. Ihr Kopf liegt auf meiner Brust. Ihr erhitzter Körper wärmt mich.
„Ja, es war wunderbar. Aber eines ist noch wunderbarer: Ich … ich liebe dich!“, entgegne ich. Zum ersten Mal überhaupt in meinem Leben habe ich diese Worte zu jemand gesagt. Und ich meine jede Silbe davon!
„Du – liebst mich?“, ruft sie und versteift sich.
„Ja! Liebst du mich denn nicht auch?“, frage ich und schäme mich nicht für den panischen Klang meiner Stimme.
„Liebe … ja, vielleicht nennt man das so“, murmelt das Mädchen und blickt mich an. Irgendetwas glitzert in den Tiefen ihrer grünen Augen, das bisher nicht da war. Eine schreckliche Unruhe erfüllt mich.
Ihre nächsten Worte erschüttern mich bis ins Mark: „Mein tapferer Held … hör mir ganz genau zu: Du darfst mich nicht lieben. Das wäre geg-“
„Aber wieso soll ich dich nicht lieben dürfen? Wer soll es mir verbieten? Begreifst du denn nicht: Der Kampf gegen Llorlh – das habe ich nur für dich getan. Und nur wegen dir konnte ich diese Bestie überhaupt besiegen! Nur du gabst mir die Kraft dazu!“, falle ich ihr erregt ins Wort. „Ich werde dich mit in meine Welt nehmen. Wir werden einen Weg finden, glaube mir. Keine andere könnte ich je so begehren wie dich – so sehr lieben!“
„Bitte, verstehst du denn nicht? Es darf einfach nicht sein. Du darfst mich nicht lieben, weil … weil ich … kein Mensch bin!“, stößt sie widerwillig aus. So, als ob sie ihre eigenen Worte selbst nicht verstände.
Ungläubig starre ich sie an. „Was redest du denn da? Wenn du nicht das bezauberndste Mädchen bist, dem ich jemals …“
Meine Stimme erlischt wie eine Kerzenflamme im Sturm, als sich ihr ebenmäßiges Gesicht schmerzvoll verzieht. Voller Furcht stoße ich aus: „Bitte, glaube mir doch!“
„Glaube du besser ihr – hahaharrh!“
Entsetzt blicke ich hinüber zu Llorlhs Kopf. Wie sehr habe ich gehofft, nie wieder diese Stimme erdulden zu müssen!
Das Mädchen wimmert voller Angst und ich reiße sie in meine Arme, um sie zu beruhigen. Ich werde sie beschützen!
Sie küsst mich, wild und völlig verzweifelt. Ein Kuss, der so intensiv ist, dass er mein Innerstes geradezu geißelt. Ihre Furcht ist ja grenzenlos! Stöhnend löse ich mich von ihr.
„Sie ist in der Tat kein Mensch!“, grunzt Llorlh.
Ein giftiger Blitzschlag durchfährt mich. Nicht begreifend schüttele ich meinen Kopf und lächle meine Geliebte an, bereit, gleich das Schwert zu ergreifen und Llorlhs Schädel so gründlich zu zerhacken, dass er die Fähigkeit zum Reden endgültig verliert! Ich habe ein für allemal genug von seinen verletzenden Lügen!
Da beginnt sich etwas unter ihrer zarten Haut auf Ekel erregende Art zu bewegen – zu verändern!
„Sie ist nichts anderes als mein Geschöpf. Oder treffender formuliert: meine Geschöpfe – Ha!“
Eine grausame Schmerzwelle peinigt mich, als ich erkenne, was sie wirklich ist!
Ihr Antlitz erbebt. Dennoch: Wie von Sinnen küsse ich sie, wider alle Vernunft, wider jede normale menschliche Regung will ich sie dadurch erhalten – zusammenhalten, doch unaufhaltsam verschwimmt ihr anbetungswürdiges Gesicht, zerfällt in Bruchstücke, wird zu einer warmen, glitschigen Masse weißer, sich aufbäumender, pulsierender Körper, die klebrig durch meine Finger rinnen. Ihre geliebte Gestalt ergießt sich über mich, umfließt meinen nackten Körper nun tatsächlich, während ich schluchze und plärre – und huste und würge wegen der Reste ihrer eben noch so köstlichen Zunge, die sich jetzt so unsäglich in meinem Mund winden.
„Nicht umsonst nennt man mich den Herrn über Maden und Gewürm – haha! Alles hier – dein Liebchen – das Schloss – alles besteht aus meinen zahllosen Dienern! Und du hast wirklich geglaubt, mich mit deinem Ausfallschritt getäuscht und überwunden zu haben? Du Wurm, du lächerlicher! Meine Finte war der deinen tausendfach überlegen. Ich habe dir einen teuflisch genialen Streich gespielt, indem ich dein Idealbild einer Frau erst erschaffen – und dann wieder zerstört habe! Niemals im Leben wirst du eine treffen, die dir so vollkommen zusagt wie das falsche Weib, das dir gerade unter den Händen zerlaufen ist! Diese Wunde wird dich bis zu deinem letzten Stündlein schmerzen! Welch ein großartiger Triumph, mein Freund – selbst für einen Meister des Albtraums wie mich!“
Jedes seiner Worte trifft mich wie ein Peitschenhieb! Ich kann das alles nicht fassen! Es gelingt mir auch nicht, den Blick von dem schleimigen Haufen organischer Masse auf mir abzuwenden. Sie ist weg …
Dieser wurmstichige Bastard von einem Nachtmahr hat genau gewusst, wie er mich bis ins Mark treffen kann: Eine solche abrupte tiefe Zuneigung zu dem Mädchen hat er nur durch die Materialisation meiner absoluten Idealfrau erlangen können. Diese Erkenntnis hilft mir leider nicht viel in diesem Augenblick, der erfüllt ist von bitterer Verzweiflung und ohnmächtiger Wut.
Werde ich je wieder anders fühlen können?
„Ja, das tut weh, nicht wahr? Jämmerlicher, sentimentaler Narr! Wenn du nur ahntest, wie man sich an der Pein anderer weiden kann – oh ja!“
„Halt dein stinkendes Maul! Na warte – ich werde dich …“
Voller Zorn greife ich nach meinem wartenden Schwert und erhebe mich, um ihn endlich in tausend Stücke zu zerhauen!
Oder noch besser: Ich werde ihn zwingen, mir meine Geliebte wiederzugeben. Ja!
„Nein, nein, mein Freund. So läuft das hier nicht! Du hast mich nun wirklich lange genug beehrt. Es warten noch andere auf meine Dienste …“
Auf eine gebieterische Geste seines kopflosen Körpers hin beginnt sich das Schloss zu drehen und wird – begleitet vom morbiden Spiel eines unsichtbaren, offenbar völlig wahnsinnigen Organisten – zu einem wahren Orkan von mich umkreisenden Maden!
Die Klinge wird mir aus der Hand gerissen und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im Chaos.
„Vielen Dank für den schönen Abend, mein Freund! Ich für meinen Teil hoffe auf ein baldiges Wiedersehen! Bis dahin lebe – und leide – wohl! Uhahaharrh!“, plärrt Llorlhs Schädel, während er (womit?) langsam auf seinen Torso zukriecht, um sich wieder mit ihm zu vereinen.
Die katastrophale Wahrheit lähmt meinen Verstand. Ich registriere kaum, dass der dunkle Tunnel wieder vor mir auftaucht, um mich in die reale Welt zurückzubringen. Oder verlasse ich gerade die Realität und kehre zurück in den gnädigen Traum meines ‚normalen’ Daseins?
Wie kann ich je wieder sicher sein, was wirklich ist und was nicht?
Krachend lande ich in meinem Bett. Nackt … verklebt … weg mit den Verbänden … wie gut verheilt meine Verletzungen schon sind … kein Wunder bei den vielen Maden, die ihre Küsse dort hinterlassen haben, damit sie ihren desinfizierenden Fraß ausführen können!
Schreckliche Weinkrämpfe schütteln mich durch! Das Bild des Mädchens tanzt vor meinen Augen, martert mich mit seiner vollkommenen Anmut.
„Verflucht sollst du sein, Llorlh!“, brülle ich voller Zorn.
Mit Gewissheit werde ich lange brauchen, um über dieses Erlebnis hinwegzukommen – falls mir das überhaupt gelingen kann.
Llorlh hat mir ein Grauen offenbart, das länger andauern wird als die flüchtige Erinnerung an die allnächtlichen Albträume, die er sonst genüsslich und unermüdlich in den Windungen seines finsteren Gehirns für mich ausbrütet – viel, viel länger.
Vielleicht sogar für immer …
Deshalb betet, dass Ihr niemals euren Nachtmahr trefft!
Hey: Kennen Sie Neon?
OK, OK, nicht das Gas. Nee, nee: das Licht.
Also, mal so laienhaft ausgedrückt.
Ja wie denn auch sonst? Wenn einer ein Laie mit dem Physikzeugs ist, dann ich. Anti-Physikprofessor quasi. Oder sagt man Negativ-Physikprofessor?
Was weiß ich!
Viel weiß ich eh nicht, ganz klar.
Bin ja eher so der Malocher. Ist ja aber voll egal. Das hier ist ja kein Bewerbungsgespräch, oder?
Also dann: Klappe halten und immer hübsch die Lauscherchen auf!
Klar, ein Schluck Bier ist OK. Da kann man immer noch zuhören.
Neonlicht – kennen Sie ja wohl. Kennt ja beinahe jeder. Sogar beinahe jeder Depp, hähaha!
OK, Sie finden das wohl nicht ulkig. Ulkig, dass man das nicht ulkig findet. Mein Humor ist ’n ganz spezieller.
So, jetzt nehme ich mal einen fetten Schluck Bier. Vielleicht kann ich danach besser beim Thema bleiben. Sorry dafür, dass ich’s bisher nicht hinbekommen habe.
Also, noch mal von vorn: Neonlicht. Draußen vor der Bar hängt ja auch eins rum, damit Sie und ich und all die anderen hierein finden. Das Bier fault nämlich in den Fässern, wenn’s keiner rauslässt und trinkt. Und auch das ganze andere Zeug würde irgendwann schlecht werden. OK, OK, Sie haben recht. Das Hochprozentige – da müsste schon verdammt lange kein Durstiger herkommen, bis das schlecht wird.
Prost!
So, jetzt geht’s noch ein bisschen leichter, hähaha.
Also, Sie und jeder andere Depp denkt, dass Neonlicht auch bloß so’n Licht ist. So’n bisschen bunteres Licht halt. Also’n voll buntes Licht. Am buntesten halt.
Hölle, wenn’s bloß so wäre!
Ich weiß es besser.
In dem Neonlicht lebt nämlich was. So’n Ding. Wenn so’ne Neonröhre zerbricht und es ist gerade in der Nähe – nee, es ist nicht immer da, es wandert wohl so rum zwischen den ganzen Neonröhren, was weiß ich –, jedenfalls: Dann wird’s voll hässlich!
Am hässlichsten sogar!
Verstecken Sie Ihre Fratze nicht so hinter Ihrem Bierglas. Sehe trotzdem, dass Sie gerade grinsen. So’n echt blödes Arroganzgegrinse.
Na von mir aus.
Prost!
Und noch mal: Prost!
Warten Sie, ich ordere uns noch zwei Bierchen. Nein, nein, schon OK. Klar kennen Sie mich nicht. Macht doch nichts. Noch nicht, hähaha!
Ich mein’ natürlich: Noch kennen Sie mich nicht.
Und nicht: Macht doch noch nichts.
Hähaha!
Verwirrt? So’n wirres Malochergelaber sind Sie nicht gewohnt, gelle? So labere ich halt, denn ich bin nicht so helle!
Hähaha, das hat sich voll gereimt!
Genug gedichtet! Schauen wir lieber, dass wir dicht werden. Ah, da kommt ja schon unser Gerstensaft. Flaschenbier geht schneller, das ist der Vorteil dran.
Prost!
OK, OK, zurück zum Neonlicht.
Also, vor ein paar Jahren war ich mal in so’nem Etab… Etabil… – Puff. Ich sag Ihnen aber nicht, wo das war. Jedenfalls fing da so einer Stress mit mir an.
Nee, keinen Schimmer, warum. Bevor ich schnallte, was abgeht, hatte der mir drei oder vier an die Rübe geknallt.
Mann, ich war vorher mit einem Mädel voll zugange gewesen und hatte mir hinterher ein paar Absacker gegönnt. Oh ja, einige. Wegen dem allen war ich schneckenlahm. Sonst hätte der mich nicht so abräumen können. Nee, weiß echt nicht mehr, warum der anfing. Hähaha, der wusste es wahrscheinlich selber nicht. Meine Fratze war am Zuschwellen und ich wurde echt voll zornig. Da landete er auch schon den nächsten Treffer. Schon flog ich rückwärts über die Theke – und wo rein? Nee, nicht in’n Haufen Flaschen oder so’n Spiegel.
Nee, nee!
Die hatten da so’ne blöde Neonschrift mit dem Puffnamen an’er Wand hängen. Wunderschön – genau richtig für mich zum Reinsegeln.
Prost! Schütten Sie lieber noch mal einen fetten Schluck rein, bevor ich weiterrede: Jetzt kommt’s nämlich.
Prost, hab ich gesagt, verdammt noch mal!
…
Na, also geht doch.
Also: Ich – Peng! – voll rein in dieses Neongekritzel! Halb aufgespießt hab ich mich daran. Ging rein wie’n Messer in warme Butter. Viele Messer gleichzeitig, mein ich natürlich. Wie vom Blitz getroffen, verstehen Sie? Können Sie sich nicht vorstellen, wie sauweh das getan hat!
Zack, ging das Licht aus in dem Eta… – Puff. Außer einem Licht. Ich sah es im Spiegel gegenüber. Das Scheißneonlicht brannte nämlich weiter. Aber nicht in der kaputten Neonröhre, nee. Da war so’n unheimliches, zappelndes Gespensterding zu sehen! Stellen Sie sich mal vor: Beinahe wie’n Mann sah es aus, aber mit so’ner Horrorfratze, das man sich echt anpisst. Und ich da halb aufgespießt, so voll hilflos! Klar, auch sauwütend wegen dem Kerl und dem Schmerz. War aber nur kurz wütend, weil … dann ist nämlich das Gespensterding plötzlich durch den ganzen Puff gestürmt! Geplärrt hat das, so schrill, das können’se sich nicht vorstellen! Die ganzen Scheißflaschen sind geplatzt! Und die Leute, die da waren im Dunkeln, die haben auch gekrischen – heißt das so? Oder gekreischt?
Scheißegal!
Das Gespensterding hat sie sich alle geholt. Und wie! Ich hab’s gesehen im Neonschein, wenn es sich einen oder eine gegriffen hat. Als ob ich dabeigestanden hätte. Ganz dicht. Die Neonbestie – so nenn ich das Gespensterding nämlich – hat sie alle kalt gemacht. Ganz schnell, aber ganz fürchterlich. Mann, ich krieg jetzt noch ’ne Mordsgänsehaut, wenn ich bloß dran denke.
Dieses Scheißbier ist ja schon wieder leer! He, noch eins, aber dalli! Hier sitzt ein Mann mit Durst!
Lahmarsch von einem Barkeeper … so was macht mich echt zornig!
Also: Neonbestie. Die hat alle niedergemacht. Nur mich nicht. Keinen Schimmer, wieso. Bestimmt nicht wegen meinem hübschen Gesicht, hähaha!
Als ich irgendwann wieder zu mir kam – Mann, das war wie im Schlachthaus! Außer mir nur frisches Gehacktes – und Fleisch wie wenn man’s zu lange auf’m Grill lässt. Da bin ich lieber mal stiften gegangen, auch wenn’s mir sauschlecht ging. Hätte mir doch keiner geglaubt, dass die Neonbestie mich als einzigen nicht geholt hat. Das Saubiest! Wollte mich wohl eingelocht sehen.
Unglaublich, wie hinterfotzig selbst so’n Gespensterding sein kann!
Prost drauf, dass ich noch da bin! Will mich nicht zuviel beschweren, hähaha! Bin ja schließlich noch da. Die anderen nicht mehr …
Prost!
Ja, jetzt ist Ihnen doch ein bisschen ulkig im Magen! Das seh’ ich gleich, hähaha.
Versteh ich voll, Mann. Wer keine Ahnung hat, was da im Neonlicht wandert und lauert, der muss das erstmal verd-
Hey! Warum grinsen Sie denn so dämlich? Denken wohl, der dumme Malocher checkt das nicht? Schnell die Akademikerfratze hinterm spendierten Bier versteckt, dann kann man schön blöd grinsen, wie!
Hey, du hast Nerven, mich so zu reizen! Hier, mitten im Neonlicht. Mann, wenn ich zornig werde, dann geht vielleicht was kaputt und wenn wir Pech haben, ist die Neonbestie zufällig in der Nähe und kommt raus. Dann lachst du nicht mehr! Mein Rücken! Tut gerade wieder sauweh!
Runter mit dem Hemd!
Da!
Glotz dir meine Narben an!
Hey: Wer hat das gerade gesagt?
Wer hat das gerade gesagt mit Der Mann leuchtet ja?
Wer hat das gesagt, will ich wissen!
Wartet! Wo rennt ihr denn alle hin?
Hey du – bleib doch da!
Oh nein! Da, im Spiegel!
Seht doch: Die Neonbestie ist wieder da! Und ganz dicht bei mir!
Rennt doch nicht weg!
Rennen nutzt nix!
Jetzt rast sie los – und reißt mich mit. Nicht schon wieder!
Rennen nutzt garnix!
Die Neonbestie ist sowieso schneller als ihr …
Sie ist bisher jedes mal schneller gewesen als … als … iiihhhrrr MMMeeennnsssccchhheeennnpppaaaccckkk!
Blut-Fleisch-Blut-Fleisch-will-Blut-Fleisch!
Blut-Fleisch-Blut-Fleisch-will-Blut-Fleisch!
IIIAAARRRHHH!
IIIIIIIAAAAAAARRRRRRRHHHHHHH!!
IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHHH!!!
Eralf Norgens begegnet den starrenden Granitaugen Inspektor Karrns mit tiefster Gelassenheit. Diese hässlichen Augen sind noch weitaus gefährlicher als die Fragen des selbstgerechten Kolonie-Polizeichefs. Schon so manche verdorbene Seele ist unter diesem erbarmungslosen Blick schwach geworden und hat wimmernd alle von ihr verübten Scheußlichkeiten gestanden. Eralf wird ganz gewiss nicht den gleichen Fehler begehen!
Für den Moment schweigt der Inspektor, sucht neue Worte, um ihn in die Falle zu locken. Norgens nutzt diese Pause, um sich zu erinnern …
*
Ihr Haus war fast mickrig, wie von heimtückischer Gicht gebeugt. Gefertigt aus Plastmetall, dem billigsten Baustoff, den das irdische Imperium bei der Besiedlung fremder Welten wie Lumos IV verwendet. Kurz gesagt: eine dreckige, kleine architektonische Hässlichkeit.
Sie selbst jedoch wirkte auf Eralf jung … attraktiv … vital. Bis auf die dunklen Ringe unter ihren eigentümlichen rotgoldenen Augen.
„Tylea?“
„Ah, Herr Eralf Norgens … welch ein Glanz in meiner bescheidenen Hütte.“
Ihre prallen Brüste hatten bleich aus dem Dekolleté ihres violetten Kleides hervorgestrahlt, aber Norgens tat so, als bemerke er es nicht. Er war schließlich geschäftlich hier.
„Sie kennen mich?“
„Es vergeht schließlich kaum ein Tag, ohne dass etwas über Sie im Hypernet berichtet wird, oder?“
Er zuckte die Schultern und trat ein.
„Worum geht es?“, fragte sie, nachdem sie ihn an einen mit okkultem Krimskrams überladenen Tisch in der schmutzigblau gestrichenen Wohnstube bugsiert hatte.
„Ich will jemanden tot sehen, Tylea!“
Keinerlei Bestürzung erschien auf ihrem schmalen Gesicht.
„Ein anspruchsvoller Wunsch … und wen?“
„Görgen Heynd! Dieser kotzblütige Hurensohn soll verrecken!“
„Ah, Ihr Konkurrent um das Stadtkanzleramt. Aber warum kommen Sie damit zu mir? Die Straßen Heerdalts sind voll von armen Teufeln, die Heynd für eine Monatsration an Nahrungspacks umnieten würden.“
„Die Kontaktperson, welche mir von Ihnen berichtet hat, versicherte mir, dass Sie – im Gegensatz zu anderen – keinerlei Spuren hinterlassen. Was soll ich denn mit einem normalen Killer anfangen? Es würde nicht lange dauern, bis dieser aufgeblasene Inspektor Karrn an meine Tür klopfte. Seine Aufklärungsrate im Bereich Mord beträgt unverschämte einhundert Prozent! Psychologische Gerichtsmedizin in Perfektion. Es ist frustrierend!“
Tylea lächelte ein ironisches Nicht ganz hundert Prozent und meinte dann: „Kein Grund zur Frustration, Herr Norgens. Das, was Sie wünschen, ist schwierig, aber es kann vollbracht werden. Reden wir also über mein Honorar.“
Ihre Zuversicht schockierte Norgens doch ein wenig. „Und Sie bekommen das allen Ernstes hin mit … mit … Hexerei?“
„Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde … und den Sternen, als Sie sich vorstellen können.“
Ihr Lächeln wurde düsterer. Norgens bekam eine hässliche Gänsehaut. Zum ersten Mal seit langen Jahren.
*
„Sie waren es, Norgens! Da bin ich mir absolut sicher“, knurrt Inspektor Karrn gerade und reißt ihn in die Wirklichkeit zurück.
„Herr Norgens, bitte! Soviel Zeit muss sein. Sie sprechen schließlich mit dem zukünftigen Stadtkanzler von Heerdalt!“
„Noch sind Sie’s nicht, Norgens, also rede ich mit Ihnen wie mit jedem anderen Verdächtigen. Heerdalt ist meine Stadt. Und die halte ich gnadenlos sauber!“
„Wie löblich. Niemand unterstützt Ihre diesbezüglichen Bemühungen mehr als ich, mein lieber Karrn. Umso mehr schockiert es mich, dass Sie ausgerechnet mir, einem gesetzestreuen Mitglied der Gesellschaft, so eine barbarische Tat zutrauen! Warum nur?“
„Weil Heynd Ihnen im Weg stand, Sie Ehrenmann! Das ist ein glasklares Motiv!“
„Für das Sie unwiderlegbare Beweise haben? Schließlich genießt Ihre Abteilung Spurensicherung den Ruf der Unfehlbarkeit. ‚Mord ist Selbstmord – hundertprozentig!’ steht auf den hübschen Polizeiplakaten, die überall in unserer schönen Stadt ausgehängt sind.“
„Ist mir bekannt! Ist schließlich von mir. Und es trifft hundertprozentig zu! Ich kriege Sie schon noch, Norgens. Wir haben viel Zeit!“, krakeelt Karrn. Seine fast schon legendären Pupillen flackern jedoch einen Sekundenbruchteil lang unsicher. Eralf Norgens nimmt, innerlich grinsend, einen Schluck des grässlichen Kaffees und denkt wieder zurück …
*
„Selbst der große Generalinspektor Karrn wird Ihnen nichts nachweisen können, Herr Norgens!“
„Das hoffe ich … auch für dich, Mädchen!“, war es ihm drohend herausgerutscht. Die Macht der Gewohnheit eben.
Tylea kicherte als Erwiderung nur frech.
Für solch eine Unverschämtheit hätte jede andere sofort bitter gezahlt. Norgens machte normalerweise nicht viel Federlesens mit Leuten, die keinen Respekt – und (schlimmer noch!) keine Angst – vor ihm kannten. Er brachte solche Leute zwar nicht um, doch es gab einige Bürger Heerdalts, die ihm schwere Verletzungen verdankten. Karrns Truppe war nicht für schwere Körperverletzungen zuständig.
Diese junge Frau war jedoch etwas Besonderes.
Sie war sogar ausgesprochen schauerlich.
Eine leibhaftige Hexe auf einem menschlichen Kolonieplaneten wie Lumos IV schien eine völlig groteske Vorstellung zu sein, ein lächerliches Überbleibsel uralten Aberglaubens, das sich irgendwie ins supertechnologische Zeitalter hinübergerettet hatte.
Bis man ihr dann Auge in Auge gegenübersaß …
*
„Also: Wo waren Sie gestern Abend zwischen 23:30 Uhr und 00:17 Uhr Lumos-Standardzeit, Norgens?“
„Beim Mitternachtsmahl unseres geschätzten Erzbischofs. Bis etwa 02:00 Uhr heute Morgen übrigens.“
„Zeugen?“
„Lassen Sie sich vom Ordinariat die Gästeliste senden. Darauf finden sich übrigens ausschließlich hoch angesehene und sehr einflussreiche Honoratioren unserer Kolonialbürgerschaft. Alle werden meine Angaben bestätigen.“
„Das werden wir ja sehen!“
„Danach werden Sie den unwiderlegbaren Beweis haben, Inspektor …“
„Herr Inspektor!“
„… für meine absolute Unschuld. Sie werden erkennen müssen, dass ich körperlich meilenweit von meinem angeblichen Opfer entfernt war, als dieses verstarb.“
„Alles Lügen!“, faucht Karrn und bohrt seine unbarmherzigen Augen in Norgens’ Stirn, als ob er seine Gedanken lesen könne. Eralf bezweifelt das ernsthaft. Sonst könnte sich der Stiernacken die ganze Fragerei sparen. Zudem hat er ihn eben noch nicht einmal angelogen. Physisch hatte zu dessen Todeszeitpunkt tatsächlich eine beträchtliche Distanz zwischen Heynd und ihm gelegen … jedoch nicht mental. Da war er dem Hurensohn nämlich ganz nahe gewesen!
*
Nachdem die Honorarkonditionen ausgehandelt worden waren, hatte Tylea Eralf in ein anderes Zimmer gebracht. Dabei handelte es sich um ein winziges, kerkergleiches Etwas. Darin befanden sich nur ein Stuhl und ein kleiner Tisch, auf dem eine Flasche Wasser stand.
Die Hexe schärfte ihm ein, den Raum keinesfalls zu verlassen oder sie gar bei ihren Ritualen zu stören. Ihre Augen drohten ihm für eine eventuelle Verletzung dieser Gebote entsetzliche Konsequenzen an.
Wider Willen eingeschüchtert blieb er allein zurück.
Die Warterei kam ihm endlos vor. Die Langeweile allein wäre ja noch auszuhalten gewesen. Aber das, was von Tyleas Beschwörungen zu ihm hereindrang, setzte Eralf wesentlich schwerer zu. Schrilles, fast orgiastisches Geheul und Gelächter … dann wieder tiefste Gutturallaute … eine Mischung aus verschiedenen schweren Duftnoten, teils betörend wie zwanzig Jahre alter Erdenwhisky, teils die Nasenschleimhäute zerfetzender Gestank wie von den Exkrementen unvorstellbarer Monstren.
Seine Kehle wurde schnell unvorstellbar trocken. Nach und nach trank Eralf die ganze Wasserflasche leer. Der quälende Durst ließ sich dadurch jedoch nicht vertreiben. Teufel auch: Er hätte am liebsten einen ganzen Kasten voller eisgekühlter Wasserflaschen leeren können!
Bald schon war Norgens in kalten Schweiß gebadet. Nur schwer konnte er sich davon abbringen, nach draußen zu stürmen und dem beängstigenden Treiben der jungen Hexe Einhalt zu gebieten. Er verkrallte sich in die Lehnen des unbequemen Kunststoffstuhls. Allein die Vorfreude auf Heynds baldigen Tod ließ ihn in dem Chaos aus donnerndem Lärm und beißenden Düften ausharren.
Irgendwann setzte abrupt eine gespenstische Stille ein. Gleichzeitig vertrieb ein süßlich-schwerer Moschusduft binnen einer Minute alle anderen Geruchsnoten – ganz so, als ob ein reinigender Herbststurm durch das muffige Zimmer gefegt wäre, jedoch ohne einen spürbaren Luftzug zu erzeugen. Norgens kam nicht dazu, sich weitere Gedanken über dieses gespenstische Phänomen zu machen, denn nun trat Tylea ein. Ihr Haar war wild zerzaust. Sie selbst war so verschwitzt, dass sich großflächige dunkle Flecken auf ihrem Kleid abzeichneten. Ihre Augenringe schienen mit alter Asche dick nachgezeichnet worden zu sein. Ihr zufriedenes Katzenlächeln jedoch verkündete: geschafft!
Norgens musterte argwöhnisch den goldenen Becher in ihren Händen, den sie ihm unter die Nase hielt. Die darin zäh herumschwappende Flüssigkeit war schwarzgrün. Wie Schleim aus vergorenen Algen sah diese Brühe aus. Ihr Geruch erinnerte an Salmiakgeist und frisch ausgespienen Gallensaft. Unwillkürlich bog er seinen Kopf zurück.
Tylea, noch erschöpft von der vorgenommen Zeremonie, schnaubte ungehalten: „Ah, nur nicht so zimperlich, Herr Norgens! Ich werde Ihnen ein Fläschchen dieses wertvollen Gebräus abfüllen. Trinken Sie es morgen Abend auf dieser Party, von der Sie vorhin erzählt haben. Täuschen Sie einfach ein kleines Unwohlsein vor, damit niemand Sie anspricht. Bleiben Sie aber auf jeden Fall bei den anderen Gästen! Sobald der Trank wirkt, machen Sie alles so, wie ich es Ihnen vorhin bereits erklärt habe.“
Verdammt, sie hatte Recht! Er würde nicht zaudern, bloß weil dieses Zeug nicht wie lumosianisches Kardamombier duftete!
Aber dann zögerte Eralf doch, weil plötzlich Befürchtungen ganz anderer Art in ihm aufstiegen.
Was, wenn diese Brühe reinstes Gift war?
Tylea schien seine Gedanken erraten zu haben.
Verächtlich kichernd beugte sie sich herunter, presste ihre Lippen auf die andere Becherseite. Ihr bezauberndes Gesicht war seinem ganz nah. Dennoch konnte Eralf deutlich erkennen, wie ihre ebenmäßige, tiefrote Zunge in den Becher hinein glitt und bereitwillig in die widerliche Flüssigkeit eintauchte. Voller jäh aufbrandender Erregung beobachtete er, wie Tylea einen tiefen Schluck aus dem übervollen Gefäß nahm.
„Sehen Sie? Sie haben nichts zu befürchten, Herr Norgens.“
Ihre vollen Lippen und die Zungenspitze waren besudelt, als ob sie gerade einen vermoderten, mit feuchtem Moos überzogenen Baumstumpf geküsst hätte. Eralfs Lust schwoll bei diesem verdorbenen Anblick weiter an. Gleichzeitig fühlte er sich beruhigt – zumindest fast, denn er konnte sich nicht beherrschen, zu fragen: „Und Sie sind sicher, dass es funktionieren wird?“
„Todsicher, Herr Norgens. Sie werden Görgen Heynd höchstpersönlich ins Jenseits befördern!“
*
Inspektor Karrn hat vor etwa einer dreiviertel Stunde eine Schalldämpfsphäre um Eralf herum aufgebaut, um ungestört mit den Zeugen via Bildverbindung sprechen zu können. Die Aussagen haben – soweit dies Eralf an der Reaktion Karrns ablesen kann – sein Alibi auf ein bombenfestes Fundament gestellt.
Alles läuft prächtig.
Vor kurzem ist ein pummeliger, glatzköpfiger Mann im orangefarbenen Kittel der Spurensicherung eingetreten und hat Bericht erstattet. Offensichtlich sind seine Resultate nicht nach Karrns Geschmack gewesen, denn er hat herumgebrüllt (was zu komisch ausgesehen hat, weil Eralf ja überhaupt nichts hören konnte).
Schließlich hat Karrn seinen Untergebenen wild fuchtelnd hinausgeworfen. Es hat gewirkt wie eine Szene aus einem dieser uralten historischen Stummfilme, die sich Eralf Norgens manchmal anschaut. Zufrieden sinkt er in die Erinnerung an seine eigene Ruhmestat zurück …
„Verzeihung, aber mir ist etwas übel. Das Essen war köstlich, aber wohl zu üppig. Ich muss nur rasch mein Medikament einnehmen“, verkündete Eralf dem Notar Bancroft, seinem Tischnachbarn zur Linken – so laut, dass es die ganze Gesellschaft mitbekommen musste. Er stand von der erzbischöflichen Tafel auf und ging zu dem riesigen Sofa neben dem Kamin hinüber, um ungestört zu sein. Dort machte er es sich gemütlich.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Mike Vulthar
Bildmaterialien: 1) Cover: Cover created by © T.K.A-CoverDesign / t.k.alice@web.de // http://tka-coverdesign.weebly.com/font-copyrights.html / 2) Grafiken in den Geschichten dieses PHANTOMHAMMER 666-Bands: Mike Vulthar
Cover: Cover created by © T.K.A-CoverDesign / t.k.alice@web.de // http://tka-coverdesign.weebly.com/font-copyrights.html
Lektorat: Gwenypher
Tag der Veröffentlichung: 28.06.2018
ISBN: 978-3-7438-7362-9
Alle Rechte vorbehalten