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Die achte Klinik (überarbeitet)

Ich stütze mich an der Zellentür ab, um aufrecht stehen zu können. Mein Blickfeld ist seit dem Aufwachen immer noch nicht klar genug, wobei es sich seit meiner Einlieferung vor acht Jahren zur Gewohnheit entwickelt hat, schummrig zu sehen. Die vielen Male, die ich bereits dieses Prozedere durchlaufe, sind fast schon Routine in meinem bisherigen Leben geworden. Tragisch, trotzdem wahr. Wer liebt es denn nicht, jeden Tag mit Tabletten ruhig gestellt zu werden und vierzehn Stunden später mit einem drückenden Gefühl aufzuwachen? Bestenfalls liegt man im Bett, wenn man die Lider aufschlägt, was jedoch in den letzten Jahren zur Seltenheit geworden ist.

Zurzeit macht mein Rücken mit dem harten Boden Bekanntschaft, als ich rücklings aus dem Gleichgewicht nach hinten falle. Ohne jeglichen Schmerzenslaut rappele ich mich wieder auf und hieve mich Schritt für Schritt in Richtung Bett.

Nur noch einen kleinen Schritt und ich kann mich in mein halbwegs weiches Lager schmiegen. Alles ist mir lieber als der Boden, der mich in einem kalten Griff festhält. Vor meinen Augen verschwimmt alles, dennoch kann ich mich dazu überwinden, vorwärts zu gehen. Endlich das Ziel erreicht, sinke ich in einen ruhigen und tiefen Schlaf.

 

Scheinbar bin ich nicht mehr alleine, spüre ich die Aura eines anderen Lebewesens neben mir, welche so schwarz ist wie die dunkelste Nacht. Einer der seelenlosen "Pfleger". Ich sehe unter halb geöffneten Lidern den Ansatz einer Spritze, worauf ich zur Gegenwehr ansetzen will. Zu spät, kann ich noch gedanklich bemerken. Wie immer das Letzte, bevor ich abermals in die tiefe Schlucht des Schlafes falle.

 

Einzelne Spannungen verursachen das Zusammenziehen in meinen Kopf und ich schreie und schreie vor Schmerz. Dennoch hilft mir keiner. Nach einer Weile, in der ich mich meiner Schmerzwelle hingebe, entdecke ich, während ich mich von einer Seite zur anderen Seite des Bettes wälze, eine Tablette. Ja! Innerlich jubelnd nehme ich die kleine Pille in den Mund und spüle mit dem Glas Wasser nach. Schmerz lass nach! Alles Routine, alles normal. Ein weiterer Tag, wie immer.

Ein Nachthemd, einer alten Tischdecke gleich, zerzaust meine Haare noch mehr, als ich es mir über den Kopf ziehe. Sicherlich bin ich ein mitleidiger Anblick, dem gern geholfen werden würde. So klein, so zerbrechlich und so verwirrt. Anscheinend bin ich das, wenn ich den Leuten da draußen Glauben schenken darf.

 

Ich nehme den Kamm aus meinem gelöcherten Kulturbeutel und fange an, die Knoten aus dem Gestrüpp, das mein Haupt bedeckt, zu entfernen. Ein schmerzhaftes Unterfangen, aber man gewöhnt sich daran, wie an alles hier. Salzige Wasserperlen entweichen meinen Augen, als ein paar Haare ausgerissen werden, eine Reaktion des Körpers. Ich empfinde keinen Schmerz mehr. Ich kann nicht mehr fühlen. Sie haben mir den Schmerz am Tag meiner Einlieferung genommen! Nur sie tragen die Schuld. Ohne sie wäre die Welt ein besserer Ort, trotzdem werde ich beschuldigt, dieser zu schaden.

 

Fertig mit meiner Katzenwäsche öffne ich die unverschlossene Tür. Sie ermöglicht mir in den Flur zu treten, in welchem sich zurzeit alle Patienten befinden und zur Mensa gehen. Langsam, da man wegen der Behandlung immer ruhige gestellt ist, bewegt sich die Menge, ich mittendrin. Überall schwarze Augenringe, obwohl wir den größten Teil unserer Gefangenschaft nur mit Schlafen verbringen.

Bleiche Gesichter und gekrümmte Gestalten, trotz jungen Alters. Keiner zählt mehr als fünfzig Jahre. Man kann nach den Grund rätseln, wenn man nicht wissen würde, was mit ihnen nach fünfzig geschieht.

„Schneller, wir haben noch zu tun!" Der Befehl des Pflegers wird einfach ignoriert, da wir ihn entweder nicht ausführen können oder aber keinen Respekt vor ihm haben.

 

Bei der Essensvergabe hat jeder seine eigene Reihe und seinen Stammplatz. Niemand wagt es, dies zu ändern, außer er ist neu hier. Doch das wird schnell geändert, denn mit einer sachten Ohrfeige kann man alles regeln. Zudem hilft es einem nicht weiter, sich zu widersetzen. Man bekommt nur Schwierigkeiten, wenn man sich gegen die Großen stellt.

 

Monoton löffle ich die schleimige Suppe in mich hinein, die eigentlich wie verfaultes Katzenfutter aussieht, aber trotzdem einen durchaus angenehmen Geschmack besitzt.

 

Neben mir sitzen Steve und Zoey, mir gegenüber bequemen sich Beth und Luca. Meine „Freunde", wie es Außenstehende schön betiteln würden. Nach außen hin muss man schließlich das Bild eines vorbildlichen Menschen-Verbesserung-Hauses wahren, ohne jedoch dabei auf die Insassen acht zu geben. Sie sind nur die Versuchskaninchen für die Ärzte, sie sind keine Menschen, nur billige Objekte, an denen man Experimente durchführen kann. Zoey nimmt mir meinen halb verschimmelten Apfel weg, jedoch sage ich nichts dazu und nehme meine Hand zurück, die gerade danach greifen wollte. Soll sie nur, ich hätte mich nachher, ebenso wie sie, nur erbrechen müssen. Zugegeben bin ich froh, dass Zoey sich wie eine Verhungerte auf dieses Stück ungenießbares Obst stürzt und es sogar mit Schimmel verspeist. Dafür erwarte ich kein „Danke" von ihr. Das Schauspiel ist mir Genugtuung genug.

 

„In den nächsten Tagen werden fünf Leute von uns freigelassen", fängt Beth an zu reden. Sie ist eine von den Unschuldigen, die immer noch hofft, dass die Wahrheit über den angeblich von ihr verursachten Mord herauskommt. Sehr unwahrscheinlich. „Vermutlich wieder ein Scherz von unseren werten Betreuern. Sie genießen es doch insgeheim, uns zu schikanieren und herum zu kommandieren", äußert Steve seinen Verdacht leise.

Im Raum herrscht Totenstille, deshalb ist er darauf bedacht, möglichst leise zu sprechen, damit die Aufseher keinen Grund haben, uns zu bestrafen. Alle geben darauf ein stumpfes „Hm" zum Besten und wir essen schweigend weiter.

 

Der Schlüsseldienst lässt uns aus der Mensa heraus und wir gehen zu unseren Zimmern zurück. Es gibt nur Einzelzimmer, da sonst die Gefahr zu groß wäre, sich gegenseitig zu verletzen. Wir sind schlussendlich schuldig oder unschuldig, durch das, was wir getan haben, oder noch tun werden.

Ich lege mich ins Bett und starre gedankenlos die Decke an. Irgendwann drängt meine Blase dazu, auf die Toilette zu gehen. Männer und Frauen teilen sich den großen Toilettenraum, links die Kabinen der Frauen, rechts die der Männer. Bei Duschräumen dagegen herrscht strikte Geschlechtertrennung. Zwar schön und gut, dennoch lädt es trotz allem sehr zum Vergewaltigen ein - wie es gerade der Fall ist - oder man bekommt anzügliche Blicke geschenkt. Im hintersten Komplex sehe ich drei Männer, welche sich an einer mit Kissenbezügen an einem Wasserrohr festgebundenen Frau vergreifen. Ich verschwinde schnellstmöglich wieder aus der Toilette, nachdem ich mein Geschäft erledigt habe. Denn falls sie bei ihrer Tat ertappt werden, möchte ich nicht als Komplize verdächtigt werden.

 

Lustlos wandere ich mit offenen Augen durch die zahlreichen Gänge, um auf den Hof zu gelangen. Dort setze ich mich außerhalb des imposanten Gebäudes an einen Baum gelehnt auf den Rasen. Entspannt genieße ich, so gut es eben möglich ist, den Sonnenschein, der die Umgebung erleuchtet. Immer darauf fixiert, abzuhauen, falls andere Psychos bei mir vorbeischauen, ist es mir nicht möglich, ein kurzes Nickerchen zu machen.

Ein Hase, ein Mensch, ein Messer und eine Leiche. Wahnsinn welche Formen die Wolken durch den Wind annehmen können. Wenn ich doch auch nur so leicht und so hoch am Himmel schweben könnte. Leider wird das nie der Fall sein. Laut dem Richter bin ich die Ausgeburt der Hölle, obwohl ich doch gar nichts getan habe. Ich würde nicht mal einer Fliege etwas zuleide tun, sondern sie nur auf einem Tempo aus dem Haus tragen. Ok. Was denke ich zurzeit? Eigentlich sollte ich mir Sorgen um meinen Verstand machen und nicht über meine Verhandlung und mein jetziges Leben sinnieren.

Über mir fliegt eine Drohne in Richtung Dach. Entweder ein Rundflug des Personals, ob alles in Ordnung ist, oder eine neue Lieferung Gänseblümchen. Mit dem Kraut wird dann morgen jeder lahm gelegt sein. Es ist stärker als alle anderen Drogen zurzeit, weil es das neueste Produkt am Markt ist. Rein synthetisch und kein bisschen gefährlich, steht auf der Beschreibung. Unsinn! Man muss nur die Konsumenten genauer ansehen und man erkennt, dass nichts mehr übrig ist von ihrem vorherigen Aussehen. Tragisch, aber wem kümmert es hier? Hier ist jedem alles egal. Hauptsache wir existieren. Ob mit Folgeschäden oder abgestorbenen Gehirnzellen, sei dahin gestellt. Wer bin ich, dass ich mir um andere den Kopf zerbreche, wenn sie mir am liebsten die Krätze an den Hals wünschen?

 

Ein Mann öffnet das Fenster und die Frau an seiner Seite nimmt das Paket entgegen. Alles läuft wie am Schnürchen, bis der dürre, schwarzäugige Insasse niedergeschossen wird. Ein leichtes Lächeln bildet sich auf meinen Mundwinkeln, als ich daran denke, wie oft so ein Austausch zwischen Lieferant und Abnehmer bereits stattgefunden hat. Wenn die wüssten! Leider besitzen die Betreuer keine Kenntnisse über die Handlungen. Heute bildet eine Ausnahme. In meiner bisherigen Gefangenschaft hat es noch keinen Toten gegeben. Vermutlich war es auch nur eine Täuschungskugel.

Leider.

 

Ich wäre gerne mal wieder auf eine Beerdigung gegangen. Ein schwarzes Kostüm und mit schicker Frisur, traurig auf das Grab nieder blickend, was erhofft man sich mehr? Ein wenig Abwechslung schadet niemanden. Und einem Toten erst recht nicht mehr.

 

Genug des Pessimistischen, ab ins Bett. Bettruhe ist angesagt. Sonst kommt das böse Personal und bringt dir eine Tasse Tee mit selbst hergestellten Schlaftropfen. Schmeckt wie verfaulter Fisch, aber man schläft gleich ein. Ohne Widerstand, wie sie es wollen. Das Leben einer leblosen Hülle. Die meisten ruinieren den letzten Rest ihres Daseins mit Drogen und Zigaretten, als ob die Spritzen und Tabletten nicht schon genug sind. Wer immer gegen die Regeln verstößt, wird gezüchtigt. Egal wer, egal mit welchem Mittel.

Keine Meinungsfreiheit, kein freies Handeln und Unterdrückung regieren meine Welt. Niemand wird freigelassen. Für immer und ewig eingesperrt, ohne Kontakt zur Außenwelt, bloß die eigene Person und die Wand bleiben für meine Selbstgespräche und die freie Entfaltung meines Egoismus übrig.

 

Vor mich hin stolpernd, gelange ich in mein Zimmer. Dort überrasche ich gerade die zuständige Person für die Raumdurchsuchung, welche aber gleich darauf mein Eigen verlässt. Anscheinend hat sie nichts gefunden. Ich setze mich auf die Matratze und spüre das vertraute Gefühl meines Dolches unter mir. Ein leicht übersehbarer Riss in dem großen Federkissen versteckt meine Geheimwaffe vor den Psychopathen draußen. Der Dolch dient lediglich dazu, mich zu wehren, nicht um jemanden zu verletzen, wie manche jetzt vielleicht denken möchten.

Absolut unkorrekt, zurzeit besitze ich nicht genug der Rachegelüste in meinem viel zu schnell pochendem Herzen. Ich bin nicht normal. Ich bin abnormal. Eine Gefahr für die Menschheit, wie sie es nennen.

Genug meiner Leidensgeschichte, jetzt wird geschlafen, Jody.

 

Müde erwache ich abermals aus meinem traumlosen Schlaf. Seit ich hier bin, hatte ich keine Träume. Kein Hoffnungsschimmer in meiner dunklen, verwirrenden und immerwährenden Nacht, der mich aufmuntert. Meine Anwesenheit auf dem Planeten ist eine einzige Nacht.

 

Ich höre das altbekannte Rascheln eines Nagetiers. Schon wieder hat sich eine Rattenkolonie in der Wand angesiedelt. Wahrscheinlich hat sich aus den Überlebenden der Letzten eine Neue gegründet.

Hm, meine lieben Freunde. Nur sie bleiben mir treu und verstellen sich nie. Ich muss schmunzeln wegen meiner seltsamen Gedanken. Wer denn nicht?

Ratten sind meine Verbündeten, da sie treu sind und bleiben, im Gegensatz zu bissigen Kötern und arroganten Katzen.

 

Aus Erfahrung weiß ich, wie anstrengend diese Tiere sein können. Ich habe meiner Katze Lola den Hals umgedreht. Es tut mir nicht leid. Sie hat es verdient. Dieses bösartige Wesen hat mich nicht nur gekratzt und gebissen, sondern auch angepinkelt, als ich sie nicht gestreichelt habe. Tja, dass hat sie schlussendlich davon. Auge um Auge, Zahn um Zahn, lautet meine Devise.

 

Eines dieser Nagetiere, grabt sich durch die Wand, schleicht sich in mein Bett und kuschelt sich an mich. Sie werden von meiner gefährlichen Aura direkt angezogen, man kann es nicht verhindern. Ich will es auch nicht ändern. Sie werden zu Schmusetieren, die sonst als todbringend assoziierten Ratten. Spätestens jetzt, nach höchstens einer Minute, sehen sich auch die anderen Wesen der Kolonie dazu aufgefordert, sich auf die Matratze zu bequemen. Mit dem Gedanken, dass sie wenigstens nicht allzu unangenehm riechen, dämmere ich wieder weg.

 

Ein entsetzter Aufschrei lässt mich wieder in die Realität wechseln und ich verscheuche die Ratten - mein erster Gedanke - damit ihnen nichts angetan werden kann. Die einzigen Freunde beschützt man eben so gut wie es einem möglich ist.

 

"Im Bett von Patientin 254 befinden sich Ratten. Ich brauche Verstärkung", schreit die Betreuerin in Richtung Flur. "Ist schon unterwegs" hallt ein Ruf zu ihr zurück. Ein verschwitzter, kleiner Mann steht im Türrahmen während ich immer noch im Bett verweile. "Flo, ich sehe keine aggressiven Nagetiere, vielleicht hast du sie dir nur eingebildet? Wie wäre es mit ein bisschen Urlaub, der würde dir bestimmt gut tun. Du hast dich einfach nur überarbeitet. Ich mach dir einen Kaffee." An ihrem Sehvermögen zweifelnd blickt sie zu mir hinüber, dennoch folgt sie dem Kleinen und schließt verwirrt die Tür.

Langeweile ist eine Krankheit. Unbekannt, aber man leidet sehr darunter, nicht zu wissen, wie man sich die Zeit vertreiben kann. Faszinierend diese Staubkörner, welche leicht durch die Luft wie kleine Ameisen schwirren. Puh, ist das ätzend. Ich hasse es hier. Kurz gesagt, ich will einmal mehr flüchten - wenn auch nur in Gedanken - aus dem Irrenhaus.

Ich begebe mich wieder zum meinem Lieblingsplatz und lehne meinen Rücken gegen die Baumrinde. Was würde ich nur für eine Toffifee-Packung geben. Eine karamellisierte Nuss umhüllt mit dunkler Schokolade. Hm, lecker. Falls ich je in einen Supermarkt komme, werde ich das Regal mit meiner Lieblingssüßigkeit vollkommen ausräumen und alles auf einmal verputzen.

 

Träumerisch blicke ich gen Süden. Die Sonne hat den Höhepunkt der heutigen Tagesreise erreicht und sendet ihre Energie an uns, den Erdbewohnern. Wie glücklich wir sein müssten, sie zu haben, obwohl der Gasball uns überleben wird. Trotzdem sollte man jeden Tag so leben, dass es der Beste ist. Carpe diem!

 

Ein Teil der Anlage besteht aus einer weiten Ebene, auf der vereinzelt Bäume gepflanzt wurden. Laut der Beschreibung für die achte Klinik soll man sich hier wie zuhause fühlen. Tatsächlich ist die Anstalt nahe dran, ihr Versprechen zu erfüllen. Nur an der Behandlung muss noch gearbeitet werden. Ein bisschen radikaler vorgehen, auch wenn es kaum noch radikaler geht.

Vogelgesang ertönt, als ein Männchen ein Weibchen zu imponieren versucht. Wie süß! Und doch immer dasselbe. Sie denken nur an Paarung und ans eigene Vergnügen, während die Partnerin sich um den Nachwuchs und den Haushalt kümmern muss. Vermutlich ist es zu sehr auf den Menschen selbst bezogen und meine Ansicht ist auf der Tatsache gegründet, dass ich schon zehn Jahre hier verweilen muss. In meiner Kindheit war dieses Leben Alltag, jedoch wird es sich modernisiert haben. Höchstwahrscheinlich wird sich die Welt um 180 Grad verändert haben, nachdem ich mit 19 verhaftet worden bin und als Verrückte abgestempelt wurde. Wie zuvorkommend! Meiner Meinung nach bin nicht ich die psychisch Instabile, sondern die Richter. Sie haben sich selbst von den schrecklichen Taten freigesprochen, indem sie mich eingewiesen haben. Ihr schlechtes Gefühl tilgen sie damit, dass man an diesem Ort besser lebt, als im Gefängnis. Überrascht hätte es mich nicht, wenn ich die Spritze oder den Schlag bekommen hätte. Das war aber nicht der Fall und ich bin folglich in der Hölle des Löwen gelandet.

 

Mittlerweile mustere ich meine eingewachsenen Zehennägel und stelle schmerzhaft fest, dass sie behandelt werden sollten. Jedoch ist es meinen Pflegern egal. Natürlich nicht, rede ich mir ein. Sie dürfen mir lediglich keine spitzen oder scharfen Gegenstände geben, mit dem man jemanden oder sich selbst verletzen kann. Zu groß wäre die Gefahr als, dass sie mir bei einem noch viel größerem Problem helfen würden.

 

Mein Zorn richtet sich nicht gegen das Personal, wie es überwiegend bei den anderen der Fall ist, sondern wird erst entflammt, falls ich je wieder das Gefühl der Freiheit genießen darf. Das dürfte allerdings nicht der Realität entsprechen, somit ist es allein Wunschdenken.

 

Ich spüre den leichten Aufprall eines Körpers, der sich neben mich setzt. Ohne aufzusehen, rieche ich das stark penetrante Parfüm von Steve. Eine Mischung aus Zimt und Nelkenduft. Ein wahrer Genuss für meine Riechzellen und das allbekannte Merkmal von meinem Nächsten. "Jody, wie schön dich zu sehen." Ich ertaste den Griff meines Dolches, der heimlich im Futter meiner Hose eingenäht ist. Ich erwidere nichts, sondern starre weiterhin in die Ferne. Er legt darauf seinen Arm um meine Schultern, woraufhin ich sofort alle Körpermuskeln anspanne. Ich traue ihm kein bisschen über den Weg, schließlich ist er nicht ohne Grund hier. Manche sind weniger, andere sind mehr schuldig. Er gehört definitiv zu den Letztgenannten, wenn ich meinen Menschenkenntnissen Glauben schenken kann.

 

"Heute mal wieder sehr schweigsam, hm?" Unbekümmert gelangt diese rhetorische Frage über seine Lippen, weshalb ich mir, mit jeder Minute, die vergeht, mehr wünsche, dass er verschwindet.

"Das liegt nur an deiner Anwesenheit", lautet meine genervt klingende Erwiderung.

"Sei doch froh, dass sich jemand mit dir abgibt. Ohne Gesellschaft wird man hier verrückt, wenn man es denn vorher noch nicht wahr." Nicht zu wissen, was für einen Sinn es hat, mich mit ihm zu beehren, äußere ich meinen Gedankengang:

"Auf eine Konversation mit dir kann ich gut und gerne verzichten."

 

Daraufhin schweigt er, da er vermutlich nicht weiß, was er dazu sagen soll. Endlich Ruhe (vor dem Sturm).

 

"Dann geh ich mal wieder. Schließlich willst du nichts von unserem Plan wissen", weckt er meine Neugierde, weshalb ich mich um 90 Grad drehe und ihm ins Gesicht schaue. "Okay, versprich, dass du keinem was erzählst, sonst sind wir einen Kopf kürzer." Ich nicke, woraufhin er mit seiner Absicht irgendetwas Unerlaubtes zu machen, fortfährt.

 

"Also Beth, Luca, Zoey und ich wollen endlich flüchten und haben darüber diskutiert, ob wir dich mitnehmen sollten. Wie du siehst, haben wir uns geeinigt. Folgender Plan: Luca klaut die Karte für die Sicherheitstüren, Beth kümmert sich mit Zoey um den kürzesten Fluchtweg und meine Wenigkeit informiert dich und ist zuständig für das Personal. Du müsstest keinen Finger dafür rühren, schließlich willst du so, wie alle hier, raus."

 

Ein wirklich gut durch gearbeiteter Plan, stelle ich fest. Vorsicht Ironie! Außerdem gibt es definitiv einen Hacken. Immer! Aber ein sehr verlockendes Angebot, das man nicht so einfach ignorieren kann. "Ich kann euer Angebot nicht annehmen, da es mir nicht sicher in der Planung erscheint. Trotzdem versucht euer Glück! Ich werde niemanden etwas davon erzählen, denn ich habe ein Versprechen gegeben." Im Normalfall halte ich sie auch.

 

"Gut, es ist deine Entscheidung. Aber sei gewarnt. Wir gehören nicht zu den Netten!" Somit verabschiedet er sich mit einem Nicken und geht wieder seine eigenen Wege.

 

Rote Grütze mit gestampften Bohnen und grünen Salat wird uns als Mittagessen aufgetischt. Sogar ich kann mich nicht zwingen, es in den Mund zu löffeln. Zu ekelhaft ist das Optische, überhaupt nicht ansprechend.

 

Ein Befehl und eine wirksame Drohung später, hat jeder sein Gericht aufgegessen, obgleich die Gesichtsfarbe der Insassen Bände spricht. So wie es aussieht, schmeckt es auch. Ungenießbar. Meine Mundwinkel verziehen sich immer weiter nach unten, je mehr von diesem Essen meine Geschmacksnerven berührt. Mein Magen rumort gewaltig, um die Grütze mit den Bohnen schnellstmöglich wieder hochzuarbeiten. Dennoch schaffe ich es wider Erwarten, es unten zu behalten. Ich habe schon Schlimmeres überlebt.

Nach der deftigen Mahlzeit begebe ich mich in mein kleines, altbekanntes Zimmer. Wenig bis überhaupt keine Dekoration schmückt es, wie es bei vielen Patienten der Fall ist. Zum einen haben wir nichts zum Dekorieren und zum anderen könnte man sich mit einem Poster die Halsschlagader aufschneiden. Ich möchte aber wissen, wie das genau funktionieren soll. Schließlich wünsche ich mir nichts sehnlicher als mit einem Lady Gaga Bild meine Kehle aufzuschneiden. Was für ein Traum von Tod, wer möchte das nicht? Ich grinse, wie schon lange nicht mehr. Zu albern ist die Vorstellung. Wenn schon tot, dann aber richtig!

 

Überraschenderweise sind hier weniger Selbstmord gefährdet, als die Außenwelt zu glauben scheint. Höchstens fünf Prozent - laut Jahresrückblick - wollen einen Tod durch eigene Hand und das ist wenig im Vergleich zu den Insassen. Die meisten Patienten schwören eher auf Rache, jedoch wird ihr Wunsch nie erfüllt werden. Die Befriedigung jemanden zu töten, schwindet beim Anblick der zehn Meter hohen Mauer, auf welcher weitere drei Meter Stacheldraht darauf betoniert ist. Ein Bohrer hilft bei einer Dicke von einem Meter auch nicht sehr viel, vor allem die Beschaffung eines solchen Geräts ist fraglich.

 

Warum sind meine "Freunde" dann so selbstsicher, dass ausgerechnet sie es schaffen können, dieses gewaltige Hindernis zu überwinden?

Egal! Mich sorgt das nicht! Sollen sie doch machen, was sie wollen. Jeder Mensch ist frei, Dummheiten zu begehen.

Unbeschwert, trotzdem mit gespitzten Ohren, um mögliche Verfolger zu enttarnen, ziehe ich die weißen Einheitsschuhe von meinen Füßen und nehme diese in die Hand.

 

Das kurze Gras streichelt meine Knöchel, während ich genießerisch die frische Luft einatme. Am liebsten verbringe ich meine Zeit in der Natur. Sommer ist zudem auch meine Lieblingsjahreszeit. Überall blühende Blumen auf den Wiesen. Dahingehend vermisse ich meine Heimat. Aber nur deswegen. Vielleicht auch wegen dem besseren Essen. Nudelauflauf, selbst gemachte Kroketten oder Döner mit Truthahnfleisch - ich schmelze dahin.

Wie soll man die ganze freie Zeit überbrücken, wenn man zu viel davon hat? Vor der Einweisung, habe ich mir bezüglich einer Anstalt nur vorgestellt, wie wir uns in einem Stuhlkreis über die schrecklichen Taten der Vergangenheit unterhalten.

 

Seufzend gestehe ich mir ein, dass mir stundenlange, sinnlose Besprechungen tausend Mal lieber gewesen wären als diese unmenschliche Langeweile und den Versuchen an uns. Nur meine tierischen Freunde halten mich im Alltag aufrecht, obwohl es sich dabei nur um die in der Gesellschaft verpönte Art, wie die Ratte handelt.

Ich lasse mich auf meine knochigen Knien senken, bis ich Schmerz empfinde, da ich laut meinen sogenannten "Freunden" nur aus Haut und Knochen bestehe und somit als lebendiger Knochenhaufen fungiere. Nachdem ich genug vom Strapazieren meiner Gelenke habe, richte ich mich mit aller Muskelkraft, davon habe ich nicht gerade viel, auf. Durch das abrupte Aufstehen wird mir schwindlig und ich lege eine kurze Pause ein, um mich wieder zu sammeln.

Mit weichen Knien trete ich in mein Zimmer ein und ein kalter Schauer läuft mir beim Anblick des Treibens über den Rücken. Ein nackter Mann fesselt eine Frau in zerrissener Kleidung an die Lehne meines wunderbaren Bettes und vergreift sich an ihr. Sie bemerken mich nicht, als ich durch den Türrahmen trete, um mir ein Bild von den jeweiligen Personen machen zu können. Dabei handelt es sich um eine Pflegerin, die ich als Flo erkennen kann, und einen Patienten, welcher mir mehr als gut bekannt ist. Soll ich es melden oder bleiben lassen?

 

Aber als ich daran denken, dass ich dann auf Spermaflecken nächtigen muss, weil der Boden ziemlich ungemütlich, ziehe ich die erste Möglichkeit heran. Auf leisen Sohlen gehe ich aus meinem Zimmer und schreie nach Hilfe. Sofort kommt ein Betreuer auf mich zu, worauf ich ohne Worte in Richtung Zimmer zeige. Zuerst misstraut er mir, jedoch gibt er nach einiger Zeit seiner Neugierde nach.

Er tippt sofort eine Nummer in sein Handy ein, als er den Delikt sieht.

 

Der Freak drinnen bemerkt uns immer noch nicht, obwohl die Geräusche die Mensch und Maschine von sich geben nicht gerade leise sind. Der Betreuer, auf dessen Namensschild Herr Zunik steht, fordert Verstärkung an und informiert die Angerufenen, dass es sich um einen Notfall handelt, da der Mann Stufe 8/10 in der hauseigenen Bedrohungsskala inne hat. Zwar kann ich die Gefahr nicht als solche interpretieren, da er nur Befriedigung will, die er sonst nicht bekommt. Er steht eben auf diese Spielchen. Für seine Vorlieben kann keiner etwas.

 

Mittlerweile hat uns der Freak gesehen, da man diesen Lärm schlecht ignorieren kann. Ich verstecke mich hinter der Menge an Helfer, um möglichst nicht bemerkt zu werden. Als Patient unter Patienten ist Verrat nicht gerne gesehen. Vor allem teilen wir alle dasselbe Schicksal, dass ist allerseits bekannt. Er würde sich rächen, was im Vergleich zur Frau viel schlimmer wird.

Die ankommenden Männer und Frauen, die Retter, stürmen in das besagte Zimmer und überwinden den Vergewaltiger, der sich erst langsam über seine Situation klar werden muss.

Endlich wird mein Zimmer freigegeben, nachdem es frisch hergerichtet worden ist, sprich neuer Bettbezug. Darauf lasse ich mich erschöpft nieder, da ich so viel Aufregung nicht gewöhnt bin, und verbringe die restliche Zeit bis zum Abendessen mit dem Starren an die Decke.

 

Auch wenn ich mein Leben in der Anstalt akzeptiert habe, heißt das nicht, dass mein Körper willenlos ist. Ich bin immer noch klar im Kopf und nicht wie viele vor mir, durchgedreht. Ich packe die Hand meines Gegenübers und drücke fest zu, bis diese blau anläuft. Ich verspüre starken Zorn gegen denjenigen, der meine Wange gerötet hat. Wie konnte er mich nur ohrfeigen!? Das ist unerhört! Was fällt ihm nur ein! Bei ihm haben die Eltern vollkommen versagt!

Ich werde von meinem Opfer weggezogen, da seine Schmerzenslaute die Betreuer angelockt hat. Zwar verzichten sie, trotz meines Wutausbruchs, auf eine Beruhigungsspritze, was mir ziemlich merkwürdig vorkommt. Misstrauisch blicke ich jeden Einzelnen in die Augen und vergewissere mich, dass es ihr Ernst ist. Meine Vermutung, dass es nur eine Sinnestäuschung war, wird nicht bestätigt, somit setze ich mich ohne Essenstablett auf meinen Stammplatz.

 

Dort werde ich sofort gefragt, warum ich so gewalttätig geworden bin. Zum einen liegt es daran, dass ich es nicht mag, verletzt zu werden - wer will das schon? - zum anderen will ich ihnen den zweiten Grund nicht nennen.

Ich schweige nur und lass sie darüber reden, was sie meinen.

Meine Mitinsassen sind genau wie andere Normale auch, außer, dass sie ihrer Natur und Berufung nachgehen. Innerlich wünscht man sich, den zu schikanieren, der dich beleidigt hat. Oder eine andere Option, die stille und heimliche Beseitigung des Opfers wäre ebenso möglich. Für was auch immer sich man entscheidet, jede der beiden Möglichkeiten ist gleich gut. Bei der Ersten ruiniert man den Ruf und das Leben der jeweiligen Person, bei der Zweiten bereitet man ihr einen langsamen und qualvollen oder kurzen und intensiven Tod. Trotz das ich keine der beiden Arten ausprobiert habe, habe ich viel davon in der Klinik gelernt und erzählt bekommen. Vielleicht kann man es ja irgendwann brauchen.

 

Steve fragt mich plötzlich, ob ich mit ihnen zu einem kleinen Spaziergang mitkommen möchte. Ohne zu überlegen stimme ich zu, wieso sie alle überrascht ihre Stirn runzeln. Es kommt nicht oft vor, dass ich "Ja" sage. Sie geben aber weder fragende Laute von sich, noch werfen sie mir seltsame Blicke zu. Manchmal können sie auch schweigen, in solchen Momenten sind sie doch keine so hoffnungslosen Fälle, wie sie vorgeben zu sein. Hinter ihrer Fassade sind sie allzeit bereit, egoistisch und unberechenbar zu handeln. An diesem Ort findet man keine Freunde fürs Leben, sondern vielmehr kaltherzige Verbündete, die einem im Stich lassen, sobald sie nur noch sich selbst retten können. Die meisten sagen es ist eigennützig, aber ich bevorzuge das Wort initiativ. Sie sind entschlossen, das Beste draus zu machen, ohne dabei sich selbst in eine lebensgefährliche Situation zu bringen, aus der man höchstwahrscheinlich nicht lebend raus kommt.

 

Diese Art von Menschen sind zu bewundern, denn sie erkennen Situationen, in denen man nicht noch mehr geben soll, als das Schicksal verlangt.

Für eine rettende Hand gibt dir keiner etwas. Man ist dankbar - mehr auch nicht.

 

Ja, die Menschheit ist schon besonders. Besonders dumm und hasserfüllt. Die meisten Konflikte entstehen nur, wenn sich zwei oder mehr Menschen streiten. Doch anstatt sich gleich zu töten, sucht man nach einer "Lösung". Wenn man nicht weiß, was man in seiner Freizeit tun soll, die man wortwörtlich pro Tag 24 Stunden lang genießen darf, regt man seine eingestaubten Gehirnzellen an über allgemeine Themen nachzudenken. Manchmal ist meine Meinung merkwürdig, sogar für mich selbst, aber so bin ich nun mal. Mein Körper, mein Gehirn, mein Herz. Man kann sich nicht selbst verleugnen, ohne sich zu verlieren und als Lügner dazustehen. Erst wenn man sich selbst belügt, wird man zum Lügner in der Außenwelt. Und darauf folgt die Dritte und Letzte Stufe: Der Mörder. Hört sich an wie philosophisch unkorrekte Aussage, aber es entspricht vollkommen der Psyche von Mördern. Meistens erfüllt man nur die zwei ersten Stufen, doch, wenn man sich besinnt, spürt man nicht selten die Versuchung mit beiden Händen die Kehle des anderen zu umfassen, fest zuzudrücken und dann den erschlafften Leib des Opfers auf den kalten Boden fallen zu lassen. Später bereut man es zutiefst, trotzdem war kein Hauch von Reue während der Tatzeit spürbar. Vorher hätte man es bereuen sollen, aber nachher ist es zu spät, weil man den Mord nicht mehr rückgängig machen kann. Geschehen ist geschehen.

 

Ich rolle meine Augen, um mich vom starren Blick zu lösen, um den romantischen Sonnenuntergang beobachten zu können - alleine. Steve und die anderen sind weiter gegangen, während ich mich auf den Boden niedergelassen habe. Laut dem Sonnenstand zu dieser Jahreszeit habe ich das Abendessen schon verpasst.

Das Frühstück nicht anders als wie sonst auch - besteht aus Haferflocken mit abgestandener Milch. Wenigstens hat sich mein Magen schnell an die teils abgelaufenen und verschimmelten Lebensmittel gewöhnt. Zwar beschwert er sich tagtäglich, aber es kommt nicht mehr hoch. Das ist was zählt, da die Klo-Ringe zu weit weg sind, um sich erst dann zu übergeben. Heute ist eine Neue anwesend, die es noch nicht versteht, langsam zu essen. Wenige Minuten später liegt die Kotze am Boden und sie muss es selbst beseitigen, denn die über fürsorglichen Betreuer fühlen sich dafür zu fein.

 

Kurz bemitleide ich sie, aber nur kurz. Jeder muss da durch, es gibt kein Entkommen. Entweder man ist mit dem zufrieden, was man hat, oder man wird gezüchtigt. Es ist deine Entscheidung, welche der beiden Optionen du wählst. Das, was die hier durchziehen, ist buchstäblich Unterdrückung und die Ausübung von Macht über die, die unmächtig sind. Es verletzt die Menschenrechte, aber nur bei denen, die sich für solche Gesetze interessieren.

Es hat schon etwas Jämmerliches an sich, dass junge Mädchen, höchstens im 20. Lebensjahr, am Boden der Tatsachen willkommen zu heißen. Jeder muss eben durch seine persönliche Vorhölle.

Beth verabschiedet sich als Erste, dann Steve und Zoey, die heute ausnahmsweise mal nicht ruhig gestellt wurde.

 

Nur noch Luca verweilt am Tisch und wartet scheinbar auf einen guten Augenblick, um ein Gespräch einzuleiten. Ich bin nicht sehr erpicht darauf, aber trotzdem sehe ich ihm fragend in die Augen und entdecke einen Funken Neugierde darin. "Warum kommst du nicht mit? Es ist die Chance, dieses kaputte Leben hinter uns zu lassen und neu anzufangen!" Zuerst scheint es so, als wisse ich nicht, wieso ich nicht zugestimmt habe, doch dann erinnere ich mich wieder. "Ich bin mir nicht sicher, ich meine der Plan und die Aufteilung sind nicht wirklich ansprechend, um mitzumachen. Außerdem gibt es immer einen Hacken und der liegt diesmal bei mir, da ich nichts tun muss. Verstehst du? Ich bin nicht so dämlich, mich erwischen zu lassen." Er zieht eine Augenbraue nach oben, eine schlechte Angewohnheit, und grinst breit. "Da stimme ich dir absolut zu, in beiden Fällen. Es ist mir lediglich ein Anliegen, dass du mitkommst. Ich hab dich gern, Jody! Wenn es nicht sogar Liebe ist, von der ich spreche, während mein Herz im Feuer der Leidenschaft zu dir brennt. Also, bitte, komm mit uns mit!" Da spricht der Irre aus ihm. Ich verdrehe die Augen, spiele aber nicht mit. Wenn man sich auf ein solches Spielchen einlässt, hat man schon verloren. Gut, dass man aus Fehlern lernt. "Tut mir leid, aber ich habe immer einen Plan B im Ärmel. Ich komme schon raus, aber nicht eure Weise." 100 Prozent gelogen, aber es ist erst die zweite Stufe. "Gib mir dein Wort, dass du einen hast." Ich schlage ein und wir blicken uns gegenseitig in die Augen. Keine Spur mehr von dem angeblich gefühlsduseligen Luca, nur noch die Fassade des kalten Luca ist an der Oberfläche. Sehr merkwürdig der Typ.

Ich erhebe mich nach der kurzen, schleppenden Konversation und räume mein Tablett in den Essenswagen ein. Das Besteck in das dafür vorhergesehene Becken das Teller auf den Stapel anderer Teller drauf, fertig mit dem Aufräumen. Ein Vorteil unserer Gemeinschaft, andere erledigen das Putzen, während du auf deiner faulen Haut liegst und nur einen Finger rühren musst, wenn du etwas Schlimmes zu verantworten hast. Als eine der Letzten verlasse ich schnellen Schrittes den Saal und begebe mich auf mein Zimmer. Auf dem Nachtkästchen finde ich zwei kleine blaue Pillen vor, daneben ein Glas Wasser. Ob ich heute wohl wieder etwas Schönes träumen werde?

Der Weg in die Freiheit (überarbeitet)

Der Bestatter fährt mit seinem großen, tiefschwarzen Gefährt durch die Sicherheitsvorkehrungen in den Hof hinein; dabei gibt er keine Acht, ob die Grünflächen beschädigt werden. Eine Hälfte des Leichenwagens bewegt sich auf dem Kiesweg, die andere auf dem Gras. Mit einem Tinnitus verursachenden Jaulen wird es abgeschaltet und ein falkennasiger, junger Mann steigt aus der Fahrertür aus.

Er umrundet seine Mobilität und zieht eine Liege heraus. Während er diese vor sich herschiebt, kommt ihm schon der Abteilungsleiter der verschiedenen Betreuer entgegen. Insgesamt schildert er ohne große Mimik und Gestik, ganz rational das Geschehen: Eine Überdosis Gänseblümchen. Jemand hat den Tod gewählt, eine von zwei Möglichkeiten, in die Freiheit zu gelangen. Die andere Option ist ein Ausweis zur Freistellung. Ha, guter Witz. Witz des Jahrhunderts. Ich habe noch nie so viel gelacht! Manche würden mein Lachen auf die Hysterie schieben, aber ich lache herzhaft über die Dummheit des Personals. Sie wissen nichts von den Gewalttaten, dem Drogenmissbrauch oder den Vergewaltigungen, sie können nur erahnen, wie tief solche Taten unter den Insassen verbreitet sind.

Die Männer gehen in Richtung Eingangstor, wo sie ihre Karte in die Kamera halten und den Fingerabdruck überprüfen. Als alle Sicherungen des Gebäudekomplexes überwunden sind, wird die Tür geöffnet und sie treten in die Anstalt hinein, nur mit dem Unterschied, dass sie wieder heraus können. Ich höre das Quietschen der Liege im Flur. Ist wohl einer von meiner Abteilung, einer von der "gefährlichen" Sorte. Hoffentlich hat er es jetzt schöner als hier. Eine Stunde später höre ich wieder das bereits bekannte Quietschen der Trage. Die Leiche desinfiziert, beziehungsweise gesäubert und angezogen, wird in den kleinen Lastwagen-ähnlichen Wagen geschoben und zum Friedhof gebracht. Jedoch werden die meisten dort verbrannt und die Asche in ein Erdloch gefüllt, weil die Familie kein Geld für einen solchen Fall besitzt oder für uns Jämmerlichen keinen Cent ausgeben mag.

Erst durch den Tod sieht man das wahre Gesicht eines Menschen. Da kann man froh sein, dass man keine Familie hat, die sich rührend um einen kümmert. Sie haben mir mein Erspartes und hart erarbeitetes Geld genommen, dafür haben sie aber von mir einen Fahrtschein in die Hölle bekommen. Wenigstens etwas. Als ich in die achte Klinik gekommen bin, hatte ich kein Geld mehr, weil die Menschen, denen ich am meisten vertraut habe, davon in den Urlaub gefahren sind und meine Abwesenheit mit Saus und Braus gefeiert haben.

Aber sie sind nie auf Teneriffa angekommen, denn das Flugzeug ist vorher, unglücklicherweise, abgestürzt. Das Läuten der Klingel reißt mich aus der Erinnerung an meine Erzeuger und lässt mich aufschauen. Anscheinend ist Filmzeit angesagt. Man will die Patienten ja schließlich nicht ganz verkümmern lassen, weshalb jede Abteilung einmal wöchentlich einen Propaganda-Film über die Klinken und Betreuungen ansehen darf. Nicht wirklich produktiv, trotzdem werden mache davon manipuliert und sind stolz, die Welt von sich selbst befreien zu können. Ich bin auch stolz darauf, aber im anderen Sinne. Ich bin stolz darauf, dass ich Ruhe vor den Menschen außerhalb habe.

Obwohl ich gerne nach draußen möchte. Ein innerer Zwiespalt, bei welchem schlussendlich das Freiheitsgefühl siegt. Freiheit ist unbeschreiblich wichtig für mich, erst dann kann ich nämlich meine vielfältige Persönlichkeit entfalten.

Ich drücke die Türklinke nach unten und trete in den Gang. Ich bin wohl eine der Letzten, da sich nur noch drei weitere im Flur aufhalten. Ich muss mich beeilen, sonst werde ich ausgeschlossen und darf meinen restlichen Tag mit lästigem Herumlungern verbringen. Schnellen Schrittes begebe ich mich zum Media-Raum und setze mich auf einen der hintersten Stühle. Die Vorderen sind alle schon besetzt und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich mit den alten Klappstühlen zufrieden zu geben. Während sich noch die letzte Reihe langsam füllt, wo auch ich meinen Sitzplatz habe, wird die Tür bereits geschlossen. Die Insassen, welche ein paar Sekunden zu spät gekommen sind, haben Pech gehabt.

Wie immer in solchen grotesken Momenten denke ich an das Gesetz von Charles Darwin, meinem Lieblingsforscher. So absurd es auch ist, ich glaube an das Naturgesetz, es ist das Einzige, was mich am Leben hält. 

Die Betreuer, von denen außerdem ein Teil für die Manipulation zuständig ist, bedienen den Projektor und ein Kreuz erscheint auf der Leinwand. Wollen sie uns jetzt missionieren? Gott möge uns beistehen. Er steht für die Wahrheit und das Gute in der Welt, nicht für Betrug und Böses. An ihn kann man sich wenden, wenn man sich einsam fühlt. Nicht, dass ich besonders katholisch oder religiös bin, ich rezitiere hier einfach nur die Worte eines Pfarrers. Über Sinn oder Sinnlosigkeit kann man sich streiten.

Ein Timer erscheint und zählt für alle sichtbar von zehn auf eins. Die Spannung wächst - nicht. 

Der Ton schaltet sich ein und Gänsehaut bildet sich auf meiner Haut, während ich den schrillen, quietschenden Tönen lausche. Ein Genuss für jeden Tauben, er würde danach bestimmt wieder hören können. Überall Leichen, wohin man auf der Leinwand schaut, kein Plätzchen ohne Verstümmeltes. Fast schon Ekel erregend. Aber so sieht anscheinend die Welt mit uns aus. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man darauf kommt, wir wären kaltblütige Bestien. Rote Blutlachen erstrecken sich über die weiße Wand aus Plastik und ich verstehe den Grund, wieso so etwas Abscheuliches produziert wird. Sie wollen uns mit den Taten einschüchtern und uns so vom weiteren Quälen und Töten abhalten. Wie auch immer sie diese scheinbar echt wirkenden Effekte gemacht haben, es wirkt nicht.

Eher sehen wir uns im Täter wieder gespiegelt, der seine Opfer auf grausame und blutige Art und Weise zu Tode quält. Heimlich lächle ich hinter meinem Haarvorhang, damit es kein anderer zu sehen bekommt. Der weitere Verlauf des Films ist absolut unrealistisch, da wir als Menschen ohne Gefühle abgestempelt werden. Schwachsinn! Jedes Lebewesen hat Gefühle entsprechend seines Charakters, mehr oder weniger ausgeprägt. Verschwiegen und introvertiert ist besser als vorlaut und redselig.

Nach dem wöchentlichen Fernsehkonsum dürfen wir uns noch eine halbstündige Rede anhören, die einzig und allein aus purer Langeweile besteht. Verstohlen blicke ich aus halb geschlossenen Augen zu den anderen Patienten inklusive meinen sogenannten Freunden. Alle gähnen um die Wette und sehen so aus, als würden sie gleich einschlafen. Jedoch können sie sich nicht dieser Versuchung hingeben, da die jeweiligen Schläfer deswegen auf jeden Fall zur Rechenschaft gezogen werden würden.Endlich werden wir von dieser kleinen Ewigkeit entlassen und können uns dem Abendessen widmen.

Dort geselle ich mich, freiwillig oder eben auch nicht, zu meinen Mitinsassen. Heute herrscht viel mehr Rededrang als sonst, der sich durch die höhere Lautstärke im Raum bemerkbar macht. Außer mir öffnet und schließt jeder seinen Mund, um etwas preiszugeben. Sogar Beth, das stille Wasser, ist heute besonders redselig. Aber stille Wasser sind bekanntlich tief. "Der Vortrag war so langweilig, wie noch nie. Beinahe hätte ich mir gewünscht an der Stelle des Opfers zu sein. Jedoch nur beinahe. Dann wäre wenigstens ein wenig Action gewesen."

Luca sieht Beth mit einem seltsamen Blick an, nachdem sie ihren letzten Satz beendet hat. "Ich hätte gemeint, du wärst froh zu Leben, schließlich hast du jemanden umgebracht", äußert er eine Vermutung. "Ja, natürlich bin ich froh auf der Welt zu sein! Dennoch bin ich mir nicht mehr im Klaren, ob es nicht doch besser wäre, aufzugeben."

Gespielt geschockt suche ich den Augenkontakt zu ihr, um einen Hauch von Mitgefühl zu zeigen. Einfacher gesagt als getan. Ich bin schon etwas aus der Übung, was solche Dinge angeht, man brauchte es ja auch sonst nicht im Leben. Schließlich bekommt man Mitleid geschenkt, aber Neid muss man sich verdienen. Da ich noch nie jemandem etwas geschenkt habe, erwarte ich keine Reaktion auf mein Mitgefühl."Willst du genauso ein Versuchskaninchen werden, wie viele vor dir? Mit Gift im Blut oder kleine grüne Pillen in Sternchen-Form, die im Magen landen werden? Verschreib dich lieber den Drogen und stirb einen ehrenvollen Tod durch Gänseblümchen!" Steve rastet völlig aus. Ich korrigiere mich, er hat Gefühle, vor allem für Beth. Kein Wunder, dass Beth mit ihnen einen Fluchtversuch starten darf. Steve hat bei den anderen ein gutes Wort für die Kleine eingelegt. Die anderen, kaltblütige Mörder, aber Steve kann der Versuchung der engelhaften Beth nicht widerstehen. Wie lustig.

Pass auf Beth, dass du ihn nicht verärgerst, denn deine Schuldlosigkeit wird dir dann auch nicht weiterhelfen. Ich gluckse leicht, als mir ein verliebter Mann einen zornigen Blick zuwirft. Keiner von den Anwesenden hat mich bisher lachen gehört, umso verwunderter sind ihre Blicke momentan. Abrupt verstumme ich wieder, da ich keine unnötige Aufmerksamkeit bekommen möchte. Ich muss mich an die anderen anpassen, bei denen nie gute Stimmung herrscht. Als ich am Anfang meiner Klinik-Karriere stand, saß ich immer allein hier, aber dann sind die anderen still und heimlich dazugekommen. Es waren die Unschuldigen und Halbwegmörder, nicht die Serienkiller und Drogenbarone, die nicht wegen des Drogenverkaufs eingesperrt wurden, sondern als Zuhälter von der Polizei überrascht worden sind.

 Zuerst dachte ich mir, warum können sie mich nicht in Ruhe hier sitzen lassen? Leider musste ich feststellen, dass man hier Verbündete braucht. Zwar sind sie nur Halbstarke, die mehr durch ihren gelogenen Ruf Respekt erlangt haben, aber immerhin etwas. Einmal retteten sie mich vor einer Vergewaltigung. Nicht, dass es bei mir irgendetwas ändern würde, schließlich bin ich durch sehr unangenehme Umstände sterilisiert worden. Ich kann keine Kinder bekommen. Niemals. Ich bedaure diesen Umstand überhaupt nicht, es ist mir ziemlich egal. Ich habe nie das Bedürfnis verspürt, ein kleines, schreiendes Baby im Arm zu halten. "Nein! Ihr versteht mich nicht! Seid doch mal ruhig! Ihr versteht gar nichts! Idioten!", schreit sie etwas lauter durch den Raum.

Und schon wieder liegen dutzende Augenpaare auf uns. Darauf könnte ich gut und gerne verzichten. Beth anscheinend nicht. Sie muss ausgerechnet die lauteste Stimme in unserer Gruppe besitzen, dennoch hat ihre Stimme die Klangfarbe eines zarten Flügelwesens. "Leiser! Hast du noch nie etwas von Flüstern gehört?", fauche ich sie an.

 "Ist ja in Ordnung. Ruhig Brauner. Jedenfalls haben wir den perfekten Zukunftsplan und du nicht!" Sie verrät beinahe den Fluchtplan. Nein! Eigentlich soll es nicht meine Sorge sein, es ist ihr Problem.Ich zucke nur mit den Achseln, da es mir so egal wie die verfaulte Banane auf meinem Teller ist. Stochernd schiebe ich das gehackte Rindfleisch - Abfallprodukt aus einer Schlachtung - umher. "Anscheinend ist es dir nicht wichtig, was aus deinem Leben wird, sonst hättest du es in die Hand genommen und etwas dafür getan, um glücklich zu werden." Wie recht sie hat. Ich meine unrecht. Sogar in Gedanken kann man sich verreden. Ich bleibe stumm, weil ich es unter meiner Würde sehe, auf diese sinnlose Frage zu antworten. Wer würde nicht alles für ein sorgenfreies, zufriedenes Leben geben?

"Eine Seltenheit! Jody ist sprachlos, ihr wurde endlich das Maul gestopft!", schreit sie durch den Raum. Ich biete keine Parole, denn es nützt nichts, sich gegen ein hitziges Biest zu wehren. Leider hat sie ihre Worte vorher nicht abgewogen, sodass es durchaus sein kann, dass ich nächstes Mal nicht so nett zu ihr sein würde."Seht doch alle her! Die Psychopathin Jody zieht den Schwanz ein!" Noch ein Wort und sie ist Geschichte. Zu ihrem Glück kommen die Ärzte und piksen sie schnell in den Arm. Dann wird sie von einem Pfleger ins Zimmer getragen und nur noch Steve, Luca, Zoey und ich sind anwesend. Vielen Dank auch, dass sie mich unterstützt haben. Wenigstens pflichteten sie Beth nicht zu, nicht einmal Steve, in dessen Hinterteil ein rosaroter Pfeil steckt.

 "Vermutlich ist ihr die Heimlichtuerei zu sehr zu Kopf gestiegen", versucht Steve die momentane Spannung zu entladen. Gute Ausrede'! Den meisten wird der Klinikaufenthalt zu viel und sie müssen Tag und Nacht in ihren Zimmern eingesperrt werden. Ein nicht wirklich erstrebenswertes Schicksal. Aber ich gehe mit gutem Beispiel voran und reiße mich zusammen. Deshalb kontrolliere ich mich mit einer eisernen Disziplin, um nicht einer der Fälle von Stufe acht zu werden. Zu gerne möchte ich erfahren, ob es Stufe zehn wirklich gibt, da noch niemand dort eingeliefert worden ist, jedenfalls ohne, dass ich etwas davon mitbekommen habe. Vielleicht sind es die ganz schlimmen Menschen mit physischer Instabilität. Ich komme zu dem Schluss, dass ich es nicht wissen brauche, da ich nicht das Verlangen hege, dort zu landen. "Wer's glaubt! Sie wird einfach langsam, aber sicher, verrückt, so wie alle hier - spätestens in ein paar Jahren wimmelt es hier nur von Irren. Wir sind ja schließlich in einem Irrenhaus.", spricht Zoey meinen Gedankengang an. Eine großartige Meinung einer intelligenten Frau, wenigstens eine hier, die ihr Gehirn noch nicht mit Gänseblümchen weg gepustet hat. Ich schenke ihr einen lobenden Blick, der jedoch von ihr keine Beachtung erfährt. Soll sie doch machen, was sie will! Bin ich nicht schon mal zu dem Ergebnis gekommen? Scheinbar habe ich mich noch nicht genug von den Menschen distanziert.

Ich liege im Bett und versuche ein bisschen Ruhe zu bekommen, bevor ich der Versuchung des nicht gerade erholsamen Schlafes ,in letzter Zeit, nachgebe. Stark wie ich bin, schaffe ich es eine ganze Stunde an die Decke zu sehen, ohne zu blinzeln. Irgendwie hat das schon einen Psycho-Faktor. Das Geschrei im Nebenzimmer entlockt mir ein genervtes Seufzen. Warum kann sie nicht aufgeben? Es wäre viel einfacher, wenn sie widerstandslos die Tabletten schlucken würde. Dann können wir alle schlafen und die friedliche Ruhe genießen. Knappe zehn Minuten später überlege ich mir, den Raum zu wechseln und ihren Hals mit dem Messer, das in der Matratze ist, aufzuschlitzen.Aber das würde nur meinem Ruf schaden, wenn ich denn einen hätte. Sollte ich nicht ein schlechtes Gewissen haben? Niemand mit einem gesunden Menschenverstand sollte sich Gedanken machen, die ein Opfer fordern werden. Entnervt schlage ich an die dünne Wand, die mich am vorzeitigen Töten anderer hindert. "Ruhe!" Aber sie schreit weiter, als würde sie unbeschreiblich starke Schmerzen haben. "Sei doch still", befehle ich laut. Darauf fängt sie an gegen die Wand zu schlagen. Das ist der eindeutige Beweis dafür, dass sie verrückt geworden ist. Wer wird das hier nicht? Abrupt hört der Lärm auf und es herrscht Stille. Höchst wahrscheinlich hat sie eine Beruhigungsspritze bekommen, da mittlerweile sogar die Pfleger es gehört haben dürften, falls sie nicht an schwerwiegender Taubheit leiden. Ich versuche mich wieder auf die Decke zu konzentrieren und verweile so stundenlang, bevor ich mich aufrichte und zum Bad gehe. Dazu trete ich in den Gang mit meinen Badesachen und öffne die gegenüber liegende Tür. Gut, keiner duscht. Dort schließe ich mich in eine Dusche ein, wo ich ein paar Knöpfe drehe. Wie zu erwarten, kommt nur - wie sooft - kaltes – immer in periodischen Stößen -  Wasser aus dem Duschkopf geschossen.Ich blicke auf die große Uhr vor mir und sehe, dass mir nur noch zehn Minuten übrig bleiben, um die anderen notwendigen Hygiene-Bedürfnisse zu erledigen. Schnell trockne ich mich ab und ziehe mir das mitgebrachte Nachthemd über.

 Somit öffne ich die Duschkabine und gehe zum Waschbecken. Dort ziehe ich den Reißverschluss nach rechts, damit ich in meinen Kulturbeutel die Zahnbürste plus Zahnpaste finden kann. Ein kleiner Fleck auf den Borsten, schon starte ich das nervige Putzen. Nach den üblichen zwei Minuten spucke ich es aus und verschlucke mich fast am Spülwasser, als eine raue Stimme hinter mir ertönt. 

"Hallo, Jody", begrüßt sie mich. 

"Du bist im falschen Bad, hier ist nur Zutritt für Frauen, außer du hast eine Vagina", erwidere ich naiv lächelnd. 

"Nein, damit kann ich dir nicht dienen. Ich habe nur zwei Anliegen. Also, hast du Zeit?" 

Ich blicke auf die Uhr. "Vier Minuten mehr nicht. Wenn du überziehst, selbst schuld." Er grinst nur. Scheinbar ist er ein Neuer. "Das lass mal meine Sorge sein. Das Erste, was ich ansprechen möchte, ist der Fluchtplan von Steve und den anderen, da ich zufällig ein geheimes Gespräch zwischen ihm und Luca belauscht habe. Deshalb habe ich mich gefragt, ob ich auch mitdarf." Warum stellt er mir diese Frage? "Frag sie doch, ich habe damit nichts zu tun." "Das bezweifle ich allerdings, schließlich habe ich bei dem Gespräch deinen Namen fallen hören." "Es tut mir ja wahnsinnig leid, aber ich weiß nichts davon. Noch eine Minute.", setze ich ihn unter Druck. "Du siehst heiß aus. Lust auf Sex?" Jetzt weiß ich, wieso er hier gelandet ist. "Kannst du vergessen", sage ich betont gelangweilt. "Dann wird es halt eine Vergewaltigung. Es ist deine Entscheidung." Er macht einen Schritt vorwärts zu mir und packt mich an den Oberarmen. Die Tür wird laut aufgeschlagen wird. Ach ja, es ist 23 Uhr und ab diesen Zeitpunkt Nachtruhe. Das Betreuer-Team, bestehend aus einem Mann und einer Frau handelt schnell und jagt ihm eine Spritze mit grüner Flüssigkeit in den Oberarm. Ja, er ist wirklich neu hier. "Jody, bitte geh wieder in dein Zimmer. Wir kümmern uns um ihn, du kannst jetzt beruhigt schlafen." Wortlos, mit meinen Sachen unterm Arm, gehe ich davon. Ich kuschele mich mit der Embryo-Haltung in das einzig Weiche im Bett, der Decke und falle in das schwarze Loch des Schlafes.

 Es läutet zum Frühstück. Was für ein Aufwand für so etwas Ungenießbares. Mir wird bereits bei dem Gedanken daran schlecht, es zu essen. Ich will nicht! Obwohl ich meine, mich bereits an die Essensumstände gewöhnt zu haben, wird mir immer noch speiübel, nachdem ich es hinuntergeschluckt habe. Bei der Essensausgabe gibt mir der grimmige Koch einen extra großen Schöpfer undefinierbare Masse auf das Tablett, worauf ich zu unserem Tisch gehe und mich auf der Bank niederlasse. Ich beginne zu essen, ohne, dass ich auf die anderen warte. Mir kommt nicht in den Sinn, dass sie bereits in dieser Nacht geflohen sein könnten. Doch als das Personal anfängt zu tuscheln, kommt mir der Gedanke. Und ich habe recht, da die Betreuer laut verkünden, dass meine Freunde und ein weiterer Mann namens Fingo unauffindbar sind. Ich weiß, dass sie geflohen sind, aber ich habe nie daran geglaubt, dass sie es schaffen würden. Zugegeben, Luca hat in Folge elf Banken ausgeraubt und ist erst bei der zwölften festgenommen worden, wobei es nicht sein schlimmstes Verbrechen war. Der schöne, lustige Luca ist nicht so brav wie er allen vormacht, er hat guten Gewissens dabei sechs Menschen umgebracht. Zwar ist er als Irrer bei dem Richter abgestempelt worden, jedoch war er immer bei vollem Bewusstsein, was er auch tat. Nun, leider sind die Menschen nicht fähig, dem Bösen auf die Schliche zu kommen, obwohl es direkt vor ihrer Nase tanzt."Falls irgendjemand von euch es gewusst hat und nichts gesagt hat, dem erwartet keine so hohe Strafe, wenn er sich jetzt meldet!" Natürlich hebt keiner die Hand oder tritt vor, um sich freiwillig einer Strafe zu unterziehen. Vermutlich hecken die meisten unter uns schon eine weitere Flucht aus, weil sie wissen, dass es nicht unmöglich ist, zu fliehen. "Jody, sag die Wahrheit! Wo sind sie hin?" "Ich weiß von nichts. Ich habe auch keineswegs etwas mit der Flucht zu tun, sonst würde ich hier nicht sitzen, oder?" Ausnahmsweise kann ich – fast - wahrheitsgemäß antworten, da ich wirklich – fast - keine Ahnung habe. "Gestern hat sie aber was anderes behauptet! Sie lügt wie gedruckt! Glaubt ihr kein Wort!" Verschwören sich jetzt alle gegen mich? "Nur, weil du mich gestern vergewaltigen wolltest, heißt das nicht, dass du mir etwas Derartiges an schulden kannst. Und ich gebe dir einen Tipp: Denk nach, bevor du deinen Mund aufmachst!" Glücklicherweise interessieren sich die Betreuer nicht mehr für unser Gezanke, da deren Fokus auf einer Schlägerei im Innenhof liegt.

 Drei Ex-Boxer gegen vier Ex-Serienmörder. Ich verlasse den Essensraum und trete an das Fenster in meinem Zimmer. Von dort aus habe ich einen guten Ausblick auf die Schlagfertigkeit der beiden Gruppen. Genießerisch liegen meine Augen auf der Faust, die knallhart den Bauch des anderen treffen. Ja, die Klinik macht einen verrückt, wenn man es nicht schon ist. Ein Wunder, dass man sich selten an die Kehle eines anderen geht, obwohl wir manchmal auf engstem Raum leben. Vielleicht liegt es daran, dass wir alle eine ähnliche Vergangenheit haben und uns so eigentlich ganz passabel verstehen. Anderseits stören wir keinen, bzw. nerven an einem schlechten Tag nicht. Das Personal packt die Männer und zieht sie zur Seite. Zwei meiner Mitinsassen wehren sich dagegen und werden kurzerhand ausgeknockt, während der Rest widerstandslos die dargebotenen Pillen schluckt. Eine ganz neue Masche. Statt eine Spritze in den Arm gejagt zu bekommen, dürfen wir es uns selber in Tablettenform machen. Was sind das nur für nette Menschen, die uns die Entscheidung überlassen. Natürlich hält einer eine Spritze parat, nur für den Fall der Fälle, die jedoch gleich verschwindet, als alle die Pille schlucken. Man wir abhängig von den unnötigsten Dingen, wie Tabletten und Spritzen, da wir einmal pro Tag die Medikamente in diesen Formen einnehmen müssen. Wenn wir den Konsum abstellen würden, gäbe es eine 50:50 Chance, dass wir durchdrehen oder Selbstmord begehen. Traurig. Unser Schicksal ist kurz gesagt traurig. Aber es ist unsere Zukunft, nicht die von normalen Menschen. Ich habe schon öfters über den Freitod nachgedacht, aber ich setze es mit Aufgeben gleich, deshalb keine Option für Jody. Ich, die bereits acht Jahre Durchhaltevermögen bewiesen hat, gebe nicht auf. Nicht auf diese Weise. Niemals.

Grausame acht Jahre, von denen ich fünf als Versuchskandidatin für die Medizinforschung überlebt habe und drei Jahre ziemlich in Ruhe gelassen wurde. Ich besitze kaum Erinnerungen an diese Zeit, zu schrecklich war dieser Lebensabschnitt. Dennoch, eine Tatsache habe ich erfahren und zwar, dass ich zeugungsunfähig bin. Was für Experimente sie wohl mit mir gemacht haben, dass ich dafür sterilisiert wurde? Lieber schweigen, als fragen. Es bringt einem nur Schwierigkeiten. Jedenfalls haben sie wohl genug von mir gehabt, da sie keine weiteren Versuche gestartet haben. Zumindest kann ich mir so meinen Ausschluss erklären, damit es halbwegs plausibel klingt. Oder es hat geklappt und sie beobachten dich, meint mein Bauchgefühl. In der letzten Zeit ist es aber nicht gerade hilfreich gewesen, eher schlecht, auf mein Bauchgefühl zu hören.

Casper David Friedrich, ein berühmter Maler. Der Wanderer über dem Nebelmeer, ein international berühmtes Gemälde. Ob sich der Maler in der Figur des Mannes, der in die Ferne sieht, verwirklicht hat? Wenn ja, warum? Wenn nein, ich mache es gerade. Vielleicht sehe ich genauso nachdenklich aus, wie er, auch wenn man nur seine Rückseite sieht. Gerade das zeigt, man kann nicht hinter die Fassade eines Menschen sehen, so gut man ihn auch kennt. Manchmal ist es nicht gut genug und man wird hintergangen. So wie ich von meinen Eltern. Beim genaueren Betrachten des Plagiats, das in einem der Gruppenräume hängt, fällt mir eine leicht angedeutete Handschrift im Nebel auf. Vermutlich eine geheime Nachricht, trotzdem packt mich die Neugierde nicht, sondern ich setze mich auf einen Stuhl.

Heute ist eine der monatlichen Gruppensitzungen, wo wir über die Toten und ebenfalls über Informationen zur Regelung des Alltags reden. Darunter verstehen sie, warum wir hier sind und wieso wir Medikamente bekommen. Die Erklärung aller Fragen: Wir sind eine Gefahr für die Gesellschaft. Wir müssen beseitigt werden. Nicht, wie gemeint, das Töten unserer abtrünnigen Art, sondern einfach das Weggesperrt sein. Jody, du Philosophin! Bin ich heute wieder eine Spaßkanone. Liegt wahrscheinlich an den kleinen, süßen Pillen. Hehe.

Die Stühle füllen sich langsam mit Menschen von meiner Abteilung. Der Leiter der versammelten Gruppen fängt an zu reden und ich sehe gelangweilt aus dem Fenster. Immer dieselbe Leier! Schweigt still, würde ich gerne durch den Raum schreien, aber dann bekomme ich nur eine Tablette in die Hand gedrückt. "Wir haben uns heute hier versammelt, um den zwei Toten Lilly und Renée zu gedenken, die uns leider verlassen haben...", rattert er seinen Standardspruch herunter. Sozusagen, er interessiert sich keine Bohne für dir Verstorbenen. "Unsere liebe Lilly hat den Freitod gewählt, um ihrer Welt einen Gefallen zu tun. Wir beten für sie. Amen." Er würde uns allen einen Herzenswunsch erfüllen, wenn er jetzt, genau zu diesem Zeitpunkt, aus dem Fenster springt.

"Ebenfalls hat uns unser lieber Bruder Rene verlassen, aufgrund einer Überdosis Gänseblümchen. Wie so viele vor ihm hat er der Versuchung nicht widerstehen können und ist viel zu früh von uns gegangen. Wir lassen jetzt alle gemeinsam von den Toten los. Wir nehmen unsere Hand aus ihrer, sehen ihnen zum letzten Mal tief in die Augen und treten den Rückzug in die Realität an." Es klingt wie ein schlechter Sciencefiction Roman. Überhaupt nicht passend zu der derzeitigen Situation. Sein Verhalten ist einfach abscheulich! Ich grinse. Übertreiben, ist meine große Leidenschaft. Theatralisch wische ich mir eine imaginäre Träne von meiner Wange. Die Tabletten tun mir echt nicht gut. Kann aber auch an der faszinierenden Farbe liegen. Ich kichere über meine Gedanken. "Francis, komm rein! Bei Jody wirken die Tabletten ziemlich stark! Hat man ihr wohl wieder eine Überdosis gegeben!" Oh wie lustig. Der Kleine schimpft den Großen. Darauf bekommt der Große rote Ohren und verschwindet, mit mir auf den Armen, aus dem Gruppenraum. "Wo bringst du mich hin?" "In dein Zimmer, du kranker Sparst." Oh, er beleidigt mich. Jetzt bin ich aber böse. Bei meiner privaten Höhle angekommen, kuschele ich mich ins Bett. Ich gähne herzhaft und lache mich wegen meiner sehr unmöglichen Art in den übermannenden Schlaf.

"Francis, da du deine Patientin gestern sehr schlecht behandelt hast, könnte ich dich sofort feuern. Aber das werde ich nicht. Stattdessen wirst du jetzt zu Jody gehen und ihr die fröhliche Botschaft übermitteln. Beeile dich, du hast heute einen ganzen Haufen Arbeit." Das erste was ich höre, ist die Stimme des Möchtegern-Pfarrers vor meiner Zimmertür. Ich spitze meine Ohren, wodurch ich ein Schnauben auf der anderen Seite der Tür wahrnehmen kann. Da draußen liebt jemand seine Arbeit wortwörtlich. Jemand, höchst wahrscheinlich Francis, klopft an die kleine Holztür. Ich setze mich auf und krächze ein "Herein". Ein gestresst wirkender, junger Mann - Francis - tritt herein. Das Absurde daran: Ich habe ewig Zeit. Bestenfalls bis zu meinem unausweichlichen Tod kann ich ihn von seiner Arbeit abhalten. Rache ist sauer, da mir Süßes nicht sonderlich gut bekommt.

 "Hier ist der Ausweis zur Freistellung deiner Wenigkeit. Pack deine Sachen und geh zum Empfang. Dort werden sie dich in dein neues Leben einweisen und dich auf die Außenwelt vorbereiten. Viel Spaß mit deiner Zukunft in Freiheit." Was soll ich denn mit der Zukunft für einen Spaß haben? "Warte...", doch er ist schon verschwunden. Soviel zum Thema Freundlichkeit. Ich sehe mir das Dokument näher an und erkenne die Unterschriften der Vorstände. Ich stelle mir nur eine Frage: Warum? Warum jetzt? Warum werde ich jetzt entlassen? Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf. Doch ich befolge seine Anweisung, meine Sachen zu packen. Vielleicht war es nur ein schlechter Scherz? Aber sie können das Dokument nicht gefälscht haben, da erstens buchstäblich mein Name draufsteht und zweitens es abgestempelt ist. Ein dicker roter Abdruck. 

Ich stehe vor der abgesicherten Tür zum Empfang und bitte um Einlass. Ich halte das wichtige Stück Papier in die Linse der Sicherheitskamera und warte auf das Brummen der Sicherung. Der Zugang wird mir gewährt und ich stehe vor dem Tresen der Empfangsdame.

"Lange nicht mehr gesehen, Jody. Wie geht es dir?" Nur ein Gedanke: Zu fröhlich für eine Arbeiterin in der achten Klinik. Hoffentlich erwartet sie auf ihre dumme Frage keine Antwort. "So wortkarg wie damals. Übergehen wir eben die Begrüßungsfloskeln und kommen zum Thema." Oh ja, sie nimmt definitiv Beruhigungstabletten. "Ich habe die Ehre, dich in dein neues Leben einzuführen. Das bedeutet so viel wie eine Wohnung oder ein Haus, je nachdem wie großzügig der Staat ist, und ein mehr oder weniger gefüllter Kühlschrank. Wir haben das Jahr 2024, falls du dich nicht mehr erinnerst." Ich bin wohl die Erste, die sie einweist. "Die Daten werden gelöscht, die deine Anwesenheit hier bestätigen. Du beginnst ein völlig neues Leben. Mach es besser als dein Altes!"

Bruna, der Name auf dem angesteckten Schild, ordnet noch ein paar Dokumente in verschiedene Ordner ein und steht dann auf. "Lass uns fahren! Natürlich begleiten uns noch zwei oder drei Muckimänner. Du giltst immer noch als gefährlich. Vergiss das nicht! Erst wenn wir dich völlig entlassen haben, bist du ein normaler Bürger in Altdeutschland." Auf ins neue Leben. 

Wir gehen geradewegs auf die Eingangstür zu. Dem Weg in die Freiheit. Ich bin draußen, ist mein erster Gedanke. Ein Auto mit schwarz getönten Fenstern fährt vor und einer dieser sogenannten Muckimänner öffnet die hintere Tür. Auf dem Rücksitz bin ich nun zwischen zwei übermuskulösen Männern eingequetscht, während Bruna mir, vom Vordersitz aus, über das neue Altdeutschland erzählt.

"Vor zwei Jahren haben sich die wichtigen Personen der Welt zusammen getan und über die Zukunft der Welt diskutiert. Ihr Entschluss lautete: Der dritte Weltkrieg muss ein Ende haben. Somit sind die mächtigsten Länder, wie Russland, die USA und China entmachtet worden, womit auch viele Probleme beseitigt wurden. Nur die Kriege in Nordafrika sind noch nicht vorbei. Es war ein großes Gemetzel, aber wie soll man sonst einen Haufen Verrückte aufhalten, die jeden entweder töten oder versklaven? Wenigstens haben wir jetzt Ruhe vor ihnen. Als allerletzte Sicherheitsvorkehrungen für einen langwierigen Frieden sind alle möglichen Terroristen eingesperrt worden, aber vor allem sind sie in die zehnte, elfte und zwölfte Klinik eingeliefert worden." Alles findet immer ein Ende. Egal ob ein Gutes oder Schlechtes. Alles wird zugrunde gehen, was ein Mensch angefangen hat. 

 Es gibt noch mehr Anstalten? "Nun denn, jetzt ist alles geregelt. So wir sind da. Los, alle Mann aussteigen." Die Schränke steigen vor mir aus und weichen nicht von meiner Seite, nicht, dass ich etwas Schlimmes vergehen würde. Es ist ein Miethaus, es sind noch mehr Familien oder Alleinstehende einquartiert. Eine Frau mit Kind sieht neugierig aus dem Fenster. Doch als sie mich in der Mitte von drei Männern sieht, verschwindet sie aus meinen Blickwinkel. Wie immer, weichen die Menschen mir aus. Ein leicht irritierendes Grinsen ziert meine Mundwinkel, das die Bewacher leicht verunsichert.Trotzdem gelange ich unversehrt und ganz in meine neue Wohnung. "Hier sind die Bedienungsanleitungen für alle technischen Geräte und deine Papiere. Im Schrank findest du Klamotten zum Anziehen und im linken Nachttischchen - neben dem Bett- liegt Geld. Bis du eine Arbeit gefunden hast, zahlt die Sozialhilfe dir deine Ausgaben bis zu Geldbeträgen von 2000€ monatlich." Ich nicke und wir verabschieden uns. Das war es also. Das war alles.

Ich durchsuche die einzelnen Möbel und Dekorationen nach Wanzen, aber finde nichts. Anscheinend ist es ihr Ernst. Es ist kein Scherz. Ich bin frei. Auch finde ich das versprochene Geld. Insgesamt eine Summe von 3450 Euro und 10 Cent. Davon könnte man gut ein Jahr leben. Außer man genießt einen höheren Standard als ich. Der Schrank ist gleich durchwühlt. Nur praxistaugliche Kleidung und ein, zwei Sommerkleider hängen an der Stange, in Kisten sind Socken und Unterwäsche in allen Farben und Formen vorhanden. Alles, was das Herz begehrt und doch nichts Besonderes. Anscheinend hat der Einrichter ein Faible für runde Sachen. Auf den Klamotten sind meistens Kreise abgebildet und in den Kissen sind Blumen in Form von fünf Kreisen eingestickt. 

Nun sitze ich am runden Tisch in der kleinen Küche und weiß nichts mit mir anzufangen. Hier gibt es keine Tabletten oder Spritzen, mit denen ich mich für einen kurzen Moment von der Realität verabschieden könnte. 

Tick Tack. Tick Tack. Seit zweieinhalb Stunden nehme ich nichts weiter als das Tick Tack der Uhr wahr. Langsam treiben mich diese monotonen Geräusche in den Wahnsinn. Eine Abwechslung muss her! Euphorisch schwinge ich mich auf die Füße und werfe dabei den Stuhl um. Trotz meiner Angewohnheit stets alles perfekt geordnet zu haben, siegt letztendlich meine Abenteuerlust. Ich blicke aus dem Fenster und sehe die Sonne in der zentralsten Lage. Kurz in den Spiegel gesehen und ich befinde mein Outfit für annehmbar. Voller Elan reiße ich die Tür auf und eile schnellen Schrittes die Treppe hinab. Niemals hätte ich erwartet, was ich in den nächsten Monaten erleben werde.

Auf Erkundungstour (überarbeitet)

 

Vor mir erstreckt sich eine düstere, zerstörte Landschaft, die einer Ödnis gleicht. Weit und breit kein Leben. Was ist bloß passiert? Als ich aus dem Auto gestiegen bin, hatte ich anscheinend nur Augen für mein neues Zuhause. Eine heruntergekommene Bretterbude, die die Bezeichnung Haus überhaupt nicht verdient hat. Allem Anschein nach kümmert sich der Staat rührend um sein Volk. Ich verstehe das neue Deutschland nicht, dass nun den Namen Altdeutschland trägt. Früher haben sie uns eingesperrt. Heute lassen sie uns frei. Waren wir nicht die Übeltäter? Sind wir jetzt etwa die Opfer?

 

Ich stehe mitten auf der erhitzten Landstraße, die an einigen Stellen bereits aufgeplatzt ist. Blasen bilden sich, je länger meine nackten Füße auf dem Teer stehen. Schon seit ein paar Stunden blicke ich gen Westen, in jene Richtung der weiterführenden Straße. Ein Schatten kommt immer näher, bis das Auto stoppt. Der Fahrer beschimpft mich mit kuriosen Namen, die ich noch nie in meinem bisherigen Leben gehört habe und macht schließlich eine Kurve um mich herum, als er einsieht, dass ich keinen Schritt zur Seite mache.

Rätselnd verfolge ich den gemeinen Mann, bis er aus meinem Fokus verschwindet. Auch er hat mir nicht verraten, was in den letzten Jahren die Welt so verändert hat, dass ich sie kaum wiedererkenne. Kann ein Krieg denn so viel verändern? Kein Lüftchen regt sich, das mir etwas über die Welt erzählen könnte. Acht Jahre sind vergangen und mir kommt es so vor, als wären es bereits achtzig. Nichts scheint mir so, wie es einmal war.

Die schwüle Luft, die mir den Atem raubt, macht mir langsam zu schaffen. So beschließe ich mit den schmerzenden Füßen den Weg in meine Wohnung anzutreten. Auf einem Bein stehend, halte ich mit der linken Hand einen Fuß in die Höhe und begutachte die Unterseite. Die gesamte Fläche bedecken eitrige, beulenähnliche Blasen. Mit Ekel setze ich meinen Weg fort, den ich kurz für die Begutachtung meiner schmerzenden Füße unterbrochen habe.

In der Küche angekommen, durchsuche ich alles nach einem Verbandskasten. Hinter dem Kühlschrank werde ich schließlich fündig. Ich rücke den großen Quader ein Stückchen nach vorne, um an den Kasten zu gelangen. Mit einem Schlüssel, der neben dem Arzneikoffer hängt, öffne ich das Schloss.

Ich entnehme eine Desinfektionssalbe, Alkohol und einen Verband. Ich setze mich auf einen der beiden Küchenstühle und lege das erste Bein über das andere. Zuerst schütte ich etwas Alkohol über die Blasen und schnappe angesichts der starken Schmerzen laut nach Luft. Es brennt höllisch, aber der Gedanke, dass es helfen wird, siegt. Danach verreibe ich die Salbe auf der Haut und verbinde die betroffenen Stellen. Diese Prozedur wiederhole ich auch auf der anderen Seite.

Nach einer kurzen Verschnaufpause versuche ich aufzustehen, jedoch ziert ein dunkelroter Sonnenbrand, wodurch die Haut unangenehm ziept. Immer erwischt es mich. Warum nur? Zwar bestehen meine Gedanken hauptsächlich nur aus gemeinen und rachsüchtigen Überlegungen, aber das unterscheidet mich nicht von anderen Menschen. Keiner kann mir weiß machen, dass es nicht so ist. Jeder will nur seinen eigenen Vorteil aus der Sache ziehen und kümmert sich daher maximal um sich selbst. Nächstenliebe ist für Menschen ein Fremdwort.

Leider werden sie mir nichts mehr anhaben können, wenn ich den Tablettenkonsum verweigere. Keine Aufsichtsperson, die mir eine Spritze in den Arm jagen kann und mich auf den Boden liegen lässt.

Endlich bin ich frei von den Zwängen der achten Klinik.

Leider verbessert die nicht vorhandene Euphorie meine Laune keineswegs und ich bleibe einfach sitzen und starre in die unendliche Ferne.

Meine Kehle ist staubtrocken und ich brauche etwas, das meinen Durst stillen kann. Der Kühlschrank ist nur wenige Schritte von mir entfernt, doch fehlt mir die nötige Motivation, die mich zum Aufstehen bringen würde. Als der Durst einer Wüste gleicht, bewege ich mich schlussendlich doch zur Wasserquelle hin und nehme mir eine Flasche Sprudel. Schnell stürze ich den Liter Wasser die Kehle hinunter, damit die Qualen des Durstes aufhören. Die leere PET-Flasche werfe ich in einen neuen Müllsack und nehme mir eine weitere Flasche Sprudel aus dem Schrank. Dazu stürze ich ein umgedrehtes Glas um und schütte Wasser in dieses.

Mein Magen knurrt und ich beiße in einen roten, gesunden Apfel. Lecker! Ich esse den ersten nicht verschimmelten Apfel seit meiner Einlieferung. Ein dünnes Kerngehäuse später, greife ich erneut zu einem Obststück. Als auch der zweite Apfel in meinem kleinen Magen verschwunden ist, sehe ich mich im Kühlschrank nach anderen essbaren Sachen um. Es befinden sich nur Getränke darin, dass so viel heißt wie: Heute gibt es nichts mehr zu essen. Ich muss verhungern.

Morgen sollte ich meine Nachbarn – oder lieber das Internet - fragen, ob hier ein Markt in der Nähe ist. Wahrscheinlich schlagen meine Nachbarn mir die Tür vor der Nase zu und schicken mir Verwünschungen per Luftpost zu. Aber einen Versuch ist es wert.

Ich muss mir technisches Equipment beschaffen, lautet mein Beschluss, sonst bin ich aufgeschmissen.

Im Kleiderschrank suche ich nach meinen Papieren. Dort finde ich ein Dokument vor, das mir sagt, dass ich Besitzer eines VW-Käfers bin. Ist dieses Modell nicht schon längst ausgestorben? Egal, Hauptsache es ist fahrtüchtig. Lange brauche ich es auch nicht, höchstens bis ich einen Job finde. Gibt es überhaupt noch Autos? Dumme Frage! Natürlich, sonst hätte ich keins. Laut Schreiben steht das Gefährt in der Garage und wartet nur auf mich, dass ich auf das Gaspedal trete.

Ich sehe an mir herunter und stelle fest, dass das Nachthemd nicht gerade für die Allgemeinheit gedacht ist. Man sieht darin aus, wie eine Großmutter im achtzigsten Lebensjahr. Mein wirrer Schopf gibt dem Outfit den Rest. Ich entspreche genau dem Bild eines Psychos aus der Klapse.

Nachdem ich eine kurze Hose und ein T-Shirt in Kindesgröße – wegen meiner kleinen Körpergröße und meiner knochigen Zierlichkeit - angezogen habe, suche ich die Garage im Erdgeschoss auf. Dort steht auf vier Rädern eine verrostete Schrottkarre, die im Vergleich zu meinem Taxi vorher, definitiv auf die Mülldeponie gehört.

Ich setze mich auf die Fahrerseite und stecke den Schlüssel ins Zündschloss. Mit einem Ruck drehe ich ihn um und der Motor gibt ein Brummen von sich. Nach fünf Sekunden Anlaufen stirbt er ab und ich versuche es abermals, wegzufahren.

Diesmal klappt es und ich tuckere die Landstraße entlang und hoffe, dass ich nicht mitten auf dem verlassenen Weg stehen bleibe. Hier würde mich keiner retten und ich würde einfach in der Pampa versauern.

Mit einem kurzen Drücken auf den ON-Knopf des Radios schaltet sich das Lied Radio Gaga von Queen ein. Dass das nach den ganzen Jahren noch so populär ist?

Genau wie es mir mein Bauchgefühl zugeflüstert hat, stirbt der Wagen ab. "Ah", klopfe ich gegen das Lenkrad. Mit dem Motor bleibt auch die kühlende Luft aus der Klimaanlage aus. Die Hitze macht sich durch Schweißtropfen auf meiner Stirn bemerkbar, die ich jedoch mit einem Handwisch beseitige. Darauf bildet sich ein neuer Schweißfilm und ich gebe es auf, mein Aussehen zu retten.

Ich versuche noch viele Male das Auto zu starten, aber es funktioniert nicht. Und keiner ist weit und breit da, mich zu retten. Niemand wird mir helfen. So war es schon immer und so wird es auch bleiben.

Als ich die Hoffnung längst aufgegeben habe und ich rückwärts von fünf angefangen habe zu zählen, mache ich den letzten Versuch.

Das bereits bekannte Tuckern ertönt wieder und die Reifen rollen, als ich auf das Gaspedal trete. Bis in die nächste Stadt muss ich es schaffen!

Auf einen rot gerändelten Parkplatz bringe ich meinen Wagen zum Stehen und versichere mich, dass genug Geld in der Brieftasche ist.

Schnell sehe ich mich um, ob jemand hinter mir steht. Eine Angewohnheit, die ich seit der Anstalt pflege. Vor niemanden ist man sicher und das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern.

Ich mache den ersten Schritt in die Menschenmenge und stelle mehr oder weniger überrascht fest, dass alles auf einen sehr hohen technischen Stand zu sein scheint. Hoffentlich kostet es nicht so viel wie es aussieht, sonst kann ich gleich wieder den Rückweg antreten.

Ich betrete ein Geschäft namens Eye - Catcher und finde mich vor Regalen voller Geräte vor. Mit der Hälfte kann ich nichts anfangen, erst als ich ein Mobiltelefon entdecke, bewege ich mich zum Regal. Ich nehme es in die Hand und befühle seine Form. Es ist zu schwer, sodass ich das daneben ebenfalls begutachte.

Nach reiflicher Abwägung nehme ich das Zweite und hacke somit den ersten Punkt meiner imaginären Besorgungsliste ab. Im Gegensatz zu den anderen Handys scheint es leichter und stabiler zu sein. Nun brauche ich noch einen Laptop, am besten einen Robusten. Drei Abteilungen weiter finde dich das Gerät und hebe es am Griff aus dem Ständer. Die Kasse ist nicht weit weg, sodass ich beschließe, gleich zu bezahlen, statt mich noch ein bisschen umzuschauen.

Insgesamt bezahle ich der Kassiererin eine Summe von 804,99 Euro und gehe zurück zu meinem Auto. Es steht glücklicherweise noch an seinem Platz und ich werfe die Tüte auf die Rückbank. Ich hoffe die Geräte überleben meinen turbulenten Fahrstil.

Jetzt brauche ich nur noch Essen. Gleich um die Ecke, neben dem Elektronik-Geschäft befindet sich ein Laden. Ich warte bis die – sich langsam öffnenden -  Türen mich durchlassen und nehme mir einen Einkaufswagen aus der Reihe vier.

Gleich zu Beginn häufe ich mir Kilo-weise Obst und Gemüse auf die Ladefläche und rolle dann weiter zur Fleisch und Wurst Abteilung.

Dort lasse ich drei Steaks und einen Fisch einpacken, zudem nehme ich mir noch zwei Packungen Wurst. Das dürfte für einige Tage reichen. Nun fehlt nur noch der Käse. In der Theke schweißt mir einer der Verkäufer ein ganzes Stück Bäumler in Plastik ein und ich muss nur noch einen kleinen Abstecher Richtung Süßigkeiten-Abteilung machen. Acht Jahre habe ich bereits auf diese Leckereien verzichtet! Ich brauche unbedingt ein Snickers. Ich suche den ganzen Supermarkt nach ihnen ab, aber nirgends gibt es eine Spur Süßes. Ich werde wohl verrückt. Wenn Jody keine Leckereien bekommt, wird hier keiner überleben. Anscheinend muss ich im Internet schauen, wo es hier meine Süßigkeiten gibt. Ich verschiebe das auf nachher und gehe wieder zur Kasse.

Dort hängt neben dem Band ein Zettel, wo "Verkäufer gesucht" steht. Vielleicht verzeihe ich ihnen, wenn sie mir den Job geben. Aber nur vielleicht. Entweder sie werden gegrillt oder sie geben mir die Stelle.

Es ist allein ihre Entscheidung.

Ich wende mich an die derzeitige Kassiererin und bitte sie, dass sie ihren Chef Bescheid sagen soll, dass ich mich um die Stelle als Verkäuferin bewerben möchte. Sie fragt mich nach meiner Telefonnummer, jedoch muss ich dafür zuerst mein Handy zusammenbauen. "Entschuldigen Sie, jedoch habe ich sie momentan noch keine. Ich bin erst kürzlich hier hergezogen. Kann ich morgen noch mal vorbeikommen? Oder können sie mir ihre Handynummer geben?" Einfach höflich sein. Kann ja nicht so schwer sein.

Sie sieht mich zuerst misstrauisch an, dann nimmt sie aber einen Stift in die Hand und schreibt mir die Nummer auf einen blauen Zettel auf. Zum einen kann es daran liegen, dass die anstehende Schlange immer länger wird und die Leute schon zu quengeln anfangen. Zweitens scheine ich für sie vertrauenswürdig zu sein, wenn sie mir einen Teil von ihrem Privatleben überlässt. Oder Beides. Ja beides, beschließe ich. "Danke", ich lese den Namen auf ihrem Schild, "Frau Klos". Wir verabschieden uns voneinander und ich schiebe meine Einkäufe nach draußen. Stolz klopfe ich mir auf die Schultern und freue mich den ersten Teil meines neuen Lebens aufgebaut zu haben. Jetzt muss ich nur noch ein Vorstellungsgespräch hinter mich bringen und den Job bekommen. Ein Bangen gegen die Zeit. Es werden sicherlich mehr Personen die Stelle wollen. So viel Glück wie ich im Leben bereits hatte, wird das ein Klacks. Wahrscheinlich werde ich gleich eine Absage bekommen.

Ich fahre denselben Weg zurück, den ich gekommen bin, nur mit dem Unterschied, dass der Wagen diesmal nicht den Geist aufgibt. Anscheinend ist mein VW-Käfer schon lange nicht mehr gefahren worden.

Die Sonne verschwindet langsam am Horizont und ich seufze erleichtert. Endlich kühlt meine Umgebung ab und ich kann wieder durchatmen, ohne, dass meine Nasenflügel bei jedem Atemzug brennen.

Ich stehe am Balkon meiner Vier-Zimmerwohnung und genieße den Ausblick. Wie lang habe ich mich schon nicht mehr so frei gefühlt? Eigentlich noch nie. Es ist das erste Mal seit meiner unbeschwerten Kindheit. Damals konnte ich noch jedes Verbrechen verzeihen. Jetzt bin ich erwachsen und vergesse kein Unrecht mehr.

Vermutlich liegt es daran, dass ich als Kind noch nichts von den zerstörten Individuen ahnte, die die Welt bevölkern und mein Leben zerstörten. Als würde man mit dem Kopf voran gegen eine Wand laufen, so fühlte ich mich damals, als ich im Gericht saß. Keiner hat mich verstanden. Das Opfer, in dem Fall ich, war der Mörder und die Mörder waren die Opfer. Ich bin ihnen nur knapp entkommen, doch ich wurde wie ein Schwerverbrecher behandelt. Mit einer Fußfessel, Schlagstock und sehr schwer bewaffneter Begleitung wurde ich in den Saal begleitet. Meine Familie, höhnisch lächelnd, wartete nur darauf von meinen nicht begangenen Diebstählen und illegalen Autofahrten mit ihren Wagen zu hören und mich auf demütigste Art und Weise anzuklagen.

Jedenfalls zählt einzig und allein ihr verdienter Tod. Das haben sie für ihre Lügen bekommen. Und ich die Rache des Schicksals: Alles kommt zurück im Leben!

Ich stelle mir einen Stuhl auf die braunen Bretter des Balkons. Noch ein paar Minuten in der romantischen Kulisse genießen, bevor es mit mir ins Bett geht.

Als es langsam kälter wird und ich schon beginne zu frösteln, ziehe ich den Stuhl wieder zum Küchentisch zurück. Die Balkontür geschlossen und die Vorhänge zugezogen, mache ich mich bettfertig. Das beinhaltet eine Dusche, Zähne putzen und das Wechseln der Kleidung in einen Schlafanzug. An Kleidung haben sie definitiv nicht gespart.

Wach liege ich seit geschlagenen vier Stunden im Bett und frage mich: Warum? Liegt es daran, dass ich die ganze Zeit die Zeiger der Uhr betrachte? Oder daran, dass ich nicht müde bin? Demonstrativ gähne ich und widerlege damit meine zweite Theorie. Ich nehme das Kissen unter meinen Kopf weg und versuche erneut mit geschlossenen Augen ins Land der Träume zu gelangen. Mittlerweile schlummere ich und bin ganz knapp davor die Grenze zwischen der Realität und dem Schlaf zu überschreiten, als ein Klingeln ertönt. Was war das? Das Geräusch wiederholt sich. Vielleicht meine Türklingel?

Ich rappele mich von meiner weichen Matratze auf und schlurfe zu meiner Haustür. Bevor ich den Griff nach unten drücke, überlege ich, ob das so gut ist. Es könnte sein, dass vor der Tür ein Schwerverbrecher wartet und mich umbringen will. Aber wer möchte mich schon mit einem Messer in der Brust am Boden liegen sehen? Keiner, versuche ich mir Mut zu machen. Aus! Ich habe noch vor keiner Hürde gekniffen, auch wenn sie noch so groß war. Ich werde jetzt die Tür aufmachen und sehen, wer dahinter ist. Schließlich gibt es auch noch nette Nachbarn, die einem herzlich begrüßen wollen.

Ich starre den betrunkenen Mann an der Türschwelle an, während er irgendeinen Unsinn ohne jeglichen Zusammenhang vor sich her lallt. Ich verstehe nur so viel, wie als wäre ich taub. "Mollyyyyyy..........wirum hist du miiiiich vilassen. Hihi. Frinki hit miiiiich zu dir geschickt! Du sillst miiiiich ifmuntern. Du bietist inscheinend bisondiri Dinsti in", erzählt er mit einem betrunken Standardlächeln. Wer ist den "Mollyyyyyy"? Außer, dass er einen ausgeprägten Hang zu "i" hat, ist er doch ganz sympathisch. So wie Menschen im lallenden Zustand es eben sein können. Betrunkene sind doch immer noch die Ehrlichsten unter uns. Aber genug meiner Gedankengänge.

Ich schlage die Tür vor seiner Nase zu und hoffe, dass sie gebrochen ist. So etwas muss ich mir um eins in der Nacht nicht antun. Lieber bin ich stundenlang wach und prügle auf meine Matratze ein, weil ich nicht schlafen kann, als mich von einem Betrunkenen vollquatschen zu lassen.

Es läutet noch einige Male, aber dann gibt es der Mann anscheinend auf, mich zu nerven und zieht von Dannen. Man kann nur hoffen, dass das so bleibt. Für immer und ewig. Sonst landet vielleicht ein Küchenmesser in seiner Brust. Oder in seinem Hals. Oder in seinem unteren Bereich. Das hat er davon, wenn er mich als Nutte betitelt. Mit zahllosen Beleidigungen bewerfe ich ihn in Gedanken.

Irgendwann mitten im Wechsel zwischen Nacht und früher Morgen schlafe ich endlich ein. So schaffe ich es doch noch, mich ein wenig auszuruhen, um den morgigen Tag zu überstehen.

Ich öffne die Augen und blinzle zuerst verwirrt, als ich eine andere Zimmerdecke erblicke. Es wird noch einige Zeit dauern, bis ich mich an die Wohnung gewöhnt habe.

Meine Arme zittern wie verrückt, als ich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank nehme. Auch mein Geist wünscht sich nichts sehnlicher als eine Beruhigungstablette zu bekommen. Wie schön wäre es, in der Anstalt zu sein und sich um nichts kümmern zu müssen. Quatsch. Ich bin froh, nicht mehr eingesperrt zu sein. Der Tablettenkonsum hat mein Hirn total verblödet. Ich denke die ganze Zeit an die verdammten bunten Pillen. Diese Farben, sie waren so faszinierend. Alle Pillen hatten eine verschiedene Farbe und Form. Keine sah so aus wie die andere. Ein wahres Kunstwerk dieses Teufelszeug. Ein bisschen fehlt es mir schon. Mehr meinem Geist als meinem Körper.

Ich muss ab jetzt damit klarkommen, dass es einige Zeit beanspruchen wird, um die Sucht zu bekämpfen.

Ich sollte mein Handy zusammenbauen. Schließlich muss ich Fräulein Klos noch eine Nachricht schicken.

Nachdem ich mich einer Katzenwäsche unterzogen habe, gehe ich wieder ins Schlafzimmer hinüber.

Dort greife ich nach der Verpackung des Mobiltelefons und halte sie lange Zeit in den Händen, um die Texte an den Seiten durchzulesen. Daraufhin reiße ich den Deckel auf und ziehe den Inhalt heraus. Eine riesige Plastikschachtel in einer kleinen Verpackung, das nenne ich mal eine kleine Sensation an diesen Morgen.

Ich ziehe die Plastikfolie herab und entnehme die einzelnen Teile, die ich zusammensetzen möchte. Zuerst die längliche Seite des Tastenhandys, dann den Akku und die SIM-Karte. Man braucht sogar keine Anleitung für den Zusammenbau. Seit meiner Einlieferung ist zwar vieles zerstört worden, aber auch vieles einfacher geworden. Vor meiner Karriere als Irre in der achten Klinik gab es diese Smartphones mit Touchscreen, die hochkomplex waren, aber nichts gebracht haben. Sogar ich hatte eins. Dass es jetzt noch solche Tastenhandys gibt, wundert mich allerdings. Scheinbar finden sie in letzter Zeit wieder mehr Anhänger, als vor meiner achten Klinikzeit. Hm. Nun muss ich nur das Ladekabel in das richtige Loch stecken und an die Steckdose anschließen.

Es lädt. Der Balken füllt sich langsam. Ein Prozent. Zwei Prozent. ... Hundert Prozent. Während der langen Ladezeit vergeht etwa eine Stunde.

Als es diese Prozentzahl erreicht hat, ziehe ich den Ladestecker heraus und begutachte das Innere des Handys. Interessant. Ich muss mich erst an das Geblinke gewöhnen, wie eben an vieles in meinem neuen Leben hier.

Es ist nicht zum Aushalten, die Leuchtkraft des Bildschirms blendet meine Augen so, dass ich nicht mehr genau sehe, was ich für Tasten drücke. Kann man die Helligkeit nicht irgendwo einstellen? Wahrscheinlich, aber ich muss die Funktion erst suchen. Vermutlich unter Einstellungen. Ja genau unter Einstellungen finde ich die Helligkeit. Ich reduziere sie von 95 auf 20 Prozent, dass ich gerade noch die einzelnen Felder erkennen kann.

Ich speichere die Nummer von der Verkäuferin ein und schicke ihr eine SMS:

Hallo, Frau Klos.

Hier ist meine Nummer.

Jody, die Bewerberin von gestern.

Als sie gesendet ist, hoffe ich gleich eine Antwort zu erhalten. Ich bin wahrlich nicht der geduldigste Mensch. Eher der Ungeduldigste. Bei mir muss alles gleich erledigt werden. Das Tastenhandy vibriert kurz, als eine Nachricht eingeht. JA! Es ist eine Antwort von der Kassiererin. Sie schreibt, dass ich heute um sechs Uhr abends beim Supermarkt vorbeikommen solle, damit ich mich dem Filialleiter vorstellen kann.

Eine Gehirnhälfte sagt ja, die andere Hälfte nein. Man ist sich selbst nicht einig, obwohl man ein und dieselbe Person ist. Da ich mich aber um mein Auftreten kümmern muss, entscheide ich zu antworten.

Danke, Frau Kloß.

Du kannst mich auch gerne duzen

und beim Vornamen nennen.

Bis später, Jody

Einfach nett sein und die Probleme sind gelöst. Man muss eben nur mit einem Lächeln den Menschen gegenübertreten und über Belangloses reden, um als dumm abgestempelt zu werden. Insgeheim macht das jeder, ob bewusst oder unbewusst. Jeder möchte sich perfekt darstellen, um seine Maske aufrecht zu erhalten.

In der Klinik war alles anders. Es war.........ehrlicher. Es war.......echter. Alle haben ihre eigene Meinung frei geäußert; es war egal, ob wir bestraft werden. Jeder hatte genug Selbstbewusstsein, um sich nicht selbst zu verleugnen.

Ab diesem Zeitpunkt, als ich meine neue Wohnung betrat, änderte sich mein ganzes Denken. Ich war auf mich alleine gestellt, ohne Hilfe muss ich wieder ins Leben zurückkommen. Man hat an mir Experimente durchgeführt, wobei man nicht davor zurückgewichen war, mich auf zu schnippeln bei vollem Bewusstsein. Solche Schmerzen, die ich nur meinen Tätern wünsche, habe ich erleiden müssen.

Es ist bereits Zeit mit dem Wagen los zu fahren. So lange wie das Auto braucht zu starten, wäre ich längst in Mexiko.

Mitten auf der Landstraße sehe ich ein kleines Nagetier über die Straße laufen. Sofort vollführt mein Wagen eine Vollbremsung.

Puh, gerade noch geschafft. Nicht, dass der kleine, liebe Nager durch meine Schuld stirbt. Das könnte ich mir nie verzeihen.

Meine Autoreifen beginnen von Neuem zu rollen und es geht weiter Richtung Supermarkt.

Nun stehe ich vor dem Laden und bin nicht sicher, ob ich dieses Wagnis wirklich eingehen möchte.

Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, den Polak zu betreten, aber es wird schon seinen Sinn gehabt haben.

Frau Kloß entdeckt mich und winkt mich mit einer flattrigen Handbewegung zu sich. Ja, sei doch nicht so hysterisch.

"Hallo, Jody." Sie lächelt leicht. "Hallo Frau Kloß", erwidere ich zur Begrüßung. "Du bist sehr pünktlich. Ein klarer Vorteil gegenüber deinen Konkurrenten und Konkurrentinnen. Die sind von einer Stunde Verspätung bis gar nicht gekommen.

Komm mit. Das Büro des Bosses liegt gleich um die Ecke." Ich folge ihr durch ein anliegendes Zimmer bis zu einer schwarzen Holztür. "Ab jetzt ist es dein Weg. Hoffentlich sehen wir uns dann täglich bei der Arbeit." Ich nicke nur. Mittlerweile hoffe ich, dass das Gespräch nichts wird. Ich halte es mit dieser Person keine fünf Minuten in einem Raum aus!

Ich drücke den Türgriff nach unten und trete mit einem aufgesetzten Lächeln in das Büro.

"Hallo", begrüße ich ihn. Darf man das? Oder muss man es besser formulieren? Keine Ahnung. Mal schauen. Mein möglicherweise zukünftige Chef wird mir schon sagen, wenn ihm etwas unangenehm ist.

"Du musst Jody sein? Hast du etwas dagegen, wenn wir uns duzen und uns beim Vornamen nennen? Das stärkt das Vertrauen zwischen Chef und seinen Mitarbeitern." "Natürlich nicht." Somit gebe ich mein Einverständnis und wir fahren mit dem Vorstellungsgespräch fort.

Ein paar Fragen zu privaten Angelegenheiten und noch einige zu meinen Vorstellungen und Erfahrungen in diesem Bereich kommen. Ein wenig muss ich mit Flunkereien nachhelfen, doch es verläuft ganz gut.

"So Jody. Im Gegensatz zu den anderen, bist du eine fast beispielhafte Bewerberin. Ich wäre dumm, dich nicht einzustellen. Du bist angenommen." Er durchsucht seine Unterlagen, bis er einen Arbeitsvertrag in der Hand hält. "Bitte unterschreiben. Keine Sorgen, es sind keine tückischen Fallen enthalten." "Das hätte ich von dir auch nicht erwartet. Du bist ein ziemlich ehrlicher Mensch, Erik." Er grinst jungenhaft. Ich unterschreibe nach kurzem Überfliegen der vier Dokumente am letzten Blatt und reiche den Vertrag zurück. "Du kannst morgen anfangen. Bei uns ist vor allem Schichtarbeit an der Tagesordnung. Seit ein paar Monaten gibt es die Regel, dass die Supermärkte ganztags offen haben müssen. So ein Schwachsinn, wenn man mich fragt. Also bis morgen um halb sechs. Um drei ist dann Schichtende. Ich freue mich schon auf eine gute Zusammenarbeit." Wir werden sehen.

Einen kräftigen Händedruck später, verlasse ich den Supermarkt und mache mich auf den Weg nach Hause.

Wie letzten Abend auch schon, nehme ich mir einen Küchenstuhl und sitze mich am Balkon auf diesen. Heute erstrahlt die untergehende Sonne in tiefem orange, fast schon rötlich.

Wie soll es nur weitergehen? Ich habe keinen Plan. Mir gefällt die Arbeit nicht. Ich bin nicht zufrieden mit dem derzeitigen Leben. Es füllt mich nicht aus. Es fehlt etwas. Aber ich weiß nicht, was es ist. Nur das es etwas Bestimmtes ist, das mich süchtig machen wird.

Dabei denke ich nicht an Tabletten oder Spritzen, sondern an ein Gefühl.

Unter mir schaltet sich das Balkonlicht meiner Nachbarn ein. Ich gebe keinen Murks von mir, als sie sich leise auf die Bank am Balkon setzen. Neugierig belausche ich ihr Gespräch.

"Ralf, hast du schon gehört, dass über uns ein leichtes Mädchen wohnt? Wie kann man nur so tief sinke? Wir müssen unsere Kinder beschützen, nicht das sie mitbekommen, wie schlecht Menschen sein können." Ich wette innerhalb dieses Monats kommt ihr Ehemann zu mir herauf. Die Lästertante spricht weiter. "Ralf, warum sagt du nichts? Denkst du etwa schon daran, mich mit diesem Flittchen zu betrügen? Wenn du das tust, lasse ich dich mit den Kindern alleine und verabschiede mich nach Texas." Das ist eine schlechte Drohung. Kinder kann man immerhin im Waisenhaus abschieben. Dort kümmert man sich wenigstens besser um sie, als es manche Eltern tun.

"Irene, keine Sorge. Ich würde dich nie verlassen. Außerdem können sich Nutten heutzutage viel mehr Luxus leisten, als diese schäbige Wohnung, vor allem seit es eine neue Währung gibt. Also ist es eher unwahrscheinlich, dass sie eine Hure ist. Vielleicht hast du einfach zu viele Vorurteile. Die Kinder…die Kinder sind außerdem schon lange ausgezogen und gehen ihren eigenen Weg."

Sie schnaubt so laut wie ein Pferd, sodass ich es bis hierher hören kann.

"Du bist heute mal wieder nett. Ich gebe zu, du hast ein kleines bisschen Recht. Vielleicht sollte ich freundlicher zu ihr sein und sie nicht gleich als Flittchen abstempeln. Gleich morgen Abend, können wir sie besuchen gehen. Oder?" Nein! Ralf, sag nein! Ich will nicht auf nette Nachbarin machen. "Natürlich Schatz. Wir könnten sie auch zum Essen einladen." "Dafür ist es noch zu früh. Erst wenn wir sie besser kennen, sollten wir sie einladen." Ich will aber keine freundschaftlichen Beziehungen knüpfen. Dafür ist es noch zu früh. Lieber gar nicht. Ich habe keine Lust mich mit einer nervigen Nachbarin herum zu schlagen.

Ich begebe mich nach dem interessanten Gespräch ins Bad und beschließe mich zu duschen. Ich schnuppere den Duft meiner Achseln und es graust mir es ein zu gestehen, aber ich trage einen ziemlich starken Geruch an mir. Der penetrante Geruch ist eben die Folge dieser sengenden Hitze. Man kann keinen Schritt mehr tun, ohne einen halben Liter Schweiß zu verlieren.

Ich stelle mich unter die Dusche und drehe das kalte Wasser auf. Eigentlich gibt es nur kaltes Wasser, da dieses moderne Haus keinen Beuler besitzt.

Wenn ich genügend Geld zusammengespart habe, werde ich mir einen Puffer finanzieren. Ich möchte schließlich in den Luxus von warmem Wasser kommen. Es ist das Beste, was es gibt, in der heutigen Welt. Man sieht es ihr gar nicht an, aber alles war einmal zerstört. Nur noch die abgelegenen Orte, wie mein Wohnort, zeugen von der Katastrophe.

Ich stelle den Duschhahn ab und trete aus der Kabine hinaus. Dort wickele ich mich in ein flauschiges, rotes Handtuch ein und suche meinen Kleiderschrank auf.

Ich schließe die Schranktüren auf und richte mein Outfit für morgen auf. Ein einfaches, weißes Nachthemd dient mir als Schlafanzug. Ich lege mich ins Bett. Für eine Bettdecke ist es heute zu warm, weshalb ich ohne sie versuche, einzuschlafen.

Ich kann nicht schlafen. Zwar bin ich todmüde, aber mich quälen zu viele Gedanken. Es gelingt mir einfach nicht die Augen zu schließen und mich der Finsternis zu überlassen. Morgen besorge ich mir Schlaftabletten. Ich bin wohl immer noch abhängig von den Suchtmitteln. Es könnte aber auch an der Hitze liegen. Oder an beidem.

Ich will einfach schlafen. Warum geht das nicht. Wütend schlage ich auf das arme Kissen ein und schreie frustriert auf. Ich will nicht mehr. Ich will doch einfach nur schlafen. Warum kann ich es nicht tun? Ich bin doch so müde.

Irgendwann bin ich randvoll mit Vorwürfen gegen das Schicksal und schlafe wider Erwarten ein.

Schrille Laute dringen an meine Ohren und ich setze mich alarmiert auf. Oh, nur der Wecker. Meine Güte hat er mich erschreckt. Ich atme einmal tief durch und lege mich wieder hin, ohne mich aber dabei der Versuchung des Schlafes hinzugeben.

Mit starrem Blick gen Decke, aus derer an einzelnen Stellen bereits die Dielen nach außen gehen, denke ich über den heute anstehenden Tag nach.

Werde ich es schaffen, freundlich zu lächeln und die Kunden zufrieden zu stellen? Was tue ich, wenn sie etwas über meine Vergangenheit herausfinden. Wie soll ich reagieren, wenn sie es wissen? Was soll ich machen, wenn ich gefeuert werde?

Diese und einige andere Fragen stellen sich mir. Ich bin keineswegs dazu gemacht, nett und hilfsbereit zu sein. Eher das Gegenteil ist der Fall. Den fast ganzen letzten Jahrzehnt war ich damit beschäftigt, egoistisch zu sein und mein Leben zu verteidigen, indem ich andere auf das Übelste beleidigt habe und sogar vor Handgreiflichkeiten nicht zurückgeschreckt bin. Wie kann ich das auf die Schnelle ändern? Gar nicht. Ich muss ein Pokerface aufsetzen und den Job mit Schauspielerei auf höchstem Level meistern. Solange keiner Verdacht schöpft und mich als irre bezeichnet, kann ich unbeschwert leben. Wenn aber jemand Verdacht schöpft, würde es brenzlig für die jeweilige Person. Mach dir keine Gedanken darum, Jody. Es wird alles gut.

Ich versuche mich selbst zu beruhigen, jedoch ist es nicht wirklich produktiv. Ich werde dadurch nur noch hibbeliger, weil ich bestens weiß, dass nichts gut wird. Das Leben war schon immer unfair. Wie soll es dann gut werden? Ich bezweifle, dass sich das Schicksal um jemanden schert. Es lacht dich höchstens aus, wenn du dir etwas von ganzem Herzen wünschst. Eiskalt macht es dir klar, dass es keine Hoffnung gibt für einen so hoffnungslosen Fall wie mich.

Als ich endlich über alle Maßen motiviert aufstehe, blicke ich zuerst einige Zeit meine gestern herausgesuchte Kleidung an. Ich will nicht. Aber ich muss.

Ich betrete den Supermarkt Polak durch den Angestellteneingang und betrete den privaten Raum für die Arbeitnehmer. In diesem befinden sich drei weitere, wovon mir eine bekannt vorkommt. Sie alle begrüßen mich mit einem "Hallo" und ich grüße sie ebenfalls mit einem "Hallo" zurück. "Bist du neu hier?", fragt mich die einzige Brünette im Raum. Die anderen zwei sind anderweitig beschäftigt. Wie zum Beispiel mit dem Sprühen von Taft in ihre bereits betonierten Mähnen. Nicht, dass ein einzelnes Härchen ihre Frisur zerstört. Das können sie auf keinen Fall verantworten.

"Ja", antworte ich knapp. Ich will nicht mit ihr reden. Sie ist zu nett. "Ginger, lass sie doch einfach in Ruhe. Man sieht ihr an, dass sie genervt von dir ist." Eine Blondine unterbricht die Brünette, als sie gerade etwas sagen möchte. Sie hat eine piepsige Stimme und der Blick, den sie mir zuwirft ist absolut tödlich. "Nein. Nein, ich habe nichts dagegen mit Ginger zu sprechen." Mein Versuch ihre Worte zu widerlegen ist erfolgreich und Ginger spricht weiter. "Wie heißt du? Meinen Namen kennst du anscheinend schon." "Jody." Sie lächelt. "Schöner Name. Meine Mutter hat auch so geheißen. Ein wundervoller Name. Schade, dass ich nur Ginger heiße. Ein langweiliger Name." Naja. Meine Eltern haben mich so genannt, da ich ein absolutes hassenswertes Baby war. Eine Verwandte, die sie nicht gemocht haben, heißt oder hieß genauso. Das waren die Gründe, warum ich so heiße, wie ich heiße.

Ginger stellt mir die anderen zwei als Hannah und Diana vor. Die beiden seien schrecklich selbstverliebt, flüstert sie mir in einem Moment zu, wo sie abgelenkt sind und uns nicht zuhören.

Das kann ja heiter bis tödlich werden. Hoffentlich überlebe ich den Tag.

 

Mitten im Leben (überarbeitet)

 

Die Arbeit besteht neben dem Einräumen von Lebensmitteln und Hygieneprodukten aus der Beratung der Kunden. Die meisten Kunden sind die reinsten Plagen! Haben sie nichts Besseres zu tun, als arme Arbeiter mit ihrem dummen Geschwätz zu langweilen? Was interessiert es einem, ob die Katze gestorben ist? Oder, ob das Kind krank ist und sich fünf Mal am Tag übergibt? Keinem! Vor allem nicht mir! Fast hätte ich einen alten Mann angeschrien, weil er in meinem Arsch gekniffen hat. Aber eben nur beinahe. Wären die prüfenden Blicke meines Chefs nicht, wäre ich schon längst ausgerastet. So nahe an meiner Beherrschungsgrenze war ich schon lange nicht mehr. Der senile Mann wird rücksichtslos weggeschubst und ich räume weiter Cornflakes-Schachteln ein.

"Können Sie mir helfen? Ich weiß nicht welche Cornflakes ich nehmen soll. Meine Mutter möchte, dass ich abnehme, deshalb darf ich nur noch gesunde Cornflakes essen. Wissen Sie vielleicht, was hier gesund ist?" Ein kleines, dickliches Mädchen steht hinter mir und hat einen fragenden Blick aufgesetzt.

Ich lächele, als ich wieder einem prüfenden Blick unterzogen werde. Genau wie in der Klinik, nur tausendmal schlimmer.

"Kleines, wenn du gesunde Cornflakes möchtest, das Abführmittel ist gleich um die Ecke. Kurz zusammengefasst: Iss weniger. Außerdem, um deine Frage zu beantworten, gibt es nirgends auf der Welt gesunde Cornflakes. Wie kann man so bescheuert sein und nicht wissen, dass darin Tonnen von Zucker verarbeitet sind. Ein Löffel von diesem Nahrungsmittel ist der tägliche Essensbedarf einer Magersüchtigen." Wow! Wenn ich in Rage bin, werde ich ja noch richtig gesprächig. Mein Chef hat von meinem kleinen Wutausbruch glücklicherweise nichts mitbekommen und das fette Kind stürmt mit Tränen aus dem Supermarkt. Perfekt. Mein Chef kann von mir aus dort hingehen, wo der Pfeffer wächst. Mich kümmert es nicht, solange ich in Ruhe gelassen werde.

Wieder stabil in meiner pessimistischen Gefühlslage, fange ich an, leere Verpackungen einzusammeln und in dem Container vor der Filiale zu werfen. Aggressiv schmettere und zerreiße ich die Schachteln, ein großartiges Mittel, um seine Wut auszuleben. Ich schreie vor Schreck auf, als mich jemand an der Schulter antippt. Ich drehe mich um meine eigene Achse und sehe Ginger hinter mir. "Was machst du hier?" Etwas ratlos sehe ich zur Seite. "Ja, ich verstehe dieses Spektakel. Es ist auch eine meiner Lieblingsbeschäftigungen hier. Wenn man fertig ist, mit dieser Arbeit, hat man ein Gefühl von Freiheit. Adrenalin rauscht durch dein Blut, man atmet schneller und ist danach wieder ruhig und ausgeglichen. „Okay, ich bin nicht die einzige Verrückte hier. Ich nicke und wir werfen nun gemeinsam Pappkisten in den Container. Gut, dass wir uns im Hinterhof befinden und so unsere Schreie der Ekstase nicht gehört werden.

Im Inneren des Supermarkts blicke ich auf die Uhr. Noch zwei Stunden. "Hey, Jody. Jetzt sind gerade nicht so viele Leute da. Ich soll dir vom Chef aus erklären, wie man die Kasse bedient. Anscheinend vertraut er dir. Folge mir." Diana, eine der beiden Blondinen, winkt mich mit dem Zeigefinger zu sich. Überaus freundlich. Ich bin doch nicht ihr Hund. Trotzdem gehe ich ihr nach, zum Kassenbereich. An Kasse 3 soll ich mich auf den Stuhl setzen und Diana legt Lebensmittel auf die Fahrbahn.

Gelangweilt lasse ich die Produkte auf dem Fließband zu mir fahren und scanne sie an der Markierung ab. Irgendwie eine monotone, langweilige Arbeit. Fast erleichtert, verlange ich die zu bezahlende Summe von ihr und sie gibt mir die Scheine. Natürlich ist alles Trug und Schein. Als ich doch einige Schwierigkeiten mit dem Tippen an der Kasse habe, da ich den benötigten Pin nicht weiß, sehe ich sie ratlos an. "Hey, du blöde Dreckshure! Gib mir das Restgeld oder du wirst es bereuen", schreit sie mich an. Einige Kunden drehen sich daher zu uns um, dennoch wenden sie sich nach einiger Zeit wieder ihren Einkäufen zu, als es sie nicht mehr interessiert. Ignorante Menschen! "Du Schlampe, ich schieße dich nieder, dann lasse ich dich hier verrotten und verfüttere dich anschließend als Kuchen für kleine Kinder!" Jetzt wird es ein bisschen abwegig. Wer von uns ist denn hier nicht normal?! Die gehört definitiv in die Anstalt. Ich könnte ja eine Empfehlung schreiben. Oh ja, Rache ist süß! "Warum sollte ich dir nach deinem Beleidigungsmarathon das Geld zurückgeben? Es ist schon mal eine Anzahlung auf emotionales Schmerzgeld!" Diese Worte stammen von einem - damals - berühmten Politiker. Sein Name ist mir egal. Ich weiß nur, dass er schon tot ist. „Was ist denn hier los? Einige Kunden haben sich wegen des Lärms beschwert. Ich kann die Beschwerden nachvollziehen, da ich eure überaus intelligente Konversation teilweise mitgehört habe." „Ich kann das erklären. Jody, sie wollte unbedingt an die Kasse." Oh ja, ich hatte das dringende Verlangen diesen erbärmlichen Laden zu bestehlen. Ein Supermarkt von vielen. Es würde keinen Unterschied machen, ob ich gefeuert werden würde, da es noch viele andere Läden gibt, die mir das Gleiche bieten können wie Polak. „Dann hat sie mich als Hure beschimpft! Wie soll ich mich anders, als mit Schimpfwörtern wehren?“ Sie blickt Erik mit großen, unschuldigen Hundeaugen an. „Es tut mir leid. Ich kann mir deine Lügen nicht länger anhören. Die Schallwellen treffen auf ein überreiztes Trommelfell. Meine Schwester kann das sicherlich verzeihen. Du bist gefeuert, Diana! Nach der Schicht kommst du bitte in mein Büro!" Sie reißt ihr T-Shirt vom Leib und wirft es mit einem lauten Schrei zu Boden. „Du kannst mich mal, Erik! Erst fickst du mich und dann lässt du mich einfach eiskalt fallen, obwohl ich bereits im dritten Monat bin!" Sie stürzt kopfüber aus dem Laden und Erik blickt ihr geschockt nach. „Wusstest du, dass sie schwanger ist?" Wie soll ich denn das wissen? „Nein, ich bin neu. In ein paar Stunden erfährt man wohl kaum die ganzen Geheimnisse der Schichtarbeiter." Er sieht mich wütend an. „Ich bin immer noch dein Chef, also sprich mit Respekt zu mir!" Okay, definitiv eine Nummer für sich. „Ruf sie in zwei Stunden an und sie verzeiht dir. Dann hat sie nämlich wieder eine andere Stimmung. Ich hoffe für dich eine Gute." Schön einschleimen, nicht, dass er dich auch noch feuert. Ich halte mindestens ein Jahr durch. Ein Schwur, den man mit einem Ehrenkodex vergleichen kann. Mein Eid.

 

Eine unbeschreiblich tragische Liebesgeschichte, die sich da zwischen den Beiden abspielt. Es verläuft nie gut, wenn der Boss und eine Angestellte sich näher als nah kommen. Es ist einfach so. Eines der Dinge, die man eben akzeptieren muss.

Erik stampft, wütend wie ein trotziges Kind, in sein Büro und wird sich wahrscheinlich für zwei oder mehr Tage darin verschanzen. Gut, dass ich nicht überfürsorglich bin und mit gutem Gewissens später heimgehen kann.

Nun sitze ich hier an der Kasse und sehe einer endlosen Warteschlange entgegen. Keiner da, der mir hilft. Diana ist weg und Hannah sonst wo. Der Chef ist in einer Trauerphase. Ich muss ganz alleine eine wütende Menschenmenge bedienen. Grimmig sieht mich ein älterer Herr an und wartet darauf, dass ich kassiere. Sofort erledige ich das Geforderte und kümmere nicht um das Weitere.

Noch eine knappe Stunde Arbeitszeit bleibt übrig und ich stöhne entnervt auf. Zu zweit ist es nicht gerade einfach einen großen Laden zu führen. Normalerweise wären laut Plan noch drei andere Mitarbeiter in der Schicht eingeteilt, jedoch befinden sich alle im Krankenzustand. Das heißt so viel wie, dass sie die letzte Nacht durchgemacht haben. Ich räume die Süßigkeiten-Regale ein und beobachte Hannah dabei, wie sie aus dem Kühlraum kommt.

"Wo ist Diana schon wieder? Schwänzt sie etwa? Nächstes Mal kann sie dann die ganze Arbeit erledigen!" Ich fühle mich nicht angesprochen, sodass ich mit meinem Job fortfahre. "Jody, das war eine indirekte Frage! Antworte mir!" Sind denn alle hier so unfreundlich? "Sie wurde von Erik höchstpersönlich gefeuert." Sie greift sich theatralisch ans Herz und sagt: „Ach, du meine Güte, ich werde sie so vermissen. Nicht!"

Endlich ist Schicht im Schacht und ich begebe mich in die Umkleide. Dort ziehe ich mir wieder meine alten Klamotten an und verlasse den Laden durch den Hintereingang. Mein erster Arbeitstag war wenigstens ein wenig mit Spannung gepickt und keiner hat Fragen an mich über mich gestellt. Ein gutes Omen für die Zukunft.

Daheim werde ich erneut Zeugin einer Diskussion zwischen Ralf und Irene, als ich, wie gestern, am Balkon sitze. „Hast du schon gehört? Meine Großcousine ist wegen der Verrückten da oben gefeuert worden! Ich wusste es! Sie trägt die alleinige Schuld. Diana ist so ein liebes und hübsches Mädchen, sie würde niemanden etwas zu Leide tun. Und nur wegen dieser Jody wurde sie gefeuert!" Aber weiß sie denn gar nicht, dass Diana eine Affäre mit ihrem Chef hatte? Ja, so unschuldig, wie eine Jungfrau. Nur eben mit der Tatsache verbunden, dass sie keine Jungfrau mehr ist.

„Da kann ich dir leider nicht zustimmen. Diana ist ein verschlagenes Biest. Sie wollte mir unverbindlichen Sex andrehen. Ihrer Meinung nach gäbe es ihr einen Kick, mit einem Verwandten zu schlafen. Sie besitzt keinen Funken Ehre, meiner Meinung nach." Wenn er wüsste, wie recht er damit hat. "Das erscheint mir wenig glaubhaft, Ralf. Mein Mädchen ist keine Hure, die sich von Bett zu Bett wälzt. Außerdem, wer möchte mit einem Alten wie dir schon Sex haben?" Uh, das war ein Schlag unter die Gürtellinie.

"Das war jetzt definitiv unterstes Niveau, Irene! Es war vor fünf Jahren, da hatte ich auch noch mehr Haare und zehn Kilo weniger auf den Rippen. Vielleicht aber wollte sie dich damit verletzten, weil du ihr lediglich kleine Präsente kaufst. Du begründest es damit, dass sie ihr eigenes Geld verdient und nun selber einkaufen kann. Sie glaubt aber nur, dass du ein extremer Geizhals bist." „Kann sein, dass ich seit einiger Zeit ziemlich sparsam lebe, aber wir brauchen nun mal das Geld zum Leben. Rente ist nicht mehr das, was es einmal war!" Interessant. „Genau das versteht sie nicht. Sie lebt in ihrer eigenen Traumwelt. Sie wird sich nie um uns sorgen, falls wir senil und dement werden." Fünf Minuten herrscht eine angespannte Atmosphäre, die vermutlich die bedrückte Stimmung zwischen dem Ehepaar ausdrückt. "Ralf! Du weißt, dass ich die Wahrheit sage!" Ein höhnisches Lachen ertönt von unten. "Ah ja? Du schnatterst höchstens das dumme Gerede deiner Verwandtschaft nach. Die war dir sowieso immer schon lieber als dein eigener Ehemann." "Ralf, wie kannst du nur so etwas behaupten? Wir sind mittlerweile zwanzig Jahre verheiratet und immer bist du auf der Gegner-Seite. Ein bisschen Unterstützung wäre wirklich nicht schlecht." Er schnaubt. "Bist du noch bei Sinnen? Du glaubst deiner Hure von Großcousine und bist immer noch für ihre verlogene Persönlichkeit? Ich sage dir mal was, Irene: Schlaf zuerst eine Nacht über die Geschehnisse und lasse dir alles noch mal durch den Kopf gehen. Wenn du immer noch nicht die Realität begreifst, kann ich dir auch nicht mehr helfen. Dann schließen wir einfach das Thema ab und kümmern uns um unser eigenes Leben." Wieder herrscht einige Zeit eine beunruhigende Stille, jedenfalls für die unter mir, während ich nur gespannt auf die nächsten Worte lausche. Das Gezanke der Alten ist eindeutig besser als alle Reality-Shows miteinander. Dass man das einmal hautnah miterleben darf.

Gedankenverloren blicke ich der untergehenden, purpurroten Sonne zu, bis mich die schrille Stimme von Irene wieder in die Realität zurückholt. „Okay, möglicherweise hast du Recht. Vielleicht ist an deiner Geschichte wirklich ein kleiner Funken Wahrheit dran. Vielleicht hast du sogar recht. Nun gut, ich stimme dir zu!" Schwere Schritte deuten darauf hin, dass sich die Beiden hineinbegeben, woraufhin ich auch meinen Platz bis morgen Abend verlassen werde.

Es folgt die nächtliche Routine vor dem zu-Bett-gehen, bevor ich mich müde in das weiche Lager kuschele. Der Tag hat mir wider Erwarten doch einige Mühen abverlangt. Einmal abgesehen von meinen strapazierten Nerven musste ich mir noch das dramatische Rumgeheule meines Bosses in den letzten zehn Minuten Arbeitszeit anhören. Hoffentlich wird der Job morgen entspannender, schließlich muss ich meine Kräfte sparen. Ich habe das Gefühl, dass ich sie in nächster Zeit dringend brauchen werde.

Der Wecker lässt mich ruckartig aufsetzen und wach werden. Ich stelle mich auf meine noch wackeligen Beine, da sie immer noch nicht genug Muskeln besitzen, um mich, mehr schlecht als recht, aufrecht zu halten. Anscheinend sollte ich mehr essen. Aber ich habe keinen Hunger. Nachdem ich mich umgezogen habe und meine Hexenhaare mit einem Kamm entwirrt habe, gehe ich in die Küche. Dort greife ich nach einen Apfel und einem Wasser inklusive Glas. Ich setze mich auf den linken Küchenstuhl und stelle die Lebensmittel und das Trinkgefäß vor meine Nase. Ich muss es schaffen. 

Mutig stürze ich ein Glas Wasser hinunter, bevor ich einmal vom Apfel abbeiße. Schnell kaue ich das kleine Stück und schlucke es hinunter. Das wiederhole ich bis vom Apfel nur noch das Kerngehäuse übrig ist. Nun muss der Apfel nur noch im Magen bleiben. Für die Arbeit schmiere ich mir ein Butterbrot mit Himbeermarmelade und gieße heißen Kaffee in eine Thermoskanne. Das sollte für den Anfang genügen. In der Garage werfe ich meinen vollgepackten Rucksack auf die hintere Sitzfläche des Autos. Anschließend mache ich mich mit meinem VW-Käfer auf den Weg zu meiner zweiten Frühschicht.

"Hallo Jody", werde ich schon nett begrüßt von Hannah. "Morgen", erwidere ich so freundlich wie es mir eben möglich ist. Sie kann von mir aus hinter meinem Rücken abkratzen. Sie nervt einfach nur mit ihrem vierundzwanzig Stunden Lächeln, dass die tausendfache Menge an Strahlung nach dem Reaktorausfall von Tschernobyl aufweist. "In einer Stunde kommt Rebecca, eine Teilzeit-Arbeitskraft, da sie drei Kinder zuhause hegen und pflegen muss. Wirklich süße Kinder. Die haben solche niedlichen Pausbäckchen. Uiiiii." Während sie das sagt, kneift sie mir in die eingefallenen Wangen. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass mir so ein Verhalten gefällt, wenn es mit Schmerzen verbunden ist. Sie zieht so fest an meiner Haut, dass ich beinahe um mein Gesicht fürchte. „Könntest du mich bitte loslassen?" Ein unüberhörbarer Befehl, der ausdrückt, dass mir ihre Behandlung zuwider ist. Natürlich ist sie auch nur ein ignoranter Mensch, wie der Rest der Menschheit, böse Menschen ausgeschlossen. Ich reiße mich von ihr los und reibe die schmerzhaften Stellen meiner Wangen. Wie gerne würde ich ein Messer nehmen und damit ihr Gesicht durchbohren. Der Schmerz könnte man mit meinen vergleichen.

„Was fehlt dir denn? Geht es dir nicht gut?" Ist das eine ernst gemeinte Frage? Sind denn hier alle verrückt in diesem Laden. Mir kommt es so vor, als hätte sich die Menschheit in den letzten Jahren, während ich eingesperrt war, ziemlich ins Wirre verändert. „Nein", antworte ich schlicht. Sie kann mir mal den Buckel runter rutschen mit ihrer geschauspielerten Sorge. Ich ziehe mir schnell den grünen, dünnen Arbeitsoverall an und gehe aus dem Raum. Hauptsache schnell weg von ihr. Da ist mir Diana noch lieber, als diese sonderbare Frau.

Ich erkläre gerade einem Alkoholiker, wo sich die Bierpaletten befinden, als mich jemand antippt. Ich entschuldige mich kurz für die Unterbrechung beim Kunden und drehe mich dann um. Hinter mir steht eine riesige Frau mit pink gefärbtem Haar. Am Overall kann ich erkennen, dass sie, ebenfalls wie ich, hier arbeitet. „Hallo! Ich bin Rebecca. Du bist sicherlich Jody. Hannah hat mir schon von dir erzählt. Ich gehe dann mal wieder, denn ich wollte mich eigentlich nur vorstellen. Du weißt schon, wegen der Höflichkeit wegen." Ich nicke knapp und sie biegt um das nächste Regal. Der Alkoholiker, welcher mich nach einer der beliebtesten Biersorten gefragt hat, wird von mir angewiesen, einmal rechts um die Ecke zu gehen, worauf er mir nur ein kurzes "Danke" hinterlässt. Er sieht dabei wie ein Pinguin aus. Er watschelt so schnell zu den Bierkästen und kommt dennoch kaum voran. Manchmal muss er sich sogar abstützen, um nicht umzufallen. Wie ein Kreisel ohne Antrieb. Nun ja, der Job wartet.

Nein! "Verflucht!" Laut fluchend betrachte ich die Wunde an meinem Finger. Heute Nachmittag ist eine Lieferung für Polak angekommen. Seitdem bin ich mit dem Ausräumen der Ware beschäftigt. Ein nicht ganz sicheres Unterfangen, wie ich schmerzlich festgestellt habe. Heute ist das erste Mal, dass ich das Kartonmesser benutzt habe. Und siehe da, sieben Schnitte zieren meine Hände. Ein Tiefer läuft längst meines Daumens und schmerzt fürchterlich. Ich gehe schnellen Schrittes in die Arbeiterkammer und durchwühle alle Schränke nach dem Heftpflaster. Als meine Suche erfolglos endet, spüle ich meine Wunden mit Wasser und Desinfektionsmittel aus. Mit Zewa umstülpe ich die schlimmste Verletzung und trete aus dem Raum. Hoffentlich sieht keiner das weiße Zewa! Gut, dass sich der Chef heute Urlaub genommen hat, somit ist eine Schimpftirade schon mal ausgeschlossen. Vorsichtig sehe mich im Laden um. Rebecca sitzt an der Kasse und kassiert die Kunden. Ginger und Hannah sind nirgends zu entdecken. Ich gehe zu Rebecca und frage sie nach ihnen. "Sie sind heute nicht eingeteilt. Warum fragst du?" Ich zucke nur mit den Schultern als Antwort und gehe zurück zu meiner derzeitigen Arbeitsstelle.

Wo sind denn die Minions? Ich habe überall gesucht, jedoch keine gelben Schachteln, die kennzeichnend für die Marke sind, gefunden. Die Süßigkeiten sind äußerst beliebt bei den Kindern wie ich festgestellt habe, da sie mich schon öfters nach dieser Ware gefragt haben, ich es jedoch nicht wusste, wo sie sich befindet. Es ist mir jedenfalls gleich, da ich mich grundlegend nicht dafür interessiere, obwohl unzufriedene Kunden das Resultat sind. Die Schuld kann ich im Notfall immer noch dem Chef zuschieben und diese Art von Kunden nerven mich nie wieder. Die gelben Minions schmecken wie getrockneter Kaugummi und sehen auch so aus. Ihre Gestalt ist runzelig und die Oberfläche vertrocknet. Angeblich ein wahrer Genuss für den Gaumen, was ich aber nicht wirklich glauben kann. Lieber esse ich da den halb verschimmelten Apfel in der Anstalt, als dieses Ding überhaupt auf die Zunge zu legen. Pfui. „Rebecca! Ich finde den Platz für die Minions nicht! Weißt du, wo sie sind?“ Schlussendlich bleibt mir dennoch nichts anders übrig, als sie zu fragen. Einige Kunden betrachten mich schon mit abschätzigen Blicken, da sie meinen, ich sei neu hier. Zwar haben sie in gewisser Weise recht, aber ich kann es nicht übers Herz bringen, mir das einzugestehen. Dafür ist mein Ego zu groß und mir mein Stolz im Weg. Zugegeben, andere würden für ihre Fehler auch nicht geradestehen. Entweder sie schieben es auf andere oder begehen Selbstmord. So ist das Leben. Die, die sich jedoch durchs Leben kämpfen, befinden sich mitten im Leben.

„Unterste Reihe, ganz links“, ruft sie mir als Antwort zurück. Damit kann ich leben. Tatsächlich finde ich die Minions, trotz anfänglicher Schwierigkeiten. Verwundert stelle ich fest, dass sich nichts mehr in der alten Packung befindet. Es kommen täglich um die zweihundert Menschen herein und es stehen jeweils zwei Packungen für eine Woche im Vorrat hier. Das heißt, eine Schachtel mit etwa 50 Packungen reicht für zweieinhalb Wochen. Abgesehen, dass umgerechnet 75 Prozent der Kunden aus altersschwachen Menschen bestehen, die keine Minions mögen, bleiben noch 50 Kunden pro Tag, die Minions kaufen könnten. Unwahrscheinlich, dass ernährungsbewusste Leute und Menschen mit Komplexen, solche Süßwaren erwerben, ist nur noch der kleine Rest von zwanzig Personen übrig. Eigentlich müssten am Ende noch ein paar einzelne, vereinsamte Packungen in der Schachtel übrigbleiben.

Scheinbar sind die kleinen Kinder so verfressen, dass es ihnen egal ist, wie ihnen das Geld abgeluchst wird. Arme Kinder! Mein Ernst! Sie sind zu dumm, um zu bemerken, dass sie die wichtigste Einnahmequelle sind. Das Geld sitzt locker in der Hosentasche, dass wissen sowohl die Werbestrategen, als auch die Hersteller. Irgendwann werden sie merken, dass nichts umsonst ist und bereuen es, dass wichtige Geld für solchen Unsinn ausgegeben zu haben.

Ich war nicht so, wie andere Kinder. Ich bin kalt gewesen. Mir ist nie warm ums Herz geworden, als ich den Anblick von Süßigkeiten genießen durfte. Meine Familie hat zwar viel Geld besessen, aber war zu geizig gewesen, sich um die Wünsche ihres Kindes zu kümmern. Es ist ihnen egal gewesen, so wie mir im Anschluss. Es hat mir nichts mehr ausgemacht und ich bin durch sie abgehärtet worden. Ich beschwere mich nicht über meine tragische und traurige Kindheit, schließlich ist sie vorbei und ich werde sie nie wieder erleben. Ich würde sie auch nicht wieder erleben wollen, schließlich habe ich sie nie gemocht. Schuld daran sind allein meine Eltern.

 

Die restlichen Kartons sind nach drei Stunden alle weggeräumt, woraufhin ich auf meine Armbanduhr blicke. Fünf Minuten vor vier Uhr. Zum Umziehen brauche ich mindestens drei Minuten. Ich denke, dass ich aufhören kann für heute, denn die Zeit die ich zum Hin - und Hergehen benötige, füllt die restliche Zeit.

„Rebecca. Ciao, ich gehe dann mal.“ Höflich verabschiede ich mich – mit einem aufgesetzten Lächeln - von der großen Nervensäge. Trotz, dass sie mir jederzeit hilft, kann ich ihren Anblick nicht ertragen. Ihre schrille Stimme dazu, nervt lediglich.

Mit meinen VW-Käfer biege ich aus der Ausfahrt aus und mache mich schnurstracks auf den Weg zu meiner Wohnung. Vielleicht sollte ich mir eine andere suchen. Eine Überlegung wäre es wert. Nein! Es wäre zu auffällig. Nicht, dass sie denken, dass ich wieder instabil wäre. Sofort würde ich wieder in der achten Klinik landen. Nein! Ich kann und darf nicht! Außerdem habe ich mich an den lauten Gesprächen von Ralf und Irene gewöhnt. Wie würde ich sonst die freie Zeit am Abend überbrücken, wenn ich nicht den Gerüchten lauschen könnte?

Mit einem bekannten Ruck komme ich in der Garage zum Stehen und steige aus. Die Tasche von der Rückbank holend, steige ich die Treppe zu meiner Wohnung hinauf.

Als ich in der Küche gerade Pfirsiche, Bananen und Äpfel für einen Obstsalat zerschneide, klopft es an der Tür. Ich öffne diese und blicke in die Gesichter von Ralf und Irene. Die beiden lächeln mich gekünstelt an und fragen, ob ich in einer Stunde zum Abendessen kommen will. Ich denke an den halb fertigen Obstsalat, der in meiner Küche steht und weiß nicht, was ich antworten soll. In meinen Magen haben auf keinen Fall zwei Abendessen Platz. Am besten ich kühle ihn und esse ihn morgen. Ja, das ist eine gute Lösung. „Ja, gerne“, schleime ich mich ein. Sie sollten nicht denken, dass ich etwas Besseres zu tun hätte, als einem alten Ehepaar beim Essen zuzusehen.

Ich räume mein Essen und das Geschirr in den Gefrierschrank, beziehungsweise in den Geschirrspüler, bevor ich unter die Dusche gehe und mich dem lauwarmen Wasser hingebe. Nach einigen Minuten drehe ich den Wasserhahn zu und kleide mich ein. Die Haare kann ich nicht föhnen, da ich noch keinen Föhn besitze. Ich sollte mir unbedingt einen besorgen, da ich sonst immer mit meinen nassen Haaren mein Oberteil, wie einen Wischmopp, einweiche. Deshalb beschließe ich auch, meine Haare zu flechten. Das dürfte mein T-Shirt nicht allzu einnässen.

Meine Handknöchel berühren fünfmal die helle Buchentür meiner wundervollen Nachbarn, die ein Stockwerk unter mir wohnen. Gleich beim Öffnen der Tür begrüßen sie mich herzlich und sagen, dass sie sich über mein Kommen freuen. Seit wann sind wir denn so freundlich zueinander? Das wäre mir ja was ganz was Neues. Ich sehe über die Oberflächlichkeit hinweg und nehme auf dem angebotenen Stuhl Platz.

„Schön siehst du aus“, macht mir Irene ein Kompliment. „Ebenfalls Frau…“, erwidere ich. „Ach, wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt. Verzeih mir, manchmal bin ich echt dusselig! Ich bin Irene Tule und das ist mein Mann Ralf Tule. Und wie heiß du? Es ist dir doch Recht, dass wir uns duzen, oder? Ich möchte dir schließlich nicht zu nahetreten.“

Du bist mir bereits mit deiner aufdringlichen Art zu nahegegangen. „Nein, du kannst mich ruhig duzen. Mein Name ist Jody.“

Sie sieht mich erwartungsvoll an, als würde sie meinen, ich erzähle weiter über mein Leben, aber da muss ich sie leider enttäuschen. Ich bin nicht von der Gattung homo sapiens sciens, die immer alles über ihr Leben preisgeben möchten.

„Und wie schmeckt dir der Braten? Es ist das Rezept meiner Großmutter Roswitha. Eine exzellente Köchin. Schade, dass sie mir nicht ihre Begabung in Sachen Kochen weitergegeben hat, sondern ich die meines Vaters geerbt habe. Kurz gesagt, ich habe überhaupt keine.“ Sie hat Recht. Ich werde wohl oder übel die nächsten Nachbarschaftstreffen streichen müssen. Ich bin nicht im Stande meinem Magen, dass zumuten zu können. Der Knödel ist weich wie Sahne und besitzt eine schmierige Substanz in der Mitte. Einmal mit der Gabel leicht berührt, ist er auseinandergefallen, wie ein Ei, das auf den Boden gefallen ist. Die Sauce ist zu sauer, um nur einen Löffel in den Mund nehmen zu können und der Braten, übrigens Rehfleisch, sieht mich mitleidserregend an. Eine schwarze Oberfläche ziert ihn und ich würde ihn am liebsten in den nächsten Abfalleimer schmeißen.

„Wirklich sehr gut. Ich liebe dieses Rezept!“ Pass auf, Jody! Nicht, dass du auf deiner eigenen Schleimspur ausrutschst.

„Danke. Ich werde noch ganz rot vor Verlegenheit. Bisher haben nur meine Familie und meine Freunde den Braten in den Himmel gelobt. Du bist die erste Fremde, die ihn gekostet hat. Sicherlich werden wir auch noch gute Freunde“, sagt sie lächelnd. So viel, wie ich bereits von ihr weiß, würde sie es nicht für gut empfinden, wenn jemand ihre Kochkünste kritisiert. Er oder sie würde auf dem Meer ausgesetzt werden und von hungrigen Haien verspeist werden.

Nach zwei Stunden geradem Sitzen und höflichen Einschleimen, verabschiede ich mich und gehe eine Etage höher zu meiner Wohnung. Endlich zurück! Fast hätte ich gedacht, ausflippen zu müssen, bei den sinnlosen Gesprächen, dich ich mit Ralf und Irene geführt habe. Meistens war Irene am Wort und Ralf hockte gelangweilt auf seinen Stuhl. Ja, es ist blöd, nur das fünfte Rad am Wagen zu sein. Diese Erfahrungen habe ich bei meinen so genannten Freunden in der Anstalt auch gemacht. Aber, das ist nichts Neues für mich, im Gegensatz zu Ralf. Er hat direkt darunter gelitten.

Ich ziehe mir wie jeden Abend den Stuhl auf den Balkon, um dem täglichen Gespräch zwischen dem alten Ehepaar lauschen zu können. Es ist ganz interessant zu erfahren, was sie über mich denken. Ich muss auch nicht lange warten und kann dem Geplänkel lauschen. Es ist auf jeden Fall besser, als eine langweilige Liebesgeschichte oder einen Thriller, mit dem Gärtner als Mörder, zu lesen.

„Sie ist ja doch ganz nett, nicht Ralf?“ Ich kann mir genau vorstellen, wie sie eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen in die Höhe hebt. „Ja, ganz okay. Meiner Meinung nach hat sie sich nur bei dir eingeschleimt, um gut da zu stehen. Dein Braten war, wie soll ich sagen, nicht besonders gut. Zwar konnte man ihn essen, aber er hatte einen etwas faden Geschmack. Ein Wunder, dass sie ihn hinuntergewürgt hat.“

Irene gibt ein lautes Schnauben von sich und die Hängematte, in der sie ihre abendlichen Gespräche haben, gibt ein Quietschen von sich.

„Ach, was! Sie hat mit wahrem Genuss das Gericht verspeist. Hast du nicht denn zufriedenen Ausdruck in ihrem Gesicht gesehen?“ Sie braucht eindeutig eine Brille. Mir war schlecht, als ich den zweiten Bissen von der Mahlzeit genommen habe. „Dennoch muss ich dir zustimmen, heute war wirklich nicht der perfekte Braten am Tisch. Ich selbst habe Probleme gehabt, nur ein Stück von ihm zu essen. Aber ich wollte in der Gegenwart eines Gastes nicht mein eigenes Essen hinunterziehen.“ Aha. Ich hätte also nicht den Tagesbedarf an Kalorien in einer Stunde verspeisen müssen, um ihr zu gefallen. Hätte ich doch das nur früher gewusst, ich hätte alles wieder ausgekotzt.

 

Was ist nur aus dir geworden, Jody! Ich habe doch immer die Wahrheit gesagt und nun bin ich dem Anschein nach zur Lügnerin mutiert. Keine gute Wandlung, aber meine Güte! Ich tue nur, was notwendig ist, um mein Leben so komfortabel zu gestalten, wie möglich. „Eine zufriedene Jody, eine zufriedene Welt“, lautet meine Devise.

„Du hast es eingesehen, welch ein Wunder! Und ich habe gedacht, eine blinde Frau geehelicht zu haben.“ „Ralf, du Charmeur. Wie nett du doch immer zu mir bist. Wir wissen doch beide, dass du sonst keine andere Frau wolltest oder gar bekommen hättest. Ich war die Eine für dich, wie du der Eine für mich warst!“ Uh, mir kommen gleich die Tränen. Ein Liebesschwur! Als wäre Liebe beständig. Früher oder später hat er sie oder sie ihn bestimmt betrogen. Das schwöre ich bei dem Glauben an Gott.

„Wie soll ich sagen? Ich war schon immer ehrlich, aber auf meine eigene verschrobene Art und Weise. Keiner kann mir etwas von Ehrlichkeit erzählen, da bestimmt jeder einmal im Leben gelogen hat. Die meisten beherrschen das Lügen zauberhaft, während manche daran zu Grunde gehen. Ich dagegen verlasse mich auf die gute, alte Wahrheit, die lässt einem - wenigstens im Notfall - nicht im Stich.“ „Ralf, du denkst aber heute wieder, wie ein Philosoph. Du könntest ein Buch über deine Gedanken führen. Schade nur, dass sich sonst keiner dafür interessieren wird. Nun ja. Wir werden sehen, schließlich haben Lügen kurze Beine. Ob Jody so ist, wie sie vorgibt zu sein oder nicht.“

„Wir sollten Jody noch öfters zum Abendessen einladen. Sie vereinsamt ja geradezu in ihrer Wohnung. Ein bisschen Gesellschaft tut jedem gut, nicht wahr?“ „Ja, das ist wahr. Wie wäre es nächste Woche Mittwoch? Ich glaube ich würde Jägerschnitzel mit Kräuterbutter machen. Das ist wenigstens einigermaßen akzeptabel im Geschmack.“ „Ja Schatz, mach das. Ich liebe deine Jägerschnitzel. Einfach köstlich. Mir läuft nun schon das Wasser im Mund zusammen und das bloß beim Gedanken an diese“, übertreibt Ralf. Ich höre ein lautes Klatschen von unten. „Au, meine arme Schulter. Irene, muss ich dir den Arsch versohlen?“ Sie lacht und rennt so schnell, wie sie kann – als Siebzigjährige - ins Hausinnere.

 

Am besten ich ziehe mich schnell zurück, bevor sie noch bemerken, dass ich ihnen zugehört habe. Bei dem darauffolgenden Versohlen möchte ich auch nicht zuhören. Das wäre mir zu wider.

 

Nach meiner täglichen Dusche liege ich im Nachthemd im Bett und starre die Wand an. Eigentlich wie immer weiß ich nicht, was ich tun sollte. Morgen ist ein Tag, wie die anderen zuvor. Eintönig werde ich meine Routine in der Arbeit verrichten, die aus Schachteln einräumen, Schachteln ausräumen und das Geld von den Kunden kassieren. Langsam wird es langweilig, aber ich werde sehen. Vor Müdigkeit fallen meine Lider zu und ich schlafe ein.

 

„Kind, komm her! Wie konntest du nur unseren kleinen Jungen umbringen! Es war unser geliebter Sohn! Dein Bruder!“ Ich sehe traurig zu Boden und Tränen der Verzweiflung laufen über meine Wangen. Die Blitze sind einfach aus meinen Fingerkuppen herausgetreten. Ich habe sie nicht unter Kontrolle gehabt, sie waren einfach zu stark. Blaue Blitze haben meinen Bruder überall am Körper getroffen, er ist die perfekte Zielscheibe für die energiereichen Blitze gewesen. Ich habe meine Hände nicht von ihm abwenden können, bevor nur noch Staub von ihm übriggeblieben ist. Nichts außer ein verkohlter Körper und Staub ist das Resultat meiner selbst.

 

Schlagartig wache ich auf und stütze meinen Kopf auf die Knie. Es fängt wieder an.

Der Gedanke der Idee (überarbeitet)

Nach der Arbeit frage ich Ginger, die heute mit mir Schicht hatte, ob sie mir einen Friseur empfehlen könne. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass wasserstoffblond ihre natürliche Haarfarbe ist. Meine Vermutung bestätigt sich.

„Mein Friseur ist auch mein fester Freund. Mitunter mein Lieblingsfriseur, aber das spielt jetzt keine Rolle. Er ist nur ein paar Ecken von Polak entfernt. Wenn du willst bringe ich dich hin. Zuerst muss ich mich aber umziehen. Ich kann schlecht Schleichwerbung von Polak im Salon meines Freundes machen.“ Ich nicke und setze mich auf das Fließband der gegenüberliegenden Kasse. Sie wird meistens nicht benutzt, da die Mitarbeiter unterbesetzt sind und so eine Besetzung für die zweite Kasse fehlt.

Auf dem Weg zum Friseur erklärt mir Ginger den Grund, warum sie zu spät zur Arbeit gekommen ist. Eigentlich ist es immer der Gleiche. Sie hat verschlafen, aber will es nicht zugeben. Sie drückt sich vor der Wahrheit. Sie lügt.

„Meine Katze ist krank und rührt sich kaum noch. Ich habe sie noch schnell zum Tierarzt gebracht und muss sie nachher noch abholen. Um 18 Uhr habe ich mit ihm einen Termin vereinbart. Das heißt: noch genug Zeit für dich. Was willst du genau mit deinen Haaren anstellen?“

Ich weiß es nicht. Ich brauche einfach nur einen anderen Look. Einer, bei dem ich nicht so kaputt aussehe, als hätte ich die ganze Nacht durchgemacht, sondern einen, bei dem ich frisch aussehe, aber immer noch meinen eigenen Stil wahre. Dabei beginne ich mit meinen Haaren.

„Keine Ahnung. Vielleicht lasse ich mir meine Haare schwarz färben und dazu dunkelblaue Strähnen, die dem Ganzen noch einen gewissen Kick geben. Schwarz allein ist mir zu langweilig und die Farbe Blau ist nicht umsonst meine Lieblingsfarbe.“

„Das ist eine tolle Idee. Du bist ganz schön kreativ, im Gegensatz zu mir. Meine Kreativität reichte damals nur für eine wasserstoffblonde Tönung. Meine eigentliche Haarfarbe ist Kupferrot. Meiner Meinung nach eine hässliche Farbe, die es nicht verdient, überhaupt Farbe genannt zu werden.“

Da bin ich ganz anderer Meinung, aber die zählt bei dieser Art von Gespräch nicht.

„Ich hätte gedacht, der Laden liegt nur ein paar Ecken vom Supermarkt entfernt?“, frage ich erschöpft beim Gehen. Es war ein harter Arbeitstag.

„Ja, sind doch nur ein paar Ecken. Genau vor dir befindet sich das MEGA. Vielleicht solltest du dir auch eine Brille zulegen?“, macht sie sich über mich lustig. Ha! Ha! Ich lache mich tot.

Wir treten ein und Ginger stürmt auf einen schlaksigen Typen mit aufgestellten Haaren und modischem Drei-Tage-Bart zu. Sie umarmen sich und verschwenden zwei Minuten damit, sich zu küssen. Einen viel zu langen Kuss, finden auch die anderen Kunden, da sie sich mit Murren und genervtem Gestöhne beschweren. Eine geht sogar so weit, dass sie „Nehmt euch doch ein Zimmer“, durch den Raum ruft. Dadurch veranlasst, fährt ihr Freund mit der Arbeit fort.

Während ihr Freund – Phil - einer älteren Dame die Haare in Lockenwickler einrollt und ihr einen überdimensionalen Bläser darüberstülpt, sitzen wir auf den Besucherstühlen und warten. Ginger beschäftigt sich in der endlos erscheinenden Wartezeit mit einem sinnlosen Spiel und quatscht mich dabei über ihre Probleme voll, während ich es über mich ergehen lasse.

„Weißt du schon das Neueste?“ Ich übergehe ihre rhetorische Frage, da man solche selten beantworten muss. Sofort erzählt sie weiter. „Rebecca, du kennst sie vermutlich schon, hat ihren Mann betrogen“, flüstert sie verschwörerisch. Interessiert es mich, was Rebecca macht? Nein! Da ich nicht unhöflich erscheinen will, unterbreche ich sie nicht auf meine ehrliche Art und Weise. Das würde nur im Streit enden und das ist das Letzte, was ich zurzeit gebrauchen kann.

 

„Nun, Frau…?“, begrüßt mich Phil. „Nenn mich Jody“, schlage ich ihm rational vor.

„Also Jody, was stellst du dir genau vor? Eine hellrote Färbung inklusive Kurzhaarschnitt. Wie wäre es? Es würde dir bestimmt stehen.“ Okay, er ist definitiv durchgeknallt. Er ist allerdings auch der Freund von Ginger. Was kann man anderes erwarten? Ich schlage ihm meine Idee vor, die ihn anscheinend völlig begeistert. Jedenfalls lässt sie ihn nicht kalt, was ich an seiner Mimik erkennen kann.

„Ja, das machen wir. Es ist sogar besser, als mein Vorschlag. Jody, setze dich doch schon mal auf Stuhl drei. Ich komme gleich, ich muss mich noch schnell mit meiner Ginger unterhalten. Eine wunderbare Frau! Die Liebe meines Lebens.“

In zwei Jahren sind sie verheiratet, in fünf Jahren haben sie dann zwei Kinder und in acht Jahren wohnen sie getrennt - zwanzig Kilometer - auseinander und streiten sich um das Sorgerecht. Genau so stelle ich mir ihre Zukunft vor. So war schließlich der durchschnittliche Deutsche vor meiner Einlieferung.

Eine der schlimmsten Erfahrungen, die ich in meinen Leben bisher gemacht habe, ist Phil. Er hat die Hälfte meiner Haare ausgerissen, da er nicht auf einen Schnitt verzichten wollte und hat dabei mit seinem Kamm meine Haare entknotet. Besser gesagt, er hat meine Haarpracht für eine lange Zeit zerstört, wodurch sie aussehen, wie ein durchwühltes Vogelnest.

„Und gefällt es dir? Ich weiß, ich habe mich selbst übertroffen. Ich sehe es an deinem Gesichtsausdruck.“ Okay, ich brauche keine Komplimente zu machen, er ist so schon ganz von sich selbst überzeugt.

„Tatsächlich eine Meisterleistung“, antworte ich ihm. Nicht, dass mein Image durch seine zukünftigen Lästereien zerstört wird. Lieber gehe ich auf Nummer sicher.

Er umarmt mich und ich verlasse den Laden. Jedoch ohne Ginger. Sie ist nach dem intimen Gespräch mit Phil - vor meiner Kopfbehandlung - bereits gegangen. Sie muss schließlich noch ihre imaginäre Katze abholen, versteht sich. Sie küssten sich noch eine halbe Ewigkeit, bevor sie sich für ein paar Stunden voneinander trennen müssen. Ein Weltwunder.

Wie finde ich bloß den Weg zurück? Ich habe ihn mir nicht gemerkt. Trotz meiner hohen Pechanfälligkeit versuche ich ihn wieder zu finden, indem ich einfach gerade ausgehe und habe tatsächlich eine meiner seltenen Glücksrationen. Vielleicht ist mir das Leben doch wohl gesinnt? Gut, das bezweifle ich, aber es besteht immer ein wenig Hoffnung. Schließlich gibt man die Hoffnung nie auf. Oder?

Im Spiegel betrachte ich meine schulterlangen Haare. Ich sehe aus wie ein Streifenhörnchen, eben nur in schwarz mit blauen Streifen. Jedem das Seine und nicht mehr oder weniger. Ich brauche auch nicht mehr. Mir gefällt es. Endlich bin ich die wahre Jody, die acht Jahre eingesperrt war.

Ich zwinge noch das Abendessen von gestern hinunter, dass ich im Kühlschrank aufbewahrt habe, bevor ich wie jeden Abend auf den Balkon hinausgehe. Heute gibt es nichts Interessantes zu hören. Das liegt zum einen daran, dass ein Gewitter aufzieht und das Ehepaar ihr Gespräch bereits früher beendet hat, als in weiter Ferne dunkle Wolken am Himmel zu entdecken waren.

Ein Blitz durchbricht die dichten Wolkenbausche und versetzt die Umgebung in eine geladene Atmosphäre, als würde für einen kurzen Blick die Zeit stehen bleiben. Vier Sekunden später ertönt ein lautes Donnergrollen, als beschwere es sich, dass es beim Schlaf gestört worden ist. Blitz und Donner, die zwei mächtigsten Kongruenten, die es jemals gab und geben wird. Zwei Gegenteile die sich zu einem ergänzen. Noch einige Male wiederholt sich dieses Spektakel, bis der Regen einsetzt, als versuche er die beiden zu beruhigen. Leider erfolglos, da ich an diesem Abend noch weitere Blitze sehe.

 

Trotz dem Naturschauspiel, das sich draußen abspielt, versuche ich Schlaf zu bekommen. Wenn ich nicht ausgeruht bin, dann bekommen meine Mitarbeiter meine Gereiztheit zu spüren und das würde nicht gut ausgehen.

 

„Mutter, es tut mir leid. Ich konnte nichts dafür.“ Sie verpasst mir eine saftige Ohrfeige. „Lüg nicht, du Mörderin. Ich weiß, dass du es nicht ernst meinst, mit deiner Entschuldigung. Du, nur du alleine, trägst die Schuld für den Tod deines Bruders. Du bist nicht mehr mein Mädchen. Du bist nicht mehr meine Tochter. Geh mir aus den Augen.“ Tränen, ob wegen der Trauer oder doch der Wut, treten, einem Wasserfall gleich, aus meinen Augen. Ich mache kehrt und renne mit meinen kurzen, dünnen Beinen Richtung Wald. Mein letzter Zufluchtsort.

„Jody!“ Ich höre eine bekannte Stimme, die ich meinen Vater zuordnen kann. „Jody, komm her! Ich weiß, dass du mich hören kannst! Bitte, ich vermisse dich.“ Die letzten Worte verlieren an Kraft und ich kann mir denken, dass es eine Lüge ist. Wann sagt mein Vater schon die Wahrheit?

Ich nehme die Stellung eines verzweifelten und traurigen Kindes an, als ich die schweren Schritte meines Vaters höre. Mit meinem Kopf an den Knien schiele ich auf die Springerstiefel neben mir. „Da bist du ja, du ungezogenes Kind! Weißt du, was für einen Schrecken du uns eingejagt hast? Bestimmt nicht, du bist ja noch ein kleines Kind, für das die Welt noch ein großer Spielplatz ist“, redet er sich ein. Hauptsache er kann die Schuld auf mich schieben. Er merkt es noch nicht einmal. „Keine Sorge, mein Schatz! Mama und Papa werden dir helfen.“ Mit diesen Worten hebt er mich vom Boden auf und schlägt den Weg zum Haus ein.

„Was willst du mit dieser Göre hier? Sie hat unseren Sohn getötet! Verstehst du nicht, dass ich sie nie wiedersehen will? Dich kümmert meine geistige Verfassung anscheinend einen Dreck!“ Sie wendet uns den Rücken zu.

„Zora, bitte. Ich liebe dich über alles. Trotzdem ist Jody immer noch unser Kind. Sie kann nichts für ihren Defekt.“ Meine Mutter sieht mir tief in die Augen und dann duelliert sie sich mit meinem Vater per Augenkontakt. Sie gewinnt und stellt die Frage aller Fragen. „Und was gedenkst du mit ihr zu machen?“ Er zuckt ratlos mit der Schulter und senkt nachdenklich den Blick. „Ich wäre ja dafür, dass wir sie in ein Heim für schwererziehbare Kinder schicken. Dort wäre sie gut aufgehoben und wir hätten keine Sorgen mehr mit ihr.“

„Aber was ist, wenn sie andere Kinder schädigt? Sie ist unberechenbar“, wirft mein Vater als Gegenargument ein und bemerkt nicht, dass ich mich auch noch im Raum befinde. Bei dieser Sache habe ich kein Mitspracherecht. Wer würde schon einem Kleinkind glauben, dass es diese Angelegenheit versteht. Ich habe früh gelernt, bei den Worten meiner Eltern aufzuhorchen, da sie meistens über mich und meinen Fähigkeiten sprechen.

„Da ist mir, ich schwöre, bei meinem Leben einerlei. Unser Sohn ist tot. Er war mein ein und alles. Er war normal. Nicht wie sie! Sie ist eine Ausgeburt der Hölle. Sie soll verschwinden. Ich möchte am liebsten ihre Zukunft zerstören. Am besten ich töte sie, damit sie niemanden mehr weh tun kann!“ „Zora! Das kannst du nicht machen! Ich hasse sie ebenso wie du, aber das ist keine Lösung für das Problem. Ich habe es! Wir schicken sie in ein Internat! Das nächste ist gerundet 250 Kilometer von uns entfernt und noch dazu sehr billig.“ Meine Mutter nickt lächelnd. „Ich wusste doch, dass du dein Gehirn auch anstrengen kannst. Ich bin stolz auf dich.“

 

Schlagartig wache ich auf und kralle meine Fingernägel in das Bettlaken. Wie konnten sie nur!? Wenigstens haben sie ihre gerechte Strafe im Tod gefunden, sonst müsste ich mich bei ihnen auch noch rächen. In den letzten zehn Jahren konnte ich meine Vergangenheit erfolgreich verdrängen, aber sie kommt Stück für Stück in mein Leben zurück. Und ich kann nichts dagegen tun. Vielleicht sollte ich mich selbstständig einweisen lassen. Zurück in die Klapse! Mein Verstand bewertet den Vorschlag mit Erinnerungen an die Experimente dort. Grausamkeit ist eines der vielen Wörter mit denen man die Anstalt beschreiben kann. Die Versuchsleiter sind Menschen ohne Gefühle, jedenfalls gegenüber uns, den Irren. Das Problem liegt aber daran, dass sie uns verrückt gemacht haben. Durch die Schmerzen sind wir durchgedreht und kopflos, wie Hühner, durch den Raum gerannt. Wir haben geschrien und verzweifelt um unser Leben gebettelt. Viele sind an den Folgen gestorben oder haben ihr Leben durch Suizid oder Gänseblümchen beendet.

Fast alle Erinnerungen sind an mein schmerzhaftestes Experiment erhalten. Ein älterer, gekrümmter Mann im Laborkittel jagte mir eine Spritze in den Arm, um zu sehen, ob es gegen irgendeine Krankheit hilft. Genau das Gegenteil war der Fall. Es machte mich krank. Und keiner half mir. Sie ließen mich leiden wie einen räudigen Hund. Sie interessierte nur der Versuch, der durch mich gescheitert ist. Dass es mir schlecht ging, kam ihnen nicht in den Sinn. In einer Versuchszelle ließen sie mich zum Sterben zurück, doch durch meinen starken Überlebenswillen damals, hielt ich durch. Ich war froh, dass ich wieder gesund worden bin, aber später bereute ich es. Ich durfte die nächsten drei Jahre, das Leben eines normalen Irren führen. Dort lebten nur diejenigen, die für die Experimente als ungeeignet befunden wurden oder es in den seltenen Fällen überlebt haben. Ich hatte ganze fünf Jahre durchgehalten. Ich war die Einzige von 3000 Teilnehmern am geheimen Projekt S.U.R.V.I.V.A.L., die überlebte.

Sie waren sich darüber im Klaren, dass ich Blitze erzeugen konnte und stellten ein Mittel zur Blockade her. Sie gaben mir dieses Mittel, dass mich zum normalen Menschen machen sollte. Die ganzen acht Jahre dort, bekam ich insgesamt vier dieser Spritzen verabreicht. Folglich müsste ich dieses Jahr wieder eine bekommen, aber nun bin ich frei. Keiner kann mir unfreiwillig mehr eine Spritze in die Blutbahnen rammen. Keiner weiß von dem Mittel außer die Versuchs-Durchführer, die sich nun nicht mehr für mich interessieren. Ich hoffe es!

Eigentlich müsste ich wieder im vollen Besitz meiner Fähigkeiten sein. Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Ich sehe in den - an der Wand hängenden - Spiegel und mir blickt ein hellblau leuchtendes Augenpaar entgegen. Ja! Ich bin wieder ich selbst. Ich bin Jody.

Für die, die mich gerade aus ihren Fenstern erblicken, dürfte der Anblick mehr als verstörend sein. Nur im Nachthemd bekleidet gehe ich über die Straße auf die trockene Fläche, eine große Ebene, wo nur vereinzelt Pflanzen wachsen, meistens Kakteen, und sammele dürre Äste, die ich auf einen Haufen werfe. Mit meinen Gedanken und Augen nur auf das Geäste gerichtet, sammele ich meine Energie in den Handflächen. Als genug Kraft in meinen Handinnenflächen gesammelt ist, schießen zwei lange Blitze mit vielen Verzweigungen, von der feinsten Art, aus ihnen. So hellblau wie meine Augen erleuchten sie mich und meine Umgebung. Der Hauptstrang entzündet die dürren Äste und augenblicklich schießen rote Flammen aus dem Inneren des Haufens gen Himmel empor. Lächelnd betrachte ich mein Werk und setze mich vor dem brennenden Geäst auf dem Boden. Ich sehe runter zu meinen Händen, während ich kleine Blitze erzeuge. Sie sind wunderschön. Sie sind ein Teil von mir. Und ich liebe sie dafür.

Bis zum Morgengrauen liege ich auf dem staubigen Boden und warte bis das Feuer ausgeht. Währenddessen schieße ich Blitze in Richtung Himmel, der sich in den letzten Stunden vom Gewitter erholt hat, und bewundere ihre Vielfältigkeit. Kein Blitz ist wie der andere. Jeder ist anders.

Als das Feuer nicht mehr brennt und nur noch ein Häufchen Asche am Boden liegt, stehe ich auf, um mich für die Arbeit vorzubereiten. Ich suche, als ich zu meiner Wohnung schlürfe, die Fenster nach neugierigen Betrachtern ab, doch entdecke keinen. Gut, dass soll auch so bleiben.

Von insgesamt vierzehn Wohnungen, sind gerade mal drei bewohnt. Der Vermieter stellt zwar die ganze Zeit Mietangebote in die örtliche Zeitung, aber die Reichen und Arbeitnehmer oder Arbeitgeber wohnen lieber in der Stadt, in der Nähe ihrer Arbeitsstelle. Mir ist die Abgeschiedenheit lieber, auch wenn der Arbeitsweg mit meinem Auto nicht kurz ist.

Vor meinem Kleiderschrank ziehe ich ein graues Kleid hervor, das ich mir überziehe. In der Arbeit muss ich mich sowieso umziehen. Dafür nehme ich mir noch eine schwarze Hose mit und erledige noch den Rest der Aufstehroutine. Dazu zählt auch das Frühstück, jedoch kann ich nur eine Scheibe Brot hinunter zwingen. Mehr geht einfach nicht, sonst wird mir übel. Vor dem Spiegel, der gegenüber dem Eingang steht, mustere ich mich wie jeden Morgen kurz. Das Kleid hängt herunter wie ein Sack und ist daher nicht gerade vorteilhaft. Ich ziehe den Zettel, der Informationen über das Kleid gibt, hervor und lese Größe 32. Kleiner geht es gar nicht mehr. Irgendwann passt es mir. Irgendwann.

Die Arbeit verläuft ohne relevante Zwischenfälle. Eintönig und langweilig sind die besten Adjektive, um sie zu beschreiben. Nachdem ich meine Frühschicht beendet habe, fahre ich zur Tankstelle, um meinen Tank aufzufüllen. Die Preise sind in den letzten Jahren, seit meiner Einlieferung, scheinbar drastisch gesunken. Früher sind sie exponentiell gestiegen, nun ist das Gegenteil der Fall. Nun kann man für gerade mal zwanzig Währungseinheiten den Tank vollmachen.

Als mich eine Hand an der Schulter packt und mich zu einem großen, bulligen Mann umdreht, spanne ich meinen Körper zur Flucht an. „Kennen wir uns nicht?“ Ich mustere ihn von oben bis unten und tatsächlich, ich habe ihn schon einmal gesehen. „Kann sein“, erwidere ich. „Du warst doch auch in der Klinik. Sie haben dich auch entlassen?“ „Ja.“ Ich will nicht mit ihm reden. „Seit wann bist du wieder frei?“ „Seit ein paar Wochen“, erzähle ich. „Hm, schön mit dir geredet zu haben. Vielleicht sehen wir uns wieder“, zwinkert er mit seinem rechten Auge. Ich verstehe, was er mit „wiedersehen“ meint. Aber ich will ihn nicht „wiedersehen“. Hoffentlich merkt er das, sonst muss ich ihn leider eliminieren.

Der Verlust meines Bruders hat mich sozial abgehärtet. Eher der Umstand, dass mich meine Eltern verstoßen haben, ist der Grund für meine Resignation gegenüber dem Tod. Ein Toter mehr oder weniger schadet der Welt nicht.

„Wie wäre es mit einem Kaffee“, fragt er. „Natürlich mit Kuchen, wenn du willst.“ Er versucht es wirklich mich rum zu kriegen. Bin ich denn keine Herausforderung? Jedenfalls habe ich keine Flirtversuche gestartet. Außer er kennt mich und will mir ein Angebot der besonderen Art und Weise unterbreiten.

„Nein, danke. Darauf habe ich wirklich keinen Hunger“, lehne ich sein Angebot ab. Seine Augen wandern auf und ab. „Das sieht man.“ Er legt einen Arm um meine Schulter und zieht mich mit sich. „Hey, was machst du? Ich will nicht!“, schreie ich ihn an. „Mir ist es egal, ob du willst oder nicht. Du verstehst doch, dass du keine körperliche Chance gegenüber mir hast.“ Ich hebe nur eine Augenbraue. „Naja“, zweifele ich an seinen Worten. Darauf erwidert er nichts. Entweder er ignoriert mich gekonnt oder er genießt die Stille.

„Ich weiß, dass du etwas verbirgst. Ich biete dir zwei Optionen: Entweder du sagst mir sofort, was du von mir willst. Ich kann dir nicht abkaufen, dass du an mir interessiert bist. Oder ich grille dich und werfe deinen Kadavern den Stadtratten vor. Du kannst entscheiden, welche der beiden Möglichkeiten du wählst.“ Er blickt mir in die Augen und weiß, dass ich es todernst meine. Das Leben in der Klinik hat uns gelehrt, dass wir unseren Gegner nicht unterschätzen dürfen.

„Gut. Wir, meine Partner und ich, planen einen Banküberfall auf die JOPUS. Eine der erfolgreichsten Banken seit fünf Jahren, falls du es noch nicht weißt. Die Anstalt verbirgt schließlich vieles vor uns, damit wir keinen im späteren Leben gefährden können. Ihr Ziel ist es, uns sozial abzuschotten. Was für ein Schwachsinn. Wie dumm die anderen nur sind.“ „Stimmt.“ Er ballt eine Hand zur Faust. Ich lächele ihn nur unschuldig an, um ihm zu zeigen, dass ich ihm überlegen bin. Wenn er sich mit mir anlegt, hat er null Prozent Überlebenschancen. Ich spiele mit offenen Karten und es steht zurzeit schlecht um ihn. Ich habe die Asse im Ärmel, während er versucht seine Eicheln zurückzuziehen.

„Komm einfach mit. Es nutzt uns nichts, wenn wir uns gegenseitig die Birne einschlagen. Es warten zwei Männer auf uns und du willst sie doch nicht warten lassen, oder?“ Eine unausgesprochene Frage steht zwischen uns. Mache ich mit oder nicht? Ich verdiene genug Geld mit meinem Job bei Polak, aber wo bleibt der Reiz. Vor meinem Prozess habe ich meinen Unterhalt mit Diebstählen und dem Dealen bezahlt, da mir meine Tante und mein Onkel kein Geld gegeben haben. Warum nicht wieder? Das Adrenalin, das dir durch den Körper, wie Gänseblümchen bei Süchtigen, fließt, wenn die Polizei dir auf den Versen ist, ist unverzichtbar. Dein Herz schlägt schneller bei jedem Schritt in deine eigene Verdammnis.

„Ja, los geht`s! Worauf warten wir noch?“, frage ich genervt. Ich folge ihm in ein - an der Tankstelle - gelegenes Café, dessen Einrichtung meinem Geschmack vollkommen entspricht. Die Wände sind in der Farbe Weiß gehalten mit einer schwarzen Möbelausstattung. Warum nicht gleich so.

Mit meinem Partner setze ich mich zu zwei anderen Männern. „Wer ist das?“ „Eine Kollegin“, antwortet der bullige Mann auf die Frage. „Wie heißt ihr eigentlich?“ „Der Mann vor dir heißt Joy, der daneben Z.A. und ich Hock.“ Ich nicke nach der Nennung der Decknamen. „Mein Name lautet Jody. Und nun möchte ich eure richtigen Namen hören. Und bitte Z.A. nimm deine Hand von der Waffe. Wir befinden uns hier in einer friedlichen Konversation und nicht bei einem Drogendeal.“

Die Bedienung bringt uns die Bestellungen, wobei es Joy nicht lassen kann und ihr einen Klaps auf den Arsch gibt. „Muss das jetzt wirklich sein“, gibt die Kellnerin entnervt von sich. „Ja, Schätzchen. So einen Knackpo darf man sich nicht entgehen lassen! Wollen wir uns später auf eine Runde Bettsport treffen?“ Sie schnaubt nur und entfernt sich von uns. Die restliche Zeit, die wir hier verbringen, wahrt sie einen gewissen Sicherheitsabstand zu uns.

„Warum sollten wir? Vielleicht bist du ein Maulwurf und spionierst uns aus!“ Der Einwand von Z.A. ist durchaus berechtigt. „Ach bitte! Echt? Meinst du Gerechtigkeit und Frieden ist etwas für mich?“ „Vielleicht! Man kann nie sicher sein.“ „Wenn ich wollte, hätte ich euch vor zwei Minuten um die Ecke gebracht. Also raus mit euren Namen.“ Meine Erklärung war anscheinend ziemlich beeindruckend, da mir alle drei jetzt ihre wahren Namen sagen. Sie hatten wohl noch nicht so viel mit dem Verbrechen und den jeweiligen Bündnissen am Hut. Dann muss ich sie darin lehren.

„Jonathan, Joy ist nur ein Kürzel für den Namen. Übrigens mein Spitzname, also habe ich eigentlich schon die Wahrheit gesagt.“ Schlechter Deckname.

„Z.A. ist die Abkürzung für Zach Angus, mein voller Name.“ Okay, habe ich Erklärungen gefordert? Nein“

„Hock. So hat mich meine Verflossene immer genannt. Das war immer ein Spaß mit ihr gewesen! Sie war eine richtige Bombe im Bett. Schade, dass der Krebs sie geholt hat. Mein Name ist Till Jackson“

„Mein tiefstes Beileid. Ihr seid noch nicht lange im Geschäft, oder?“ Alle schüttelten den Kopf. „Wie seid ihr dann auf die Idee gekommen, eine Großbank auszurauben. Man muss immer klein anfangen, falls ihr das nicht wisst.“ „Ich habe schon Erfahrungen in dem Bereich gesammelt, nur mit dem Unterschied, das ich bislang nur passiv daran beteiligt war. Ich bin immer nur der Hacker im Spiel gewesen.“ Z.A. wird mir doch noch sympathisch. „Ich bin stolz auf dich. Sonst noch irgendwelche Lebensläufe?“ Meine Stimme nimmt einen gelangweilten Ton auf, damit sie merken, dass mein Angebot, zu helfen, variabel ist. Dazu gehört eben auch mein sichtlich überzeugendes Schauspiel.

„Scheinbar nicht. Lasst uns einen Termin vereinbaren und die Telefonnummern austauschen. Dabei rate ich euch eine zweite zuzulegen, aber durch ein Tastenhandy von Toni. Ich gebe euch später die Adresse, damit uns keiner zurückverfolgen kann.“

„Nächster Mittwoch wäre gut.“ Der Vorschlag trifft überall auf Zustimmung, außer bei Till und mir. „Ich würde Sonntag vorschlagen. Da hat bestimmt jeder Zeit“, bestimme ich unser Datum. Daraufhin verabschiede ich mich mit einen einfachen „Ciao“ und gehe zu meinem VW-Käfer, der noch immer eine Tanklücke blockiert.

 

Das abendliche Gespräch zwischen Irene und Ralf verspricht wie immer interessant zu werden.

"Hast du schon gehört, dass unsere Enkelin schwanger ist? Mit fünfzehn?" Einige Minuten herrscht eine Stille, in der man sogar die Grillen zirpen hört. "Du meinst Christin? Ja, ich kann es mir vorstellen. Sie hatte schon mehr Freunde, als du, bevor wir uns kennen gelernt haben. "Pf, immer wieder fängst du damit an. Ich konnte nichts für meine damalige, nymphomane Art. Du hältst wenigstens eine halbe Nacht durch, da haben andere gerade einmal geschafft und sind daraufhin eingeschlafen." "Ja, ich bin auch stolz auf mich. Jedenfalls hat Christin schon ihren Abschluss in der Tasche und kann noch ein paar Monate arbeiten. Weiß sie denn, wer der Vater ist?" "Nein, dazu ist sie nach so vielen Partnern nicht mehr im Stande. Wir können nur hoffen, dass sie einen Vaterschaftstest durchführen lässt." "Warum sollte sie nicht?" "Ganz ehrlich, sie ist so dumm wie ihre Cousine Charlotte, welche mit Ach und Krach die Grundschule bestanden hat." "Stimmt auch wieder."

Dem Rest der kleingroßen Lästerei höre ich nicht weiter zu, da ich eingenickt bin.

Mitten in der Nacht wache ich auf und lege mich, ohne, dass ich mich bettfertig gemacht habe ins Bett.

Auch die restlichen Tage bis Sonntag vergehen wie im Flug, sodass mir nur noch wenig Zeit bleibt, um mir Informationen zu beschaffen.

Samstagabend fahre ich meinen Computer hoch und durchsuche das Internet, um ein paar Eindrücke von der Bank JOPUS zu erhalten.

Eine halbe Stunde später weiß ich genau so viel wie vorher und rufe einen Kollegen an, der sich sicher mit der Bank auskennen dürfte. Das Problem liegt nur dabei, dass ich seine Nummer nicht mehr weiß. Nach einem Jahrzehnt kann das ruhig passieren, aber so bleibt mir nichts Anderes übrig, als die letzte Ziffer, die ich vergessen habe, durch Ausprobieren zu finden.

Nun habe ich alle möglichen Nummern bis zur letzten Ziffer sieben gewählt und versuche es, nach erfolglosen sieben Malen, mit der Nummer 8. Es tutet einige Male, bis ein Lied von Metallica ertönt. Ich lächele über den Humor von Xavier, der die Band abgöttisch liebt. Es ist so etwas wie sein Markenzeichen.

Als der Song Nothing else matters verklungen ist, hebt er endlich ab. Ich warte bis er mit der Begrüßung anfängt.

„Was willst du?“ „Hallo Xavier. Ich möchte einen Plan von der Bank namens JOPUS in Fahn. Er sollen darin die besten Wege zum Einbrechen in den Tresor und zum Flüchten gekennzeichnet sein.“ Einige Sekunden bleibt es still am anderen Ende der Leitung. „Ich kenne deine Stimme irgendwo her. Du bist Jody, oder?“ „Ja, aber das spielt hier keine Rolle.“ „Okay. Was bekomme ich dafür? Denn eigentlich habe ich mich vor Jahren, nachdem ich genug Geld beiseite hatte, vom Geschäft zurückgezogen.“ „Du bekommst drei Prozent von der Beute. Das sind mindestens zehn Riesen. Bis morgen Nachmittag erwarte ich den Plan und grundlegende Informationen über JOPUS. Haben wir einen Deal?“ „Ja.“

Ich lege auf und lehne mich seufzend im Stuhl zurück. Mit dem Geld könnte ich meine Rache finanzieren. Zuerst meinen Chef bestechen, dass er mir Urlaub gibt, dann um die Welt reisen und mit meinen Opfern spielen. Ein wunderbarer Plan, um meine Rachegelüste zu befriedigen. Es hat auch einen weiteren Vorteil, ich werde keine Langeweile haben. Das wird ein Spaß!

Am Sonntag treffen wir uns wieder im gleichen Café und gehen dann weiter zum Park. Dabei lasse ich mir keineswegs anmerken, dass ich nicht wusste, dass es hier überhaupt eine Grünanlage gibt. Die Umgebung nahe meiner Wohnung ist im Gegensatz zu Fahn verwüstet vom Krieg. Fahn, eine Großstadt mit über einer Millionen Einwohnern, wie ich durch Ginger erfahren habe, besitzt nur ein paar Denkmäler, die an die schlimmen Zeiten erinnern sollen.

Denkmäler nützen höchstens hundert Jahre für halben Frieden. Die Jungen verdrängen nach einem Jahrhundert, wenn überhaupt, das Geschehen, als hätte es nichts mit ihnen zu tun und zetteln neue Kriege an. Mir ist es egal, schließlich interessiert mich die Politik nicht. Ich kümmere mich lieber um mein Wohlergehen, als die Bürde für tausende von Menschen zu tragen. Wenn man sich dennoch um sie sorgt, danken sie es einem mit Hass, wenn nicht, danken sie es einem mit der Rückansicht. Man verliert so oder so. Es ist gleich, was man tut. Menschen sind egoistisch und ich zähle auch dazu. Ich würde mich nicht für einen anderen opfern. Sonst hätte es keinen Nutzen für mich.

Mir muss wirklich öde sein, wenn ich mir über so etwas Gedanken mache. Normalerweise ist dem nicht so. Normalerweise wäre ich im Nirgendwo, da mich Tabletten und Spritzen dahin gebracht hätten. Apropos, ich denke gar nicht mehr an den Konsum von solchen Mitteln! Ich bin gar nicht süchtig danach, besser gesagt, nicht mehr. Ich bin clean.

Meine Partner und ich setzen uns auf eine Decke, die Joy mitgenommen und auf das Gras ausgebreitet hat. Ich springe wieder aus meinen Gedanken in das Jenseits, als Hock mit seinem Plan anfängt.

Alle sehen mich an, damit ich meine Meinung darüber kundtue. Anscheinend bin ich indirekt zur Anführerin ernannt worden. „Teilweise können wir ihn übernehmen, jedoch ist zu viel zu ungenau. Wie kommen wir überhaupt rein? Wie verteilen wir die Beute? Wann planen wird den Raub? Welchen Code hat der Tresor? Gut, dass ich schon einen Gebäudeplan angefordert habe.“

Frühmorgens ist ein olivgrüner Jeep mit einer vermummten Person vorbeigefahren und hat einen Karton mit den Daten vor die Haustür geworfen. Gut, dass meine Hausgenossen nichts davon mitbekommen haben.

Ich ziehe den Plan aus meiner Tasche und erkläre ihnen das Vorgehen.

„In zwei Monaten, also im August findet eine Versammlung der Gesellschafter statt, da JOPUS – im Gegensatz zu anderen Banken – auch ein Unternehmen ist. Am dreizehnten August wird die Dividende ausgeschüttet, somit sind alle abgelenkt. Zwei oder drei von uns geben sich als Gesellschafter aus und schleichen sich unter die Menge. Keine Sorge, dort werden mehr als zweihundert Gesellschafter vor Ort sein, sonst hätte sich die Bank gar nicht etablieren können. Einer bleibt im Saal und gibt dem anderen über ein Funkgerät Bescheid, falls sich jemand aus dem Raum begibt oder wir unseren Überfall abbrechen müssen. Der andere, oder die anderen, überbrücken alle Sicherheitsvorkehrungen mit einer universellen Karte, damit kommt man überall rein, und geht, oder gehen, zum Tresor. Den Code finden wir über einen meiner Kollegen heraus und den Rest können wir auch später klären. Noch Fragen?“

Ich rechne mit keiner Widerrede mehr, aber die ratlosen Gesichter der anderen überzeugen mich vom Gegenteil.

„Ich wusste gar nicht, dass es in einer Bank eine Ausschüttung gibt oder gar Gesellschafter“, fragt Zach Angus.

„Natürlich gibt es das. Darum geht die JOPUS auch nie pleite, da immer wieder neue Gesellschafter dazukommen. Was für eine dämliche Frage“, behauptet Hock.

„Ich habe recherchiert und das Internet lügt doch nicht“, gebe ich Hock indirekt Recht. 

„Woah, nicht gleich ausflippen, wenn einer eine Frage stellt. Jedenfalls sind jetzt alle Missverständnisse geklärt und wir können weitermachen. Obwohl, woher bekommen wir diese universelle Karte?“ Jonathans Schlichtversuch klappt und wir beruhigen uns wieder.

„Sie wird ebenfalls von meinem Kollegen geliefert. Darüber müssen wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Alleine die Ausrüstung müssen wir uns besorgen.“

„Jody, was brauchen wir eigentlich alles? Ich weiß nur, dass wir Funkgeräte, Kostüme, also Anzüge etc., und ein überzeugendes Verhalten benötigen. Aber was sonst noch? Was habe ich noch übersehen?“

„Z.A., noch eine Menge. Falsche Namen und Papiere, damit wir als Gesellschafter durchgehen, und kein Gewissen. Niemand von uns, darf es bereuen, sonst sind wir alle geliefert, wenn einer von uns den Plan verrät. Außerdem müssen wir noch die Beute nach dem Überfall gerecht verteilen, sonst rächen sich die anderen, wenn einer zu viel nimmt. Auch habe ich schon ausgemacht, dass wir drei Prozent meinem Kollegen geben, aber er wird bestimmt noch mehr fordern. Wir könnten ihm acht Prozent überlassen und die anderen 92 Prozent teilen wir auf. Somit bekommt jeder 23 Prozent. Das genügt jedem, denke ich, oder ist jemand anderer Meinung?“

Alle schütteln den Kopf und wir machen den Termin für unser nächstes Treffen aus. Er ist in vier Wochen, wieder an einem Sonntag. Bis dahin sollen wir die Funkgeräte und Kostüme besorgt haben und uns über dann über das richtige Verhalten austauschen.

Vorfreude macht sich in meiner Bauchgegend breit. Ab dem heutigen Tag sind es nur noch knappe zwei Monate, bis mein Racheplan startet.

Geld ist die Basis (überarbeitet)

 

In der Zwischenzeit, bis zu meinem Treffen mit meinen wunderbaren Partnern, ist nicht viel los. Bei der Arbeit zahllose Schachteln einräumen, dann den Gesprächen zwischen Ralf und Irene lauschen und zuletzt wichtige Dinge für den Diebstahl besorgen.

„Hey, Zach. Hast du die Funkgeräte?", wecke ich ihn von seinen Träumereien auf. „Nein. Sie waren ausverkauft. Aber Till konnte einige besorgen", rettet er sich vor einem Wutausbruch meinerseits. Wer war noch einmal Till? Ah ja. Hock, der mit dem bulligen Körperbau und der Sturheit eines Esels. „Gut. Ich gehe davon aus, dass bis in drei Wochen jeder seine Ausrüstung parat hat?! Am Samstag in drei Wochen treffen wir uns hier wieder und gehen den Plan durch", befehle ich ihnen mit meiner besten Stimme. Alle nicken und unsere Wege trennen sich.

Übelkeit macht sich in mir breit und Kopfschmerzen geben mir den Rest. Warum immer ich! Ich habe doch gar nichts getan! Als sei meine Lüge enttarnt worden, überrollt mich eine neue Welle des Schmerzes. Ich wälze mich von einer Seite des Bettes zur anderen und schlage auf das Kissen vor mir ein. Ich kann nicht mehr! Ich will nicht mehr! Kann mir den keiner helfen?

 

Ich stehe auf und lege mich gleich wieder auf den Boden. Mir ist schwarz vor Augen, weshalb ich keine klare Sicht auf das, was vor mir ist, habe. Mit meiner rechten Hand, versuche ich mich, so gut wie möglich, bei meinem Weg zum obersten Schrank meiner Küche abzustützen. Ich erreiche mein Ziel erst, nachdem ich bereits zwei Mal von der Leiter auf den Boden gefallen bin und mich einmal auf dem Flur übergeben habe. Ich räume die vorderste Reihe meiner Hausapotheke mit dem Ellbogen zur Seite und sehe kurz darauf meinen Schlaf - und Kopftabletten beim Fallen zu. Ich sinke auf die Knie und versuche mit zitternden Händen eine Pille aus der Packung zu entnehmen. Leichter gesagt als getan. Beim vierten Versuch klappt es und ich werfe sie mit größter Mühe in meinen Mund.

Ein Glas Wasser ist für mich eine zu große Anstrengung, wodurch ich mich einfach wieder auf den Boden lege und dort liegen bleibe. Die restliche Nacht schlafe ich auf dem harten Holzboden und wache erst im Morgengrauen auf.

 

Die Schmerzen sind leicht abgeklungen und ich überlege heute krank zu sein. Eigentlich wollte ich heute einen Hausputz veranstalten, aber daraus wird anscheinend auch nichts.

„Sie können nun zu Doktor Geringer", sagt die Arzthelferin zu mir. Ich stehe auf und folge ihr in einen weißen, stark nach Desinfektionsmittel riechenden Raum. Dort setze ich mich auf den angebotenen Stuhl und warte rund zehn Minuten auf den Doktor. Vielleicht sollte ich mir einen anderen suchen? Mit mehr Zeitgefühl?

„Guten Tag. Ich bin Doktor Geringer", begrüßt mein Arzt mich mit einem feuchten Händedruck. Unauffällig wische ich mir danach meine Hand an der Hose ab. Gut, dass ich eine schwarze Hose gewählt habe, so sieht man die entstandenen Flecken nicht.

„Nennen Sie mich Jody", biete ich ihm an. Er liest eine Akte über mich durch und runzelt die Stirn. „Sie haben scheinbar einen sehr gesunden Lebensstil, wie ich hier herauslesen kann. Sie hatten noch nie irgendwelche Beschwerden noch Krankheiten. Aber meine Güte! Es erwischt jeden einmal." Ich suche mir definitiv einen anderen Arzt. Er ist mir viel zu fröhlich.

„Was fehlt Ihnen genau? Meine Assistentin hat mir nur über Kopfbeschwerden berichtet, die Sie plagen.“ Ich habe ihr mindestens fünf Minuten meiner Zeit geopfert, um ihr zu erklären, welche großen Schmerzen ich gestern hatte. Für nichts.

Ich berichte ihm ebenfalls das, was ich zu der Assistentin gesagt habe und höre seine Meinung dazu an.

„Das hört sich nach einer Migräne an. Ich werde Ihnen Thomapyrin verschreiben. Ein ausgezeichnetes Mittel gegen Kopfschmerzen. Ich empfehle Ihnen dieses Medikament nur zu nehmen, wenn es sonst keinen anderen Ausweg gibt. Wenn man mehr als drei Tabletten täglich einnimmt, kann es seine Wirkung verlieren. Bis zum nächsten Mal“, verabschiedet er sich von mir. Das war es. Keinen „schönen Tag noch“ oder einen Händedruck. Aber am Anfang musste er mir mit seinen schmierigen Fingern die Hand geben.

„Ähm und Jody, ich habe vergessen Ihnen zu sagen, dass Migräne auch durch ein reduziertes Essverhalten verursacht werden kann. Daher rate ich Ihnen auch mehr zu essen.“

Ich verschwinde mit einem lauten Schnauben in Richtung Ausgang. Auf einen schönen Tag können sie noch lange warten. Nie wieder werde ich zu Doktor Geringer gehen. Der kann mich mal. Und zwar am Arsch vorbei.

Trotzdem hole ich mit einem Rezept in der Hand, das ich an einem grimmig dreinblickenden Apotheker gebe, eine Schachtel Thomapyrin mit 200 Tabletten ab. „Schönen Tag noch.“ Wenigstens einer, der noch etwas Höflichkeit beherrscht.

Zuhause in meiner Wohnung gebe ich zwei Tabletten in ein Glas Wasser und warte, bis sie sich auflösen. Zwar steht auf der Packungsbeilage, dass davon abzuraten ist, mehr als eine Tablette pro Tag zu nehmen, aber bei diesen Schmerzen kann man schon einmal eine Ausnahme machen.

Ich lege mich ins Bett und schlafe den restlichen Tag durch.

Um 21 Uhr abends wache ich endlich ohne Kopfschmerzen auf und lächle erleichtert. Endlich ist er weg, der Kopfschmerz. Die Übelkeit ist mir bereits in der Nacht vergangen, die ich auf dem Teppich verbracht habe. Ich wünschte, dass ich nie wieder solche Schmerzen erleiden muss, jedoch glaube ich selbst nicht daran. Man macht sich nur sinnlose Hoffnungen, aber am Schluss wird man immer enttäuscht, da man zu hohe Erwartungen an die Zukunft hat.

Ich dusche mich, putze die Zähne und richte meine Arbeitskleidung für morgen her. Daraufhin begebe ich mich auf den Balkon, um vielleicht noch ein wenig der abendlichen Konversation lauschen zu können. Leider muss ich feststellen, dass sie bereits ins Innere ihrer Wohnung gegangen sind, denn ich nehme kein Gespräch am angrenzenden Balkon wahr.

Unzufrieden mit dem Verlauf des heutigen Tages schlafe ich ein und gehe ins Land der Träume über.

 

„Jody! Nimm deine Koffer und komm her, sonst fliegt uns der Urlaub davon“, ruft mir meine Mutter zu. „Ja“, erwidere ich artig. Ich weiß, dass ich nach dem heutigen Tag meine Familie nie wiedersehen werde. Sie schieben mich in ein „Benimminternat“ ab und tarnen es als Familienurlaub. Dort werde ich bis zu meinem achtzehnten Geburtstag verweilen und dann rausgeschmissen werden. Ich habe die Gespräche meiner Eltern mitverfolgt, sodass ich darüber Bescheid weiß. Ich mustere zum letzten Mal mein Zimmer, bevor ich indirekt mit dem ersten Kapitel meines Lebens abschließe. Immerhin haben meine „tollen“ Eltern noch bis zu meinem zehnten Lebensjahr durchgehalten, bevor sie mich für immer und ewig aus ihrem Leben verbannen. Ich werde diesen Tag, den achten Tag im ersten Monat, niemals vergessen können. Zu viel ist in meinem Leben geschehen.

 

Ich sitze auf der Rückbank des Autos und blicke über den Rückspiegel des Autos absichtlich in die Augen meiner Mutter. Ich möchte, dass auch sie diesen Tag nie wieder vergisst. Sie ist der Grund, weshalb ich in einem Internat für schwer erziehbare Kinder komme, nicht mein armer Vater. Ich hasse sie. Ich habe noch nie einen so großen Hass gegenüber einer Person verspürt. Aber auch meinen Vater hasse ich, denn er hat mich nicht unterstützt. Gerade von ihm bin ich enttäuscht. Ich habe immer gedacht, sie wären meine Eltern. Eltern, die mich nicht lieben.

 

Entsetzt schlage ich meine Augen auf und atme aus. Wieso müssen gerade jetzt meine Albträume wiederkehren? Ich habe auch ohne sie gut leben können. Sie haben mich bis zu meiner Einlieferung geplagt, die ganze Zeit während meines Aufenthalts im Internat und meiner Arbeitszeit in einem Restaurant. Danach bin ich ja gut zehn Jahre in der Klinik gewesen. Dort haben mir die Beruhigungstabletten und die Spritzen diese Art von Last von meinen Schultern genommen. Ich habe ein ruhiges Leben geführt, auch wenn es teilweise gefährlich war. Aber ich habe mich zu wehren gewusst.

Ich hebe meine Hand und ein kleiner, blauer Blitz schießt lebendig aus meinem Zeigefinger hervor. Mittlerweile kann ich es wieder kontrollieren, wann und wie ich Blitze erzeugen kann. Dadurch sinkt mein zunächst erhöhter Puls wieder auf ein normales Niveau und ich lege mich auf die Seite. Nun schießen spielerisch hellblau leuchtende Stränge aus meinen Händen, dennoch muss ich aufpassen, dass sie nicht mit Möbel in Berührung kommen. Sonst würde meine Wohnung bald in Flammen stehen.

Lange Zeit beschäftige ich mich mit meinen faszinierenden Blitzen, bevor es mir zu langweilig wird. Meine Lider schließen sich wie von selbst, da ich immer noch ziemlich müde bin. Bis ich aus den Federn muss, befinde ich mich noch im schwarzen Nichts des Schlafes.

Als ich, mehr oder weniger ausgeschlafen, bei der Arbeit erscheine, stelle ich zu meinem Entsetzen fest, dass Diana, die mit Erik eine Affäre hatte oder immer noch hat, anscheinend wieder hier arbeitet. Ich lasse mir meine Überraschung nicht anmerken, sonst hätte sie einen Grund mich anzusprechen und das möchte ich keinesfalls.

Ich grüße sie, als wäre es normal, sie in Arbeitskleidung von Polak zu sehen, und gehe weiter zur Umkleide. Dort ziehe ich mich wie üblich um und bewege mich dann zur Kasse, wo schon einige Kunden auf mich warten. Dank Diana habe ich bereits Übung im Kassieren, denke ich mir schmunzelnd. Ehrliche Menschen sind mir doch immer noch die Liebsten. Vor allem diejenigen, die nur Schimpfwörter benutzen können. Eben wie Diana.

Jeden einzelnen Kunden begrüße ich mit einem Lächeln und verabschiede ihn mit einem noch größeren Lächeln. Meistens erwidern die Kunden mein Lächeln, jedoch gibt es einige, welche nur dumme Kommentare, statt einem Lächeln, dalassen. Gewissermaßen hat mir Diana dabei schon geholfen, meine aggressive Seite einzugrenzen. Ich raste nicht direkt aus, sondern bin in Gedanken dabei ihren Kopf in den Schwitzkasten zu nehmen.

Wenn man schon vom Teufel spricht…

„Jody, Schatz. Ich übernehme jetzt. Du siehst ein bisschen überfordert aus. Vielleicht bist du auch zu dumm für diesen Job und brauchst einen, der deinem IQ entspricht. Der Beruft der Reinigungskraft würde doch zu dir passen. Vor allem zu deinem Niveau.“ Man kann es nur als … böse beschreiben. Das wahre Böse steht vor einem.

„Ich würde bei deiner Wortwahl aufpassen. Du weißt nicht, was du damit alles anstellen könntest. Du würdest es bereuen oder mich auf Knien anflehen, es nicht zu tun.“

„Ha, als könntest du mir etwas antun. Eine Magersüchtige droht mir. Oh, ich fürchte mich ja so“, lachte sie - wie eine Irre - los.

Ich bin nicht magersüchtig. Ich sehe an mir runter. Ich bin nicht magersüchtig. Ich bin normal. Ich bin so, wie alle anderen. Normal. NORMAL!

„Du wirst schon sehen, was du davon hast, dich mit anderen Leuten anzulegen“, warne ich sie. Die letzte Warnung.

„Du nervst. Mit dir muss man sich einfach nur schämen. Dich vor den Kunden einfach so aufzuführen. Pf. Kein Wunder, dass mich Erik wieder braucht. Bei den Angestellten hier, die nicht einmal das Wort dumm buchstabieren können.“

Das war richtig schlecht. Nicht nur, dass sie gerade ihren eigenen Tod entschieden hat, sondern auch die Sätze, die ihren Mund verlassen haben.

„Jaja. Ich freue mich schon auf unser Wiedersehen, Diana.“

Unser Wiedersehen der zweiten Art. Ein Drittes wird es wohl nicht mehr geben. Aber erst nach dem Banküberfall, der oberste Priorität genießt.

 

Inzwischen sind wiederum drei Wochen vergangen und es bleiben nur noch wenige Tage bis zum Raub. Ich freue mich schon darauf. Endlich wieder einen Reiz im Leben und nicht nur diese erdrückende Langeweile, in der man schläft oder den Gesprächen von Nachbarn lauscht.

Ich habe mir einen grauen Bleistiftrock mit schwarzem Blazer und weißer Bluse in einem Laden namens zAr gekauft und in einem Schuhgeschäft schwarze High Heels.

Auch die Beraterin im zAr hat mich als Magersüchtige betitelt und hat daraufhin einen kleinen energetischen Schock bekommen. Man kann es sich so vorstellen, dass sich alle Organe kurz zusammenziehen, man für kurze Zeit keine Luft bekommt und bewegungsunfähig ist. Ein schreckliches Gefühl. Aber sie hat den Tod noch nicht verdient. Die Betonung liegt auf noch nicht.

Bald kann ich meine Rache ausleben. Bald! Und mit Diana fange ich an.

„Hey, Till. Hier bin ich“, rufe ich ihm zu. „Jody, bitte nenne mich nicht Till. Mein Name ist Hock“, zischt er mich an. Einen so starken und großen Mann zischen zu hören, lässt mich kurz grinsen. Er bemerkt es nicht oder ignoriert es gewissenhaft, bevor er ansetzt etwas zu sagen. „Und alles gut?“ Alle nicken, außer mir. Aber das sieht keiner, da sie alle in Gedanken mit etwas Anderem beschäftigt sind.

„Ich gebe mich als Ehefrau von Hock aus und Z.A. ist ein wichtiger Geschäftspartner, der ebenfalls als Gesellschafter einsteigen will und sich an diesem Tag das Unternehmen genauer ansehen möchte. Joy, du wirst die Kommunikation über die Funkgeräte aufrechterhalten, während wir das Geld holen. Zach, du wirst Joy sofort sagen, wenn jemand den Saal verlässt. Er warnt uns dann, da die Geräte nur einseitig funktionieren. Keine besonders gute Qualität, aber für diesen kleinen Überfall reicht es“, erläutere ich ihnen den Plan, der von Spontanität und Flexibilität durchzogen ist.

„In meiner Handtasche verstecken wir Müllbeutel, die wir aus einem Fenster im Klo des ersten Stockes fallen lassen, sobald wir das gesamte Geld haben. Jonathan, du wirst es dann in einem Transporter abholen und zu einem vereinbarten Ort fahren. Ich wäre für die große Eiche, dem Denkmal mitten im Wald. Wie findet ihr das?“ Von allen Seiten ertönt ein „Ja“ oder ein „Okay“, sodass ich mit meinem Monolog fortfahre.

„Der Transporter steht schon vor deinem Haus. Bevor du fragst, ich weiß mehr über dich Joy, als du zu denken vermagst.“ Gut, ich muss zugeben Xaver hat mir ein bisschen bei dem Plan geholfen, aber er ist eben auch ein Genie.

„Außerdem befindet sich das Klo im ersten Stock. Ich bin für die Männertoilette auf der rechten Seite hinten, da sie bestimmt nicht so oft besucht wird, wie die Damentoilette. Genau daneben ist eine Gasse, in der man perfekt das Geld einsammeln und wegfahren kann. Haben es alle bis jetzt mitverfolgen können oder sind Fragen aufgekommen?“

Wie zuvor nicken alle und ich spreche weiter.

„Das Verhalten der vorzugebenden Person müssten bis jetzt alle einstudiert haben, wenn das nicht der Fall ist, sollte man spätestens heute damit anfangen“, keiner fühlt sich ertappt, also müssten folglich alle bereit, für das nicht ganz einfache Unterfangen, sein.

„Dann sind ja nun alle optimal vorbereitet. Wir treffen uns dann am dreizehnten bei der großen Eiche, wo wir auch das Geld aufteilen. Xaver ist auch zufrieden mit seinen acht Prozent. Bei unserem Überfall müssen wir halt nur so viel Geld wie möglich mitnehmen. Hier sind noch, bevor ich vergesse, die universellen Karten, mit denen wir überall reinkommen“, so verteile ich die Karten.

„Dann sage ich mal Ciao“, verabschiede ich mich.

Wenn wir Glück haben, auch wenn ich nicht an Glück oder Zufall glaube, ist sicherlich eine Million drin. Ohne Glück nicht.

Ich statte heute noch dem MEGA einen Besuch ab, da bei meinem großen Auftritt nächste Woche alles glatt laufen soll. Phil freut sich über das Geld und ich über meine Nachfärbung. Ein super Deal. Er wird kein Opfer werden. Jedenfalls ist er jetzt noch keins. Aber Meinungen können sich ändern. Meine gute Laune liegt vor allem da dran, dass er sich heute mehr bemüht hat als das letzte Mal. In zwei Minuten könnte er nämlich schon ein Opfer sein. Nur mit dem Unterschied, dass er es nicht weiß.

Opfer wissen nicht, wann sie getötet werden. Vielleicht wissen sie, dass sie getötet werden, aber das gibt dem Mörder keinen Kick mehr, wenn die Opfer bereits mit dem Leben abgeschlossen haben. Keinen Adrenalinrausch mehr, der dir das Gefühl von Leben gibt. Das Leben, das du genommen hast, damit du selbst weiterleben kannst. Vielleicht werde ich dann nicht mehr alleine sein?

Bald werde ich die Grenze zum bewussten Mörder überschreiten. Dieses Mal ist es ein Racheakt, der dem Tod meines Bruders nicht in kleinster Weise gleicht. Damals habe ich nichts von meinen vollen Fähigkeiten gewusst, aber Linda wird es nun zu spüren bekommen. Meine Tante hat mich ebenso, wie meine Mutter, verraten. Ich habe ihr vertraut, doch sie hat mich wieder ins Internat abgeschoben. Sie war meine Zuflucht, aber sie hat mich enttäuscht. Dafür muss sie jetzt bezahlen. Keiner spielt mit meinen Gefühlen, denn sie sind wie ein Bumerang. Sie kommen zurück. Nur mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass meine Rache schlimmer sein wird, als alles andere, was sie bis jetzt erlebt haben.

Dennoch muss ich mich momentan vollkommen auf den Banküberfall konzentrieren.

 

Mit meinem wunderbaren VW-Käfer fahre ich langsam die Waldwege entlang, damit ich ja nicht hinten aufkomme. Beim letzten Mal, als das Hinterteil des Autos auf dem Boden angekommen ist, habe ich das Gefühl gehabt, dass der gesamte Wagen in Einzelteile zerbricht. Glücklicherweise ist das nicht der Fall gewesen und er fährt immer noch.

Ich bin dem Anschein nach die Erste, die hier ist. Ein letztes Mal für heute überprüfe ich mein perfektes Aussehen im Rückspiegel und steige dann aus dem Wagen heraus. Die High Heels sinken ein bisschen in den feuchten Boden ein, was mich laut fluchen lässt. Haben die Waldvögel vorher noch munter gesungen, sind sie nun mucksmäuschenstill.

Die universelle Karte befindet sich in der Brusttasche, meine Augenbrauen sind gezupft. Es kann losgehen.

Ich sitze seit geschlagenen zwanzig Minuten auf dem Gedenkstein der großen Eiche und warte. Zum Teil ist es auch meine Schuld, dass ich nun die Bäume um mich herum anstarren muss, damit die Zeit ein weniger schneller vergeht, da ich zu Überpünktlichkeit neige.

Punkt elf Uhr, wie wir es vereinbart haben, stehen wir im Kreis und geben unserem Plan den letzten Schliff.

Wir stecken uns alle das Funkgerät in das rechte Ohr und setzen uns in einen schicken Porsche. Ich mache es mir auf dem Beifahrersitz neben Hock gemütlich und Z.A. auf der Rückbank. Joy hat sich währenddessen schon im Transporter eingenistet.

„Wo hast du denn bitte dieses Auto aufgetrieben?“, frage ich ihn, die Stirn gerunzelt.

„Du bist nicht die Einzigste hier, die Kontakte pflegt.“ Nach diesen zwei Sätzen war unsere Konversation beendet und wir konzentrierten uns auf das Folgende.

„Ich freue mich schon total auf die verdutzten Gesichter, die wir morgen in allen Zeitungen bestaunen können“, teilt mir Joy euphorisch per Funk mit. Leider kann ich ihm nicht mitteilen, dass er die Schnauze halten soll. Wäre auch zu schön gewesen.

Wir steigen aus und übergeben den Schlüssel des Porsches an einen Bediensteten. Wir gehen weiter, bis wir von einem älteren Herrn aufgehalten werden, dem wir unsere Namen nennen sollen. Ich stelle uns drei freundlicherweise vor, da die anderen bestimmt ihre Decknamen wieder vergessen haben.

„Hallo Herr Ullinger, ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Tag. Der Herr zu meiner rechten Seite heißt Simon Drechsler, der zu meiner Linken Peter Vernon und ich bin seine Frau Clara Vernon.“ Lächelnd bange ich darum, dass Xaver das Geld wert gewesen ist.

„Natürlich! Entschuldigen Sie meine schlechte Sehkraft. Sie ist nicht mehr die Beste. Ich musste die Liste zweimal durchgehen, bevor ich die Namen gefunden habe. Entschuldigen Sie nochmals für meine eigene Dummheit.“ Der Mann tut mir keineswegs leid. Wir folgen ihm in den Empfangssaal, immer fest meine Handtasche umklammert.

Man bietet uns reihenweise alkoholische Getränke an, jedoch müssen wir nüchtern bleiben, damit alles reibungslos verläuft. Wir beschränken uns darauf, unseren Durst mit Wasser oder Apfelschorle zu stillen.

Ich sehe Hock zu, wie er massenhaft Apfelschorle vernichtet, wobei mir richtig schlecht wird. Ich stürze kopfüber auf die Toilette und verbringe knapp zehn Minuten in inniger Umarmung mit der Toilette. Nachdem ich mich dreimal meinem Würgereiz hingegeben habe, lehne ich meinen Rücken an die Wand und sinke an dieser zu Boden.

Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr.

„Ich kann nicht mehr. Warum hilft mir denn keiner“, krächze ich in den leeren Raum hinein.

Ich stütze meinen Kopf auf meine Knie und Tränen laufen aus meinen Augen. Es ist der Anfang einer langwierigen Verzweiflung.

Zuerst ertönen nur leise Schluchzer aus meinen Mund, bevor sie immer lauter und lauter werden. Ich kann mich nicht gegen die Abwehrreaktion meines Körpers wehren. Er versucht meine Verzweiflung über Tränen, Rotz und Schluchzer abzubauen, aber es bezweckt nichts. Rein gar nichts.

„Jody, bist du da?“, weckt mich Hock aus meiner Selbstverzweiflung und ruft mir den Raub in Erinnerung. Ich bin nicht zum Spaß hier. Okay, eigentlich schon. Es ist eben nur eine andere Möglichkeit der Freizeitgestaltung.

„Ich komme gleich. Du weißt doch, wie lange Frauen auf der Toilette brauchen“, versuche ich ihn aus dem Klo zu vertreiben.

„Es hat sich eher so angehört, als würdest du weinen. Aber gut, wir sehen uns draußen. In fünfzehn Minuten beginnt die Rede des Vorsitzenden. In dieser Zeit müssen wir bereits auf dem Weg zum Tresor sein. Beeil dich Clara, Schatz, sonst müssen wir einen anderen Termin finden. Herr Drechsler ist kein geduldiger Mensch.“

Als er anfängt seine Worte bewusst zu wählen, ist es ein Zeichen dafür, dass ich mich nicht mehr alleine bin. Ich zücke mein Handy aus der Tasche und schalte die Frontkamera ein.

Mein Make-up verdient es nicht mehr so genannt zu werden, weshalb ich ein Tempo aus meiner Handtasche nehme, es mit meinem Speichel befeuchte und mir damit das Gesicht reinige. Es geht schneller als gedacht und ich pudere mich erneut ein. Den schwarzen Kajal benutze ich um meine Lippen hervorzuheben, ebenso wende ich es an meine Augen an. Jetzt fehlt nur noch die Wimperntusche, wobei ich jetzt die Wasserfeste bevorzuge. Mir ist nie in den Sinn gekommen, dass mir übel werden könnte, aber das Schicksal überrascht einen immer wieder.

Ich begebe mich wieder zu meinem Schein-Mann und unterhalte mich mit ihm über belanglose Themen, damit jeder sieht, dass wir uns gut verstehen und es auch mir blendend geht.

Zach sieht sich derweilen im Raum um, spricht mit anderen Gesellschaftern und erkundigt sich, ob es lohnenswert ist, eine Aktie in andere Unternehmen zu investieren.

Der Vorstand begibt sich auf die Bühne und wir gehen aus dem Saal, während sich die anderen auf den Stühlen niederlassen. Niemand bemerkt unser Verschwinden und das kann ruhig so bleiben.

Auch Joy gibt keine Warnung durch, weshalb wir uns mit schnellen Schritten Richtung Tresor bewegen. Immer schneller werden unsere Füße, bis wir fast schon über den Boden schweben. Bis wir zur ersten Sicherheitstüre gelangen, halten wir das Tempo bei. Ich nehme die Karte aus meiner Brusttasche und ziehe sie durch den Scan. Die Anlage gibt ein Piepsen von sich und ich ziehe die Türe auf.

Es verlaufen unzählige Gänge durch JOPUS, da es auch einen unterirdischen Bereich gibt. Gerade befinden wir uns dort und suchen nach dem Tresor.

„Wir haben uns nicht verirrt. Die Gänge sind nur so lang, damit genug Platz für die Schließfächer der Kunden ist. Das ist normal“, beruhige ich ihn. Tatsächlich ist es normal, dass die Zentrale einer international bekannten Bank so ausgerichtet ist. Sie wollen uns verwirren. Sie wollen der Wolf sein und wir sollen das Lamm spielen.

„Ich hoffe es“, ist das einzige, was er erwidert. Ja, ich hoffe es auch. Wir schweigen weiterhin und halten Ausschau nach Kameras. Falls wir eine entdecken, schleichen wir uns im toten Winkel um sie herum oder schießen einen schwarzen Saug-Stoff in ihre Richtung, die ihr die Sicht verweigert.

Bis dato haben wir schon elf Kameras hinter uns und es werden nicht weniger. So lange sie nicht verstehen, dass sie es mit Dieben zu tun haben, ist alles gut. Offensichtlich ist hier noch keiner eingebrochen, sonst hätten sie verschärfte Schutzmaßnahmen angebracht, die uns jeglichen Plan zum Raub zerstört hätten. Dem ist aber nicht so und nach etwa zwanzig Minuten, wie ich durch einen Blick auf meine schwarze Armbanduhr feststellen kann, haben wir den Tresor erreicht.

Es befinden sich zwar auch Schließfächer von reichen Kunden hier, aber es hätte zu lange gedauert und zu viele Nerven wären davon kaputtgegangen, wenn wir das Geld von reichen Menschen gestohlen hätten. Daher müssen wir nur den hauseigenen Tresor ausräumen.

Ganze acht Kameras müssen wir aus dem Weg räumen, um überhaupt zu ihm zu gelangen.

Als wir vor ihm stehen, sieht Hock auffordernd zu mir. Ich soll, laut seinem Blick, den Zahlencode eingeben.

Ich ziehe Handschuhe an und gebe den PIN ein, der mir von Xaver per verschlüsselter SMS zugesendet wurde. Hauptsache ich hinterlasse nirgends einen Fingerabdruck, sonst könnten sie mich zurückverfolgen. Wenn ich das Geld habe, möchte ich meine Ruhe genießen und nicht vor der Polizei fliehen oder aber ein paar Bullen mit meinen Blitzen grillen.

Hock öffnet die schwere Tür und ich durchwühle meine schwarze Handtasche nach den Müllsäcken. Ich finde die Packung und reiße sie auf.

Unterdessen wirft mein Schein-Mann die Geld-Packs hinein und ich halte ihm die Beutel auf. Als ein Sack voll ist, schließe ich ihn mit Kabelbinder. Ganze fünf Beutel Geld kommen zusammen und ich schließe den Tresor wieder, als wäre nichts geschehen.

Hock nimmt drei Säcke und ich die anderen zwei. Zusammen laufen wir zu dem Männerklo im ersten Stock.

Als wir circa ein Drittel unseres Weges geschafft haben, hören wir ein verdächtiges Geräusch, das auf einen Sicherheitsmann hinweist. Ich gebe meinem Partner ein Zeichen, das er mir vertrauen soll.

Ich lasse meine zwei Säcke bei ihm stehen und klackere laut mit meinen Absätzen auf dem Boden, um unter allen Umständen die Aufmerksamkeit des Mannes auf mich zu ziehen.

„Was machen Sie hier? Sollten Sie nicht bei der Vorstellung des Jahresplans sein?“

Ich ziehe meinen Mund zu einem Schmollmund und sehe ihn verzweifelt an. „Es tut mir leid, dass ich Sie damit belästige, aber ich habe mich auf dem Weg zum Klo verirrt und weiß nicht, wo es sich befindet.“ Wie es aussieht, kauft er mir meine Ausrede nicht ab, sodass ich zu härteren Maßnahmen greifen muss. Er sieht noch jung aus, weshalb ich es so versuche: „Ich habe meine Tage und es ist dringend. Können Sie mir bitte helfen?“ Er nickt überfordert und dreht sich auf dem Absatz um.

„Auch das tut mir leid“, flüstere ich ihm ins Ohr, als ich meine Fingernägel in seine Schultern kralle und energiearme Blitze durch seinen Körper schicke. Mit offenem Mund sieht er geschockt zu mir und sinkt nach meiner Behandlung zu Boden. Das hat er definitiv nicht erwartet.

„Hock, komm schnell. Er ist nur kurzzeitig gelähmt. In einer halben Stunde ist er wieder beim Alten, also musst du dir keine Sorgen machen“, rufe ich um die Ecke.

„Ich hätte mir so oder so keine gemacht. Was schert mich ein Menschenleben. Du vergisst manchmal, dass ich auch in der Anstalt war. Genauso wie du.“ Wo er Recht hat, hat er Recht.

Ich hätte nie gedacht, dass es solch ein Aufwand ist, zum Männerklo zu kommen. Auf den Weg dorthin musste ich vier Männer und zwei Frauen kurzzeitig lähmen und mich dabei sechs Mal entschuldigen. Ich weiß nicht, ob sie es verdient haben, weshalb ich ganze sechs Mal das Wort „Entschuldigung“ wiederholt habe.

Endlich sind wir am gewünschten Ort angekommen und ich stoße die Tür auf.

Ein Mann sieht mich überrascht mit offenem Hosenstall an und kann sich vor Schock nicht mehr rühren. Ich schmunzele, denn anscheinend brauche ich ihn nicht mehr lähmen, denn er ist schon gelähmt. Gelähmt vor geballter Weiblichkeit. Trotzdem gehe ich auf Nummer sicher und zwei meiner hellblauen Blitze lassen ihn bewusstlos auf den Boden sinken.

Till verbarrikadiert derweilen die Tür mit einem Stück Metall, das er von der Seitendekoration der Wand abgerissen hat.

„Worauf willst du warten? Das es rosa Gänseblümchen regnet, oder was?“, reißt er mich aus meinen Gedanken. Er wird mir direkt noch sympathisch.

Ich hole einen Schraubschlüssel aus meiner Tasche und drehe die Schrauben heraus, die das Fenster an Ort und Stelle gehalten haben. Es ist nicht zum Öffnen gedacht gewesen, sondern es ist allein dazu da gewesen, damit die Männer ihre besten Stücke in Tageslicht betrachten können.

Ich reiche Hock die Beutel und er wirft sie aus dem Fenster. Als alle auf der anderen Seite sind, steige ich auf seine Schultern, um zu sehen, ob Jonathan bereits da ist.

Er hat sich an unsere Vereinbarung gehalten und ist gerade dabei, die Müllsäcke in den Kofferraum zu verfrachten. Ich nicke Hock zu und ich steige etwas umständlich von seinen Schultern. Nun verstehe auch ich, was die Frauen an ihn finden. Seine Muskelkraft ist unglaublich faszinierend für eine Frau.

Wir richten unsere Klamotten und ich auch mein Make-up, sowie meine Perücke. „Mich irritiert deine neue Haarfarbe. Die schwarzen Haare mit den blauen Strähnen haben dir besser zu gesagt, als dieses helle rot. Davon bekommt man ja Augenkrebs“, ist er mit mir einer Meinung.

„Ja, ich weiß. Es ist ja auch nur eine Perücke. Meinst du, dass mich die Gesellschafter nicht wiedererkennen, wenn ich mit meiner echten Haarfarbe vor ihnen stehe. Es wäre dumm, wenn ich keine Perücke gekauft hätte. Verstehst du?“, versuche ich ihn nicht wegen seiner Dummheit anzuschreien. Da ist er wieder, der Mann in ihm.

Männer sind unglaublich dumm, wenn du ihnen nicht alles vor die Nase wirfst. Sie wären blind für das Schöne und Hässliche der Welt, auch wenn sie anderer Meinung sind. Insgeheim haben die Frauen die Macht über die Welt. Ohne sie gäbe es nur Kriege, aber mit ihnen werden einige verhindert. Würden die Frauen gleichgestellt den Männern sein, würde es keine Probleme mehr geben und alle könnten in Frieden leben. Aber so ist es einmal nicht. Die Männer sind zu dumm, um das zu merken.

„Du siehst gleich aus, wie vor fünf Minuten. Lass uns zurück in den Kreis der Gesellschafter gehen und uns verabschieden. Somit schöpfen sie keinen Verdacht“, hofft Hock.

„Ja, dann können wir endlich von hier verschwinden. Dieser Ort kotzt mich wortwörtlich an.“

Wir kommen genau in den Saal, als der Vorstand die letzten Wörter der Rede abliest. Keiner sieht uns an, als wir zu den Stühlen in der letzten Reihe schleichen. Alle lauschen wie gebannt dem nicht wirklich spannenden Vortrag und applaudieren zum Schluss. Ich kann einige seufzen hören, als die Rede vorüber ist und stimme ihnen insgeheim zu. Ich habe nur einige Sätze mitbekommen, aber das reicht für eine ganze Weile an Langeweile.

„Und wie fanden Sie es? Es sind ausgesprochen gute Zahlen, obwohl es gar nicht so gut lief“, wendet sich ein dicker Mann zu mir um.

„Ich bin ebenfalls ganz überrascht von dem Gewinn. Ich freue mich schon, wenn die Dividende sich auf meinem Konto befindet. Genau deswegen sind wir doch hier, oder?“ Mit nach oben gezogenen Mundwinkeln betrachte ich seine Mimik. Er nickt mehrmals hintereinander. Danach dreht er sich wieder um, da ich anscheinend keine geeignete Gesprächsperson darstelle. Daraufhin begnügt er sich zu einem älteren Ehepaar und fragt sie das Gleiche.

Wir verlassen mit einer Ausrede, dass unser Kind gerade ins Krankenhaus eingeliefert worden ist, das Gebäude. Während Till unsere Jacken holt, stehe ich im Gang herum und mustere die weißgrauen Wände. Sie sehen schmutzig aus, aber es ist nur die Farbe, die den Gang so düster erscheinen lässt.

Mein Blick gleitet über den Teppich bis hin zu dem Schatten, der um die Ecke biegt. Ich korrigiere mich, es sind mehr Schatten. Bekannte Schatten. Sogar ziemlich bekannte Schatten. Ich kann es nicht fassen, dass sie es wagen, hier aufzutauchen.

„Was um Himmels Willen macht ihr hier?“

„Es ist auch schön, dich zu sehen. Jody.“

 

Verdienter Neid (überarbeitet)

Als mir Hock meine Fake-Designer-Jacke in die Hand drückt, die ich billig aus einem Secondhand Shop erworben habe, komme ich wieder in die Realität zurück. Ich war kurz von der Präsenz meiner ehemaligen Klinik-Kollegen abgelenkt und in Gedanken an die alte Zeit versunken. Nie wieder gehe ich dorthin zurück. Außer mein Herz will es so. Dann solle es so sein!

„Jody. Willst du uns denn gar nicht erzählen, was du hier machst? Dieses akkurate Aussehen steht dir. Aber nichts desto trotz interessiert es mich sehr, was du hier zu suchen hast. Oder besser ausgedrückt, warum bist du nicht in der Klinik, sondern in einer Bank?", stellt Zoey drei Fragen, die ich nicht beantworten will.

„Das Gleiche könnte ich dich auch fragen. Ich muss jetzt leider los“, würge ich sie ab.

„Wir werden uns wiedersehen. Morgen, Abend bei der großen Eiche“, meint Zoey überlegen.

Ich drängele mich an ihnen vorbei, doch mittendrin hält mich jemand am Handgelenk fest. Deshalb drehe ich mich um und blicke Steve tief in die Augen. Ich hasse ihn dafür, dass er mich damals in der Klinik nicht unterstützt hat. Er zuckt zusammen, als ich ihm einen kurzen Stromstoß verpasse und sinkt daraufhin ohnmächtig zu Boden. Einer meiner Mundwinkel wandert wie von selbst nach oben, wodurch sich ein halbes Lächeln ergibt.

Ich stöckele mit Till davon und gehe durch die Tür der Bank JOPUS hinaus.

„Wer war denn das?“

„Meine alten Freunde aus der Klinik. Du solltest sie eigentlich kennen, sie waren schon mit dir in der Anstalt. Sie haben dann einen schrecklich simplen Fluchtplan entwickelt und sind damit sogar durchgekommen.“

Er erwidert darauf nichts mehr und der Bedienstete fährt den Wagen vor. Wir öffnen gleichzeitig die zwei gegenüberliegenden Türen und setzten uns in den Porsche.

„Geschafft“, wendet er sein Gesicht zu mir.

„Ja, endlich. Der Raub ist mir endlos erschienen.“

Mit einer Gelassenheit, die nicht jeder beim Autofahren hat, fährt er zur großen Eiche. Dort angekommen gehen wir zum Transporter und Hock drückt die Türklinke nach unten. Zum Vorschein kommen Joy und Z.A., die konzentriert unsere Beute zählen.

„Was macht ihr denn Schönes. Und das auch noch ohne uns?“, grinst Hock sie an.

„Ach, wir zählen nur das Geld durch. Damit ihr es nicht tun müsst. Ist ja auch viel zu viel Arbeit, wenn ihr mich fragt“, antwortet Zach.

„Naja, ich glaube eher gesehen zu haben, wie du 10 Riesen in deine Tasche eingesteckt hast. Nicht, dass du dich am Ende verzählt hast. Lass das Geld doch lieber Jody zählen“, schlägt Hock vor.

Z.A. zieht nachgebend das Geld aus seinem Rucksack und wirft es in einen der offenen Beutel. Joy steigt aus und wirft zwei Müllsäcke in den Rückraum unseres Porsches.

„Hock und ich fahren zu meiner Wohnung und ihr bleibt hinter uns. In meiner Wohnung zählen wir dann die Beute und teilen sie gerecht auf. Hat irgendjemand einen Einwand, so melde er sich jetzt“, lasse ich sie nur kurz über meinen Vorschlag nachdenken.

„Ja, ist gut. Jonathan komm, oder hast du dich anders entschieden?“

„Mann, was denkst du nur? Natürlich möchte ich auch meinen Teil von der Kohle haben. Meinst du es ist mein Hobby, einen Banküberfall zu planen und durchzuführen“, stellt Joy eine ironische Frage.

Wir fahren zu meiner Wohnung und ich sehe die einzelnen Fenster der verschiedenen Etagen an. Und genau in diesem Moment, in dem mein Blick das Fenster von Ralf und Irene streift und ich das bekannte Gesicht von der Ehefrau sehe, weiß ich, dass wir beobachtet werden.

Ich erkläre ihnen per wirre Zeichen, dass wir möglichst unauffällig in meine Wohnung gehen müssen, da uns jemand durch das Fenster verfolgt.

Die Männer zucken einfach nur mit den Schultern und schleppen die Müllbeutel die Treppe hinauf zu meiner Wohnung. Ich habe Hock vorher noch den Bund meiner Schlüssel in die Hand gedrückt, damit er die Tür aufsperrt. Irgendwie konnte ich schon erahnen, dass Irene mich zur Rede stellt, welchen Grund es hat, dass sich drei Typen in meinem Heim befinden.

Genau einen Schritt vor der Grenze zu meiner Wohnung und dem Treppenhaus ruft die Stimme von meiner Nachbarin meinen Namen.

„Jody, Liebling. Ich habe schwere Schritte gehört und habe mich zufällig gefragt, ob du nicht Besuch hast. Mein Kuchen, der mir heute übrigens sehr gut gelungen ist, wartet nur darauf von hungrigen Männern verspeist zu werden. Wie wäre es mit einer kleinen Tee- und Kuchenparty.“

„Irene. Ich glaube nicht, dass das erwachsenen Männern gefällt. Es ist eher etwas für kleine Möchtegernprinzessinnen, die das mit ihren Möchtegernprinzessinnen - Freundinnen spielen. Außerdem müssen wir noch für die Stiftung Freiheit für alle, kurz FFA, wichtige Angelegenheiten besprechen, die wir nicht aufschieben können“, rede ich mit ihr Klartext.

„Ach, das erklärt auch deinen Aufzug. Ich entschuldige mich für mein Verhalten. Ich weiß, dass ich unmöglich bin.“ Sie huscht die Treppe hinauf und ich wünsche mir, dass ich sie mindestens eine Woche nicht mehr sehen muss. Hoffentlich.

„So Leute, ich bin wieder da. Lasst uns das Geld zählen“, jubele ich ironischerweise.

„Warum der Sarkasmus?“, fragt Joy.

„Stellst du dich so blöd oder bist du es?“, kritisiere ich seine Wortwahl. „Es ist Ironie. Und Ironie ist etwas Anderes als Sarkasmus. Warum kapiert es denn keiner!“, schreie ich mit zur Seite geöffneten Armen gen Himmel.

„Die Situation eskaliert und ich muss dazwischen gehen, bevor noch jemand zu Schaden kommt“, kommentiert Hock in einer Moderator-Stimme.

Ich beruhige mich etwas und sehe mich nach einer Sitzgelegenheit um. Dumm nur, dass sich nur zwei Stühle in meiner Wohnung befinden, wo sich momentan Hock und Z.A. bequemt haben.

„Ja. Ich habe auch schon mitbekommen, dass du eine großartige Möbelausstattung hast“, beleidigt mich Joy. Okay. Nicht ausrasten, Jody. Sei du selbst und bewahre Ruhe.

Sei still, Kind. Du hast hier nichts zu melden. Du bist nur ein Nichtsnutz, der sich wichtigmachen will.

Nein! Nein. Nein. Nein! Lass mich in Ruhe, Mutter. Du kannst mir nichts mehr anhaben. Du bist tot. Oder? Jedenfalls hat mein Psychologe mir erzählt, dass du tot bist und ich glaube ihm. Du weilst nicht mehr unter den Lebenden, also muss ich nicht mehr vor euch in die Knie gehen.

„Los geht es. Wir sind zum Verteilen der Beute hier und nicht um einen Kaffeeplausch ohne Irene abzuhalten.“

Nach einer guten halben Stunde, wir haben es zweimal durchgezählt, haben wir eine Summe von 1,35 Millionen Mark zusammenaddiert. Xaver bekommt 108.000 Mark, während jeder von uns 310.500 Mark auf der Seite hat.

"Das genügt für die nächsten fünf Jahre. Dann muss ich wohl wieder zur Arbeit gehen oder noch einmal eine Bank ausrauben. Wenn ich mir jedoch den neuen Audi A200 kaufe, könnte es schon nächstes Jahr knapp mit den Ersparnissen werden" gibt uns Joy einen Einblick in sein aufregendes, zukünftiges Leben.

"Das interessiert uns wirklich sehr! Sag uns einfach Bescheid, wenn du wieder eine Bank ausrauben willst. Wir sind dann wieder mit von der Partie, oder Leute? Wir sind ja jetzt Partner", hält Hock eine rührende Ansprache.

Alle nicken, bis auf mich. Keiner bemerkt es, außer Z.A.. Er mustert mich argwöhnisch, aber ich kann nichts für mein schlechtes Gefühl dabei. Ich fühle die Unsicherheit, dir mir zuflüstert, dass ich nächstes Mal wahrscheinlich nicht mehr dabei sein werde.

„Jody hat anscheinend etwas Besseres vor, als ihre Partner zu unterstützen. Was ist es denn? Ein Besuch im Kosmetikstudio oder eine weitere Diät-Kur?“

Warum bemängeln alle mein Gewicht? Als würde es meinen Charakter und mein Wesen beschreiben. Unsinn!

Ich beschließe die Wahrheit zu sagen. „Wir werden sehen. Es kann immer irgendetwas passieren, dass unsere Wege voneinander trennen könnten. Vielleicht liegt morgen schon jemand angeschossen auf dem Gehsteig und verblutet, während niemand zur Hilfe eilt. Gehen wir einfach mal vom Schlimmsten aus.“

„Ach, dir geschieht schon nichts. Du bist stark, auch wenn du nicht so aussiehst“, winkt er mein Gesagtes mit der Hand ab. Schon wieder ist mein Gewicht ein Grund.

„Verdammt noch Mal, ich bin nicht magersüchtig! Ich bin vielleicht etwas zu dünn, aber das weiß ich selbst. Jetzt deutet nicht immer mit dem Zeigefinger auf meinen Körper und kritisiert diesen. Er kann auch nichts dafür. Akzeptiert es oder nicht. Mir ist es egal, solange mich niemand darauf anspricht. Es ist euer Problem und nicht meins, wenn ihr mit meinem Aussehen unzufrieden seid“, schreie ich sie aus vollem Halse an, während ich mich vom Stuhl erhebe.

„Beruhige dich, Jody! Keiner von uns hat abschätzig über deine Figur geredet. Wir respektieren dich, wie du bist. Jedoch muss auch ich sagen, dass du etwas zu dünn bist. Wir machen uns nur Sorgen!“ Hock du wirst mir immer unsympathischer.

„Ach von wegen. Es ist normal, dass ihr euch verteidigt, schließlich seid ihr bereits ein eingeschworenes Team und ich die Neue. Trotzdem könnt ihr eure indirekten Aussagen nicht vor mir verstecken. Ich erkenne es, wenn jemand vor meiner Nase über mich abwertend spricht. Also schweigt über dieses Thema oder es liegt in nächster Zeit jemand tot auf dem besagten Gehsteig und das bin nicht ich.“

Dem Anschein nach sind sie jetzt still und keiner versucht mehr sich vor der Wahrheit zu drücken. Zufrieden mit mir, setzte ich mich wieder hin und fange über Sinnloses an zu reden.

„Was macht ihr sonst noch so mit dem Geld“, sage ich, um von meiner Persönlichkeit abzulenken.

„Ich besorge mir zuerst tonnenweise Gummibärchen. Meine Frau hat mich auf Diät gesetzt, aber von dem Banküberfall auf JOPUS weiß sie nichts, was so viel heißt wie: Ich muss meine Süßigkeiten verstecken. Aber naja, vielleicht kaufe ich ihr auch ein weiteres Jane Austen Buch, die sie wortwörtlich verschlingt. Ich verstehe sie nicht, nur, weil die Männer in den Verfilmungen besser aussehen als ich, sind sie auch nur Fantasie-Männer mit sehr stark ausgeprägten, kantigen Gesicht. Und ich kann von mir selbst behaupten, dass ich durchtrainiert bin und damit gar nicht so schlecht aussehe, oder?“

„Das musst du die Frau in der Runde fragen und nicht mich“, rettet sich Z.A. vor einer Antwort. Alle Aufmerksamkeit liegt deshalb auf mir.

Ich mustere Joy von oben nach unten und stimme seiner Aussage zu, aber ich muss ihn ein bisschen zurechtstutzen. „Du siehst okay aus. Ich stehe zwar mehr auf rothaarige Männer mit deutlicherem Muskelansatz, ……. aber Spaß beiseite du bist ganz akzeptabel, wenn du nicht verunsichert Fragen stellst. Jedoch rate ich dir, sie besser zu befriedigen, dann denkt sie nicht mehr an die Protagonisten im Buch. Am besten so, dass sie dich nie wieder vergisst.“

Seine Augen werden ganz rund und ich versuche mein hämisches Lachen zurückzuhalten. Es gelingt mir nur bedingt, aber die Aufmerksamkeit liegt schon wieder auf Hock, sodass es keiner mitbekommt.

„Ich denke, ich baue mit dem Geld meinen Berg von Schulden ab. Ich war einige Zeit lang süchtig nach Glückspielen, aber dann hatte ich kein Geld mehr. Deshalb habe ich überhaupt hier mitgemacht. Nun denn, ich bin ganz zufrieden mit der Ausbeute. Und Jody, du kannst dich nicht davor drücken, ebenfalls deine Frage zu beantworten.“ Ich könnte ihn dafür würgen und sein Herz aus der Brust reißen.

„Ich reise mit meinem Anteil quer durch die Welt und besuche damit Teile meiner ehemaligen Familie und auch meinen Bekanntenkreis. Ich freue mich schon auf das Wiedersehen mit ihnen“, lächele ich geheimnisvoll.

„Ich frage lieber nicht, was mit Wiedersehen gemeint ist. Das kann nur schlecht enden“, kommt es von Hock.

„Da kann ich dir nur absolut Recht geben. Du würdest Schaden davontragen. Ich dagegen werde über meine Vergangenheit siegen“, stimme ich ihm zu.

Die anderen fragen nicht nach, was ich mit dem Reisen und Wiedersehen meine, weshalb für kurze Zeit Schweigen herrscht. Joy sieht auf seine schwarze Armbanduhr, die man hier an jeder Ecke zum Spottpreis nachgeworfen bekommt.

„Ich habe noch eine Stunde Zeit, bevor ich meiner Frau einen Besuch im Bett abstatten muss. Egal ob sie will oder nicht“, zwinkert er mir zu.

„Jody, hast du eigentlich einen Freund?“, fragt mich Z.A. ohne Grund. Ich schüttele den Kopf. „Mensch Jody, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Erzähl doch warum.“ „Die Antwort liegt doch auf der Hand. Ich WILL keinen. Freunde machen nur Probleme. Man hat ja alleine schon genügend Probleme.“ „Das ist aber noch nicht der tatsächliche Grund. Also?“ „Ich finde selten Männer anziehend genug, um in eine Beziehung zu starten. Antwort genug?“ Langsam möchte ich ihn wirklich unter seiner Gürtellinie schlagen!

 „Das ist ein Schlag in die Magengrube.“ Hat er ernsthaft gedacht, dass ich ihn anziehende finde? Er ist wirklich von sich selbst überzeugt. Joy könnte sich eine Scheibe davon abschneiden. Aber keine allzu große.

„Jody so charmant, wie ich dich in Erinnerung habe. Du hast dich seit der Klinik wirklich kein bisschen verändert“, lenkt mich Till von Z.A. ab.

„Da liegst du falsch. Die Anstalt hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Vorher war ich ein Mensch. Durch die Experimente habe ich den Menschen in mir genauer kennen gelernt. Deshalb weiß ich nun, dass ich ein Monster bin. Ein emotionsloses Monster mit tödlichen Fähigkeiten, wenn ich nicht gerade von Tabletten ausgeknockt bin.“

„Das ist wahr. Die Klinik hat mich ebenfalls verändert. Aber positiv, denn ich war früher viel aggressiver. Das liegt sicherlich an den härteren Drogen, die ich vor der Einlieferung konsumiert habe. Zurzeit sind es Gänseblümchen. Ich bin süchtig nach dem Zeug, es macht dich so ruhig und du brauchst dir keine Sorgen um dein Leben mehr machen. Solltest du auch ausprobieren, Jody. Unbedingt, es ist ein großartiges Gefühl“, schwelgt Hock in Erinnerungen an seine Vergangenheit.

„Nein danke. Ich bin seit meinem Rauswurf aus der Achten clean. Das will ich nicht riskieren, um ein paar Gänseblümchen zu essen oder zu rauchen. Das ist es mir nicht wert“, gebe ich meine Meinung kund.

„Früher oder später kannst du der Versuchung nicht widerstehen. Genauso war es auch bei mir. Zuerst der Widerwille, dann das Begehren und danach die mentale Freiheit, die mir bis dahin sooft verwehrt blieb. Daraufhin musste ich mir nie wieder Gedanken um das Irrenhaus machen. Ich war frei!“

„Lieber lebe ich mit Gedanken an die Anstalt, als mich mit Drogen in eine rosarote Rauschwelt zu bringen.“

Während unserer Konversation haben wir die anderen zwei vollkommen ausgeblendet. Jonathan und Zach sehen uns mit überraschter Miene an und folgen uns interessiert bei unserer ausgearteten Diskussion. Als auch Hock meinem Blick folgt, endet unser Gespräch. Wir sehen ihnen stumm in die Augen, um ihnen klar zu machen, dass, wenn sie ein Wort über unsere gemeinsame Vergangenheit verlieren, denn nächsten Morgen nicht mehr überleben werden. Sie nicken und wir wenden uns einem anderen Thema zu.

„Was macht ihr beruflich? Ich bin Kellner im Jacksons“, startet Joy den Thema - Wechsel. Völlig sinnlos, aber es erfüllt seinen Zweck.

„Ich bin Arbeiter auf dem Bau“, gibt uns Hock einen kleinen Blick in sein Leben.

„Bodybuilder, aber momentan läuft es schlecht mit dem Geschäft, da die Geräte zu alt sind“, sagt Zach.

Zuletzt bin ich noch dran. „Ich arbeite im Polak als normale Angestellte.“ Ich stelle fest, dass wir alle nur Geringverdiener sind, aber das dürfte mich nicht überraschen. Sonst würde man doch keine Bank ausrauben, oder? Gut, ich muss zugeben, alleine des Reizes wegen wäre es mir nicht fremd eine Bank zu überfallen.

„Joy, musst du nicht gehen?“, schmeiße ich ihn indiskret raus.

„Ja, muss ich. Soll ich es als Rauswurf auffassen oder eher als nett gemeinten Vorschlag?“

„Es ist dir überlassen, wofür du dich entscheidest. Die anderen können dann auch gehen, aber natürlich nur, wenn sie wollen.“

Sie grummeln etwas vor sich hin, wobei ich nur „miese Gastgeberin“ heraushöre. Passt, mehr hätte ich nicht von mir erwartet. Zweieinhalb Stunden Gerede über unnötige Dinge gehen mir auf die Nerven. Am Schluss nehme ich noch das Angebot mit den Gänseblümchen an. Bevor ich aber das mache, bitte ich sie nochmals höflich nach Hause zu gehen. Oder unter die Brücke, woher sie auch immer kommen mögen.

Alle verabschieden sich von mir, natürlich nehmen sie ihren Anteil der Beute mit und ich rufe ein „Bis irgendwann“ nach.

Jetzt muss ich nur noch Xavier das Geld zuschicken lassen. Hoffentlich entnimmt es keiner dem Paket, sonst müsste ich seinen Anteil von meinem abzweigen. Vielleicht sollte ich es ihm gar persönlich überbringen? Ja, das wäre die beste Idee.

Ich wähle seine zweite Nummer und nach dem üblichen Song geht er mit einer euphorischen Stimme dran.

„Hallo Jody! Bestes Wetter, oder? Kommen wir zur Sache. Ist mein Geld schon unterwegs?“ Er ist mal wieder ganz der Xaver, den ich kenne und früher vertraut habe. Jedenfalls bis er meinen ehemaligen Freunden von der Klinik verraten hat, dass ich einen Banküberfall geplant habe. Er ist die einzige Person, der von dem Überfall wusste und meine ehemaligen Kollegen kennt.

„Kommen wir doch zuerst zur wichtigeren Angelegenheit. Woher wissen Zoey, Luca, Steve und Beth von unserem Raub. Vielleicht hat ein gewisser Xavier, mit dem ich übrigens gerade telefoniere, ihnen von dieser eigentlich geheimen Sache erzählt, da er seine Klappe nicht gehalten hat.“

„Ich war es nicht! Egal was sie dir erzählt haben, es ist und bleibt gelogen. Du weißt doch, welche ausgezeichneten Lügner sie sind und …“, lasse ich ihn nicht zu Ende reden.

„Xaver lüg mich nicht an. Du weißt sicherlich, dass ich noch andere Zulieferer habe und gut auf dich verzichten kann. Du hast mich betrogen und ich sollte dir eigentlich deinen Anteil vorenthalten, aber ich gebe ihn dir trotz deines Verrates. Falls ich dich aber jemals wiedersehe, wird es schmerzhaft. Hast du mich verstanden?“ Er erwidert nichts auf meine Frage.

„Ich habe gefragt, ob du mich verstanden hast!?“, versuche ich es erneut.

„Ja, ja, ich habe verstanden. Wie kommt das Geld bei mir an? Als Paket oder Check?“

„Ich bringe es persönlich“, sind meine letzten Worte an ihm.

„Woher weißt du, wo ich wohne?“, höre ich ihn noch fragen, bevor ich auflege. Er bekommt keine Antwort mehr.

Wenn ich zu Linda und ihren Mann Joseppe nach Belgien in die Hauptstadt verreise und meine Rache an ihnen ausgeübt habe, mache ich noch einen weiteren Stopp in Norwegen und bringe das Geld in sein Haus. Es ist ein Plan. Ein Guter.

Mittlerweile ist es Abend und ich setzte mich auf den Balkon, um wie jeden Abend der Konversation zwischen dem alten Ehepaar zu lauschen. Ich muss zwar eine viertel Stunde darauf warten, aber es lohnt sich definitiv.

„Ich habe unsere Nachbarin Jody heute mit drei Männern in ihre Wohnung gehen sehe. Sie hat allerdings gesagt, dass es für ihr soziales Engagement notwendig ist, aber ich glaube ihr keineswegs. Zwei von den Männern waren in ihrem Alter, vielleicht 35, und haben ziemlich gut ausgesehen. Nichts desto trotz ist es der Beweis dafür, dass sie ein Flittchen ist“, fängt Irene wie immer an über mich zu lästern.

„Du übertreibst mal wieder schamlos, Irene!“, bringt Ralf es wieder auf ein normales Niveau. „Du kannst von fremden Personen nicht gleich etwas Böses behaupten, nur, weil sie so aussehen, als ob sie es wären“, er hat nicht ganz Unrecht, aber Recht hat er auch nicht. Gewissermaßen bin ich schon böse, besser gesagt, ich werde bald böse sein.

„Ich würde nie mit drei Männern alleine in der Wohnung sein wollen. Sie könnten ja sonst was mit mir tun“, gibt sie empört von sich.

„Einer Kreissäge wie dir wollen sie höchstens den Mund mit Klebeband zukleben. Um eine Vergewaltigung würde ich mir da wohl eher keine Sorgen machen. Außerdem bist du die Eine, die meine Frau ist und keine Hure, dazu bist du auch viel zu prüde“, versucht sich Ralf vor einer Standpauke vor Irene zu retten.

„Ich hoffe ich habe mich verhört! Das hast du nicht wirklich gesagt! Wie kannst du das zu der eigenen Frau sagen?“, braust sich die Ehefrau auf.

„Eigentlich ist es doch ein Kompliment, findest du nicht“, macht es Ralf nur noch schlimmer.

„Was ist denn daran gut? Wenn ich dir nicht schön genug bin, dann kannst du gehen“, serviert sie ihn ab. Ganz falsch liegt sie ja nicht.

„Du bist meine Frau und ich liebe dich. Ich meine damit, dass du eigentlich froh sein kannst, wenn dich keiner vergewaltigt. Aber meine Güte, lass uns bitte wieder von etwas Anderen reden“, fleht er sie schon fast an.

„Ein zweites Mal lasse ich es dir aber nicht mehr durchgehen. Ein einziges Mal ist schon einmal zu viel. In Ordnung, lassen wir das schwierige Thema hinter uns.

Drei große starke Männer sind das gewesen. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass sie die Leiterin einer Stiftung ist.“

„Hat sie das wirklich gesagt?“, fragt er.

„Ich weiß es nicht mehr genau, aber sie ist so angezogen gewesen. Eben wie eine reiche, gut erzogene Frau“, erklärt sie ihre Aussage. Wenn ich wirklich reich wäre, würde ich nicht mehr hier wohnen.

„Warum hast du sie dann als Flittchen bezeichnet?“ Ja, dass wüsste ich auch gerne.

„Egal, reden wir von Diana. Hast du schon gehört, dass sie wieder an ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz angestellt ist? Es wundert mich schon ein wenig, da sie ihren Chef ziemlich arg verflucht hat. Meiner Meinung nach, ist er auch an dem ganzen Schlamassel Schuld.“ Nein nicht ganz, sie trägt die alleinige Schuld, nicht er. Eric kann nur teilweise etwas dafür, weil er so blöd ist und eine Affäre mit ihr eingegangen ist.

„Ich mag Diana nicht besonders. Denk mal nach Irene, es könnte auch andersrum sein. Dem Chef wird schließlich immer alles angehängt, obwohl es auch die Mitarbeiter sein könnten“, zeigt jemand da unten endlich Vernunft.

„Hm, ich sehe unsere abendlichen Diskussionen werden immer aussichtsloser. Nie finden wir einen Kompromiss für unsere eigenen Ansichten. Was sollen wir bloß tun“, höre ich sie traurig flüstern.

„Irene, irgendwann finden wir auch für dieses Problem eine Lösung. Es muss ja nicht immer sofort sein, schließlich hat das Schicksal auch eine eigene Meinung dazu. Bevor wir uns darum Gedanken machen müssen, sollten wir zuerst anfangen zu leben.“

Das Schicksal hat auch eine eigene Meinung dazu. Ich glaube, dass ich diesen Satz schwer vergessen werde können.

Das Gespräch ist zu Ende, da sie wieder in ihre Wohnung gehen. Ich bleibe noch eine halbe Stunde sitzen und starre in die untergehende Sonne, bevor ich mich auch zum Schlafen entscheide.

 

Am nächsten Morgen weckt mich mein Wecker auf und ich mache mir wie immer Frühstück.

Heute schaffe ich einen ganzen Müsliriegel mit einem grünen Apfel als Beilage. Auch einen halben Liter Wasser trinke ich nebenbei, um meinen Wasserhaushalt auszugleichen.

In der Arbeit geht es heute spannender zu, als es in den letzten Tagen der Fall war, da Diana und Eric eine weitere Beziehungskrise zur Schau stellen.

Ich frage mich, ob die Kunden nicht genau deswegen immer noch in unseren Laden einkaufen. Sonst hat Polak eigentlich nichts Besonderes zu bieten, außer dem Theater, das sich fast zweimal wöchentlich abspielt.

„Ginger, kann es sein, dass heute eine Trennung naheliegt, oder irre ich mich?“, erkundige ich mich bei ihr, als sie sich zu mir an die Kasse gesellt, da sie mit dem Ausräumen der Ware bereits fertig ist.

„Ja, stimmt. Aber das läuft doch immer so ab. Sozusagen eine On-Off-Beziehung. Manchmal bin ich echt froh, dass ich diesen Beziehungsstress nicht habe. Hach, meinen letzten Freund habe ich mit meiner Bratpfanne aus dem Schlafzimmer geschlagen. Er hat es doch tatsächlich gewagt, mit mir Schluss zu machen und dann wollte er immer noch bei mir wohnen. Versteh einer diese Dummköpfe!“

Ginger redet wirklich viel, fällt mir gerade auf. Aber im Gegensatz zu manch anderen Stimmen, ist ihre geradezu angenehm. Sie reizt meine Ohren nicht und ich könnte ihr deshalb stundenlang zuhören, wenn es mich interessieren würde.

Ich erwidere nichts mehr und sie bietet mir an, weil ihr langweilig ist, die Kasse für mich zu übernehmen. Ich lasse sie gewähren und gehe auf Streife. Unauffällig tue ich so, als würde ich konzentriert Schachteln umräumen, doch beobachte ich Kunden, die eventuell Ware beschädigen oder mitnehmen könnten.

Heute hat wohl jemand Unglück und ich Glück. Ein großer, in die Jahre gekommener, Mann mit sehr dickem Bierbauch steckt eine Packung KitKat und danach eine große Flasche Rotwein ein, als er sich unbeobachtet fühlt.

Ich tippe ihm auf die linke Schulterseite und teile ihm mit, dass er mich zum Büro begleiten solle. Er sieht mich spöttisch an und will zur Kasse gehen, um die unbezahlte Ware dort hinauszuschmuggeln. Soweit lasse ich ihn nicht kommen, da ich ihm einen kleinen elektrischen Schock verpasse, der ihm kurzzeitig den Körper lähmt, bis Eric da ist.

Ich eile zu ihm und erzähle ihm alles. Der Chef selbst kümmert sich darum und schaltet die Polizei ein, die nach zehn Minuten vor Ort ist. Ich erzähle ihnen alles und, nachdem ich meine Informationen dies bezüglich, losgeworden bin, kann ich meine Arbeit ungestört fortsetzten. In meiner Schicht passiert nichts weiter und ich mache mich auf den Weg nach Hause.

Dort warte ich, bevor ich mich um achtzehn Uhr auf den Weg zur großen Eiche mache, schließlich habe ich es meinen alten Freunden mehr oder weniger versprochen.

Am Denkmal angekommen, sehe ich bereits vier Gestalten neben ihr sitzen. Es ist ein in Beton gegossener Baum, der den Name die große Eiche trägt, aber nicht wirklich wie eine Eiche aussieht. Eher wie ein runder Kreis auf einen senkrechten Balken. Naja, jedem das seine, aber meins ist es nicht.

„Jody, ich habe nicht gedacht, dass du uns auch noch mit deiner Anwesenheit beehrst“, will mich Zoey in Rage bringen. Aber nicht mit mir.

„Bist wohl immer noch so gesprächig wie vor ein paar Monaten. Erinnerst du dich noch? Heute, den 14.August, vor genau fünf Monaten habe ich dir von unserem Plan erzählt, denn du aber abgelehnt hast. Ich verstehe immer noch nicht, warum du das getan hast“, teilt mir Steve mit.

„Ich habe dir damals schon gesagt, dass er schlecht ist. Scheinbar hat er aber trotzdem geklappt.“

„Ja, das hat er sogar ausgezeichnet. Zwar haben wir dabei ein oder zwei Pfleger ins Jenseits geschickt, aber wem schert es. Sind schließlich auch nur Menschen. Und Menschen sterben leicht“, meint Zoey abschätzig.

„Zoey, du bist auch nur ein Mensch, falls du das vergessen hast. Aber, lass uns wieder auf JOPUS zu sprechen kommen. Jody, du hast doch nicht wirklich eine so berühmte Bank ausgeraubt, oder doch?“, fragt mich Beth, dieses unschuldig wirkende Wesen.

„Und? Wenn doch?“ Dann wollen sie meinen Anteil, damit sie es nicht der Öffentlichkeit preisgeben. Aber das schaffen sie nicht. Vorher werden sie nämlich gegrillt.

„Dann kannst du uns die Kohle geben, da wir einen sinnvolleren Zweck haben, als du je haben wirst. Wir brauchen nämlich eine Unterkunft…“

„Beth, halt die Klappe. Das braucht sie nicht wissen“, unterbricht Zoey Beth.

„Mädels, wir wollen keinen Streit“, mischt sich nun auch Luca ein. Ach, wollen wir das nicht?

„Leider ist es meine Beute, mit der ich mir wichtige Unternehmungen finanzieren möchte, weshalb ich sie nicht für Bedürftige spenden kann. Übrigens mit Arbeit verdient man auch Geld, mit dem man sein Leben gut bestreiten kann. Nur so, als kleine Info nebenbei“, gebe ich meine Entscheidung bekannt.

„Dann müssen wir dich wohl oder übel um die Ecke bringen oder übergibst du uns deinen Haustürschlüssel freiwillig?“, verrät Steve deren Vorhaben. Nur mit dem Unterschied, dass ich gewusst habe, dass sie an mein Geld wollen, habe ich es bereits in einem geheimen Versteck gebracht. Es liegt sicher verwahrt unter der Erde, jedoch immer noch in der Nähe meiner Wohnung.

„Gerne könnt ihr ihn haben, nur, dass er keinen Zweck erfüllen wird. In meinem Zuhause befinden sich keine Wertgegenstände, da ich so etwas nicht benötige und meine Beute ist irgendwo anders, aber nicht in der Wohnung.“

„Folter ist demnach die einzige Möglichkeit dich zum Reden zu bringen. Steve, Luca fesselt sie“, schreit Zoey in die Stille hinein, die sich nach meiner Erklärung gebildet hat.

Sie drängen mich nach hinten, bis sie mich eingeholt haben und mich auf den Boden werfen.

Luca setzt sich auf meinen Rücken und fesselt mir die Arme und Beine, wobei er mir etwas ins Ohr flüstert. „Genau in dieser Position habe ich mir dich oft vorgestellt, nur, dass die Situation gerade eher unpassend ist“, gesteht er mir. Anscheinend verdrängt die Macht über mich seine Schüchternheit.

Er wird schon sehen, was er davon haben wird.

Sie lehnen mich mit den Rücken an einen Baum und fangen an, mich zu befragen.

„Wo ist die Beute versteckt?“, beginnt Zoey. Ich habe sie bereits in der Anstalt gehasst und ich werde sie auch für immer hassen. Damals war es noch ein kleiner Hass, den ich gegen sie gehegt habe, aber während der gemeinsamen Zeit ist er gewachsen, sodass er mein ganzes Herz ausfüllt.

„Du wirst das Geld nicht finden“, sage ich ihr Wahrheit.

„Warum bist du dir da so sicher. Ich habe bis jetzt alles bekommen, was ich wollte“, erklärt sie mir. Ich kann es mir vorstellen. Steve ist ihr dressiertes Hündchen und bringt ihr alles, was sie möchte. Aber sie selbst ist zu faul, um auch nur einen Finger dafür zu krümmen.

Sie tritt mit ihren rechten Stiefel hart in meinem Bauch und ich zische laut die angehaltene Luft aus. Was fällt ihr überhaupt ein, mich so zu behandeln?

Die Windrichtung ändert sich und meine Haare verdecken mir die Sicht. So bemerke ich nicht, wie sie ein weiteres Mal ansetzt, meinen Bauch zu verletzen.

Bevor sie so weit kommt strecke ich ebenfalls mein Bein aus und lenke somit ihr Bein ab, sodass ihr Körper Richtung Boden wandert. Reine Intuition. Ein Grinsen ziert mein Gesicht, das mir aber bei der Ohrfeige, die mir Steve verpasst, schnell vergeht.

Das Gewitter, das aufgezogen ist, sendet Blitze gen Erdoberfläche und erleuchtet einzelne Stellen. Der Donner beschwert sich wie immer über die Helligkeit, aber seine Laune ist nur flüchtig.

„Sollten wir nicht lieber gehen“, schlägt Beth vor. Sie klingt so, als wolle sie das alles hier nicht, dennoch tut sie auf der anderen Seite auch nichts dagegen.

„Ach komm schon. Ein paar Blitze tun dir doch nichts. Sei kein Angsthase“, tadelt Zoey sie. Hätte sie Beth doch lieber zugehört.

Mit meinen Blitzen reiße ich die Kabelbinder entzwei und stehe auf.

„Wie hast du das gemacht?“, fragt mich Steve fassungslos.

„So wie ich auch das hier mache“, lasse ich aus meinen Händen zwei hellblaue und sehr energiereiche Blitze herausschießen. Ich lache wie eine Irre los, da es einfach ein wundervolles und befreiendes Gefühl ist, die Umgebung zu zerstören.

„Warum hast du dich fesseln lassen, wenn du diese Fähigkeiten hast?“, stellt Zoey eine sehr dumme Frage, selbst für ihre geistlichen Verhältnisse.

„Weil Rache süßer ist, wenn man vorher erniedrigt wurde. Falls du das noch nicht gewusst hast, wird es langsam Zeit dafür“, belehre ich sie.

Ich ziele mit meinen Blitzen auf Zoey und Steve, die mir in der letzten halben Stunde so viel körperliche Gewalt zugefügt haben, wie keiner selten zuvor und lasse sie damit gegen einen Baum schleudern. Sie ächzen unter den Schmerzen, aber es geschieht ihnen nur Recht. Dagegen verschone ich Luca und Beth. Luca daher, weil ich später noch genug Zeit für ihn haben werde und Beth, weil ich sie mag. Sie hat eine reine Seele.

Ich sehe mich auf der Fläche, auf der das Denkmal steht, noch einmal um und bewundere mein Werk, bevor ich in meinen Käfer steige und nach Hause fahre.

Um Steve und Zoey mache ich mir keine Sorgen mehr. Sie haben es bestimmt überlebt. Jedenfalls gehe ich stark davon aus.

Das Böse überlebt immer.

Der Anfang vom Ende (überarbeitet)

Mühsam verzehre ich eine Scheibe Brot mit Pfirsich - Marmelade als Aufstrich. Nach wochenlangem Training schaffe ich fast den morgendlichen Kalorienbedarf einer erwachsenen Frau. Nur mit dem Nachteil, dass ich bis zum Abend nichts mehr esse, da mir das Frühstück bis zum Abend noch schwer im Magen liegt. Folglich nehme ich nicht zu, aber auch nicht ab. Jedenfalls glaube ich das. Eine Waage steht schon auf der Einkaufsliste.

 

Ich räume das benutzte Geschirr von gestern und heute in die Spülmaschine und schalte sie ein. Daraufhin nehme ich noch einen Schluck Wasser zum Nachspülen und gehe Richtung Schlafzimmer, um mich für die Arbeit fertig zu machen. Heute ist der letzte Tag in dieser Woche, an dem ich arbeiten muss und dann habe ich vier Tage frei. Eric hat bloß mit den Schultern gezuckt und mir die Urlaubstage von meinem Kontingent abgezogen. Momentan bin ich auf den aktuellen Stand von einer Woche Urlaubzeit, die ich bereits verbraucht habe, und drei Wochen stehen mir für dieses Jahr noch zur Verfügung.

 

Es klopft an der Tür und ich seufze. Ich werfe einen schnellen Blick auf die Uhr, während ich Richtung Türe gehe. Mir bleiben noch zwanzig Minuten bis ich los muss. Genügend Zeit, um noch einen kurzen Plausch mit Irene abzuhalten. Wer sollte sonst um diese Uhrzeit bei mir auf der Matte stehen?

 

Mit meinem Pokerface stehe ich Zoey gegenüber, aber innerlich steht mir vor Überraschung der Mund offen. In geringster Weise nervös sehe ich in ihre Augen. Sie gibt als Erste auf und fängt mit einem grundlosen Grinsen in ihrem Gesicht an zu sprechen.

 

„Oh Jody. Leider kann ich dir dein schlechtes Benehmen von gestern nicht mehr verzeihen. Du bist einfach losgefahren, ohne, dass du dich um uns gekümmert hast. Wir hätten sterben können. Mein geliebter Steve hat sich wegen dir den Arm gebrochen und dafür musst du nun bezahlen", droht sie mir. Sie sieht dabei wie ein Murmeltier in Rage aus, doch jedem das Seine. Ich kann sie nicht ernst nehmen, da ich weiß: Ich bin stärker als sie.

 

Ich gebe ihr mit einem Hand-Wink zu verstehen in meine Wohnung einzutreten. „Wir wollen den Nachbarn doch nicht ihren, dringend benötigten, Schönheitsschlaf vorbehalten. Sonst gelte ich am Schluss noch als unfreundlich", begründe ich meine Geste.

 

„Pf. Als würdest du dich um andere kümmern", spricht sie die Wahrheit an. Das Einzige, was ich wirklich möchte, ist sie schnell um die Ecke zu bringen, bevor sie es mit mir tut.

 

„Dein Benehmen gestern Abend ist aber nur einer von vielen Gründen, warum ich dich in dieser Drecksbude besuche. Wirklich? Du hast so einen Haufen Geld und kaufst dir keine schickere Wohnung?! Ich bin enttäuscht von dir, zugleich aber erleichtert, denn ich bekomme deshalb umso mehr Geld. Wo befindet sich die Kohle?", versucht sie herauszufinden, wo ich sie versteckt habe.

 

„Unglücklicherweise kann ich dir den Ort nicht nennen, sonst wäre die Beute dort nicht mehr sicher. Wie hast du überhaupt herausgefunden, wo ich lebe?", stelle ich nebenbei eine Gegenfrage, damit sie abgelenkt ist. Sie hat anscheinend nichts in der Klinik gelernt, da der amateurhafte Ablenkungsversuch tatsächlich funktioniert.

 

Derweilen bewege ich mich schleichend in meine Küche, wobei sie mir dicht folgt. Sie misstraut mir nicht umsonst.

 

„Ich hatte einmal mit Xavier eine Affäre und er ist immer noch total verschossen in mich. Seine Frau tut mir echt leid. Nun ja, eigentlich nicht, da sie selbst eine Hure ist. Als würde sie so einem alten Chaoten treu bleiben und er ist auch nicht wirklich attraktiv. Ich verstehe nicht, was sie an ihm findet. Vielleicht ist es sein Geld. Ja das ist der Grund. Das ist immer der Grund", grübelt sie in Gedanken nach.

Zoey, nun ist deine letzte Chance zu fliehen. Und du hast sie verpasst.

 

„Weißt du eigentlich, dass es gefährlich ist für jemanden, der zu sehr in Gedanken versunken ist? Es könnte ein Messer in deiner Schulter landen.", verpacke ich in meinen Worten eine indirekte Drohung, die sogar sie versteht.

 

„Als könntest du mir jemals etwas zu Leide tun. Du bist magersüchtig und hast somit keine Kraft in deinen erbärmlichen Armen und dann bist du zu dumm, um deine Klappe vor der Stärkeren zu halten. Mein Anliegen war lediglich noch ein, für dich letztes, Gespräch zu führen, schließlich waren wir mal Freunde. Aber dann hat mein Freund und Verlobter dich ins Auge gefasst und wollte dich. Das kann ich auf keinen Fall zulassen, wodurch heute dein allerletztes Stündchen geschlagen hat!" Sie zückt eine Pistole und zielt auf meine Stirn. Abgesehen davon, dass die Waffe im falschen Winkel gehalten wird, dürfte es ein Streifschuss werden.

 

Gerade noch rechtzeitig weiche ich aus, ehe sie abdrückt. Während ich zu Boden gehe, ziehe ich ein scharfes, langes Schneidemesser aus einem der Halter, die ich vorher zu mir heran gezogen habe während der Drohung. Ich wusste am Anfang unseres Gesprächs bereits, dass sie mir nicht wohlgesinnt ist. Und jetzt habe ich die Bestätigung.

 

Ehe sie nachlädt, da sie immer nur einen Schuss abfeuern kann, werfe ich das Messer und bete, dass es irgendwo in ihr stecken bleibt. Innerlich jubelnd, weil es sogar ihre Schulter getroffen hat, geht sie auf die Knie, da der Schmerz an ihrer so starken Kraft zerrt. Sie verzieht deswegen ihr schönes Gesicht und blickt mich mit einem bitterbösen Blick an. „Denkst du ernsthaft, ich lasse dich gehen? Heute ist dein letzter Tag auf Erden und den möchte ich unbedingt mit dir verbringen", raune ich in ihr Ohr. Sie reißt entsetzt die Augen auf und ich schubse sie auf den Teppich. Wenn er mit Blut befleckt wird, kaufe ich mir halt einen Neuen. Geld habe ich.

 

Ich nehme einen Kabelbinder, den ich für das Zusammenbinden der Müllsäcke verwendet habe und fessele sie an mein Bett.

 

Mein Blick streift abermals die Uhr und ich stöhne genervt. „Wegen dir komme ich noch zu spät zur Arbeit. Ich freue mich schon, wenn ich nach meiner Schicht nach Hause komme", grinse ich sie diesmal teuflisch an. Es ist nur Notwehr, mit einer Prise Rache, beruhige ich mich selbst.

 

Ich laufe zu meinem Auto und brause los. Ich bin rechtzeitig bei Polak angekommen, somit sitze ich um Punkt acht an der Kasse. Keine fünf Minuten später lasse ich Produkte über den Scan laufen. Die Leute drängeln und beschweren sich, weil es ihnen zu langsam geht, aber es kommt ihnen eigentlich bloß so vor. Ich arbeite im üblichen Tempo und sie verlassen – glücklicherweise - bald den Laden.

 

Nach vier Stunden löst mich Rebecca ab und ich fange an, leere Kisten zu zerschneiden und sie in einen größeren Karton zu werfen. Halb volle Schachteln räume ich in die unteren Schachteln um und sammele dabei immer wieder Packungen ein, die von Kunden aufgerissen wurden. Die Leute, die dem Geschäft einen solchen Schaden zufügen, haben keinerlei Schuldgefühle. Sie bereuen nichts.

 

Man tippt mich an und ich setze mein bestes, unechtes Lächeln auf, um einen ratlosen Kunden zu helfen. Ich dachte zumindest, er sei hilfsbedürftig, aber als ich Steve hier entdecke, verschwindet meine Höflichkeit.

 

Xaver wird es bereuen, wenn er sich noch einen Fehler leistet. Er hat mich verraten.

 

„Woher weißt du, wo ich arbeite?", frage ich ihn skeptisch.

 

„Von deinen lieben Nachbarn. Ich soll dir übrigens einen herzlichen Gruß ausrichten, da sie dich von ganzem Herzen vermissen", ahmt er die Stimme von Irene nach. Ich schnaube bloß und sehe ihn dann an.

 

„Ich bin hier, um zu sehen, ob es dir gut geht. Schließlich wünsche ich dir nur das Beste. Du mir ja nicht", er streichelt absichtlich über seinen bandagierten Arm. Ich entschließe mich, ihm heute ausnahmsweise nicht weh zu tun. Wie gütig, ich doch bin!

 

„Und ich wollte dich fragen, ob Zoey heute bei dir vorbeigeschaut hat. Aber es hat sich erledigt, da ich gerade einen Anruf von ihr bekommen habe. Also, ich mache schon einen Abflug. Keine Sorge." Er verlässt den Laden durch den Ausgang und ich fahre mit meiner Arbeit fort. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er heute oder morgen noch bei meiner Wohnung vorbeikommt wird. Bis dahin sollte Zoey aus dem Weg geräumt sein, da ich sie sonst nirgends verstecken kann. Hoffentlich bleibt mir noch genug Zeit, damit ich auch einen Spaß daran habe. Für was würde ich mir sonst solche Probleme bereiten, die vielleicht nicht glimpflich enden werden. Am nächsten Tag könnte schließlich schon die Polizei an die Tür klopfen und ich mache diese blutverschmiert, mit einem irren Gesichtsausdruck, auf. Ich sollte einfach keine Gedanken an das Problem verschwenden, denn sonst bekomme ich es wirklich noch.

 

Ich beeile mich auf dem Nachhauseweg und hoffe, dass Steve nicht eingebrochen ist. Im Schnelltempo eile ich die Treppen hinauf und mich erwartet nur eine hochrote Irene. Sie hat sich die Haare in der Warnfarbe Rot färben lassen und erhofft sich, vergebens, ein Kompliment von mir. Darauf kann sie lange warten. Von mir aus, bis sie sich auf dem Weg ins Jenseits befindet.

 

„Hallo Jody. Einen schönen Tag, wünsche ich dir. Wie war es in der Arbeit?", beginnt sie einen Smalltalk mit mir. Was habe ich gemacht, dass ich so etwas verdient habe?! Das ist eine viel zu große Bestrafung für den Mord, den ich in einiger Zeit an Zoey begehen werde.

 

„Wie immer. Was willst du, Irene?", lasse ich meine Ablehnung gegenüber ihr freien Lauf.

 

„Mein Mann und ich dachten, es wäre mal wieder nett, dich zum Essen einzuladen, da du anscheinend kaum Zeit zum Kochen hast", spielt sie auf mein Untergewicht an. Dieses Thema ist tabu für dich! Ich möchte diesen Satz am liebsten herausschreien, damit ihr die Ohren bluten. Sie soll bluten! Nein. Zoey. Zoey soll bluten!

 

„Danke, aber ich ernähre mich bewusst, um meinen Körper nicht unnötig zu strapazieren. Wenn ich es nicht tun würde, hätte ich bereits Streifen am Bauch und könnte mich nur noch eingeschränkt bewegen", sage ich, während ich meinen Blick abschätzend über ihren Körper wandern lasse. Sie verzieht ihre faltige Haut zu einer Schnute und macht endlich einen beleidigten Abflug.

 

Ich stecke meinen Schlüssel in das Loch und drehe ihn um. Somit habe ich freien Eingang in mein Reich und die Tür fällt währenddessen hinter mir ins Schloss. „Ich bin wieder da", schreie ich durch den Flur. Ich kann jemanden wimmern hören und ich schreite mit großen Schritten in mein Schlafzimmer, nachdem ich die Tür wieder zugesperrt habe. Dort sehe ich sie an der gleichen Stelle am Boden sitzen, wo ich sie verlassen habe. Wie tief kann man nur sinken, um hier zu landen? Sehr tief.

 

„Was hast du mit mir vor?", stellt sie sich dem Anschein noch dümmer als sie tatsächlich ist. Ich behalte es mir vor zu antworten, da es unter meinem Niveau ist.

 

„Was hast du mit mir vor", schreit sie mich diesmal wütend an. Auch das zweite Mal ignoriere ich ihre Frage und starre sie nur an. Es soll sie reizen.

 

„Was hast du mit mir vor? Ich will wissen, was du mit mir vorhast!" Sie trampelt abwechselnd mit ihren Füßen auf meinen wunderschönen weißen Teppich, den ich bereits liebgewonnen habe und hat dabei große Ähnlichkeit mit einem trotzigen Kind. „Du wirst sehen. Aber eins kann ich dir garantieren: Es wird nicht angenehm", warne ich sie mit meinem starren Pokerface. Es wird wahrlich schmerzhaft, jedoch nur für sie.

Ich werde dabei lächeln, wie ich es immer tue. Immer schön lächeln.

 

Ich verlasse das Schlafzimmer und gehe in die Küche. Dort nehme ich mir zwei Küchenmesser, Essigessenz und Salz und trage sie ins Bad, wo ich sie auf einen Regal abstelle. Ich schiebe den Teppich beiseite und verschone ihn damit vor ihrem verschmutzenden Blut.

 

Meine Schritte, da ich barfuß gehe, können nur gedämpft wahrgenommen werden, da der Boden den Großteil der Geräusche verschluckt. Zoey sieht mich mit einem verzweifelten Blick an, als ich erneut vor ihr stehe.

 

„Es wird nur kurz weh tun", gebe ich ihr Auskunft über ihren zukünftigen Schmerz.

 

„Was....", weiter kommt sie nicht, da ich bereits ihre Haut berühre und ihr einen kleinen Stromschlag verpasse, durch den sie in Ohnmacht fällt.

 

Es dauert nicht lange und sie findet sich am Heizkörper angekettet vor. Sie weicht instinktiv vor mir zurück und drängt sich an die Wand hinter ihr.

 

Es gibt für sie kein Entkommen mehr und das stellt sie gerade in diesem Moment fest. Sie starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an und bittet mich um einen letzten Gefallen: „Sagst du Steve bitte, dass ich ihn liebe und nie vergessen werden." Meine Antwort darauf wird sie entsetzen, aber ich liebe es, die vollkommene Kontrolle über jemanden zu besitzen. „Natürlich nicht! Denkst du, ich bin ein Botschafter niederer Nachrichten, die ihn vermutlich genau so kalt lassen werden, wie mich momentan. Als würde er sich ernsthaft für dich interessieren. Er hat mich heute sogar in der Arbeit besucht und nach mir gesehen, da er sich Sorgen um mich gemacht hat. Da siehst du, wie viel du ihm bedeutest. Leider wirst du deine Rache nicht mehr erleben. Es tut mir so leid."

 

„Du bist einfach nur", fängt sie einen Satz an.

 

„Ja, was bin ich?"

 

„Du bist widerlich. Du ekelst mich an", beleidigt sie mich.

 

„Das trifft sich ja gut. Du mich nämlich auch. Und jetzt halte still, sonst macht es mir keinen Spaß mehr. Lass mich deine Schmerzen genießen" Es sind die letzten Worte, die ich an sie verschwendet habe. Und wie zu erwarten, macht sie genau das Gegenteil von meinem Befehl. Genau das, was ich bezwecken wollte.

 

Damit sie Ruhe gibt, fasse ich sie am Knöchel an und lasse ihre Muskeln durch einen energetischen Schlag kurzzeitig erschlaffen. Es ist der Anfang vom Ende. Von ihrem. Ihre Haare fallen ihr ins Gesicht, als sie versucht, sich mit ganzem Körpereinsatz von ihren Fesseln los zu reißen. Mit geringem, besser gesagt keinem, Erfolg. Sie ist wirklich erbärmlich. So bemitleidenswert in ihrer jetzigen Verfassung. Sie zerrt an den Kabelbindern, dennoch geben sie keinen Millimeter nach. Sie sollte aufgeben, es ist das Beste für sie. Und ich will ja nur das Beste für meine kleine Zoey. Ich fahre mit meiner Hand durch ihre Haare, um sie noch nervöser zu machen.

 

Ich lasse abermals einen kleinen Schock durch ihren Körper fahren, um sie zu beruhigen und mich meine Arbeit tun zu lassen. Es ist schon schlimm genug, wenn ich das Blut aufwischen muss, aber diese Widerspenstigkeit lasse ich mir auf keinen Fall gefallen. Sie liegt mucksmäuschenstill dar und gibt keine Anzeichen von sich, sich erneut zu bewegen. Vielleicht war es ein wenig zu viel Energie? Möglicherweise. Sehr wahrscheinlich!

 

Ich nehme eins von den zwei Messern in die Hand und schäle einige Stellen ihrer Haut am rechten Arm ab. Sie stöhnt vor Schmerzen, aber durch meine Lähmung ist ihre Zunge zu schwer, um genau artikulieren zu können. Aber das kommt noch, da meine Energie schon langsam wieder abnimmt und die Sensoren den Schmerz ans Gehirn weiterleiten werden.

 

Sie schreit nach zwei Minuten schrill – wie eine Kreissäge - auf, als die Hälfte ihrer Arm-Haut entfernt ist. Jedoch ist es erst der Start der Schmerzorgie. So intensive Schmerzen hat sie bestimmt noch nie gespürt. Das alles verdanke ich nur Dave, der mir das in der achten Klinik beigebracht hat. Sein Versuchskaninchen war ich. Ich war nur das Experiment und er der Wissenschaftler, der mehr über meine Fähigkeiten erfahren wollte, so wie auch die anderen Wissenschaftler, die ich für immer und ewig hassen werde. Deshalb mussten sie alles an mir untersuchen, auch die Hautzellen. Und sie haben es genossen. Jetzt beginnt meine Rache und dabei kann ich meine eigenen Erfahrungen an ihr, in Echt ausprobieren.

 

Als ich zufrieden mit dem Ergebnis bin, durchschneide ich die heilen Stellen bis an die Knochen mit dem anderen Messer und Blut quellt, wie bei einem Vulkan die Lava, aus ihr heraus. Ihren anderen Arm verschone ich und widme mich ihrem linken Fuß. Dort verfahre ich genauso, wie oben an ihrem Arm. Sie schreit vor Pein und Demütigung, aber sie muss noch ein Weilchen durchhalten, bevor ich sie in andere Dimensionen übergehen lasse.

 

Fertig betrachte ich mein Kunstwerk und nehme das Salz und die Essigessenz in die Hand. „Für was entscheidest du dich? Für eine salzige Prise oder eine saure Lösung?", lasse ich ihr dem Anschein nach die Wahl. Sie verdächtigt darunter keine List und entscheidet sich mit einem Flüstern für das Salz. Die Schreie haben ihre Stimme ziemlich beeinträchtigt und ich fange wegen meiner Vorfreude meiner späteren Behandlung an ihr, wie eine Irre, an zu lachen. Ich kann nicht anders. Es fühlt sich einfach zu gut an. Es macht süchtig. Ich kann nicht mehr aufhören. Heute wird sie sterben!

 

Ich packe ihren Arm und ihr Blut beschmiert meine Handflächen. Ich lächele sie ein vorletztes Mal für heute an und streue es auf ihre offenen Wunde. Tränen treten über ihre Augen und laufen ihre Wange hinunter. Das bewegt mich keineswegs und ich mach weiter mit meiner Tortur, die mir immer mehr Spaß macht. Auf ihrem Bein verschütte ich den Rest der salzhaltigen 100 Gramm Dose und werfe sie danach in die Ecke.

 

„Bitte töte mich. Ich kann nicht mehr! Ich will nur noch sterben", fleht sie mich an. Leider kann ich es ihr nicht gewähren und antworte ihr trotz meinem kleinen Schwur, zu ihr nichts mehr zu sagen. „Das geht, leider, nicht. Zuerst muss ich mein Rachegefühl an dir auslassen. Du hast keinen Schimmer davon, wie viel von dieser Emotion sich in mir befindet. Und ich will Rache üben. Und zwar an allen, die mir je etwas zu Leide getan haben. Wenn meine Opfer am falschen Ort zur falschen Zeit sind, muss ich eben zu schnappen. Du kannst dich aber geehrt fühlen, denn du bist mein erstes Opfer, wenn man meinen Bruder vernachlässigt." Ihr Weinen nimmt zu und ich bin gewillt ihr einen kleinen Schnitt zuzufügen, der fast ihre Luftröhre durchschneidet. Heißes, dunkelrotes Blut fließt ihrem zarten Hals hinab. Ich muss schon wieder grinsen, doch ich wehre mich auch nicht dagegen. Heute ist das erste Mal in meinem Leben, seit dem unbeschwerten Teil der Kindheit, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen kann.

 

Ich nehme ein Stück Toilettenpapier in die Hand und gebe viel Essig darauf, sodass es ganz durchweicht ist. Damit schmiere ich ihre Halswunde ein und sie bekommt einen Schreikrampf. Sie hält wirklich nicht viel durch. Ich lege das Papier auf ihr Gesicht. Hektisch schnappt sie nach Luft. Doch sie bekommt nur wenig von dem heiligen Lebensinhalt.

 

Ihr T-Shirt fällt in der Mitte durchtrennt auf den Boden und sie liegt nur noch im BH vor mir. Ich füge auf ihrer zarten Bauchhaut weitere feine oder tiefe, je nach Lust und Laune, Schnitte hinzu. Ich könnte so etwas in der Art öfters machen. Dabei kann ich, ich sein, ohne dass ich für einen Psycho gehalten werde. Ja, genau das mache ich. Endlich habe ich mal ein Hobby gefunden, um mir die Zeit zu vertreiben.

 

Ich leere die halbe Flasche Essig über ihre Wunden aus und stelle sie dann zurück auf das Regal. Sie hat keine Kraft mehr, sich unter den Schmerzen zu winden und es nimmt mir den Spaß.

 

Meine Blitze sprießen aus meinen Handflächen und sind bereit sie zu töten. Ich ziele mit ihnen auf ihren halbgehäuteten Körper und sie reißt ihre Augen vor Überraschung auf. Sie dachte doch nicht wirklich, ich würde sie mit einem Messerstich ins Herz von ihrem Leid erlösen. Da hat sich jemand aber gewaltig in mir getäuscht. Meine Blitze werden sie dagegen nicht verschonen und ihren Körper verbrennen. Die Verästelungen meiner Lieblinge decken ihren ganzen Körper ab und leiten meine Energie in hohen Dosierungen in jede Stelle an ihrem Körper hinein. Sie ist nicht einmal im Stande zu schreien und zappelt nur hin und her, bis ihr Körper erschlafft. Naja, eigentlich das, was am Schluss von ihr übrigbleibt. Der Boden in meinem Badezimmer ist mit Asche bedeckt, mit der ich nichts anzufangen weiß. Ich denke nach und mir kommt eine Idee. Ich entsorge diese einfach im Abfall.

 

Sollte ich mir Gedanken machen, ob sie durch die Asche die Mörderin in mir enttarnen? Was schert es mich? Wenn ein Polizist mir einen Besuch abstattet, werde ich ihn eben auch töten. Eine Leiche mehr oder weniger verdirbt mir auch nicht den Racheakt.

 

Zoey war das erste Opfer und es werden ihr noch weitere folgen. Es warten weitere Personen auf ihre Bestrafung, wenn keiner wegen persönlicher Gründe noch dazu kommt. Man weiß es ja nicht, wer mich noch verstimmen wird.

 

Die Klingel wird betätigt und ich schreie zu dem Besucher auf der anderen Seite der Tür: „Warte!" Schnell reiße ich meine Klamotten vom Körper und ziehe mir neue an. Dann wasche ich meine Arme und das Gesicht, da meine Hände so aussehen, als ob sie in Blut getaucht worden sind und mein Gesicht hat auch einige Spritzer abbekommen.

 

Lächelnd, wegen meiner guten Stimmung, öffne ich für Steve den Eingang zu meiner Wohnung und frage ihn, was er hier macht.

 

„Ach nichts. Warum riecht es hier so verbrannt?", versucht er, während er mit mir redet, Einblick in mein Zuhause zu bekommen.

 

Ich stoppe ihn, indem ich eine Hand auf seinen Bauch lege. Er sieht zu der Stelle hinunter, wo ich ihn berühre und fängt an zu grinsen, was mich irritiert. Das lasse ich mir aber nicht anmerken und ziehe meine Hand zurück.

 

„Zoey war nicht zufällig hier, oder? Ich vermisse sie schon, jedoch finde ich sie nirgends. Es fühlt sich irgendwie so an, als möchte sie nicht gefunden werden", äußert er seine Bedenken.

 

„Ganz zufällig nicht. Was weiß ich! Kümmert mich das Wohlbefinden einer Irren? Nein!" Es geht mir am Arsch vorbei, was er für sie empfindet. „Sie ist jedenfalls nicht hier und du kannst wieder gehen", verabschiede ich mich ganz ladylike von ihm. Ich möchte die Tür vor seiner Nase zuschlagen, was aber nicht, wie geplant, funktioniert, denn er keilt seinen Fuß dazwischen ein.

 

„Nicht so unhöflich, Jody! Diese Seite kenne ich noch gar nicht an dir. Aber sie gefällt mir ganz gut. Bist du im Bett auch so ein kratzbürstiges Kätzchen?", startet er einen Flirtversuch. So dumm hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt.

 

„Nein und jetzt geh! Ich will nichts mit dir zu tun haben. Sonst könntest du es bereuen und missachte nicht meine Worte, denn wenn du das tust, wirst du den nächsten Morgen nicht mehr erleben!", warne ich ihn vor der Gefahr. Vor mir. Zoey hat es ignoriert und mit ihrem Leben bezahlt.

 

Es kümmert ihn anscheinend nicht, dass ich ihm gedroht habe, weil er in mir vermutlich auch nur die kleine Magersüchtige sieht. Genau wie alle anderen.

 

„Du bist wunderschön, vor allem seitdem du deine Haare gefärbt hast. Steht dir! Deine Strähnen sind der helle Wahnsinn! Ich will dich schon seit ich dich zum ersten Mal sah, aber du hast immer abgeblockt. Heute kann ich leider nicht mehr auf dich warten. Ich muss dich nehmen", sagt er zu mir. Heute ist er ebenfalls auch viel zu ehrlich und zu aufmüpfig. Auf seine Ehrlichkeit kann ich getrost verzichten. Er übersieht meine genervte Mimik gewissenhaft und stürzt sich auf mich.

 

Ich bereite mich vor, meine Blitze ein zu setzten, wenn er mir weh tut. Er berührt meine Lippen mit seinen und ich erkenne, dass ich mich nach Sex gesehnt habe. Schon lange hat mich keiner mehr ausgefüllt. Außerdem wäre es Ironie, wenn wir Sex hätten. Die letzte Schikane von an Zoey.

 

„Okay. Heute lasse ich dir dein schlechtes Benehmen durchgehen, doch nächstes Mal wirst du dafür büßen."

 

„Jody, es gibt kein nächstes Mal. Ich nehme dich nur einmal durch, du musst schließlich etwas Besonderes bleiben. Keine Sorge, du wirst mich für immer unten spüren, denn meinen Liebling vergisst keine so schnell", verspricht er mir eine lange Nacht. Er hat zwar eine etwas seltsame Ansicht von Sex, aber so lange ich ihn kein zweites Mal sehen muss, spielt es keine Rolle, ob er mich noch einmal besucht oder nicht.

 

Er begehrt einen Zungenkuss von mir und ich gewähre ihm einen. Derweilen zieht er mir mein T-Shirt aus und vergräbt seine Hände in meinen fast nicht vorhandenen Brüsten. Ich stöhne unter seiner Brust - Behandlung immer wieder laut, wenn er anfängt, meine Brustwarzen zu zwirbeln.

 

Ich komme ihm entgegen als er meine Hose nach unten zieht und seinen Mund in meiner Mitte versenkt. Seine Zunge durchweicht meine Unterhose und, nachdem er ungeduldig auch diese zu Boden gerissen hat, spüre ich Haut auf Haut sein stimulierendes Mundwerkzeug. Schon alleine damit bringt er mich zum Orgasmus und ich kralle meine Fingernägel fest in seine Kopfhaut.

 

„Ja, genau so habe ich es mir festgestellt", durchbricht er meine Reise auf die siebte Wolke.

 

„Sei still und schieb endlich deinen Schwanz in mich! Ich kann nicht länger warten. Ich bin schon ganz feucht.

 

„Du bist eine richtige Spielverderberin", hat er eine Tatsache erfasst. Ich packe ihn an seinen knochigen Schultern und ziehe ihn zum Bett. Die Tür steht immer noch sprengelweit offen und ich bin bloß froh, dass es keiner mitbekommen hat, wie ich auf den Gang sexuell befriedigt worden bin. Steve steht wahrscheinlich darauf seine Künste mit der Öffentlichkeit zu teilen. Ich aber nicht.

 

Ich werfe ihn aufs Bett, da er sich nicht dagegen wehrt und ich krabbele auf ihn. Während ich auf ihm sitze, schnüre ich seine Springerstiefel auf, ziehe alle Kleidungsstücke aus, bis er sich nackt unter mir befindet. Er macht den Verschluss meines BHs auf und schiebt die Träger über meine Schulter, als ich mich nach vorne beuge.

 

„Du bist nackt noch viel schöner", versucht er erneut mir ein Kompliment zu machen.

 

„Halt einfach die Klappe. Ich will nur Sex und kein schwachsinniges Gerede."

 

„Gut, dann lass ich es eben bleiben. Ganz deine Entscheidung", widerspricht er mir ausnahmsweise einmal nicht.

 

Er dringt in mich ein und nach wildem Treiben kommt jeder zu seinen Kosten. Ich falle erschöpft auf die andere Bettseite und so bleibe ich ein paar Stunden liegen und döse vor mich hin, als er mich erneut mit Küssen auf meiner Schulter aufweckt. Hat ihm noch niemand auf den Hinterkopf geschlagen? Normale Menschen wissen, dass man keine schlafenden Personen aufweckt, denn dann sind sie unberechenbar.

 

„Willst du schon wieder Sex? Oder warum weckst du mich?", frage ich genervt nach seinem Anliegen, weshalb er mich mitten in der Nacht aus meinem Schlummer reißt.

 

Einige Zeit verweilen wir in einer angenehmen Atmosphäre, bis er zu einer Antwort ansetzt.

 

„Was ist, wenn ich es wirklich will. Und zwar für immer."

 

„Möchtest du eine ehrliche Antwort oder eine, die etwas radikaler ist? Ich wäre für die Radikale, aber es ist deine Entscheidung", gebe ich ihm die Wahl.

 

„Dann nehme ich die Ehrliche", entscheide ich mich.

 

„Ich halte nicht viel von dir und ich will nur Sex. Verstanden? Außerdem soll ich doch etwas Besonderes bleiben", fahre ich ihn an.

 

„Du bist wirklich eine Tigerin. Ich liebe es. Ich verlasse sogar Zoey für dich, wenn du mit mir zusammen sein willst", verspricht er mir. Wer es glaubt, wird selig. Und da ich nicht religiös bin, kann ich auch nicht seliggesprochen werden. Nun ja, sie ist tot. Da kann er nicht mehr viel verlassen.

 

„Ich bin aber nicht deine Tigerin, also vergiss es. Ich weiß über deine Vergangenheit als Stalker Bescheid und, wenn du nicht wieder eingewiesen werden willst, halte Abstand von mir. Ich bin nämlich gefährlicher als ein Stalker. Viel gefährlicher."

 

„Ein Mensch kann sich ändern. Können wir wenigstens noch einmal Sex haben?", bittet er mich.

 

„Kannst du haben. Komm her", zeige ich ihm meine dominante Seite.

 

Nach der letzten Bettrunde vertreibe ich ihn für immer und ewig, dass hoffe ich für ihn, aus meiner Wohnung und buche ein Reiseticket. Mein Flug geht morgen, in circa 18 Stunden, nach Norwegen, wo sich meine nächste Verwandtschaft namens Joseppe und Linda befinden. Es wird Zeit ihnen mein wahres Gesicht zu zeigen. Nicht das eines traurigen, allein gelassenen Teenager, sondern das einer Frau mit dem Namen Jody.

 

Ich packe somit meine sieben Sachen in einen geräumigen Koffer und lege ihn, mit meinen persönlichen Daten, auf Papier geschrieben und auf den Koffer geklebt, auf den Boden.

 

Den restlichen Tag verbringe ich mit Schlafen, Essen und Putzen, da die Möbel und der Rest der Einrichtung schon lange keine Reinigungsmittel mehr gesehen haben muss. Eine fingerdicke Staubschicht erstreckt sich über dem Regal, in dem meine Akten und andere Dokumente, wie der Mietvertrag, verstaut sind. In drei Stunden bin ich gerade erst mit der Hälfte meines Zuhauses fertig und schon jetzt bin ich fix und fertig. Ich setze mich hin, um mich ein bisschen auszuruhen. Wenn ich doch nur mehr Kraft hätte...

Meine Türklingel ertönt wieder und ich gebe ein entnervtes Schnauben von mir. Können die Menschen mich nicht mal in Ruhe lassen?!

Ich schließe die Tür auf und blicke in die grünen Augen von Irene.

Ich ziehe meine linke Augenbraue nach oben und warte, dass sie zu sprechen anfängt.

"Ich soll im Namen aller Nachbarn mich wegen dem Lärm beschweren und....", wird sie von mir unterbrochen. "Es tut mir leid! Mein Koffer, er ist sehr alt, ist nicht zu gegangen und ich einen Wutausbruch bekommen. Aber jetzt ist alles gut."

Sie scheint mir meine Notlüge nicht abzukaufen und geht nur widerwillig weg, als ich sage, ich sei sterbensmüde und will mich hinlegen.

 

Um dreiundzwanzig Uhr fahre ich mit meinen Habseligkeiten zum Flughafen der Stadt Fahn und checke ein. Die Welt hat sich seit meiner Einlieferung nicht wirklich verändert, sonst gäbe es keinen Airport mehr. Die Erklärung ist simpel: Das Erste, was man zerstört und nicht mehr aufbaut, ist ein Flughafen. Es ist einfach so.

 

Ich lasse mich auf einen der vielen Wartestühle nieder und beobachte die Uhr. Zwei Stunden sitze ich so da und betrachte die Minuten- und Stundenanzeige, bis ich den Koffer aufgebe und mich ins Flugzeug setzen darf.

 

Der Sitz 16 ist ziemlich versteckt, irgendwo in der Mitte, da ich ihn lange nicht gefunden habe. Die Handtasche, die durch ihr Aussehen an ein Abfallprodukt, das normalerweise im Container landet, erinnert, quetsche ich oben in die dafür vorher gesehene Lagerstätte. Seufzend sinke ich in den bequemen Sitz ein und warte geduldig bis das Verkehrsmittel startet.

 

Neben mir gesellt sich eine Russin in den verstellbaren Sessel. Ich erkenne die Nationalität daran, dass sie ein sehr strenges und stolzes Auftreten hat, eine kalte Mimik und hohe Wangenknochen. Es ist ein Merkmal ihrer Leute, dass sie als sehr kaltherzig gelten.

 

„Hallo. Ich bin Irina und wie heißen Sie?", stellt sie sich unnötigerweise vor, da ich sie eh nie wiedersehen werde.

 

„Jody", ich sage nichts weiter, als meinen Namen. Es genügt und auch sie sieht es schlussendlich ein.

 

„Wollen Sie etwas zu trinken, Miss?", fragt mich ein männlicher Flugbegleiter. Er ist ziemlich adrett angezogen, aber das sind hier alle.

 

„Gerne. Ich hätte gerne ein Glas stilles Wasser. Ich hoffe Sie haben das an Bord", wünsche ich mir.

 

„Natürlich. Wir haben alles, was Sie sich zu Trinken wünschen. Von Kiwi-Saft bis Ananas-Cocktail, haben wir alles, was das Herz begehrt. Wollen Sie auch eine kleine Süßigkeit? Zum Beispiel eine Dose Erdnüsse oder ein Tütchen Gummibärchen", fragt er mich.

 

„Haben Sie auch einen grünen Apfel", bringe ich meinen momentanen Herzenswunsch vor.

 

„Den bringe ich Ihnen sofort. Warten Sie nur einige Minuten und Ihr Wunsch geht in Erfüllung", verabschiedet er sich für kurze Zeit von mir.

 

Nach geschätzten fünf Minuten kommt er mit meinen Sachen wieder und reicht sie mir.

 

„Falls Sie noch etwas wollen, stehe ich Ihnen allezeit zu Diensten", schleimt er sich bei mir ein. Es hat eben Vorteile, wenn man etwas mehr Geld für die erste Klasse bezahlt, als die zweite Klasse zu nehmen.

 

Ich bin noch nie geflogen und als wir starten, kralle ich meine Fingernägel in den weichen Stoff, bis ich mich an das Gefühl gewöhnt habe. Immer darauf bedacht, im gleichen Abstand ein- und auszuatmen, entspanne ich mich langsam, aber sicher.

 

Ich trinke die kleine Flasche Wasser aus und der Flugbegleiter bringt mir sofort eine Neue, gegen die ich nichts einzuwenden habe.

 

Meine Sitznachbarin sieht immer wieder zu mir her und scheint so, als würde sie überlegen, ob sie ein Gespräch mit mir beginnen soll oder nicht. Ich würde ihr raten, es sein zu lassen, doch sie macht genau das Gegenteil.

 

Sie entscheidet sich, sich meiner Persönlichkeit zuzuwenden und öffnet ihren Mund. Es gibt tatsächlich Leute, die ein paar Stunden ohne Reden nicht durchstehen. Sie gehört definitiv dazu.

 

„Und was machen Sie in Norwegen?", fragt sie höflich.

 

„Ach, nur ein Familientreffen. Nichts allzu Wichtiges", sage ich.

 

Wenn sie wüsste, dass es ein Plan meines Racheaktes ist und, dass Morden an der Tagesordnung steht, hätte Sie bestimmt ein Fenster eingeschlagen und mich aus diesem geschmissen. Gut, dass sie sich über ihren zukünftigen Besuch bei ihrem Ex-Mann beschwert und nichts von meinen Gedanken ahnt. Sie könnte das bestimmt nicht verstehen. Keiner könnte das!

 

Außer ich.

 

Oberflächliches Bedauern (überarbeitet)

Die Durchsage einer Flugbegleitung informiert uns darüber, dass wir in Kürze den Landeanflug antreten werden und uns nun anschnallen müssen. Ich greife nach der Schnalle des Gurtes und lasse sie auf der anderen Seite einschnappen. Was passiert eigentlich, wenn kein enger Gurt um meinen Bauch liegt? Könnte ich mal googlen. Irgendwann. In ferner Zukunft.

Nach circa fünfzehn Minuten können wird das Flugzeug verlassen und Belgien erkundigen. Die meisten machen das wahrscheinlich, aber ich finde Sightseeings - Touren sterbenslangweilig. Und da ich ja noch nicht sterben will, gehe ich eben auf einen Rachefeldzug. Einen tödlichen Racheakt. Für andere. Linda und Joseppe werden es bereuen. Nur wegen ihrer Unverständnisse bin ich da gelandet, wo ich jetzt bin. Als mordsüchtige Irre auf der Straße von Brüssel und mit einem Stadtplan von Terz in der Hand. Wie komme ich nun in die dreißig Kilometer entfernte Einöde Terz? Ich entdecke einen Fahrplan für den Bus auf der anderen Straßenseite und überquere mit schnellen Schritten die Straße. Es fährt in genau eineinhalb Stunden ein Linienbus nach Terz, erfahre ich, nachdem ich den Plan studiert habe. Aha. Soll ich warten? Oder in das Café neben mir gehen und dort die restliche Zeit absitzen? Klar, ich nehme die zweite Möglichkeit, auch wenn mir zu viele Menschen dort zu sein scheinen.

Ich betrete den Laden und gehe schnurstracks zur Theke, um mir einen Cappuccino zu bestellen. Die Bedienung teilt mir mit einem freundlichen Lächeln mit, dass die Bestellung an den Tisch geliefert wird und ich somit nicht vor der Theke warten muss. Das Café selbst ist überschaubar, weshalb das kein Problem darstellen sollte. Ich setze mich an einen Zwei-Personen Tisch und öffne die Karte, um mir die Zeit zu vertreiben. Mich erwarten verschiedenste Eissorten, Kaffees und Kuchenarten, wobei mir erst beim dritten Durchgang der Karte auffällt, dass es ein Toffifee-Eis gibt. Ja! Ja, ja, ja! Ich will das. Meine Lieblings-Süßigkeit habe ich vollkommen vergessen! Ich stürme zur Kasse hin und grinse die Bedienung verrückt an. „Könnte ich auch dieses Toffifee-Eis bekommen? Bitte im Maxi-Format." „Sicher doch! Aber deshalb hätten Sie nicht extra aufstehen müssen. Ich gebe sofort die Bestellung auf! Gedulden Sie sich noch einen Moment." Ich nicke und gehe zu meinem Tisch zurück. Dabei bemerke ich, wie manche Leute sich über mein Benehmen amüsieren, was mich verärgert. Was geht es anderen Menschen an, wenn ich etwas bestelle!? Gut, dass sie noch nicht ahnen, dass es ihr letztes Lächeln sein könnte. Heute bin ich ausnahmsweise fröhlich gestimmt, sonst hätte die ganze Sache schon anders ausgesehen. Aber meine Vorfreude auf das Eis, lässt die Wut abkühlen.

Keine fünf Minuten sind vergangen und ich schiebe mir den ersten Löffel des Toffifee-Eises in den Mund. Ich schmelze wortwörtlich dahin. Ein wahrer Mundorgasmus, besser als der unten, spielt sich in mir ab. Ich muss öfters hierherkommen. Oder das Rezept erfragen. Ja, gute Idee. Das mache ich! Aber erst später. Zuerst muss ich Linda und Joseppe einen Besuch abstatten. Ich werde es wohl schnell hinter mich bringen müssen, sonst komme ich vor Verlangen auf das Eis noch um.

Nachdem ich bei der Bezahlung der Rechnung noch ein Trinkgeld von fünf Euro aufgeschlagen habe, frage ich, wo der nächste Supermarkt ist. Ich erfahre durch eine der Bedienungen, dass er etwas abseits liegt, da das Gewerbegebiet auf der anderen Seite der Stadt Brüssel ansässig ist. Aber durch hartnäckiges Nachhaken teilt sie mir doch noch mit, dass ein kleinerer Tante-Emma-Laden in der Nähe auch das Nötigste verkauft. Er ist gleich um die Ecke, wie sie sagt. Ich schaue auf die Uhr und erkenne, dass ich noch eine gute halbe Stunde habe, um den Laden zu besuchen.

Mit meinem Koffer in der Hand rolle ich den Gehsteig entlang und neugierige Passanten mustern mich von oben nach unten. Wie kann man es ihnen verdenken! Bestimmt gibt es nur wenige, bis gar keine, unbekannte Leute mit einem abgewetzten Koffer durch den Rand von der Hauptstadt streifen.

Tatsächlich finde ich den Supermarkt im Kleinformat auf Anhieb und betrete ihn, nachdem ich das Namensschild „HAIO“, über dem Eingang gelesen habe. Der Tante – Emma Laden muss sehr unbekannt sein, denn im Geschäft befindet sich außer mir, nur eine Frau in den Achtzigern oder Neunzigern, jedenfalls sind die Falten in ihrem Gesicht bereits tiefe Furchen, die ihr, damals sicher ziemlich schönes, Gesicht verunstalten.

Ich durchsuche die Regale zum Zweiten Mal, als ich das gewünschte Produkt finde. Es gibt hier wirklich Toffifee! Ich grinse und möchte die Schachteln am Liebsten umarmen. Freunde, ich komme!

An der Kasse sieht mich die einzig sich im Supermarkt befindende Mitarbeiterin nachdenklich an, aber als ich sie mit meinen Todesblicken beinahe erdolche, scannt sie die Produkte und übergibt sie mir. Es ist bestimmt etwas seltsam, wenn man mit einem Koffer in der Hand zehn Schachteln einer solchen Süßigkeit kauft. Dennoch ist es meine Sache, was ich kaufe und nicht.

Ich verlasse den Laden im Eiltempo, weil mir ein Blick auf die Uhr im Raum verraten hat, dass mir nur noch zehn Minuten bleiben, damit ich pünktlich an der Haltstelle ankommen kann, bevor der Bus wegfährt.

Schnaufend erreiche ich den Busstopp gerade noch rechtzeitig, da das öffentliche Verkehrsmittel bereits im Anmarsch ist. Vielleicht fünfzig Meter Abstand zu der Bank, auf der ich mich hingesetzt habe, denn sonst hätte ich einen Atemanfall bekommen. Nun durchwühle die restlichen Sekunden bis zum Einsteigen meine Tasche nach dem Portmonee. Wo ist der verdammte Geldbeutel, wenn man ihn braucht? Ach, er war in der Seitentasche versteckt.

Der Busfahrer hupt und ich sehe auf. Die anderen Fahrgäste sind schon eingestiegen und ich bin die Einzige, die sich hier draußen befindet. Ich eile zu dem Busfahrer und bezahle eine Fahrkarte zu dem Dorf Terz. Insgesamt zwölf Euro sind dem Weg zum Opfer gefallen und ich werde es nicht bereuen. Meine Finanzen laufen zurzeit sehr gut und ich kann es mir leisten. Es ist nicht wie damals.

Ich setze mich auf einen Platz, der in etwa in der Mitte liegt. Nichts Besonderes.

 

Der Brief ist angekommen, den ich so sehnsüchtig erwartet habe. Nach Wochen der Geduld reiße ich ihn auf und lese die Antwort durch. Geschockt gehe ich ihn nochmals durch. Wie konnte ich nur ein weiteres Mal auf meine Eltern hereinfallen? Als würden sie mir den Führerschein bezahlen! Wie konnte ich nur darauf hoffen, dass sie ihre Meinung bezüglich meiner selbst, Jody, geändert hätten? Die Verstoßene, die nicht mehr nach Hause darf, bin ich. Als ich die Internatszeit abgesessen habe, habe ich gewartet, dass mich meine Eltern abholen. Wie immer habe ich mich in ihnen getäuscht. Sie haben in der Zwischenzeit Urlaub auf Mallorca gemacht, während ich vor dem Tor der Schule gesessen habe. Ich habe nicht gewusst wohin, wenn mich nicht ein Sozialarbeiter aufgespürt hätte, als ich durch die Straßen der angrenzenden Stadt ziellos umhergewandert bin. Er hat mich samt Gepäck in eine Unterkunft verfrachtet, wo ich bleiben konnte, bis ich eine passende Wohnung für mich gefunden habe. Nach zwei Wochen habe ich mich abgemeldet und bin in meine erste und letzte Wohnung bis zu meiner Einlieferung gezogen. Der Staat zahlt mir das Hartz IV Geld und ich habe bis zu diesem Zeitpunkt ein sehr entspanntes Leben führen können. Bevor ich eine Arbeit antrete, möchte ich noch gerne ein oder zwei Monate in Ruhe leben und das wilde Leben der Jugend genießen.

Meine Eltern haben sich noch nicht gemeldet, sodass ich den Anfang gemacht habe. Leider hat es wieder nur in einer Enttäuschung geendet, weshalb ich beschließe, meine Eltern zu vergessen. Für immer und ewig!

 

Krampfhaft schließe ich meine Hand zu einer Faust und öffne sie wieder. Das wiederhole ich unzählige Male, ehe sich mein Körper von dem Rückblick erholt. Wenn ich meine Tabletten hätte, wäre die Welt heil. Naja, jedenfalls heiler als es jetzt der Fall ist!

Die Fahrt dauert nicht mehr lange und ich schiebe meinen Rolli durch Terz. Ich quartiere mich für zwei Nächte in ein Gasthaus ein, da ich nicht weiß, wie lange es dauert, bis ich meine Verwandtschaft finde und töte. Für heute mache ich mich nur noch bettfertig und lege mich hin. Hundemüde, wie ich bin, falle ich in einen traumlosen Schlaf und verabschiede mich somit neun Stunden von der Realität.

Am nächsten Morgen frühstücke ich im Hotel, da ich Vollpension gemietet habe. Für mich wäre es zu aufwändig in die nächste Stadt zum Essen zu fahren. Dafür ist mir die Zeit zu schade. Es gibt alles, was das Herz begehrt und ich entscheide mich für ein Müsli mit Joghurt und einen grünen Apfel. In meinem Koffer befinden sich ja noch die zehn Schachteln meiner Lieblingssüßigkeit, worauf ich mich schon tierisch freue. An einem Tisch für mehrere Personen nehme ich Platz und fange an zu essen. Langsam, sonst gewöhnt sich mein Magen nicht an die rasche Nahrungsaufnahme, kaue und schlucke ich die Mahlzeit. Bis ich fertig bin, vergehen gute vierzig Minuten, aber das ist mir egal. Ich schaue mich heute erstmal in Terz um und frage nach Linda und Joseppe. Hoffentlich ist meine Anreise nicht umsonst gewesen! Das würde ich mir nie verzeihen.

Ich besichtige das kleine Dorf, dessen Einwohnerzahl nicht höher als 1000 sein dürfte, und frage vereinzelt nach meiner Tante und meinem Onkel. Die meisten kennen sie nicht, da es Urlauber sind, doch eine kann mir ihr Haus beschreiben. Es liegt nahe dem Wald und ist orange. Ich bedanke mich bei ihr und sehe mich um. Sofort springt mir das Orange ins Auge und meine Mundwinkel ziehen sich der Vorfreude wegen nach oben. Ich kann es kaum erwarten, meine Rache auszuüben.

Mein Beschluss, das Dasein der beiden auszulöschen, wird um eine Nacht verschoben. Morgen früh werden sie nur noch ein Häufchen Asche sein. Es wäre zu riskant, wenn die Bewohner bemerken, dass die Kuhls nicht mehr im Diesseits verweilen. In einem Dorf mit fällt es auf, wenn zwei nicht mehr da sind. Die Menschen würden rätseln und dann würde die Frau, die ich vorhin befragt habe, antworten, dass eine blauhaarige Unbekannte sich nach dem Ehepaar erkundigt hat. Ich würde gleich als Täterin dastehen, die ich ja auch bin, aber nicht sein will. Die Öffentlichkeit würde nach mir fanden und ich lande hinter Gittern. Wenn sie aber erst nach meiner Abreise vom Ableben der beiden erfahren, kann ich wieder zurück in meine Heimat. Mein Zuhause. Jedenfalls, bis ich etwas Anderes gefunden habe, das in der Nähe meiner Arbeit liegt. Doch das ist sehr unwahrscheinlich, da eine neue Wohnung nahe der Stadt auch automatisch mehr kostet.

Die Glocke im Kirchturm läutet zwölf Mal, was so viel heißt wie: Es ist Zeit fürs Mittagessen. Mein Magen knurrt nicht, aber das Verlangen nach Toffifee überkommt mich. Auch wenn Süßigkeiten nicht als eine der drei täglichen Mahlzeiten anerkannt sind, sind sie dennoch etwas zu essen.

Im Gästezimmer setze ich mich aufs Bett und reiße eine der zehn Packungen Toffifee auf. Wahllos nehme ich zwei Stücke heraus und lasse die Schokolade in meinem Mundraum zergehen und schlucke das Geschmolzene hinunter.

Bevor ich zum Speiseraum hinuntergehe, leere ich die halbe Packung und gehe vom Süßen befriedigt hinunter. Als Mittagessen verzehre ich ein Kinderportion Schnitzel mit Kartoffelbrei und steige dann wieder die Treppe hinauf, um eineinhalb leere Schachteln meiner Lieblingssüßigkeit im Abfall zu entsorgen. Aus meinen Koffer nehme ich danach meinen Laptop und lese im Internet über die neuesten Neuigkeiten in der Welt. Ein paar internationale Aufstände, der Bürgerkrieg in Frankreich und die andauernden Anfeindungen zwischen China und Russland zerstören den weltlichen und politischen Frieden. Als hätte es jemals Frieden gegeben.

Es ist sechzehn Uhr nachmittags und mir ist totlangweilig. Wenn Langeweile eine Krankheit wäre, wäre ich bereits in der Klinik daran gestorben. Aber gut, dass das nicht der Fall ist und ich Tabletten zur freien Verfügung besessen habe.

Ich google sinnlos im Internet herum und gebe zum Schluss meiner Rundreise im Web den Begriff Frau ein. Es hat mich schon immer interessiert, wie man über eine weibliche Person denkt. Von frauenfeindlichen Aussagen bis Frauenbewegungen lese ich alles. Auf der Online-Seite des Magazins „Typisch Mädchen“ finde ich Tipps, wie man einen Mann fürs Leben findet und wie man sein Haar besser bürstet. Wer braucht so einen Schwachsinn? Meine Haare sehen immer so aus, wie sie wollen, da kann ich nichts dagegen machen. Auch „der Mann fürs Leben“ kann mir gestohlen bleiben! Ein Mann macht nur Ärger. Dagegen ist eine Frau das Beste, was einem nur passieren kann. Obwohl ich nicht auf dem anderen Ufer verweile, schätze ich das weibliche Geschlecht sehr, schließlich gehöre ich diesem an.

Nach meiner Internatszeit habe ich die Welt erkundigt und habe sogar Freunde gefunden. Jetzt kommt aber das ABER in der ganzen Sache: Meine Tante Linda und mein Onkel Joseppe sind aufgekreuzt und meinten, dass sie mich mit sich nehmen, da sie, anstatt meiner Eltern, nun Sorge für mich tragen wollen. Gerade achtzehn geworden, ist es keine schwere Entscheidung gewesen. So naiv und alleine, wie ich gewesen bin, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als Menschen zu haben, die sich um mich kümmern. Seit meinem frühen sechsten Lebensjahr habe ich das Gefühl von Geborgenheit nicht mehr gespürt und ich habe unbedingt wissen wollen, wie es sich anfühlt. Ich habe gedacht, dass es meine Chance auf ein besseres Leben wäre, doch ich habe mich getäuscht. Zwar verdanke ich ihnen das Geld für meinen Führerschein, trotzdem kann es nicht das Leid wettmachen, das ich erlitten habe. Am Anfang habe ich noch nicht gemerkt, dass sie mir das Geld nur gegeben habe, damit ich ihnen etwas schulde. Laut ihren Aussagen bin ich ihnen mein Leben schuldig. Ich habe nicht fliehen können und damals haben wir noch in der Großstadt gewohnt, sodass ich nicht gewusst habe, wohin ich soll. Schon wieder bin ich ratlos gewesen, jedoch hat es diesmal keine Möglichkeit für eine Unterkunft im Jugendhaus gegeben. Dieses Mal bin ich ja schon achtzehn gewesen. Beim letzten Mal hatte ich noch einige Wochen Zeit bis zu dem wichtigsten Geburtstag eines Menschen. Was hätte ich sonst machen sollen, als mich meinem Schicksal zu fügen. Meine sogenannten Ersatz-Eltern haben mir immer wieder Geld zugesteckt, da sie ziemlich gut verdient haben, und ich bin dafür ihr Mädchen für alles gewesen. Für Prügeleien, für die Reinigung, für das Kochen und für die Befriedigung ist Jody immer zu Diensten gewesen. Ja: Gewesen. Es ist zwar nur für ein halbes Jahr gewesen, das ich bei ihnen verbracht habe, aber es hat mich grundlegend verändert. Ich bin nie wieder das Mädchen gewesen, das ich damals gewesen bin. Dafür werden sie büßen!

 

Das Abendessen besteht aus fünf verschiedenen Salaten und Paletten, die mit allerlei Sorten Wurst und Käse bestückt sind. Im Hotel befinden sich geschätzt dreißig weitere Personen, wodurch ich nicht großartig auffalle. Im Obstkorb, der zu jeder Tageszeit zugreifbar ist, befinden sich nur noch drei Bananen und eine Kiwi. Toll! Jetzt bekomme ich keinen Apfel mehr. Ich nehme eine Banane und die Kiwi, die bereits einige Tage dort drinnen liegen muss, da sie schon sehr weich ist, in die Hand und gehe mit einer Schüssel Salat, in der anderen Hand, zu einem der Tische. Es ist der Gleiche, an dem ich bereits meine zurückliegenden Mahlzeiten zu mir genommen habe.

In meinem Zimmer fahre ich meinem Laptop, den ich in den Ruhestand versetzt habe, hoch und sehe mich weiter nach guten Last-Minute-Angeboten um. Ich scrolle mit der Maus weiter nach unten und entdecke dort einen sehr günstigen Preis für einen Flug nach Norwegen. In meinem Koffer befindet sich auch das Geld für Xavier, dem ich jedoch noch nicht verziehen habe. Es wird ihm noch leidgetan haben, sich mit mir anzulegen.

Ich buche den Flug und die Tickets bekomme ich am Check-in, den ich morgen um vierzehn Uhr aufsuchen muss, da der Flug schon um fünfzehn Uhr startet. Ich packe meine Sachen, die ich morgen nicht mehr benötige, wieder ein und bereite auch das Wichtigste vor, das ich für meine Rache brauche. Eine große Packung Salz, zwei Flaschen Essigessenz und meine beiden Küchenmesser, die ich auch schon letztes Mal benutzt habe, lege ich in meine Stofftasche. Mehr ist nicht von Nöten, um jemanden qualvoll zu töten. Es wird ein tödlicher Spaß für mich, der mich höchst amüsieren wird, wenn nichts dazwischenkommt. Man tötet immer auf eigene Gefahr. Wenn mir morgen jemand in die Quere kommt, wird es auch für ihn oder sie ein Ende nehmen. Dafür kann ich garantieren.

Am nächsten Morgen wache ich relativ früh für meine Bedürfnisse auf und strecke mich zunächst ausgiebig, bevor ich mit einem irren Grinsen den Tag beginne. Endlich ist es Zeit. Ich ziehe mich um und mache rasch meine Morgenpflege, ehe ich mit meiner Stofftasche das Gästezimmer verlasse. Die Treppe runter, durch den Empfang und schon bin ich auf der Straße, die zu dem orangen Haus führt.

Nach fünfzehn Minuten stehe ich auf der Matte meines Onkels und betätige drei Mal die Klingel. Es ist zwar noch etwas früh, aber so wie ich ihre Gewohnheiten kenne, sind sie bereits auf den Beinen. Erst nachdem ich eine halbe Ewigkeit gewartet habe, macht Joseppe die Tür auf. Er bindet vor meinen Augen noch den Gürtel seines Bademantels zu und sieht mir dann in die Augen.

Ich lehne mich nach vorne an den Rahmen und frage kokett: „Und kennst du mich noch Joseppe, mein Liebling. Ich glaube, wir haben eine offene Rechnung zu begleichen, die nicht länger warten kann. Wie wäre es, wenn du ein wenig Gastfreundlichkeit beweist und mich in dein Haus einlädst?“

„Jody, ich hätte dich nie im Leben wiedererkannt! Du bist ziemlich lange fort gewesen. Doch ich verzeihe dir und bereite dir dein Zimmer vor. Du möchtest doch wieder einziehen, oder?“ Sie haben dem Anschein nichts von meinem Klinikaufenthalt mitbekommen, sonst würde er mich nicht so herzlich aufnehmen. Unglücklicherweise ist es nur ein kurzer Aufenthalt. Für sie. Linda und Joseppe werden mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit den nächsten Morgen nicht mehr erleben.

„Ich hätte dich auch nicht wiedererkannt. Du bist dicker geworden! Aber dein hässliches Gesicht ist dir geblieben!“

„Ich überlege gerade, ob ich dich in mein Haus einlade, wenn du so gemein zu mir bist. Ein paar Schläge mit dem Gürtel würden dir nicht schaden.“

„Du schadest mir schon genug. Meine Augen bekommen Augenkrebs von dir. Jetzt lasse mich rein, wir haben wichtige Angelegenheiten zu besprechen!“ Ich lächele ihn an, während ich mein Wort an ihm wende. Wenn er nur wüsste….

„Ja, stimmt. Linda ist in der Küche und backt einen Kuchen. Seit du abgehauen bist, muss sie wieder arbeiten und hat deswegen entsetzliche Schmerzen im Rückenbereich.“ Seine Beschuldigung trifft auf eine Wand aus Hass in mir. Was will er damit bezwecken? Es ist nur die Schuld von ihnen höchstpersönlich, dass ich sie nun töte. Sie haben sich den Tod wortwörtlich selbst ins Haus geholt.

„Jody, setz dich! Ich hole derweilen Linda in das Wohnzimmer.“ Er hat mir nicht wirklich einen Befehl gegeben, oder? Echt unterstes Niveau. Ich widersetze mich ihm und lehne mich an die Wand neben dem Sofa. Der reinste Widerspruch.

„Jody ist wieder da? Dann muss ich ja nicht mehr arbeiten! Wie hast du denn dieses Miststück gefunden? Danke Schatz! Endlich kann ich mich meiner Nagelpflege widmen, die ich so lange missen musste. Du weißt ja gar nicht, wie viel Arbeit so ein großes Haus macht.“ Die piepsige Stimme von Linda bereitet mir nach all den Jahren immer noch einen Graus, als ich sie in der Küche nebenan, diese Worte rufen höre. Ab heute muss sie nie wieder arbeiten. Sie wird von aller Last, dieser ach so schrecklichen Welt, befreit sein.

„Hallo Linda“, begrüße ich sie. Sie nickt mir daraufhin nur zu und überlässt ihrem Mann das Reden.

„So Jody. Wie du siehst, sind wir in ein idyllisches Dorf umgezogen, da wir deine Abwesenheit nicht verkraften konnten. Es ist ein Schock gewesen, fest zu stellen, dass du dich uns widersetzt hast!“ Also liegt der Fehler nun bei mir oder wie soll ich das nun verstehen?

„Das kann ich ganz und gar nicht nachvollziehen“, wandere ich mit meinen Worten zu der Wohnzimmertür und stelle mich mit dem Rücken dazu. Mit einer Hand verschließe ich unbemerkt und leise die Tür. „Es ist besser der Wahrheit zu glauben, als der Lüge. Findet ihr nicht? Wer hat mich wie eine bezahlte Sklavin ausgenutzt und mir unbeschreiblich grausame Dinge angetan? Nur ihr. Ihr ganz alleine“, werden sie Teil von meinem einzigartigen Wutausbruch.

„Pah, du bist der Fehler hier! Nicht wir. Und jetzt geh in dein Zimmer und denke über deine Ungezogenheit nach!“ Seine Worte machen überhaupt keinen Sinn. Man kann nicht mal eine normale Unterhaltung mit ihm führen, ohne, dass er in Rage ist.

Gut, dass ich nun dem Ganzen Theater ein Ende bereiten werde.

„Vielleicht müsst ihr auf euer Zimmer gehen. Ihr sollt über euer unterirdisches Verhalten nachdenken! Nicht ich. Aber ich bin nicht hier, um mit euch eine Diskussion über richtiges oder falsches Benehmen zu führen. Lasst euch überraschen, was auf euch zukommt.“ Ich lasse meine lieben Blitze aus meinen Händen sprießen und lähme die beiden, bevor sie reagieren können. Joseppe verliert sogar das Bewusstsein, wobei Linda mich mit starrem, hasserfülltem Blick ansieht. Ich erkenn seine Ohnmacht an den geschlossenen Lidern, während die Frau mich mit wachem Verstand anblickt. Ja, sie ist definitiv mit ihrem Geist noch in der Realität. Ihre erdolchende Blicke würde ich sogar tot noch spüren.

 

Verdammt! Ich habe meine Kabelbinder vergessen! Wie soll ich die Opfer nun fesseln, damit sie nicht entkommen. Ganz lähmen möchte ich sie auch nicht, da sie sonst keinen Schmerz mehr spüren. Jeder gute Haushalt hat doch Kabelbinder, aber wenn Linda den Haushalt macht, kann man sich nicht sicher sein. Ich drehe mich um, damit ich sehe wie viel Zeit mir für eine Suche bleibt. Fünfzehn Minuten habe ich, bevor sie ihre Muskeln wieder spüren und fliehen wollen. Das kann ich schaffen. Schnell laufe ich in den ersten Raum, die Küche und durchwühle die Schränke und Schube. Nirgends befindet sich das, was ich suche. Ich gebe einen genervten Laut von mir und stürze in das Schlafzimmer der beiden, wo ich das gleiche Verfahren, wie in der Küche, anwende. Tatsächlich finde ich das Gesuchte, sogar noch viel mehr. Sie stehen anscheinend auf Fesselspiele, wie ich durch die Ausrüstung erkenne. Ich nehme einige Kabelbinder, acht Stück an der Zahl und die drei Handschellen aus einen Schrank, ehe ich zurück zu meinen Opfern gehe. Dort lege ich ihnen jeweils eine Handschelle um den rechten Arm an und schließe sie an das Rohr von einem der Heizkörper im Raum an. Die anderen Arme binde ich mit einem Kabel an den Angeketteten und schnüre es fest zu, sodass sich das Blut staut. Trotzdem werden sie den Schmerz noch spüren. Wenn es nicht so wäre, würde es ja nicht mehr lustig sein.

Ich nehme mir eines der zwei eingepackten Messer heraus und entscheide mich dafür, mit meiner Lieblingstante anzufangen, da Joseppe immer noch geistig abwesend ist. Sie sieht mich mit einem hasserfüllten Blick an und ich muss grinsen. „Denkst du, du kommst hier noch lebend aus dieser Sache raus? Da hast du dich aber gewaltig geschnitten", lache ich über meinen eigenen Scherz. Ihr Mund ist anscheinend nicht mehr taub und sie kann bereits wieder Sätze formulieren. „Du bist ein Nichts und wirst für immer ein Nichts bleiben! Da kannst du so viele Menschen töten, wie du willst, aber du bleibst ein Niemand!" Sie schreit mich an, als gäbe es keinen Morgen mehr. Sie kapiert nicht, dass es für sie keinen Morgen mehr geben wird.

Mein Handgelenk tritt weiß hervor, als ich den Griff des Küchenmessers fester umgreife, damit ich meinen Zorn unter Kontrolle halte. Ich möchte nicht, wie eine Furie, unkontrolliert mein Opfer töten, sondern es leiden lassen. Ich möchte für immer in diesen schönen Erinnerungen schwelgen, wenn mir langweilig ist.

Ich fange mit der empfindlichen Haut an ihrem Hals an, nachdem ich ihre Zungenmuskulatur für immer gelähmt habe. Sie wird sie nie wieder brauchen können und kann dann, falls irgendetwas schiefläuft, auch keine Aussage mehr gegen mich machen. Zum Schreien braucht man keine Zunge, was gut für mich ist. Ich locke ihr noch mehr unverständliche Hilferufe aus dem Mund, als ich mit ihrem linken Bein weitermache. Das rote Fleisch unter der Haut, die ich wie bei Zoey abgezogen habe, blutet leicht, aber mir ist das noch nicht genug! Ich will, dass sie mehr leidet. Mehr! Mehr! Mehr! Mehr leidet, als jeder Mensch zuvor! Sie soll bluten für das, was sie mir angetan hat! Zornig beiße ich meine Zähne zusammen und steche ihr mehrmals in den Bauch. Ich schneide einzelne Scheiben rohes Fleisch von den Stellen, die ich gehäutet habe, und verbrenne sie mit meinen Blitzen zu Asche, damit keine Beweise vorliegen. Wenn ich schon Rot sehe, dann mache ich es auch richtig.

Sie schreit und schreit, aber ich kann ihr Leid nicht nehmen, es höchstens nur vergrößern. Und das mache ich. Das mache ich mit größter Freude! Ich fahre mit dem Messer an ihrer Haut und ihrem Fleisch entlang, als wäre es weiche Butter. Ich blicke in ihre Augen und weiß, dass sie dem Tod zuwinkt. Ihre Augen sind bereits glasig durch den Blutverlust und es fehlen nur noch ein oder zwei Liter und sie ist verblutet. Hm, ist es besser sie jetzt zu grillen oder noch weiter aufzuschneiden? Sie sieht jetzt schon so aus, als würde sie nicht mehr lange durchhalten, also ist es egal. Sie ist mir egal. Sie ist egal! Ich lache wie eine Verrückte, als meine Blitze ihren Körper grillen und sie dann zu Asche zerfällt. Das ist ihre wahre Gestalt! Ein Häufchen graue Asche! Für die meisten ist Asche ein Symbol für die Fruchtbarkeit, doch für mich ist es ein Zeichen für den Tod.

Inzwischen ist auch Joseppe aufgewacht, der mich nun anschreit, was ich mit seiner Frau anstelle. „Was hast du mit meiner Liebsten gemacht, du Mistgeburt?“ Ich lache ihn aus und erwidere höhnisch: „Was habe ich nicht gemacht, trifft es wohl besser.“ Er schaut mich geschockt an und dann zu dem Häufchen Asche, das zwei Meter von ihm entfernt liegt. „Du Hure, du Mörderin, …“, fängt er an, mich mit unbedeutenden Schimpfwörtern zu attackieren, doch ich lähme, für ihn überraschend, seine Zunge. Wie praktisch meine Fähigkeiten doch sind. Die Laboranten haben sie eben nicht zu schätzen gewusst und mich mit Tabletten und Spritzen daran gehindert, meine wahre Gestalt anzunehmen. Das werden sie noch bereuen. Wenn es das Letzte ist, was ich tue.

Bei ihm wende ich meine Salz- und Essigfolter, die ich auch bei Zoey angewendet habe, an. Es ist höchst amüsant, wie er sich unter Schmerzen windet und mit tauber Zunge nach Hilfe schreien will. Nur wird sie nie kommen. Er hat keine Nachbarn und sie werden darauf geachtet haben, nicht zu nahe beim Dorf zu wohnen, da sonst die Bewohner mitbekommen würden, wie sie sich gegenseitig befriedigen. SM kann man nicht leise praktizieren, denn diese Art von Befriedigung lebt durch die lauten Lustschreie und dem Stöhnen, das durch erregende Schmerzen verursacht wird.

Meine Augen suchen den Raum nach einer Uhr ab und ich muss feststellen, dass ich nur noch zwei Stunden habe, bevor der Bus zum Flughafen in Brüssel geht. Anscheinend muss ich mit ihm kurzen Prozess machen, da ich sonst zu spät komme. Ich bin erst in der Halbzeit meines dritten Mordes und blicke traurig auf die erst kleine Blutlache hinunter. Sie sollte größer sein. Aber mir läuft die Zeit davon. Ich schneide ihm einfach die Kehle durch und das Blut spritzt gut einen halben Meter weit auf dem Teppich. Den muss ich wohl auch verbrennen. Ich äschre das dritte Opfer Joseppe und den Teppich ein und werfe die Asche, nachdem ich sie sorgfältig zusammengekehrt habe, aus dem Fenster, das Richtung Wald zeigt, um es vor den neugierigen Augen der Menschen zu verbergen, was ich getan habe.

Ich verlasse das orange Haus und blicke nicht zurück. Einen Teil meiner Vergangenheit ist somit abgeschlossen. Ich werde nie wieder daran denken müssen, welche Gräueltaten sie mir angetan haben. Sie sind mir egal. Ich werde sie nicht vermissen.

Im Gasthaus angekommen, wasche ich zuerst meine Folterwerkzeuge ab, damit das Blut nicht meinen Koffer verunreinigt und werfe sie dann in diesen. Die restlichen Sachen, die ich noch nicht eingepackt habe, landen ebenfalls im Rolli. Ich sehe noch einmal nach, ob ich nichts vergessen habe und rolle dann zum Empfang. Dort verabschiede ich mich, nachdem ich die Rechnung beglichen habe und gehe danach zur Bushaltestelle. Da bin ich die einzige, die wartet und steige nach zwanzig Minuten Wartezeit in den Bus. Drinnen fällt mir die Anspannung von den Schultern und ich lasse mich erleichtert in den Sitz zurücksinken. Keiner hat bemerkt, dass ich ein Blutbad verübt habe und es wird auch keiner bemerken. Es gibt keine Beweise, dass überhaupt jemand tot ist. Linda und Joseppe werden als vermisst gemeldet werden und es wird nach ihnen gefahndet. Ich bedaure ihren Tod nicht. Sie haben es schließlich verdient.

Die dreistündige Fahrt ist schnell hinter sich gebracht und ich schreite schnellen Schrittes zum Flughafen, damit ich rechtzeitig einchecken kann und den Flug nicht verpasse. Das wäre fatal, denn ich würde das Geld nicht zurückerstattet bekommen. In Altdeutschland wäre das anders, aber ich befinde mich immer noch in Belgien.

Im Flugzeug erwartet mich das Übliche, auch wenn ich erst drei Mal geflogen bin, aber dieses Mal sitze ich alleine in der Reihe. Der Flug verläuft reibungslos, bloß ein paar leichte Turbulenzen, die durch einen Sturm verursacht werden. Manche übergeben sich in die Kotztüten, die unter den Sitzen drapiert sind, doch die meisten krallen nur die Fingernägel in die Armlehnen, während ich regungslos das Geschehen beobachte.

In Norwegen angekommen, bringe ich die halbstündige Fahrt von der Hauptstadt Oslo bis zu dem Vorort Zen mit dem Taxi hinter mich und miete mir dann ein Hotelzimmer für eine Nacht. Morgen Nachmittag muss ich schon wieder arbeiten, deshalb muss ich noch heute das Geld vor seine Haustüre legen. Es soll gleichzeitig auch eine Drohung sein, dass, wenn er sich nochmals einen Fehler erlaubt, er nicht mehr so einfach davonkommt. Dann muss er es mit ein paar Narben oder dem Tod bezahlen. Oder noch schlimmeres.

Im Zimmer ziehe ich mir frische Kleidung an, bürste mir die Haare und putze mir die Zähne, damit mein Äußeres nach dem Flug einigermaßen akzeptabel aussieht. Ich will nicht, wie die letzte Asoziale in der Stadt aussehen, sondern wie ein normale Bürgerin, die zum Einkaufen geht und nicht den Anteil des geraubten Geldes an einen Informanten übergibt. Ich packe das Geld in die Stofftasche, die einen eingebauten Reißverschluss hat, damit keiner die Kohle sieht. Fertig mit den Vorbereitungen mache ich mich auf den Weg zu Xavier.

Ich freue mich schon auf das Wiedersehen mit ihm und seiner Familie! Es wird ein prickelndes Ereignis!

Ein erfüllter Wunsch (überarbeitet)

Ich stehe schon seit geraumen fünf Minuten vor seinem Haus und frage mich, wann er sich endlich raus traut. Die zahlreichen Überwachungskameras zoomen sirrend näher an mich heran und ich blicke mit hoch gezogenen Augenbrauen in diese. Ein leises Räuspern ertönt und ich sehe die Sprechanlage an, aus der jemand zu sprechen beginnt.

„Wer sind Sie? Und was ist Ihr Anliegen?", fragt die Stimme. „Sagen Sie Xavier: Jody ist hier." Einige Zeit ist es mucksmäuschenstill, doch dann höre ich einen Piep-Ton und drücke die Tür auf. Im Hausinneren steigt ein in die Jahre gekommener Mann mit gepflegtem Vollbart die Treppe runter und deutet mit einem Wink mit der Hand an, ihm zu folgen.

Der Mann ist noch recht schnell zu Fuß, was ich daran feststellen kann, dass sich meine Körpertemperatur drastisch erhöht hat. Keuchend stehe ich vor der Tür und verschnaufe, bis ich den Angestellten zuwinke und er mir daraufhin die Tür aufhält.

Ich trete ein und sehe meinen Lieblingsinformanten dabei zu, wie er bei meinem Anblick in eine Schockstarre verfällt. „Xavier. Schön dich zu sehen! Die Telefonate gingen mir in letzter Zeit auf die Nerven. Aber keine Sorge, ich habe mich bereits anderweitig arrangiert." Ich mustere den Raum und die Personen, die vor mir am Tisch sitzen. „Schatz, nimm die Kinder bitte mit ins Spielzimmer. Ich habe eine wichtige Thematik mit Jody zu besprechen, die mit meinem alten Job zu tun hat. Du weißt schon. Ich komme dann nach", sagt er zu seiner Frau. Ihre Reaktion beläuft sich darauf, dass sie gefühlte Stunden in das Ohr von Xavier flüstert und er schlussendlich mit einem Nicken antwortet. Als es mir zu blöd wird, sinnlos Zeit mit rum stehen zu vergeuden, nehme ich die Zügel in die Hand. „Jetzt verlass schon den Raum. Ich habe nicht ewig Zeit. Außer du willst Gefahr laufen, dass deine Kinder und du bewusstlos am Boden liegen, damit ich ein Gespräch mit Xavier führen kann", fahre ich die kleine Frau an. Sie zuckt wegen meiner emotionslosen, trotzdem süßsanften, Stimme zusammen und beeilt sich, die Kinder vor ihr aus dem Raum zu scheuchen. Endlich sind wir allein. Nur du und ich.

 

„Was willst du hier? Woher kennst du unsere Adresse?" „Tz, tz, tz, so viele Fragen auf einmal. Was ich hier will, fragst du. Du solltest es doch am besten wissen. Oder? Außerdem habe ich noch andere Informanten, vor allem vertrauenswürdiger, als du es bist. Aber ich verstehe dich. Für eine gewisse Summe an Geld wäre ich bereit alles zu machen." So sind Menschen nun mal. Zu schwach, um der Versuchung von Papierscheinen zu widerstehen.

„Du willst Rache." Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. „Nein. Dieses Mal ist es erst eine Warnung. Zwar gebe ich meinen Opfern üblicherweise keine Schonfrist, doch, da du mir schon viel geholfen hast, bin ich gnädig zu dir. Ich hoffe, du kannst meine Güte wertschätzen! Wenn du noch einmal auf die Idee kommen solltest, meinen Klinikfreunden oder anderen verdammten Menschen Informationen über mich preis zu geben, dann kann ich für nichts garantieren." Ich grinse ihn an und beginne durch den Speisesaal zu wandern. Er muss viel Geld im Laufe seiner Arbeitsjahre eingesteckt haben, um so prunkvoll leben zu können. Eines muss man ihm lassen: Er hat Geschmack. Die Gemälde stammen nicht von schlechten Künstlern und das edle Essservice, reinstes Tafelsilber, ist auch nicht gerade billig.

"Ich schwöre bei meinem Leben. Es kommt nie wieder vor. Bitte, verzeih mir mein unangebrachtes Verhalten und lass meine Familie und mich in Frieden weiterleben", fleht er mich wortwörtlich an. Etwas zu hochgestochen, wie ich finde. Zu unehrlich.

„Wir beide verstehen uns eben."                           

„Natürlich." Es ist lustig, wie er mir recht gibt. Ich könnte mich glatt daran gewöhnen, wenn es nur nicht so heuchlerisch klingen würde.

Ich werfe ihm das erbeutete Geld vor die Nase und verabschiede mich, da mir das Gespräch zu langweilig wird. „Wiedersehen." Darauf weiß er nichts zu erwidern und bleibt stumm. Von Höflichkeit hat er auch noch nichts gehört, denke ich mir grinsend.

Ich verlasse das große Haus, dass mich mehr an eine Villa im Kleinformat erinnert, als an ein gewöhnliches Familienquartier. Es ist mitten in der Nacht und doch kann ich mein Verlangen nicht im Zaum halten und blicke zurück, ob sie meinen Weggang aus den Fenstern beobachten. Wie ich mir schon gedacht habe, sehe ich keine Gesichter im Dunkeln und überlege, wie ich das ändern könnte. Die defekte Straßenlaterne gibt mir einen Hinweis, mein Problem zu lösen und ich berühre ihre Stange. Ich sammele die Energie in mir und lasse sie auf die Leuchte übergehen. Nicht viel, sonst schmort der Draht durch, aber genug, damit ich klare Sicht auf die Gesichter der Familie von Xavier habe. Nachdem ich genug gesehen habe, wende ich ihnen den Rücken zu und mache mich auf den Weg zum Hotel.

Im Zimmer packe ich eine meiner übrig gebliebenen Schachteln Toffifee aus und stopfe mir gleich drei von ihnen in den Mund. Ich grinse mit vollem Mund, als mir bewusst wird, dass ich bereits drei Opfer umgebracht habe. Auf diesen Spaß möchte ich nie mehr verzichten. Es erfüllt mein kaltes Herz mit leuchtender Wärme.

Den späten Abend und den nächsten Morgen verbringe ich mit dem Lesen von Zeitschriften, die hier im Gasthaus überall verstreut liegen und mit dem Packen meines Rollis. Dabei lasse ich ein paar Sachen mitgehen, eigentlich nur die kostenlosen Stifte, die man an der Rezeption bekommt und eine blaue Plastikrose, die es mir angetan hat. So eine wunderschöne Blume habe ich in meinen ganzen Leben noch nicht gesehen und konnte einfach nicht widerstehen. Wie auch, wenn man sie schon sachte in den Innenraum des Rollis gelegt hat.

Meinen Rückflug um zehn Uhr morgens verbringe ich hauptsächlich mit Schlafen und dem Lesen des neuesten Tratschs in den Magazinen. Auch dieses Mal sitzt niemand neben mir und ich schlussfolgere, dass Belgien nicht gerade ein beliebtes Reiseziel ist. Gut für mich! Niemand beschränkt meinen Sitzplatz mit seinem Fett und keine kleinen Kinder treten mir in den Rücken. Obwohl ich das noch nie erlebt habe, stelle ich es mir schrecklich vor. Man muss ja schon Stunden Flugzeit überstehen und wenn dir dann noch jemand auf die Nerven geht, wäre es vorbei mit der Selbstbeherrschung. Da mir das noch nicht passiert ist, mache ich mir keine weiteren Gedanken darüber.

Zuhause angekommen, rückt mir, wie immer, Irene auf die Pelle und fragt mich, wo ich gewesen sei.

„Ich war bei Verwandten“, sage ich teilweise die Wahrheit.

„Das ist schön! Ich wusste gar nicht, dass du eine Familie hast. Du erzählst ja nie etwas über dich, Schätzchen. Wie wäre es, wenn du uns wieder bei einem gemeinsamen Abendessen beehrst. Heute, zum Beispiel.“ Puh, gut, dass ich eine Ausrede habe, um da nicht erscheinen zu müssen.                                                                                   „Tut mir leid, doch die Arbeit ruft. Um zwei muss ich dort sein, sonst kann ich meinen Job vergessen. Mein Chef toleriert kein Zu - spät - Kommen. Vielleicht nächstes Mal?“

„Darauf kannst du wetten, meine Liebe. Wir wollen sowieso mal wieder zum Essen in die Stadt gehen. Mein Mann hat sicher nichts dagegen, wenn du mitkommst.“ Ich lächele sie gezwungenermaßen an und erwidere ein „Oh ja, ich freue mich schon“, in euphorischen Klängen.

Ich schließe meine Wohnungstür auf und meine Augen streifen sofort die Uhr. Mir bleiben noch zehn Minuten, um mich fertig zu machen, bevor ich zur Arbeit fahren muss. Das schaffe ich locker.

 

Mein Job verläuft so eintönig wie immer, nicht einmal der alltägliche Streit interessiert mich.

Als ich die Süßigkeiten auffülle, fällt mein Blick sofort auf die Snickers-Verpackungen und die Toffifee - Schachteln. In einer Stunde habe ich eine viertel Stunde Pause und ich werde durchhalten, bevor ich zur Kasse gehe, um jeweils eines dieser Produkte zu kaufen. Das stehe ich durch.

Ich stehe das niemals durch. Mein Körper verzerrt sich danach. Aber ich habe ihn unter Kontrolle. Dafür brauche ich keine Tabletten, die ihn lahmlegen. Ich bin stark genug, um der Versuchung zu widerstehen!

Um Punkt halb sechs stürze ich zur Kasse und werfe Ginger wortwörtlich das passende Geld für zwei Toffifee – Schachteln und einer Snickers – Familienpackung hin. Damit eile ich zum Pausenraum und reiße die Snickers auf. Ich nehme eins der vielen kleineren Packungen heraus und mache es mit einer, in der Nähe liegenden, Schere auf, da ich keine Geduld habe, um mich mit dem langwierigen Öffnen zu beschäftigen.

Als das gute Stück endlich in meinem Mund landet, spielt sich in mir ein wahres Feuerwerk von Zucker ab und ich sorge stetig für Nachschub. Nur das Morden ist im Moment besser, als das Süße.

Wieder daheim mach ich mir einen Obstsalat, da die Pfirsiche, Zwetschgen, Birnen und Äpfel sonst verfaulen würden. Ich habe keine Lust, verdorbene Lebensmittel weg zu schmeißen, weshalb ich einen Teil des Salates in den Kühlschrank stelle und den anderen jetzt vor dem Fernseher verspeise. Wenn ich genug von meinem Gehalt zusammengespart habe, dann muss ich einen Beuler und einen TV mit besserer Qualität kaufen. Die Liste mit den Besorgungen wird immer länger und länger. Obwohl! Ich habe doch mein Geld, das ich vom Banküberfall bekommen habe. Mit den Zahlungsmitteln sind meine Sorgen sofort vergessen.

Ich fahre meinen Laptop hoch und suche einen Handwerker, der in meiner Gegend ansässig ist. Zum Glück finde ich auf Anhieb einen und rufe ihn an. Laut seinem Terminkalender kann er in zwei Wochen mit dem Heiz….irgendetwas vorbeikommen und es einbauen. Endlich warmes Wasser!

Morgen, so beschließe ich, mache ich nach meiner Frühschicht einen Stopp bei Eye-Catcher, wo ich bereits meinen Laptop gekauft habe, und kaufe mir einen Fernseher. Jody wird modern, sage ich stolz zu mir selbst und lächele in meinen Salat hinein, den ich nun hungrig in der Hand halte.

Der letzte Arbeitstag vorm Wochenende verläuft genauso stumpf wie die letzten Tage auch und so verabschiede ich mich von meinem Kollegen und trete meinen Weg zum Elektronikgeschäft an. Schnell entscheide ich mich für einen der verschiedenen Modelle, die mir der Mitarbeiter dort schmackhaft gemacht hat und bezahle.

 

Nächste Woche habe ich Mittwoch frei, jedoch muss ich dafür am Samstag die Spätschicht übernehmen, rufe ich mir in Erinnerung. Der Plan, wer und wann man arbeiten muss, wird jede Woche umgestellt, damit jeder individuell arbeiten kann, wie es laut unserem Chef definiert wird. Mir egal, solange ich meine Ruhepausen, Zeit für Süßigkeiten und Opfer habe.

Vor meinem Zuhause warten drei Personen, die ich überall wiedererkennen könnte. Luca, Beth und Steve. Ich verkneife mir den Kommentar, dass sie dem Anschein nach Zoey noch nicht wiedergefunden haben. Das werden sie auch nicht, wenn ich es nicht will. Heute bringe ich den Müll runter und sie werden sie zu hundert Prozent nie wieder treffen.

„Was wollt ihr hier?“

„Schau mich nicht an. Beth wollte dir etwas mitteilen, nicht ich“, errät Steve den anklagenden Ausdruck in meinen Augen richtig. Hierauf blicke ich Beth abschätzend an. Sie weicht meinen Augen schüchtern aus und ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, was sie unter der Gesellschaft von Verbrechern zu suchen hat.

Aber, vielleicht ist das nur eine Masche von ihr. Ja, das ist es! Es ist ihr Äußeres, dass sie so unschuldig wirken lässt. Nicht ihr Inneres. Sie hat uns nie verraten, was sie gemacht hat, um in der achten Klinik zu landen. Bei mir war es der Verdienst meiner gierigen Eltern und bei ihr, weiß ich es nicht. Sie hat stets Stillschweigen darüber bewahrt. Ihr lockiges, blondes Haar, das das perfekte Gesicht umhüllt, mit dem weißen T-Shirt und der hellblauen Jeans, verleiht ihr das Aussehen eines Engels. Erst jetzt, nach fast zehn Jahren „Freundschaft“ blicke ich hinter ihre Fassade.

„Warum schaust du mich so an? Ist etwas zwischen euch vorgefallen?“ Ihre sanfte und ruhige Stimme lullt mich nicht mehr wie früher ein, sondern lässt den Ärger in mir aufkochen.

„Nein, wieso fragst du? Am liebsten möchte ich ihm die Kehle aufschneiden und seinen toten, verbluteten Körper den Ratten zum Fraß vorwerfen!“ Sogar für meine wunderbaren Ratten ist er noch zu schlecht.

„Wir verziehen uns ja gleich wieder! Keine Sorge! Wir wollten dich nur zur Beerdigung von Zoey einladen. Es ist zwar noch ein wenig zu früh dafür, aber, nachdem uns auch die Gesetzeshüter nicht beim Fall von Zoeys Verschwinden helfen wollen, haben wir aufgegeben, nach ihr zu suchen. Es macht keinen Sinn mehr.“

Ich entspanne mich ein bisschen und blicke Luca, gespielt mitfühlend, in die Augen. „Auch, wenn mir Zoey nicht gerade viel, bis überhaupt nichts bedeutet hat, nehme ich dennoch teil“, gebe ich eine Antwort auf seine Frage, ob ich komme oder nicht. Vielleicht bekomme ich dann einen Tag frei? „Wann ist sie?“

„Mittwoch, nächste Woche, findet sie statt. Um elf Uhr hält der Kaplan in der Ortskirche eine Messe ab. Mit anschließender Beisetzung. Dabei ist der Sarg offen, da wir keine Leiche von Zoey haben. Sie hat sich seit über einer Woche nicht mehr gerührt. Das heißt, sie ist tot. Sie würde uns nie im Stich lassen. Danach sind alle Gottesdienstteilnehmer herzlich zum Leichenschmaus eingeladen.“ Das sind, bis zur Beerdigung, die letzten Worte, bevor wir uns stumm mit einem Kopfnicken verabschieden und wieder unsere eigenen Wege gehen.

Das Wochenende und die ersten beiden Tage der Woche vergehen so langsam, wie eh und je, und ich bin froh, als ich am Dienstagabend im Bett liege und alle Viere von mir gestreckt habe. Wie das wohl morgen ablaufen wird? Hoffentlich wird die Beerdigung keine Beerdigung eines noch Lebenden, der in Schlaf verfallen ist. Aber dann hätte der Pfarrer oder Kaplan, wie auch immer, wenigstens etwas zu tun.

 

Am nächsten Morgen bereite ich mir Frühstück vor. Nicht allzu viel, da ich beim Leichenschmaus, auch wenn es absurd klingt, anwesend sein werde. Ich lasse mir doch kein kostenloses Mittagessen entgehen. Und ich will der Toten doch die letzte Ehre erweisen und dabei sein, wie die Menschen der Verstorbenen beim Essen gedenken.

Um neun Uhr mustere ich das schwarze Kostüm, das ich, wie das Kostüm, das ich beim Raub in der Bank getragen habe, billig aus dem Second – Hand Shop in Fahn erstanden habe. Obwohl ich zurzeit gute Finanzen habe, will ich mein Geld aufsparen, denn falls ich mir einmal etwas Teures leisten möchte, kann ich meine Beute dafür verwenden. Ich ziehe mich aus und stelle mich nackt vor dem Wandspiegel, der an einer der Kleiderschranktüren geklebt ist.

Meine Hüftknochen stehen spitz hervor und auch die einzelnen Rippen sind klar zu erkennen. Zwischen meinen Oberschenkeln herrscht eine große Distanz und die Haut schimmert in einen Grau-Ton. Es hat sich nicht viel seit meiner Klinikzeit geändert. Außer dem gefärbten Haar ist immer noch alles gleich. Ich habe weder zugenommen noch abgenommen. Ich bin immer noch ich. Hässlich und Deprimiert.

Ich kleide mich an, bevor ich noch in Selbstmitleid verfalle und meinem früheren Ich nachtrauere. Jody, gestehe dir endlich, das du nie wieder dieselbe, wie damals, sein wirst! Die Flüsterstimme in meinen Kopf hat recht. Ich muss mich mit der Gegenwart abfinden und das Beste draus machen.

Mit meinem VW-Käfer steuere ich durch die Ödnis und fahre, als ich die Stadt erreicht habe, zur Kirche, die im Zentrum der Stadt liegt. Es ist ein prunkvolles Gebäude, das erst nach dem dritten Weltkrieg errichtet worden ist, als Zeichen, dass die Religion immer noch lebt und nicht verdrängt worden ist. Geschichte ist doch für etwas gut. Gut, ich habe noch im Internet über dieses Gebäude recherchiert, da mir an den Abenden sterbenslangweilig gewesen ist. Die Dialoge, eher Monologe von seitens Irene, haben ohne jeglichen Grund aufgehört, nachdem ich aus meinem Kurztrip zurückgekehrt bin. Es fehlt mir.

Anscheinend bin ich genau richtig angekommen, da ich weder die Erste, noch die letzte bin. Es ist halb elf, als ich den Blick auf die silberne, unechte Armbanduhr werfe, die mein dünnes Handgelenk ziert. Ich habe sie ebenfalls im gleichen Laden gekauft, wie mein schlichtes, aber für die Beerdigung passendes Kostüm.

„Du siehst bezaubernd aus“, macht mir Steve ein Kompliment. Ich drehe mich um und lehne mich an die geschlossene Autotür. Gelassen sehe ich ihn an und setze dann zu einer Ablehnung seiner Worte an.

„Mir egal“, lüge ich ihn an. „Mir kann die Schönheit am Buckeln hinunterrutschen. Und ich hätte gedacht, dass du mir aus dem Weg gehst. Hast du etwa meine letzten Worte in der Nacht vergessen?“

„Nein. Jedoch habe ich die Veranlagung, mich allem und jedem zu widersetzen. Es sind meine natürlichen Triebe, die mich zu bösen Dingen verleiten. Dabei habe ich manchmal das Gefühl, nicht ich zu sein.“

Seine Worten ….. sind wahr. Sie beschreiben genau die Situation, in der ich mich beim Morden befinde. Diese Gedanken schiebe ich in die hinterste Kammer meines Gehirns und denke nicht weiter darüber nach. So etwas kann mir gestohlen bleiben. Ich bin ich! Und niemand anderes kann über meinen Körper und Geist bestimmen!

„Ist schon gut. Ich muss nicht Teil deiner Midlife-Crisis werden, deshalb beehre ich den Kaplan nun mit meiner Anwesenheit.“ Vielleicht besitze ich kein Mitleid, aber dafür meinen Willen. Ich kann nichts mit Menschen anfangen, die vor mir in Tränen ausbrechen. Soll ich sie auffangen? Soll ich sie trösten? Ich weiß nicht, was man soll oder nicht. Ich habe nie gelernt mit jemandem anderen, außer mir, Mitleid zu haben. Menschen nennen es Selbstmitleid, ich nenne ich es Wunden heilen. Wenn man selbst Wunden hat, wie kann man die Verletzungen anderer kurieren? Das ist eine berechtigte Frage! Es ist schlicht nicht möglich, sich um andere an zu nehmen, während man nicht vollkommen gesund und rundum zufrieden ist. Meine Art ist eben egoistisch und ich stimme dem zu. Das beste Beispiel bin ich. Ich kann mir nicht vorstellen, mit anderen befreundet sein, von Mitgefühl bei Trauenden ganz zu schweigen. Im Inneren ist jeder von uns, so wie ich. Nur mit dem Unterschied, dass ich schon zur Mörderin geworden bin. Ich habe gelogen, habe mich selbst angelogen und jemanden umgebracht. Die drei Schritte muss man gemacht haben, um verdammt zu sein. Die Ausstoßung wartet auf jeden, der die Regeln zum Mörder durchgeführt hat, und verschont keinen. Keiner kann mehr zurück zu einem normalen Leben, es wird dich für immer und ewig verfolgen. Tod wird dein Leben bestimmen. Tod ist mein Leben.

Ich setze mich in eine der hintersten Sitzreihen, da die Kirche bereits zur Hälfte gefüllt ist. Zoey hatte viele Freunde, Bekannte und eine große Familie zudem. Ich wusste nicht, dass sie so beliebt ist. Vermutlich sind sie auch nur hinter dem kostenlosen Essen her, so wie ich und überdauern die Beerdigung mit guter Miene (zum bösen Spiel). Ich grinse bei dem Gedanken, dass die Leute ausflippen würden, falls sie in Erfahrung brächten, dass die Mörderin in ihren Reihen sitzt. Ich könnte in den Mittelgang treten und laut durch die Kirche rufen, dass ich sie getötet habe. Nur müsste ich dann rund zweihundert Leute schmoren. Und das würde auffallen. Mehr als nur auffallen. Es würde ein internationales Inferno auslösen und man würde mich sofort verhaften. Denn nur ich habe das Fiasko überlebt und bin dadurch die Täterin. Das ist ein viel zu großes Wagnis für meinen schwarzen Humor, besänftige ich mein Herz, das mich dazu drängt, mich zu melden und die geistige Verwirrung über den Mord zu beseitigen. Das Herz will, was es will, aber ich gebe es ihm nicht.

 

Wenigstens wird mein Wunsch nach einer Beerdigung erfüllt, die ich mir während der Zeit in der Anstalt so erhofft habe. In einem schwarzen Kostüm vor dem Grab zu stehen und eine rote Rose auf den leeren Sarg fallen zu lassen. Ein wahrer Traum. Der Wind weht mir durch die Haare und zerstört deren Glätte. Es scheint fast so, als wäre er dagegen, dass ich hier bin. Aber das ist sicherlich nur Einbildung. Die Realität vergöttert das Böse und lässt das Gute sterben, damit es dem Bösen nicht ausgesetzt ist. So ist es und der starke Wind kündigt nur einen Sturm an. Ein kleines Unwetter, das über die Großstadt Fahn zieht und die Feuerwehr auf Trab halten wird. Umgestürzte Bäume, eingebrochene Dächer und sonst nichts weiter, das mir etwas anhaben könnte. Trotzdem sehe ich nochmals über meine Schulter und erblicke nur traurige Gesichter der Angehörigen. Seufzend mache ich mich zum Gasthaus auf.

„Wie heißen Sie, Madam?“ Sehe ich so alt aus? Grimmig sehe ich den zuständigen Mann für die Verteilung der Sitze an und erkläre, dass ich erst achtundzwanzig und ledig bin. Er mustert mich geschockt von der Haarspitze bis zur Fußsohle und erklärt mir dann mit freundlichem Gesichtsausdruck, wo mein Platz ist. Anscheinend ist die Sitzordnung organisiert, wie ich es eigentlich nur von Hochzeiten kenne, und muss ein Lob an Steve aussprechen, der das mit den anderen beiden auf die Beine gestellt hat. Eine Frage stellt sich mir: Wo haben sie das Geld her? Ich sollte mir darüber nicht den Kopf zerbrechen und nur das Essen genießen.

Die Küche hat einiges zu bieten und man kann zwischen drei gängigen Gerichten entscheiden. Jetzt sehe ich, wo das Geld eingespart wird. Schnitzel mit Pommes, Knödel mit Sauerbraten und eine Suppe, deren Inhalt man variieren kann, stehen zur Auswahl. Ich ordere eine Kartoffelsuppe mit Brot und als Getränk ein großes Glas Wasser.

Ich war schon lange in keinem Lokal mehr und sehe mich daher interessiert um. Es sieht normal aus, wie damals eben. Welch eine Überraschung! Man denkt der dritte Weltkrieg hätte etwas verändert, aber so ist es nicht. Er hat zwar nur drei Jahre gedauert, aber rund die Hälfte der bewohnbaren Fläche wurde verwüstet und viele Millionen Menschen sind gestorben. Genau Zahlen standen nicht auf der Internetseite, wo ich nachgeschlagen habe. Die Informationen, die mir die Frau, die am Empfang der achten Klinik gesessen ist, gegeben hat, waren mir zu mangelhaft. Deshalb schlug ich in einem Internetmagazin die Geschichte nach und fand für meinen Geschmack ausreichende Daten. Dieses Mal konnte man wirklich von einem Weltkrieg sprechen. In den ersten Beiden waren nur einige Länder beteiligt, aber im Dritten, war es ein internationales Gefecht, in dem jedes Land, jede Nationalität gegen sich selbst und gegen jeden gekämpft hat. Die Atombomben von Nordkorea, China, Japan, Russland und den USA zerstörten alles, was in ihre Nähe gekommen ist. Aber das Spannendste am Ganzen war, dass dieses Mal nicht Deutschland die Schuld trägt, sondern China. Den genauen Hintergrund weiß ich nicht mehr, doch es ist mal was Neues. Immer war nur Deutschland der Sündenbock, doch nun war es jemand anderes, von dem man so etwas nicht gedacht hat, dass der Staat das tun könnte.

Das duftende Gericht wird mir nach einer, mehr oder wenigen, kurzen Wartezeit vor die Nase gestellt und ich greife sofort zum Löffel. Mittlerweile hängt mir der Magen bis in die Unterhose, weil ich zum Frühstück nicht viel gegessen habe und ich schlucke die ersten vollen Löffel Kartoffelsuppe schnell hinunter. Es schmeckt ausgezeichnet und ich ärgere mich, dass man nur eine Mahlzeit kostenlos bekommt. Dafür kann man so viele Getränke bestellen, ohne dass man sie bezahlen muss. Wie unfair!

Leider habe ich die Rechnung ohne meinen Magen gemacht. Es scheint so, als wäre er nach den Monaten meiner Befreiung, immer noch auf leichte Kost programmiert und verträgt nicht einmal einen Teller Suppe. Okay, ich muss zugeben, dass ich das Essen sprichwörtlich verschlungen habe, und nun bekomme ich dafür die Quittung.

Kopfüber stürze ich in die Damentoilette und verschließe eine Kabine hinter mir. Ich nehme den üblen Gestank wahr, der meine Übelkeit steigert und ich bücke mich zum Ring hinunter. Ich benötige fünf Anläufe, bis mein Magen sicher ist, dass sich nichts mehr im Inneren befindet. Der beißende Geruch und die Verzweiflung, dass nicht einmal ein Teller Suppe gegessen werden kann, ohne, dass ich dem Klo einen Besuch abstatte, treiben mir die Tränen in die Augen. Ich schluchze und schnupfe abgerissenes Toilettenpapier voll und kümmere mich dabei nicht um mein Aussehen. Im Moment ist mir alles egal. Gleichgültigkeit erfüllt jede Zelle meines Körpers und lässt mich zur Ruhe kommen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stehe ich auf und trete vor den Spiegel, der über den Waschbecken hängt und begutachte meine Kleidung und mein Gesicht. Die Kleidung fahre ich mit meinen Händen nach, damit sich meine Falten glätten und das Make-up, das mein Gesicht ziert, wasche ich kurzerhand mit Wasser ab. Mit oder ohne Schminke, ich sehe immer gleich aus. Ich sehe aus wie Jody. Eine Frau, die auf Ende dreißig zugeht und auch so aussieht. Was für ein Zufall, denke ich mir ironisch. Meinen Mund spüle ich viermal aus, bevor der Geruch nach Kotze weggeht und man wieder in eine Menschenmenge treten kann, ohne, dass alle wegen meines Mundgeruchs in Ohnmacht fallen.

Wieder an meinem Sitzplatz höre ich meinen Nachbarn bei den Gesprächen zu. Ich kenne niemanden und weiß nicht, warum man mich nicht auf einen Einzeltisch platziert hat.

Als ich mich schon fast zu Tode gelangweilt habe und die Welt von mir erlöst wäre, treten ein paar Personen hinter mich und fragen meine Tischgesellen, ob sie die Plätze tauschen könnten, da sie gerne mit mir reden wollen. Meine Nachbarn sichtlich erleichtert, nicht mehr dummen Smalltalk machen zu müssen, da auch sie mich nicht kennen, nehmen das Angebot nur zu gerne an. Schnell packen sie ihre Jacken und sonstige Sachen und verlassen den Tisch. Auf meine Zustimmung warten sie scheinbar nicht und missachten meine Persönlichkeit. Wie sollte es auch sonst sein?

Beth, Luca und zuletzt Steve nehmen auf den Stühlen Platz, auf denen vorher noch, mir völlig fremde, Personen saßen.

„Es ist mir auch eine Ehre, dich zu sehen“, begrüßt mich Luca scherzend, als ich nichts zum Einstieg einer zukünftigen Unterhaltung beitrage.

„Es ist mir auch eine Ehre, mich zu sehen“, wiederhole ich sein Gesagtes sarkastisch. Am Tisch verziehen alle ihren Mund zu einem Grinsen, Luca lacht sogar, aber keine der Grimassen erreichen ihre Augen. Es ist nicht echt. Nur gespielt. Man darf niemals vergessen, mit wem man am Tisch sitzt. In meinem Blickwinkel befinden sich drei Verbrecher, oder Mörder, am Tisch und spielen Konversation. Es geht darum, über möglichst viel Sinnloses zu sprechen, ohne, dass man wichtige Informationen preisgibt.

„Was macht ihr hier?“, starte ich ein erneutes Frage-Antwort-Spiel.

„Das, was du auch machst. Hier sitzen“, stellt Beth das Offensichtliche dar. Sie wird mir immer unsympathischer, je mehr Zeit vergeht. Vermutlich liegt das daran, dass ich jetzt ihr wahres Gesicht sehe.

„Vielleicht wollen wir dir auch nur Gesellschaft leisten, da wir sehen, dass du niemanden zum Unterhalten hast. Vielleicht war es auch nur purer Eigennutz, da wir keine Gesprächsthemen haben, um die Zeit zu überbrücken. Wir können nicht als Erstes gehen, da man sonst über uns lästern würde, was das Zeug hergibt“, erläutert Steve einen absurden Grund.

„Ach, ihr seid um euren, nicht vorhandenen, Ruf besorgt. Es darf ja auch niemand über euch etwas Schlechtes denken, sonst seid ihr dran und lebt ihr nicht mehr lang. Glaubt mir, keiner aus der Klinik sucht euch. Die Angestellten interessieren sich nicht für Flüchtende, wie ihr es seid. Sie passen nur auf, dass so etwas nie wieder passiert und überwarten die Sicherheitsvorkehrungen. In der letzten Zeit, wo ich dort war, ist sowieso alles schiefgelaufen. Zum Beispiel ist eine Pflegerin in meinem Zimmer vergewaltigt worden und keiner hat es mitbekommen. Wie tragisch. Aber wahr.“ Ich werde ja richtig redselig, wie ich gerade feststelle. Somit habe ich das Spiel verloren. Ich habe zu viele Infos verraten und bin damit draußen.

„Da hast du recht. Bis jetzt hat uns keiner in die achte Klinik zurückgeholt oder anderweitig eingesperrt“, stimmt mir Luca zu.

„Die Veranstalter der Beerdigung haben wirklich alles richtiggemacht, außer der Sitzordnung. Aber dieses Problem konnten wir ja erfolgreich lösen“, startet Beth einen Themenwechsel.

„Ihr seid also nicht diejenigen, die den Leichenschmaus organisiert haben?“, hinterfrage ich ihre Worte. Sie ist scheinbar genervt von meiner geschauspielerten Dummheit und nickt nur.

„Wer dann?“

„Ihre lieben und hilfsbereiten Eltern, die genauso wie Zoey sind“, klärt mich Luca über die Eigenschaften von ihrer Mutter und ihrem Vater auf.

„Aha“, kann ich darauf nur erwidern. Es interessiert mich nicht wirklich.

Ich stehe auf und schiebe den Stuhl zurück. „So, um euer Ansehen zu wahren, gehe ich als Erste“, somit verlasse ich das Gasthaus.

Ich beschließe noch einmal zum leeren Grab zu gehen, um zu sehen, ob sich seit meinem letzten Dasein etwas geändert hat.

Tatsächlich finde ich das Loch, in das der Sarg hinabgelassen wurde, genauso vor, wie beim letzten Mal, nur, dass ein Berg von Blumen das Obere verbirgt. Ich setze mich am Rand von diesem und lasse meine Füße in der Luft baumeln. Höhenangst besitze ich nicht, da ich unverletzt unten landen würde und auch wieder durch eigene Kraft hochkommen würde. Das stellt kein Problem dar, aber die Ironie in diesem Moment, bringt mich zum Grinsen. Allgemein finde ich, dass das die unterhaltsamste Beerdigung war, die ich jemals miterlebt habe.

„Zoey, es tut mir nicht leid. Wenn ich ehrlich bin, hast du es sogar noch provoziert. Du trägst die alleinige Schuld für deinen Tod. Ich habe ihn nur unterstützt. Jeder Mensch muss schließlich sterben.“

Es mag komisch klingen, sich mit einem leeren Sarg zu unterhalten, aber es ist die Zeit gekommen, wann ich mit dem Fall Zoey abschließen muss, um Platz für jemanden Neuen zu machen. Sie wird mein erstes Opfer bleiben, aber sie ist auch nur eins von vielen, die ich schon getötet habe. Oder die noch dazu kommen werden. Die Zukunft ist ungewiss, aber ich bin für alles und jeden offen.

Ich fahre mit meinem geliebten VW-Käfer nach Hause und ziehe gleich, als ich zu Hause bin, den Stuhl auf den Balkon, um auf das abendliche Gespräch von Irene und Ralf zu warten.

Je länger ich mich gedulde, desto ungeduldiger werde ich. Nervös wandere ich auf den insgesamt drei Quadratmetern umher und balle meine Hände zu Fäusten, um meine angestauten Aggressionen los zu werden, die ich normalerweise mit dem Dialog des älteren Ehepaares abbaue.

Ich warte und warte, aber niemand kommt nach draußen, um ein Gespräch zu beginne. Ich vermisse den Tratsch der Alten und ich brauche ihn. Wie soll ich sonst mich sonst abreagieren?

 

Ich gehe wieder ins Hausinnere und ziehe mich um. Die Stadt wird schon eine Lösung für mich haben. Mit dem Auto brauche ich nicht lange und ich kann mich ins Getümmel stürzen.

In einem Club namens ZuZiZa reihe ich mich ein und komme durch, womit ich praktisch drinnen bin. Die Tanzfläche meide ich gewissenhaft, da ich für schnelle Bewegungen nicht genug Energie und Motivation aufbringen kann. Außerdem sehe ich wie ein verklemmter Affe beim Tanzen aus.

An der Bar bestelle ich einen Martini und der heiße Barkeeper bringt mir sofort einen. Das nennen wir doch mal Service! Ich wende mich den Tanzenden zu und beobachte sie, während ich an meinem Getränk schlürfe. In der Menge befinden sich größtenteils Mitte Zwanzigjährige, oder jüngere, und ich frage mich, ob ich nicht zu alt für Discos bin. Vor einem Jahrzehnt war man nie zu alt fürs Feiern, aber das kann sich im Laufe der letzten Jahre geändert haben. Es geht schließlich alles mit der Zeit, so wie ich. Ein Mann, der nicht schön, aber auch nicht hässlich ist, zwinkert mir zu. Ich lächele ihn an und wir beginnen mit dem üblichen Kennen lernen.

 

„Wie heißt du?“, fragt er.

„Jody. Und du?“

„Patrick. Zu dir oder zu mir?“

„Zu mir.“

 

Ich grinse ihn an, dass er völlig falsch versteht, da er anfängt mit mir zu flirten. Als ob ich nur Sex von ihm wollen würde. Pf.

Er wird mein nächstes Opfer.

Erste Konfrontation (überarbeitet)

 

Patricks Küsse in meinem Nacken lassen mich völlig kalt, nur das Verlangen nach seinem Tod, übersteigt meinen Ekel, der durch seine schmatzenden Geräusche verursacht wird. Da er zu betrunken ist, um mir mit seinem Auto nachzufahren, verfrachte ich ihn kurzerhand in meines.

Während der Autofahrt fährt er mit seiner Hand über meine Oberschenkel und zweigt ab und an auch in den Zwischenraum hinein. Wenn er nüchtern wäre, hätte er sich das nicht getraut, da er wie der typische Milchbubi aussieht, der zuerst schüchtern nachfragt, ob es der Frau angenehm sei, ihre Hand zu halten.

Ich lächele ihm ein paar Mal zu, sodass er nicht auf falsche Gedanken kommt und sich zurückzieht, denn einen flüchtenden Mann kann ich momentan überhaupt nicht gebrauchen. Ein williges Opfer ist mir heute – mitten in der Nacht – lieber und ich habe keine Lust, mich mit einem kräftigen Mann zu streiten, den ich am Schluss mit meiner Fähigkeit lahmlegen muss.

In meiner Wohnung erkundige ich mich zuerst, ob noch alles beim Alten ist und mir niemand einen Besuch abgestattet hat. Es ist noch alles auf seinen Platz.

Patrick hat sich mittlerweile ins Schlafzimmer verzogen und entledigt sich wahrscheinlich seiner Kleidung. Wie falsch er doch liegt! Er ist es eigentlich nicht wert, mich zu berühren!

Ich trage meinen Salzstreuer, dem ich vorher den Deckel abgeschraubt habe, eine halbleere Flasche Salatessig und ein sauberes Küchenmesser in das Bad und lege die Sachen auf die Oberfläche eines Schrankes. So, wie es aussieht, muss ich irgendwann nach der Arbeit noch ein paar Produkte besorgen. Mein Obstvorrat geht schon langsam zur Neige und auch die Getränkelade im Kühlschrank ist beinahe leer.

Der Boden ist von meinem letzten Opfer noch leicht dunkelrot verfärbt, aber der wöchentliche Hausputz, der sowieso morgen ansteht, wird das alte und das neue Blut schon wegwischen.

Bevor ich Patrick Gesellschaft leiste, mache ich einen kleinen Abstecher in die Küche und nehme vier Stück Kabelbinder heraus.

Im Schlafzimmer finde ich einen nackten Mann vor, der sich grinsend auf der Bettdecke drapiert hat. Sein Geschlecht ist definitiv unterentwickelt, da es sich im Mikromillimeterbereich befindet und nicht als solches gewertet werden kann. Armes Opfer! Dank mir, muss er sich nie wieder schämen und kann in Frieden sterben.

Ich setze mich auf seinen Bauch und fahre die Kanten und Ecken seines teils muskulösen Körpers nach. Damit lässt er sich leicht ablenken und ich überrede ihn, mit mir in die Dusche zu gehen. Man erkennt an dem verdächtigen Glitzern in seinen Augen, dass er sich gerade eine nackte Jody vorstellt. Warum eigentlich nicht? Was spricht dagegen, das Opfer, bevor man es tötet, auszunutzen? Genau! Nichts.

An der Hand führe ich ihn das Badezimmer und beginne mich auszuziehen. Patrick hilft mir dabei und greift meine Unterpartie an. Er öffnet den Gürtel und zerrt die Hose, mit der Unterhose, zu Boden, während ich mich bereits oben von meinen Klamotten befreit habe. Er starrt mich an und denkt sich wohl, dass ich viel zu dünn bin. Ehe er es mir sagen kann, was ich schon von vielen Leuten gehört habe, ziehe ich ihn unter die Dusche, die ich sofort anschalte.

Kaltes Wasser prasselt auf uns herab und wird sich in den nächsten fünf Minuten höchstens um ein paar Grad erwärmen. Ich freue mich schon, wenn der Handwerker endlich mit meinem Beuler anreist und ich in den Genuss von heißem Wasser komme. Bis dahin muss ich wohl oder übel noch mit einer eiskalten Dusche auskommen.

Patrick ist anscheinend etwas eingefallen, wie uns warm werden kann und umarmt mich. Mit meinem Opfer möchte ich jetzt wirklich nicht auf Kuschelkurs gehen, weshalb ich mich aus seinen Armen löse und er mich enttäuscht ansieht.

Als könnte ich etwas für seine emotionale Art.

Er scheint seine Avancen noch nicht aufgeben zu haben, denn er greift nach dem Shampoo und gibt einen Klecks auf seine rechte Handinnenfläche und verreibt es dann mit der Linken, nur um mich damit einzucremen. Seine Art mich zu massieren ist gewöhnungsbedürftig und ich verziehe mein Gesicht, als er seine Finger unsanft in meine Nackengegend krallt. Nur mit Mühe unterdrücke ich ein schmerzerfülltes Aufstöhnen und hallte meine Wut gegen ihn zurück. In wenigen Minuten wird er es bereuen. Beruhige dich Jody! Denke rational und sei erst später rachsüchtig. Du schaffst das!

Ich drehe mich zu ihm lächelnd um, damit er keinen Verdacht schöpft, dass ich seinen Mord plane.

„Jetzt bin ich dran", nehme ich mit diesen Worten das Ruder in die Hand. Ich gebe etwas von dem blumig duftenden Shampoo auf die Hand und verteile es, wie vorher Patrick, auf seinen Körper, nur mit dem Unterschied, dass ich es härter einmassiere. Der mittelgroße Mann schließt vor Schmerzen seine Augen und versucht sich trotzdem zu entspannen.

Es ist die perfekte Gelegenheit, um ihn zu überraschen, und diese kann ich mir nicht entgehen lassen.

Ich werfe mich gegen ihn und er rutscht aus. Sein Kopf schlägt auf das harte Fließen auf und ein lautes Knacken ertönt. Hoffentlich ist er nicht tot. Ich wollte doch noch meinen Spaß mit ihm haben.

Ich lege mein linkes Ohr auf seine Brust und höre für einige Zeit auf zu atmen, um seinen Herzschlag wahrzunehmen. Ein kräftiges Schlagen seines Herzens verrät mir, dass er noch unter den Lebenden weilt. Also ist er noch für Spaß zu haben.

Ich schleppe ihn zum Heizkörper und verwende die Kabelbinder zum Fesseln. Zwei nehme ich dazu her, seine beiden Arme aneinander zu fesseln und die zwei anderen um ihn, aussichtslos auf eine mögliche Befreiung, an dem Heizungsrohr zu binden. Hoffentlich hält er das nicht für ein Fesselspiel. Ihm traue ich alles zu, so dämlich wie er ist.

Unterdessen, während er ohnmächtig auf dem Boden liegt, gehe ich in mein Schlafzimmer, gerade aus, auf den Kleiderschrank zu. BH, Slip und ein Nachthemd bilden meine Kleidung für diese Nacht.

Nachdem ich die Asche entsorgt haben werde und das Blut auf dem Boden aufgewischt habe, lege ich mich schlafen und das ohne Wenn und Aber!

Ein paar Stunden Schlaf werden mir guttun. Eine Frau braucht eben ihren Schönheitsschlaf, ohne dem sie zum Biest werden würde.

Ich geselle mich wieder zu meinem vierten Opfer, das ich mit einen kleinem Energiestoß in die Wirklichkeit zurückhole. Wie praktisch meine süßen, kleinen Blitze doch sind!

Er reißt seine Augen weit auf und schaut sich, wie ein eingesperrtes, gehetztes Tier, nach einem Fluchtweg um, als er bemerkt, dass er gefesselt ist. Er ist nicht so dumm, wie ich anfangs gedacht habe.

Patrick, dessen Zunge (noch nicht) gelähmt ist, schreit mich an: „Was soll das Ganze? Wenn du mich nicht sofort frei lässt, dann wirst du es bereuen! Ich bin einer der reichsten Personen Altdeutschlands! Und wenn du mich nicht gehen lässt, wird nach mir gefahndet und nur du wirst als Mörderin in Frage kommen!“

Wirklich? Oder ist das nur eine dieser leeren Drohungen, die man ausspricht, um am Leben zu bleiben? Egal. Es ist mir gleich, was mit ihm geschieht oder mit mir. Das Urteil ist gefällt, er muss sterben.

„Warum so unfreundlich? Ich habe dir noch nichts getan, weswegen du mich anzeigen könntest. Du bist freiwillig mit mir mitgekommen und hast mich für leichte Beute gehalten. Das war dein Fehler. Dein Letzter, wenn man die aktuelle Situation betrachtet.“

„Das Gefängnis wartet bereits auf dich. Aber so, wie du aussiehst, könntest du auch im Irrenhaus landen.“

„Laut deiner Wortwahl, schließt du darauf, dass ich mich erwischen lasse. Glaub mir, das wird niemals geschehen. Falls doch, kann ich sehr überzeugend sein.“

„Meine Familie wird sich trotzdem an dir rächen. Keiner kommt ungeschoren davon, wenn er jemanden aus der Familie Banles tötet.“

„Ich wüsste nicht, dass sie überhaupt einen Beweis dafür hätten, dass du tot bist.“ Er sieht mich verständnislos an, während ich mir am Kinn tippe und in die Luft starre. „Du bist doch verrückt“, beleidigt er mich. Wie kann er es wagen, mich ein weiteres Mal zu beschimpfen? Sie können mich als Magersüchtige abstempeln, jedoch nicht zweimal als Irre. „Für was rede ich überhaupt mit einem Abschaum, wie dir? Ich bin eben zu gütig mit meinen Opfern und sie wissen es anscheinend nicht einmal zu schätzen.“ Nach diesen Worten reiße ich seinen Mund auf und lasse seine Zunge durch eine kurze Berührung meiner Hände absterben.

Patrick sieht wohl ein, dass ich es ernst meine und fängt an, wie ein Tobsüchtiger, um sich herum zu schlagen. Da er gefesselt ist, erwischt er mich nicht und ich beobachte ihn schmunzelnd. Da ist das letzte Aufbäumen seines Lebens und das weiß auch mein viertes Opfer bald.

Als ihn schließlich seine Kräfte verlassen und er in sich zusammensinkt, versucht er Worte zu formulieren. Heraus kommt nur Gebrabbel, das mich an Babylaute erinnert. An ein sehr nerviges Baby.

„Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden. Tut mir nicht leid.“ Daraufhin sieht er mich mit einem Blick an, der so viel aussagt, dass ich ihn schnell töten soll. Auf keinen Fall! Wo bliebe da der Spaß?

Seine Nacktheit nimmt mir die Arbeit ab, ihn auszuziehen. Zugegeben, er hat einen schönen Körper. Doch den haben viele. Jeder ist nur ein Mensch und hat seine Fehler und Sünden begangen. Ich werde es mit deren Tod wieder gut machen und sie werden in Frieden ruhen können.

Ich setze mich auf seine Beine, die - im Gegensatz zu seiner Zunge - noch ziemlich lebendig sind, um sie zum Stillhalten zu zwingen. Die Küchenmesser, die ich vorher aus dem Schrank geholt habe und nun jeweils links und rechts in der Hand liegen habe, sind jederzeit bereit, Blut zu vergießen.

Mit der Rechten fahre ich in der Mitte seines Brustkorbs entlang und hinterlasse eine oberflächliche Wunde, die zwar stark blutet, aber noch nicht lebensgefährlich ist. Ich will ihn leiden sehen. Er wird für seine Beleidigung büßen!

Das linke Messer lasse ich die Wunde nachfahren, sodass der Schnitt sich langsam vertieft. Der rote Lebenssaft verdoppelt sich und ich grinse ihn an. Er dagegen krümmt sich vor Schmerzen. Seine Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und er kann sich an seinen bevor stehenden Tod nicht gewöhnen, denn er schreit noch nicht um sein Leben. Trotzdem wird es nicht mehr lange dauern, bis er beginnt zu winseln und nach Hilfe zu rufen. Nur das keiner kommen wird. Irene und Ralf schlafen und die nächsten Nachbarn, die ich habe, sind durch zwei leerstehende Wohnungen oberhalb meiner auf Abstand gehalten. Es wird wahrlich eine schöne, blutrote Nacht.

Mit einem Ruck habe ich auf beiden Seiten seiner Hüfte tiefe Einschnitte in seinem Muskelgewebe mit meinen Waffen hinterlassen, indem ich sie gerade in ihn hineingestoßen habe. Es hat die gedachte Wirkung nicht ausgelassen und er jault auf vor Schmerz. Wie schrecklich muss es ihm nur gehen, damit er solche Laute von sich gibt? Vermutlich noch nicht schrecklich genug, denn er schreit viel zu leise, als das es mich befriedigen würde. Das muss sich ändern!

Bei seinen Schultern fange ich an, zwei achsensymmetrische, kurvige Linien bis zu seinen Unterschenkeln zu ziehen. Dabei fahre ich extra tief in seinen nachgiebigen Körper, mit meinen liebsten Geräten, entlang und endlich übermannt ihn eine Woge voller Schmerz, den er mit lauten, unmenschlichen Tönen von sich gibt. Es ist ein Heidenspaß ihm dabei zuzusehen, wie er mit sich selbst kämpft, um nicht aufzugeben. Da hat er sich aber geschnitten. Ich lache wegen der Ironie meiner Worte leise in mich hinein, was das Opfer vor mir nicht wahrnimmt, so beschäftigt ist es mit seiner Pein.

Die Haut an seinem Unterschenkel ziehe ich ihm kurzerhand, wie die Schale eines Apfels ab, und verbrenne sie, bevor sie mich stört. Unterdessen hat er seinen Kopf vom Geschehen abgewendet, was ich nicht gutheißen kann. „Patrick, Schatz, was machst du da? Ich hätte gedacht, du bist ein erwachsener Mann und kein bockiges Kind“, fordere ich ihn heraus. Seine Grimasse, die er macht, zeigt mir, dass er in eine völlig andere Welt abgetaucht ist. Zeit, ihn zurück zu holen.

Ich nehme das Salz von der Stellfläche des Schrankes und verstreue es großzügig auf seinen Wunden. Meine Behandlung ist mit Erfolg gekrönt, denn Tränen des Leidens treten aus seinen Augenwinkeln. Mit dem Essig verfahre ich genauso wie mit dem Natriumchlorid und es gibt ihm den Rest. Unvorstellbar, wie ein so starker Mann, so leicht ausgeknockt werden kann. Harte Schale, weicher Kern, ist mein Fazit.

Abschließend mache ich kurzen Prozess, den er sich am Anfang gewünscht hat. Ich gebe meinen Opfern schlussendlich das, was sie auch verdient haben. Mit einem der identischen Messer steche ich mitten in sein noch schlagendes Herz, das dadurch stoppt. Für immer. Er bekommt davon nicht mehr viel mit und es macht ihn zum vierten Opfer in meiner Serie.

Seinen mit Blut besudelten Körper beschieße ich so lange mit energiereichen Blitzen, bis er nur noch ein Häufchen Asche ist. Ein graues, langweiliges Restprodukt des Lebens.

Mit meinen Kehrutensilien werfe ich die Asche in den Müll und reinige den Boden nur oberflächlich, da ich heute zu müde für eine ausführliche Reinigung bin. Endlich werde ich schlafen können. Das Verlangen nach dem Tod ist für einige Zeit gestillt und ich kann mich beruhigt hinlegen.

Erledigt mache ich es mir auf der Matratze gemütlich und erschöpft fallen meine Lider bis zu meinem nächsten Erwachen zu.

Heute ist…Mittwoch? Ja, genau. Ich blicke auf die Uhr, die an der gegenüber liegenden Wand vor sich hin tickt und brauche eine kleine Ewigkeit, bis sich mein verschwommener Blick klärt und ich erfahre, dass es drei Uhr nachmittags ist. Morgen muss ich Spätschicht arbeiten. Dann kann ich es mir leisten, noch einen gründlichen Hausputz zu machen. Am besten, ich fange im Bad an.

Das getrocknete Blut, dass im Badezimmer den Boden bedeckt, ist schwer zu reinigen. Aber für was hat man sonst das Allzweckmittel namens Essig, um der roten Flüssigkeit den Kampf anzusagen? Mit einer Bürste schrubbe ich das Fließen so lange, bis sich schon kleine weiße Stellen des unteren Belags des Fließens lösen.

Nachdem ich die Dusche, das Waschbecken und das Klo von den allermeisten Bakterien befreit habe, reinige ich mit dem Wischmopp auch den Boden gründlich. Das Badezimmer glänzt im alten Schein seiner besten Tage und erlaubt es mir, an den Türrahmen zu lehnen und zufrieden mein Werk zu begutachten. Ich werde wohl in Zukunft öfters diesen Raum putzen, wenn mich die Gefühle der Befriedigung und der Erschöpfung zur Ruhe kommen lassen. Dennoch ist es nichts im Vergleich zu den misshandelten, toten Opfern, die sterbend am Boden liegen und den letzten Luftzug ausatmen. Ich mustere die saubere Schönheit des Zimmers und hole durch meine Nasenflügel tief Luft, als ich die dreckige Scheibe des Fensters entdecke. Nein! Das kann nicht sein! Bevor ich mich aufrege und etwas in Brand stecke, verschiebe ich das Putzen des Glases auf das nächste Mal und kümmere mich um die anderen Räume meines Zuhauses.

Im Vergleich zur Küche ist das Badezimmer ein Nichts gewesen. Normalerweise befinden sich im Zweiten die meisten Keime, aber dem ist nicht so. Das Wasser im Eimer ist dunkelbraun, fast schon schwarz, verfärbt und ich brauche ein neues Putzwasser, um auch die Kochtheke gründlich zu reinigen. Was lernt man daraus, Jody? „Ich weiß schon. Ich werde zukünftig öfters den Lappen in die Hand nehmen müssen.“ Meine innere Stimme hat sich mal wieder dazu entschieden, mir auf die Nerven zu gehen und meldet sich in den unmöglichsten Momenten, wenn ich sie gar nicht gebrauchen kann.

Zur Belohnung für den harten Tag möchte ich mir etwas zu Essen machen. Mein Magen knurrt, wie eine auf Turbomodus laufende Motorsäge, und verlangt nach etwas Deftigem. Wie wäre es mit dem Steak, das schon Tage im Gefrierfach liegt und auf die Pfanne wartet. Gut, dass ich es in das obere Gefrierfach gelegt habe, sonst wäre es bereits mit Salmonellen verseucht und mir würde ein unangenehmer Geruch in die Nase steigen. In einem der Küchenschränke finde ich das gesuchte Öl und gebe davon geschätzte drei Esslöffel in die schwarze Pfanne. Den Elektroofen auf die dritte Heizstufe eingestellt, brutzelt das Essen vor sich hin, bis ich es nach fünf Minuten wende, um auch die andere Seite in den Geschmack von heißem Fett kommen zu lassen. Währenddessen kochen zwei Kartoffeln in einem Topf, die ich später als Beilage zum Hauptgericht essen werde. „Lecker“, schwebt mir durch den Kopf und ich befeuchte freudig mir die Lippen.

Das fertige Fleisch gebe ich auf einen Teller und schütte das Wasser, in dem die Kartoffeln gekocht haben, in das Waschbecken, nur um dann die Haut des erkalteten Wurzelgemüses abzuziehen und darauf, in Scheiben geschnitten, in die Pfanne zu geben, damit auch das restliche Öl verbratet. Als das Teller rappelvoll mit dem Steak und den Kartoffeln ist, stelle ich es auf den Tisch und lasse die Kochutensilien im Waschbecken verschwinden.

Ich mache mich ungebremst über das Essen her, sodass in fünf Minuten nichts mehr von meiner geliebten Mahlzeit übrig ist. Schade, dass der Heißhunger mich im Griff hatte und ich es nicht mit Genuss verzehren konnte. Jetzt bereue ich es und mein Magen beschwert sich, wegen der großen Menge an Lebensmittel, die ich ihm zugeführt habe.

Tränen laufen über meine Wangen und ich widersetzte mich der Übelkeit. Jedoch ist der Kampf gegen diese aussichtslos und ich stürme in Richtung Toilette. Krampfhaft würge ich immer wieder, bis nach dem vierten Mal nur noch Magensäure nach oben kommt.

Kraftlos lehne ich an der Wand, zwischen dem Klo und dem Heizkörper und versinke in das schwarze Loch der Schwärze.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen bin, aber, als ich aus dem Fenster sehe, ist es bereist dunkel. Somit ist nicht nur mein Körper eingeschlafen, sondern ich habe auch das Gespräch zwischen Ralf und Irene verpasst, falls sie eins geführt haben. Wie traurig doch die Welt ist, wenn einem nur Schlechtes widerfährt. Man könnte meinen, das Schicksal meint es mit mir nicht gut. Obwohl ich doch gar nichts Böses getan habe.

Ich schließe den Deckel der Toilette und stütze mich darauf, damit ich auf beiden Füßen stehen kann. Am liebsten würde ich mich wieder auf den Boden sinken lassen, um der Schwachheit meiner Muskulatur zu entkommen. Ächzend und stöhnend schaffe ich es bis zu meinem Schlafzimmer und lasse mich auf die weiche Matratze fallen. Im Moment ist es mir gleich, ob ich mit meiner schmutzigen Kleidung die Bettlaken dreckig mache oder meine Liegestellung ungemütlich ist. So egal. Alles ist mir gleich. Hauptsache ich bekomme meine Ruhe und ich bekomme meinen wohlverdienten Schlaf. Meine Lider fallen zu und ich sinke in die beruhigende Stille der Zufriedenheit ab.

 

Die nächsten Arbeitstage verlaufen so zäh, wie eh und je, und ich kann mich nicht mehr an den Grund erinnern, warum ich das ganze Theater mitmache. Ich hätte genug Geld, um zu kündigen und fünf Jahre glücklich ohne Job zu leben. Aber dann würde mich die Langeweile einholen und ich wüsste nicht, was ich machen soll. Vermutlich töte ich die halbe Stadt, um mir die Zeit zu vertreiben. Und das würde auffallen! Das Gefängnis wird mir eine Einladung schicken und der Richter wird mit seinem Holzhammer auf den Tisch klopfen, nur um mich einzubuchten. Alle werden gegen mich sein, auch meine Anwälte. Das Volk wird mich verspotten und mit Tomaten und Eiern bewerfen. Buh-Rufe werden mich wie Albträume verfolgen und ich werde aus der Gesellschaft ausgegliedert, wie eine Aussätzige. Jody, deren Name Gottgesandte bedeutet, wird in das Gegenteil gewandelt und als Dämon auferstehen.

Da ist mir meine Arbeit noch lieber, als diese (wunderbare) Zukunft.

 

Diana, die heute freiwillig, zum wiederholten Male gekündigt hat, hat ihre Schauspieler-Qualitäten zum Besten gegeben und die Kunden köstlich unterhalten, während wir, Ginger und ich, unserer Arbeit nachgegangen sind.

Verächtlich schnaubt Ginger und ich werfe ihr einen fragenden Blick zu. „Wir müssen arbeiten und die Schlampe kann tun und lassen, was sie will.“ Ich nicke ihr zu, als Bestätigung und vergeude meine Zeit mit dem Einräumen und Ausräumen von Schachteln. Fast schon Routine greife ich zum Heftpflaster in meiner Hosentasche, als ich mir mit dem Kartonmesser quer über meinen Zeigefinger geschnitten habe. Mist! Schon wieder. Um meine Flüche in Grenzen zu halten, ziehe ich mir ein Snickers aus der anderen Tasche. Süßigkeiten bringen einem das, was man sonst nie bekommt. Endorphine. Glücksgefühle, die man misst. Das kleine Stück der Süße vertreibt meine schlechten Gedanken und lässt mich meine Arbeit machen.

Nach der Pause am frühen Abend werde ich durch einen mies gelaunten Chef zur Kasse beordert und muss die Kunden kassieren. Es scheint mir fast so, als würden sie extra auf meine aufgekratzte und geschundene Haut blicken, nur um dann sorglos in die Ferne zu sehen. Hauptsache, nicht in meine Augen. Meiner Meinung nach, besitzen solche Leute kein Selbstbewusstsein, auch wenn sie eines vorgaukeln. Mein Beileid.

Nach drei Stunden Geld wechseln und antworten auf die Fragen nach der Dauer der Rücktauschgarantie werde ich endlich von meiner Arbeit entlassen und kann um Punkt halb neun Polak verlassen.

Die Tage gingen mühselig an mir vorüber - auch wenn ich dazwischen einen freien Tag hatte - und ich freue mich schon auf den Sonntag. Erik hat mich diese Woche ungewöhnlich oft für die Spätschicht gerufen, obwohl ich eigentlich die ganzen fünf Arbeitstage am Morgen hätte arbeiten müssen. Ich zucke mit den Achseln und räume die Einkäufe ein, die ich heute, Samstag, noch vom Laden mitgenommen habe.

Wenn man selbst einen Haushalt führt, muss man sich viel mehr Gedanken um das ganze Drumherum machen, als in der achten Klinik. Dort ist einem das abgelaufene, verdorbene oder schlecht schmeckende Essen vor die Nase gestellt worden und man hat es in sich hinein schaufeln müssen, obgleich man darauf hätte erbrechen können. Wenn man einen Rest einer Mahlzeit zurückgelassen hätte, wäre man mit einem Ausschluss aus der Menge bestraft worden. Ich habe mich zweimal widersetzt und es ist beide Male die pure Hölle gewesen. Jeweils einen Monat bin ich eingeschlossen in meinem Zimmer gehockt und habe aus dem Fenster gestarrt, bis die Zeit um gewesen ist. Erst dann habe ich festgestellt, dass die Anstalt das Schlimmste in meinen Leben ist. Ich will nie wieder zurück. Zwar laufe ich Risiko, dass meine Mordserie auffällt, aber ich bezweifle, dass es in nächster Zeit passiert. Niemand kann beweisen, dass ich jemals mit den Toten in Kontakt getreten bin, denn es gibt keine Leichen mehr. Nur vier Häufchen Asche, entweder vom Winde verweht oder im Müllbeutel weggeworfen.

Keiner wird und kann mir etwas anhaben.

Als ich gerade den Stuhl nach draußen, auf den Balkon, ziehen will, klingelt es an der Tür. Hoffentlich dauert das nicht so lange und ich kann den Störenfried schnell abhaken, sonst verpasse ich wieder ein potentielles Gespräch zwischen meinen Nachbarn.

 

Nein! Beruhige dich, Jody! Vergiss nicht, keiner wird und kann dir etwas anhaben. Erinnere dich daran und keiner wird bemerken, dass du die eine oder andere Sünde zu viel gemacht hast. Außerdem wollten sie den Tod, sie haben ihn freiwillig gewählt. Sie haben darum gebettelt, dass das Leiden aufhört. Ich habe ihnen nur dabei geholfen. Das ist nicht schlimm. Es ist gerecht.

Vor mir stehen zwei, bis an die Zähne bewaffnete Polizisten, die mich misstrauisch mustern.

„Treten Sie doch ein, meine Herren. Ich ziehe mich nur kurz um, dann bin ich wieder da.“ Kopfüber eile ich zu meinem Kleiderschrank und reiße mir wortwörtlich das weiße, langweilige Nachthemd vom Körper. Ich brauch diese Aggressionsbewältigung einfach, sonst flippe ich noch aus. Da kommt mir die Zerstörung meiner Klamotten ziemlich gelegen, um meine Energie abzubauen.

Die Männer finde ich in der Küche, auf den zwei einzigen Stühlen bequemt, vor und hole einen Hocker aus dem Schlafzimmer. Den brauche ich normalerweise nur, wenn ich etwas aus der höchsten Ablege brauche. Schlussendlich sitze ich bei ihnen und höre mir ihr Anliegen an.

„Sie haben sicherlich von dem Verschwundenen gehört. Er heißt Patrick Banles und ihm gehört das Unternehmen Hang. Gewiss haben Sie schon von dem Geschäft gehört. Es verkauft Schmuck in allerlei Variationen, Pflegeprodukte, usw. Laut seinen Freunden, sind Sie die letzte Person gewesen, die mit ihm gesprochen hat. Ebenfalls haben seine Freunde gemeint, dass er mit Ihnen verschwunden sei. Was haben Sie dazu zu sagen?“, übernimmt der blonde, große Mann den Anfang der Konversation. Der Schwarzhaarige hält sich dabei im Hintergrund.

Um nicht gleich als Schuldige enttarnt zu werden, sehe ich die Beiden verwirrt an.

„Sie meinen einen schlanken, braunhaarigen Mann, oder? Wenn dem so ist, kann ich Sie beruhigen. Nach dem One – Night – Stand ist er nach Hause. Ich glaube, mich erinnern zu können, dass er von jemandem abgeholt worden sei. Keine Ahnung. Er ist gleich gegangen, nachdem wir Sex hatten.“

Die Polizisten sichtlich überrascht von meinen offenen Worten, schauen mich mit gerunzelter Stirn an.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, lautet daher meine Frage. Natürlich, habe ich, laut dem Gesetz, etwas Schlimmes getan, aber das müssen sie ja nicht wissen. Es geht einzig und allein mich was an, was ich sage.

„Nein. Nein, nein. Ist schon gut. Wir sind nur ein wenig geschockt, wegen ihrer Wortwahl. Normalerweise sind die Frauen heutzutage prüde, wenn es um Geschlechtsverkehr geht. Da sind sie anscheinend von einem anderen Kaliber.“

„Ah. Kann sein.“

„Ich frage mich, ob es ihren wahren Charakter entspricht? Ich meine, sie sieht nicht gerade vertrauenswürdig aus“, flüstert der andere in das Ohr des Blonden.

Ich übergehe das Lästern, das der Schwarzhaarige betreibt, und frage sie nach deren Namen.

„Entschuldigen Sie das ungebührliche Verhalten Ihnen gegenüber. Ich bin Louis Reiban und das neben mir, ist ein Auszubildender namens Finnick Poal. Und keine Sorge, wir wissen, wer Sie sind. Sie müssen sich nicht vorstellen“, unterbricht der Herr meine Namensvorstellung, bevor ich überhaupt zu einer ansetze.

„Und was passiert nun?“, erkundige ich mich, nach dem weiteren Geschehen, damit ich mich vorbereiten kann.

„Wir werden Sie zur Station begleiten, wo Sie eine Aussage machen müssen. Wenn Sie sich wehren, müssen wir zu Maßnahmen greifen, die Ihnen vermutlich nicht gefallen werden“, warnt er mich. Ich hätte mich sowieso nicht widersetzt, denn es hätte keinen Zweck, mir noch mehr zu Schulden kommen zu lassen.

„Jetzt?“ Sie nicken und ich erkläre ihnen, dass ich noch schnell meine Handtasche holen muss. Ich packe mir zusätzlich einen Liter Wasser ein und folge ihnen dann zum Polizeiauto. Ich bin noch nie in einen Streifenwagen mitgefahren und freue mich darauf, es einmal und nie wieder zu machen. Ich setze mich auf die Rückbank und wir fahren los. Meine Gedanken über die Fahrt im Polizeiauto waren unter dem Nichts, im Gegensatz zu der Wirklichkeit.

Die Leute starren das Auto mit einer Panik an, als würde man sie verhaften, und sehen weg, wenn man deren Blick begegnet. Sie haben Angst, dass sie etwas Böses gemacht haben und trauen sich nicht, die Polizisten, wie normale Autofahrer zu behandeln. Hm, gut, dass ich nie Polizistin werden möchte, beziehungsweise geworden bin. Das wäre noch schlimmer gewesen, als die Aufmerksamkeit, die meine Kunden meinen Fingern widmen.

In der Station tummeln sich vielbeschäftige Polizisten, die mich glatt übersehen. Oder sie tun nur so, als ob. Jedenfalls begrüßen sie mich nicht und heben nicht den Blick von ihren Akten, als ich mit meinen Begleitern vorbeigehe. Vielleicht ist das auch nur eine Masche. Sie schenken einem keinen einzigen Blick, aber im Geheimen mustern sie jedes kleinste Detail deines Körpers. Vielleicht ist es ihnen auch einfach egal, was um sie herum passiert. So viel, wie ich mitbekommen habe, herrscht im neuen Altdeutschland ein Minimum an Ordnung und Gerechtigkeit. In den großen Städten, ich denke dabei an Millionenstädte, muss es wirklich übel zu gehen. Illegale Geschäfte, verschleierte Morde und Skrupellosigkeit stehen dort an der Tagesordnung.

Zugegeben, ich bin auch kein Engel. Eher ein Todesengel, aber trotzdem besser, als die anderen. Ich rette diese Menschen von ihrem Dasein in dieser traurigen, bösen und endlichen Welt, wobei ich mich opfere, um noch mehr Menschen von ihren Leben zu befreien.

Der schwarzhaarige Auszubildende führt mich in ein Verhörzimmer. Ich hoffe, es ist eines. Die Wände sind kahl, während ein Tisch den Raum dominiert. Darauf steht ein Rekorder ähnliches Ding, dessen Funktion ich nur erraten kann. Eventuell sind sie Musikfreaks und müssen zu jeder ihr bietenden Gelegenheit lautes Gekreische inhalieren? Möglicherweise nehmen sie mit diesem Gerät meine Aussage auf. Ja, dass erscheint mir sinnvoller, als die erste Theorie.

Der Azubi lässt mich alleine in dem Raum und ich setze mich auf einen der beiden Stühle, die am Tisch stehen. Warum soll ich das unausgesprochene Angebot nicht annehmen, wenn sie mich schon um den Schlaf bringen wollen?

Eine große, viereckige Glasscheibe nimmt die obere Hälfte der gegenüber liegenden Wand ein und ich kann mir genau vorstellen, wie sie mich mit neugierigen Blicken zur Wahrheit zwingen wollen. Ich kann nicht durch die getönte Scheibe sehen, aber sie können es bestimmt. Für was wäre sie sonst gut? Sie wollen mich brechen. Aber ich bin stark. Stärker als sie. Stärker als der Rest der Menschheit. Ich bin Jody, eine Frau, die acht Jahre in der Anstalt überlebt hat, davon vier Jahre als Versuchskaninchen. Viele sind dort gestorben. Ich bin lebend rausgekommen. Ich schaffe das. Ich werde lebendig aus dieser Sache hervorgehen, um über diese Idioten zu lachen.

Der Mann für alles, der Schwarzhaarige, bringt mir ein Glas Wasser vorbei, doch ich rühre es nicht an. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Nicht, dass im Wasser Mittel sind, die meine Zunge lockern. In der achten Klinik habe ich schon viel Absurdes erlebt, da kann mir ein Glas Wasser, mit oder ohne aufgelöster Stoffen, nichts anhaben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich mich zu Tode langweile und schon über meine Gedanken grinsen muss, kommen drei Personen in den Raum. Ein älterer Herr im Anzug und zwei Polizisten. Während die beiden Wachmänner an der geschlossenen Tür stehen bleiben, gesellt sich der Anzugträger zu mir und setzt sich auf den anderen Stuhl.

Bevor die Fragestunde anfängt, schiebt der ältere Herr die Brille zurück auf die Nase und blättert noch eine geraume Zeit in der Akte, die nach meiner aussieht. Ich erkenne sie daran, dass mein Name vorne in Großbuchstaben steht.

„So Frau…“, fängt er an mit dem Verhör, bevor ich ihn unterbreche. „Nennen Sie mich der Einfachheit halber doch bitte Jody. Mit der Anrede meines Nachnamens komme ich mir so alt vor.“ Meine Worte triefen nur von der Lüge. Der einzige Grund, warum ich jedem Schwachmatten die Nennung meines Vornamens anbiete, ist, dass ich den Nachnamen hasse, wie die Pest.

„In Ordnung. Jody. Lass uns beginnen, damit Sie noch ein wenig Schlaf bekommen. Laut den Erzählungen der Polizisten Reiban und Poal haben sie sexuellen Kontakt zu Herrn Banles gepflegt, bevor er anscheinend von einem seiner Freunde abgeholt worden ist. Jedoch haben wir all seine Bekannten befragt und keiner hat gemeint, ihn in den letzten Tagen gesehen zu haben. Wissen Sie etwas, dass wir nicht wissen?“

Lasst die erste Konfrontation beginnen. Auf in die Schlacht!

 

Verschärfte Überwachung (überarbeitet)

 

„Wo sind Sie in den letzten drei Tagen gewesen? Damit meine ich den Zeitraum von Freitag, letzter Woche, bis zum heutigen Tag. Ich bitte um genaue Angaben, da es uns die Sache ziemlich erleichtern würde." Mir kribbelt es in den Fingern, diesem Geschwafel ein Ende zu bereiten. Nur leider würde das auffallen und ich müsste eine richtig gute Erklärung liefern. Nur allzu gut, dass ich wie gedruckt lügen kann. Irgendwann aber würden so viele Leute Jagd auf mich machen und einer wird mich an einer verwundbaren Stelle treffen, womit ich entweder gefangen oder tot bin. Weder die erste, noch die zweite Option sagt mir zu. Deshalb bleibt mir nur noch mein gutes Benehmen und meine Lügenfantasie übrig.

Ich überlege kurz, bevor ich zur Antwort ansetzte: „Ich hatte Urlaub, um mich von der anstrengenden Arbeit zu erholen. Ansonsten habe ich die Supermärkte und andere Läden mit meinem Kaufrausch unsicher gemacht. Ähm, ja, genau, in der Disco bin ich ebenfalls gewesen. Das ist, meiner Meinung nach, alles."

Der Anzugträger schaut mich misstrauisch an und fragt: „Kann Ihnen irgendjemand das Alibi bestätigen? Andernfalls fällt es mir leicht, Ihrer Aussage Glauben zu schenken." Vielleicht ein bisschen zu leicht. Dieser Satz hängt unausgesprochen im Raum und drückt sich schwer auf meine Schultern. Jody. Du bist stark! Du schaffst das, rufe ich mir in Erinnerung.

„Nein. Es kann leider niemand bezeugen. Höchstens meine Nachbarin Irene. Den Nachnamen weiß ich unglücklicherweise nicht. Aber ich kann Ihnen ihre Adresse sagen, da sie nur einen Stock über mir wohnt." Schön einschleimen und hoffen, dass man auf der Schleimspur nicht ausrutscht. Das könnte sonst weh tun. Sehr weh.

„Wir werden ihr demnächst einen Besuch abstatten. Können Sie nun bitte den Ablauf des Abends genauer beschreiben?" Danke. Höflichkeit wird überbewertet in diesem Fall. Sei ein Dummerchen Jody und antworte, wie ein naives Kind: „Am Eingang habe ich die Menge gemustert und bin schnurstracks auf die Bar zugegangen, wo ich mir einen Malibu-Kirsch bestellt habe. Die Zutaten des Getränks interessieren Sie bestimmt nicht, deshalb lasse ich diesen Aspekt mal aus. Daraufhin habe ich ein wenig mit dem Barkeeper geflirtet und ... hihi ... es war echt lustig. Er konnte solche komischen Grimassen machen ..." Ich lache mir wegen der Unlustigkeit einen ab, wobei mir schon Tränen aus den Augen laufen. Jody, du bist ein Naturtalent in der Schauspielerei! Zwischen meinen durch geschütteltem Haar blicke ich empor und erkenne, dass ich es wohl ein bisschen zu weit getrieben haben muss. Egal. Hauptsache sie kaufen mir die Rolle der minderbemittelten Frau ab.

„So genau wollen wir es nicht wissen. Es ist absolut nicht notwendig diese Thematik weiter auszuführen. Uns würde eher Ihre besondere Beziehung zu Patrick Banles interessieren." Das ist mir klar, aber mich interessiert es keinen Deut. Lasst mich in Ruhe, dann lasse ich euch in Ruhe. So lautet mein Gesetz. Wer mir etwas angetan oder angedichtet hat, trägt selber die Schuld und muss mit den Folgen rechnen.

„Entschuldigen Sie! Ich bin eben nur so vertieft in die huskyblauen Augen des Barkeepers gewesen. Herzzerreißend schön, wie Kristalle, kann ich nur sagen. Er wäre mir irgendwie lieber gewesen, als dieser Patrick im Bett. Er konnte wirklich nicht mit mir umgehen, was mich mein Vergnügen gekostet hat. Der Angestellte hätte es mir, dem Anschein nach, allerdings viel besser machen können. Vor allem bei diesem wunderschönen Lächeln ...", schweife ich meine Halbwahrheit mit entgleisender Mimik aus. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht, das gen Himmel zeigt, und ausladender Gestik, mache ich dem Leiter des Verhörs meine Lüge schmackhaft. Hoffentlich kauft er es mir ab, ansonsten muss ich ihm Feuer unterm Arsch zünden. Und dass meine ich wortwörtlich. Er soll mich einfach für die Irre von nebenan halten, die sich durch fremde Betten wälzt und eine 99%ige Chance besitzt, an HIV zu erkranken.

„Ist in Ordnung. Wenn Sie mich, des Anstands wegen her, bitte von Ihren nächtlichen Aktivitäten verschonen, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Sie müssen nicht jede, noch so kleinste, Körperreaktion des Toten erzählen. Nur eine kurze Zusammenfassung des Ablaufs in der Nacht ist von Nöten. Nicht mehr, nicht weniger." Wird der Anzugträger, der sich zuhause vermutlich einen Pornofilm nach dem anderen reinzieht, etwa prüde? Kann nicht sein! Ich bin enttäuscht von ihm. Oder ich bin nicht ich selbst. Jody würde nicht so reagieren. Sie würde sich distanziert zu der ganzen Sache verhalten und kein Kommentar zu viel abgeben.

„Als wir bei mir zuhause angekommen sind, hat er sich in mein Schlafzimmer begeben und sich schick gemacht. Nackt, wie ihn Gott geschaffen hat, legte er sich als Präsent auf meine Bettdecke. Sein schmächtiger Körperbau hat ihm ein mitleiderregendes Aussehen verschafft und, weil ich so mitfühlend bin, habe ich ihm eine gemeinsame Dusche angeboten. Wir haben uns gegenseitig eingeseift und wie die ganze Sache weitergeführt worden ist, können Sie sich vermutlich selbst denken. Sicherlich wollen Sie nicht die einzelnen, nicht gerade sehr erregenden, Schritte wissen, da Sie darum gebeten haben. Danach habe ich ihn aus meiner Wohnung geworfen, da er mir gestanden hat, dass er ein Kind von mir will. Wahnsinn, oder? Nur wegen meines perfekten Äußeren habe ich kein Schild in der Hand, wo „freiwillige Gebärende zum Tiefpreis“ draufsteht. Oder, was meinen Sie?“, gebe ich ihnen Stoff zum Nachdenken. Innerlich lache ich mich über die Dreistigkeit und Klugheit meiner Worte schlapp.

„Ja, genau. Ich bin genaue Ihrer Meinung. Jedenfalls, ich bin mir ziemlich sicher, waren Sie die Letzte, die Herrn Banles lebendig gesehen hat. Wissen Sie, wem er angerufen hat oder haben könnte, um ihn abzuholen?“ Ich ziehe nachdenklich eine Augenbraue nach oben, damit ich den Anschein mache, nach zu denken.

„Habe ich Ihnen noch nicht gesagt, dass ich nichts davon weiß? Meine Erinnerungen trügen nicht! Haben Sie ein Lückengedächtnis oder leiden Sie bereits an Altersdemenz?“, fahre ich ihn frech an.

Der ältere Mann mir gegenüber nimmt eine tiefrote Farbe an und ich kann den Dampf aus seinen Ohren steigen sehen. Eine wütende Grimasse ziert sein Gesicht und ich höre das Knirschen seiner Zähne. Seine Hände verkrampfen sich, wodurch die Fingerknöchel weiß hervortreten. Seine Nase drückt sich zusammen, womit sein Erscheinen immer seltsamer wird. Besitzt er denn überhaupt keine Selbstbeherrschung? Er sollte zu einem Anti – Aggressionstraining gehen. Das würde seiner Ausstrahlung ein positives Flair verleihen.

„Ich verbiete mir diesen Ton! Wenn wir, wie zwei normale Personen, eine ruhige Konversation führen könnten, wäre ich ihnen zum Dank verpflichtet“, macht er mir einen verbesserungswürdigen Vorschlag. Mit Absicht wechsele ich das Thema, um einen weiteren Ausraster vor zu beugen.

„Wie geht es Ihrer Katze? Bekommt Sie genug Futter?“, erkundige ich mich natürlich ohne Hintergrundgedanken, um ihn aus der Bahn zu werfen. Wie ich es vorausgesehen habe, bekommt er den zweiten Wutausbruch heute und ich werde sicherlich einen anderen Menschen zugeteilt, der mich verhören wird. Ich freue mich schon auf den anderen, den ich ärgern darf. Wie ich es gehofft habe, stürmt der hochgestellte Mensch aus dem Raum und die zwei Polizisten verschwinden mit ihm. Somit bin ich, wie am Anfang, alleine im Zimmer und langweile mich zu Tode.

Sie provozieren mich gerade zu, ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Womit ich eine neue Seite an mir entdeckt habe, die sich mit dem Spielen mit Menschen auseinandersetzt. Ich sollte öfters mit meinen Opfern spielen, schleicht es sich in meinen Gedankengang. Nur, dass die Gesetzeshüter allerdings nicht zu den potentiellen Toten gehören, da es zu auffällig wäre. Keinesfalls möchte ich das Risiko einer Gefängnisstrafe eingehen. Vor allem, wenn die Todesstrafe noch brisant und aktuell ist. Bei meiner Einlieferung ist es jedenfalls der Fall gewesen, dass sie – im Gegensatz zum Jetzt- nicht mehr galt. Wenn die noch besteht, darf ich mir keinen Fehler erlauben.

Obwohl, was ist so schlimm am Tod? Er existiert wie das Leben. Er ist jederzeit präsent und geschieht, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Eigentlich ist der Tod eine gute Sache, da ich mit ihm meine Opfer von ihrem elendigen Dasein befreien kann. Sie wollen sterben und ich helfe ihnen dabei. Ich bin gut. Ich vertreibe das Böse aus der Welt. Ich bin die Retterin der verdorbenen Seelen und reinige sie von allen Sünden. Ich übe das in der Realität aus, was mein Name bedeutet. Schließlich bin ich eine Gottgesandte.

Ich höre das Geräusch, das die Tür beim Öffnen macht und es ertönt wieder, als sie geschlossen wird. Bei diesen Tönen drehe ich mich erwartungsvoll um, damit sie nicht das Gesicht einer Mörderin in mir sehen. Der Spaß steht schließlich immer noch an vorderster Stelle meines Racheakts. Zwar bezieht er sich nicht mehr explizit auf die Menschen, die mein jetziges Leben zu verantworten haben, aber es ist dennoch die Rache an der Menschheit. Eigentlich sind alle schuld an meiner Demoralisation. Nicht nur Zoey, Linda, Joseppe, denn Patricks Name steht nun auch auf meiner Todesliste. Trotzdem muss ich auch meine Klinikkameraden einen Besuch abstatten und ihnen noch einen weiteren Denkzettel hinterlassen.

Wer weiß, eventuell kann ich auch die Familienmitglieder einiger Polizisten ermorden. Aber das wäre zu geschmacklos für Jody. Sie besitzt eine angeborene Ablehnung gegen einfaches und langweilendes Töten. Es muss immer eine spaßige Angelegenheit ergeben, damit ich jemanden einen so großen Schaden zufüge, dass er nur noch als ein Häufchen Asche unter uns weilt. Ich würde niemanden einfach aus Spaß verbrennen, auch wenn ich es immer wieder gern betone, dass es einen gewissen Reiz besitzt, die Menschen leiden zu sehen. Wer liebt es nicht, ein Menschlein bluten zu lassen. Ein großartiges Gefühl entsteht in meiner Magengegend. Es ist vergleichbar mit Sex. Nur tausendmal besser. Patrick ist vieltausendmal besser gewesen, als Sex mit Luca! Nicht nur, dass er nicht gut bestückt war, sondern auch seine nervige Art und Weise. Er ist eben zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Hätte er sich doch lieber eine, von der Welt ahnungslose, Blondine genommen oder eine neunmalkluge Brünette. Aber keine Schwarzhaarige, die ein kränkliches Erscheinungsbild abgibt. Möglicherweise ist das der Grund gewesen, wieso er mich haben wollte. Ich stelle keine Gefahr dar, womit er mich dominieren hätte können. Da hat er sich aber gewaltig geschnitten. Ich lächele wegen meines Wortspiels und muss nach außen hin, wie eine Verrückte, wirken. Besser verrückt als normal!

Die Erkenntnis meiner eigenen Dummheit schlägt wie ein Blitz in mich ein und ich kann es nicht fassen, wie dämlich ich gewesen bin! Mit meiner gekünstelten Art werde ich eher verdächtigt etwas Schlimmes getan zu haben, als eine in sich gekehrte, ruhige Person, die ich eigentlich bin. Bei diesem Anzugträger sollte ich mein Verhalten bessern, ansonsten droht mir lange Haft.

„Hallo! Sie müssen Jody sein. Ich bin Herr Bern. Man hat mir berichtet, dass Sie ein „unmöglicher Fall“ sind, wenn ich den Worten von meinem Kollegen Glauben schenken darf. Die meisten Fragen haben Sie, ich hoffe doch, wahrheitsgemäß beantwortet, weshalb ich nur einige, offene Fragen bezüglich Ihres Lebenslaufs habe. Ihre Daten, die wir aus Ihrer Akte bezogen haben, sind, um es genauer auszudrücken, ein wenig mangelhaft. Wenn Sie mir erlauben, werde ich jetzt damit anfangen, Sie zu befragen.“ Ich nicke nur und frage mich, was für eine schlechte Arbeit die Klinikangestellten geleistet haben, um mir eine solche Behandlung anzuhängen. Falls die Pfleger einen guten Job geleistet hätten, müsste ich nicht hier sitzen und auf belanglose, gänzlich verkommene, Fragen eine Antwort parat haben.

„Wie kommt es dazu, dass Sie keine Einträge im Bereich Familie haben?“

„Ich bin Waise. Meine Mutter Fiona ist eine heroinabhängige Frau gewesen, die sich mindestens zehn Spritzen am Tag in die Blutbahnen gejagt hat. Unglücklicherweise ist sie dann im Alter von 28 Jahren gestorben, während ich als acht Jährige unter der Brücke wohnhaft geworden bin. Mein Vater Yannick ist der Alkoholsucht erlegen und zu anderen Familienmitgliedern habe ich keinen Kontakt mehr. Besser gesagt, ich weiß nichts von ihnen, leider.“ Wie kreativ man sein kann, wenn man einen Freigeist braucht. Dennoch sind meine Aussagen rational und können als „möglich“ gewertet werden. Die Zeit, vor dem dritten Weltkrieg und meiner Einlieferung, ist grausam, hassenswert, gewaltsam und tödlich gewesen und ich bereue es keinen Deut über das Thema Familie gelogen zu haben. Es ist nicht lohnenswert über Missgeburten zu reden. Diese Missgeburten, meine Eltern, haben schließlich nichts unternommen, um mich zu befreien, da sie der Sensenmann geholt hat. Diese Tatsache bestätigt, dass der Tod gut ist. Er hat mich glücklicherweise von meinen Erzeugern getrennt, weshalb ihm mein bester Dank gebührt. Deswegen unterstütze ich diesen bei seinem Vorhaben. Immer. Und immer wieder.

„Die zweite von drei Fragen lautet: Wie haben Sie den Job, als Angestellte im Supermarkt Polak bekommen, obwohl Sie dazu überhaupt keine Qualifikationen besitzen? Sie haben nie eine Ausbildung gemacht.“ Upps, da ist Erik etwas Wichtiges entgangen. Sein Fehler. Nicht meiner.

„Ja. Das stimmt. Allerdings habe ich mit achtzehn/neunzehn Jahren einen Ferienjob gemacht und das konnte ich als schlagkräftiges Argument benutzen. Nebenbei herrschte in den letzten Jahren starker Arbeitermangel, weswegen mein Chef gleich zugestimmt hat, mich ins Team aufzunehmen.“

Mein Gegenüber nickt mir zu und stellt die letzte Frage: „Was haben Sie im letzten Jahrzehnt gearbeitet? Ich habe kein Arbeiterzeugnis in ihrer Akte gefunden? Das würde mich brennend interessieren.“ Mist, wieso können die Pfleger ihren Job nicht einmal korrekt machen. Dafür werden sie noch schreien!

„Ich bin einige Zeit arbeitslos gewesen. Während des Weltkriegs habe ich mich in einem Bunker versteckt und nur für menschliche Bedürfnisse den Schutz verlassen. Die meiste Zeit habe ich geschlafen, damit ich nicht zu viel Energie durch unnötige Bewegungen verliere und die Langeweile überbrücke. Das hat mich nicht viel Geld gekostet. 

Nach gut neun Jahren habe ich mich im Polak erkundigt, ob sie nicht einen Job für mich hätten, denn ich liebe es mein eigenes Geld selbst zu verdienen. Ein Job hilft eben gegen die tägliche Eintönigkeit, die mich eingeholt hat und die Finanzen werden auch aufgebessert. Zehn Jahre in einem Erdloch haben eben Spuren hinterlassen.“ Oh ja, und wie es Spuren hinterlassen hat! Und ich schwöre, sie werden dafür bezahlen! Mehr als bezahlen, die achte Klinik wird leiden!

„Und Sie sind in dieser Zeit nie auf Patrick Banles gestoßen? Entschuldigen Sie, aber diese Frage schwebt mir bei ihrer Schilderung schon im Kopf. Es passt einfach nicht zusammen, wie Sie sich als Außenstehende darstellen. Der Haken hängt sich nicht ein, verstehen Sie?“

Innerlich möchte ich meine Blitze auf ihn loslassen, aber ich reiße mich notgedrungen zusammen. Ich darf mir in nächster Zeit keine Fehler erlauben, sonst werde ich eingesperrt. Und das kann ich nicht mit mir vereinbaren, mein Körper sträubt sich dagegen, wie ein Huhn, dem der Kopf abgeschlagen werden soll.

„Ich verstehe Sie vollkommen“, gebe ich ihm den Eindruck, dass seine Vermutung in die richtige Richtung geht. So ist die Enttäuschung größer, wenn er bemerkt, dass er keine Beweise gegen mich finden wird. „Leider, so muss ich ehrlich zugeben, hatte ich nur einen One–Night-Stand mit dem Verschwundenen. Mehr als das Sperma werden Sie wohl nicht in der Kategorie Beweise in mir finden.“

Er nickt mir – erschrocken wegen meiner Wortwahl - zu und notiert sich mein Gesagtes in ein kleines Heft, das ich erst jetzt bemerke. Die Stirn runzelnd frage ich mich, ob der andere Anzugträger auch ein Notizheft bei sich getragen hat. Meine Erinnerungen widerlegen es und ich mache mir keine Sorgen mehr um die Glaubwürdigkeit von Ersterem. Das hat sich erledigt. Wie gut, dass Menschen Fehler machen.

„Damit haben wir es eigentlich. Sie können gehen. Klopfen Sie einfach an dem Büro nebenan, wenn Sie abgeholt werden wollen. Die bringen Sie zurück. Falls das nicht der Fall ist, sagen Sie mir Bescheid und ich übernehme es.“ Am besten ich bleibe gleich da, denn Polizisten reißen sich nicht gerade darum, zu arbeiten. Jedenfalls ist das, das Resultat meiner Beobachtungen.

In der letzten Zeit, in dem Zwischenraum, seit meiner Eingliederung in die Gesellschaft und jetzt, haben die Gesetzeshüter ihre Arbeit ziemlich vernachlässigt. Selten, bis gar nicht, ist vor dem Laden eine Streife vorbeigefahren. Keiner hat der jungen Frau geholfen, als sie in der Ecke des Nachtclubs, aus dem ich auch Patrick gefischt habe, vergewaltigt worden ist. Traurigerweise hatte ich keine Zeit, ihr aus dieser Situation zu helfen, da ich Herrn Banles an der Angel gehabt habe. Ansonsten hätte ich eventuell einen Finger für sie gerührt. Tja, zwar ist es ein Nachteil für die Opfer, wenn die Polizisten die ganze Schicht in Kaffeepausen unterteilen, aber für uns, den Mörder, den zwielichtigen Gestalten ist das nur vorteilhaft. Für das Steigen der Verbrecherrate sind sie selbst schuld.

Ich erhebe mich von meinem Sitzplatz und verabschiede mich beim Verlassen des Raums von dem Fallbeauftragten. Wie ich es gewusst habe, erweisen sich die Polizisten im Nebenraum nicht als kooperativ und wollen mich nicht nach Hause fahren, weshalb ich Herrn Bern wieder aufsuche. Nach einem großen Seufzen und innerlichen Verfluchens gegen mein derzeitiges Dasein, zieht er seine einen Bund an Schlüsseln aus seiner Hosentasche und bedeutet mir mit einem Handwischen voraus zu gehen.

Die Autofahrt verläuft ohne große Worte und nach einer kleinen Ewigkeit bin ich endlich wieder zuhause. Endlich kann ich mich hinlegen und meiner Müdigkeit freien Lauf lassen.

Der Sonntag gestaltet sich als anstrengend, da Irene mich mal wieder zum Essen eingeladen hat und wir, ihr Mann ist auch mit von der Partie, stehen vor dem Eingang eines mittelklassigen Restaurants. Heute ist dem Anschein nach viel los, denn vor uns stehen Kleinfamilien und hinter uns drängeln sich auch nicht gerade wenige Leute. Die Wartezeit beträgt, gerundet, locker fünfzehn Minuten, bis uns ein Platz zugewiesen wird. Normalerweise hätte ich nun auf dem Sofa gelegen und mir den Schrott aus dem Fernsehen hineingezogen, bis der Tag zu Ende wäre. Das habe ich jedoch nicht auf ihr „Ach, Kind, du brauchst mal wieder richtiges zum Essen. Du siehst aus, wie ein stehendes Skelett.“, erwidern können.

Jetzt versuche ich mich auf einem unmöglichen Stuhl es mir so bequem, wie möglich, zu machen und richte meine Kleidung, indem ich sie glattstreiche. Schließlich möchte ich mich nur von meiner besten Seite zeigen und nicht gleich auf dem ersten Anblick, als zerknitterte Arbeitslose abgestempelt werden. Was man nicht alles tut für den ersten Eindruck.

Der Kellner fragt nach unserer Bestellung, worauf ich aus Höflichkeit zuerst das Ehepaar antworten lasse. Ich habe keine Ahnung, was ich möchte, da die Älteren die ganze Zeit die Essenskarten in Beschlag genommen haben, weshalb ich das Gleiche wie Ralf ordere. Als Getränk wähle ich ein stilles Wasser. Die Marke Sprudel haben sie hier nicht, nur Kondenauer und Zuchner. Ich entscheide mich für das Kondenauer und er geht in Richtung Küche, um die Bestellungen an den Koch weiter zu geben.

Nach einer halben Stunde, die ich zuhause viel vernünftiger nutzen hätte können, erreicht uns das Essen. Mich erwartet ein heißer Zucchini–Auflauf feinster Abscheulichkeit. Er sieht aus wie Erbrochenes, mit Eiern, Käse und verschiedensten Gewürzen, die einem zum Würgen bringen. Wie kann man nur so etwas essen? Ralf kann es. Ich nicht.

Mit Müh und Not verzehre ich das Gericht und entschuldige mich, nachdem ich die Mahlzeit halbwegs aufgespießt habe, auf die Toilette. Dort schließe ich mich in eine Kabine ein und übergebe mich gefühlte tausend Male. Dieser Laden gehört für das Verderben meines Magens verklagt! Eigentlich ist es größtenteils meine Schuld, dass das Essen in meinen Magen gekommen ist, aber trotzdem bin ich wütend auf das Restaurant. Möglicherweise sollte ich es dem Koch auf vierfache Weise heimzahlen? Ich schneide ihm den Bauch auf und er kann seine Gedärme verspeisen. Gute Idee! Ich möchte sein Gesicht sehen, wenn er seinen Dünndarm hinunterwürgt. Hehe, das ist gut. Mehr als gut, es ist zauberhaft, wunderschön. Was auch immer! Es ist besser! Besser als das Essen hier!

Bevor ich meine verführerischen Gedanken umsetze, mache ich mich, nach meiner Wiederherstellung zur vorzeigbaren Dame, zurück auf den Weg zu Irene und Ralf. Nicht, dass sie sich Sorgen um mein langes Wegbleiben machen. Keiner darf Verdacht über meine gesundheitlichen Probleme schöpfen, ansonsten lande ich wieder in einer Klinik und muss das dämliche Gerede der Psychologen über mich ergehen lassen. Die Manipulation und die Tabletten der achten Klinken reichen mir bereits. Ich brauche keine weitere Behandlung. Darauf kann ich getrost verzichten.

„Jody, Schatz, was hat so lange gedauert? Wir haben schon gedacht, du wärst von der Toilette verschluckt worden. Eine grausige Vorstellung!“, begrüßt mich Irene freundlich, als ich mich zu ihnen an den Tisch geselle. Nach eindringlicher Musterung fügt sie hinzu: „Wie siehst du eigentlich aus?“

„Wie immer“, gebe ich ihnen eine Antwort, die sie nicht wollen. Bevor ich ihnen gestehe, dass ich mich nach einer Mahlzeit immer übergeben muss, lasse ich mich in die Klapsmühle einweisen. Niemals werde ich jemanden von meiner Übelkeit erzählen. Pf, dass wird sowieso niemand erfahren. Es kümmert sich niemand um mich, da wird es keinen interessieren, welche Probleme mich plagen oder nicht. Die Menschheit ist genauso ignorant, wie sie auch damals war.

„So siehst du aus!“, kritisiert sie mich. „Wenn du irgendwelche Probleme haben solltest, zögere nicht, uns Bescheid zu geben und wir werden für dich sorgen“, sagt sie in einen ruhigeren Ton zu mir.

„Okay, mache ich. Ihr müsst auf mich keine Acht geben, ich bin schon ein großes Mädchen“, zwinkere ich ihnen mit einem schelmischen Lächeln zu. Als würde ich ihnen jemals irgendetwas erzählen. Wenn ich das tun würde, würde morgen die ganze Stadt darüber reden.

„Hauptsache, du machst nichts Schwachsinniges“, beginnt auch Ralf sich in die Konversation zu integrieren. Das habe ich bereits getan. Und keiner kann mich aufhalten.

„Das würde ich doch nie tun“, lüge ich sie prompt an.

„Das erwarten wir auch von so einer gebildeten Frau, wie dir. Wenn unsere Kinder einen Teil von dir abschneiden könnten, wären sie erfolgreicher in ihren Leben, als sie es jemals sein könnten.“ Die wissen schon, dass ich keine Ausbildung habe und als Angestellte in einen Supermarkt arbeite? Ich hoffe es.

Plötzlich blendet mich der Blitz einer Kamera und ich wende dem Übeltäter mein Gesicht zu. Ein älterer Mann knipst eifrig mein Abbild und ich verziehe meine Züge vor Misstrauen. Was will der denn von mir? Ich sehe mich im Zimmer und erblicke hinter mir einen leeren Tisch. Er fotografiert auf jeden Fall mich. Hierauf verwette ich mein Hinterteil.

Ich verdecke mein Antlitz mit den Händen, dass es das alte Ehepaar nicht mitbekommt, während sie in einen internen Streit verzwickt sind. Ralf hat mal wieder ihr Aussehen – unabsichtlich - beleidigt. Was für unwichtige Probleme manche Personen haben. So unbeschwert möchte ich ebenfalls mein Dasein verbringen können. Man muss sich über nichts Gedanken machen, außer dem nächsten Tag. Obwohl, genau das tue ich Tag für Tag und es erfüllt mich keineswegs.

Nach einer endlosen Stunde, die nach dem merkwürdigen Vorfall vergangen ist, fahre ich mit Ralf und Irene zurück zu unseren Wohnungen. Wir gehen nach einer kurzen Verabschiedung getrennt Wege und ich bin mehr als froh, sie endlich los zu haben. Meine Nerven sind für heute genug strapaziert. Sie befinden sich kurz vorm Reißen.

Ich mache es mir auf der Couch gemütlich und sehe mir die Nachrichten an, um den Tag noch schön zu Ende zu bringen.

Schläfrig liege ich vor dem Bildschirm und lasse, je mehr Zeit verstreicht, meine Gedanken abstumpfen, bis nur noch Leere in mir herrscht.

Es ist bereits einundzwanzig Uhr abends, als ich wackelig auf meinen beiden Füßen zu stehen komme und mir vornehme den Fernseher auszuschalten. Wie ein Zombie bewege ich mich zum Zielobjekt und mache mich bereit den Ausschaltknopf zu betätigen. Mein Verstand erwacht kurz davor und ich horche wegen einer Meldung auf.

„Entschuldigen sie, meine Damen und Herren, für die Unterbrechung. Die allseits bekannte Bank JOPUS ist ausgeraubt worden. Unter Verdacht stehen der innere Vorstand, zwei Banker sowie die Gesellschafter Clara Vernon, ihr Ehemann Peter Vernon und Peter Drechsler. Da davon auszugehen ist, dass die drei letztgenannten Decknamen benutzen, werden vorne auf der rechten Seite Fahndungsfotos gezeigt. Bitte rufen Sie die unten eingeblendete Nummer an, wenn sie zu wissen glauben, um wen es sich handeln könnte. Wir vertrauen auf Sie.“

Grinsend blicke ich meinem Ebenbild mit Verkleidung entgegen. Sie werden niemals erraten, wer sich wirklich unter den Second – Hand Klamotten und der Perücke verbirgt. Dafür sind wir zu gut verkleidet gewesen. Vermutlich wird der Vorstand deswegen abgesetzt werden, da sie einen Sündenbock brauchen.

Mit einem Knopfdruck erstirbt das Bild vor mir und ich schreite mit langsamen Schritten in die kleine Küche. Ich sollte mir wirklich keinen Kopf wegen des Überfalls machen, dass lässt mich nur alt aussehen. Falls sie jemals etwas von meiner Beteiligung erfahren, werde ich ihnen eben ein Ende bereiten. Mir ist es momentan gleichgültig, denn ich bin gerade sterbensmüde. Doch mit einem Loch im Bauch möchte ich mich nicht schlafen legen, somit richte ich mir einen kleinen Salat her. Ich hoffe, dass er unten bleibt, sonst muss ich mich zum zweiten Mal am Tag übergeben.

Ich esse wie gewohnt, wie ein Rentner, der nicht mehr richtig kauen kann und versuche es unten zu behalten. Mein Körper sträubt sich mit ganzer Kraft, aber am Schluss ist der Sieg mein. Ich bin Herrscher über meinen Leib, wobei ich mich nicht unterkriegen lasse, egal wie schmerzhaft es für mich auch ist.

Mein Magen schmerzt höllisch, trotzdem überwinde ich die aufsteigende Übelkeit erfolgreich und kuschele mich in die Bettdecke. Manchmal, in Momenten wie diesen, sehne ich mich nach jemanden, der mich von hinten umarmt. Leider ist das nur Wunschdenken, da mich niemand so akzeptieren kann. Aus diesem Grund würde ich den Mann, der mich nicht respektiert, umbringen und ich stehe, wie am Anfang, alleine dar. Es geht aufs Gleiche hinaus und ich verstehe den Sinn hinter meiner Sehnsucht nicht. Liebe macht dich krank, noch kränker, als man schon ist. Man wird nur enttäuscht, da das Leben es nicht gut mit dir meint. Es möchte dich am Boden sehen, aber ich gehe nicht kampflos unter. Wenn dann reiße ich das Leben mit mir! Ich werde nicht alleine sein, wenn ich das tue!

Mit diesem letzten Gedanken falle ich in einen traumlosen Schlaf.

Der nächste Morgen kommt schneller, als gedacht, und ich wache mit verquollenen Augen auf. Ächzend schalte ich den Wecker aus und drehe mich auf die andere Seite. Das Bett ist viel zu kuschelig, um es so schnell zu verlassen. Trotz aller Gründe, die Arbeit zu schwänzen, erhebe ich mich von der Matratze und richte mich her, schließlich zählt das Äußere mehr als das Innere. Menschen sehen dich und entscheiden in den ersten zehn Sekunden, ob du für sie als sympathisch oder unsympathisch giltst. Wenn du gut aussiehst, aber einen schlechten Charakter hast, macht es den Kunden nichts aus, doch wenn du schlecht aussiehst, aber einen guten Charakter besitzt, wirst du als ätzend oder anderweitig bezeichnet. Lieber werde ich in Ruhe gelassen, als solche Schimpfwörter über mich ergehen zu lassen.

Vorort statte ich dem neuen Arbeitsplan einen Besuch ab und lese aus den Stück Papier heraus, dass ich morgen zur Spätschicht antreten muss, so wie die ganze restliche Woche. Warum bin ich dann heute für die Frühschicht eingeteilt? Erik muss mal wieder von seinem Job abgelenkt worden sein, wahrscheinlich von der lieben Diana.

Ich ziehe mich um und schiebe danach mit dem Roller einen Stapel der Kisten heraus. Auf dieser Palette sind verschiedenste Kaffeesorten, Gummibärchen und einige Schachteln Strumpfhosen. Wer hat denn diese unmögliche Sortierung ausgewählt? Man muss sich wundern, wer so dumm ist und die Gummibärchen auf diese Palette getan hat, obwohl sie in den anderen Ecken des Ladens sind. Dadurch muss ich selbst mehr lenken und damit mehr Gänge blockieren. Es schadet ja nur den Kunden und Polak selbst, aber nicht mir. Schließlich kann ich nichts dafür, dass ich meiner Arbeit nachkommen muss. Als ich mit dem Einräumen fertig bin, werde ich von Ginger zur Kasse gerufen. Mittlerweile sind vier Stunden vergangen und ich sollte Mittagspause machen, obwohl ich sowieso kein Verlangen nach Essen verspüre. In den letzten Monaten hat Nahrung nur eine Nebenrolle für mich gespielt und ich lebe immer noch. So viel Schaden kann die Übelkeit und das Verzichten auf Lebensmittel also nicht angerichtet haben.

Weitere drei Stunden vergehen mit dem Kassieren von Kunden und die Anzahl an Bezahlenden nimmt nicht ab. Meistens kaufen sie nur ein, zwei Produkte ein und ich frage mich, warum sie nicht alle Besorgungen auf einmal kaufen, jedoch stattdessen zehn Mal in der Woche den Laden stürmen. Ich kann über dieses Verhalten nur den Kopf schütteln und mit den Schultern zucken, da es mir einfach unnötig erscheint. Versteh einer die Menschen.

In der letzten Arbeitsstunde für heute, räume ich ein wenig im Laden um, damit die Zeit schneller vergeht. Als ich um eines der Regale biege, störe ich den intimen Zungenakt zwischen Diana und Erik. Darauf kann ich verzichten und drehe mich schnell um. Mir fällt erst jetzt auf, dass einige Kunden aus den Augenwinkeln auf das Liebespaar schielen und ich hoffe nur, dass ihnen die Augäpfel herausfallen. Ich muss mir hier den Rücken nass schwitzen und meine Knie zittern, wie Espenlaub, da es ziemlich anstrengend ist, acht Stunden im Laden hin und her zu laufen.

Keiner achtet auf mich, wobei ein kleines Kind die Frechheit besitzt und mich umwälzt. Mit seinem Kopf voran, einem Schafbock ohne Hörner gleich, stürmt es geradezu in meinen Bauch und ich falle wie ein Sack Kartoffeln zu Boden. Für wenige Sekunden rühre ich mich kein Stückchen und die Leute gehen einfach nur an mir vorbei. Ignorante Kreaturen!

Mit einem schmerzhaften Stöhnen bemerke ich in aufrechter Haltung, dass das Kind wohl sehr viel Beschleunigungskraft intus gehabt hat. Morgen werde ich sicherlich einen dicken, fetten, blauen Fleck auf meiner Bauchdecke haben. Wieso hasst mich das Leben so? Ich mache doch nur meinen Job und gehe meinem Hobby, dem Töten, nach. Jeder Mensch braucht eben eine Nebenbeschäftigung.

Die restliche Stunde fühlt sich viel zu lang an, aber eine Beschwerde würde mir den Job kosten. Kurz vor Schichtende kommen zwei, in Schwarz gekleidete Personen in den Raum, und ich bezweifle, dass sie sich für die Packung Toffifee interessieren. Merkwürdig, wie sie mich beobachten, wenn sie denken, dass ich nicht in ihre Richtung schaue. Kann es sein, dass ich überwacht werde? Möglich. Sogar sehr möglich.

Pünktlich um vier Uhr nachmittags verlasse ich den Laden und mache meinen VW-Käfer auf dem üblichen Parkplatz aus. Nichts passiert. Puh! Ich sehe mich um, wobei ich den Mann und die Frau entdecke und ich könnte schwören, sie verfolgen mich.

Im normalen Schritttempo trete ich zu meinen Wagen, damit sie nicht bemerken, wie aufgewühlt ich bin. Sollte ich nicht die sein, die die Situation unter Kontrolle hat? Normalerweise ja, real nein. Ich muss meine Selbstbeherrschung wiedererlangen, sonst bin ich geliefert.

Die Verfolger biegen in die andere Richtung ab und ich glaube schon unter Verfolgungswahn zu leiden. Vielleicht haben die Polizisten eine Überwachung meinerseits angeordnet und sie verschärft? Es könnte sein, da sie keine Beweise im Fall Banles haben und darauf warten, dass jemand der Verdächtigen einen Fehler macht und sich enttarnt. Die Gesetzeshüter können lange warten, bis ich meine Kontrolle verliere und jemanden töte. Ich werde mich so lange beherrschen, bis ich mir sicher bin, dass ich als unschuldig gelte. Tu das Jody! Tu es für das Jetzt!

Lass Vorsicht walten (überarbeitet)

 

Dienstag und Donnerstag waren die schlimmsten Tage meines Lebens. Die achte Klinik hat uns, die Insassen, ununterbrochen mit Videokameras überwacht, in den Fluren und öffentlichen Plätzen, wie den großflächigen Park oder den Media - Raum. Heute Freitag gedenke ich verrückt zu werden, denn diese Anhängsel sind schlimmer zu mir als die Paparazzi zu den Stars. Zumindest kommt es mir so vor, da sie mir überall hin folgen und mit Argusaugen beobachten. Dagegen schießen die Fotografen nur ein peinliches Porträt von der A - Liga, wo man deren Höschen sieht. Meine Güte, wem interessiert der nackte Po einer Transsexuellen. Mich jedenfalls genauso wenig, wie eine Nuss einem Ameisenbären.

In der Arbeit, als ich gerade ein Regal ausräume und mit neuen Produkten erneut einräume, die es ins derzeitige Angebot geschafft haben. Kings Leon, Halula Kanamuna und Ulina sollen einen ordentlichen Umsatz erzielen. Ich verstehe bei weitem nicht den Andrang, den diese Süßigkeiten veranlassen. Nämlich keinen. Niemand kümmert sich um diese Marken, denn sie sind so unbekannt, wie … ich. Genau.

Viele kleine Kinder stürmen in den Laden und machen die Flure unsicher. Vor Entsetzen, den diese kleinen Menschen bei mir verursachen, weiten sich meine Augen. Mit starrem Blick entgegne ich ihnen, während sie ihre Runden mit einem großen Sicherheitsabstand um mich herumdrehen.

Das ist wohl der erste Tag, an dem mir jemand Respekt erweist. Ein wunderbares Gefühl der Erhabenheit durchströmt meinen Körper und lässt Endorphine ausstreuen. Wann habe ich mich das letzte Mal so glücklich gefühlt? Ah ja, bei Patricks Verschwinden, das unweigerlich auch zu seinem Tod geführt hat. Leider kann ich mein zeitintensives Hobby nicht länger ausüben, da mich vermutlich Detektive, oder Polizisten, beschatten. Für Kunden mögen sie wie ganz normale Gleichgesinnte aussehen, aber ich erkenne, dass sich kein Käufer vier Stunden im Polak befindet und Nudeln aus Bauernhand mustert. Naja, er könnte mittlerweile auch beim Tomatenmark sein.

Trotzdem verstehe ich nicht, warum sie sich nicht verstecken, schließlich müssen sie ja Beweise gegen mich sammeln. Diese bekommen sie nicht, indem sie mir auf Schritt und Tritt folgen und mir nachspionieren. Ich möchte ihnen am liebsten zurufen, dass ich mich niemals freiwillig ergeben werde. Ha, darauf können sie lange warten!

Nach meiner Schicht im Supermarkt statte ich dem MEGA noch einen Besuch ab. Die Färbung löst sich vereinzelt von meinen Haaren und der Freund von Ginger ist hocherfreut mir zu helfen. „Dieses Mal will ich dir die Strähnen in einem helleren Blau färben. Sie werden richtig strahlen." Meiner Anweisung wird meine Haarfarbe völlig gerecht, weshalb ich ihm sogar danke. Er kann sich glücklich schätzen. Freundliche Worte bekommt man von mir selten.

Vor dem Friseursalon steht der Detektiv vom Supermarkt und es reizt mich direkt in den Fingerspitzen, ihn brennen zu lassen. Das werde ich. Irgendwann. Vielleicht.

Ich bewege mich an ihm vorbei und stoße ihn absichtlich in Richtung Glasfenster. Da wird er sicherlich eine neue Frisur bekommen. Seine alte ist schrecklich. Ziemlich unmodern und erinnert an einen schlecht geschnittenen Bubikopf. Der könnte ein Mitglied der Beatles sein. Fazit, er passt nicht in diesen Job.

Ich sollte mir wohl einen anderen Friseursalon suchen, schließlich bin ich raus, wenn er von dem "Unfall" meines Verfolgers mitbekommt. Und das wäre traurig. Für ihn. Denn er wird kein Geld von mir kassieren.

Zuhause werde ich von Tieren aller Arten überrascht. Zwei Katzen, ein Hund, ein Gockel und ein Schaf sitzen vor dem Wohnhaus. Angekettet an eine, in die Wand genagelte, Metallstange verbringen sie ihre Zeit mit Grasen oder Klagen. Je nachdem, wie verzweifelt sie sind. Die Katzen und der Hund drücken ihre schlechte Stimmung durch lautes Jaulen aus, während die männliche Henne krächzt, als wäre es sein letzter Ton, den er von sich gibt. Das Schaf bekommt von dem ganzen Trubel nichts mit und konzentriert sich vollkommen auf das Grüne unter ihm. Wo kommt den das Stück Rasen her? Das habe ich ja noch nie hier gesehen! Soll ich das Ganze da ignorieren oder nachfragen. Ich bin in einem höheren Stockwerk, also wird kein Getier in meine Wohnung gelangen. Höchstens durch Menschenhand, aber das ist ziemlich unrealistisch.

Ich steige die unzähligen Stufen nach oben, bis zu der Tür, die mit allerlei Deko - Sachen verziert ist. Erst jetzt wird mir klar, wie schrecklich der Geschmack von Irene, beziehungsweise Ralf, ist. Überall sind pinke Schleifen und braune Glitzersteine, vermischt mit einer grünen Spur aus Konfetti, an die Wand geklebt. Der künstliche Geruch eines Parfüms steigt mir in die Nase und bereitet mir bereits nach der Wartezeit von ca. zwei Minuten schreckliche Kopfschmerzen und Magenschmerzen. Wie kann mich so einer Gefahr nur aussetzten, Jody? Ich bin kühn. Oder dumm.

Die Tür wird von innen aufgeschlossen und mir steht eine lächelnde Irene gegenüber. Bevor ich mit meiner Frage bezüglich des Bauernhofs vor unserer Haustür anfange, erzählt sie mir, dass sie gerade einen Apfelkuchen backt und fragt mich dann, ob ich ihr nicht Gesellschaft leisten wolle. Es bleibt mir keine Wahl, da sie mich schon an meinem Handgelenk in ihre Wohnung zieht.

Drinnen werde ich auf einen Küchenstuhl verfrachtet und zum Zuhören gezwungen. Naja, sie stellt mir hin und wieder rhetorische Fragen, die es aber nicht zu beantworten gilt. Sie plappert unaufhörlich einen Schwachsinn zusammen, dem ich nicht folgen kann. Nach spätestens einer viertel Stunde lege ich meinen Schalter – er befindet sich im Gehirn – auf Halbschlaf um. Es ist ein Dämmerzustand, in dem ich wach und aufmerksam aussehe, obwohl ich währenddessen an nichts denke. Ich hatte schon immer die Begabung mich auszuklinken, wenn die Lehrer im Internat genervt haben. Wer hält schon das Gerede einer egozentrischen und gemeinen Person lange aus? Es dreht sich immer nur darum, wie erbärmlich man selber ist, aber derjenige oder diejenige tut nichts dagegen. Stattdessen werden die Menschen in ihrem Umfeld in die Problematik miteinbezogen und müssen den Unsinn aushalten.

„Für einen perfekten Apfelkuchen braucht man sechs Eier aus Freilandhaltung, die sind ja in der heutigen Zeit sehr rentabel geworden, falls du das noch nicht gewusst hast, fünfhundert Gramm Mehl, zweihundertfünfzig Gramm Zucker, ein Pfund Butter, einhundert Milliliter Olivenöl, ein Päckchen Backpulver, fünf Fläschchen Zitronenaroma, zwei Löffel Kakaopulver für eine dunklere Färbung und natürlich die wichtigste Zutat, ein durchschnittliches Päckchen gehackte Äpfel. Man kann sie auch in Scheiben drunter mischen, aber Gehacktes lässt sich eben besser heben.“ Das kann ja heiter werden. Ich bin nicht die Begabteste in der Küche, vor allem da ich ein gutes Jahrzehnt fertige Gerichte vor die Nase gesetzt bekommen habe, doch ich erkenne ungenießbare Mahlzeiten schon vor weitem. Soll ich flüchten und damit meine Deckung vor Verdächtigung aufgeben oder standhaft sein und es überstehen. Klar, die zweite Variante ist besser, schließlich können meine Nachbarn ein gutes Wort einlegen, wenn ich wegen Mordes bezichtigt werde. Ich muss zukünftig vorsichtiger sein, ansonsten kann ich mir gleich die Kugel geben.

„Sehr interessant. Ich freue mich schon auf diese kulinarische Leistung von dir“, schiebe ich als Kommentar zwischendrin ein. Sie grinst mich erfreut an und öffnet erneut ihr Mundwerk, damit die Zeit vergeht. So erscheint es mir jedenfalls gerade. Ich sehe sie bereits blau anlaufen, als sie kurz vorm kollabieren ist, weil sie nicht genug von ihrer Seele reden kann, ohne einen Atemzug zu nehmen. Eigentlich eine sehr gute Unterhaltungsmöglichkeit gegen Langeweile, wenn sie eben nur nicht öde wäre.

Sie gibt den Teig in eine Form, die sie vorher ausgefettet und mit Mehl eingestäubt hat, und streicht ihn glatt, bevor sie ihn in den Ofen schiebt. Die Uhr zeigt mir bereits zehn Uhr abends an, wobei ich nicht fassen kann, dass bereits eine gute Stunde vergangen ist. Wirklich unglaublich.

Irene deutet meine verständnislose Grimasse als Fröhlichkeit und mir wird sofort mulmig zu mute. Das kann nur schiefgehen.

Mein Verdacht wird bestätigt und ich sehe mich in einer Schürze und einem Haarnetz wieder.

„Was soll ich damit? Es ist zweiundzwanzig Uhr und ich müsste schon längst schlafen, weil ich morgen wieder zur Arbeit muss. Außerdem steht vor unserem Wohnhaus ein halber Bauernhof.“

Sie begegnet mir zuerst mit einem ratlosen Blick und seufzt dann resigniert auf. „Ralf hat mich betrogen. Als Entschuldigung hat er mir Tiere gekauft. Ich meine Tiere! Wer kauft denn bitteschön als Wiedergutmachung Tiere. Vor allem einen Gockel oder ein Schaf! Ich hätte ihn schon längst rausschmeißen sollen.“

Ich sehe sie gespielt geschockt an und frage mich, was mit Ralf geschehen ist. Die Vorzeichen für eine Trennung habe ich schon lange erkannt. Es gibt keine abendlichen Gespräche mehr und die öffentlichen Essen dienen nur dazu, den anderen ein gutes Ehebild mit Freunden vorzugaukeln.

„Danke für dein Mitgefühl. Von meinen Freundinnen bekomme ich höchsten ein höhnisches Lachen und böse Worte. Im Notfall erkennt man seine Feinde und schätzt diejenigen, die einem unterstützen. Leider haben mich diesmal alle verlassen, bis auf dich, mein Liebling. Ich bin froh, dass es dich gibt.“

Rührend. Es fühlt sich unbeschreiblich gut an, gebraucht zu werden. Ich werde Irene nicht töten. Sie verdient es zu leben. Ferner ist mir ein Alibi wichtig, damit ich nicht wegen irgendeines Verbrechens beschuldigt werde. Auch wenn ich gerade im Fokus der Polizei stehe, werde ich nicht klein beigeben. Niemals.

So backe und koche ich mit der Exfrau von Ralf zwei weitere Kuchen und probiere Gerichte aus, die ich noch nie gelesen habe. Einige schauen nicht gerade genießbar aus, doch ich tue es ihr zuliebe, sie geschmacklich zu testen. Ich will ihr nicht mehr zuleide führen, als sie überhaupt emotional aushält. Sie ist jetzt schon gebrochen, ich will sie nicht noch mehr lädieren. Auch wenn ich manche Leute von ihrem Dasein erlöse, die es nicht verdient haben, zu leben, kann ich dennoch Gefühle zeigen. Menschen haben ein falsches Bild von Mördern, denn sie sind auch nur normale Leute, die ein spezielles Hobby ausüben.

„Ich verstehe nicht, wie er mich betrügen konnte. Ich habe ihm doch gar nichts getan. Ich habe mich wie immer verhalten, wir hatten guten Sex und uns immer verstanden, wenn man die alltäglichen, kleinen Meinungsverschiedenheiten ausschließt. Die zähle ich auch gar nicht mit, weil das jedem guten Ehepaar einmal, früher oder später, passiert. Trotzdem, als ich die junge Blondine in seinem Büro gesehen habe, die sich nackt auf seinem Schoß geräkelt hat, bin ich ausgerastet. So viele Jahre Ehe und ihm bedeutet das nichts. Einfach nichts. Ich wollte mit ihm alt werden. Und jetzt kann ich mir eine schöne Zukunft abschminken. Warum tut mir das Schicksal immer nur wieder solche schlimmen Dinge an?!“

„Ist dir etwa schon mehr Schlimmes widerfahren? Oder sagst du das jetzt einfach so?“

„Ich hatte vor ihm bereits einen Ehemann, der mich ebenfalls blamiert hat. Er hatte gleichzeitig mit drei anderen Frauen eine Affäre, obwohl er mit mir verheiratet gewesen ist. Dementsprechend haben wir uns nach einer kurzen Spanne Zusammenseins wieder getrennt. Eineinhalb Jahre sind wir gemeinsam ein Ehepaar gewesen, obwohl ich ihm einige Fehler verziehen habe. Ich hatte wirklich gedacht, dass er aus diesen lernt und mir treu bleibt. Wie sehr ich mich getäuscht habe, ist mir erst ein Jahr später bewusst geworden. Wie naiv ich doch gewesen bin.“

Ich hätte ihn gegrillt. Ich wäre nicht so gnädig gewesen. Wer es sich einmal mit mir verscherzt hat, wird bestraft. Ich gebe keine zweiten Chancen.

Außer ich bin gerade auf Gänseblümchen. Wenn ich diese Drogen wirklich konsumieren würde, hätte sich mein ganzes Wesen verändert. Ich wäre das komplette Gegenteil, was ich zurzeit bin. Und das wäre nicht gut. Am Schluss spreche ich mit Rehen und kümmere mich um Obdachlose. So möchte ich nie sein. Das ist zu gut für mich. Ich bin vollkommen zufrieden mit mir. Falls ich das nicht wäre, würde ich mich der Polizei stellen und der prozentuale Wert für eine Ergebung ist unter null. Also im Minusbereich, der nicht vorkommt. Jedenfalls nicht bei mir. Ich bin im Mathe – Leistungskurs Stufe drei, die Beste im Internat gewesen und ich bin dort quasi unterfordert gewesen. Ich kann deshalb nicht falsch liegen.

„Ich kann mir dir fühlen. Die Männer in meiner Generation sind nur Abschaum, selbst die überragenden Gebildeten, von den Unis, beschäftigen sich in ihrer Freizeit nur mit Unwichtigem oder dem Schutz der Natur und des Regenwaldes.

„Du hast Recht, Schätzchen! Aber wie kann man schon von den heutigen Leuten urteilen? Man sollte hinterfragen, woher sie ihre Wurzeln haben. Die Damaligen sind an allem Übel schuld. Mein Schwiegervater hat seine Frau betrogen, wie sie ihn und sie haben das alles auf die leichte Schulter genommen. Ralf hat es ihnen abgeschaut, wenn auch erst Jahre später und hat es nachgemacht.“

„Wie kannst du dir sicher sein, dass es das erste Mal war? Ich meine, wenn ich zwanzig Jahre Zeit habe, warum hat er es nicht schon eher getan?“

„Das ist ein berechtigter Einwand. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin mir nicht sicher. Ich habe nichts mitbekommen, die ganzen Jahre über. Momentan könnte ich mir die Hand an die Stirn schlagen und meine Dummheit tausendmal verfluchen.“

„Ja, ich könnte ihn auch ins Jenseits schicken.“

„Ich würde es ihm gönnen.“

Somit habe ich die Einverständniserklärung, die ich brauche. Ich freue mich, dich wieder zu sehen, Ralf!

„Du bist eine selbstbewusste Frau, Irene! Du meisterst die nächsten Jahre. Schließlich bist du noch nicht zu alt für einen Neuanfang.“

„Genau, dafür ist man nie zu alt. Was würde ich nur tun, wenn ich dich nicht hätte! Ich brauche nie wieder einen Mann, wenn man jemanden, wie dich hat!“

Es hat mich bereits genug Überwindung gekostet, sie zu ermutigen, aber ein Geständnis, dass sie lesbisch ist? Brauche ich definitiv nicht! Ich bin hundertprozentig hetero!

„Wie meinst du das genau?“

Sie fängt an, lauthals zu lachen. „Ach, du erheiterst mich immer wieder! Anscheinend habe ich mich falsch ausgedrückt. Du bist für mich so etwas, wie eine beste Freundin. Nur, wenn es in Ordnung ist. Ich habe vor, die nächsten zwei oder drei Jahrzehnte alleine zu wohnen oder in ein Altersheim zu gehen. Vorher muss ich noch ein paar Jährchen arbeiten, aber die sind schnell vorbei. Bis dahin werde ich mir wohl einen Plan zurechtlegen müssen, wie ich weiter vorgehen werde.“

„Gut. Gerne doch, ich habe keine Einwände. Wieso sollte ich auch welche haben? Das erweitert meinen Freundeskreis und um solche Menschen bin ich immer froh.“ Ich kann ihr nicht erzählen, dass ich mit Verbrechern zusammenhänge, die ich als Partner betitle. Naja, ich habe es zumindest.

„Ich freue mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Du bist die erste Nachbarin gewesen, die ich für eine Freundschaft in Erwägung gezogen habe. Nebenbei du bist überhaupt unsere erste Nachbarin gewesen. Hier ziehen nur die Menschen ein, die keinen Mindestlohn bekommen oder untertauchen müssen. Dagegen ist es erfrischend, wenn ein Normalo, so wie du, auftauchst.“

Ich nicke und sie fährt mit ihrem Geplapper fort. Als sie mich fragt, wie es um meine Stiftung geht, werfe ich ihr einen irritierenden Blick zu. Erst als sie mir von Hock, Zach und Joy erzählt, komme ich mit.

„Sehr gut. Wir haben viele Sponsoren, die uns helfen, unsere Arbeit überhaupt erst zu finanzieren. Es ist einfach unvergleichlich großartig in die glücklichen Gesichter derjenigen zu blicken, denen man etwas Gutes tut.“

Ich habe keine Ahnung, was ich ihr damals erzählt habe, deshalb kann ich nur hoffen, dass sie meinen Schwindel nicht aufdecken.

„Ich möchte auch helfen. Kann ich auch ein Mitglied werden?“

Was soll ich machen? Ich kann sie ja schlecht abweisen. Oder ihr gar die Wahrheit sagen. Sie würde mich aus der Wohnung werfen und absichtlich eine Aussage bei der Polizei machen, um Rache zu nehmen, weil ich sie emotional verletzt habe. Beziehungen enden niemals gut, deswegen sollte ich über das abrupte Freundschaftsende nicht allzu überrascht sein. Doch ich kann ihr es noch nicht antun. Die Betonung liegt auf noch nicht. Irgendwann später werde ich unsere Beziehung kündigen und nicht mehr zurückblicken. Wem interessiert schließlich eine alte Frau, deren Mann sie verlassen hat, weil sie unausstehlich ist? Okay, gut, so unausstehlich ist sie nun auch nicht, aber um es einmal zu veranschaulichen: Egozentrisch, in ihrer eigenen Traumwelt lebend und mehr als ein Wasserfall redend sind die Attribute, die sie am besten beschreiben.

Um zwei in der Nacht oder am frühsten Morgen essen wir die selbst gemachten Speisen und trinken dazu dreißigprozentigen Wodka. Von wegen nur die Russen schütten ihn wie Wasser hinunter. Irene kann ihnen locker Konkurrenz machen. Die sind dagegen nichts. Danach schauen wir eine DVD mit dem berauschenden Titel: Dirty-Dancing an, wobei ich nicht nachvollziehen kann, wie man sich so einen Unsinn ansehen kann. Erstens besitzt die Protagonisten die hässlichste Frisur aller Zeiten und zweitens, der ausschlaggebende Punkt, passiert im Grunde rein gar nichts. Ein bisschen Tanzen hin und her, reden und essen.

Es ist fünf Uhr morgens, als ich mich still und heimlich in meine Wohnung aufmache. Viel zu spät, um noch klar denken zu können und meine Kleidung auszuziehen. Wie ein Sack Kartoffeln falle ich in mein Bett und schlafe ein.

Der Wecker für neun Uhr reißt mich aus meinen Träumereien und ich werfe ihm einen genervten Blick zu. Es ist ja auch so schlimm, wenn ich einmal ausschlafen möchte. Ich muss sowieso erst um halb zwei zu meinem Job antreten, da kann ich noch gute drei Stunden Schlaf genießen, bevor mich der Ernst des Alltags einholt. 

Ich trete in mein Bad ein und finde Cruela vor. Wortwörtlich erscheine ich wie der Bösewicht aus 101 Dalmatiner. Ich habe den Film immer mit meinen Klassenkameraden während der Freistunden angesehen. Es ist immer noch mein Lieblingsfilm, obwohl schon fünfzehn Jahre seit der Neuverfilmung vergangen sind. Der Alte ist dagegen kein Vergleich zum neueren Streifen.

Ich schrubbe mir das Gesicht mit einer Bürste, bis meine Haut in Flammen steht, wobei sie eine ungesunde rote Farbe annimmt. Wenigstens bilden sich dann keine Unreinheiten mehr. Ja genau, Jody! Denk positiv! Sei optimistisch! Ha, als wäre ich jemals ein Gut – Mensch gewesen, da fange ich jetzt auch nicht damit an. Ich lebe, so wie ich bin. Und keiner kann mich ändern. Nicht mal Irene mit ihren Tränen!

Der restlichen Körperhaut ergeht es genauso wie meinem Gesicht und ich komme krebsrot aus der Dusche. Hauptsache ich bin wach, zumindest fühle ich mich frei von jeglicher Müdigkeit. Diese Morgenroutine führe ich immer durch, wenn ich zu wenig Schlaf in der Nacht hatte. Die andere Option wäre mit meinen Blitzen zu spielen, da sie meine höchste Konzentration fordern und mir zusätzlich ein gutes Gefühl verleihen. Ein Gefühl der Unbesiegbarkeit. Wer würde nicht gerne diese tödliche Fähigkeit besitzen? Ich würde auch keinen Fall mit einem Menschen tauschen, der zu nichts außer den menschlichen Begabungen fähig ist. Ich wäre normal und nur der Gedanke daran, lässt eine Gänsehaut erscheinen. Niemals werde ich meine Blitze freiwillig hergeben. Sie sind ein Teil von mir, ohne dem ich sterben würde!

Die Arbeit wartet auf mich, weshalb ich durch das wüstenähnliche Gebilde rase, damit ich nicht zu spät komme. Es kommt bei den Detektiven bestimmt nicht gut an, wenn sie mich nicht im Polak vorfinden. Obwohl, sehe ich im Rückspiegel nicht einen schwarzen Wagen mit getönten Scheiben, den ich hier in der Gegend noch nie bemerkt habe? Vor allem, ich habe noch nie ein solches Auto hier gesehen. Wie lange verfolgt es mich wohl schon? Eine ganze Weile, dem Anschein nach.

Ich trete mit voller Wucht auf das Gaspedal und der Wagen macht einen Ruck nach vorne, um daraufhin stehen zu bleiben. Stöhnend puste ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und fahre mir übers Gesicht. Den Schlüssel muss ich dreimal umdrehen, bevor der VW – Käfer ein protestierendes Geräusch von sich gibt, aber doch, nachdem er erfolglos Widerstand geleistet hat, anspringt. Du darfst deine Haltung nicht verlieren, Jody! Nicht, wenn dich jemand beobachtet. In ein paar Stunden kann ich jemanden umbringen. Nein! Ich kann nicht! Ich muss aufpassen. Niemand darf mich sehen. Keiner soll mich verdächtigen. Ich bin ein durchschnittlicher Bürger mit normalen Problemen, die keinen Menschen interessieren. Ja genau! Die Ruhe ist dein, Jody. Du schaffst das. Du bist stark.

Die Verfolger haben mich um ein gutes Stück eingeholt und ich muss mich beeilen, ehe sie denken, dass etwas nicht stimmt. Ach was rede ich da, sie wissen bereits, dass irgendetwas falsch läuft. Normalerweise stirbt mein Wagen nicht mitten auf der Straße ab, auch wenn er noch so alt sein möge.

Im Laden drinnen tätige ich das Übliche, worauf ich verärgert, über die Kunden und die Detektive, von meiner Arbeit nach Hause komme. Falls das noch länger so geht, muss ich mich wohl oder übel entweder daran gewöhnen, unter Beobachtung stehen und Vorsicht walten zu lassen, oder auszurasten. Mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich das ganze Theater hier packe, schließlich setzt es mich unter Druck, mich korrekt zu verhalten. Und das die ganze Zeit. Sogar im Schlaf träume ich nichts mehr Gewalttätiges. Sollte ich mir Sorgen machen? Nein, es ist bis jetzt noch nichts Schlimmes passiert und das wird es auch in Zukunft nicht. Nur das ich bei diesen Gedanken nicht so wirklich überzeugt von mir bin.

Vor dem Wohnhaus befindet sich weiterhin der halbe Bauernhof und ich kann ihre Wehklagen schon vor weitem hören. Die trostlosen Laute treffen auf meine gereizten Ohren und ich unterdrücke das Verlangen meine Blitze los zu schicken, um ihnen ein Ende zu bereiten. Verdient hätten sie es. Sie stören mich und damit fördern sie die allgemeine Unzufriedenheit, die sich allezeit in mir befindet.

Die zwei Katzen und den Hund leine ich los und verabschiede sie ins Nirvana. Mir doch egal, ob sie draußen in der Wüste verenden oder einen netten Besitzer finden, der ihnen alles in den Arsch schiebt. Den Gockel verarbeite ich zu einem Häufchen Staub, nachdem ich mich vergewissert habe, dass sich niemand unmittelbar in meiner Nähe befindet. Das Schaf ist ein langsamer und schmerzhafter Tod vergönnt, da es mir besonders auf den Wecker geht. Es blökt unaufhaltsam, als wüsste es von seinem nahenden Ende.

Ich führe es an dem Band hinter das Haus in die Garage. Dort verschwinde ich mit ihm in der Unterkellerung und binde es an ein Heizungsrohr. Sichtlich nervös will es sich losreißen, scheitert aber jedes Mal. Als ob es fliehen könnte. Tiere sind noch dümmer als Menschen. Die Zweitgenannten geben nach einigen Befreiungsversuchen auf, doch das Tier versucht es bis zum Rand der Erschöpfung.

„So mein lieber Zeitgenosse, irgendwelche letzten Worte?", lache ich ihn aus. Als ob er sprechen könnte. Ich hole aus meiner Küche ein stumpfes Messer und halte es ihm vor seine großen Augen. „Es wird ein langsamer und qualvoller Tod. Könnte ich bei meinem nächsten, menschlichen Opfer auch ausprobieren. Es würde meine innersten Bedürfnisse befriedigen. Bereit für deine Erlösung?" Somit lähme ich mit meiner Gabe seine vier Beine, wodurch das kleine Tier mit einem Plumps zu Boden fällt. Es sieht mich still und erwartungsvoll an, als würde ich meine Meinung bezüglich seines Todes ändern. Da kann es lange drauf warten!

„Adieu mein Freund“, verabschiede ich mich von ihm.

Ich setze das Messer oberhalb seines Nackens an und mit aller Gewalt bewege ich es hin und her, bis das Blut nur so in Strömen fließt. Ich kann beobachten, wie die stumpfe Schneide Knochen, Sehnen und Fleisch voneinander trennt. Bei der Hälfte muss ich mich besonders anstrengen, denn der Knochen ist nicht einfach zu durchtrennen. Das Schaf stößt mit der Zeit immer größere Schmerzenslaute aus und klingt dabei wie ein schreiendes Baby. Aus diesem Grund sammele ich alle Kraft, die ich besitze und breche den Knochen in der Mitte entzwei. Der restliche Teil seines Halses ist schnell durchschnitten und der Kopf rollt davon. Dessen Körper erschlafft, nur noch der rote Lebenssaft breitet sich am Boden aus und durchtränkt meine Kleidung. Ich lehne mich an die Wand und betrachte den abkühlenden Leichnam des Tiers durch halbgeschlossene Lider. Sollte ich mich schämen? Es ist schließlich kein Mensch gewesen. Aber ich habe etwas gebraucht, um mich abzureagieren. Und das ist die perfekte Möglichkeit dafür gewesen. Ich brauche es nicht zu bereuen. Leben ist vergänglich und ich habe es erlöst von seinem Leiden. Es hat darum gebeten. Seine Augen haben mich angefleht, es zu tun.

Ich fechte mit der gegenüberliegenden Wand einen legendären Kampf aus, dass sie mir beim Aufstehen helfen soll. Unglücklicherweise ist es nur eine Wand und ich eine überaus faule Person, der alles nachgeworfen werden muss. Augenverdrehend stehe ich langsam, nicht ruckartig, weil ich sonst das Gefühl habe, dass all meine Knochen brechen, auf. Die Überreste des Lebewesens sollte ich entfernen oder die Schuld Ralf in die Schuhe schieben. Nein, es würde jemand Verdacht schöpfen! Vor allem, wenn der Leichnam mit meiner DNA obendrauf beweist, dass ich es gewesen bin, die es getötet hat. Wer einem eine Grube grabt, fällt selbst hinein, heißt es und ich erkenne, dass es für mich nur Nachteile geben wird.

Grinsend, wegen des guten Gefühls, das meine Lieblinge verursachen, wenn ich sie benutze, lasse ich die Luft um mich knistern, als die hohe Energie auf den Bluthaufen zurast. Nach wenigen Sekunden ist nur noch Asche von dem toten Schaf übrig, die ich mit meinen Schuhen in der Gegend verteile. Mir egal, wer es säubert, aber ich nicht. Dafür bin ich mir zu schade, schließlich habe ich schon das Schaf halbwegs entsorgt. Mir kann man nicht noch mehr Arbeit zumuten.

Das Treppenhaus verlasse ich so schnell wie möglich, ansonsten beschert mir Irene einen Besuch und ich muss ihr wieder helfen, ihre Sorgen zu kompensieren.

Ich durchwühle meine Handtasche nach meinen Schlüsseln und werde fündig. Bevor ich meine Wohnungstür aufschließe höre ich das Klackern von Schuhen, die nur Irene gehören können. Leider ist es zu spät mich unbemerkt aus den Staub zu machen und ich bleibe, wie erstarrt stehen, nur um mich dann auf dem Absatz umzudrehen und einer freundlich lächelnden Exfrau ins Gesicht zu sehen. Sie steigt die fünf restlichen Treppen hinab, die uns voneinander trennen und zieht mich in eine, für sie herzliche, Umarmung. Langsam, aber sicher, geht mir ihre Art auf die Nerven. Doch ich bin ihre Freundin und sollte mich an einen passenden Umgang mit ihr gewöhnen.

Mein Bauchgefühl schreit „Weg von der Irren“, trotzdem bleibe ich standhaft. Ich werde die schlimme Zeit, die sie gerade durchmacht, gemeinsam mit ihr überstehen und danach werde ich auf nette Art und Weise die Beziehung mit ihr kappen. Denn ich habe nicht vor, mir das Leben mit diesem Ekelpaket schwer zu machen.

„Irene, komm über Ralf hinweg. Er fügt dir doch nur Schaden zu“, rede ich ihr gut zu und mache einen ihr weltbewegenden Vorschlag. „Such dir einen richtigen Mann, der Eier in der Hose hat und nicht so eine Lusche!“

Sie schluchzt in mein wunderschönes T–Shirt und ruiniert es damit für immer.

„Du hast Recht! Wie immer. Aber ich kann nichts dafür, er schleicht sich in jeglichen Situationen in meinen Kopf, weshalb ich an keinen anderen mehr, als an ihn, mehr denken kann. Er macht mein Leben kaputt, wenn ich nichts unternehme. Ich weiß, was ich machen muss, doch ich kann es nicht. Ich kann mich nicht überwinden, mit anderen zu flirten und einen Mann an Land zu ziehen. Ich schaffe es nicht.“

Hoffentlich werde ich nie so hoffnungslos wegen eines Mannes sein. Kein männliches Wesen der Welt ist es wert, mein Leben zu vernachlässigen. Ich bin mein eigener Herr und lasse meinen Körper und Verstand von niemanden anderen regieren.

„Lass uns die Biografie von Tina Turner angucken!“ Wer ist Tina Turner? Diesen Namen habe ich noch nie in meinem Leben gehört. Vielleicht eine Berühmtheit der vergangenen Jahre, die ich in der achten Klinik verbracht habe? Kann sein. 

„Ich habe leider noch etwas zu tun. Du weißt schon, ich muss meine Wohnung putzen, weil ich eine leichte Stauballergie habe“, rede ich mich raus. Ein Film kann mir gerade, nach einem harten Arbeitstag, gestohlen bleiben.

Sie nickt mir verständnisvoll zu und macht einen Vorschlag: „Kann ich verstehen. Vielleicht ein andermal. Ich sollte auch mal wieder mein Zuhause auf Vordermann bringen. So wie es nach der gestrigen Küchenschlacht aussieht, möchte ich niemanden einladen.“

„Bis irgendwann“, rufe ich ihr zu, als sie die Treppen hochsteigt.

„Ja, ciao.“

Ich gehe in die Küche und schaue in den Kühlschrank, weil mein Magen anfängt zu knurren.

Im Kühlfach finde ich eigentlich alles vor, was das Herz begehrt. Nur nicht meins. Ich habe keinen Appetit, nicht mal auf meine allerliebsten Toffifee. Verzweifelt fahre ich durch meine dünnen Haare und betrachte die ausgefallenen Strähnen, die sich in meinen Fingern verfangen haben. Wirkt sich mein Untergewicht auch auf meine Gesundheit aus? Anscheinend, denn meine Fingernägel sind ebenfalls brüchig und fallen ab. Wie ist das möglich? Ich meine, wie kann es sein, dass ich das vorher nie mitbekommen habe, in welchem Zustand sich mein Körper befindet?

Ich muss mich wiegen, um zu sehen, wie sich mein Gewicht verhält und werde überrascht. Ich habe ganze drei Kilo in der letzten Zeit abgenommen und wiege 39 Kilo.

Ich muss etwas essen! Jedoch wehrt sich mein Körper dagegen. Was soll ich nur tun? Wenn ich mir bei einem Doktor einen Termin geben lassen, wird er mich in ein Irrenhaus einweisen lassen und ich muss Schokolade bis zum Kotzen essen. Nein, danke! Darauf kann ich getrost verzichten! Ich muss es selbst in den Griff bekommen. Ich packe das! Ich bin Jody, die Gottgesandte, die alles mit links schafft. Diese Krankheit kann mir auch nichts anhaben. Das Essen muss einzig und allein in meinem Bauch bleiben.

Ich nehme mir ein Brett und fange an Gemüse und Obst zu schnippeln, dass ich zu einer kleinen Menge Rinderfleisch dazugebe. Ich vermische das Ganze in der Pfanne mit Öl und verschiedenen Gewürzen.

Langsam kaue ich das Essen und mir kommen die Erinnerungen an gestern Abend hoch. Warum habe ich das Essen bei mir behalten? Ah ja, ich habe höchstens eine Kinderportion gegessen und das werde ich heute auch ausprobieren. Den Rest hebe ich mir für morgen auf und verstaue es im Kühlschrank.

Beruhigend streichle ich über meinem hervorstehenden Bauch, der sich, wie bei einer Schwangeren im fünften Monat, nach vorne wölbt. Die Ausmaße meiner Magersucht werden mir erst nach und nach bewusst und die Verzweiflung breitet sich wie Gift in meinen Adern aus. Wenn ich kein Gegengift finde, wird es das wohl sein. Da kann mir auch kein Arzt oder Klinik helfen, weil ich entweder selbst die Krankheit besiegen muss oder sterbe. Eine dritte Option gibt es in diesem Leben nicht.

Ich lege mich ins Bett, nachdem ich den Abwasch gemacht, mich geduscht und die Zähne geputzt habe, und denke über meine mögliche Zukunft nach. Wenn ich es nicht schaffe, wer wird zu meiner Beerdigung kommen? Wird es überhaupt jemand mitbekommen, wenn ich sterbe? Ha, vermutlich kümmert sich keine Menschenseele, wenn ich nicht mehr zur Arbeit komme. Diana wird sich schlapp lachen, falls sie überhaupt mitbekommt, dass ich gestorben bin. Irene wird dagegen in Selbstmitleid versinken und sich fragen, warum sie das verdient hat.

Ich habe niemanden. Keine Freunde, keine Familie und mich selbst habe ich schon lange verloren. Ich bin nur noch eine leblose Hülle, die mordet und nicht weiß, was sie ansonsten tun soll.

 

Unter ärztlicher Aufsicht (überarbeitet)

 

Schmerzen toben und breiten sich in meinen Kopf aus. Nein, ich will nicht! Lass mich in Ruhe, Migräne! Was hast du davon, wenn du mich quälst? Ich krümme mich in meinem Bett zusammen und nehme eine Art Embryo-Stellung ein, um die Leiden zu mindern und mich selbst zu beweinen. Am liebsten würde ich aus dem Fenster springen, wenn ich nicht wissen würde, dass ich dahinter tot sein werde. Ich stürme auf das Klo und erbreche Magensäure, die meinem Hals hochkommt. Auch aus der Nase läuft die ätzende Flüssigkeit ins Kloinnere und lässt mich kalt erschauern. Womit habe ich das verdient? Diesmal habe ich doch nur ein hässliches Schaf getötet. Abermals überrascht mich ein plötzlicher Würgereiz und ich verwandle mich in ein Häufchen Elend in meinem kleinen Badezimmer. Erschöpft lehne ich mich an die geflieste Wand zurück und atme erstmals durch, damit ich wieder klar denken kann. Der Schmerz ist schlimmer, als je zuvor, als ich aufstehe und zu dem Schrank wanke, in dem ich die Tabletten von Doktor Geringer verwahrt habe. Hoffentlich hilft dieses Mittel, sonst tue ich mir doch etwas Schlimmes an. Das Küchenmesser liegt nur wenige Meter von mir entfernt, sodass ich mich in zwanzig Sekunden umbringen könnte. Aber das ist nur das Hirngespinst meines überforderten Kopfes, mit dem ich am liebsten eine Wand einschlagen würde. Trotz meines Leidens halte ich mich zurück und klammere mich so fest an den Griff des Schrankes, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten.

Wo sind diese verdammten Tabletten? Ich habe sie doch in das Fach vor mir getan! Wie können die jetzt einfach so verschwunden sein?

Der Boden kommt immer näher, als ich auf diesen zusteuere, weil mich mein Gleichgewichtssinn und die Beinmuskulatur im Stich gelassen haben. Ah, mein Steißbein! Hoffentlich habe ich es mir nicht angeknackst, schließlich habe ich zurzeit wenig Lust auf Schmerzen. Wie jedes Mal hat mich das Glück verlassen und ist seine eigenen Höllenwege gegangen, weshalb mich Gleichgültigkeit einholt, die meinen Schmerz vergessen lässt.

Eine ganze Weile vergeht, bis sich die Nebelschwaden in meinem Gehirn lichten, wodurch sich mein Verstand wieder meldet und ich mit den pochenden Stellen, auf die ich gefallen bin, konfrontiert werde. Aah, ich will nicht mehr. Ich hasse diese Schmerzen. Ich hasse diese Welt. Ich hasse mich selbst.

Ich erhebe mich schwerfällig vom Boden und mit eben noch völlig blankem Verstand, bekomme ich plötzlich einen blitzartigen Einfall. Das Thomapyrin ist im Küchenschrank! Wie habe ich das nur vergessen können? Besser gesagt, warum habe ich mich nicht erinnert?

Schlurfend erreiche ich die Küche und nehme die Tabletten aus dem besagten Mobiliar. Die Schachtel fällt zu Boden, als mich abermals das Leiden einholt. Kurze Zeit später klingt er ab und hinterlässt nur ein stetiges Pochen in meiner rechten Stirnseite. Schnell reiße ich den Deckel auf und mache dabei die Packung kaputt. Das kümmert mich momentan weniger als das Blut, das meine Hose durchweicht. Die Menstruation kommt immer zu den ungelegensten Zeiten! Ich schlage mit der geballten Faust hart auf die Theke und schreie laut auf, weil das Holz meine Knöchel aufgeschürft hat. Au! Die Hand an den Mund haltend verteile ich meinen Speichel, der sich mit dem metallischen Rot vermischt, auf den Handrücken. Der Speichel hilft mir, wenn auch nur in meiner Fantasie, dass Leiden zu mindern.

Vier Tabletten in der Hand haltend bewege ich diese zu meinem Mund, in dem ich sie hineinwerfe und trocken hinunterschlucke. Pfui schmecken die bitter. Mein Gesicht verzieht sich und ich mache Würgelaute. Nein! Nicht schon wieder. Kniend übergebe ich mich ein weiteres Mal und falle danach in Ohnmacht, weil mich meine Kräfte verlassen haben.

Mitten in der Nacht erwache ich aus meinen Totenschlaf und sehe mich orientierungslos um. Wo bin ich? Erst als ich das verräterische Ticken meiner Küchenuhr höre, weiß ich, dass ich zuhause bin. Beruhigt seufze ich, doch die gute Stimmung verschwindet sobald ich den voll gekotzten Boden entdecke. Morgen. Ich wische es morgen weg. Heute bin ich zu erschöpft, um nur einen Finger für meinen blöden Körper zu rühren. Er ist selber schuld, wenn er mir das antut und die Nahrung nicht normal aufnehmen kann.

Schlurfend komme ich in meinem Badezimmer an und blicke an mir herunter, womit ich feststelle, dass ich richtig übel aussehe, da meine ganze Kleidung mit Essenresten oder undefinierbaren Sachen durchweicht ist. Wie groß muss wohl der Schaden sein, den ich angerichtet habe? Ist noch mehr dreckig? Habe ich mich in anderen Zimmern auch übergeben? Keine Ahnung. Mein Gehirn hat sich verabschiedet, wodurch momentan nur noch Wackelpudding im Sortiment vorhanden ist. Ich werde mich heute nicht mehr um diese Angelegenheiten kümmern, die können auch auf morgen warten! Das hat Zeit.

Todmüde falle ich nach einer schnellen Dusche auf das Bett und lasse mich vom Schlaf übermannen.

Am nächsten Tag weckt mich der Wecker auf und ich stelle fest, dass ich heute zur Arbeit muss. Ich glaube, ich melde mich krank. Ich bin ja auch nicht wirklich gesund. Zwar hat mein Gesundheitszustand zurzeit ein Hoch, dennoch möchte ich nichts überstürzen. Lieber verbringe ich den Tag im Bett, als ihn mit meinen Mitarbeitern und Kunden zu verbringen. Wer interessiert sich schließlich für die Midlife-Crisis von Diana?

Ich stöhne gequält auf, als ich mich von der Matratze erhebe und versuche einen festen Stand zu bekommen. Leichter gesagt, als getan, denn ich falle rückwärts, mit meinem Po voran, wieder zurück. Au! Abermals probiere ich es und schaffe es tatsächlich. Ich könnte mir selbst eine Urkunde überreichen, weil ich das Unmögliche möglich gemacht habe. Ja, Jody, du bist großartig! Juhu, die imaginäre Menschenmenge jubelt mir zu.

Habe ich gestern zu viele Pillen genommen? Nein, die haben meinen Magen bestimmt schon wieder verlassen. Eventuell könnte ein Teil dringeblieben sein und meinen gesunden Menschenverstand zu Matsch verwandelt haben. So fühlt es sich jedenfalls an.

Ich nehme mein Handy aus der Handtasche heraus und prüfe, ob noch genug Akku für einen Anruf gespeichert ist, bevor ich die Nummer von meinen Chef Erik eingebe. Das altbekannte Tuten ertönt und nach siebenmaligem Anhören dieses Geräuschs hebt mein Boss endlich ab.

„Hallo, hier ist Jody. Ich kann heute leider nicht zur Arbeit erscheinen, weil ich krank bin.“

„Was fehlt dir denn?“

„Migräne. Diese Spannungskopfschmerzen bringen mich beinahe um, doch ich habe das Schlimmste schon überstanden. Ich fühle mich heute nur nicht wohl bei dem Gedanken, bei der Arbeit einzuschlafen.“

„Okay, geht klar. Diana ruft mich. Bis morgen, falls du arbeitest. Gute Besserung“, verabschiedet er sich und legt auf.

Das Tuten erklingt erneut, sodass ich weiß, dass das Gespräch zu Ende ist und auch ich den Hörer zurücklegen kann. Ich stolpere zu meinem weichen Bett und mache es mir gemütlich. So kann es sich leben lassen. Am liebsten würde ich nie wieder aus den Laken hervorkommen.

Ich erwache aus meinem Schlummer, worauf ich mich auf die andere Seite drehe und mein Gesicht in den Kissen vergrabe. Der Stoff reibt an meiner Haut und ich seufze genüsslich, wegen dem guten Gefühl nach Wärme und Geborgenheit, das mir beschert wird. Eine Drehung von gut 45 Grad wird vor mir vollzogen, um einen guten Blick auf die Uhr werfen zu können. Es ist vier Uhr nachmittags, was mich neun Stunden Schlaf differenzieren lässt. Ein ungewöhnliches Schlafverhalten, wie ich selbst zugeben muss. Vielleicht sollte ich bei einem Arzt vorbeischauen. Aber nicht bei Doktor Geringer, den ich voraussichtlich bald grillen werde. Von wegen die Tabletten helfen!

Das Telefonbuch befindet sich mitten im Nirgendwo, trotz meines übersichtlichen Ordnungssystems. Gut, ich räume höchsten einmal im Monat auf und Putzen gehört auch nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, weshalb meine Wohnung ein halbes Chaos darstellt. Zwar besitze ich nicht viele Habseligkeiten, doch genug, um ein Chaos zu veranstalten.

Durch die Seiten blätternd suche ich nach einem geeigneten Arzt, der mir helfen könnte. Puh, das kann noch einige Zeit in Anspruch nehmen, wenn das so weitergeht. Überall sind Fachkräfte aufgelistet, die einen oder mehrere Titel besitzen, die mir aber nichts sagen. Prima, wie soll ich mich bei dem Durcheinander auskennen? Bin ich allwissend?! Nein!

Eine viertel Stunde später bin ich am Apparat von einer Arzthelferin und mache einen Termin mit Herrn Musim Noah aus. Er ist ziemlich der Einzig gewesen, der mich angesprochen hat. Der Name erinnert mich an den Schiffsbauer, der die Sintflut mit tausenden von Tieren und seiner Familie überlebt hat. Damals, im Internat, ist der Großteil von dem christlichen Glauben überzeugt gewesen und sie haben auch mich damit auf ihre Seite gezogen. Die Erzählungen sind einfach zu schön gewesen, um sie zu glauben, dennoch haben sie ihren ganz eigenen Reiz gehabt, sonst hätte mich dieses Zeugs nie wirklich interessiert. Solange es keine Fanatiker gibt, die mich von einer anderen Religion überzeugen wollen und mir, wenn ich ihnen nicht Folge leiste, verbrennen oder auf andere Weise ins Jenseits schicken, bin ich ganz zufrieden mit meinem derzeitigen Leben. Ich glaube an mich und ein wenig, in anderer Form, an Gott und dem Drumherum.

In diesem Jahrzehnt kennt niemand mehr die katholischen, evangelischen, jüdischen oder muslimischen Fügungen, sondern nur die Ruinen der einstigen, glänzenden Weltregionen und deren Verzweigungen. Keiner schert sich mehr um religiöse Glaubensvorstellung, alle leben nur noch ihr Leben. Das ist das, was ich in meiner Zeit, die ich seit der Entlassung, herausgefunden habe. Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass es schon ein gutes halbes Jahr her ist.

Ich ziehe mich in alltagstaugliche Kleidung um und schnappe meine Handtasche. Das Tastenhandy stecke ich ans Ladekabel an, denn es sind nur noch fünf Prozent Akku übrig, die es nicht mitzunehmen lohnt. Die Stufen hinuntersteigend gelange ich in die Garage, in der sich momentan vier Autos befinden. Es gibt vorne und hinten eine Ausfahrt, oder je nach Anwendung, eine Einfahrt, wobei insgesamt sechs Autos Platz hätten.

Mein süßer VW – Käfer sticht aus der Menge heraus und ich kann mich glücklich schätzen, dass die Klinikmitarbeiterin wenigsten einmal ihren Job hervorragend gemacht hat.

Ich starte und drücke den Knopf an der Wand, der das Tor hochfahren lässt. Draußen muss ich nicht aussteigen, da das Garagentor automatisch, nach drei Minuten, wieder hinunterfährt. Der Vermieter muss das Gebäude wohl in der Vorkriegszeit fertig gestellt haben, weil man in der heutigen Zeit Horrorsummen für eine solche Elektronik bezahlen müsste.

Apropos Technik: Wo bleibt mein Puffer? In den nächsten Tagen sollte ich mich bei der Firma melden, ansonsten bleibt das Wasser meiner Dusche für immer kalt und ich erfriere beinahe jeden Tag in meiner eigenen Wohnung. Gleich, wenn ich wieder zuhause bin, werde ich die Einrichter anrufen. Das lasse ich mir –Jody- schließlich nicht gefallen!

Die wüstenähnliche Straße fahre ich mit erhöhter Geschwindigkeit entlang, da ich, mit einem Blick auf die Uhr, festgestellt habe, dass ich ein wenig zu spät dran bin. Ich wende mein Gesicht dem Rückspiegel zu und trete abrupt auf die Bremse und auch der schwarze Wagen hinter mir drückt anscheinend auf dasselbe Pedal, denn er fährt mir nicht auf. Entweder ich habe Halluzinationen, oder mir sind schon wieder Detektive auf den Hals geschickt worden. Wenn ja, können sie sich schon auf die Warteliste für die Hölle einschreiben. Denn sie werden sie definitiv besuchen, wenn auch nur für kurze Zeit. Grinsend trete ich in die Pedale und starte die alte Karre mit einem Ruck.

Der Staub, vermischt mit Sandkörnern, wird von meinen Reifen aufgewirbelt und gegen die Frontscheibe meiner Verfolger gewirbelt. „Ha! Viel Spaß ihr Loser“, lautet mein Ausruf gegen sie. Ohne zurück zu schauen, ob der Dreck sie aufhält oder sie aus der Fassung bringt, rolle ich mit 160 km/h los. Schnell beschleunige ich, als ich im Spiegel die Gesetzeshüter sehe. Hauptsache sie holen mich nicht ein. Dem Anschein nach haben sie mein Spiel verstanden und wollen mitspielen. Auf keinen Fall lasse ich sie gewinnen. Schließlich bin ich besser. Bin ich immer. Mit 190 km/h ist fast die Höchstleistung des Käfers erreicht und ich sehe besorgt in den Rückspiegel. Hoffentlich habe ich mich in meinen stolzen Zustand nicht getäuscht, sodass ich verliere.

Mit 210 km/h ist das Limit erlangt und es geht nicht mehr, auch das beständige Drücken auf das Gas ändert nichts an meiner Lage. Wider Erwarten verliert der Fahrer mich und liegt zurück. Mein Vorsprung wird, je mehr Zeit vergeht, stetig größer und bald schon bin ich außer Sichtweite. Weitere fünfzehn Minuten fahre ich mit der Höchstgeschwindigkeit weiter und drossle das Tempo erst, als ich mich in der Nähe meines Ziels befinde.

Mit Oma-Tempo kurve ich zu der Praxis von Doktor Musim Noah und stelle ihn mir im Geiste vor.

Erste Möglichkeit: Er ist ein alter Greis, der seine besten Tage hinter sich hat und nun die Rente anstrebt.

Zweite Möglichkeit: Noah ist ein mittelaltriger Mann, der glücklich in einer Beziehung mit seiner betrügerischen und geldgeilen Partnerin lebt und von nichts weiß. Ärzte werden hoch geschätzt im Kreis der Schlampen, auch in der Runde der männlichen Huren. Es ist ja nicht so, dass es in der heutigen Zeit keine Homos gibt.

Dritte Möglichkeit: Doktor Musim ist ein junger, charmanter Womanizer, auf den die Frauen alle fliegen.

Die letzte Sorte Mann ist mir eindeutig am liebsten, denn vielleicht springt ein One-Night-Stand heraus oder besser ein One-Night-Mord. Ha, ist Jody heute wieder lustig! Kommt vermutlich vom Nahrungsentzug.

Ich parke auf dem angrenzenden Parkplatz und schultere meine Handtasche. Auf in den Kampf, lautet meine Parole. Nichts kann meine Stimmung zurzeit besser ausdrücken, als dieser Satz. Mit langen Schritten bewege ich mich auf die Tür zu und halte kurz inne, bevor ich jene öffne. Einige ältere, neugierige Damen, die wohl jeden Tag hier sitzen, drehen sich zu mir um und mustern mich mit skeptischer Miene. Anscheinend lässt ihnen mein Körper ihrer Fantasie freien Lauf und sie hegen die verrücktesten Gedanken über mich. Möglicherweise halten sie mich für eine Nutte, die an HIV erkrankt ist und nun Tabletten braucht, um nicht ins zweite Stadium, AIDS, zu wechseln. Oder sie meinen eventuell, dass ich eine reiche Business-Frau bin, die ihr Leben nur mit Arbeiten verbringt. Das würde auf jeden Fall meinen ausgemergelten Körper, mit sage und schreibe 39 Kilo, erklären. Entschuldigung, aber ich bin auch nicht stolz darauf, was aus mir und meinem Leben geworden ist! Meine Augen auf die alten Frauen gerichtet, die mich aus ihren Augenwinkeln begutachten, entgeht mir kein mitleidiges oder verächtliches Mienenspiel. Ich tue, was für die Situation am Passendsten ist und lebe das Sprichwort: Gute Miene zum bösen Spiel.

Bei genauerer Überlegung mache ich das schon immer. Seit ich meinen Bruder getötet habe und mich meine Eltern von Zuhause vertrieben haben. Nur sie alleine sind der Grund, warum ich so verkommen bin, wie ich eben bin. Kein anderer Mensch hat je erlebt, was ich durchgemacht habe. Niemand. Nicht einmal meine Opfer wissen, wie es sich anfühlt, richtigen Schmerz zu empfinden.

Während ich meine eigenen Gedankengänge verfolge, wird die Warteschlange kürzer und kürzer, bis ich an der Reihe bin, meine persönlichen Daten anzugeben. Da ich so vorausschauend gewesen bin und mein halbes fiktives Leben irgendwann, vor nicht allzu langer Zeit, aufgeschrieben haben muss, kann ich ihr einen Teil meines Privatlebens offenbaren. Sie tippt es auf den hochmodernen PC ein und erstellt mir eine neue Akte, da ich noch kein Kunde in ihrer Praxis bin.

Sie bedeutet mir zu den Sitzgruppen zu gehen und kurz Platz zu nehmen. Es kann sich nur noch um Stunden handeln...wie bei jedem Arztbesuch.

Unterdessen vertreibe ich mir die Zeit mit dem Durchblättern verschiedenster Hochglanzmagazinen und der Rentenbravo schlechthin, die Apotheken - Umschau. Falls jemand mich nach meiner Meinung dazu fragt, finde ich die Umschau am besten. Sie hat mehr Stil und Informationen über wichtige Gebiete - wie Blutvergiftung und Prostatakrebs - und besitzt außerdem über ausreichend Kreuzworträtsel, um mich stundenlang damit beschäftigen zu können. Wenn ich zuhause bin, muss ich mir unbedingt die nächsten Ausgaben abonnieren, da ich festgestellt habe, dass ich gerne knoble.

Etwa eine Stunde ist vergangen, als ich aufgerufen werde. Widerwillig lege ich die Rentenbravo weg und folge der Assistentin in einen kleinen, weißen Raum, indem ein gut aussehender Arzt sitzt. Hm, es lohnt sich definitiv, diese Praxis zu besuchen.

Seine überaus korrekte Art macht mir einen Strich gegen die Rechnung und ich plane im Hintergrund meines Gehirns, wie ich ihn seines Anstands berauben werde. Vielleicht lege ich mich in einer aufreizenden Stellung auf seinen Tisch, wenn er den Raum verlässt. Oder ich frage ihn einfach nach seiner Nummer. Bis dahin lächle ich ihn an und versuche so charmant wie möglich, ohne das er sich bedrängt fühlt, zu antworten.

Momentan ist er noch eine harte Nuss, die bereits leicht bröckelt. Nur noch ein wenig mehr Druck und schon wird die Schale in tausend Stücke zerbrechen. So jedenfalls mein Plan.

Ich sitze schon eine halbe Stunde auf diesem unbequemen Stuhl, wodurch mich Rückenschmerzen plagen. Pff, soll ich mich jetzt auch noch wegen Rückenschmerzen behandeln lassen, oder was? Noah erklärt mir von dem seltenen Phänomen der Migräne. Google kann bezeugen, dass diese schlimme Art von Kopfschmerz deutlich öfters vorkommt als sein dummes Gerede!

Er steht auf, weshalb ich es ihm gleichtue, da ich überzeugt bin, dass der Besuch zu Ende ist, aber ich werde vom Besseren belehrt. Mit großen Schritten kommt der Blonde auf mich zu und drückt mich zurück auf meinem Platz. Überrascht will ich ihn von mir stoßen und mit drohendem Zeigefinger vor ihm wackeln, damit er mit diesem Unsinn aufhört. Für einen Gentleman gehört es sich nicht, ein so rüdes Benehmen zu besitzen. Eben die Höflichkeit in Person setzt er sich auf meinen Schoß und küsst mich hart auf dem Mund. Wofür habe ich denn dieses nette Benehmen verdient?

Er drängt sich mit einer Beule in der Hose an meinen Unterleib und ich komme mir vor, wie eine Mutter mit einem überdimensionalen Baby auf dem Schoß. Diese Vorstellung verdient es definitiv vergessen zu werden!

Noah, was machst du da, denke ich mir, als er in das weiche Fleisch meiner Brüste greift und ich ihn in Gedanken verfluche, wofür ich diesen Schmerz verdient habe. Wenn es so weitergeht, wird es höchst wahrscheinlich, dass sich der One-Night-Stand in einen One-Night-Mord entwickelt. Mittlerweile ist er auf dem untersten Niveau meiner Bewertungsskala für Männer gelandet. Und das ist wirklich sehr weit unten. Ich kann schon fast den Erdkern sehen, so weit unten ist es.

Außer Atem lassen wir uns in die entgegen gesetzten Richtungen fallen, um nach Luft schnappen zu können. Die Notwendigkeit liegt bei ihm bei Luftknappheit und übermäßigem Erhitzen, wobei ich meine Aggressionen überwinden muss, da sich noch Kunden im Wartebereich befinden, die untersucht werden wollen und ich mich nicht so behandeln lasse!

Ich schubse ihn von meinem Schoß und fordere nach dieser Aktion laut: „Sie geben mir jetzt entweder ein Rezept für Tabletten, die mir helfen, oder ich verklage Sie. Es ist ganz Ihre Entscheidung."

Lässig, so lässig ein Arzt eben sein kann, erwidert er mit den Händen in den Manteltaschen: „Ich an Ihrer Stelle wäre nicht so vorlaut." Wenn er wüsste, was ich mit ihm alles anstellen würde, hätte er sich schon längst die Augen ausgekratzt. „Ich kann mir viel bessere Anwälte, als Sie, leisten. Außerdem können Sie mir nicht widersprechen, dass zwischen uns eine gewisse Spannung herrscht. Wenn Sie nicht meiner Meinung sind, dann lassen Sie es mich beweisen."

Misstrauisch, da er mir nicht geheuer ist, frage ich: „Wie soll ich das verstehen?" „Ich werde an Ihnen eine vaginale Untersuchung durchführen, um Ihren Erregungsstand zu ermitteln." Pf, als würde ich ihn an meinen Unterleib lassen. Da hat er sich aber geschnitten! „Wie kommen Sie bitte darauf, dass ich mich für Sie interessiere? Ich verachte die Art Mann, die keinen Respekt vor Frauen hat." Eigentlich genau das, was alle Frauen tun sollten. Ich würde mich niemals freiwillig der Dominanz eines halben Affen, zum Beispiel der, der vor mir steht, unterwerfen. Das würde gegen meine liberale Denkweise verstoßen und somit gegen mich selbst.

Bevor ich ihm den Kaffee, welcher dampfend auf seinem Tisch steht, ins Gesicht schütte, gebe ich ihm noch einen Versuch, eine korrekte Antwort abzuliefern. Eine letzte Chance für die Spezies Mann: „Ich sehe gut aus, verdiene viel Geld und ich weiß, was ich will. Welche Frau steht nicht auf mich?"

„Ich", und das heiße Getränk landet auf ihm. Fluchend reibt er sich die Augen und rennt hektisch hin und her. Sollte ein Arzt nicht die Ruhe in einem solchen Fall bewahren? Anscheinend nicht, wie es momentan aussieht. Gibt bestimmt schlimme Verbrennungen. Ich bewege mich nach draußen in den Flur und verabschiede mich aus der Praxis. Mein Käferlein wartet seelenruhig und mutterseelenallein, wenn man die drei anderen Fahrzeuge nicht mitzählt, auf dem Platz, wo ich ihn hinterlassen habe. Gut zu wissen, dass sich keiner für meinen Wagen interessiert. Sicher, die Menschen wissen gewiss nicht, was für ein wunderschönes Modell von Auto vor ihrer Nase parkt, ansonsten wäre es schon längst gestohlen worden. Tja. Ihr Leid, mein Glück. Der Satz, der mich genau beschreibt, denke ich mir und nicke bestätigend den Kopf. Ich ergötze mich schließlich geradezu daran, die Menschen von ihrem elendigen Dasein zu erretten. Dafür danken sie es mir auch. Obwohl ich bis jetzt noch keine Pralinen für meine mörderische Tätigkeit unter der Bevölkerung bekommen habe, bin ich überzeugt von meiner Arbeit. Denn ich mache das Richtige. Wie immer. Jody erlaubt sich schließlich keine Fehler. 

Ich steuere mein Gefährt sicher nach Hause und verfluche höchstens eintausend Menschen, die mir spontan einfallen, oder die, die vor mir fahren. Unterdessen schalte ich das Radio ein und eine düstere Melodie ertönt. Yeah, yeah, hier fährt Jody. Hehe, passt perfekt in meine Stimmung. Der Song ist ab heute definitiv mein Lieblingslied. Wenn ich wüsste, wie er heißt, hätte ich ihn schon längst -natürlich illegal- heruntergeladen.

In meiner Wohnung angekommen, schnappe ich mir eine Schachtel Toffifee und werfe zwei von den Süßigkeiten in meinen verlangenden Mund. Lecker! Ich umgreife dir leere Packung fest mit meinen Händen und konzentriere mich auf die bloße Anwesenheit von ihr. Ich werde es nicht auskotzen. Mir wird auch nicht übel. Ich hoffe es so.

Bis jetzt läuft alles gut und mein Magen hat noch keine Beschwerde eingereicht. Soweit ist bei mir alles in Ordnung und ich verbringe die nächsten Stunden, indem ich den Fernseher anmache. Währenddessen bin ich gefesselt von einem Actionfilm, weshalb ich erschrecke, als die Türklingel betätigt wird. Seufzend stehe ich aus meinem warmen Lager, das ich auf dem Sofa gebaut habe, auf und lasse dabei alle Decken und Kissen zu Boden fallen.

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich den Schlüssel nicht umdrehen soll, da sich dahinter nur eine potentielle Gefahr verbirgt. Doch ich schiebe dieses mulmige Gefühl auf meinen empfindlichen Magen, der seine Tage hat. Lieber soll er motzen, als das ich kotze.

Gegen mein Gewissen öffne ich die Holztür und blicke einem Blumenstrauß entgegen. Naja, einem Mann, der einen monströsen Bund aus Rosen in der einen Hand hält und mir in der anderen Hand Pralinen überreicht. Irgendwie ist das ganze hier merkwürdig. Welcher Mensch übergibt einer Wildfremden Geschenke?

„Wer sind Sie? Haben Sie sich vielleicht in der Nummer geirrt?"

„Das glaube ich nicht. Ich würde deine Stimme und deine Präsenz überall erkennen, liebste Jody."

Es ist wirklich krank, was Männer alles tun, wenn man deren Ego einen Kratzer verpasst.

„Es tut mir nicht leid, was ich getan habe. Ich werde mich für diese Tat nicht entschuldigen. Der Kaffee ist die gerechte Strafe für Ihre Ungezogenheiten. Und duzen Sie mich nicht! Außerdem können Sie gleich wieder gehen und diesen Haufen Kompost nehmen Sie auch mit!"

„Gefallen dir diese Blumen etwa nicht?"

Bevor ich ihm das gebe, nämlich Ärger, den er geradezu provoziert, schlage ich ihm die Tür vor seiner Nase, beziehungsweise seinem Busch Wildrosen, zu. Ha! Das hat er für seine Dummheit! Nimm das du Möchtegern-Arzt!

Die kleine Couch wartet auf mich und ich erfülle ihren Wusch, indem ich mich schnurstracks zu ihr hinbegeben. Die Weichheit dieser würde ich nicht mal für den perfekten Mann oder einer Billionen Sterne aufgeben. Es ist einfach das unbeschreiblich bequemste Ding der Welt. Den Fernseher, den ich vorher ausgeschaltet habe, lasse ich erneut starten, um den Film weiter anzuschauen. Er küsst sie. Er sagt: Ich liebe dich. Sie erwidert das Ganze und sie küssen sich zum zweiten Mal. Ah, das Genre Action verweichlicht wirklich. Den roten Knopf der Fernbedienung drücke ich automatisch, als sich alle fertig abgeknutscht haben.

Die drei Decken, die ich über mir ausgebreitet habe, sind furchtbar kuschelig und ich vergrabe mich in den zwei Kissen und den Wolldecken, bis höchstens mein Schopf noch sichtbar ist. Langsam, aber sicher, dämmere ich weg, wenn dieses penetrante, auf die Nerven gehende Geräusch nur nicht wäre. Wer sägt mitten in der Nacht an etwas herum? Und warum ist es so laut? Normalerweise hört man – außer dem Geschreie meiner Opfer – nichts durch. Die Wände sind dicht und Irene ist auch kein Mensch mit übernatürlichen Fähigkeiten, der an meiner Tür lauscht. Obwohl der Gedanke berechtigt ist, denn meine Nachbarin ist mehr als neugierig und schreckt vor nichts zurück, falls sie Informationen möchte.

Schwerfällig erhebe ich von meinem Sofa und versuche die Quelle des Übels zu finden. Das, was ich vorfinde, ist nicht erfreulich, wie ich schon im Vornherein gewusst habe. Aber wirklich? Kann jemand so tief sinken, dass er deine Tür aussägt. Vor allem bin ich enttäuscht von mir, dass ich ihn nicht gleich mit meinen Blitzen beschossen habe und ihn bis zu einem Häufchen Asche reduziert habe. Ah Jody, was bin ich nur für ein blödes Mädchen. Man soll die Gründe meiner Aggressionen gleich entsorgen, bevor sie noch mehr anrichten können. Besonders aufdringliche Ärzte sind in diesem Fall mit inbegriffen. Ich reibe meine Finger jeweils an dem anderen und Funken sprühen.

Mein Gegenüber stößt die letzten Reste aus meiner ehemaligen Tür und kriecht durch das Loch, für das er verantwortlich ist. Habe ich schon meine Versicherungen abgeschlossen? Ich hoffe doch, ansonsten kann ich ihn nur schwer verklagen. Und das werde ich definitiv. So ein Verhalten werde ich nicht dulden. Nicht, wenn es im Hause Jody passiert. Nicht, wenn es irgendwo anders geschieht. Nicht, wenn es Jody angetan wird! Ich bin so oft in meinen bisherigen Leben verletzt worden und mehr Schmerzen kann ich einfach nicht vertragen. Ich platze, wenn ich mich nicht räche.

Er kniet sich hin und steht dann mit der Hilfe der Wand auf. Mit seiner linken Hand fährt er durch sein volles, blondes Haar, damit die hervorstehenden Strähnen seine Sicht nicht mehr einschränken. Daraufhin stellt er sich mir gegenüber und schiebt die Hände lässig in die Hosentaschen seiner aufgerissenen, mit Löcher – absichtlich- versehenen Hose und blickt mir trotzig entgegen. Anscheinend ist er sich keiner Schuld bewusst, wenn er mich als die Schuldige ansieht. Meine Reaktion auf seine Körperhaltung lässt nicht lange auf sich warten und ich verschränke meine Arme, nachdem ich ein Bein angewinkelt habe.

„Was machst du hier? Es ist zehn Uhr abends und du hast nichts Besseres zu tun, als meine Ruhe zu stören und meinen Besitz zu beschädigen?“ Mit einem Siegerlächeln bewaffnet, will ich ihn zu Recht weisen.

„Ach, ich bin nur zu einem Kaffeekränzchen vorbeigekommen. Nach was sieht es denn sonst aus?“ Pfeifend sieht er sich um und geht dabei an mir vorbei. In meinen Fingerspitzen kribbelt es freudig und mein Verstand schreit danach, seinem elendigen Dasein ein Ende zu bereiten. Ich wehre mich gegen dieses Gefühl, da ich bei offener Tür schlecht jemanden umbringen kann. Jeden Moment könnte jemand vorbeigehen und aus Neugierde in meine Wohnung blicken, wobei er ganz zufällig mitbekommt, wie ich einen Arzt töte. Nein danke, darauf kann ich gut und gerne verzichten. Ich habe schon genug Sorgen, da muss ich mir wegen eines Idioten nicht noch mehr einhandeln.

„Natürlich und ich bin die Prinzessin von Timbuktu“, mache ich ihm im ironischen Sinne weis. Tatsächlich kommt mir der Gedanke, dass er mir es abkauft, so blöd, wie er eben ist, könnte das sogar sehr wahrscheinlich sein. Obgleich er ein studierter Doktor ist, kann man ihm nicht zu viel zum Denken zuteilen, da er womöglich damit überfordert wäre. Er ist ja schließlich nur Arzt.

„Alles andere wäre auch unmöglich! Bei deiner Schönheit, kannst du auch nur blaues Blut haben. Du bist so bezaubernd wie der frischeste, rote Rosenstrauß, den man erstehen könnte.“ Je mehr er sagt, desto weniger Sinn macht das Ganze. Eventuell sollte ich Klebeband kaufen und diesen Mund, der nur Schwachsinn von sich gibt, zukleben, um die Welt von seinem Gerede zu befreien. Ja, eine gute Idee.

„Ich hasse rote Rosen“, gestehe ich ihm.

„Wieso?“ Wer fragt bitte mit dem Wort Wieso? Das machen doch sonst nur Streber oder Schlaumeier, die es nicht besser wissen. Okay, er ist auch nicht der Schlauste.

„Warum sollte ich es ausgerechnet dir erzählen? Es ist eine private Information und bevor ich dich aus dem Haus jage, möchte ich wissen, ob du dich freiwillig anklagen lässt oder ich es trotzdem machen soll“, schlage ich ihm eine unfaire Wahl vor.

„Wie soll ich mich bei diesen vielen Möglichkeiten nur entscheiden? Vielleicht für die Dritte?“

„Und die wäre?“, gehe ich auf sein kleines Spielchen ein.

„Die hier“, kommt er auf mich zu und zieht mich eng an sich. Die ausgestoßene Luft vermischt sich miteinander, so nah befinden wir uns aneinander. Er sieht mir tief in die Augen und ich kann bei diesem Blickkontakt nur an seinen nahenden Tod denken. Wie schon unzählige Male vorher auch. Aber ich habe es nicht getan. Bin ich etwa von meiner Mordssucht geheilt?

Testen wir es aus:

Habe ich ein befriedigendes Gefühl bei den Gedanken an die Toten? Ja.

Möchte ich noch weiteren Menschen das Leben nehmen? Nein.

Bereue ich meine Taten? Nein.

Vermutlich ist es nur eine Zwischenphase, in der ich mir nicht sicher bin, was ich genau vom Leben halte. Diese wird bestimmt bald wieder vorbei sein und ich werde eine Person um die andere ermorden.

Außerdem ist es schlichtweg nicht möglich abrupt mit dem Töten aufzuhören. Es ist schließlich eine Sucht, mit der man nicht so einfach enden kann. Man kann nicht von einen auf dem anderen Tag geheilt sein und nie wieder einen Blitz gegen einen Menschen wenden. Das geht eben nicht. Überhaupt nicht.

Noah senkt sein Gesicht auf meins und unsere Lippen berühren sich kurz, ehe er anfängt mich zu küssen. Ich rühre mich dabei nicht vom Fleck und lasse die Behandlung über mich ergehen, wie eine nötige Prostatauntersuchung. Nur mit dem Unterschied, dass es nicht ganz so eklig ist.

 

„Warum bist du hier?“, frage ich ihn, nachdem ich ihn von mir weggedrückt habe.

 

„Ich kann nicht aufhören an dich zu denken.“

 

„Es sind nur ein paar Stunden vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben. Und das vorherige Treffen ist nicht wirklich prickelnd gewesen.“

 

„Trotzdem.“

 

Durch sein Geständnis breitet sich ein warmes Gefühl aus, wodurch mein Blut in Wallung gerät.

Soll ich auf mein Bauchgefühl hören, dass meint, ich soll mich auf ihn einlassen?

Oder soll ich meinem Verstand Folge leisten, der ihn leblos, zu einem Häufchen Asche verarbeitet, sehen will?

Ich weiß es nicht.

 

Umständliche Beziehung (überarbeitet)

 

„Wie soll ich den Schutz meiner Privatsphäre gewährleisten, wenn ein riesiges Loch in meiner Tür ist?"

Noah Musim scheint kurz zu überlegen, bis bei ihm ein schlechter Geistesblitz einschlägt: „Wie wäre es, wenn du bei mir einziehst?"

Ich boxe ihm gegen seine linke Schulter: „Wofür war das denn?"

Gespielt nachsichtig blicke ihm in die Augen: „Das war dafür, dass du mich als Fahrgestell bezeichnet hast."

„Habe ich gar nicht." „Doch!" „Nein" „Aber indirekt!"

„Wie Frauen nur auf solche Interpretationen kommen können, ist mir schon immer eine unerklärliche Frage gewesen." „Jetzt beleidigst du auch noch das weibliche Geschlecht!" „Ich habe einzig und alleine die Unfähigkeit der Männer die richtigen Worte zu sagen, wenn Frauen anwesend sind, kritisiert." „Genug von dieser unsinnigen Diskussion. Ich packe die nötigsten Sachen zusammen, die ich für morgen brauche." „Ah, kommst du mit in meine Wohnung? Willst du eine Partnerschaft mit mir eingehen?" „Was habe ich den gerade gesagt?" Nach meiner Gegenfrage bleibt er still, weshalb ich das als Zeichen erkenne, in mein Schlafzimmer zu gehen, um dort nach einer geeigneten Tasche zu suchen, in der ich alle nötigen Sachen bis morgen unterbringen kann. Leichter gesagt, als getan, denn ich brauche zwar nicht gerade viele Utensilien, dennoch ist keine, meiner zwei, Taschen so groß, um alles zu verstauen. Mir bleibt also nichts Anderes übrig, als beide Taschen zu benutzen.

Die Umhängetaschen bis oben hin vollgestopft stehe ich vor ihm und sehe ihn erwartungsvoll an. „Du erinnerst mich an ein Kleinkind", macht er mir ein etwas sehr indirektes Kompliment. Trotzig verschränke ich die Arme vor meiner Brust und starre in sein Gesicht.

„Okay, okay, das gerade ist zu vorher kein Vergleich! Du solltest dich bei einer Theatergruppe anmelden und das naive Mädchen spielen, das immer Hilfe braucht. Ich kann mir dich super in dieser Rolle vorstellen."

Er rutscht von meiner Beliebtheitsskala auf neun herab. Wenn er bei null ist, wird es mit unserer gemeinsamen Zeit enden. Irgendwie muss ich mich an dem ganzen Beziehungskram erst gewöhnen, schließlich hatte ich noch nie einen Freund. Wie das wohl sein wird? Stressig? Auf jeden Fall. Langweilig? Er ist Arzt und Ärzte sind zu unmotiviert für Hobbys oder andere Aktivitäten. Pervers? Dazu müsste ich ihn zuerst kennen lernen, doch, weil ich bereits einige Stuhlspielchen hautnah miterlebt habe, kann ich mir denken, wie es zugehen wird. Sex ohne Ende wäre auch etwas Schönes. 

„Haha, sehr lustig", lasse ich meine ironische Seite zum Vorschein kommen. „Wenn du das so sagst, ist es auch so." Anscheinend bekommt gleich jemand einen Lachflash, so wie er versucht, ernst zu bleiben. Dabei wandern seine Mundwinkel nach oben, weshalb er sich in die Wange beißt, um mich nicht auszulachen. Gut, wenigstens das traut er sich nicht. Memme. „Bevor das in eine Diskussion über gutes oder schlechtes Verhalten ausartet, gehen wir lieber. Ich will heute noch schlafen, da ich morgen wieder arbeiten muss." „Wenn du bei mir wohnst, brauchst du nicht mehr zu arbeiten. Ich habe genug Geld, um zehn Jahr ohne Einkommen zu überleben." Wenn er wüsste, dass auch ich Erspartes habe, würde er nicht denken, dass ich zu den Ärmsten der Armen zähle. „Was soll ich denn sonst tun? Zuhause sitzen und Däumchen drehen? Außerdem, falls du es noch nicht mitbekommen hast, bin ich eine erwachsene Frau, die nicht im fünfzehnten Jahrhundert aufgewachsen ist. Also, wenn du jetzt mal deinen faulen Arsch bewegen würdest, könnte ich meinen dringend benötigten Schönheitsschlaf bekommen." „Du hast Recht. Aber mein Arsch ist nicht faul, sondern knackig und durchtrainiert." Immer wieder diese Sprüche, die mehr über den Menschen aussagen, als er über sich selbst weiß.

Im Gang nach unten frage ich ihn, ob er mit seinem Auto da ist und er bestätigt es mit einem „Ja“. Ich schlage ihm vor, dass jeder mit seinem eigenen Auto fährt, weshalb er mich in die Garage begleitet. Drinnen holt mich die Erinnerung an das Schaf wieder ein und ich grinse leicht. Kurz drehe ich mich um, damit ich sehen kann, ob er meine Freude bemerkt hat. Nun, er ist mit dem Mustern der Autos beschäftigt und überlegt sich wahrscheinlich, welches meins ist. An der Hand ziehend schleppe ich ihn zu meinem VW-Käfer und ihm fallen beinahe die Augen aus den Höhlen. „Warum schaust du so blöd? Ist irgendetwas?"

„Dein Wagen wird diese Fahrt nicht mehr überleben. Er sieht ein wenig ramponiert aus. Und dass meine ich nicht böse, sondern meine Besorgtheit um dich veranlasst mich zu diesen Worten.“

„Eine sehr geschwollene Ausdrucksweise, mein Lieber! Um zu erklären, warum er so aussieht, wie er aussieht, gibt es keinen Grund dazu. Ich habe ihn schon so bekommen, wie er jetzt dasteht. Und er funktioniert.“

„Das möchte ich selbst mit eigenen Augen sehen. Ich glaube dir kein Wort! Der überlebt doch nicht einmal einen Meter, wenn er überhaupt startet.“

„Sei vorsichtig mit deiner Wortwahl. Meine Nachbarin kann bezeugen, dass mein Wagen fahrtüchtig ist.“ Kann sie nicht, aber ich brauche Argumente. Am besten überzeuge ich ihn mit einer Probefahrt. „Komm mit, wenn du mir nicht glaubst.“ Und das tut er.

Noah nimmt auf dem Beifahrersitz Platz und sieht mich schadenfreudig an. Ihm werde ich es zeigen! Jody lässt sich nicht so einfach unterkriegen!

Der Schlüssel wird durch meine Hand in den Zünder gesteckt und umgedreht. Bitte lass mich nicht in Stich! Innerlich atme ich tief durch und bereite mich auf den Test meines Lebens vor. Naja, es ist der Versuch Noah zu beeindrucken. Mein Imponiergehabe bleibt nicht unbemerkt, worauf mein Gegenüber nur ein Grinsen übrighat. Sollten sich nicht die Männer beweisen? Irgendetwas läuft hier definitiv gewaltig schief.

Mein Käfer gibt keinen Mucks von sich, aber davon lasse ich mich noch lange nicht entmutigen. Ich versuche es zum zweiten Mal. Und zum zweiten Mal werde ich enttäuscht. Immer energischer werden meine Versuche, bis sich eine Hand auf meine rechte Hand legt. Ich beruhige mich und senke meinen Kopf auf das Lenkrad. Was habe ich bloß angestellt? Ich habe meinen Stolz für eine kleine Wette aufgegeben! Wie konnte ich nur so dumm sein. Daran ist alleine der Wagen Schuld.

„Mach dir nichts draus. Jeder hat mal Pech. Wie wäre es, du setzt dich in meinen Wagen rein und ich fahre dich zu mir. Hm?" „Und das aber? Rede dich nicht draus, es gibt schließlich immer ein Aber!" „Diesmal gibt es keines." Ha, das glaubt er doch wohl selber nicht. „Ja, genau. Sarkasmus lässt grüßen. Wehe, du lässt meinen Wagen abschleppen! Ich garantiere dir eine lebenslängliche Bestrafung!" Wenn er nur wüsste, wie ernst ich es meine. Unglücklicherweise kann ich es ihm nicht zeigen, da es ein Beziehungs-Ende mit sich bringen würde. Und das will ich noch nicht. Ich möchte jemanden, der mich so schätzt, wie ich bin. Vielleicht ist Noah derjenige, der mich aus dem Loch der Langeweile und Selbstverzweiflung rettet. Er kann es sein, aber auch nicht. Es besteht immer das Risiko auf eine Trennung, doch das gehe ich ein.

„Das hatte ich nie vor." „Hm." „Glaubst du mir etwa nicht?" „Hm." „Ich lasse dich am besten in Ruhe." „Hm."

Jetzt spielt er die beleidigte Leberwurst, obwohl ich es sein sollte. Naja, Männer sind eben Weicheier, die schlecht mit Gefühlen umgehen können. Nicht nur Frauen erfüllen dieses Klischee, sondern auch das männliche Geschlecht.

„Komm, lass uns gehen. Ich bin todmüde." "Und ich habe mich noch auf eine heiße Bettrunde mit dir gefreut." „Und ich habe mich auf eine weiche und entspannende Bettrunde gefreut. Jedenfalls fallen mir gleich die Lider zu", unterstütze ich meine Worte mit einem Gähnen. „Du hörst dich an, wie eine Kuh, wenn du gähnst. Irgendwie tierisch lustig, wenn du mich fragst." „Gut, dass ich dich nicht gefragt habe und halt jetzt die Klappe. Daraus kommt eh nur Unsinn." „Wieso sollte ich auf dich hören? Wer von uns beiden ist älter? Und hat damit automatisch mehr Autorität?" „Weiß ich nicht. Du hast mir niemals dein Alter verraten. Jetzt wäre die perfekte Gelegenheit dazu." „Ja, wäre sie. Aber nur, wenn du auch dein Alter sagst." „Abgemacht. Du fängst an." „Ich bin zweiunddreißig. Und du?" „Neunundzwanzig, bald werde ich aber einen Runden feiern." „Wann?" „In drei Wochen. Trotzdem möchte ich das Ganze nicht an die große Glocke hängen. Falls du verstehst, was ich meine." „Keine Sorge. Dennoch möchte ich dein Geburtsdatum wissen." „Das musst du dir schon verdienen. Meinst du, ich gebe freiwillig meine Daten preis?" "Ehrlich gesagt: Ja, ich dachte du bist einfach zu haben." „Ich liebe deine Ehrlichkeit. Im Ganzen, mag ich Ehrlichkeit, vor allem da ich diejenige bin, die sich selten dranhält." „Dann sind wir ja der perfekte Ausgleich. Lüge und Wahrheit." „Ja, das sind wir wahrlich. Wo bist du nur vorher gewesen?" „In meiner Praxis, wo denn sonst. Nur du warst immer beim falschen Doktor, Schatz." „Um einmal die Wahrheit zu sagen, ich stehe nicht besonders auf Kosenamen. Spar dir diese für Haustiere oder ähnliches auf. Nenn mich einfach nur Jody und wir beide können glücklich weiterleben. Deal?" 

„Ja." Er steigt in seinen Wagen ein und wir verstummen. Noah schaltet das Radio ein, als sich die Stimmung zu trüben scheint.

„Wie weit ist es noch?" „Die Hälfte ist bereits geschafft." „Okay. Ich mag das Lied nicht. Zu viel Hip-Hop." „Frauen und ihre Stimmungsschwankungen." „Diesen Kommentar überhöre ich jetzt mal." Ich schiele zu ihm rüber, wobei er mich aber erwischt und fragend eine Augenbraue nach oben zieht. Trotzdem wandert meine Hand langsam zu der Drehscheibe, mit der man den Sender verändern kann. Schnell drehe ich aus Lust und Laune heraus und stoppe erst, als ein Metal-Song ertönt. „Du stehst anscheinend auf GENIE." „Wer ist das?" „Die Band, die diesen Song spielt." „Hm." „Hm", wiederholt er meine Laute. "Hmm", gehe ich drauf ein. „Hmmm." „Hmmmmmmm", siege ich.

Die restliche Fahrt verläuft stillschweigend, während ich aus dem Fenster aus die Landschaft betrachte. Je weiter wir von meinem alten Zuhause wegfahren, desto gepflegter erscheint mir die Natur. Das wüstenähnliche Gebilde verändert sich zu einer grünen Umgebung, in der sogar große Bäume Platz finden. Wunderschön ist das Adjektiv, das die meisten dafür verwenden würden. Nur ich kann nichts mit dem Ganzen anfangen. Die Pampa, in der ich wohnte, ist mir viel lieber gewesen, als diese städtische Gegend. Doch was tut man nicht alles für einen Mann.

Noah findet einen Platz in einem großen Parkhaus, wobei ich mir denken kann, dass es ihm gehört. Wie es scheint, badet er in Geld. Das tun Ärzte eben nach wie vor. Damals schon sind sie nicht gerade arme Schlucker gewesen, heutzutage sind sie wohl wohlhabend. Hm, was wäre ich wohl geworden, wenn ich nicht von meiner eigenen Familie in die Klinik eingewiesen worden wäre? Ich glaube, ich wäre Chemikerin an irgendeinem Institut geworden und hätte an dem Phänomen Krebs geforscht. Eine Traumvorstellung, die mit zahlreichen anderen Wünschen und meinen Eltern begraben wurde.

Ich öffne die Tür, bevor ich in dem Strudel meiner Gedanken hinab gezogen werde und für eine gewisse Zeit nicht mehr ansprechbar bin. Das möchte ich meinem Partner nicht antun, schließlich kennen wir uns kaum. „Warum willst du mich eigentlich als Freundin? Wir haben uns vor dem heutigen Tag noch nie gesehen oder gesprochen, da ist deine Haltung mir gegenüber ein wenig kurios." „Du hast etwas an dir, dass dich für mich interessant macht. Und das möchte ich tiefer ergründen, wenn du verstehst, was ich meine." Sein Blick zeigt mir seine unmögliche Seite und ich muss mir ein Grinsen verkneifen, weil ich ansonsten als verrückt dastehe. Obwohl mir Lügen nicht fremd sind, im Gegenteil sie sind mir mehr als mein Leben vertraut, könnte ich meine plötzlich auftauchende Fröhlichkeit nicht erklären. Was soll ich denn sagen? Dass er meiner mörderischen Anziehungskraft nicht entgehen kann? Wohl kaum. Am Schluss weist er mich wieder in eine Klinik ein und muss den Rest meines Lebens in sterilen Klamotten abhocken und mir täglich zehn verschiedene Medikamente spritzen lassen, die mich ruhigstellen. Das bedeutet so viel wie schlafen, den ganzen Tag über kein Auge aufzubekommen und wie ein Stein im Bett zu liegen. Ach die gute alte Zeit, in der ich mir noch keine Gedanken über meine gierigen Eltern, Verwandten oder anderen nervigen Menschen machen musste, sind die schönsten vier ersten Lebensjahre gewesen. Man ist zu sehr auf die Legosteine vor einem konzentriert gewesen, als die Gespräche im Hintergrund mitzuhören. „Natürlich verstehe ich dich. Du kannst deine perverse Seite auch nicht unter Kontrolle halten, oder?" „Du immer mit deiner wundervollen Ausdrucksweise", macht er mir ein indirektes Kompliment, dass ich ihn nerve. „Ich weiß, ich weiß, aber so bin ich eben. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, dann kaufe mir sofort eine neue Tür und ersetze die Alte." „Ich überlege es mir." „Du bist so ein Charmebolzen, Noah!" "Wie recht du hast."

Wir passieren das Tor nach draußen, dass zum Gehsteig führt und gelangen dadurch in das Haus, in dem er wohnt. Es sieht von außen warm und einladend aus, es hat sogar seine eigene Verkleidung, nicht das langweilige weiß, mit dem so viele Häuser in der Umgebung bestrichen sind. Anscheinend pflegt er auch einen kleinen Garten, in dem allerlei gepflanzt ist. Das meiste ist mir fremd, aber den Schnittlauch und die Tomatensträucher würde ich überall heraus erkennen. „Wie kann es möglich sein, dass deine Tomatenpflanzen so lange halten und dann sogar noch Ertrag einbringen? Besitzt du einen grünen Daumen?" „Ist das so schwer vorstellbar? Meine Eltern sind Gärtner gewesen, sie pflegen sogar im Alter von fünfundsiebzig Jahren noch einen großen Garten, ein rares Gut in der heutigen Zeit kann ich dir sagen. Ich liebe das Graben in meinem eigenen grünen Reich und würde es für nichts auf der Welt aufgeben." Nicht einmal für mich, wenn ich es hasse? Auch wenn das nicht der Fall ist, bin ich dennoch enttäuscht von ihm. Er rutscht auf der Skala nach unten bis zur acht. Anscheinend bemerkt er meinen finsteren Blick und kann sich denken, wonach es aussieht. Nach Streit, obwohl ich eigentlich keinen Grund dazu habe. „Egal, was es ist oder wer es ist, dein Vorschlag ins Bett zu gehen wird mir immer sympathischer. Obgleich heute keine gemeinsame Dusche herausspringt, bin ich schon froh, falls du es dir überlegst, mit mir in einem Bett zu schlafen. Also hopp, hopp. Ab in die Kissen!" So gute Laune bekomme ich nicht einmal beim Anblick meiner Süßigkeiten, von denen ich schon seit Tagen keine mehr gegessen habe. Möglicherweise liegen mir die Packungen, die ich reihenweise ausgeleert habe, noch schwer im Magen, dass ich keine mehr gewollt habe. Ja, das ist sogar ziemlich wahrscheinlich, angesichts der Tatsache, dass mein Magen ein überempfindliches Wesen ist, die immer nur Diät hält. Zwei Gegensätze, vereint in einem zerbrechlichen Körper. „Gute Idee", antworte ich nur.

Wir betreten sein Heim und ich staune nicht schlecht, als ich auch das Innere erblicke. Das Haus macht nicht nur von außen einen sagenhaften Eindruck, sondern auch von Innen. Die Wände sind in der Farbe Terrakotta bemalt und ich kenne keine passendere Bemalung für diese. Die altertümlichen Möbel geben dem ganzen einem heimischen Flair, mitsamt der restlichen Einrichtung. Noah führt mich um eine Ecke, hinter der sich eine Holzküche befindet, in der ich noch viel hantieren möchte, worauf wir ins Wohnzimmer abbiegen, wo mich eine riesige Sofaecke erwartet. Für mich ist sie riesig, denn meine besagte Größe von gerade einmal 1,60 Metern reicht aus, um für vier liegende Jodys Platz zu finden. „Wie kommt es, dass du statt einer großen Küche lieber ein Monstrum von Couch hast?" „Einfach deswegen, weil ich fast nie zu Hause bin. Abends liebe ich es mich in dem Sofa zu vergraben, statt mir ein anständiges Mahl zu kochen." Bestätigend nicke ich und erwidere ein: „Geht mir ebenso." „Dann muss ich wohl in nächster Zeit hungern, bis du dich erbarmst mir etwas zu Essen zu machen." „Schlauer Junge", ärgere ich ihn Er schnaubt, wobei sich seine Nasenflügel, wie die Nüstern eines Pferdes, aufblähen. Eine seltsame Angewohnheit, die er hat, wenn er eingeschnappt ist. „Eigentlich wollte ich eine kostenlose Küchenkraft als Freundin, aber jetzt habe ich vermutlich eine emanzipierte Frau an der Seite." „Du kannst manchmal richtig nett sein." „Ich weiß. Meine Freunde haben länger gebraucht, bis sie das festgestellt haben. Dabei hat einer von ihnen einen höheren IQ als Albert Einstein." Nach unserer kleinen Unterhaltung schlendern wir ins gegenüberliegende Zimmer, in welchem sich die Schlafstätte und seine Kleidung befinden. Neben dem ganzen Krimskrams, der sich überall hier verteilt wiederfindet, scheint mir meine Wohnung eine leere Bruchbude zu sein. Nur das ich mich in den letzten Monaten an die Leere gewöhnt habe und sie mir nichts mehr ausmacht. Ganz im Gegenteil, es ist Alltag geworden, mein Eigenheim so zu sehen. Morgen muss ich sowieso ausziehen und das kleine bisschen Saustall aufräumen, das ich hinterlassen habe. Als Noah sich durchgesägt hat, hat es richtig schlimm ausgesehen. Überall liegt Kleidung auf dem Boden, die ungewaschene Wäsche muffelt und die Süßigkeiten-Schachteln liegen umeinander. Hoffentlich macht sich Irene keine Sorgen, wenn sie mein Zuhause so vorfindet. Aber wie soll ich die ganze Thematik dem Vermieter erklären? Er hält mich doch für verrückt, falls ich ihm über den Vorfall aufkläre. Wie würde ich reagieren, wenn mir jemand erzählt, dass ihr zukünftiger Freund ein Loch in die Tür geschlagen hat, damit du in sein Haus ziehst? Ich würde ihn zuerst auslachen, bevor ich ihn einliefern lasse. Ich würde glauben, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, ehe ich ihn zu einer Geldstrafe verklage, weil er mein Eigentum zerstört hat.

Bettfertig lege ich mich in das, zum größten Teil aus Kissen bestehende, Bett und bin schon fast dabei, mich in die Traumwelt zu verabschieden. Noah stört mich bei meinem Vorhaben, wodurch ich ihn sauer anfunkle. Ich will schlafen, aber er hält mich auf, um Mitternacht ein Auge zuzumachen. Man könnte seinen Freund beinahe zum Teufel schicken, wenn man nicht wüsste, dass das noch viel zu gut für ihn ist. „Wann musst du morgen zur Arbeit?" „Keine Ahnung. Glaube Spätschicht. Jetzt lass mich schlafen!" „Okay, gute Nacht." „Dir auch eine schöne und ruhige Nacht." Die letzten Worte verschwinden in ein unverständliches Murmeln meinerseits, wonach ich in meine eigene Schlafwelt abtauche.

„Guten Morgen, Schatz“, drückt er mir einen Kuss auf die Lippen. Seit wann sind wir beim Aufwecken einer müden Person um zehn Uhr angekommen?

„Musst du nicht arbeiten, Noah?“

„Ja, eigentlich schon. Aber ich nehme mir heute einfach frei! Ich bin zu müde. Gestern ist einfach zu viel passiert. So viel Stress vertrage ich nicht. Ich lebe eher gerne nach Routine, wenn alles seinen festen Ablauf hat. Ich rufe gleich an, dass sie die Termine absagen sollen oder sie einem Kollegen aufdrücken sollen.“

Ob er gerade eine stressige Zeit hat, interessiert mich nicht im Geringsten. Wofür hat er dann meinen erholsamen Schlaf gestört? Ah, für sein egoistisches Ziel, nicht alleine wach im Bett zu liegen.

„Jedenfalls schlafe ich jetzt weiter.“

„Aber du hast doch schon gute neun Stunden Schlaf hinter dir. Das genügt für einen erwachsenden Menschen.“

„Was gut oder nicht gut für mich ist, entscheide ich immer noch selbst. Hau ab, wenn du mir nicht beim Schnarchen zuhören willst.“

„Du schnarchst nicht. Außer du zählst Sabbern zu deinen nächtlichen Vorlieben.“

„Das war eine Übertreibung“, gähne ich demonstrativ.

„Ich weiß. Ich bin ja nicht dumm.“

„Jaja. Ich möchte wirklich weiterschlafen, falls es dir nichts ausmacht.“

„Natürlich macht es mir was aus.“ Dafür könnte ich aufstehen, ein Küchenmesser holen und tief in sein Herz stechen. Er sinkt auf der Beliebtheitsskala auf sieben, da ein Freund aufopferungsvoll um seine Freundin besorgt sein sollte. Naja, im besten Fall die ersten Monate hinweg ein treuer Partner sein sollte.

„Ist mir egal.“

„Nett. Aber ich werde mich an deine raue Art bestimmt irgendwann gewöhnen.“ Ich nicht.

Er verlässt tatsächlich das Zimmer und meine Lider schließen sich, als hätten sie auf diesen Zeitpunkt gewartet.

Von wegen Frauen sind schlimm. Männer sind tausendmal schlimmer. Noah kann es auch nicht lassen und rüttelt nach einer guten Stunden Schlaf an mir herum. Vielleicht sollte ich ihn doch befriedigen, damit er Ruhe gibt. Warum werden immer die Frauen für ihre Unmöglichkeit schuldig gemacht, obwohl es die Männer sind? Na deswegen, weil Männer mehr Muskelmasse als Gehirn haben. Zum Nachteil für mein Geschlecht. Zum Vorteil für die männliche Art. Meiner Meinung stammen die Männer von Affen ab und wir Frauen sind durch Gottes Hand erschaffen worden. Aber da Gott irgendwann seine Zuneigung für die Männer entdeckt hat, sind wir auf die Erde geschickt worden, um sie auf ihren Weg zu begleiten. Wie es kommen musste, sind sie über uns hergefallen, da sie ihre so genannte Fleischeslust nicht unter Kontrolle hatten und wir haben für sie Nachkommen gezeugt. Gott hat uns deswegen für einen ewigen Aufenthalt auf der Erde bestraft, weil wir eine Sünde begangen haben. Und das nur, weil wir den Männern haushoch unterlegen gewesen sind. Die Welt ist eben schon immer ungerecht gewesen. Außer bei mir. Da hat das Schicksal einen Fehler gemacht. Ich habe die Fähigkeit Blitze zu erzeugen und damit Schreckliches anzurichten. Und genau das mache ich. Jedoch erst, nachdem ich eine Auszeit genommen habe und mit Noah abgeschlossen habe. Lange wird das nicht mehr dauern, wenn er mir weiter auf die Nerven geht.

Heute ist es genug für meinen gedanklichen Religionsunterricht, den ich höchstens einmal im Jahr aufrufe, um meine Überzeugungen in Erinnerung zu behalten. Ich besitze die Angewohnheit alles zu vergessen, was mir wichtig, oder auch unwichtig ist. Das Lückengedächtnis ist ebenso wie mein Magen ein Teil von mir, von dem ich mich nur schwer trennen kann. Leider ist es ohne Bauch unmöglich zu überleben, genauso, wie ohne Gedächtnis. Das wäre ungefähr das gleiche wie Alzheimer, eine Krankheit des Nervensystems, bei dem es keine Überlebenden gibt. Jedenfalls ist es so vor einem Jahrzehnt gewesen. Die Welt hat sich mit der Zeit verändert, aber auch ich bin nicht mehr die Alte. Eigentlich gefällt mir mein neues Ich, obgleich es manchen Leuten das Leben gekostet hat. Allerdings ist das der Preis, ich zu sein und ich würde es um nichts in der Welt eintauschen. Ich gefalle mir.

„Steh auf du Schlafmütze“, ruft er mir von der Bettkante aus zu. „Ansonsten muss ich dich holen kommen!“ Diese Drohung macht er wahr, als ich mich strikt weigere, nur einen Fuß aus dem warmen Bett zu setzten. Zugegeben ich bin nicht die Schwerste mit meinem Untergewicht von 39 Kilogramm, aber das ist immerhin nichts. Wenn ich nichts wäre, würde ich nicht mehr existieren. Die Welt würde meinen Tod bedauern, obwohl ich noch mehr hätte töten können. Ich muss unbedingt eine Auszeit nehmen! Am Schluss werde ich noch süchtig nach Blut. Ach was, dass bin ich schon! Ich habe eben ein wenig gebraucht, um es mir selbst einzugestehen. Trotzdem darf ich mich wegen meiner Sucht nicht herausreden, schließlich bin ich auch von meinem übermäßigen Tablettenkonsum losgekommen. Wie ich das geschafft habe, ist mir immer noch eine Frage.

„Ach, komm schon. Lass mich in Ruhe!“

„Nein, du hast lange genug geschlafen!“ Bevor es noch eskaliert, bin ich so freundlich und stehe auf, doch nicht ehe ich ein Kissen nach ihm geworfen habe. Er hat wieder eine große Ähnlichkeit zu einem Pferd mit überdimensionalen Nüstern und ich kann nur darüber lächeln.

„Warum grinst du so?“

„Also wenn das ein Grinsen für dich ist, dann hast du noch niemanden richtig Grinsen sehen.“

„Und wie sieht ein echtes Grinsen aus?“ Er verschränkt die Arme vor seiner Brust und entgegnet mir mit einem neunmalklugen Blick. Irgendwie hat das schon was für sich, aber ich weiß nicht was. Hoffentlich erkenne ich bald dieses verborgene Gefühl, dass sich in meinem Körper breitmacht, wenn ich ihn anschaue.

„So“, zeige ich mich von meiner lustigen Seite. Ich ziehe eine Grimasse, sodass meine Mundwinkel den höchsten Punkt in meinem Gesicht erreichen und ich gerade noch so die Augen aufhalten kann.

„Du siehst aus, wie ein Clown, der alle Kinder verschreckt.“

„Wie immer sehr nett“, erwidere ich ironisch.

„Das ist keine Beleidigung gewesen.“

„Und was war es dann?“

„Eine Feststellung.“

„Ha, dass ich nicht lache! Das sagen sie alle.“

„Gut, dass ich nicht wie alle bin. Themawechsel: Ich habe Frühstück gemacht.“

„Echt? Was denn?“, spiele ich ihm Begeisterung vor. Wenn er wüsste, dass ich alles wieder auskotzte, würde er mich mit medizinischen Fachbegriffen voll reden, sodass ich mich hinten und vorne nicht auskenne, worauf er mir Tabletten verschreibt. Da würde ich ihn nicht mehr als meinen Freund betiteln können, weil er so in seine Rolle als Doc vertieft wäre.

Und das möchte ich auf keinen Fall. Ich werde schon eine Lösung für das Problem finden. Wahrscheinlich ergibt es sich von selber, wie es fast immer der Fall ist. Jody, mach dir keine Sorgen und die Welt wird damit heiler.

„Speck nach englischer Art und dazu eine Gemüsepfanne. Ich habe gedacht, da schon fast Mittag ist, dass es nicht schadet, wenn ich Frühstück und Mittag zusammenmische. Im Magen wir sowieso alles zu Brei verarbeitet, deshalb ist egal, was man ist. Okay, so gleich kann es einem nicht sein. Hauptsache es ist gesund und reich an Nährstoffen. Findest du nicht auch?“

Einfach nicken und alles ist gut. Nicht einmal beim Essen wird man von seiner Klugheit verschont.

Er dreht sich um und ich schlendere ihm nach zum Esstisch. Darauf ist alles vorbereitet, gegessen zu werden. Zugegeben es sieht fantastisch aus und auch mein Magen trägt seinen Beitrag, indem er knurrt, bei. Aber ich habe einfach keinen Hunger. Sogar der Appetit fehlt mir. Wie soll ich nun etwas hinunter kriegen? Mein Weg für das Vorangehen auf meinem befüllten Teller, das mir Noah netterweise direkt vor die Nase gestellt hat, lautet Würgen. Ich stopfe so viel Essen in meinen Mund und schlucke es auf einmal hinunter, damit ich mich nicht viermal überwinden muss, das zu tun. Ich muss ziemlich schräg aussehen, so wie mich Noah mustert.

„Was denn?“

„Nichts. Wie kannst du so viel auf einmal schlucken? Muss das nicht den Rachenraum überdehnen und weh tun?“

Wo er recht hat er recht. Aber das werde ich um nichts auf der Welt zugeben. Dafür ist mein Stolz zu groß.

„Nein. Ich habe nur so viel Hunger“, lüge ich ihn an.

„Das, was du machst ist sinnlos, wenn du hungrig bist. Man sollte langsam essen, sonst ist du zu viel und dein Magen ist damit überfordert. In schlimmen Fällen kann es sogar so weit kommen, dass man sich übergeben muss.“

Die Lösung für eines meiner Probleme. Jetzt habe ich es herausgefunden. Ich muss nur langsamer essen, um den Mageninhalt so zu lassen, wo er hingehört.

„Okay, werde ich in Zukunft beachten, mein Arzt.“

„Hm, das wäre dir zu raten, Schnucki.“

„Wie kommst du bitte auf Schnucki?“

„Mein Kaninchen hat so geheißen.“ Wie kreativ mein Partner doch sein kann. Warum bin ich noch mal mit ihm zusammen? Wenn man sich das schon nach dem ersten Tag fragt, kann doch etwas nicht stimmen, oder?

Ich bin ab heute Schnucki, das Kaninchen. Haha, aber nicht mehr lange, wenn er weiter stetig auf meiner Skala sinkt.

„Aha." „Gefällt er dir etwa nicht?" „Es geht. Die Tatsache, dass ich wie ein verstorbenes Tier genannt werde, verstört mich ein wenig." „Ich wollte doch nur einen Kosenamen ganz speziell für dich. Heute nennt jeder Mann seine Freundin Schatzi. Das wäre mir zu langweilig gewesen." Er steigt wieder auf die Acht hoch. Langsam verstehe ich seinen Charakter. Er erscheint ein von außen als penibler und öder Arzt, der jedoch von seiner Art her, völlig anders ist. Er ist ein interessanter und liebenswerter Mann in Wirklichkeit, auch wenn er manchmal meine Nerven überstrapaziert. Und das alles habe ich schon nach einen Tag bemerkt. „Ja, Liebling. Ist schon gut. Ich mag es, wenn du mich so nennst. Es hat was an sich, das mir gefällt." „Ich bin froh, dass aus deinem Mund zu hören! Ich hatte vor dir nur eine Beziehung, die leider bereits nach zwei Wochen in die Brüche ging.

„Das sind ja gute Voraussetzungen!“

„Wirklich?“

„Nein, du Idiot! Natürlich nicht! Was denkst du denn?“

„Nur an dich, Schnucki.“

„Wie lieb von dir.“

„Wie lange brauchst du zum Umziehen?“

„Nicht lange. Wieso fragst du?“

„Wegen deiner Arbeitszeit. Bist du dir ganz sicher, dass du Spätschicht hast?“

„Naja, geht so.“

„Vielleicht möchte dich dein Partner noch an einen geheimen Ort entführen und dich dann zur Arbeit fahren und wieder abholen?“

„Ein sehr verlockendes Angebot Herr Musim. Ich muss gestehen, dass ich gewillt bin, mitzufahren. Vor allem muss ich dann bei der Arbeit nicht mehr anrufen.“

„Dann hopp, hopp zieh dich um. Ich räume derweilen den Tisch ab und warte draußen auf dich.“

„Okay.“

Tatsächlich hält er sein Versprechen und erwartet mich an seinem Auto gelehnt, während er einen Blick auf seine Uhr wirft.

„Neun Minuten und …… genau 42 Sekunden. Rekord!“

„Du hast doch erst einmal die Dauer meines Umkleidens gemessen. Wie kannst du es dann als Rekord bezeichnen?“

„Lass mich. Du musst immer alles schlechtmachen. Egal, steig einfach ein.“

„Kann es sein, dass jemand beleidigt ist?“

„Nein. Kann es sein, dass mich jemand nerven will?“

„Wenn dann müsste ich dich das fragen. Nicht du mich. Wer hat mich heute in aller Frühe aufgeweckt und mich zum Frühstück gedrängt?“

„Heißt, dass ich mir in Zukunft die Mühe Frühstück zu machen, sparen kann?“

„Ja, ich esse normalerweise nichts am Morgen.“ Und am Mittag und am Abend. Außer an manchen Tagen, wo ich es versuche und doch enttäuscht werde. Aber bisher habe ich mein Essen noch nicht ausgekotzt. Vielleicht gibt es doch so etwas wie ein Wunder für mich.

„Man sollte aber zwei Drittel seines Energiebedarfes am Morgen decken. Sonst kann es zu Gewichtsschwankungen kommen.“

„Da spricht mal wieder der Arzt in dir.“

„Das ist eben meine Berufung. Auch wenn es dir nicht passt, kann ich nichts dagegen unternehmen.“

„Ich weiß. Ich möchte dich auch nur ein wenig ärgern.“

„Ja, das habe ich schon mitbekommen, welches Bedürfnis du an unterdrückten Gefühlen zu verbergen versuchst.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Nun ja, mir springt förmlich dein Untergewicht ins Auge. Du bist schon fast an der Grenze zur Magersucht, wenn du sie nicht schon passiert hast.“

„Das kann dir doch egal sein! Das ist mein Leben, nicht deines!“

„Ist es mir aber nicht. Du bist die Liebe auf den ersten Blick, die ich nach so langer Zeit gefunden habe. Ich kann dich nicht aufgeben.“

„Wenn dann hast du ein Problem mit deiner Psyche! Wer glaubt schon an die Liebe? Die gibt es gar nicht.“

„Tut mir leid, dass ich ein elendiger Romantiker bin, aber so bin ich nun mal.“

„Ja, mir tut es auch leid, dass ich so bin wie ich bin.“ Dass ich eine Mörderin bin, die ihre Enttäuschung hinter einer Fassade aus Gleichgültigkeit wahrt.

Anscheinend ist das unser erster Streit. Mir kommt die ganze Beziehung surreal vor, irgendwie unecht. Wir sind seit vierzehn Stunden ein Paar und schon haben wir Streit. Hm. Wie das wohl enden wird?

 

 

Wer sind Sie? (überarbeitet)

Ich warte darauf, dass mich mein Freund abholt, aber er scheint mich sitzen gelassen zu haben. Vielleicht nimmt er die ganze Sache nicht ernst? Ich meine, wer tut das nicht? Doch er kann mich nicht einfach im Nieselregen hier draußen stehen lassen, bis ich entweder erfriere oder verhungere. Obwohl sein Haus höchstens fünf Kilometer von meinem jetzigen Standpunkt entfernt ist, bin ich nicht im Stande diese Strecke zu laufen.

Meine Füße schmerzen von dem acht Stunden Gehen in der Arbeit, wobei das nicht das Schlimmste war. Ich bin nicht fähig gewesen, mein Gehirn abzuschalten und nicht mehr an den Konflikt mit Noah zu denken. So sehr ich es auch wollte, ich habe immer an ihn gedacht. Was er wohl macht, oder wie er mit der Tatsache umgeht, dass er ein mörderisches Biest an seiner Seite hat. Gut, dass er nichts weiß. Geheimnisse in der Beziehung sind von Nöten, wenn man nicht verraten und eingesperrt werden möchte.

 

Als ich schon beschlossen habe, dass ich mir einfach ein Taxi bestelle, hupt ein Auto hinter mir. Ich drehe mich um und sehe in das bekannte Gesicht von meinem Freund. Er hat mich doch nicht vergessen!? Erleichtert lächele ich ihn an, was er nicht erwidert. Er ist bestimmt noch sauer auf mich.

Ich drehe eine halbe Runde um sein Auto, bis ich die Beifahrertür aufreiße und mich auf den Sitz neben ihn schwinge.

„Vergeben und vergessen?“, fragen wir uns beide gleichzeitig. Er grinst mich an und meint, dass wir anscheinend den gleichen Humor besitzen. Naja, ich zweifle daran.

 

Ich reiche ihm den kleinen Finger, wodurch er eine Augenbraue nach oben zieht. „Hak dich ein“, befehle ich ihm. Er tut es und ich ziehe einmal daran. „Was soll das?“

„Es ist ein Klein-Finger-Schwur. Er bedeutet, dass wir uns nie wieder streiten und uns gegenseitig vertrauen. Wer es wagt ihn zu brechen, muss sich entschuldigen und auf Knien angekrochen kommen.“

„Interessant, was deine Fantasie alles ausspuckt“, macht er mir ein Kompliment.

„Mein Horizont ist unbegrenzt", erkläre ich ihm stolz und lasse dabei meine Opfer außen vor. Er muss nichts davon wissen. „Hm, und warum verfolgt uns der gleiche schwarze Wagen bei der Heimfahrt, der uns auch schon bei der Fahrt zur Arbeit hinterher gerollt ist?" Eine fünfundvierzig Grad Drehung nach rechts verrät mir, dass uns tatsächlich ein altbekannter Wagen folgt. Es ist der gleiche, den ich mit meinen VW-Käfer abgehängt habe. „Ähm", bemerke ich unsicher. „Es ist eventuell der Fall, dass ich wegen Mordes angeklagt bin. So ein reicher Schnösel, mit dem ich an irgendeinen Abend, bevor er verschwunden ist, geflirtet habe. Nun denken seine Freunde, dass ich schuld bin. Obwohl ich gar nichts gemacht habe. Ehrlich nicht." Hoffentlich kauft er mir die Lüge ab. Mein Hundeblick trifft seinen verwirrten Gesichtsausdruck. „Ich meine wohl, dass ich mich verhört habe! Wie kann es sein, dass jemand meine unschuldige Freundin anklagt. Okay, Spaß beiseite. Es ist mein voller Ernst, wenn ich jetzt frage, ob du es auch wirklich nicht warst. Ich kann nicht mit einer Mörderin zusammen sein! Als Arzt, der anderen Leuten hilft, gibt es keine Möglichkeit mich von der anderen Seite zu überzeugen. Außerdem verstehe ich Mörder nicht! Wie können sie Menschen, auch wenn sie noch so Böses getan haben, etwas Derartiges antun." Oh, ich bekomme Schuldgefühle. Es ist wirklich so, dass sich mein Herz kurz zusammenzieht, nur um dann schnell weiter zu schlagen. Eine Emotion, die man Trauer nennt, breitet sich in meinen Körper aus. Sie rast durch meine Venen, bis sie an den Enden ankommt und nach draußen drängt. Innerlich krümme ich mich deswegen zu einem Haufen Elend zusammen, während nach außen hin nur eine Träne entweicht, die ich jedoch schnellstmöglich wegwische. Jody kennt keine Trauer! Sie darf es einfach nicht! Ich würde zerbrechen, wenn ich meinen Wall dem Boden gleichmache, worauf jedermann Zeuge wird und meine Unfähigkeit sieht, stark zu bleiben. Das möchte ich auf keinen Fall. Denn bevor ich mich aufgebe, muss viel mehr passieren, als das hier! Das ist eine Kleinigkeit, wegen der man sich keine Gedanken machen muss, wie die ganze Sache ausgeht. „Ja, alles gut", antworte ich auf die Frage nach meinem Wohlbefinden. Ja, alles ist gut. Mehr als gut. Es ist alles in Ordnung. Meine Welt kann nicht wegen einer kleinen Erschütterung meiner Gefühle aufhören, sich zu drehen. Ich habe acht Jahre damit verbracht, in der Langeweile einzugehen und auf mein Leben aufzupassen, da werde ich mich von Noah Musim nicht unterkriegen lassen. Hier hat Jody die Hosen an. Nicht ein verweichlichter Arzt, der sich um das Menschenwohl sorgt! Die kurze Fahrt verläuft nach dem Ende unseres Gesprächs ruhig, aber in angespannter Stimmung. In seinem Zuhause angekommen, schließt er die Tür hinter seinem Rücken und dreht gekonnt den Schlüssel um. Er lehnt sich nach hinten an, wobei er einmal laut durchatmet. Misstrauisch, welche Worte nun seinen Mund verlassen werden, verschränke ich die Arme vor meiner Brust.

„Ich vertraue dir. Auch wenn wir gerade mal einen Tag ein Paar sind, was zwar sehr kurz ist, aber mich in keinerlei Weise in meiner Meinung einschränkt, bin ich gewillt, dir die Detektive vom Hals zu schaffen." Überwältigt umarme ich ihn und drücke nebenbei einen Kuss auf seine Lippen. „Für was war der?" „Für dich, Noah." „Wenn ich für meine Hilfsbereitschaft immer so entlohnt werde oder sogar mit noch mehr Küssen, werde ich dir wohl lebenslang aus der Patsche helfen." Er rutscht auf meiner Skala auf eine glatte Zehn. Wie kann er nur so lieb sein? Es stellt sich eher die Frage: Warum bin ich nur so böse? Darauf weiß ich keine Antwort. Irgendwie ist es schon immer da gewesen. Ich meine diese Sehnsucht nach dem Tod. Nach dem Tod anderer. Das unbeschreibliche Gefühl, wenn das Blut eines Halbtoten durch deine Hände fließt und du sein Leben wortwörtlich in der Hand hältst. Du bist dir sicher, dass er es nicht überleben wird, weil er zu schwach ist. Dennoch gibt er sein Betteln nach der Erlösung von den Schmerzen nicht auf. Er kennt es eben nicht besser. Man sollte, falls man dem Tod ins Auge sieht, ihn nie nach Leben anflehen. Er wird es dir nicht geben. Dazu hat er zu viel Spaß, indem er dich mit Schmerzen versieht.

„Wie willst du eigentlich dagegen vorgehen? Ich meine, du bist nur Arzt, der gegen Richter, die im Übrigen Jura studiert haben, handeln möchte. Ich will dich nur darauf hinweisen, dass du keine zehn Jahre darauf verwendet hast, dass Gesetz zu studieren." „Das ist mir durchaus bewusst, aber es sollte dich irgendwann ein Arzt untersuchen, um zu sehen, ob du psychisch korrekt bist. Das wird früher oder später sowieso der Fall sein. Denn falls du es bist, haben sie den Schuldigen, egal, ob du es nun warst oder nicht, schließlich interessieren sich die Richter in der heutigen Zeit nicht mehr für die Wahrheit. Sie legen dir einfach Fesseln an, da sie den Freunden von den Vermissten nicht mehr vertrauen, als einem armen Schlucker. Wenn dein Geist instabil ist, weil ich es überprüft habe, werden sie dich in eine geschlossene Anstalt einweisen und sie haben trotzdem ihren Mörder", klärt er mich euphorisch auf. Die Klinik. Ich werde wieder in ein Irrenhaus eingewiesen werden, wenn ich dem zustimme. Nein, ich kann das nicht! Ich will nie wieder Spritzen in die Venen gejagt bekommen oder gezwungen werden, Tabletten zu nehmen. Zwar haben sie das Schmerzempfinden abgeschwächt, sodass ich nicht viel gespürt habe, wenn ich mich irgendwo angerempelt habe, dennoch, im Nachhinein, bin ich mir sicher, dass es auch meine Fähigkeit eingeschränkt hat. Lange ist sie vergessen worden. Ein wichtiger Teil meiner selbst hat mir fast ein ganzes Jahrzehnt gefehlt. Und ich habe nichts dagegen unternehmen können. Die Leere hat sich innerlich ausgeweitet, bis ich ganz ausgehöhlt war und zu nichts mehr im Stande war, außer den Primärbedürfnissen nachzugehen. Eine schreckliche Zeit, die ich niemals wieder durchmachen will. Nicht einmal, wenn der Untergang droht.

„Du weißt schon, dass wir getrennt sind, falls du so dumm bist und mich einweist. Ich habe dir viel zugetraut, aber das ist einfach unaussprechlich dämlich." „Mein Herz blutet deiner harten Worte wegen. Meinst du wirklich, dass ich mich jemals von dir trennen würde? Das wäre unmöglich! Was würde ich nur ohne dich machen?" „Leben." Was für eine Bedeutung dieses Wort hat, wird er hoffentlich nie erfahren. Ansonsten bleibt mir keine andere Wahl, als ihn umzubringen, falls er sich meinem Willen nicht fügt. Er wird sich niemals damit zufriedengeben, dass ich töte. Es wird ihn in den Wahnsinn treiben, dass ich, Jody, eine magersüchtige und zierliche Person, überhaupt fähig ist, dass zu tun.

"Das tue ich doch. Jedenfalls, um auf das Thema zurück zu kommen, kann ich dich mit einem Nachweis von deiner Klinikzeit befreien und demnach ein schönes Leben führen, bis wir alt und grau sind. Wie wär's?"

"Hört sich gut an. Aber wie kannst du dir sicher sein, dass wir uns auch noch in dreißig Jahren so gut, wie nach einem Tag, verstehen werden? Ich meine, was können vierundzwanzig Stunden über einen Menschen aussagen?"

"Ich bin mir selbst nicht sicher, was mich dazu gebracht hat, mich an dich zu klammern. Ich bin sonst nicht so besitzergreifend. Das ist eben nicht mein Charakter."

„Stimmt. Jeder hat mal Momente, in denen er nicht er selbst ist. Davon habe ich genügend. Ich bin einverstanden mit deinem Vorschlag. Ich werde auf das volle Risiko gehen und nichts wird mich von dieser Entscheidung abbringen." Höchstens der Tod.

《《《《 Einen Monat später 》》》》

„Hast du die Belege für meine angeblichen Probleme?" „Ja, sind in der Tasche." „Gut, dann kann’s ja losgehen. Ab ins Gericht." „Ich kann immer noch nicht fassen, dass du trotz der geringen Beweislage für schuldig angesehen wirst." „Das hatten wir doch schon. Ich kann auch nichts dafür, wenn die Polizisten den reichen Freunden von dem Verschwundenen eher glauben, als mir." „Ja, diese Bestechungsgelder immer. Solche Leute haben einfach viel zu viel Geld. Sie wissen gar nicht mehr, was sie damit anstellen sollen!" „Reg dich ab, Schatz. Wir werden die Sache für uns entscheiden, auch wenn wir heute vor Gericht verlieren werden. Die können mich nicht hinter Gittern bringen!" „Ja, genau, Schnucki." Genervt stöhne ich auf. „Gewöhn dir bitte ab, mich in der Öffentlichkeit Schnucki zu nennen. Sonst hegen die Ankläger und Richter noch Verdacht, dass wir zusammen sind. Dann wäre dein Attest wirkungslos und die ganze Sache ist gelaufen. Dumm für uns, weil wir uns dann gewiss für zehn oder mehr Jahre nicht mehr wiedersehen werden." „Du tust gerade so, als wärst du wirklich schuldig. So reumütig habe ich dich noch nie erlebt." „Bist du dir etwa deiner Sache nicht mehr bewusst? Du musst mich verteidigen und nicht unnötig Fragen stellen. Es kann vielleicht sein, dass ich aufgeregt bin und keine Ahnung habe, was ich machen soll", flunkere ich ein wenig, damit er nicht den wahren Grund bemerkt. Er ist verdammt nah dran gewesen die Wahrheit zu entdecken und das darf ich auf keinen Fall geschehen lassen. Das wäre genau so, als würde ich den Vertrag für mein Todesurteil unterschreiben. Einfach dumm gelaufen und nicht mehr rückgängig zu machen. Das wäre schade, da er mir in der kurzen Zeit, die wir in der Wohnung verbracht haben, näher, als nah, gekommen ist. Ich habe sogar ein Weihnachtsgeschenk besorgt. Fast hätte ich es vergessen, da ich im letzten Jahrzehnt kein derartiges Fest mehr gefeiert habe, wenn man den unglücklichen Jahren davor keine Beachtung schenkt. „Spricht momentan die Zicke in dir oder Jody-Normal zu mir? Bin mir gerade ziemlich unsicher." Manchmal geht mir dieser Möchtegern-Arzt auf die Nerven, aber eben nur manchmal. Deswegen ist er in den vier Wochen, die unsere Beziehung schon andauert, auf die acht meiner Bewertungsskala gerutscht. Einen Jubelschrei für meine Geduld und das Zurückhalten meiner wahren Natur. Obgleich es mir in der letzten Woche schwergefallen ist, den Stress ohne Opfer zu bewältigen, habe ich es dennoch geschafft. Es war schwer und beinahe hätte ich aufgegeben, dagegen anzukämpfen, doch Noah hat mir keine andere Wahl gelassen, als mich normal zu benehmen. Schließlich darf ich mir keinen Fehler in seiner Gegenwart erlauben, ansonsten kann ich Ade zu meinem Geheimnis und zu meinem Verteidiger sagen.

„Am besten ich sage nichts mehr. Du machst dich doch nur lustig über mich", klage ich ihn an. „Nein, nein, du verstehst mich falsch. Ich versuche nur mit dir zu lachen, um eine leichte Heiterkeit herzustellen." „Haha, sehr lustig. Öffne den Wagen und steig ein", dränge ich ihn zu einem schnelleren Tempo. „Jaja, Schnucki." „Ich kann mich selber verarschen. Also los geht's! Übrigens, wenn du meinen Käfer nicht nach Festerfield geschickt hättest, wäre ich immer noch stolze Besitzerin eines Oldtimers!" „Das ist deine Sicht. Aber ich kann dich leider nicht der Gefahr aussetzen, dass du mit deiner Karre einen Unfall machst. Dir traue ich alles mit einem solchen Monstrum von Oldtimer zu. Bei deinem Fahrstil!" „Ich bin eine ausgezeichnete Fahrerin." „Wer behauptet das?" „Ich." „Das habe ich mir schon fast gedacht. Leider weiß meine Freundin oft nicht, was gut für sie ist oder nicht und muss heute vor Gericht aussagen." „Dafür kann ich nichts! Wenn die Freunde von diesem blöden, verdammten Esel mich unbedingt anzeigen mussten, sind sie selber schuld. Ich wollte ja schließlich nicht zu einer Stunde Richtergerede eingeladen werden. Die werden mich so fertigmachen" „Warum denn so optimistisch?" „Ich habe nicht gerade positive Erfahrungen mit solchen Dingen gesammelt." „Meinst du damit, dass du schon öfters die Schuldige spielen musstest?" „Ja. Ich möchte darüber nicht reden. Es sind teils schlimme Kindheitserinnerungen." „Ich verstehe", drückt er aufmunternd meine Hand. Tatsächlich gibt es mir ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, seine warme Hand auf meiner kalten zu spüren. Dankbar lächele ich ihn an und er schenkt mir eines seiner breiten Grinsen. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich in dieser Situation machen sollte." „Dir wahrscheinlich die Haare raufen und Ade zu der Welt sagen." „Ich bin nicht selbstmordgefährdet, also kann man diese Möglichkeit schon einmal ausschließen." „Sei vorsichtig mit dem, was du sagst. Es kann sich binnen weniger Minuten ändern und ich muss dich aufziehen, da du gelogen hast." „Weißt du, wie ätzend du manchmal sein kannst." „Dafür liebst du mich." Tue ich das? Unsicher horche ich tief in mich hinein und vergleiche die Gefühle, die ich beim bloßen Gedanken an ihn verschwende, mit denen, die Liebe beschreiben. In meinem Bauch ist eine unergründliche Wärme, die sich bildet, wenn ich mit Noah in einem Raum bin. Glückshormone werden ausgeschüttet und zwingen mich, ihn anzulächeln, egal wie dumm sein Witz auch ist. Meine Knie geben bei jedem Schritt leicht nach, da ich mehr auf ihn, als auf alles andere achtet. Vielleicht ist das wirklich Liebe. Liebe, von der so oft gesprochen wird, dass man glaubt, sie sei allgegenwärtig. Ich fasse einen Entschluss, der mein Leben beeinflussen wird. Ob im positiven oder negativen Sinne, ahne ich nicht. „Ja, das tue ich. Ich liebe dich." „Ach Schnucki, es ergeht mir ebenso." Froh, dass auch er mir ein Geständnis gemacht hat, schaue ich glückselig grinsend aus den Autofenstern. Jedem möchte ich mein Glück mitteilen, doch keiner ist in der Umgebung, der sich für meine Existenz interessiert. Das dämpft meine erst kürzlich gefundene Fröhlichkeit ein wenig, aber trotzdem ist noch genug erhalten, um die Verhandlung überstehen zu können.

Alles im Gerichtssaal erinnert mich an dem Tag, an dem beschlossen wurde, dass ich eine Gefahr für das Gemeinwohl der Menschen bin. Dieser Tag hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, wie ein heißes Hufeisen in die Haut einer Kuh. Nur mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass auf der Bank mir gegenüber nicht meine Eltern, sondern die Freunde meines vierten Opfers sitzen. In mir steigt das Verlangen hoch, ihnen einfach rüber zu schreien, dass sie ihren Freund nicht mehr oberflächlich betrauern müssen, da er bereits das Zeitliche gesegnet hat. Doch das würde meine Chance auf Freiheit erheblich minimieren, was ich nicht unbedingt provozieren will. Sicherheit geht vor.

Wir sitzen auf den gepolsterten Stühlen und starren uns gegenseitig an. Die Familie des Verstorbenen sitzt mir sprichwörtlich im Nacken, wobei sie nur einen Katzensprung davon entfernt sind, mich mit ihren Blicken zu erdolchen. Pff, als wäre ich die Schuldige. Sie können mich nicht anklagen! Ich habe keine Spuren hinterlassen oder sonstiges Verdachtsmittel. Die Richterin räuspert sich. Noch ein Unterschied. Damals war es ein Mann, der mich verurteilt hat. Leider ist er kurz darauf an einem Herzinfarkt gestorben und konnte meine Einlieferung nicht mehr miterleben. Ganz zu schweigen von meiner Freilassung, denn nach dieser hätte er es hundert pro nicht geschafft, mir zu entkommen. Zu schön lechze ich nach dem Leid anderer, als das ich es aufgeben würde. Vor allem, wenn es diejenigen Menschen sind die einem am Nächsten standen, nur um mich darauf zu verraten. Zu enttäuschend sind meine Erinnerungen an die Familie und Bekannten, welche sich gegen mich gestellt haben.

„Wir beginnen die Verhandlung. Ich bitte Sie, Jody und Sie Frau Hallerie, sich zu erheben und zu begrüßen." Kann es sein, dass das nicht Patricks richtige Mutter ist? Oder haben sie sich geschieden? Beides möglich, eines falsch. Wir nicken uns höflich zu und auch Herr Banles wird zur Begrüßung aufgerufen. „Gut. Als erstes werden die Freunde des Verschwundenen Patrick Banles befragt. Fiona Zigl bitte auf den Aussagestuhl." Eine weitere Veränderung. Damals bin ich als Erste aufgerufen worden, um meine Wahrheit zu überprüfen. „Wo sind Sie zur Tatzeit gewesen." „Auf der Toilette. Aber als ich meine Bedürfnisse erledigt habe und die Tür aufgeschwungen habe, habe ich Patrick mit ihr in der Ecke stehen sehen." „Welches Alkoholpensum haben sie bis dahin erreicht?" „Keine Ahnung. An den Abend kann ich mich nur noch schwer erinnern. Zu heftig ist das Resultat unserer kleinen Feier." „Natürlich, Frau Zigl. Wie sind Sie zu Herrn Banles gestanden." „Wir hatten ein gutes Verhältnis. Wir unterstützten uns in den schlimmsten Momenten und unsere Freundschaft hat auf gegenseitigem Vertrauen basiert." „Sowie Sie es darstellen, ist ihre Beziehung zu Herrn Banles sehr eng gewesen. Warum sind Sie keine Beziehung eingegangen?" Fiona zuckt mit den Schultern und schüttelt den Kopf. Von wegen! Sie hatten garantiert Streit wegen ihrer Gefühle, die sie für ihn empfand. Unglücklicherweise bin ich in der Nacht gekommen und habe ihn von seinem Leiden erlöst. Nie wieder muss er die Gesellschaft dieser nervigen Person erdulden. Fiona Zigl wirft ihr gebleichtes, braunes Haar hinter ihren Rücken und flattert mit den Wimpern. Ich habe gerade die Bestätigung meiner These bekommen: In jeder Frau steckt das Aufmerksamkeits-Syndrom, jede genießt anzügliche Blicke auf sich. Sie muss sich wohl ziemlich hoch einschätzten, wenn sie noch so selbstbewusst agiert. Bei mir ist es anders gewesen. Vollkommen anders. Vor etwa zehn Jahren haben sie mich mit ihren Blicken durchbohrt und hätten mich verbluten lassen, wenn es der Wirklichkeit entsprochen hätte. Sogar mein Herz wurde nicht verschont. Sie haben es mit Füßen getreten und es damit zerstört. Doch ein kleiner Teil an Liebe hat überlebt. Mir wird klar, dass Noah diesen besagten Teil wieder aus seinem tiefen Schlummer erweckt hat. Ja, auch ein Monster kann lieben.

„Ich drücke es mal so aus, dass er meine Gefühle nicht erwidert hat. Doch ich bin schnell über die Abweisung hinweggekommen und habe, wie gewohnt, mein Leben weitergelebt." „Und Sie haben kein Verlangen gespürt, sich zu rächen?" „Nein, wieso sollte ich? Er hat mir schließlich nichts getan", erwidert sie perplex. „Haben Sie sich in dem Zeitraum, in dem er verschwunden ist, verabredet?" „Nein....Ja.....Nein.....Ja! Jetzt weiß ich es wieder! Er hat mich gefragt, wann ich Zeit hätte, mit ihm auszugehen. Damit meint er, seinen Status zu wahren ohne, dass er ständig die Frauen an seiner Seite wechseln muss. Ich war sozusagen seine Fake-Freundin.“

„Interessant. Wie sind Sie zu dieser Haltung gestanden?“

„Er ist ein guter Kumpel von mir und ich habe es gerne getan, schließlich unterstützen sich Freunde untereinander. Wenn nicht, was sind es bitte für Freunde, oder?“

„Könnte es nicht sein, dass sie eifersüchtig gewesen sind? Möglicherweise hatte er eine Affäre und sie sind mitten im denkbar schlechtesten Augenblick in seine Wohnung geplatzt, um ihm etwas zu sagen. Dabei haben Sie die Geliebte gesehen und sind ausgerastet.“

„Sollten Sie nicht Jody verhören? Ich bin hier nicht der Sündenbock.“

„Sie haben mir nicht zu sagen, was ich tun soll. Diese Entscheidung liegt ganz alleine bei mir. Falls Sie sich nochmals einzumischen drohen, müssen Sie vor dem Gerichtssaal auf das Urteil warten.“

„Ja.“

„Sie dürfen sich nun zurück auf ihren Stuhl bewegen. Leopold Jansen. Setzen Sie sich bitte.“

Ein mittelaltriger Mann mit Bierbauch im Schlepptau, bewegt sich auf den Verhörstuhl zu. Es ist ihm anzusehen, dass er nicht gerne hier ist. Wer ist das auch?

„In ihrer Akte steht, dass Sie Familienvater sind und zwei Kinder groß zu ziehen haben. Wäre es nicht fatal, falls Sie an dem Verbrechen Schuld sind?“

„Ich verstehe das nicht. Ich hätte gedacht, dass Sie“, er zeigt mit dem Zeigefinger auf mich, „verdächtigt wird und nicht ich.“

„Das alles sind legitime Fragen. Wenn Sie nicht fähig sind, sie zu beantworten, müssen wir es als Bestätigung anerkennen, dass Sie möglicherweise in den Fall verwickelt sind.“

„Nein! Auf keinen Fall! Ich bin nur ein guter Freund von Patrick gewesen. Wir haben viele Leidenschaften geteilt, wie das Pokern.“

„Sie haben gespielt?“

„Manchmal. Mehr oder weniger oft." „Ging es dabei um Geld?" „Wir haben nicht um Geld gespielt. Wir haben eine eigene Variation des Spiels, da wir statt Noten Wertgegenstände getauscht haben." „Um welche Wertgegenstände hat es sich dabei gehandelt?" „Autos, Zigarren oder ähnliches. Sie wissen schon. Alles, was ein Männerherz begehrt." „Nun ja, es kommt auf die Tatsache an, dass sie vielleicht illegal gehandelt haben. Welche Zigarren sind es gewesen?" Leopold Jansen scheint hartnäckig nach einer Lösung zu suchen, damit er noch unbeschadet aus dieser Angelegenheit rauskommt. Leider ist es, nach dem Gesichtsausdruck der Richterin zu beurteilen, unmöglich sich als Unschuldslamm darzustellen. Hm, da hat sich einer zu früh gefreut. Er hat sich einen Fehler erlaubt und geht dadurch zu Grunde. Seine ganze Existenz ist nichts mehr wert, wenn er in den Knast wandert und seine enttäuschten Kinder alleine zurücklässt. Kinder reagieren äußert schlecht darauf, wenn ihre Eltern eine Strafe absitzen müssen. Vor allem, weil deren Vater einen schlechten Ruf hat, der ihre Chance verringert, ein glückliches Leben zu genießen. Man muss allein mein Dasein mit dem potentiellen Leben eines Kindes vergleichen, um festzustellen, dass es niemals sorgenfrei sein wird. „Nein, natürlich nicht. Sie sind legal in Kuba hergestellt worden und zwar von wahren Meistern. Sie fühlen sich fantastisch an und zergehen im Mund, wie flüssige Schokolade. Wollen Sie mal probieren?" „Ich könnte Sie wegen versuchter Bestechung verklagen, aber da wir zurzeit einen wichtigeren Fall behandeln, werde ich diese Sache vergessen. Lassen Sie uns die letzte Sache nochmals aufgreifen! Die Wägen. Welche Marken haben Patrick und Sie getauscht?" „Lamborghini, Ferrari, Jaguar usw. Nichts Verwerfliches." „Wie man es auffasst, Herr Jansen. Es sind sehr teure Fahrzeuge. Über einen Haus-Durchsuch kommen wir wohl nicht hinweg. Natürlich unangekündigt." „Wie Sie meinen. Sonst noch Fragen? Ich muss in einer Stunde zu einem wichtigen Termin." „Herr Jansen, Sie haben wohl noch keine Gerichtsverhandlung miterlebt! Ich beende hier die Sitzung. Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, werden wir gewisse Maßnahmen ergreifen müssen, um sie an Ort und Stelle zu halten." „Das können Sie ja versuchen. Nur leider werden Sie damit keinen Erfolg haben. Ich bin mächtig und muss nicht gerade am Hungertuch nagen! Sie werden keine Chance gegen mich haben!" „Herr Jansen, bitte setzen Sie sich wieder. Das Recht siegt immer." „Genau. Und mein Penis besiegt Ihren Uterus!" Empört steht die Richterin auf, wobei sie den Stuhl nach hinten umwirft. Sie knallt ihre Hände auf den Tisch, wodurch ein lauter Schall durch den Saal hallt. Anscheinend ist Sie nicht mehr Herrin über der Lage, denn sie schnauft nur noch hektisch ein und aus. Außer Rand und Band wollen manche Personen aus dem Raum gehen, werden aber von den Sicherheitskräften aufgehalten. Tja, zu früh gefreut, würde ich sagen. Die Polizisten weichen in die Verteidigungshaltung aus, um den Ansturm zu bewältigen. Zwei Männer greifen tatsächlich die in schwarz, gekleideten Männer an. Eine Frau probiert es mit einer kleinen List und möchte sich zwischen den fünf Beamten hindurch schlängeln, was ihr jedoch nicht sonderlich gut gelingt. Einer der Sicherheitskräfte packt sie an den Handgelenken und zerrt sie zurück in die Bank, aus der sie aufgestanden ist. Diese Prozedere lässt die mittelaltrige Frau nicht über sich ergehen und will den hoch gewachsenen Mann in den Schwitzkasten nehmen. Leichter gesagt, als getan, denn er ist rund einen Kopf größer als sie.

Eine kurze Weile sehe ich den Bewältigungsversuchen des Mannes noch zu, bis er es mit Gewalt regelt. Er setzt sich einfach auf sie und verdreht die Handgelenke hinter ihrem Rücken. Man sieht deutlich, von meinem Standpunkt aus, wie sie fest die Zähne zusammenbeißt und höre sie Flüche murmeln. Dabei geht sie nicht gerade sittsam vor, wenn man ihre derben Sprüche oder nur Bruchstücke mitverfolgt.

Gelassen breite ich meine Arme auf den Tisch vor mir aus und beobachte das ganze Geschehen. Ziemlich übertrieben meiner Meinung nach. Es ist ja schließlich nicht so, als würden sie deswegen nicht bestraft. Natürlich werden sie das. Schon alleine deswegen, weil sie meine Migräneanfälle fördern. Es bereitet einem unnötigen Stress und dann wird man von diesen Fremden auch noch beschuldigt, einen gewissen Patrick Banles umgebracht zu haben. Es stimmt zwar, trotzdem würde ich es nie vor versammelter Mannschaft zugeben. Mein Schicksal wäre besiegelt, falls ich es je in Erwägung ziehen würde.

Noah, neben mir, wuselt schon eine geraume Zeit um mich herum und weiß nicht, wie er mit der momentanen Lage umgehen soll. Andauernd fragt er mich nach Rat, obwohl ich mir selber nicht sicher bin, wie man sich verhalten soll. Ich bleibe lieber im Hintergrund und verschaffe mir somit einen breiteren Sichtwinkel. Denn, wenn man diese Angelegenheit von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, bemerkt man, dass der Fokus nicht länger auf mir verweilt. Das ist gut, weil ich dadurch so gut, wie aus dem Schneider bin. Zwar sitze ich immer noch auf der Anklageseite, dennoch wird nun mehr auf die Ausreißer geachtet.

„Setz dich endlich“, befehle ich Noah grob. Langsam bedanken sich meine Nerven mit einem Wutanfall bei ihm.

„Tut mir leid, aber ich kann dir nicht ganz folgen. Du sitzt einfach nur da und wartest die Zeit ab, die wir hier verbringen müssen, während alle aufgeregt sind und sich wegen des Vorfalls nicht beruhigen können. Ich verstehe das eben nicht!“

„Ich kann es eben. Wenn du es nichts akzeptierst, wirst du dich wohl oder übel meiner Antwort fügen müssen. Zurzeit ist meine Aussage wichtiger, als deine.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich meine, dass ich dich von der Gefängnisstrafe, die du sicherlich bekommst, befreien kann. Sieh es positiv! Niemand kennt dich hier und will dir zudem etwas Böses. Sie brauchen lediglich einen Sündenbock, der die Last auf sich nimmt.“

„Ich würde das auch ganz alleine schaffen. Bis jetzt habe ich das immer! Ohne Mann, der mit seinem Reichtum protzt.“

„Das tue ich überhaupt nicht. Das bildest du dir höchstens ein oder wünscht es dir.“

„Ich habe selber genug Geld, um ein paar Jahre nicht arbeiten zu müssen. Du bist nicht der einzige, der Großanlagen besitzt.“

„Meinst du damit Aktien, oder wie definierst du Großanlagen?“

„Ja, genau. So ähnlich.“ Falls man einen Banküberfall mit dem Kurs von Aktien vergleichen kann, dann schon. Wenn nicht, ist es nicht mein Problem. Ich kümmere mich um nichts, außer denen, die mir ans Herz gewachsen sind. Ha, das ich nicht lache! Das könnte ein Witz sein! Ein jodyscher Witz!

Die Menge hat sich beruhigt und weitere Menschen sagen aus. Die Zusammenfassungen der Meinungen, wo er stecken könnte, oder wo er begraben liegt, reichen von dem gebuddelten Erdloch bis zum Sprung vom höchsten Hochhaus der Welt. Das letzte erscheint mir etwas komisch, weil man dieses nicht überlebt. Ganz davon zu schweigen, dass ich das nie ausprobieren will. Mir wird schon schwindlig, wenn ich im Flugzeug sitze. Einmal und nie wieder, leitet meine These. Sie stimmt völlig, da man keine zweite Angst braucht, wenn man schon eine hat. Die letzte Zeugin verlässt gerade den Zeugenstand und ein Umschlag mit ihren Namen und Adresse wird ihr noch gegeben, bevor man sich mir zuwendet. Das Beste kommt, wie immer am Schluss.

Die Knie übereinander verschränkt, gebe ich den seriösen Anschein, als würde ich das jeden Tag machen. Wüsste sie, dass ich erst einmal in einer ähnlichen Art von Raum gewesen bin, wäre sie wohl nicht so höflich zu mir gewesen. Vermutlich denkt sie auch nur etwas Abschätziges über meine Art und Verhalten. Möglicherweise ist das tatsächlich der Fall.

„Wer sind Sie?“ Warum muss ich mich selbst vorstellen? Hat diese Gesetzeshüterin überhaupt keinen Plan, was sie machen muss? Sie hat bis jetzt, jeden anders begrüßt, als den letzten oder die anderen. Solange sie mir keinen Kosenamen gibt, bin ich zufrieden mit meiner momentanen Lage.

„Jody.“

„Nachname?“ Kann sie keine normalen Fragen stellen. Ich übergehe diese Aufgabe gewissenhaft.

„Steht er nicht in meiner Akte?“

„Ja, aber dennoch möchte ich ihn von Ihnen hören.“

„Nein, aber ich möchte nicht. Sie können bestimmt lesen, also machen Sie leise. Wir wollen ja keine Zeit vergeuden.“

„Heute ist definitiv nicht mein Tag“, beschwert sich die Frau vor mir. Ich kann genau in ihr Gesicht sehen, dessen Augen sich in meine hineinbohren. Aua, meine armen Sehobjekte.

„Was möchten Sie von mir wissen?“

„Den Nachnamen haben Sie nicht geantwortet. Versuchen wir es mit einer einfacheren Frage: Was haben Sie in den letzten zehn Jahren getan. Wir finden nichts.“

„Genau. Ich habe nicht arbeiten wollen, weil ich mein Leben zu schade dafür finde.“

„Trotz der Unlust, die Sie geplagt hat, haben Sie sich bestimmt nicht der Wehrmacht entziehen können, oder? „

„Davon weiß ich nichts.“

„Wie ist das möglich?“

„Eventuell hat mich das System übersehen.“

„Wir leben in keinem System, sondern in einer Demokratie.“

„Es macht keinen Unterschied.“

„Doch macht es. Da es sinnlos ist, weiter auf diese Frage einzugehen, werde ich eine andere stellen.“ Deswegen braucht sie wohl auch ein starkes Nervensystem. Ich hätte die Leute schon längst getötet, wenn sie mich so behandelt hätten. Bei mir gibt es kein Mitleid, nur Leid.

„Hm. Es bleibt mir nichts Anderes übrig, als ein weiters Mal die Frage - Wer sind Sie? - zu wiederholen. Bei mir bildet sich ein Rätsel, das nur darauf wartet, gelöst zu werden. Wenn sie kooperieren würden, erleichtert das diese Sache erheblich.“

Nein danke. Das brauche ich nicht. Ich kann auch gut ohne die Wahrheit leben. Und die Leute um mich herum, werden sich damit zufriedengeben müssen, dass ich meine Geheimnisse für mich behalte und Sie die ihren.

 

Mörderische Spur (überarbeitet)

 

 

Wer ich bin? „Jody. Wer auch sonst? Eine normal sterbliche Frau, die im Supermarkt für den Mindestlohn arbeitet und ein langweiliges Leben in einer mittelgroßen Wohnung führt.“

„Mittlerweile wohnt sie bei mir“, mischt sich mein besagter Freund ein. Noah! Warum?

„Ja, genau. Das habe ich ganz vergessen. Seit er mir einen Antrag gemacht hat, bin ich so abwesend.“ Während ich das sage, wende ich mein Gesicht ihm zu und sehe ihn auffordernd an.

„Ja, stimmt. Ich liebe ihre gedankenlose Art. Das ist ihr Markenzeichen.“

„Was gibst du nur so einen Schwachsinn von dir? Hast du wieder zu viel Orangensaft getrunken?“ Die ganze Konversation wird immer sinnloser und ich lache mir innerlich den Magen aus. Gut, dass ich nicht viel vor der Gerichtsverhandlung gegessen habe.

„Es tut mir leid, sie bei ihrer innigen Unterhaltung zu stören, aber wir befinden uns mitten in einer Verhandlung. Wenn sie also so freundlich wären und sich auf die Angelegenheit konzentrieren würden, wäre ich ihnen sehr dankbar." Jaja, diese Dankbarkeit kann sie sich in den Arsch schieben. „Hm. Meine Aufmerksamkeit liegt nur auf Ihnen. Wie könnte ich auch anders", schmeichele ich ihr. Es hat zwar eher mit Belustigung zu tun, nette Worte für ihr massiges Aussehen zu finden, dennoch reiße ich mich zusammen, um nicht lauthals los zu lachen. Sie lächelt mich an, vermutlich weil ich die Erste bin, die ihr zuhört. Hm, möglicherweise wird es noch von Nutzen sein, wenn ich weiter so höflich zu ihr bin. Ich muss bloß aufpassen, dass ich nicht auf meiner Schleimspur ausrutsche. Ansonsten bin ich gewillt, alles auf Risiko zu setzen und mich möglichst gut darzustellen. Hoffentlich werde ich es nicht bereuen, einmal in meinem kurzen Leben Freundlichkeit eingesetzt zu haben. Am Schluss werde ich hinten und vorne verarscht und komme ins Gefängnis, weil mein ganzes Theater versagt hat. Es kommt Ruhe im Saal ein. Die Polizisten haben den kleinen Aufstand unter Kontrolle gebracht - mit Handschnellen und Knüppel in der Hand. Die Richterin räuspert sich, damit die Aufmerksamkeit auf ihr liegt. „Ich bevorzuge eine friedliche Verhandlung und wenn das nicht gewährleistet ist, müssen Sie mit den Konsequenzen Ihrer Fehler leben. Dabei spreche ich nicht von Gruppentherapien und Sozialstunden, sondern von Arrest ist hier die Rede. Haben wir uns verstanden?" Alle nicken, auch wenn es nicht so gemeint ist. Keiner nimmt die Worte einer hässlichen Richterin ernst, die nicht einmal Kleinkindern etwas sagen könnte. „Gut. Also kommen wir zurück zum eigentlichen Punkt. Der Aussage von Jody. Was haben Sie zum Verschwinden von Patrick Banles zu sagen?"

„Das Gleiche, was ich auch schon den Polizisten erzählt habe, die mich zum ersten Mal verhört haben.“

„Ich weiß. Trotzdem möchte ich noch einmal, dass Sie die einzelnen Punkte aufführen, die Sie den beiden erläutert haben.“

„Natürlich. Die grobe oder die feine Fassung?“

„Eine Mischung. Hauptsache Sie vergessen die wichtigsten Merkmale nicht.“

„Okay. In der Disco – oder welche Einrichtung es auch gewesen ist – haben Patrick und ich getanzt, wobei der Alkohol in Strömen geflossen ist. Er war betrunkener als ich, weshalb er auf die Schnapsidee gekommen ist, dass er bei mir übernachten will, woraufhin der so genannte Geschlechtsverkehr nicht auszuschließen sei. Naja, ich habe – was jede Frau tut – ihn abserviert, doch er ist mir gefolgt und wollte mich überreden, dass ich ihn mitnehmen soll. Darauf habe ich ihm meine Meinung ins Gesicht geschrien. Hierauf hat er dann den Schwanz eingezogen und hat angefangen zu weinen, weshalb ich mich erbarmt habe, mit ihm zu schlafen. Am Schluss unseres Geschlechtsverkehrs hat er einen Freund angerufen, der ihn abholen würde und ist mit einem Tschüss aus meiner alten Wohnung verschwunden.“

„Hm. Sie wissen nicht zufällig, welchen Freund er damit gemeint hat?“

„Nein.“

„Es hätte uns die Sache ziemlich erleichtert. Nun, wir haben keine verdächtigen Punkte gefunden, außer den durchlöcherten Lebenslauf in ihrer Akte, aber da sind Sie kein Einzelfall. Es ist daher kein Grund, Sie noch länger für den Fall zu beschuldigen, da das Gesetz keine Missbilligung der Rechte feststellt. Sie können wieder neben ihrem Freund Platz nehmen.“

Ich nicke ihr lächelnd zu und geselle mich erneut zu Noah auf die Bank.

„Herr Olin, bringen Sie bitte Herrn Jansen abermals vor. Die anderen Richter haben sich dazu entschlossen, sich nochmals dem Thema der illegalen Geschäfte zu widmen.“

Einer der Polizisten bringt den, in Handschellen gelegten, Leopold Jansen zu dem Stuhl, auf dem ich kurz vorher noch gesessen bin.

„Sie werden nichts aus mir herausbekommen. Ich bin unschuldig und daher nicht dazu verpflichtet, ihnen etwas über mein Leben zu erzählen.“

Ja, genau. Und ich bin die Königin der Hölle. Obwohl, so ganz Unrecht habe ich mit diesem Gedanken nicht. Ich bin wahrhaftig die Schlechtheit in Person und bereue keinen Toten, der durch mich ins Jenseits gelangt ist. Warum auch? Sie haben nur Schaden angerichtet. Zum Beispiel Patrick, er hätte bestimmt Frauen vergewaltigt, wenn er kein Geld mehr hätte, falls er es mit Pokern verschwendet hätte. Keine Frau würde freiwillig mit ihm schlafen, wenn er sich nicht hunderten von Beauty – OPs unterzieht.

Und das würde ihm nicht genügen.

„Ihre Worte werden aufgeschrieben und können jederzeit gegen Sie verwendet werden. Ich würde aufpassen, was Sie von sich geben.“

„Ich kann alle in diesem Saal bestechen! Sie halt nicht. Ich hole mir Anwälte, die Sie wegen nicht Einhaltung des Menschenrechts verklagen werden. Und sie werden so gut sein, dass Sie sich wünschen, nie geboren worden zu sein!“ „Ich bin Richterin. Mir ist in den letzten dreißig Jahren keiner davongekommen. Obgleich ich oftmals nicht als strenge Frau definiert werde, habe ich bis jetzt alle Fälle gelöst. Sie werden mich nicht davon abhalten, weiter meinen Job zu machen. Ich liebe das Recht und werde es auch einhalten. Bestechungen sind nicht erlaubt.“

„Ha! Das ich nicht lache! Jeder ist bestechlich. Man muss nur die richtige Summe zahlen und schon hat sich die Meinung geändert. Erzählen Sie mir nichts von Recht und Wahrheit. Diese beiden Dinge gibt es nicht. Das wissen Sie genauso, wie ich!“

„Nein, das habe ich noch nicht gewusst. Jedoch bin ich Ihnen sehr verbunden, dass Sie mir gestanden haben, dass sie schon öfters mit Schwarzzahlungen zu tun hatten. Wenn Sie das bitte genauer erläutern würden.“

In ihrem Blick erkenne ich Schadenfreude und ich glaube zu wissen, dass sie bereits von Anfang an Leopold Jansen auf den Kicker hatte und nicht mich. Das würde auch ihre Freundlichkeit mir gegenüber erklären. Sie hat nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um zuzuschlagen. Schlaue Frau. Hätte ich nicht gedacht, dass sie eine List geplant hat.

 

Am Schluss kommt heraus, dass Leopold Jansen doch nicht so unschuldig ist, wie er tut. Nun ja, das haben wir alle schon vorher gewusst, das hier ist nur die Bestätigung dafür. Während er in Handschellen abgeführt wird, da er nicht als zurechnungsfähig eingestuft worden ist und in eine eigene Kammer gebracht wird, bricht lautes Gemurmel im Saal aus. Noah nimmt mich an der Hand und zieht mich durch die Menge nach draußen.

„Bevor ihr Augenmerk doch noch auf uns fällt. Wir wollen ja kein Risiko eingehen, oder?“

Ich nicke bloß, da ich mich zu schwach für eine Antwort fühle. Ich bin froh, dass ich die Verhandlung überstanden habe und nicht verklagt worden bin. Ich bin frei.

 

„Geht es dir gut?“ Er legt mir beschützend einen Arm um die Schultern und zieht mich eng an sich heran. Eine angenehme Stille breitet sich zwischen uns aus, weil er mitbekommen hat, dass ich für die nächste Zeit in mich gegangen bin und erst wieder aus meinen starken Panzer hervorkomme, wenn ich mich sicher fühle. Zuerst muss ich den Gedanken verdauen, dass mir keiner mehr an den Kragen will und dann kann ich mich mit meinem Freund beraten, was wir alles Nächstes tun. Entweder ein Gespräch führen oder nichts tun und einfach weiterleben, wie bisher. Meine Entscheidung fällt auf zweiteres, aber ich weiß nicht, wie Noah darauf reagieren wird. Das bleibt abzuwarten.

 

Mit seinem Auto fahren wir heim, ich bezeichne es schon als mein neues Zuhause, da ich mich schnell eingelebt habe. Gut, dass Noah genauso ein miserabler Koch ist, wie ich, sodass ich mich deswegen nicht allzu schämen muss. Das Essensproblem lösen wir meist damit, den Pizzaservice oder andere Ladenketten anzurufen und sind sehr zufrieden mit diesem Lebensstil. Manchmal mache ich uns auch einen Salat, aber das war es auch schon.

Wie wohl meine alte Wohnung aussehen muss? Der Mieter war nicht sonderlich erfreut, als ich ihm verkündet habe, dass ich ausziehen werde. Eine wichtige Geldeinnahmequelle hat somit das Wohnhaus verlassen, wird er sich vermutlich gedacht haben.

Wenigstens bekommt er noch die drei Monate Kündigungsfrist ausbezahlt, die ich eigentlich noch in meiner Wohnung verbringen dürfte. So schlecht dürfte es ihm demnach nicht gehen. Obwohl bei der geringen Miete? Er muss mehrere Miethäuser besitzen, da es sich sonst finanziell nicht ausgleichen würde.

Irene hat es dagegen nicht so gut verkraftet, mich gehen zu lassen. Da ich jedoch ihre beste Freundin bin, hat sie mir Lebwohl gesagt und mich einmal festgedrückt. Sie meinte, jeder müsse sich irgendwann finden und ein neues Leben beginnen. Aber ich soll ja aufpassen, dass er mich nicht betrügt. Ach Irene, wer möchte bitte einen Kleinen als Freund, abgesehen von dir?

Keiner.

 

„So. Wir sind zuhause. Möchte Madame jetzt wieder sprechen?“

„Nein. Die Madame möchte nicht sprechen. Könnte der Herr vielleicht Ruhe geben?“

„Leider muss der Herr verneinen. Er kann nicht. Dafür ist Madame zu wunderschön.“

Ich bin gespannt, wie er sich im Laufe unserer Beziehung noch verändern wird. Normalerweise hören Männer durchschnittlich nach sechs Wochen auf, der Frau grundlos, in jeder sich bietenden Situation ein Kompliment zu machen. Habe ich jedenfalls einmal in der Zeitung gelesen.

„Wenn du unbedingt willst. Was willst du hören?“

„Deine Stimme.“

„Ich könnte dir ja etwas vorsingen, aber das würde höchstens die Hunde in der Gegend zum Heulen bringen.“

„Kann ich mir nicht vorstellen. Meine Nachbarn haben keine Haustiere.“

„Allergiker?“

„Zur Hälfte ja, die andere Hälfte bildet es sich nur ein. Du weißt schon, reiche Menschen und ihre Macken.“

„Weiß ich nicht. Aber danke, dass du es mir gesagt hast. Jetzt weiß ich, was ich ihnen zu Weihnachten schenke.“

„Du feierst Weihnachten?“

„Eigentlich nicht. Seit ich alleine wohne, habe ich keinen Grund dazu gehabt. Ich bin auch nicht sehr religiös veranlagt. Es geht mir mehr um das Miteinander und nicht um die Geschenke.“

„Hast recht. Geschenke werden überbewertet. Dann möchtest du sicherlich mit mir in drei Wochen Weihnachten feiern, oder?“

„Ich würde mich freuen.“ Das tue ich tatsächlich. Endlich jemand, dem ich vertraue und der mir nicht eins auswischen möchte.

Hoffe ich. Sicher bin ich mir nicht. Es besteht immer die Wahrscheinlichkeit, dass sich alles zum Schlechten wendet. Es holt einem immer ein. Es dauert nur, bis es passiert. Selbst ich werde nicht verschont werden. Irgendwann wird mich meine Sucht einholen, egal wie stark ich dagegen ankämpfe. Je länger es her ist, seitdem ich mein letztes Opfer getötet habe, desto größer wird der Zwang, jemand Neuen zu ermorden. Nicht einmal Noah ist vor mir sicher. Obgleich er den Tod nicht verdient hat, weil er mir sehr ans Herz gewachsen ist, gibt es keine Garantie, dass er unverletzt bleibt. Einzig und allein muss meine innere Wand aufrecht erhalten bleiben, die mich vom Töten abhält. Solange Noah es nicht provoziert, sein Leben zu verlieren, wird er überleben.

 

Mein Freund sperrt die Haustüre auf und hält sie sogar extra für mich offen. Lächelnd trete ich ein und drücke ihm einen kurzen Kuss auf den rosanen, schmallippigen Mund. Auch er grinst mich an und zieht mich an sich. Um die Stimmung zu vermiesen, wie nur er es kann, fügt er danach hinzu: „Hast du wieder abgenommen? Ich habe gedacht, du wärst über deine Magersucht hinweg?“

Tatsächlich habe ich das. Aber das muss er nicht wissen. Oder doch? Kann man es sehen? Als hätte er meinen inneren Zwiespalt erkannt, verzieht er sein Gesicht zu einer verärgerten Miene. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass du deinen restlichen Speck verloren hast. Vorher hattest du wenigstens noch den Ansatz von Rundungen, doch jetzt bist du nur noch Haut und Knochen. Das einzige was ich allerdings nicht verstehe, ist, wo du die Pizzen und das andere Essen hingebracht hast. Was ist damit passiert?“

 

Gute Frage, nächste Frage! Verzweifelt fahre ich mir durch die offenen Haare und mustere die blauen und schwarzen Spitzen. Möglicherweise vergisst er die Frage, wenn ich ihn durch eine Gegenfrage ablenke? Bestimmt nicht! Er ist Arzt. Eher ein gereizter Nerv.

„Also, soll ich die Antwort erraten oder sagst du es mir freiwillig? Eigentlich kann ich es mir schon denken. Trotzdem möchte ich es aus deinem Mund hören.“

Er weiß die Antwort auf seine Frage schon? Dann bräuchte ich ja nicht mehr antworten, oder? Leider setzt sich mein Verstand gegen das Bauchgefühl durch und die Worte verlassen schneller den Mund, als ich weglaufen könnte.

„Ich…ähm…muss mich immer übergeben, falls irgendetwas in meinen Magen landet. Tut mir leid! Ich wollte mich“, verlassen zwischendurch Schluchzer meinen Hals „aber ich konnte nicht. Ich bin nicht stark genug!“

„Von wegen. Du willst nur nicht. Bewältige deinen inneren Schweinehund und werde wieder die Jody, die ich kennen gelernt habe. Eine taffe, selbstbewusste Frau, die sich von niemanden und nichts unterkriegen lässt, egal, wie aussichtslos die Situation auch ist.“

„Ach, das bin ich nicht?“

„Natürlich bist du es, aber nicht so, wie du zuerst gewesen bist. Ich meine damit, dass du immer sensibler wirst. Vorgestern bist du ausgeflippt, weil du büschelweise Haare verloren hast und heute hast du nur das Nötigste mit mir gesprochen. Wie soll ich damit klarkommen, dass sich meine Freundin zu Tode hungert?“ Sein Gerede beinhaltet ein kleines Fünkchen Wahrheit, trotzdem möchte ich nicht klein beigeben. Da stimmt seine Aussage nicht. Ich bin in dieser Art genauso wie früher. Unbesiegbar wortgewandt. Mir fehlen nur selten die Worte und das werde ich ihm ganz sicher jetzt nicht demonstrieren.

 

„Bin ich nicht! Du bist nur aufmerksamer geworden. Und auch gemeiner! Früher bist du lieb und süß zu mir gewesen. Du hast sogar eine Tür für mich zersägt, auch wenn es meine gewesen ist. Wieso hast du dich in dem Monat so verändert?“

„Nein, habe ich gar nicht. Kann es sein, dass du vom Thema ablenken willst?“ Mist, erwischt!

„Gar nicht. Du hast angefangen. Beschuldige mich nicht deswegen.“

„Ist gut. Lass uns einfach aufhören zu streiten. Es macht keinen Sinn, den Konflikt auszuweiten. Findest du nicht auch?“

„Hm. Wenn du es sagst.“

„Ja. Thema - Wechsel. Was möchtest du essen? Ich habe Hunger.“

„Wahrheit oder lieber Lüge? Für was entscheidest du dich?“

„Wahrheit.“

„Ich habe keinen Hunger.“ Es ist die Lüge. Aber ich möchte mich nicht schon wieder übergeben müssen. Es ist einfach zu grausam, um es noch mal zu überleben. Ich hasse diese Abwehrreaktion meines furchtbaren Körpers. Ich esse doch nichts Verdorbenes? Warum reagiert er dann so?

„Ach papperlapapp. Du isst etwas. Ich helfe dir auch dabei, es unten zu behalten. Okay?“

„Okay. Ich vertraue dir. Wehe, wenn nicht.“

 

„Ich verspreche es.“

„Das ist gut. Dann wirst du es bereuen, wenn ich mich übergeben muss.“

„Dieses Risiko gehe ich ein.“

 

Ich höre Noah etwas Unverständliches in den Hörer murmeln und frage mich, was er mir antun will. Es ist nicht so, dass ich ihm in solchen Dingen nicht vertraue, doch Essen bereitet mir allgemein Schwierigkeiten, sodass es mir nahezu unmöglich ist, etwas zu verdauen. Mittlerweile müsste sich mein Magen zu der Größe einer Erbse zurückgebildet haben, weil ich ihn schon ewig nicht mehr gefüllt habe. Mein Bauch verkrampft sich, wenn ich ihn nur ein wenig anspanne. Nebenwirkungen vom Übergeben und vom Nicht-Essen, erkläre ich mir dieses Phänomen selbst. Wem soll ich es denn sonst erzählen? Noah und ich sehen uns nur am Abend, wenn wir beide todmüde ins Bett fallen und an Sonntagen, die wir vor dem Fernseher verbringen oder die Wohnung aufräumen.

Zwar kümmert er sich gerade um mich, doch als Arzt ist er viel zu eingespannt, um sich auch noch um mich Sorgen zu machen. So sehr ich mir es auch wünsche, mehr von ihm beachtet zu werden, so sehr möchte ich auch meine Ruhe vor seinem Geschwätz. Die goldene Mitte wäre ideal, nur ist das so gut wie nie der Fall. Dafür sind wir einfach nicht geschaffen und werden es auch nie sein. Wir müssen eben mit den Konsequenzen und Konflikten leben und das Beste draus machen.

 

Unsere Beziehung kann manchmal sehr verwirrend sein. Doch in Augenblicken, wie diesen, in denen wir nur dasitzen und unser Gegenüber genau mustern, wissen wir, was wir an uns haben. Nämlich uns. Wir sind zwar oft Pech und Schwefel, doch zum Teil auch Bonnie und Clyde. Wie auch immer das Ganze ausgehen wird, Noah werde ich niemals vergessen können. Egal, was er noch tun wird, dass mir gefällt oder nicht, er bleibt in meinen Erinnerungen.

 

Bis der Lieferant unserer Speisen kommt, starren wir uns eben gegenseitig an. Ich habe ihn noch nie genau angesehen und könnte jetzt damit anfangen, schleicht sich der Gedanke in meinen Kopf. Ein guter Zeitvertreib, muss ich mir eingestehen. Gedacht, getan.

Die strahlenden, blauen Augen stecken in einem ovalen, spitzbübisch zulaufenden Gesicht, das in einem schlanken und langen Hals mündet. Seine Schultern sind nicht zu breit und nicht zu schmal gebaut und auch sein restlicher Oberkörper ist durchschnittlich. Nur seine langen

 

Stelzen machen ihn einzigartig. Wären sie zehn Zentimeter kürzer, könnte ich ihn in die Kategorie Normal stecken, doch das ist er nicht. Insgesamt ist er eigentlich ein ganz schöner Anblick. Nur, dass er mich nicht schön findet, wie er heute gesagt hat.

 

Bevor ich ihn fragen kann, ob er es wirklich ernst gemeint hat, mit meiner angeblichen Hässlichkeit, klingelt es an der Haustür. Das nenne ich mal Timing. Der wohl schlechteste Zeitpunkt, den er sich nur aussuchen konnte, gebe ich innerlich meinen Senf dazu.

Noah steht auf und nimmt ein Paket entgegen. Er drückt dem Lieferanten ein paar Scheine in die Hand, worauf er sich gleich verabschiedet.

„Hier, Schnucki. Frische Döner, vom besten Fachmann selbst zubereitet. Kannst du schon mal die Teller herrichten? Ich packe sie währenddessen aus.“

Wäre jetzt der falsche Zeitpunkt, ihm zu sagen, dass ich Döner nicht ausstehen kann? Am besten ich lasse mich einfach gehen, denn Übergeben muss ich mich sowieso. Da kann mir nicht einmal ein Arzt helfen. Tabletten würde er mir ja niemals verschreiben. Ich habe ihn schon gefragt, aber er lässt mich nicht. Sie seien zu gefährlich und so einen Schwachsinn hat er von sich gegeben, weshalb ich es einfach gehen lasse. Im Prinzip ist es mir egal, solange ich lebe. Alles andere ist mir eigentlich ziemlich egal.

                                                                                            

Alles ist hergerichtet und Noah stürzt sich auf sein Essen. Ich kaue erst den fünften Bissen im Mund, als er bereits den halben Döner verspeist hat. Dabei sieht er aus, wie ein Hund, der nicht genug von seinem Futter bekommt. Apropos, wollten wir nicht vorhin Döner oder Pizza bestellen?

„Was ist?“, bemerkt er meinen Blick.

„Nichts. Ich muss mich nur ablenken, damit das Essen unten bleibt.“

„Ach so. Gut. Streng dich an. Du schaffst das.“

„Mal sehen.“ So sicher bin ich mir dabei nicht. Vor allem wegen seiner halbherzlichen Ermunterung bin ich nicht gerade begeistert.

Der fünfte Bissen wird geschluckt und ein sechster landet in meinen Mund. Das Herumschieben des Bisses kann beginnen! Geschätzt brauche ich Stunden, bis ich das türkische Meisterwerk im Magen hinunterwürge, doch ein flüchtiger Blick auf die Uhr, sagt mir, dass es nur fünfzehn Minuten sind.

Inzwischen hat Noah bereist einen zweiten Döner gegessen und richtet sich nun satt, aufrecht hin, um sich über seinen nicht vorhandenen Bauch zu streicheln.

„Das hat gutgetan. Findest du nicht auch?“

„Hm“, gebe ich bloß von mir, weil ich momentan versuche das hochgekommene Essen wieder runter zu schlucken. Das tue ich so oft, bis ich es nicht mehr schaffe. Es ist zu viel! Kopfüber stürze ich zum Badezimmer, aber erreiche es nicht mehr rechtzeitig. Das ganze Erbrochene landet auf dem einst flauschigen, roten Teppich, der vorher den Boden des Flures geziert hat.

 

Ich knie vor meiner eigenen Kotze und kann es zuerst nicht realisieren, was geschehen ist. Zu seltsam ist die Leere ein meinem Kopf und Bauch, obwohl ich es schon längst gewöhnt sein sollte. Nein, ich bin es definitiv nicht. Ich werde es wohl auch nie sein.

„Ich habe gedacht, du willst dagegen ankämpfen? Warum hast du es nicht getan.“

Tränen treten aus meinen Augenwinkeln und vermischen sich mit der Kotze am Boden. Ich fühle mich, wie ein Häufchen Elend, am schlechtesten Tag. Es ist auch so.

„Das habe ich doch getan! Aber wenn ich zu schwach dafür bin? Da kann ich nichts tun, außer mich dem zu fügen. Wieso gibst du mir die Schuld? Es ist mein Körper, der mich das tun lässt. Nicht mein Geist.“

 

Noah massiert sich die Schläfen, als würde es ihm mehr mitnehmen, als es bei mir der Fall ist. Wer liegt hier denn in seiner Kotze und wird gleich zusammenbrechen! Genau, das Häufchen Elend, dass es nicht schafft, ein normaler Mensch zu sein. Eine wirklich enttäuschende Leistung, Jody! Ich hätte echt mehr von dir erwartet!

Plötzlich stürmt Noah an mir vorbei zu der Eingangstür und verlässt mich mit dem lauten Knall einer zuschlagenden Tür. Ich hätte gedacht, er sei mein Freund und unterstützt mich in allen möglichen Situationen. Ach nein, er ist eine Memme und ist nur dazu da, mir mein Leben schwer zu machen. Mich zuerst als unzurechnungsfähig zu bezeichnen, dann mit mir Weihnachten feiern zu wollen, nur um mich darauf zu verlassen. Ja, dass sieht Männern ähnlich.

 

Ich krümme mich abermals und ein neuer Würgereiz überkommt mich. Dabei dringt nichts weiter als Magensäure an die Oberfläche und gesellt sich zu dem unverdauten Essen dazu. Es ist traurig anzusehen und ich möchte am liebsten im Erdboden versinken, dass ich die bin, die hier gerade am Boden in der eigenen Kotze liegt und vor Entsetzen weint. Vom Freund verlassen und alleine in einem großen Haus, was soll man sonst tun? Ich lasse mich zu Boden fallen und gebe nicht darauf acht, dass meine Haare jetzt voller Erbrochenen sind. Was soll ich nur tun? Meine Lider werden von selbst ganz schwer und ich verabschiede mich ins Land des schwarzen Nichts, um der Wirklichkeit zu entfliehen. Kein anderer Ort ist mir nun lieber als dieser. An diesem Platz ist wenigstens alles gut.

 

Etwas Kaltes trifft auf meine Haut und lassen mich aus meinem sprichwörtlichen Totenschlaf aufwachen. Das Wasser prasselt auf mich hinunter und ich blicke zuerst ein bisschen desorientiert umher, bis meine Augen den Körper von meinem so genannten Freund treffen. Er war es einmal.

„Was machst du hier?“, frage ich ihn zynisch.

„Dir helfen. Es tut mir leid. Ich bin nur überfordert mit der Lage gewesen. Ich wusste das erste Mal in meinem Leben nicht, wie ich damit umgehen soll. Es ist alles so kompliziert. Ich will dir helfen, aber irgendetwas hält mich auf. Ich weiß nicht was es ist, doch ich versuche mich zu wehren.“

„Gut. Bring mich einfach ins Bett. Ich bin so müde.“

„Ja, mache ich. Am besten du nimmst dir morgen frei.“

„Finde ich auch.“

 

Er hilft mir aus der Dusche und trocknet mich ab. Vielleicht ist er doch nicht so ein Idiot, der sich nur um sich selbst kümmert? Er kann schließlich auch ganz umgänglich sein, wenn er möchte. Die Zukunft wird zeigen, was aus uns wird. Hoffentlich geht es in eine gute Richtung. Denn nur mit ihm schaffe ich es aus meinem tiefen Loch heraus zu kriechen. Ich brauche jemand Starkes an meiner Seite, der mir unter die Arme greift, wenn ich es nicht kann. Ja, was ist nur aus der Jody geworden, die ich einmal war?

Er hebt mich hoch, trägt meinen erschlafften Körper durch den Flur, direkt in unser Schlafzimmer. Dort schlägt er die Decke zur Seite und bettet mich ein, nachdem er mich hingelegt hat.

„Gute Nacht, Schnucki.“

„Gute Nacht, Schatz.“ Und ich bin weg.

 

Es sind zwei Wochen vergangen, in denen ich Weihnachtsgeschenke besorgt habe, gearbeitet habe und nicht mit Noah über dem Vorfall geredet habe.

In letzter Zeit hat mein Alltag zwischen Hektik und Langeweile geschwankt. Zum einen musste ich mir ein Auto besorgen, das meiner Meinung nach schon längst überfällig gewesen ist, zum anderen musste ich in die Läden und passende Geschenke finden. Tatsächlich habe ich mich dazu entschlossen, Irene eine kleine Aufmerksamkeit zu übergeben. Auch meine Arbeitskollegen bekommen ein Stück vom Kuchen. Ginger, Rebecca und sogar mein Chef wird ein, scherzhaft gedachter, Lebensratgeber in Form eines Buches überreicht.

Die Langeweile dagegen hat mich schier verärgert. Dagegen ist sogar Dianas Wutausbruch, weil ich ihr kein Geschenk gegeben habe, nichts. Es wird immer deutlicher, dass dieser Vorfall unsere Beziehung verändert hat.

Noah kommt bis spätnachts nicht aus seiner Praxis zurück, wenn er dann doch aus seinem Schneckenhaus hervorkriecht, ist es meistens schon Mitternacht und blockt ab, falls ich mit ihm reden möchte. Ja, unsere Partnerschaft hat einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Vier Tage vor Weihnachten und ich sitze zuhause auf dem Sofa, wobei ich nichts mit mir anzufangen weiß.

 

Kurzerhand rufe ich ihn auf seinem Handy an, jedoch hebt keiner ab. Komisch. Normalerweise erreiche ich ihn immer! Vielleicht ist etwas passiert? Vor meinem inneren Auge spielt sich ein Szenario, wie in einem schlechten Action-Film, ab. Noah fährt mit überholter Geschwindigkeit die Straße entlang und kracht gegen einen Baum. Der Wagen fängt Feuer, worauf er bei lebendigem Leib verbrennt. Das nackte Grauen überkommt mich. Nein, das darf nicht sein!

Hoffentlich ist ihm nichts geschehen. Obwohl er sich momentan völlig daneben benimmt, ist er dennoch mein Freund, denn ich liebe und um den ich mich sorge.

Im Schnellschritt packe ich meine Jacke und die Autoschlüssel des Neuwagens und stürze Hals über Kopf zu meinem Holander, die Marke meines Autos.

 

Die Straße ist fast vollkommen leer, nur ich fahre diese entlang. Bis ich da bin, vergehen gute zehn Minuten und ich stöhne lauf auf, als ich meine eigene Dummheit bemerke. Mein Freund sitzt vermutlich bereits daheim und denkt sich, wo ich bin, während ich vor seiner Praxis sitze und dumm schaue. Am besten manövriere ich den Wagen wieder heim und sehe mir eine Dokumentation über irgendwelche superschlauen Tiere an, die sich gegenseitig umbringen.

Spaß beiseite. Ich sollte wirklich die Heimfahrt antreten. Es hat was mit Charakterstärke und Vertrauen zu tun, seinem Partner zu vertrauen. Auch wenn ich diese die letzten fünfzehn Minuten nicht besessen habe.

Anderseits ist mir sein Wagen nicht entgegen gekommen und es gibt außerdem keinen anderen Weg, von dem ich weiß, dass er auch zu unserem Haus führt. Eventuell sollte ich doch nachsehen. Natürlich nur, um mich zu vergewissern, dass wirklich alles im Reinen ist. Es schadet ja keinen, wenn ich schnell nachsehe.

 

Meine Turnschuhe geben quietschende Geräusche von sich, die ich versuche mit lang gezogenen Schritten zu verhindern. Es muss keiner wissen, dass ich meinen Freund hinterher spioniere.

Die Tür ist, wie ich nicht erhofft habe, offen und ich kann ohne weiteres ins Innere gelangen. Er muss also noch da sein.

 

Am Empfang befindet sich keiner mehr, aber in einem Zimmer brennt noch Licht, da ich in der Dunkelheit einen hellen Schein Licht erkennen kann. Lass mich nicht denken, was jede Frau in solch einem Moment denken würde. Bitte lass ihn mich nicht betrügen. Ich könnte es nicht ertragen. Endlich hat das Monster lieben gelernt, nur um dann verletzt zu werden. Nein! Damit kann ich nicht leben.

Ich trete näher heran und bücke mich, um durch das Schlüsselloch sehen zu können. Was mich da erwartet lässt mich kurz zurückweichen. Er betrügt mich echt. Nur nicht in der Art, in der ich es ihm zugetraut hätte. Nein, es schmeißt sich keine Frau an ihn. Eher umgekehrt. Er zwingt sie zu einem sexuellen Verbrechen. Er vergewaltigt sie!

 

 

Erneut blicke ich durch das Loch und spitze die Ohren.

„So meine liebe Anastasia. Deine Widerspenstigkeit ist mir heute leider nicht willkommen. Daher muss ich dich beruhigen. Wenn du dich wehrst, wird es nur noch schlimmer.“

Die kleine Frau, die eine erschreckende Ähnlichkeit mit mir hat, außer, dass sie zehn Kilo mehr auf den Rippen hat, bäumt sich auf, um gegen die Fesseln Widerstand zu leisten. Soll ich ihr helfen oder weitersehen, ob sich doch nicht alles auf eine sachliche Art erklären lässt? Hm, ich habe keine Ahnung, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ach Jody, wie oft willst du deine Unsicherheit noch an die Oberfläche kommen lassen? Bist du so klein und zerbrechlich, dass du nicht einmal in deinen Leben für dich kämpfen willst? Manchmal kann man sein Unterbewusstsein hassen, weil es die Wahrheit sagt. Und wenn ich eben bin, so wie ich bin. Ich bin immer noch Jody! Ich tue, was ich will. Und nicht, was andere in meiner Lage tun würden!

 

Der Mund meiner Doppelgängerin ist mit Klebeband zugeklebt und ihr Körper stramm an den Liegestuhl gebunden. Insgesamt ist es nahezu unmöglich, sich aus dieser Notsituation zu befreien.

Mein Freund, eher Ex–Freund, jagt der Fremden die Spritze in den Arm, worauf sie immer ruhiger wird und mit einem glasigen Blick gen Decke schaut. Wie armselig muss man sein, wenn man nicht einmal gegen eine kleine, schwache Frau ankommt?

Noah bringt zwei Gewichte zum Vorschein, die jeweils an einem Haken befestigt sind. Bevor er, was weiß ich mit ihnen tut, lässt er den Stuhl in die Senkrecht hochfahren, woraufhin die Frau mit einem zehn Zentimeter Abstand über dem Erdboden schwebt.

Er setzt die Gewichte auf ihren Brustkorb. So grausam habe ich meinen Freund noch nie erlebt. Ich habe nicht einmal gewusst, wozu er im Stande ist! Ich habe gedacht, er sei dumm und ein Waschlappen, während er unterdessen Frauen vergewaltigt! Er ist fast schlimmer als ich. Wobei ich die Menschen erlöse und er sie nur quält. Meine Güte, ich muss etwas dagegen unternehmen! Schließlich betrügt er mich gerade und hat mir außerdem nichts davon erzählt. Diese beiden Sachen lassen mich vor Wut schäumen und mein Verstand setzt aus. Ich drücke die Klinke nach unten und laufe in den Raum. Überrascht wendet Noah mir sein Antlitz zu, unterdessen ich nach einem Skalpell greife und ihm ein Auge aussteche.

Fluchend hält er seine Hände an das Auge.

„Das hast du davon. Niemand betrügt mich! Schon gar kein perverser Möchtegern-Arzt. Ich bin wirklich enttäuscht von dir Noah! Ich habe dir vertraut. Ich habe mich sogar in dich verliebt. Doch du hast alles zerstört. Nur du!“

„Nein, warte. Du verstehst das Ganze falsch. Sie wollte…“, weiter kommt er nicht. Ich durchlöchere seinen Bauch mit einem kleinen, scharfen Messer, sodass das Blut nur so aus seiner Bauchdecke fließt. Am Schluss schneide ich ihm das Herz aus der Brust, als er nur noch eine leblose Hülle seiner selbst ist. Ich genieße den Triumph über die Liebe, weshalb ich einmal mit der Zunge über sein in Blut gehülltes, totes Herz fahre.

 

Liebe schmeckt gut. Aber Rache noch besser.

 

Soziales Engagement (überarbeitet)

 

Das Messer trifft mit einem klirrenden Geräusch auf den Boden auf. Noah liegt tot unter mir, seine Augen starren mich mit einer Furcht einflößenden Kälte an. Vielleicht habe ich überreagiert. Ein klärendes Gespräch hätte es bestimmt auch getan, schließlich ist mein Exfreund ein oberflächlich guter Mensch gewesen. Nur eben hat sein Fehler unsere Beziehung ruiniert. Aber haben nicht schon berühmte Philosophen und Dichter gesagt, dass alles irgendwann zu Ende ist? So ist es ebenfalls mit der Liebe. Sie kommt und geht, wann sie will. Eine undefinierbare Leere macht sich in mir breit, die schon einen großen Teil meines Körpers eingenommen hat. Sie droht das restliche Stück ebenfalls zu verschlingen, muss aber meiner inneren Stärke nachgeben. Die aufwallenden Gefühle verdrängend, wische ich die heraustretenden Tränen aus den Augen und befasse mich mit der Problematik. Was habe ich getan? Noah getötet. Warum hast du das getan? Weil er mich mit einer unwilligen Frau betrogen hat. Er hat es nicht anders verdient. Wie hast du es getan? Sein Auge habe ich mit einem Skalpell herausgestochen. Seinen Bauch habe ich mit einem scharfen Messer durchlöchert. Bereust du es? Nein. Ich empfinde kein Gefühl der Reue. Dann solltest du die Leiche und die Zeugin beseitigen. Sie schläft noch.... Trotzdem hat sie alles mit angesehen. Tu es! Sie würde auch nicht zögern, dich auf der Polizeistation zu verpfeifen. Stimmt. Ich mache es. Mein Instinkt lässt mich - im Gegensatz zu meinem Exfreund - nicht im Stich, sondern weist mir den Weg, den ich beschreiten soll. Ich muss die Zeugin und die Beweise für diesen Vorfall verschwinden lassen. Nur wohin? Ich bin völlig neben der Spur und habe keine Ahnung, was ich tun soll. Meine Gedanken kreisen bloß herum, wodurch mir schon fast schwindlig wird. Den Kopf mit der rechten Hand haltend, stütze ich mich auf den Schreibtisch und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen.

Vielleicht sollte ich sie töten, wie es mir mein Instinkt geraten hat. Aber soll ich ihm vertrauen? Unsicher kehre ich der Realität meinen Rücken zu und konzentriere mich vollkommen auf mich und auf die blutige Lage.

Eine benommene, junge Frau, die fast vergewaltigt wurde, liegt auf einem Stuhl, den man für die Untersuchung des Unterleibs verwendet. Nach diesen Gedanken bin ich im Einklang, dass Noah es definitiv verdient hat, Lebewohl zu sagen. Solch ein grausamer Mensch verdient es nicht auf Erden zu sein!

Dagegen bin ich nur Pusteblume. Ich vergewaltige oder zerre keine Menschen kaltblütig mit mir mit, nur um sie dann zu töten. Nein. Zuerst leiden sie, bis ihr Atem immer langsamer und langsamer wird, bevor sie mit dem letzten Hauch des Lebens fortgehen. In eine bessere Zukunft. Für die Lebenden. Niemals mehr werden sie vom Bösen in ihrer Umgebung belagert werden. Sie können ein sorgenfreies Dasein in mitten von guten Menschen genießen.

Ja, ich tue Gutes. Ich bin gut.

Bist du nicht! Träum weiter, Schätzchen. Du ruinierst das Leben anderer!

Hör auf, so einen Schwachsinn von dir zu geben. Ich glaube dir kein Wort!

Mach, was du willst. Mir egal. Ich werde überleben. Der Stärkere überlebt immer, ganz im Gegenteil zu dir. Du bist schwach.

Das ist unmöglich. Du bist ein Teil von mir. Wenn ich untergehe, werde ich dich mit mir ziehen.

Darauf gibt die Stimme keine Antwort, weshalb ich mich diebisch freue, dass ich die Diskussion gewonnen habe. Wer kann schließlich von sich selbst behaupten, dass er jemanden mit Worten zum Schweigen gebracht hat? Höchstens ein geringer Anteil der Weltbevölkerung. Sagen wir mal ein halbes Prozent. Ja, solange ich glücklich bin, ist nichts schlimm. Ich lächle und die Welt dreht sich weiter. Sie kommt nie zum Stillstand, so wie ich. Ich werde niemals aufgeben, dass schwöre ich.

Pf, als ob du das selber glauben würdest.

Hm, zu früh gefreut. Anscheinend hat es der Stimme nicht die Sprache verschlagen, mit der sie mich munter weiter nervt.

Ich hebe das blutverschmierte Messer vom Boden auf, das mir aus der Hand gerutscht ist. Wankelmütig werfe ich es zwischen meine beiden Hände hin und her und spiele Ene, mene miste, ob ich der Stimme Vertrauen schenken solle, oder mir selbst etwas überlegen soll.

Die Entscheidung fällt auf den Instinkt, der mir zum zweifachen Mord und dem Verschwinden der Beweise rät. Wie er will, werde ich es erfüllen. Was bleibt mir denn sonst übrig? Ich hätte es sowieso gemacht. Als wäre ich je vor dem Töten zurückgeschreckt. Es wäre so wahrscheinlich, wie eine lebende Amy Winehouse oder eine Beförderung meinerseits. Ha, fast hätte ich gelacht. Aber nur fast. Ich denke schon, wie eine Irre. Vielleicht hat die Stimme recht? Ich bin geisteskrank. Trotz der Meinung des Instinkts, kommt mir alles surreal vor. Wenn ich, ich bin, dann kann ich doch keine gestörte Persönlichkeit haben? Es scheint mir so, als ob ich den ganzen Komplex nicht verstehen würde. Am besten ich ignoriere die letzten Gedanken und lebe weiter, als sei nichts gewesen.

Das ist unmöglich! Du kannst dich nicht selbst ignorieren Und damit mich. Ich bin ein Teil deiner selbst und werde es auch immer bleiben. Für dein ganzes, restliches Dasein werde ich dich begleiten!

Nein! Das will ich nicht! Ich will nicht mit einer inneren Stimme koexistieren.

Das ist doch gar nicht schlecht. Dir kommt es nur so vor, als würde ich gemein zu dir sein, aber das bin ich nicht. Ich bin dein Freund. Ich unterstütze dich in jeglicher Situation und wandle sie zu deinen Gunsten.

Hm, weiß nicht. Ich glaube dir nicht. Du bist gemein.

Ach, das ist dein Sichtwinkel. In Wirklichkeit handle ich, um dir Vorteile zu verschaffen. Jetzt mach schnell! Die Frau wird wach. Falls du sie nicht leiden sehen möchtest, dann töte sie schnell.

Natürlich soll sie leiden! Sie hat meinen – toten – Exfreund in Versuchung geführt – wenn auch unbeabsichtigt. Und mir tut auch nicht ihr Ehemann – und möglicherweise ihre Nachkommen – leid, die dadurch verletzt werden und auf Rache schwören. Sie werden mich nicht bekommen, schließlich wissen sie nicht, wer die Tat verübt haben wird. Das Haus wird bereits lichterloh brennen, wenn die Feuerwehr ankommt. Niemand wird je bemerken, dass die eifersüchtige, verärgerte Freundin von Noah die Praxis angezündet hat. Dazu bin ich viel zu gut.

 

Bevor ich jedoch meinen Plan verwirklichen kann, muss ich die „Patientin“ vernichten. Obwohl, eigentlich ist dazu kein Bedarf. Sie wird mit verbrennen!

Unverständliche Laute dringen an meine Ohren. Langsam drehe ich mich zur Quelle der Geräusche um und entdecke die gefesselte Frau, welche geradezu Sinnen kommt.

Ich befreie ihren Mund von dem Fremdkörper, damit sie freisprechen kann. In ihrem letzten – schrecklichen – Lebensabschnitt lege ich extra Wert auf die offene Meinungsäußerung. Jeder Mensch hat verdient, dass zu tun. Sind wir denn nicht alle darauf ausgelegt, das Leben zu genießen, indem wir sagen können, wann und was wir wollen. Tja, damit ist bei ihr jetzt die letzte Etappe erreicht. Sie wird sterben. In den orangen, roten Flammen elendig, wie ein nicht verbrauchtes Lebewesen, um ihr Leben betteln und sich wünschen, nie geboren zu sein. Wenigstens ist es gleich vorbei und sie kann sich zu den anderen armen Seelen gesellen, welche – an welchen Ort auch immer – verdammt worden sind.

 

„Wer sind Sie? Was tue ich hier? Ich kann mich an nichts erinnern. Es ist, als umgäbe mich eine schwarze Leere, die sich um die Wahrheit schlingt.“

„Das spielt keine Rolle, was sie hier tun. Mein Name ist zwar eher nebensächlich, aber trotzdem, ich bin Jody. Das „Schön Sie kennen zu lernen“ überspringen wir mal, da Sie eh gleich sterben.“

„Wie meinen Sie das? Ich verstehe das nicht!“

„Wie ich es gesagt habe. Mit purer Ernsthaftigkeit.“

„Nein, nein. Nein, nein. Das können Sie nicht tun! Sie sind eine Frau, dazu noch eine zierliche, dünne Schönheit.“

„Es ist zwar reizend, dass Sie mir Komplimente machen, aber dürfen nicht auch Frauen ihr eigenes Leben führen? Außerdem spielt Ihre Meinung keine Rolle mehr, weil Sie ein Häufchen Asche sind, wenn man sie hier heraustransportiert.“

 

Sie sieht mich überwältig und sprachlos an. Sie hat große Ähnlichkeit mit einem Fisch, als sie den Mund immer wieder auf- und zumacht.

Währenddessen sie um Fassung ringt, sehe ich mich im Raum, nach hochentzündlichen Stoffen um. Womit könnte ich mit den hier vorhandenen Sachen am besten das ganze Gebäude so schnell, wie möglich, niederbrennen, bevor die Feuerwehr auftaucht und noch Beweise retten kann?

Ich erblicke zwei Benzingemische, die wohl zur Desinfektion dienen sollen, in einer Ecke des Zimmers und nehme diese in die Hand. Ausgiebig vergieße ich davon, bis alles mit dieser Flüssigkeit voll ist, um die Garantie zu haben, dass auch alles so geschieht, wie es sein soll.

Die Frau wird ebenfalls damit begossen, was sie sich nicht gefallen lassen will. Laut fluchend und strampelnd versucht sie meiner Tätigkeit entgegen zu wirken. Erfolglos. Ihre Fesseln erlauben nicht, dass sie sich großartig bewegen kann.

 

Ich trete in den Türrahmen, aus dem ich heraus den Raum mustere. Jetzt kommt der Moment, in dem ich überlege, ob ich doch nicht alles über den Haufen werfen soll und mich der Polizei stellen soll. Ha, dann werden sie mich auf den elektrischen Stuhl verfrachten und mich töten. So sind Menschen eben. Eher lassen sie dich an überladener Energie sterben, als dich verstehen zu wollen. Langsam, aber sicher verlässt mich der Glaube an die Menschheit. Fast ist es so, als wäre ich allein – mit der Stimme – auf der Erde. Ich sehe keine andere Menschenseele, die sich zu mir stellen würde, alle wären auf einen anderen Planeten. Hauptsache fern von einer so genannten Mörderin, die – laut ihnen – nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Das Gleiche könnte ich theoretisch auch von ihnen behaupten, schließlich haben sie sich selbst vor mir ausgeschlossen.

 

Egal, was meine Gedanken noch streifen wird, ich werde das Gebäude abfackeln. Mein Entschluss steht fest. Niemand, bzw. nichts wird mich davon abbringen.

„Bitte. Lass das nicht zu. Du bist kein schlechter Mensch!“

„Beurteile nie jemanden nach seinem Aussehen! Wann sind wir überhaupt beim Du angekommen?“

„Nein.“, bricht sie ihren Satz ab, als sie die Tatsache einsieht, dass es keinen Ausweg gibt. Die Situation ist für sie aussichtslos. Es endet mit dem Tod. Mit Ihrem.

Ich sammle meine ganze Kraft in den Händen, die ich vor mich in die Höhe hebe. Blitze, hochgradig gefährlich, sprießen aus diesen und verteilen sich im gesamten Zimmer. Sie finden ihre Nahrung – die Benzingemische – und fressen sich daran satt, bis vereinzelt kleine Feuer entstehen.

Sie wachsen und wachsen, die Vorhänge fangen Feuer und schlussendlich auch die Frau ohne Namen. Schrille Schreie verlassen ihren Mund, die vom Prasseln des Feuers verschluckt werden.

 

 

Höchste Zeit, die Praxis zu verlassen, bevor ich noch angekohlt werde. Darauf kann ich gut und gerne verzichten!

Eilig schreite ich zur Eingangstür und verschließe sie hinter mir, obgleich es überhaupt nicht nötig wäre.

Mein Blick wandert flüchtig durch die Gegend, damit ich potentielle Beobachter um die Ecke bringen könnte.

Keiner hat es auf meine Mordliste geschafft, wobei ich insgeheim richtig froh bin. Weniger Arbeit für mich.

 

Ich husche hundert Meter weiter zu einer Baumgruppe, nur um dann möglichst besorgt dem Gehsteig, Richtung Tatort zu gehen. Langsam bewege ich mich fort, damit ich nicht zu früh die Feuerwehr rufen muss, um die besorgte Freundin zu mimen.

 

Das Haus brennt mittlerweile so stark, dass es die Nachbarn bemerken sollten, falls sie zuhause sind und den penetranten Geruch von Verbrannten erkennen. Leicht schmeckt man den bitteren Geschmack eines Toten, aber das fällt nur gering auf. Vermutlich sogar einzig und allein meiner Persönlichkeit.

 

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche. Ehe ich die Wählkombination der rot gekleideten Männer drücke, besinne ich mich auf etwas Trauriges. Leicht in meiner Vergangenheit zu finden, picke ich die Erinnerungen an Linda und Joseppe heraus. Die Geißelungen beschaffen mir auch nach zehn Jahren noch eine Gänsehaut.

Den Tränen nahe, aber erst kurz davor, rufe ich die 112. Der Gesprächspartner auf der anderen Seite hebt nach fünfmaligen Tuten ab und erkundigt sich nach meinem Standort. Ich erwidere ihm die Daten und erkläre, dass es die Praxis meines Freundes ist, worauf er verspricht, in zehn Minuten da zu sein. Juhu, hoffentlich ist das Gebäude bis dahin völlig niedergebrannt. Ansonsten war meine ganze Mühe umsonst.

 

Ja. Das wäre schade. Ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen, deine Gestalt in Sträflingskleidung zu sehen.

Stell dir vor, ich auch nicht.

 

Etwa fünf Minuten später ertönen die Sirenen verschiedener Feuerwehren. Bevor die Helfer ankommen, fährt ein anderes Gefährt an den Gehsteig. Laut der Aufschrift, die die linken Seitentüren ziert, ist es ein Journalist der Zeitung: Morgen. Verwirrt mustere ich den Ankömmling, wobei ich vermutlich aussehe, als ob ich einen Alien anstarren würde.

 

„Hallo. Ich bin Fred Wally, von der Presse. Ich habe gehört, dass es hier brennt. Vergewissern muss ich mich wohl nicht mehr. Der Anblick ist ja grauenhaft! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie gerade voll plappere." Er greift in seine Tasche, nur um eine große Objekt-Kamera aus ihr zu ziehen. Mich ignorierend drückt er öfters - aus verschiedenen Blickwinkeln - auf den Auslöser und schaut zufrieden auf die Bilder. „Was soll das?" „Ach, Sie wollte ich ja auch noch interviewen. Das wird der Klatsch des Monats." „Wissen Sie eigentlich, dass mein Freund da drinnen wahrscheinlich verbrannt ist! Sie sind ein unerzogener Krüppel!" „Sie sind also die Freundin von Noah Musim? Welche mich gerade beleidigt hat? Übrigens, mein Beileid über ihren tragischen Verlust." Man muss wirklich aufpassen, was man sagt Alles wird von diesem Reporter falsch verstanden! Ein echtes Ärgernis! „Nein, nein! Ich meine es doch nicht so. Lassen Sie mich ausreden!" „Habe ich gemacht", redet er sich heraus. Von wegen. „Okay, okay, bevor Sie jetzt Ihre Tage bekommen, lassen Sie mich die Tatsache, dass Sie mich hier belästigen, auf den Punkt bringen." „Ich belästige Sie nicht. Wie denn auch, falls Sie mir den genauen Ablauf erklären können und es nicht einfach so dahingesagt ist. Es ist reines Presse-Engagement." „Jaja, wie Sie meinen. Mir können Sie gerne den Buckel runterrutschen und den Haien zum Fraß vorgeworfen werden, solange ich ihre Visage nicht mehr sehen muss. Kennen Sie das, wenn ihr Freund da drinnen verbrannt wird und man nichts dagegen tun kann, höchstens tatenlos dabei zuzusehen? Nein, bestimmt nicht! Sie konzentrieren sich bloß auf Ihre Arbeit und kümmern sich einen Scheiß um die Angehörigen, die mit dem Verlust leben müssen. Sie sind taktlos und dazu ohne Gewissen! Verschwinden Sie aus meinen Augen, wenn Sie nichts ins Feuer geworfen werden wollen!" Er wirft die Kamera in seine Umhängetasche und schreit mich mit: „Sie sind doch irre", an. Ja, das weiß ich selber. Das braucht mir keiner ins Gesicht zu schreien. Am liebsten möchte ich ihn auch den Flammen zum Opfer preisgeben und ihn dabei bei lebendigen Leibe verbrennen sehen. Nichts spricht gegen einen dreifachen Mord oder Mord überhaupt. Ich liebe es, wenn ich die Macht in mir spüre, über Leben und Tod zu entscheiden. Es ist, wie Gold, nur besser. Es hat mehr Wert, als jedes Edelmetall dieser Erde.

 

Endlich kommen auch die Feuerwehren an, die schnellstmöglich zu ihren Geräten greifen und mit dem Schlauch den Brand löschen wollen. Das kann dauern, als ich die geringe Wassermenge auf die großen, heißen Flammen treffen sehe.

 

Ich kann nur auf die erhitzte Luft achten, die mir den Atem raubt. Die Hand an mein Herz haltend, gehe ich langsam zu Boden. Ich ziehe meine Knie an meinen Brustkorb und stütze das Kinn auf diese. Anhand dieses komischen Gefühls kann ich ebenfalls die trauernde Freundin spielen, die gerade inmitten einer Midlife-Crisis ist. Alle werden nur eine zusammengebrochene, fremde Frau in mir sehen, die nicht weiterweiß. Niemand wird mich als Täterin identifizieren, keiner wird in mir eine Mörderin erkennen.

Dafür sehe ich zu erbärmlich in dieser Lage aus, als, dass ich zu so einem Verbrechen im Stande wäre.

 

Eine Frau in Polizeiuniform kommt auf mich zu. Anscheinend ist schlussendlich auch die Polizei zu diesem Brand beordert worden.

Sie sieht nicht besonders motiviert aus, woraus ich schließen kann, dass ich sie bei ihrer Kaffeepause gestört haben muss. Ohne diese braune Flüssigkeit, die einem an flüssige Scheiße erinnert, können manche wohl nicht existieren. Wie sehr sich dieses Getränk schon in die Gesellschaft etabliert hat, ist nicht mehr in normale Ausmaße einzuordnen.

Wie ich meine Süßigkeiten liebe, preisen sie den Kaffee an. Was würde ich nur für eine Schachtel Toffifee tun? Wahrscheinlich mich ergeben, aber das spielt gerade keine Rolle. Es geht alleine um mein seelisches Wohl, um das sich diese Frau nur grenzwertig Sorgen macht.

 

„Hallo. Sie müssen Jody sein. Die Freundin des Opfers. Können Sie eine Aussage machen, bezüglich des Vorfalls? Oder leiden Sie noch an einen Schock?“

„Ja, das tue ich. Trotzdem werde ich versuchen, mein Möglichstes zu tun, um korrekte Antworten zu liefern.“

„Das ist erfreulich. Natürlich meine ich damit nicht die derzeitige Lage, sondern, dass Sie zur Kooperation fähig sind.“

„Ja, können wir dann mal anfangen? Ich möchte nach Hause. Ich kann bald meine Tränen nicht mehr unterdrücken. Die Trauer kommt langsam wieder hoch, sie wird immer stärker. Momentan bin ich leider noch zu fassungslos, um mich damit auseinander zu setzten. Bitte verzeihen Sie mir meine Redseligkeit. Ich weiß nur nicht, was ich sonst tun soll.“

„Ja, ich kenne das. Wie Sie wünschen. Warum sind Sie so schnell am Tatort gewesen?“

Soll das jetzt ein Verhör werden? Wenn es so ist, stellt die Frau wenigstens die richtigen Fragen.

Es wird hart werden, ihrem innerlichen Detektiv zu entgehen. Aber es ist machbar, wie alles.

„Ich habe mich gewundert, warum er um diese Uhrzeit noch nicht zuhause ist. Normalerweise ist er spätestens um sieben Uhr abends zurück. Es ist nicht typisch für ihn, noch nicht da zu sein. Er achtet – er hat jedenfalls – auf Pünktlichkeit. Ich kann nicht fassen, dass mein Freund jetzt tot ist. Es ist so schwer zu akzeptieren.“ Dieses Mal ist es die Halbwahrheit. Es hat mich zutiefst verletzt, dass er mich betrogen hat. Dafür ist er nun auch im Jenseits gelandet. Eine ihm gebührende, gerechte Strafe.

 

„Okay. Wenn das so ist, wie kommt es dann dazu, dass Sie als Erste den Brand gemeldet haben?“

Irgendwie habe ich das Bedürfnis, auch sie anzuzünden. Es würde mir überhaupt nichts ausmachen, falls sie für immer schweigen würde.

„Dieser Ort ist – wie Sie sehen können – ziemlich abgelegen. Zwar hat er viele Patienten, aber um diese Uhrzeit bekommen sie keinen Termin mehr, weshalb niemand mehr hier ist, der den Vorfall melden könnte.“

„Stimmt, man sollte diesen Aspekt beachten. Ich wollte es nur aus ihren Mund hören, was Sie dazu meinen. Falls das der Wahrheit entspricht, dass niemand anders noch in diesem Raum gewesen ist, können wir vorläufig mit diesem Fall abschließen. Trotzdem habe ich noch ein paar Fragen.“

Sie starrt mir mit hochgezogenen Augenbrauen in die Augen, als ob sie mich fragen will, ob das für mich in Ordnung geht. Ein Nicken reicht aus, um sie zum Weitersprechen zu animieren.

„Wie hat es um ihre Beziehung zu Noah Musim gestanden? Wie würden Sie ihre Partnerschaft am besten beschreiben?“

Da muss ich zuerst überlegen, was ich antworten soll, damit sie keinen Verdacht schöpft.

„Wir haben uns die meiste Zeit gut verstanden. Manchmal hatten wir einen kleinen Streit, der zu jeder Beziehung einfach dazu gehört, aber meistens war alles sehr harmonisch.“

„Hm, stimmt. Jeder hat mal ein Beziehungstief.“ Wenn die wüsste, was ich weiß, dann würde sie es nicht als Beziehungstief bezeichnen. Rückblickend haben Noah und ich die meiste Zeit bloß gestritten und fast nie in Harmonie gelebt. Keiner von uns hat es eingesehen zu kapitulieren, also hat es auch keiner gemacht. Ewig lebe der Krieg, sodass er mich für immer an meinen Exfreund Noah Musim erinnere. Juhu!

 

„Muss, laut ihrer Schilderung, eine sehr schöne Zeit gewesen sein. Eine letzte Frage: Haben Sie jemals den Gedanken gehegt, dass er Sie vielleicht betrogen haben könnte?“

„Ehrlich gesagt, habe ich bis jetzt nie darüber nachgedacht. Aber, jetzt da Sie es sagen, wäre es möglich gewesen. Nicht, dass Sie etwas Falsches von mir denken, denn es ist schließlich vieles denkbar. Trotz dessen muss es nicht so sein. Es könnte auch bloß sein, dass er Überstünden gemacht hat und vom Feuer überrascht worden ist. Egal, es ändert nichts mehr an der Tatsache, dass mein Freund tot ist.“ Tränen, die mich in die A-Liga der Prominenz gebracht hätten, laufen mir über die Wangen und ich vergrabe das Gesicht tief in meine Hände.

Ich spüre Arme, die sich um meinen Körper schlingen und mich in eine wohl tröstliche Lage versetzten wollen. Wenn meine Trauer echt wäre, wäre ich froh darüber. Da es jedoch nicht so ist, nervt mich ihre Anwesenheit umso mehr. Als ob der zweifache Mord heute nicht schon genug Aggressivität in mir hervorruft, nein, eine große, blonde Frau muss mich auch noch in eine Umarmung ziehen.

Lass sie. Beruhige dich. Wenn du dein wahres Gesicht zeigst, kannst du hundertprozentig mit einer Todesstrafe rechnen.

Wie willst du das wissen? Du bist nicht mal ein Mensch.

Bist du dir sicher? Ich bin du. Du bist ich. Wir sind ein und derselbe Mensch, in einem Körper vereint.

Wie immer hast du recht. Wie machst du das?

Ich bin perfekt. Du bist unperfekt. Akzeptiere es und lebe damit oder bleib, wie du bist.

Deine Philosophie ist gerade fehl am Platz.

Mir egal.

Das war klar. Lass mich mal in Ruhe. Ich muss die Polizistin vergraulen, um meine Nerven nicht noch weiter zu strapazieren. Sie sind so weit gespannt, fast reißen sie.

 

Die Frau löst sich von mir, wonach sie mich mit einem mitfühlenden Blick ansieht, der mich, wie ein Häufchen Elend dastehen lässt. Ich bin nicht schwach, möchte ich ihr am liebsten ins Gesicht schreien. Darauf würde sie aber mit einer Einweisung in die Psychiatrie reagieren, was ich lieber nicht provozieren möchte.

„Ich bin für Sie da, wenn Sie ein offenes Ohr brauchen. Hier ist meine Telefonnummer“, überreicht sie mir eine Visitenkarte.

„Danke“, lächle ich sie unecht, dennoch herzlich an und nehme die Karte entgegen.

„Bis dann. Wir werden uns auf der Polizeistation vermutlich wiedersehen.“

„Ja, bis dann.“ Sollte das eine Drohung sein? Wenn ja, ist diese viel zu nett ausgesprochen. Daran müsste sie unbedingt noch üben.

Ich warte, bis der Brand bis auf die letzte Flamme gelöscht ist und befrage einen Feuerwehrmann, ob ich reindürfte. Er verneint, da es wegen der Einsturzgefahr zu gefährlich sei. Ich nicke verständnisvoll, erkundige mich aber trotzdem, ob es noch Überreste gibt.

Abermals schüttelt er den Kopf. Mit gesenktem Kopf mache ich einen Abflug, nicht aber ohne mich vorher noch einmal umgesehen zu haben, ob eine Leiche im Haus liegt. Ich habe nichts Verdächtiges entdeckt, was mir bestätigt, dass ich gute Arbeit geleistet habe.

 

Mit meinem Auto mache ich mich auf den Weg nach Hause. Ich beschließe, dass ich das Gebäude behalte. Mit meinem Lohn im Polak und der Beute des Raubs, kann ich noch viele Jahre gut davon leben. Mir egal, was die Nachbarn davon denken. Vermutlich wünschen diese mir den Teufel an den Hals, weil ich gemäß ihren Meinungen nicht genug um Noahs Persönlichkeit trauere und umziehe. Ganz ehrlich, die wollen mich nur loswerden, weil ich nicht der Oberschicht angehöre. Ja, Ärzte genießen heutzutage mehr Ansehen und Geld, als das zu früheren Zeiten der Fall gewesen ist. Wie sich die Zeit nur seit meiner Einlieferung in die achte Klinik geändert hat. Die Polizei ist dümmer geworden. Die Verbrecherquote ist gestiegen. Es hat überhaupt einen dritten Weltkrieg gegeben.

Die Städte sind schöner und größer geworden, während die Dörfer und die Umgebung der Städte verwahrlost sind. Viele Differenzen prägen das Heute von Morgen und niemand schert sich darum, was übermorgen passiert.

 

Im Parkhaus lasse ich den Wagen stehen, woraufhin ich unser – nun mein – Haus betrete und es mir auf der Couch bequem mache. Ich breite eine Decke über mir aus und weiß nichts mit mir anzufangen. Soll ich trauern? Soll ich mich freuen? Soll ich mich für eine Woche nicht aus dem Haus begeben?

Eine Woche Urlaub kann ich bestimmt aus dieser Situation herausschlagen. Im Ganzen würde mir Urlaub guttun.

In wenigen Tagen ist sowieso Weihnachten, also ist es nicht so schlimm, wenn ich vorher bereits in den Genuss von mehr Freizeit und Langeweile komme.

 

Gleich Morgen rufe ich bei Erik an und nehme mir frei. Eine Revolution des Alltags. Die beste Mitarbeiterin verabschiedet sich für eine ganze Woche von ihrer lieben Arbeit.

 

Ich kuschle mich in den weichen Stoff des Sofas, wobei ich alle Geschehnisse des heutigen Tages völlig ausblende.

Nichts kümmert mich mehr, alles erfüllt mich mit betäubender Gleichgültigkeit. Fast erscheint es mir, wie ein komatöser Zustand, der sich in mir ausbreitet. Solange ich das Drumherum vergesse und nicht mehr an Noah denken muss, ist mir alles recht.

 

Bevor ich ganz einschlafe, drängt sich die Realität zurück und veranlasst mich, in Richtung Schlafzimmer zu verschwinden, wobei ich alle Lichtschalter nach unten drücke.

In vollkommener Dunkelheit tapse ich zu dem großen Bett, werfe mich darauf und schließe die Augen. Für das Umziehen bin ich zu erschöpft. Vor allem der Duft nach Noahs Körpergeruch macht mich ganz kirre. Ich muss die abrupte Trennung nicht so gut verkraften, wie ich es vorgebe. Aber darüber kann ich auch noch morgen nachdenken.

 

Am nächsten Tag wache ich von meinen Wecker auf, der mich jeden Morgen automatisch um sieben Uhr weckt. Seit ich mit Noah eine Beziehung geführt habe, habe ich ihn selten gebraucht. Meist bin ich vorher aufgewacht, da mich die Küsse von Noah geweckt haben. Wer macht morgens denn nicht auf, wenn dich dein Gegenüber an gewissen Körperstellen berührt?

Aufstöhnend wechsle ich meine Schlafposition, wozu ich mich auf den Bauch lege. Das Gesicht vergrabe ich in den Kissen, um mich vom Thema abzulenken. Für solche Gedanken bin ich noch viel zu müde. Ich will darüber noch nicht nachdenken.

Im Dämmerzustand verbringe ich die nächste Stunde und erst als es acht Uhr auf dem Wecker anzeigt, stehe ich auf.

Ziel: Erik kontaktieren und ihm erzählen, dass mein Freund gestorben ist. Mitleid gewinnen und weiterschlafen.

 

Erik nimmt die Nachricht ziemlich gelassen auf. Mehr hätte ich von ihm nicht erwartet. Ich höre es ihm am Apparat an, dass er so schnell, wie möglich, Diana wieder Gesellschaft leisten möchte. Er kann es noch so sehr verleugnen, alle wissen, dass zwischen ihnen etwas läuft.

Einige Kunden kommen sogar extra wegen ihnen täglich in den Supermarkt, um ihre Diskussionen mitzuverfolgen. Mein Verständnis haben sie dafür nicht, doch jedem das Seine. Nicht mehr oder weniger.

 

Bis elf Uhr vormittags fläze ich mich im Bett herum, bis ich mich entschließe, es zu verlassen und in die Küche zu gehen. Ein Frühstück wird mich bestimmt wacher machen. Dazu noch eine Packung Toffifee und Snickers, wird eine glückliche Jody machen.

 

Auf der Theke bereite ich mir ein Marmeladenbrötchen zu und setze mich mit meinen Süßigkeiten an den Esstisch. Langsam kaue ich das Essen, da ich für ein Erbrechen nicht die nötige Laune besitze. Ich habe wirklich keine Lust, über der Kloschüssel zu hängen und mir den Magen aus dem Leib zu kotzen. Darauf kann ich heute gut und gerne verzichten.

Als ich alles verzehrt habe, sitze ich mit vollem Bauch auf dem Stuhl. Mein Bauch wölbt sich ungewöhnlich weit nach vorne, was mich zweifeln lässt, ob ich doch nicht erbrechen muss. Hoffentlich bleibt es unten und lässt mich in Ruhe. Meine Stimmung ist seit gestern auf einen Tiefpunkt angelangt, den ich so schnell nicht mehr verlassen werde.

 

Schon am Nachmittag bereue ich es, mir Urlaub genommen zu haben. Was soll ich machen? Ich habe keinerlei Hobbys, die mich beschäftigen könnten. Es herrscht kein Interesse im Lesen von irgendwelchen Schnulzen vor, die mich eh nur noch trauriger stimmen würden, als ich es schon bin. Traurig, aber war, ich habe nichts, um der schrecklichen Langeweile zu entfliehen.

Um wenigstens etwas Produktives zu machen, fahre ich meinen Laptop hoch und gebe unsinnige Sachen in die Suchmaschine ein.

Nach ungefähr einer halben Stunde sinnfreier Beschäftigung lande ich auf einer Seite der Stiftung One-Free-Day.

Ein Drängen, das sich irgendwo tief in mir befinden muss, führt mich dazu, den Text durch zu lesen.

Vielleicht könnte ich auch eine eigene Stiftung gründen? Es würde von meiner Persönlichkeit ablenken und den Fokus auf dies richten. So schlecht ist die Idee nicht einmal. Ich könnte mehr Informationen über die Entstehung eines solchen Projekts recherchieren, um für mein eigenes gewappnet zu sein. Ja, ich bin genial. Ich kann mich später selbst bewundern. Erst muss ich Informationen sammeln.

 

Das Internet rät mir, die Gründung einer Stiftung lieber einer berühmten Persönlichkeit zu überlassen, anstatt es selber zu tun.

Auf irgendeine Weise, hat es recht, andererseits auch nicht. Wenn man es nicht selbst tut, wer macht die Arbeit für dich? Niemand, ist die Antwort darauf.

Auf jeden Fall muss man viel Geld sein Eigentum nennen oder eben reiche Leute auf eine Spendengala einladen und für einen guten Zweck werben. Dafür bieten sich Bilder von Kindern als lebende Skelette an, welche halbtot auf dem Boden liegen.

Als ich dieses Bild entdecke und mir genauer anschaue, empfinde ich in keinster Weise Mitleid, obwohl ich es wahrscheinlich sollte.

 

Möglicherweise ist es nicht das Richtige für mich. Eine Stiftung für den guten Zweck ist eben nicht meine Sache. Ich würde nicht mit Herz und Blut dafür einstehen und alles dafür geben, dass die Hungernden ein Weizenkorn mehr bekommen.

Vielleicht sollte ich mich mehr auf mich selber konzentrieren und mein soziales Engagement in Grenzen halten. Es genügt schließlich, wenn ich die Menschen umbringe, welche anderen Leid zufügen. Dem Ehrenamt genug.

Es erfüllt mich mit Freude, wenn ich diejenigen leiden sehe, welche sonst andere leiden lassen. Es ist das Richtige, was ich mache. Es ist mindestens genauso gut, wie eine Stiftung.

Im Grunde machen die Reichen, Gründer von Stiftungen nichts anderes, als Menschen umzubringen. Das meiste Spendengeld landet, egal auf welchem Weg, bei der illegalen Seite der Welt, worunter man die Mafia und raffinierte Verbrecher versteht.

 

Es macht keinen Unterschied, ob man reinen Herzens ist oder ein Herz, das einem Kessel heißen Pechs gleicht, man macht die Welt schlecht. Man ist es sich nicht bewusst, dennoch ist es so. Man kann es ausblenden, aber es bleibt eine Tatsache: Die Welt ist schlecht.

Schlechtes bringt Schlechtes hervor. Es vermehrt sich rasend schnell in der DNA der Menschen, wobei keiner diesen Vorgang verhindern kann. Es liegt nicht in unsrer Macht, es zu tun.

Jedoch kann man einen Beitrag zur Besserung leisten. Meiner besteht im Töten des Schlechten.

 

Trügerische Welt (überarbeitet)

 

Am vierten Tag meines Kurzurlaubes wird es mir allmählich zu bunt. Es passiert nichts. Keiner meldet sich und wünscht mir Beileid oder erkundigt sich nach meinem Wohlergehen. Man könnte meinen, er hätte keine Familie. Bei mir herrscht wenigstens Klarheit. Ich habe keine Familie mehr. Niemanden kann ich als Vertrauten bezeichnen, der mich noch nicht verraten hat. Zwei von ihnen haben mit dem Tod bezahlt. Linda und Joseppe, welche mir ein halbes Jahr zur Hölle gemacht haben. Dabei ist es mir, wie eine unendliche Ewigkeit, erschienen, die ich in der Höhle des Löwen verbracht habe. Und niemand hat mich gerettet. Alle haben sie gedacht, dass man mich gut behandelt. Eigentlich sollte ich das ganze Dorf auslöschen. Niemand wird dieses kleine Kuhkaff vermissen.

Leider müsstest du dir deswegen mehr Urlaub nehmen. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Killer-Tour? Ich hätte nichts dagegen einzuwenden.

Eine was? Mehr Menschen töten?

Sieh es so: Du könntest potentielle Vergewaltiger, zukünftige Mörder und anderweitig Kriminales für immer beseitigen. Und niemand würde die kleine, zierliche und magersüchtige Frau als Ursache sehen. Du bist doch viel zu schwach dafür.

Auch wenn du manchmal nervig bist, hast du doch immer die besten Ideen. Vielleicht werde ich sogar irgendwann den Nobelpreis für das Stiften von Frieden gewinnen. Wer weiß?

Soweit wird es nicht kommen. Bedenke, du bist eine Mörderin.

Eine Mörderin für den Frieden. Besser als die redseligen Menschen, welche nur Wörter ausspucken, ohne irgendetwas zu bezwecken.

Stimmt. Denen gehört der Garaus. Wenn du die Zeit nutzt, könntest du vielen helfen. Man verschiebt die Arbeit nicht auf Morgen, wenn man sie heute auch besorgen kann. Jody, denk nach. Je früher du anfängst, desto mehr Blut strömt.

Aber vorher möchte ich noch bei der nieder gebrannten Praxis vorbeischauen.

Vergiss Noah. Er hat dich belogen und betrogen. Er hat dich nie verdient.

Aber trotzdem ist er mein Freund gewesen. Ich habe ihm vertraut.

Und er hat es ausgenutzt. Sieh es ein. Man braucht keine Männer, wie ihn. Man braucht überhaupt keine Männer. Niemand hat dich verdient. Nur ich.

Warum bist du dir in dieser Sache so sicher? Wenn ich sagen würde, Ginger hätte mich verdient, was würdest du dann darauf antworten?

Natürlich. Es war klar, dass du diese Fragen stellen würdest. Nur musst du beachten, dass ich dir haushoch überlegen bin. Ich kenne Ginger. Sie ist ein vorlautes, fröhliches Plappermaul, dem der Mund gestopft gehört. Wenn du ihren wirklichen Charakter kennen würdest, hättest du sie schon längst um die Ecke gebracht.

Wie weißt du, wie sie wirklich ist? Du bist ein Teil von mir, also ist es dir unmöglich etwas zu wissen, was ich nicht weiß.

Ja, ich bin ein Teil von dir. Jedoch bin ich aus dem Unterbewusstsein entstanden, als du ein Trauma wegen Noahs Betrug erlitten hast. Ich habe mich abgespalten, um dir aus der schwierigen Zeit zu helfen. Ich kann Dinge erkennen und verstehen, die du selber nicht verarbeiten kannst.

Ach. Und das soll ich dir glauben? Du bist verrückt. Hör dir doch mal selber zu. Zwar bin ich eine Mörderin, aber noch eine, die in der Lage ist, nachzudenken.

Bist du dir da sicher?

Ja. Ich bin vollkommen, ein ganzer Mensch.

Und ich bin ein Teil von dir.

Ja, das bist du. Aber du übst keinerlei Macht über mich aus. Ich bin immer noch Herrin über der Lage. Das volle Bewusstsein wird sich nicht durch dich ersetzen. Wie kannst du überhaupt mit mir kommunizieren? Bei Schizophrenie weiß man nichts von seiner anderen Persönlichkeit. Wie ist das möglich?

Es kommt nur darauf an, ob die richtigen Nerven miteinander verbunden sind. Wenn sie es nicht wären, könnte ich dich auch nicht darüber aufklären.

Was für ein Humbug! Ich habe vorher nicht gewusst, dass das … so funktioniert. Wie kannst du es wissen? Und jetzt fang nicht damit an, mich für ein dummes, naives Kleinkind zu halten, das nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Das lasse ich nicht mit mir machen!

Aber das bist du. Du bist dumm und naiv. Sonst hättest du dich nicht auf Noah eingelassen. Außerdem bin ich ein Teil deines Gehirns, der sich um das Unterbewusstsein kümmert. Ich weiß mehr über dich, als du selbst zu ahnen scheinst.

Ich glaub, ich werde verrückt! Ich spreche gerade mit mir selber!

Hast du deine Tage? Wenn nein, dann bist du tatsächlich durch geknallt. Als wäre dir nicht schon früher aufgefallen, dass ich da bin.

Nein, habe ich nicht. Über dieses Thema möchte ich nicht mehr sprechen. Du kannst alles andere mit mir bereden, aber nicht das. Darauf reagiere ich allergisch.

Ich dachte, ich hätte mir in der Praxis das Ganze nur eingebildet. Wie konnte ich auch wissen, dass du wirklich existierst. Das ist alles so surreal. Ich kann nicht akzeptieren, dass eine weitere Persönlichkeit in mir steckt.

Entweder…du nimmst es als Geschenk oder… du wehrst dich dagegen. Doch für eins musst du dich entscheiden. Wenn nicht, muss ich dich leider zerstören. Ich möchte in keinem Körper leben, der sich mir entgegenstellt. Das mag ich nicht. Ich muss Herr über der Lage sein, ansonsten bin ich unwiderruflich gefährlich für jeden in meiner Umgebung.

Seit wann kümmert es dich, was andere über dich denken? Ich meine, in der Praxis wolltest du, dass ich die Frau umbringe.

Du hast mich falsch verstanden. Ich habe es dir lediglich angeboten und schmackhaft gemacht. Die Entscheidung hast du selbst getroffen.

Ja, schieb die Schuld lieber mir in die Schuhe, damit du auch ja eine weiße Weste behältst. Es ist ja nicht so, als ob ich auf dich gehört habe. Du hast es mir nicht nur angeboten und schmackhaft gemacht – wie du es ausdrückst – sondern direkt befohlen. Ich konnte mich gegen deine Erhabenheit nicht zur Wehr setzen. Es fühlte sich an, wie ein innerlicher Zwang an, dem ich gehorchen muss. All meine Köperfunktionen standen unter deinem Willen.

Du stellst alles übertriebener dar, als es eigentlich der Fall ist. Niemals wollte ich deinen freien Willen. Du durftest alles, was du wolltest. Du hast es dir in den Kopf gesetzt, diese Frau zu töten und du hast es ohne mit dem Auge zu zucken getan. Du – ganz allein – bist schuld an ihrem Tod. Und jetzt tu nicht so, als würdest du Reue zeigen. Die Zeit, als du etwas bereut hast, war lange vor deiner Geburt.

Will mich da jemand beleidigen? Du bist immer noch in meinem Körper und musst tun, was ich sage.

Eher spucke ich in dein Gesicht, als das mit mir tun zu lassen. Ich bin mein eigener Herr, der dich irgendwann vernichten wird, bis nichts mehr von dir übrigbleibt.

Du bist nur ein Hirngespinst, das ich morgen mit Tabletten austreiben werde. Du kannst dich schon mal gefasst machen. Es wird nicht leicht für dich werden. Du wirst leiden.

Und du mit mir.

Ich weiß. Aber dieses Risiko gehe ich ein, so lange du mit mir leidest. Hauptsache du gehst aus meinem Kopf raus.

Egal, was du versuchst, ich werde wiederkommen. Vielleicht brauche ich einige Zeit zur Erneuerung oder halte mich einfach zurück, aber ich werde dich wieder aufsuchen. Komme, was wolle!

Wie grausam kalt ein Wintermorgen sein kann. Nur gut, dass ich mich nicht draußen befinde. Eine Erkältung wäre mir sicher. Mein zerstreuter Blick, der sich nie länger als für eine Sekunde auf einem Objekt befindet, gleitet über die Landschaft, wie Wasser über Stein. Es hinterlässt zwar Eindrücke, die einem jedoch nichts anhaben.

Mit einer Tasse Honigmilch in der Hand könnte man meinen, es wäre ein perfekter Tag für mich. Ist es nicht.

Heute ist die Beerdigung meines Exfreundes. Es ist schwer zu denken, noch schwerer es sich vorzustellen, dennoch zwingt mich ein Teil, hinzugehen und ihm Lebewohl zu sagen.

Er hat den Tod selbst ins Haus gerufen. Die Schuld an seinem Tod lastet ganz allein auf seinen Schultern.

Wenigstens habe ich die Bestattung nicht organisieren und bezahlen müssen. Das hat die Behörde auf Staatskosten übernommen, weil ich ihnen anscheinend zu abwesend war. Auch Mörder können trauern, nur tun wir das auf eine andere Art. Um es egoistisch darzustellen, er hat mir wertvolle Monate meines Lebens geraubt. Ich kann nicht verstehen, warum er mir das angetan hat. Endlich wollte ich mein Leben für ihn verändern und was hat es mir gebracht? Einen Haufen zerbrochenes Glas. Mein Herz ist in tausend Splitter explodiert, wobei ich nichts dagegen unternehmen konnte. Das erste Mal verliebt und ein kaputtes Herz als Folge. Liebe ist ein Stück Dreck, zu der ich nie wieder fähig sein werde. Dafür bin ich viel zu verdorben, als, dass ich diese Emotion empfinden könnte.

Laut der Polizei ist es keine Brandstiftung, sondern ein Kabelbrand, dass in seinem Sprechzimmer den Ursprung genommen hat. Die Leute, die die nieder gebrannte Praxis untersucht haben, haben definitiv etwas übersehen. Nämlich mich. Insgeheim wollte ich zu dem damaligen Zeitpunkt sterben. Mir ist rückblickend alles egal gewesen, sogar das unschuldige Leben der benommenen Frau. Aber eine heile Seele ins Jenseits zu schicken ist gar nicht so übel, wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist gut. Aber die Seele eines Schuldigen zu nehmen ist besser. Dennoch ist es beides Mal ein wahrer Glücksmoment.

Möglicherweise sollte ich doch in Erwägung ziehen, eine Killer Tour zu veranstalten. Bei einem guten und nährreichen Frühstück sollte mein Gehirn eine gute Leistung vollbringen können und eine Entscheidung treffen, ob ich es tun soll oder nicht.

Schön wäre es ein totes Herz in der Hand zu halten, während der zusammen gefallene Körper von meinen Blitzen zu Asche verbrannt wird.

Eine glorreiche Vorstellung, die mir immer besser gefällt.

Was habe ich gesagt? Dir gefällt das Töten. Du wirst dich niemals bessern. Du wirst für immer die unberechenbare, launische Jody bleiben, welche nichts aus ihrem Leben macht!

Sei still! Ich habe es versucht und was hat es mir gebracht? Einen Haufen Scherereien, die ich beseitigen musste, bevor sie mich noch mehr verletzen. Nie wieder lasse ich mich auf einen Mann ein. Seit wann bist du eigentlich so süßsanft?

Seit du dich ins Böse gewandelt hast. Hättest du nicht deinen Exfreund und die Frau ermordet, hättest du immerhin noch eine Chance gehabt, deine Sünden zu bereuen.

Ach, als ob du das tun würdest! Außerdem, wer sagt, dass ich katholisch bin?

Ich bin ein Teil deiner Persönlichkeit – sieh es endlich ein. Je eher du dich mir fügst, desto eher kann ich dich befreien.

Du kannst mich mal! Wer hat mich angestiftet, sie zu ermorden? DU! Rede dich nicht heraus, du bist genauso schuldig, wie ich.

Ich habe niemals behauptet, rein zu sein. Meine Meinung ändert sich stetig, ich habe keine feste. Ich bin schließlich kein Mensch.

Warum höre ich Dummkopf dann bloß auf dich?! Ich sollte lieber mein eigenes Ding machen, statt auf die Meinung meines so genannten Unterbewusstseins zu hören. Die Einzige, die selten blöd ist und auf dich hört, bin wahrscheinlich ich. Pf, ich könnte mich gerade selber ohrfeigen.

Da kann ich dir nur recht geben.

Halt verdammt noch mal die Klappe! Du gehst mir auf die Nerven!

Du gehst dir selbst auf die Nerven, Schätzchen.

Halt den Rand mit deinem Gerede von einem Teil von dir oder du bist ich und ich bin du. Ich habe gesagt, sei still. Wenn du dich nicht daran hältst, muss ich mich mit Tabletten solange betäuben, bis mir der Schädel brummt, damit ich nichts mehr von deiner schrecklichen Stimme höre.

Ja. Bis dann.

Ist das eine Drohung oder eine Warnung?

Hallo?

Halloooooooo?

Plötzlich hört die Stimme auf mich. Welch ein Wunder!

 

Mein Entschluss steht fest. Es kann auf der Langeweile basieren, die sich permanent in mein Leben schleicht oder die Sehnsucht nach der Befriedigung meines Ärgers, der durch Noahs Betrug entstanden ist. Oder beides.

Ich packe mich warm ein, denn - trotz des milden Winters – fühle ich mich wie ein Eisklotz. Bibbernd stehe ich vor meinem Kleiderschrank, ganz vergessen den Heizkörper einzuschalten, dass ich jetzt nachhole und ziehe eine Strumpfhose, eine Jeans, ein T-Shirt und einen Pullover aus dem Kleidungsvorrat heraus.

Noch meinen Parker dazu, bin ich fertig vorbereitet auf meine Serienmorde.

Die Menschen würden staunen, wenn sie wüssten, wer wirklich hinter dem Brand und den anderen internationalen und nationalen Morden steckt. Vielleicht lasse ich meine ganze Sache irgendwann auffliegen. Einen Gedanken ist es definitiv wert. Vor allem die ganzen wütenden und traurigen Gesichter, die mich anstarren werden, um möglichst viel aus mir rauszuziehen. Am liebsten würden die Betroffenen mich umbringen. Aber diese fühlen sich eines Besseren berufen und setzen sich nicht über das Gesetz und die Menschenrechte hinweg.

Nun gut, irgendwann vielleicht werde ich mich stellen und die ganze Last auf die anderen legen.

Irgendwann.

Momentan befinde ich mich im Hier des Jetzt. Ich konzentriere mich vollkommen auf die nächsten Schritte, bevor ich über anderes – teils unwichtiges – nachdenke.

Die Tür fällt hinter mir ins Schloss, welche ich mit dem Hausschlüssel absperre. In den letzten zwei Monaten hatte ich schon einen Einbrecher, der mir nur Ärgernis beschert hat. Ich brauche nicht noch mehr Wut, die sich in mir anstaut, wobei sie nur darauf wartet, nach draußen zu gelangen und Schaden anzurichten, den ich nicht mehr rückgängig machen kann. Man hat es in der Praxis gesehen, die ich zuletzt in Schutt und Asche gelegt habe.

Das Parkhaus, in dem mein Wagen steht, liegt relativ nah am Haus, worüber ich mich glücklich schätzen kann. Nicht jeder hat das Glück, einen Ort für sein Auto über Nacht zu haben, da ist ein solches Monstrum eine wunderbare Investition. Einmal in meinen Leben wurden Steuergelder für etwas Gutes verwendet.

Seit dem dritten Weltkrieg hat sich nur in den ländlichen Räumen etwas verändert. Zum Schlechteren, wie ich feststellen musste. Alles spiegelt dort die Verwüstung wieder, die die Schlacht mit sich brachte. Wenigstens geht es mir gut. Aber auch nur, weil ich ein Jahrzehnt in der achten Klinik verbracht habe, keinen Kontakt zu Außenstehenden gehabt habe. Ha, mit wem von meiner verdorbenen oder verstorbenen Familie hätte ich über meine Lage sprechen können? Mit niemanden. Alle haben sie mich verraten. Während meiner Internatszeit habe ich noch gedacht, dass Blut dicker sei als Wasser, doch das stimmt nicht. Ich wurde eines Besseren belehrt: Vertraue niemanden. Sie fügen dir nur Schmerzen zu.

Hätte ich mich nur an diesen Eid gehalten. Dann wäre mein Herz noch ganz. Kein drängendes Pochen, das meine Trauer verkörpert. Keinen bevorstehenden Wutausbruch, den einige nicht überleben werden. Ich werde mich nicht unter Kontrolle haben. Die Zeit verstärkt den Ärger, das Gefühl des Ausbruchs meiner Wut und Verzweiflung und ich kann mich nicht länger zurückhalten.

Aber vorher möchte ich den Ort des Grauens besichtigen. Vermutlich keine gute Idee hinsichtlich meiner Emotionen, die jeden Moment meinen Verstand verschlucken werden. Es fällt mir jetzt schon schwer, eine klare Sicht beizubehalten und nicht wie eine Verrückte in die Menschenmenge an Menschen zu stürzen und jeden Einzelnen kaltblütig mit meinen Blitzen zu lähmen und zu töten.

Es ist einfach zu leicht, ein Menschenleben zu nehmen. Sie können sich nicht einmal wehren. Fast schon traurig, dass sie das Monster, das ich verkörpere, nicht erkennen.

Ich überwinde den etwas längeren Anstieg, der mich zu meinen Wagen führt, wobei ich schnaufend – nach einer gefühlten Ewigkeit – ankomme und mich am Auto abstütze. Was würde ich nur für meinen treuen VW-Käfer geben. Er hat mich aus einer Notlage befreit und hat dabei selbst sein Leben geopfert. Wenn doch mein Freund auch so gewesen wäre. Es hätte mein Dasein verändert. Möglicherweise wäre ich zur Ruhe gekommen und müsste mich nicht den Drängen der Raserei hingeben. Meine Meinung gegenüber der trügerischen Welt hätte sich zum Positiven geändert.

In Momenten – wie diesen – kommen bei mir die Erinnerungen an die schönen Momente des Lebens hoch.

In meinem wortwörtlich letzten Leben, war ich noch ich.

 

„Möchtest du mit mir zu einer Party gehen, Jody?“, fragt mich eine Freundin. Sie teilt das gleiche Schicksal wie ich, was sie mir damals im betrunkenen Zustand gestand.

„Gerne doch“, lächle ich sie an. „Ich habe nur darauf gewartet, dass du mich fragst. Ich kenne dich doch, Rike.“

„Gut. Ein Nein hätte ich sowieso nicht akzeptiert. Ich bin gleich wieder da. Ich muss nur noch Nina und Johann fragen, ob sie uns Gesellschaft leisten wollen.“

„Aber pass auf, dass die Lehrer keinen Wind davon bekommen. Ansonsten sind wir schon wieder dran.“

„Ach, du kannst dich schon darauf gefasst machen. Die wissen doch, dass wir jedes Monatsende feiern. Auf ein Neues.“

„Hast ja recht. Trotzdem mag ich es nicht besonders, dass sie meine Eltern davon in Kenntnis setzen.“

„Darüber mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Meine Erzeuger können mir den Buckel runterrutschen. Du solltest das allmählich verstehen, dass sie kein Interesse an dir haben und dich abgehakt haben. Du bist für sie ein Nichts“, muss ich mir die alte Leier schon wieder anhören.

Ich hoffe insgeheim, dass sie ihre Meinung ändern und Rike nicht recht damit hat, worüber sie mich gerade wieder aufklärt. Mein Verstand hat schon lange akzeptiert, dass es für mich keine Eltern und Knuddeleinheiten mehr gibt. Jedoch ist mein Herz anderer Meinung. Es sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit, die es nie bekommen wird.

„Ja. Ich versuche es.“

„Das sagst du immer und tust es doch nicht. Hab endlich genügend Rückgrat und bewältige dieses Problem“, lehrt sie mich.

„Du machst es auch nicht. Sprich nicht so mit mir, wenn du es auch nicht besser kannst.“

„Komm einfach auf die Party heute Nacht. Dann reden wir darüber.“

So enden unsere Gespräche immer.

 

Hätte ich damals gewusst, was mich erwartet, hätte ich mich niemals darauf eingelassen. Wie naiv ich gewesen bin, wird mir jetzt überdeutlich bewusst.

Die Fete ist kurz und bündig, schrecklich gewesen.

 

Neben meinem Freundeskreis befinden sich noch zahlreiche andere Schüler unter der feierwütigen Menge.

Ich mustere die schwitzenden Leiber, die wegen der Hitze, langsam aber sicher zu einer großen Pfütze mutieren. Ich kann zwischen den Gesichtern keinen Unterschied erkennen. Alles sieht gleich aus.

„Hier ein Drink“, drückt mir Will ein Getränk in die Hand und reißt mich somit aus meinen Gedanken.

„Du siehst abgelenkt aus. Macht dir die Party etwa keinen Spaß? Ich finde sie super.“

Schön für ihn.

„Es ist immer wieder schön auf die großartige Gestalt von Will Acher zu treffen. Was verschafft mir die Ehre?“, grinse ich ihn an. Vielleicht sollte ich die Party genießen, sie ist schließlich nur einmal im Monat. Eine gelungene Abwechslung zum öden Alltag.

„Dein wunderschönes Aussehen. Dein kluge, charmante Art alles zu Verdrehen, was man sagt, damit du gut dastehst.“

„Ah, dass weiß ich doch“, erwidere ich mit einem amüsierten Unterton.

„Ehrlich, ich fühle mich alleine.“ Auf so viel Ehrlichkeit bin ich nicht vorbereitet gewesen. Normalerweise sprechen wir, die Mitschüler und ich, nie über Probleme. Lieber verschweigen wir sie, als jemanden unsere Schwachstelle auf dem Silbertablett zu präsentieren.

„Ich auch“, schließe ich mich an.

„Lust ein bisschen rumzumachen“, bestätigt er mir meine Vermutung, dass er es nur auf körperliche Liebe abgesehen hat, statt mich besser kennenzulernen.

„Ja, klar. Nichts ist besser, als kurz der Wirklichkeit zu entfliehen.“

Er führt mich an der Hand den Gang entlang, an vielen Ecken vorbei, bis wir an einem abgelegenen Ort ankommen. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Aufenthaltsraum, der verlassen im Dunkeln liegt.

Er zieht mich an sich, wobei ich nicht ganz unschuldig bin. Ich überwältige ihn mit meinem Willen, die Oberhand zu besitzen. Dominant hat schon immer meinem Charakter von Frau entsprochen.

Wir küssten uns, wobei man eigentlich schon fast von Abschlecken sprechen kann, fahren uns gegenseitig durch die Haare, damit sie aussehen, als wäre man gerade erst einem Tornado entkommen und müssen wohl allgemein den Anschein erwecken, dass wir uns zum Fressen gernhaben.

Ein Räuspern weckt uns aus der Leidenschaft, in der wir hinab gesunken sind. Schlagartig drehen wir uns um, nur um der Quelle der Störung verärgert in die Augen zu sehen.

Alles hätte ich erwartet, aber nicht das. Ausgerechnet meine Eltern, von denen ich gedacht habe, dass ich sie nie wiedersehe, starren mich wütend an.

„Ich habe meine Arbeit getan. Wenn sie das Geld nicht überweisen, werde ich sie verklagen“, verabschiedet sich mein angeblicher Lover von mir.

„Was macht ihr hier?“, fahre ich meine Eltern an.

„Wir sind hier, um uns von der Schlechtheit unserer Tochter zu überzeugen. Wir haben dich hierhergeschickt, damit du auf andere Gedanken kommst und lernst. Nicht, um Alkohol zu trinken und deine schulischen Leistungen zu vernachlässigen.“

„Als, ob es euch etwas kümmert, was ich mache. Ihr seid doch nur hier, um euch nicht die Gelegenheit entgehen zu lassen, mich zu kritisieren. Es ist euch egal, was ich mache, solange ihr eure Ruhe habt. Seit sieben Jahren habt ihr keinen Fuß in dieses Gebäude gesetzt und ihr wollt mir was von guter Erziehung und elterlicher Sorge erzählen?“

Erst in diesem entarteten Moment wird mir klar, dass ich alle Jahre nur darauf gewartet habe, dass ich sie anschreien kann. Meiner Wut freien Lauf lassen kann.

„Das ist richtig.“ Und ich habe gehofft, dass sie mir widersprechen.

 

Seit diesem Tag bin ich gefühlskalt, wie mich meine damaligen Freunde beschrieben haben. Seit diesem Tag habe ich mich von allen distanziert.

Seit diesem Tag hat mich keiner gefragt, warum ich so bin, wie ich bin.

 

Ich sollte die Vergangenheit hinter mir lassen. Aber ist es nicht genau die Vergangenheit, die uns zu dem macht, was wir sind?

Nein, es sind die Menschen, die uns formen. Hätte mich Will nicht verraten und wären meine Eltern nicht aufgekreuzt, könnte ich ein ruhiges und entspanntes Leben führen.

Müsste nicht als Supermarktverkäuferin im Polak arbeiten und könnte mein Dasein genießen, ohne gehetzt durch die Straßen zu fahren, auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit.

 

An einem mir unbekannten Ort parke ich auf dem Bordstein und steige aus. Mit den Händen in den Jackentaschen zu Fäusten geballt und mit dem Kopf aufrecht in die Höhe gestreckt, muss ich wie eine normale Bürgerin aussehen.

Das bin ich jedoch nicht, wie ein zweiter Blick auf mich verrät. Ich sehe aus, wie der Tod und fühle mich genauso.

 

Ich starte meinen Weg ins Aussichtslose und setze einen Schritt vor den anderen. Immer weiter. Immer fort. Hauptsache ich bin in Bewegung und komme nie zum Stillstand. Ruhelos hetze ich seit zwei Stunden durch die Gegend, es ist bereits halb fünf, die Sonne verabschiedet sich hinter dem Horizont und ich irre weiter.

Als es bereits dunkel wird, die Schwärze der Dunkelheit das helle Licht verabschiedet, lande ich in einer Seitengasse.

Darauf folgen weitere Seitengassen. Seitengasse um Seitengassen betrete ich. In manchen steht Müll, in andere verwesende Tierkadaver und in einer, in der ich mich momentan befinde, ein knutschendes Pärchen.

Es erinnert mich an den schlimmsten Tag meines Lebens. Der Tag an dem sich alles änderte. Mein gesamtes Leben in nullkommanix umgekrempelt und ich ganz alleine.

Plötzlich sieht der Junge Will sehr ähnlich. Es könnte sein Zwillingsbruder sein. Obwohl ich weiß, dass er vor Jahren durch Krebs hingerafft worden ist, setzt mein Verstand aus.

Ich stürme vorwärts, wie eine hirnlose, wütende Frau, die ihre besten Tage hinter sich hat, und werfe ihn mit meinem Körpergewicht um.

Mit meinen Händen umfasse ich den Hals des völlig abwesenden Mannes und drücke fest zu.

Es knackst, das Gesicht des Fremden wird rot, er spuckt Blut und doch kommt es nicht in Frage aufzuhören. Ich will ihn tot sehen.

Hände wollen mich von hinten von meinem Opfer wegziehen. Nein, ich muss ihn töten. Einen Moment konzentriere ich mich auf meine Energie und sende sie zu meiner Schulterregion.

Einen Schmerzensschrei später lässt die Frau von mir ab und sinkt zu Boden.

Ich übe wieder Druck auf den Hals meines Opfers aus, immer größere Schwälle an Blut treten aus dem Mund des Mannes, sein Hals und Gesicht färbt sich dunkelblau und seine Trommelfelle scheinen zu platzen, weil auch aus ihnen die dunkelrote Flüssigkeit herauskommt.

Als er schlussendlich erschlafft, lasse ich von ihm ab und wende mich der ohnmächtigen Frau zu. Warum ist sie in diesem Zustand? Muss wohl ein wenig zu viel Energie aufgewendet haben. Schade, ich hätte sie noch gerne mehr gedemütigt. Vielleicht wacht sie auf, wenn ich sie an der Seite anstupse. Ich schlage sie leicht mit meinem Fuß in die Seite, was aber nichts bewirkt. Sie bleibt weiter bewusstlos am Boden liegen. Nichts rührt sich an ihr, bloß ihre Brust hebt und senkt sich in einen gleichmäßigen Takt.

Soll ich sie am Leben lassen? Nein! Sie würde Rache wollen und sie würde sie bekommen, da bin ich mir sicher.

Es ist keine Option, sie zu verschonen. Ich habe noch niemanden am Leben gelassen, der von mir und meiner Fähigkeit weiß, das fange ich jetzt nicht an. Für einen Neuanfang und Reue ist es zu spät. Entweder ich mache so weiter, wie ich es gewohnt bin, oder ich….es gibt keinen anderen Ausweg für mich.

Ich bücke mich zu ihr runter und streichle ihr die Haare aus dem Gesicht. Ich begutachte ihre unversehrte, gutmütige Gesichtsmiene, die sich nicht verändert.

Das muss sich ändern. Hm, mir fällt schon irgendetwas ein. Ja, genau. Ich schlage sie solange, bis sie gezwungenermaßen zu Bewusstsein kommen muss. Mit Gewalt funktioniert es. Gewalt ist immer eine Lösung.

Mit meiner gemäßigten Kraft, dürfte es ihr keinen allzu großen Schaden in der Bauchgegend anrichten. Spätestens im Sarg wird es sie nicht mehr kümmern. Ha, Jody ist heute wohl wieder lustig. Manchmal kommt eben meine spaßige Seite zum Vorschein.

Tu es nicht. Sie ist unschuldig.

Das interessiert mich keinen Deut, wenn ich ehrlich bin. Es ist mir egal, ob sie unschuldig ist oder nicht. Außerdem hat sie öffentliches Ärgernis erregt, wozu sie laut dem Gesetz sowieso verklagt worden wäre. Statt sie zum nächsten Gerichtstermin zu schleppen, verkürze ich die Prozedur und bringe sie gleich um die Ecke.

Genau das meinte ich damit, dass du kein Schuldbewusstsein hast.

Ich weiß. In den letzten Jahren muss es wohl gestorben sein.

Verdammt, sei wieder du, Jody. Du hast dich zu früh aufgegeben.

Sei still. Deine Meinung interessiert mich nicht. Ich bin die Einzige, worauf ich zählen kann. Das wirst du mir nicht kaputt machen. Nie und Nimmer!

Um meiner Wut Ausdruck zu verleihen, schlage ich ihr im Abstand von fünf Sekunden dreimal in den Bauch. Das hat sie davon, dass sie mich auf solche abartigen Gedanken bringt.

Tatsächlich wacht sie auf und starrt mich aus weit aufgerissenen Rehaugen an.

Hustend beugt sie sich nach vorn und krabbelt zu der gegenüberliegenden Mauer, um ihren Rücken dagegen zu lehnen.

„Wer sind Sie? Und was haben Sie mit meinem Freund getan? Sie sind sich schon darüber im Klaren, dass man keine Morde begeht? Wenn das ganze aufgedeckt wird, müssen Sie für mehr als dreißig Jahre ins Gefängnis.“ Doppelt so viel, als es noch vor dem dritten Weltkrieg war. Etwas muss sich doch im Laufe des letzten Jahrzehnts geändert haben.

„Das ist mir ziemlich egal. Mich wird keiner finden oder strafgerichtlich verfolgen. Dafür bin ich zu gut.“

„Die Polizei ist besser.“

„Woher nehmen Sie ihre Sicherheit. Woher wissen Sie, ob die Polizei wirklich besser ist?“

„Ich bin selbst Polizistin. Nur habe ich heute ein bisschen über den Durst getrunken. Und ab jetzt sage ich Ihnen nichts mehr.“

„Da hat man doch ein Argument, dass die Polizei zu nichts, außer Kaffee und Alkohol trinken, gut ist. Finden Sie nicht auch?“ Meine Frage trifft auf beharrliches Schweigen.

„Wenn Sie nicht auf Konversation aus sind, nun ja, muss ich Sie leider auf der Stelle umbringen.“ Das weckt doch ihren Lebensgeist und lässt sie hochfahren.

„Nein, das machen Sie nicht. Ich schwöre auf Rache, wenn Sie das tun. Das werden Sie für immer und ewig büßen.“

„Es wäre schön, falls ihren Worten Wahrheit folgen würde. Aber dafür sind Sie zu ineffizient. Es ist schon mehr Kaliber und Selbstbewusstsein nötig, um mich ins Jenseits zu verfrachten.“

„Warum reden Sie dann so lange mit mir.“

„Sie sind eben eine Person, der man vertrauen kann. Sie werden sterben und meine Geheimnisse mit ins Grab nehmen. Hat nicht jeder Mörder eine Macke?“, sage ich lächelnd.

„Das habt ihr Irren wohl so an sich.“

„Was hast du gerade gesagt? Ich muss mich wohl verhört haben. Normalerweise betteln die Opfer, um ihr Leben. Obwohl es aussichtslos ist. So oder so werden sie sterben.“

„Ich wette, Sie schaffen es nicht, mich leben zu lassen.“ Meine Aufmerksamkeit ist geweckt.

„Wie definierst du leben lassen?“

„Ja, dass mein Herz schlägt, mein Gehirn arbeitet und ich glücklich und sorgenfrei durchs Leben gehe.“

„Ach, Sie ziehen diese Masche ab. Keine Sorge, ich bin nicht so dumm, um darauf rein zu fallen.“

„Oh, schade. Ich hätte mich schon auf ihr Abwinken gefreut.“ Wie nett meine Opfer sind. Sie haben es wirklich nicht verdient zu leben.

„Du gehst mir gerade mächtig auf die Nerven. Willst du noch etwas sagen, bevor du stirbst? Vielleicht ein Gebet zu Gott? Oder eine Hassrede gegen mich? Oder gar ein Liebesgeständnis für deinen verstorbenen Freund.“

„Ich nehme zweiteres. Ich hasse dich. Du bist der Abschaum unserer Gesellschaft.“

„Dem bin ich mir durchaus bewusst.“

„Gut, dann weißt du es ja.“

„Ja, ich weiß, dass du mit diesem Gespräch nur Aufschub leisten willst, damit uns jemand findet und ich abgeführt werde.“

„Unmöglich.“

„Irgendwelche letzten Worte“, dadurch wird mir bewusst, wie geduldig ich durch den letzten Mord geworden bin.

„Adieu Welt. Oder möchtest du irgendetwas Bestimmtes?“

„Nein, passt schon. Bis irgendwann. Ich habe das Gefühl, wir werden uns wiedersehen.“

„Was…“, will sie weiter Zeit schinden. Ich möchte das Glück nicht weiter provozieren und bringe es lieber schnell hinter mir.

Mit meinen Handflächen ziele ich genau auf sie. Ein Ruck, der mir sagt, dass ich die letzten Kraftreserven meines geschwächten Körpers anzapfe, geht durch mich, woraufhin ich nur noch mit eisernem Willen versuche, stärkere Blitze zu erzeugen.

Strahlend, so hell wie noch nie, steuern meine Lieblinge auf die Polizistin zu, welche zu flüchten versucht. Unglücklicherweise schafft sie es nicht und muss sich mir geschlagen geben. Traurig, aber wahr. Das Leben von einer hinterlistigen, gemeinen Frau geht zu Ende. Ich werde sie nicht vermissen.

Die Menschheit – außer den Familienmitgliedern – werden darüber hinwegsehen, dass jemand sein Leben gelassen hat. Jede Sekunde sterben Menschen, keiner wird das großartig bemerken.

Den Leichnam des Freundes verbrenne ich ebenfalls zu einem Häufchen Dreck, das die Landschaft ziert. Aber nicht für lange, den ein Sturm zieht auf. Der Himmel muss wohl einen Groll gegen mich hegen, weil er so rumort und schwarze Wolken, den Himmel bedecken.

Eine leichte Brise zischt bereits gegen mich, nimmt ein wenig Asche mit sich und zieht weiter. An der Mauer gelehnt beobachte ich das Geschehen. Immer mehr der grauen Substanz vermischt sich mit der Luft und wird von ihr fortgetragen. Ein wunderschöner Anblick, wenn er nicht so einen traurigen Hintergrund hätte. Für mich ist es zwar etwas Besonderes, dies mit den Augen genießen zu dürfen, aber die meisten Menschen würden das nicht verstehen.

Alle verstehen es nicht. Nur du bist so wahnsinnig und kannst es verstehen.

 

Böses verdient Böses (überarbeitet)

 

An diese Nacht werde ich mich wohl ewig erinnern. Ein wunderbarer Moment der Stille, vermischt mit der Minderung meiner Wut.

Ein wundervolles Gefühl der Zufriedenheit durchströmt meine Adern. Eine innere Ruhe kehrt in mich ein. Wie ich eine solche Entspannung nur missen konnte. Stattdessen habe ich mich einem Betrüger und Lügner hingegeben, der mich nicht verdient hat.

Meine Sicht verschleiert sich, da zwei einzelne Tränen an meinen eingefallenen Wangen hinunterlaufen. Bin ich traurig? Anscheinend. Sonst würde mein Körper nicht derartig reagieren. Obwohl es ungewohnt ist – für mich – der Trauer Beachtung zu schenken, ist es ein unbeschreibliches Gefühl, wenn die Last von dir genommen wird. Es fühlt sich an, als ob du befreit worden wärest. Die Faust, welche sich um mein Herz geschlungen hat, lockert ihren Griff, verschwindet und soll nicht wiederkommen.

Zuhause – es ist vier Uhr morgens, sitze ich auf dem Sofa und schaue glückselig aus dem Fenster. Noch nie habe ich mich so lebendig gefühlt. Es ist nichts im Vergleich zu Schokolade oder anderen Süßigkeiten, von denen ich in der achten Klinik so oft geträumt habe. Es ist wertvoll. Es ist ein Geheimnis, von dem nur ich weiß.

Die anderen würden mich nicht verstehen. Besser, sie würden mich nicht verstehen wollen. Diese Menschen halten einen höchstens für verrückt und weisen einem in die Psychiatrie ein, deren eisernen Ketten ich erst abgelegt habe.

Es ist schon verwunderlich, warum die Anstalt mich entlassen hat. Das ist keine Normalität für sie. Es gibt einen Haken. Den gibt es immer.

Ich könnte meinen Arm darauf verwetten, dass sie es für die Forschung machen. Ich bin in den Jahren, in denen ich als Versuchskaninchen hergehalten habe, nicht gestorben und deshalb wollen sie es nachholen. So ist es!

Wem mache ich gerade was vor. Sie testen mich, ob ich in die alte Zeit zurückfalle, als ich durchgedreht bin. Ja, ich gestehe es mir ein. Damals war eine schreckliche Zeit. Keiner, der dir den Rücken gestärkt hat. Niemand, der dich wollte. Nicht einer, der dich geliebt hat.

 

Die Zeiten haben sich verändert. Mein Verstand ist klar und denkt. Ich habe keine Aggressionsprobleme mehr, nur noch der innerliche Zwiespalt, der verarbeiten will, dass mein Freund mich betrogen hat. Dazu kommt noch die Unzufriedenheit, die in mir wütet. Dabei kann mir keiner helfen.

Noah hätte es gekonnt. Er wäre dein Prinz auf dem weißen Schimmel gewesen. Dein Retter in der Not und du hast es nicht wertgeschätzt. Einmal hättest du die Chance gehabt und sie nicht genutzt. Das Leben gibt nur eine Chance. Du hast sie verbockt. Eine zweite Chance muss man sich verdienen.

Wer sagt, dass ich das will?

Tief in dir drinnen ist noch die alte Jody, welche verletzt und weinend, angesichts der vergangenen Taten in der Ecke sitzt und alles bereut. Sie will, dass alles aufhört. Keiner soll mehr sein Leben lassen, nur weil du es so entscheidest.

Das kann mir jeder weismachen. Betrachten wir es einmal aus meiner, realistischen Perspektive:

Eine Stimme meint, ich soll niemanden mehr töten, weil ich es anscheinend will, obwohl ich es nicht will.

Nein, ich kann getrost verzichten. Deine Meinung zählt hier nicht.

Ich wollte dir helfen. Ich habe dich gewarnt!

Mein angebliches Unterbewusstsein wird poetisch. Meine Güte, wo bin ich nur gelandet.

Ich verdränge mein Unterbewusstsein und möchte weiterhin diesen magischen Moment der Ruhe und Zufriedenheit genießen. Nur, dass mir nach einiger Zeit die Augen zufallen und ich mich in die Welt der Träume und Dunkelheit verabschiede.

 

Die nächsten zwei Tage – meine letzten Urlaubstage – vergehen, an denen ich nichts Besonderes vollbracht habe.

Morgen muss ich wieder arbeiten, denke ich mir und lehne diesen Gedanken ab. Am liebsten möchte ich dort gar nicht mehr erscheinen. Es ist mir zuwider, meine Art zu verstellen und freundlich zu lächeln, obwohl ich die Kunden für ihre Dummheit ohrfeigen könnte. Sie finden nicht einmal das Klopapier, welches heutzutage aus Baumblättern hergestellt wird, obwohl der Aufwand den Preis in die Höhe sprengt. 

Ich schlendere in die Küche, wobei mir der Speichel schon im Mund zusammenläuft. In letzter Zeit habe ich eindeutig zu oft meine Mahlzeiten vernachlässigt, was mir mein Körper nun mit einer Heißhungerattacke zurückzahlt. Mein Körper liebt es sich selber weh zu tun und meinen Geist leiden zu lassen. Bereits einige Wochen habe ich es erfolgreich durchgehalten, mich nicht zu erbrechen oder eine stechende, pochende Migräne zu bekommen. Ja, es ist definitiv ein Erfolg, bei dem ich mir selber eine Urkunde verleihen könnte. Mehr als stolz auf mich selbst, schaue ich in den Kühlschrank, in dem die Hälfte aller Lebensmittel abgelaufen sind, wie ich zu meiner Überraschung feststelle. Vielleicht sollte ich mal einkaufen gehen. Ja, das wäre eine gute Idee hinsichtlich des Verdorbenen, das meinen Magen nur noch mehr zusetzen würde. Ich verstehe von selbst, dass es schlecht wäre, nun einen verschimmelten Joghurt oder verfaultes Obst zu essen. Seit wann liegen Äpfel und Bananen eigentlich im Kühlschrank? Wüsste nicht, was sie da drinnen zu suchen hätten. Angeekelt nehme ich das Teller Obst, das man allerdings nicht mehr so bezeichnen kann, und werfe es in den Müll. Mir egal, ob sich die Müllmänner beschweren, weil ich es nicht in den Biomüll getan habe. Es geht sie nichts an, was ich mache.

Ich inspiziere weiterhin den Inhalt meines Kühlschranks, während ich mich auf weitere angenehme Stunden in meinem Bett freue. Es gibt schließlich nichts Besseres, als genießerisch im Bett zu liegen und Hochglanzmagazine über irgendwelche VIPs zu lesen, bei denen die Hälfte bereits in den Drogentod gegangen sind. Ein Hoch auf die Aktualität der Artikel. Man kann meinen, dass sich die Autoren nach vergangenen Zeiten mit den jeweiligen Sternchen zurücksehnen, auch wenn ich es nicht ganz nachvollziehen kann. Um Napoleon Bonaparte oder Dschingis Khan kümmert sich keiner mehr, da brauche ich auch nicht bekifften Toten nach zu trauern. Oh ja, die Autorin Anant Isedan hat ganz recht, das zu kritisieren. Sie kann man als Schriftstellerin der Moderne bezeichnen, die die Wahrheit anspricht. Endlich jemand mit eigener Meinung. So blättere ich den ganzen Nachmittag durch, bis sich erneut mein Magen meldet. Da ich vorher nichts Essbares gefunden habe, kann es nicht schaden einen zweiten Versuch zu starten, möglicherweise finden meine Augen doch etwas, das nach Essen aussieht.

 

Am Ende stehe ich mit leeren Händen und ebenso leeren Magen da, der mich noch halb taub knurren wird.

Meine Entscheidung habe ich unbewusst schon vor einer viertel Stunde getroffen, als ich mich auf die Suche nach Essbarem gemacht habe. Ein Besuch im Supermarkt ist heute wohl unumgänglich.

Beim Polak kann ich unmöglich einkaufen gehen. Wenn die sehen, dass ich nicht mehr um meinen Freund trauere und keinen schwarzen Schleier trage, der diese Problematik veranschaulicht, werde ich womöglich als Sündenbock für die viele Arbeit herhalten müssen, die sie auch mit mir hätten. Aber Diana kann eine Mücke zum Elefanten machen. Am liebsten würde ich ihr bei jeder Begegnung eine Ohrfeige geben oder sie anderweitig verprügeln, bis sie am Boden liegt und um ihr Leben bettelt.

Weil sie nie ihre vorlaute Klappe halten kann, wird jeder Zeuge ihrer gehässigen Art und ihrer Affäre mit Eric, eigentlich unserem Vorgesetzten.

Als wäre das noch nicht genug, beschwert sie sich, falls sie einmal in ihrem Leben einen Finger rühren muss. Schaden tut es ihr jedenfalls nicht.

Gut, dass uns Eric nur noch selten miteinander einteilt, weshalb ich die letzten Monate fast in völliger Ruhe – mit Ausnahme von Ginger – verbringen konnte.

Beinahe kann ich sagen: Mit meinen Hobby – dem Töten – und meinen Job habe ich ein erfülltes Leben. Wenn doch nur nicht die Langeweile auch noch da wäre. Oder ignorante, verräterische Menschen. Ich wäre mit meinem Gewissen im Reinen.

 

Wie löse ich nun mein Problem mit dem Supermarkt? Meine Gedanken veranlassen mich, dem Küchentisch einen Besuch abzustatten. Auf einen Haufen in der oberen, linken Ecke liegt ein großer Stapel Magazine, die mit Slogans und Angeboten meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen können.

Ich durchsuche sie nach einem geeigneten Supermarkt oder Discounter. Schnell werde ich fündig und entscheide mich beim Discounter Salo vorbei zu schauen. Vielleicht haben sie das, was ich gerade am dringendsten brauche. Nämlich Essen. Das erste Mal, seitdem ich richtig Lust verspüre, bei der Vollstellung mich wie eine Weihnachtsgans vollzustopfen und es befindet sich nichts zu essen im Haus. Manchmal kann das Leben ziemlich deprimierend sein.

 

Mit meinem Auto düse ich die Straßen bis zum Salo entlang und hupe ein paar Mal, wenn mir die Fahrer, welche vor mir fahren, sich zu langsam vorwärtsbewegen.

Darauf reagieren die Angesprochenen mit empörten Kraftausdrücken, worauf ich ihnen nur einen schönen Tag wünsche. Momentan befinde ich mich in einer prekären Lage, in der ich mich auf nichts anderes, als auf eine Fertigpizza konzentrieren kann. Mir fehlt die Geduld, mir etwas Anständiges zu kochen.

Die Reifen zweier Autos kommen quietschend zu stehen, während die geschockten Autofahrer wütend aufschreien, als ich mich im Überholvorgang an ihnen vorbei bewege. Was kann ich dafür, dass sie mal wieder zum TÜV müssen, um ihre Autofunktionen durchchecken zu lassen.

 

Endlich am Parkplatz des Salos zum Stehen gekommen, sprinte ich förmlich zu den Einkaufswägen. Mein Gehirn konzentriert sich zurzeit bloß auf den bevorstehenden Gang durch den Discounter und kann nicht anders, als mir schmackhafte Bilder von geschmolzenem Käse auf aromatisierten Salami-Scheiben in Dauerschleife vor meinem inneren Auge abzuspielen.

Hm, lecker. Also schnell zu der Kühlabteilung gerannt und einige Schachteln in den Wagen geworfen, schon gelange ich in die Süßigkeiten-Abteilung, schon vergeht mein Hunger. Was will ich hier? Ich will nichts Süßes.

Eventuell sollte ich mal in der Gemüse- und Obstabteilung vorbeischauen. Oder in der Fleischwarenabteilung. Bestimmt gibt es da etwas, was ich mag.

Gesagt, getan. Am Ende meiner kleinen Einkaufsorgie stehe ich an der Kasse und bezahle.

 

Die Lebensmittel lade ich in Tüten, die ich für fünfzig weitere Cents von der Verkäuferin ersteigert habe, in den Kofferraum, worauf ich die Hintertür zuschlage. Geschafft. Nur noch den Wagen zurückrollen und mich vom Acker machen. Meine derzeitige Situation lässt nicht zu, dass ich mich noch länger in der Öffentlichkeit aufhalte. Nicht, dass Eric Luft davon bekommt und mich wegen Arbeitsbetrug feuert. Vor allem habe ich in einen anderen Laden eingekauft. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass man seine Arbeit in diesem Fall nicht verraten soll und in einen anderen Laden einkaufen soll. Eric wäre enttäuscht von mir, wenn er das wüsste, aber was kümmert es mich. Ich bin nicht seine Sklavin, die er herumkommandieren kann, wie gerade seine Lust und Laune sind.

 

Zuhause schiebe ich die Pizza in den elektrischen Ofen, nachdem ich ihn auf 200 Grad gedreht habe. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen, als ich das Essen brutzeln sehe. Nach zehn Minuten ist sie auf ihrem Höhepunkt, der Käse vor sich hinschmelzend und der Duft nach dem unverkennlichem Aroma von Pizza in der Luft hängend. 

 

Währenddessen der Ofen seine Arbeit erledigt, durchschreite ich den Raum, einzig und allein darauf wartend, dass das Essen fertige wird.

Wie lange dauert das noch? Ich habe langsam, aber sicher keine Geduld mehr. Gleich werde ich sie aus dem Ofen holen und sie so verspeisen, wie sie gerade ist. Mir egal, ob sie durchgebacken ist oder nicht. Dein Todesurteil steht fest, liebste Salami-Pizza.

Bevor ich sie aus dem Ofen ziehe, werfe ich einen flüchtigen Blick auf die Uhr.

Nein! Ich habe sie sogar fünf Minuten länger drin gelassen, als es eigentlich nötig war. Ich bin selten dumm! Naja, wenigstens kann ich sie jetzt genießen, wie ein Meisterkoch seinen Kaviar.

 

Mit Handschuhen, die mir vier Nummern zu groß sind, ziehe ich sie auf dem Blech aus dem ausgeschalteten Ofen.

Daraufhin lasse ich sie vom Blech auf einen Teller fallen und stelle die Unterlage dann in das Waschbecken, wo es im kalten Wasser abkühlen kann.

Mit Messer und Gabel bewaffnet schneide ich zuerst die Pizza in vier Segmente. Ich beschließe, kleine Stücke zu machen, damit ich mein Essen genießen kann. Was nutzt es mir, sie wie ein hungriger Bär zu verschlingen, nur, dass mein Magen sich wieder beschwert.

Nein, ich kann darauf verzichten. Ich werde die Pizza genießen, wofür bin ich extra so lange für sie herumgefahren? Für nichts und wieder nichts, wenn ich das nicht tue.

Ich hätte nie gedacht, dass ich so tief sinken könnte und in kleinen Kinderstücken die Pizza hinunterschlucke, auf die ich jetzt eigentlich keine Lust mehr habe.

Mein Magen hat aufgehört zu knurren, der mich so lange auf Trab gehalten hat. Dafür gehört er definitiv geköpft.

So viele Probleme, die er mir beschert hat, hätte ich ohne ihn nicht. Er ist ganz alleine schuld an meiner Misere.

Ich spüre, wie sich mein Bauch zusammenzieht. Oh nein. Nicht schon wieder.

Ich stürme wie ein angriffslustiger Ziegenbock Richtung Badezimmer, in dem ich mich kniend über die Kloschüssel beuge.

Wann ist es nur dazu gekommen, dass ich mich überhaupt in so einer Lage befinde? Habe ich etwas verschuldet, was ich nun bereuen soll?

Ich bin zwar in manchen Dingen schuldig, aber, dass sie so schwerwiegend sein würden, um mich vom Höchsten zu bestrafen, kommt mir nicht in den Sinn.

Verständnislos entleere ich meinen Magen, bis nur noch Magensäure an die Oberfläche tritt.

Pfui, schmeckt fürchterlich. Kann mir nicht vorstellen, dass einige Menschen sich das antun, nur um dünner zu werden.

Obwohl, so eine schlechte Idee ist es gar nicht, wenn man die ganzen negativen Aspekte außer Acht lässt. Man könnte fast meinen, es wäre die Wunderheilung für alle Fettleibigkeit, die den momentanen Planeten bevölkert. Dazu sollte man sagen, dass es so gut wie keine gibt. Seit dem dritten Weltkrieg haben alle mächtig abgespeckt, da vor meiner Einlieferung das komplette Gegenteil der Fall war. Statt Magermenschen, gab es Dickmenschen. Jeder oder Jede hatte ein paar Kilos zu viel auf den Hüften, sogar ich, obgleich ich noch zu der normalgewichtigen Sorte Mensch gehört habe. Wunder, oh Wunder hat sich das in der Irrenanstalt geändert.

Dort hat man ein individuelles Abspeckprogramm bekommen, das dem Leitfaden: Überleben des Stärkeren, folgt. Daher hat Zoey auch immer den halb verschimmelten Apfel bekommen. Sie stand weiter oben in unserer Nahrungskette. Sie war eine, mit den meisten Beziehungen. Durch ihre charmante Art, denn sie war nur zu mir so gefühlskalt oder gemein, hat sie auf jeder Seite Wohlwollen und Sympathie erworben. Sogar als Patientin wurde sie von den Pflegekräften geschätzt, da sie sich nicht selten einen Spaß erlaubt hat, den man nur mit Lachen bekämpfen konnte.

Wenn nur nicht die Opfer wären, welche die Kosten tragen. Sie wäre nie auf ihre Position aufgestiegen. Immer nur wäre sie ein Häufchen Elend geblieben. Nie wäre sie die Zoey geworden, welche ich getötet habe. Nie wäre sie hinab in die Hölle gegangen. Sie würde noch leben.

Nun ja, es ist kein Thema, über das ich mir Gedanken machen sollte. Es ist vorbei. Lieber muss ich mir überlegen, wie ich das Essen und Kotzen differenziere. Es darf keine fließenden Übergänge dazwischen geben, die mir das Leben ungenießbar machen.

Was hat es für einen Sinn, meinen Körper zu verlieren?

Zwar habe ich drei Kilo zugelegt, während der Beziehung mit Noah, trotzdem kann ich sie förmlich wegfliegen sehen.

Das Leben ist deprimierend. Vielleicht sollte ich wieder ein paar Menschen töten, die es nicht verdient haben zu leben. Oder die, welche zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

Nichts spricht dagegen. Was für ein leichtes Unterfangen es ist, Leben zu nehmen. Dagegen ist das Leben geben, etwas Schwieriges und unfassbar Schmerzvolles.

Wofür bekommt man Kinder? Entweder sie führen das vorbildlichste Leben, wobei man sich fragt, wie das möglich sei. Oder man ist ein wahrer Krimineller, der sich nach nichts weiter als absoluter Macht sehnt.

Bei mir trifft Zweiteres zu. Ich habe immer versucht so freundlich zu jedem Menschen zu sein, obwohl sie es alle nicht verdient haben. Alle haben sie mich ausgenutzt. Jeder einzelne wollte mich nur demütigen oder hat mich für Geld verraten.

Nie wieder. Ich schwöre es: Nie wieder werde ich jemanden vertrauen!

Tränen der nahenden Verzweiflung, dass ich niemanden habe, der mich mag oder umarmt, treten aus meinen Augenwinkeln hervor.

Schnell wische ich sie mit meinem rechten Ärmel weg, was aber nur zur Folge hat, dass noch mehr den Weg in die Außenwelt antreten.

Habe ich nicht einmal geschworen, dass niemand eine Träne wert ist?

Kann sein. Im Moment ist es mir jedoch egal.

 

Endlich kann ich meiner inneren Trauer freien Lauf lassen! Es ist, als wenn man die Seile um meinen Hals gelöst hätte. Das erste Mal seit längerer Zeit kann ich frei durchatmen, ohne Gefahr zu laufen, dass mein Hals platzt oder durch die Seile erdrückt wird.

Es ist ein großartiges Gefühl der Freiheit. Innerlich bildet sich ein Regenbogen der guten Gefühle, die ich lange Zeit verborgen gehalten habe.

Ich kann klar denken, ohne, dass mich eine Stimme nervt oder mein Handeln durch Wut eingeschränkt ist.

Es ist wie ein neuer Körper, der mir geschenkt wurde.

Nur kann ich nicht mehr rückgängig machen, was ich getan habe. Das wird für immer bleiben. Ich werde ebenfalls für immer Jody bleiben. Die, die keine Reue für ihre Toten empfindet. Höchstens Mitgefühl mit sich selbst.

 

Langsam versiegen die Tränen, was wohl daran liegt, dass ich keine mehr habe. So wenig, wie ich trinke, ist es kein Wunder.

Bis ich mit beiden Beinen einen festen Halt auf den Boden habe, gehe ich in die Küche und hole eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank.

Irgendwie befinden sich alle Lebensmittel im Kühlschrank. Sogar die Cornflakes, die ich irgendwann mal besorgt haben muss. Sonst wären sie nicht im Kühlschrank.

Oder war es Noah, der sie gekauft hat?

Schnell landet die Schachtel im Müll, inklusive der anderen Sachen, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie von mir stammen oder von meinem Ex-Freund.

Die Hand vor dem Mund haltend, verziehe ich das Gesicht.

Mein Atem stinkt nach Erbrochenem. Kein besonders angenehmer Geruch. Vermutlich hängt Unverdautes zwischen meinen Zähnen, dass ich bis jetzt noch nicht entdeckt habe. Um meinen Verdacht zu überprüfen, stelle ich mich vor den Spiegel an meiner Garderobe.

Gut, es befindet sich nichts in den Zahnzwischenräumen.

Nur meine Zähne sind tiefgelb. Das zahlreiche Erbrechen bleibt nicht unbemerkt. Der Zahnschmelz ist so gut wie nicht mehr vorhanden und mein Atem trägt jederzeit den Beigeschmack von Kotze mit an die Oberfläche. Wie halten das meine Arbeitskollegen nur aus? Sogar Diana hat noch nichts in dieser Richtung angedeutet. Möglicherweise kommt es mir nur so vor, als wäre es für jeden sichtbar. Oder sie ignorieren mich alle.

Ja genau. Keiner kümmert sich um meine Wenigkeit.

 

Am besten ruhe ich mich aus, denn Essen kommt für mich nicht mehr in Frage. Höchstens ein paar Schluck Wasser vertrage ich, bis sich mein Magen wieder beschwert und mir meine Verlierer-Position vor Augen führt.

Man kann meinen, mein Magen führt ein Eigenleben. Ich gestehe, ich habe meine Kontrolle über ihn verloren, seit dem Tag, an dem Noah gestorben ist.

Ich weiß nicht, woran es liegen könnte. Eventuell war er mein Retter. Er hätte mich vor meiner Selbstverwesung bewahren können. Stattdessen hat er mich betrogen und seine abartigen Fantasien an einem armen Opfer ausgeübt.

Ich hätte ihn zuerst um Rat bitten sollen, bevor meine Blitze ihn niedergemetzelt haben. Jetzt, nachdem er tot ist, fällt mir plötzlich auf, wie schön die Zeiten mit ihm waren. Obwohl wir fast nur gestritten haben, gab es Momente, in denen ich ihn um nichts in der Welt eingetauscht hätte. Ja, so war es. Es ist nicht mehr. Ich muss mein Leben selbst auf die Reihe bekommen. Mir bleibt auch nichts anderes übrig, wenn ich meine Selbstbeherrschung nicht ganz verlieren möchte.

 

Gesagt, getan. Mein Nachthemd liegt bereits zusammengefaltet auf den Kopfkissen meiner Bettausstattung und wartet nur darauf, angezogen zu werden. Fertig, die Zähne geputzt und die Haare ordentlich zu einem Zopf zusammengebunden, lege ich mich auf die Matratze meines Bettes und krümme mich in Embryostellung, nachdem ich die Decke über meinen kalten Körper gezogen habe.

 

Am nächsten Morgen erwache ich mit müden Gliedern. Am liebsten würde ich mich weiterhin der Weichheit hingeben, die sich unter mir befindet. Die Wärme genießen, während ich über nichts nachdenken muss, außer mich meinen Träumen hinzugeben. Ein viel versprechendes Argument, dass mich glatt dazu bewegt, bis zum späten Nachmittag zu schlafen.

Erst um siebzehn Uhr schlurfe ich zur Sitzgruppe, die die Küche ziert. Soll ich mir etwas zu essen machen, oder aufgeben?

Ganz klar tendiere ich zu aufgeben. Aber mein Körper möchte eine x-Chance. Und ich gewähre sie ihm. Was soll ich sonst tun? Er benötigt Nährstoffe, die ihm bloß Essen geben kann. Nichts anderes ist in der Lage dazu, etwas dagegen zu unternehmen. Einzig und allein Mein Magen stellt sich zwischen mich und der Harmonie, die ich ansonsten hätte. Wie immer.

 

Ich streiche mir ein Butterbrot und gebe darauf einen kleinen Teelöffel Honig. Das sollte schmecken. Hatte ich schon lange nicht mehr. Ich beiße hinein. Kaue ein wenig, bevor ich es hinunterschlucke. Bis die Mahlzeit verrichtet ist, vergeht gut eine viertel Stunde. Und eine viertel Stunde vergeht, bis ich mich über der Toilettenschüssel wiederfinde.

Das war’s. Mein Magen hat die x-Chance vertan. Das hätte er nicht tun sollen. Ab jetzt gibt es keine gutmütigen Versuche mehr. Ich will nichts mehr essen.

 

Die Nacht liege ich noch lange wach, bis ich mich der Müdigkeit erbarme, die mich schon seit Tagen überfällt. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht müde aufwache und mich müder hinlege. Wahrscheinlich liegt es daran, dass alles was ich esse, wieder im Abfluss landet.

Hm. Und ich kann nichts dagegen unternehmen. Ich muss es akzeptieren, so wie es ist. Das sind meine Macken. Nur, dass ich daran vermutlich zugrunde gehen werde.

Mein ganzes Dasein basiert nur noch auf den Gedanken des Essens und des Mordens. Nichts anderes lenkt meinen Geist ab. Immer nur dasselbe.

Der Wecker zeigt vier Uhr morgens an, als ich zum letzten Mal auf die Zeiger schaue und sieben Uhr, als ich sie wieder öffne.

Bevor ich in die Arbeit starte, richte ich mich für die Öffentlichkeit schick her, so gut es eben bei meinem Aussehen geht. Die Augen der Kunden warten nur, um mich zu mustern und die Münder mich zu schikanieren.

Mein Auto, mit dem ich sicher zur Arbeit fahre, parke ich auf den Mitarbeiterplätzen, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Polacks befinden.

Die Kollegen warten bereits auf meine Anwesenheit, ehe sie mich mit höflichen Morgengrüßen und Nicken begrüßen. Was ist denn mit denen passiert? Da hat sich wohl die allgemein bekannte Weihnachtsstimmung verbreitet. Nur bei mir nicht. Ich bin weder höflicher noch glücklicher, als ich es sonst bin.

Als ich in die Mittagspause gehe, wie immer die Einzige, da wir uns abwechseln, kommt mir Diana aus der Damentoilette entgegen.

Ich bereite mich schon auf einen Konflikt vor, der sich immer anbahnt, wenn wir uns erblicken. Bis jetzt, ist mir noch nichts Nettes von Diana widerfahren. Die freundlichste Handlung auf meine Gegenwart, war ein Nicken heute Morgen, über das ich mich gewundert habe.

Vielleicht hatte sie nur guten Sex mit Eric in der Kabine. Er ist sozusagen der einzige männliche Mitarbeiter, deswegen bin ich wohl diejenige Mitarbeiterin, die einmal die Männer- und Frauentoilette vertauscht habe und sie erwischt habe. Seitdem ist Diana noch gemeiner mir gegenüber, als es ansonsten der Fall wäre.

Naja, was soll’s. Mir kann es egal sein. Mir sind die Sympathien verhasster Menschen gleichgültig. Sie können mich noch so freundlich oder gemein anlächeln, mir ist jederzeit bewusst, dass sie hinterhältig und ohne Gewissen sind.

In der Mittagspause lese ich die Zeitung, weil ich auf das Essen verzichte, um mich über die aktuellsten politischen Themen zu informieren. Wenn ich schon meinem Körper nichts Gutes tun kann, kann ich wenigstens meinen Geist auffordern, ein bisschen zu grübeln. Es sollte für mich schließlich dabei nichts Schlechtes rausspringen, mich über die neuesten Vorfälle zu unterrichten. Dümmer werde ich davon jedenfalls nicht. Nach einigen nieder geschriebenen Krisen und Serienmorden, wozu ich auch gehöre, arbeite ich weiter.

Als ich nur noch eine gute halbe Stunde zu arbeiten hätte, kommt auf einmal Diana zu mir herüber. Derweilen kassiere ich einige Kunden ab, sodass ich nichts von ihrer Präsenz wahrnehme.

Erst ihre schnippische Stimme reißt mich aus meiner Konzentrationsphase.

„Hey, du auf dem billigen Platz. Jody, ja ich meine dich. Du musst den Müll raustragen. Ich habe mir erst vorgestern die Nägel machen lassen. Ich möchte sie nicht zerstören. Im Gegensatz zu deinen billigen Abklatschen meiner eigenen, ist es um deine Nägel nicht schade.“

„Aha. Nur mit dem kleinen und feinen Unterschied, dass ich meine Nägel nicht machen lasse. Also sind meine Nägel schöner als deine.“

„Papperlapapp. Und jetzt beweg deinen nicht vorhandenen Arsch, du Missgeburt. Für was wirst du sonst bezahlt?“

Das hat sie nicht gesagt! Das wird sie bereuen. „Wenn du mit mir nach draußen kommst, dann zeige ich dir, für was ich bezahlt werde“, flüstere ich, damit niemand etwas mitbekommt.

 

Zuerst reagiert sie nicht auf meine Worte. Erst als sie meinem todernsten Blick begegnet, fängt sie an, lauthals zu lachen.

„Es ist mein Ernst, Diana. Ich mache keine Späße.“ Meine letzte Warnung.

„Hahaha, das ist gut. Du solltest Komikerin werden. Du, Hungerhaken, möchtest eine durchtrainierte Frau besiegen? Das wird ja immer besser.“

„Ja.“

„Dann komm mal mit. Du wirst gleich neben dem Müll landen, verspreche ich dir.“

„Darauf freue ich mich schon.“ Wenn sie wüsste, das man mich nicht auslacht. Sie hätte mich nicht so behandelt. Sie wäre mir mit mehr Respekt entgegengekommen. Wie sich Menschen eben untereinander behandeln sollten. Nur leider, halten es die meisten nicht ein.

Ihre bald nicht mehr so schöne Gestalt stolziert vor mir Richtung Ausgang, der zu den Mülltonnen führt.

„So, wir wollen mal“, sie wedelt mir mit ihrer Patschhand zu, als wäre ich ein Hund. Freundlich, wie eh und je. Zeit, sie los zu werden. Sie hat mich lang genug beleidigt. Jetzt ist der Zeitpunkt der Rache gekommen.

Die Einzige, welche ihre Defizite haben wird, ist Diana. Ich werde glücklich, bis an mein Lebensende, weiterleben.

„Ja. Komm her und ich zeige dir meine Tricks“, winke ich ihr ebenfalls zu. Dabei benutze ich den Mittelfinger, was die benötigte Wirkung erzeugt. Wütend marschiert sie auf mich zu, jederzeit bereit, mir eine Ohrfeige zu verpassen oder kräftig in den Bauch zu boxen.

 

Als sie nah genug ist, fahren beide meiner Hände hoch, damit ich mit ihren Schultern in Berührung komme.

Überrascht zuckt sie zusammen, jedoch zu spät. Meine Energie gleitet in sie hinüber und verleitet sie in eine Schockstarre. Eine durch mich hervor gerufene Starre, die man auch temporäre Lähmung nennt.

„Zu spät, meine Liebe“, raune ich ihr ins Ohr. Es macht höllischen Spaß, sie in dieser Situation vorzufinden.

„Ich werde dich töten. Na, wie gefällt dir dieser Gedanke“, mache ich ihr Angst. Schweiß bildet sich auf ihren Armen und im Nacken, was ich daran erkenne, dass sich die stinkende Flüssigkeit in Form von dicken Tropfen den Weg nach unten anbahnt.

 

„Hast du etwa Angst? Doch nicht vor mir, dem Hungerhaken? Hat es dir die Sprache verschlagen? Du redest ja gar nicht“, mache ich mir einen Spaß daraus, ihre prekäre Lage auszunutzen.

Ich fahre unter ihr Oberteil, streiche über ihren empfindlichen Bauch, Richtung Rücken.

„Schade, dass das niemand mehr sehen wird. Du wirst für immer entstellt sein. Niemals wieder, wirst du Eric sehen. Oder ihn verletzen könne. Allgemein wirst du niemanden mehr das Leben zur Hölle machen. Es ist doch schön, dass wir beide etwas davon haben. Du bekommst endlich die Ruhe, die du verdienst und ich eine stille, besonders tote, Arbeitskollegin, die mir nie wieder auf die Nerven gehen wird.“

In einer selbstbewussten Haltung, die aus zurückgedrückten Schultern und einer breitbeinigen Stellung besteht, hole ich meine Hand aus, wodurch sie mit einem lauten Klatsch auf ihre Wange trifft.

„Wolltest du das nicht mit mir machen?“, reibe ich ihre Schwachheit unter die Nase.

„Ja, genau, das wolltest du. Nur bin ich hier die Stärkere. Und die Stärkere überlebt. So ist es immer.“ So gut habe ich mich noch niemals in meiner Haut gefühlt. Es ist das erste Mal, dass ich richtig glücklich bin. Ich bin stärker. Ein fantastisches Gefühl, das jede Ader meines Körpers durchströmt. Die Endorphine breiten sich in den Blutbahnen aus.

 

„Um dich nicht noch mehr zu strapazieren, schließlich möchte ich noch nach Hause und nicht zu viel Zeit mit dir vergeuden. Findest du nicht auch?“

Wäre ihr Körper nicht auf wundersame Weise gelähmt, würde sie auf mich einschlagen, bis ich tot wäre. Ich erkenne es an ihrem Blick. Am liebsten würde sie mir das Gleiche antun, was ich ihr gerade antue.

„Du siehst selber, dass niemand etwas für seine Gefühle kann. Du würdest mich ebenfalls büßen lassen, dass du gerade leidest. Nur ist es so, ich bin nicht gewillt an der derzeitigen Lage etwas zu ändern. Zu aller Letzt bist du ganz allein für deine eigene Misere schuld. Hättest du mich nicht provoziert, hättest du schön mit Eric weitermachen können. Oder wieder einen nervtötenden Streit in der Öffentlich praktizieren können. Mir wäre es gleich gewesen, hättest du mich aus der Schussbahn gehalten. Nun, es ist offiziell. Ich bin es leid, jeden Tag deine Anwesenheit zu ertragen. Ich entschuldige mich nicht für das, was ich mache. Viel Spaß, ins Jenseits zu gehen. Berichte mir, wie es ist, damit ich einen Vergleich zur Hölle habe. Eventuell bis irgendwann.“

So eine lange Abschlussrede sollte mit einem spektakulären Mord gefeiert werden. Hätte ich meine Messer und eine Flasche Essig zur Hand, könnte ich sie wahrlich leiden lassen. Nur stehen mir diese Mittel momentan nicht zur Verfügung. Meine Blitze müssen ausreichen.

 

Alle Kraft, die ich besitze, fließt in meine feingliedrigen Finger, die sich zu Dianas gelähmtem Körper hinstrecken. Erst kleine elektrische Spannungen machen sich im dunklen Tageslicht erkennbar. Anscheinend zieht ein Gewitter herauf. Graue Wolken ziehen vor die helle Sonne, weshalb die Welt in Dunkelheit getaucht ist.

Perfekt zur Stimmung passend, vergrößern sich die Energieträger, welche bereits eine annehmbare Größe besitzen. Als würden sie den Körper meines Opfers liebkosen, streicheln sie über ihre Haut. Für sie dürften es die größten Schmerzen sein, die sie jemals empfunden hat. Ja, sie soll es bereuen, was sie mir angetan hat. Ja, sie wird.

Verbrannte Haut befleckt ihre sonst so strahlend reine Haut und gibt ihre wahre Natur zum Vorschein. Sie ist nur ein Mensch, wie jeder andere, der sich für etwas Besseres hält.

Der Schein trügt, sie ist nicht die freundliche, perfekte Frau, welche jeder zu glauben kennen scheint. Sie ist nur Diana, die unperfekte Verkäuferin mit einem Hang für Eric.

Die hellblauen Blitze erreichen ihren Höhepunkt, indem sie den Körper nahezu verschlingen, bis nichts mehr außer ihrer Asche am Boden übrigbleibt.

Wieder einmal ist mir die Schlechtheit eines Menschen vor Augen geführt worden.

 

Und er hat es nicht überlebt.

 

Vom Unschuldslamm zur Killerin (überarbeitet)

 

Der Stadtpark ist ein beliebtes Ziel, wenn man den Kopf frei bekommen möchte und an nichts zu denken vermag. Einfach entspannen. Um nichts Sorgen machen. Für einen kleinen Zeitraum ermöglicht es mir eine Auszeit zu nehmen und die Alltagsprobleme von mir weit weg zu schieben.

Hunde mit buntem Halsband starten eine Hetze. Die arme Katze rennt um ihr Leben, während die übergroßen Bulldogen ihr hinterherlaufen.

Das alles lenkt mich von der Tatsache ab, dass ich gerade die Asche von Diana im Wind zerstreut habe. Die Wolken haben sich verzogen, nachdem sie sich kurz abgeregnet haben, sodass meine Umgebung erneut von Licht durchflutet wird. Der grelle, gelbe Sonnenschein strahlt über mein Haupt hinweg, sodass ich im Schatten des Baums hinter mir verdeckt bleibe. Eine leichte Brise zieht auf, alles ziemlich untypisch für die winterliche Jahreszeit. Dieses Jahr hat so ziemlich alles auf crazy gemacht, so kommt es mir vor. Meine Freilassung aus der Klinik, der Banküberfall, die beinahe Verurteilung, eine fatale Beziehung und Spannung, auf das, was noch kommen mag. Vielleicht sollte ich mein Leben mehr wertschätzen? Aber tue ich das nicht, indem ich lebe? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob mein Leben ein Leben ist oder es nur den Anschein macht, dass ich lebe. Möglicherweise gibt es eine Lösung, die einem sagt, dass man lebt oder eben nicht. Aber was ist, falls die berühmt berüchtigten Mathematiker unserer vergangenen Zeit kein Ergebnis haben? Soll ich einen Philosophen fragen, der durch Gänseblümchen einen Blick in die Zukunft gewährt bekommt? Nein, das will ich nicht. Es ist eine Sache, ein lebenswertes Leben zu führen, aber es ist etwas anderes, wenn man weiß, dass einen solche Gedanken bloß von den eigenen Problemen ablenken sollen. Hoffentlich sind meine Spuren gut verwischt worden. Der Wind hat sein Möglichstes getan, die Asche zu beseitigen, zwar musste ich teilweise nachhelfen, jedoch trägt das nichts zur Problematik bei. Alleine mein Verstand möchte nicht mit dem Ganzen abschließen. Er akzeptiert es nicht, obwohl es ein Teil von mir ist. Töten befriedigt meine innersten Wünsche nach Gewalt und freier Auslebung meiner wahren Natur. Zuerst habe ich aus Rache getötet, jetzt gründet es sich auf der Basis der Langeweile und der Sucht, es immer und immer wieder zu machen. Man kann nicht damit aufhören oder der innere Zwang macht dich verrückt, bis du schlussendlich nachgibst. Survival of the fittest. Entweder die anderen oder ich. Es ist klar, für wen ich mich entscheide. Für mich. Ich war nie besonders rücksichtsvoll was andere betraf, das wird sich auch nicht ändern. Zwar gab es eine Zeit, nein, sogar zwei Zeiten, als ich mich grundlegend ändern wollte. Nicht nur oberflächlich, wie es mein innigster Wunsch war, wenn es mir schlecht erging. Zum einen in meiner ersten Gerichtsverhandlung, bevor die Geschworenen mich in die Psychiatrie schickten. Nicht einmal meine Verteidigung haben sie angehört. Obwohl ich gar nichts, rein gar nichts getan habe. Und das zweite Mal war, als ich Noah kennenlernte. Ab diesem Zeitpunkt habe ich ein Gefühl verspürt, was die Menschen scheinbar Liebe nennen. Leider ist es mit Noah zugrunde gegangen. Es war mein Fehler, ihm zu vertrauen. Niemals hätte ich mich auf diesen egoistischen Fremdgeher einlassen dürfen. Trotz, dass mir die Tage mit Noah damals wie eine einzige Sekunde vorgekommen sind, stellt sich mir die Beziehung bildlich als die größte Verschwendung meines Lebens vor die Augen. Ich zweifle immer noch an meinem Verstand. Er hätte es nicht zulassen dürfen, dass ich abermals verletzt werde. Ich kann nicht mehr leben, wenn mir erneut so etwas widerfährt. Nur kann ich nicht aufgeben. Das Leben geht weiter, auch wenn ich mich in der Rolle der Fügsamen nicht gefalle. Darüber habe ich keine Macht. Ja, das Ich in der Vergangenheit war glücklich, ein Unschuldslamm. Nur hat mich meine Umgebung zu einer Killerin mutieren lassen. Des Weiteren folgt noch eine Zukunft, die mich wieder verändern wird. Nur was darauf folgt, bin ich mir nicht sicher. Erwartet mich der Frieden oder noch mehr angestaute Wut über mich selbst, die ich erbarmungslos an meine Opfer auslassen werde? Ich weiß es nicht. Deutlich erkenne ich meine Zukunft. Sie ist ungewiss. Sowie auch die der anderen. Keiner kann über sich selbst bestimmen. Das Schicksal entscheidet für dich. Du kannst nur entscheiden in welche Richtung es geht. Einzig und allein musst du dich zwischen einen positiven oder negativen Betrag entscheiden. Kehrst du der heilen, friedlichen und traurigen Welt den Rücken und lebst weiterhin monoton vor dich hin oder gibst du dich deinen inneren Zwängen hin, die deine wahre Natur zum Vorschein bringen. Man muss eine Wahl treffen. Entweder eins oder keins. Ich weiß es nicht. Nein, da liegst du falsch. Du hast dich bereits entschieden, nur traust du dich es nicht, es auszusprechen. „Der Zwang ist eben zu stark." Wie stark? Wenn man bei einer Skala von eins bis zehn den Richtwert setzt? Elf. Warte, habe ich gerade mit meiner inneren Stimme gesprochen? Habe ich dir nicht befohlen, dass du dich dahin verkriechen sollst, woher du gekommen bist? Habe ich. Dein Körper ist auch mein Körper. Es ist unser Körper. Du und ich sind unzertrennlich miteinander verbunden. Bis, dass der Tod uns scheidet. Ein Hoch auf die glückliche Ehe. Ja, ich freue mich auch. Vorsicht Sarkasmus! Vorsicht du bist schizophren. Hahaha. Der Witz des Jahrhunderts. Findest du nicht? Ich lache mich schlapp. Sieht man. So schlapp, wie du schon bist. Bald kannst du als Grashalm durchgehen, wenn du weiter abnimmst. Oder als Gänseblümchen. Sind wir da einer Meinung? Du musst mir nicht vorhalten, wie hässlich ich bin. Das ist mir durchaus bewusst, falls du es noch nicht in Erfahrung gebracht hast. Warum machen dir meine Beleidigungen nichts aus? Normalerweise solltest du durch die Decke gehen, wenn ich dich beschimpfe. Du vergisst, dass wir eins sind. So wie du mir, so ich dir. Sagt dir das Sprichwort etwas über mich? Ja? Nein? Wenn nicht, die Interpretation lautet: Was du mir antust, tue ich dir gleichermaßen an, da es mich genauso trifft, wie dich. Aha. Irgendwie stimmt das nicht. Mich berührt es, aber dich nicht. Dagegen bin ich warm und du kalt. Du weißt es nicht, ob es mich genauso trifft wie dich. Du bist dir unsicher. Dennoch bin ich mir im Klaren über deine Emotionen, die du selbst preisgegeben hast. Aber du fühlst nicht. 

Kann sein. Ich bin verwirrt, um es möglichst genau auszudrücken. Einmal sagst du es so. Ein anderes Mal meinst du es nicht, so wie du es sagst. Langsam aber sicher kann man mich wieder in die achte Klinik einweisen. Findest du nicht auch? Ach was, die machen mich nur noch verrückter, als ich zurzeit schon bin.

Das finde ich auch. Die würden mich nur mit Beruhigungstabletten betäuben, bis ich nur noch aus Morphium bestehe.

Wie du es sagst, es könnte sogar ganz angenehm sein, dich aus meinem Kopf zu bekommen. Wenigstens für eine kurze Zeit. Es wäre mir wert. Hauptsache ich habe meine Ruhe. Hauptsache mein Kopf gehört mir selbst und muss ihn nicht mit einer sogenannten zweiten Hälfte teilen, von der ich bis vor kurzem noch nichts gewusst habe.

Im Vordergrund liegen doch ganz andere Probleme, die es zu klären gibt, oder? Du musst dich nicht um mich kümmern. Ich werde dich nie wieder alleine lassen, mach dir darum keine Sorgen. Ich bin für dich da.

Du willst mich bekämpfen, dass hast du selbst gesagt.

Ach, was. Du bist sowieso ein hoffnungsloser Fall. Irgendwann wirst du dich selbst zerstören. Für was würde ich mir die Mühe machen und dir so zusetzen, dass du nur noch, ein auf den Boden liegendes, Frack bist?

Vielleicht ist das dein Ziel. Du betreibst deine ganz eigenen Psychospielchen. Ha, du hinterlistiges Drecksvieh.

Einige Sekunden vergehen. Keine Antwort.

Ich frage erneut. Keine Antwort.

Ein dritter Versuch. Keine Antwort.

Es stimmt also. Wie konnte ich nur so dumm sein. Diese Frage werde ich mir anscheinend heute noch öfters stellen. Trotzdem entspricht es der Wahrheit. Mir erscheint mein Verstand geschmolzen und aus meinem Kopf geronnen. Nicht in der Lage nachzudenken und mich der irren Konversation der Stimme nachzugeben. Manchmal sollte ich einen Hammer nehmen und mir einen Schlag auf den Hinterkopf verpassen. Möglicherweise hilft das.

Ich vergrabe meine Hände in den Jackentaschen, die mir wohlige Wärme spenden. Zwar scheint die Sonne, doch hat sich mittlerweile eine kleine Art Tornado gebildet. Eine sehr kleine, jedoch bitterkalte Art.

Wenn ich nach Hause gehen würde, wäre mir nicht mehr kalt. Dennoch verlangt mein Herz, dass ich hier – auf der Bank – sitzen bleibe. Meine Beine legen ebenfalls ihren Dienst nieder und ich falle zu Boden, als ich versuche, mich meinem Herz zu widersetzen.

Ist es nicht eine Regel, alles zu tun, um das Herz zufrieden zu stellen? Momentan denke ich, es stimmt. Das Herz macht wirklich alles, damit es seinen Willen kriegt. Sogar mein eigener Körper enttäuscht mich. Ich habe es mir anders vorgestellt. Bin nicht ich Herr, beziehungsweise Frau, über meinen Körper? Dem Anschein nach nicht. Er macht, was er will. Genauso wie das Herz. Beides kann mir den Buckel runterrutschen und den Verstand gleich mitnehmen.

 

„Geht es Ihnen gut?“

Verstört hebe ich meinen Kopf und blicke einen fremden Mann ins Gesicht. Trübe, grüne Augen blicken mich an. Ein besorgtes Lächeln schmückt seine Züge und ich erinnere mich daran, dass er sich nach meinem Wohlbefinden erkundigt hat.

„Ja. Geht schon.“

„Sieht aber anders aus. Möchtest du es mir vielleicht erzählen? Ich kann dich doch duzen, oder?“

„Nein, wenn es in Ordnung geht. Ich bleibe lieber bei der Höflichkeitsform.“

„Okay. Abgemacht. Was bringt Sie denn zum Weinen?“

Ich erzähle ihm sicherlich nichts über meine Situation. Er ist ein Fremder. Er kennt mich nicht. Ich habe keine Kraft ihn zu töten, wenn ich mich verspreche und er von den Morden erfährt. Trotzdem drängt ein Teil von mir, es ihm zu sagen. In abgewandter und teilweise gelogener Form, aber das trägt nichts zur Problematik bei.

„Komm. Setzen Sie sich auf die Bank.“ Ich versuche mich vom Boden zu erheben und scheitere kläglich. Vermutlich gebe ich ein ziemlich schreckliches Bild von einer Frau ab, weshalb sich der Mann erbarmt und mir aufhilft und bis zur Bank stützt. Sie ist einige Meter, die ich zu Fuß geschafft habe, von uns entfernt, aber mein Gewicht dürfte für ihn keine Schwierigkeit darstellen, denn ich wiege sozusagen nichts.

„Dann erzählen Sie mir doch, wer bei Ihnen einen derartigen Herzschmerz hinterlassen hat. Ich kann es nachvollziehen, wie es ist, verlassen zu werden.“

Ich mustere sein Äußeres. Eine Halbglatze ziert sein Haupt, seine zusammengewachsenen Augenbrauen verleihen ihm einen wilden Ausdruck, der durch seine schmalen Lippen verstärkt wird. Sein Körperbau gleicht dem eines Joggers, sehnig und schlank.

Ich kann verstehen, dass er keine „auf den ersten Blick“ Liebe ist, aber abstoßend ist er nicht, auch wenn es das Fazit meiner Musterung ist. Er ist ein Widerspruch seiner selbst. Ich kann keine exakte Meinung bilden, denn sein höfliches Benehmen steht gegen sein seltsames Äußeres. Er sieht einem alten, geizigen Griesgram ähnlich, obwohl er noch keine fünfzig Jahre zählen dürfte.

Er sieht aus, als hätte ihn ein Erlebnis schneller altern lassen. Meine Neugierde ist geweckt: „Wie steht es eigentlich um ihr Problem?“

„Welches meinen Sie. Ich habe viele.“

„Fangen Sie einfach an zu erzählen. Ich habe ein offenes Ohr für Sie. Dafür sage ich Ihnen später, was für ein Problem mich beschäftigt.“

„Ein sehr verlockendes Angebot, das ich gerne annehme. Sie sind wohl die Einzige, die sich für meine Probleme interessiert. Ironie des Schicksals, würde ich es nennen. Eine mir Fremde will etwas über mich wissen, aber meine Familie nicht.“

Er macht eine kurze Pause, bevor er tief einatmet und anfängt mir von seiner Lage zu erzählen.

„Meine Frau – sie hat mich mit ihrem Cousin betrogen – hat mir ins Gesicht gespuckt, nachdem sie mir gestanden hat, dass sie nur hinter meinem Geld her war. Wissen Sie, als Informatiker in einer sehr einflussreichen Firma, verdient man nicht schlecht und das wusste diese Schlange von Frau zu schätzen. Das einzige wahrscheinlich, was ihr an mir gefallen hat, wie sie es ausgedrückt hat.

Naja, sie hat unsere zwei kleinen Töchter gepackt und ist mit ihrem Liebhaber abgehauen. Das Schlimmste ist, dass ich nicht über ihren derzeitigen Standort informiert bin. Sie könnten theoretisch überall sein. Es ist deprimierend, dass ich – als Informatiker – nicht herausfinden kann, wo sie sich befinden. Ich kenne meine Schätze in- und auswendig, aber unglücklicherweise ist ihr Cousin ebenfalls Informatiker, dazu noch ein Spezialist in seinem Fach. Er hat dafür gesorgt, dass sie irgendwo im nirgendwo abtauchen und ich sie nicht finden kann. Man kann so viele Kontakte haben wie man will, aber es bringt einem nicht die Familie zurück.“

Tragisch. Mein Mitgefühl hält sich in Grenzen.

Er hat sich die Suppe selbst eingebrockt. Wie kann er nur so blind gewesen sein, das Spiel seiner Frau nicht aufzudecken. Sehr oft bietet sich mir die Gelegenheit, mich um den Verstand von Männern zu sorgen. Um meine Sympathien für ihn nicht ganz auszulöschen, lege ich ihm eine Hand auf den Rücken. Ein paar mitfühlende Worte werden ihn sicher besser stimmen. „Irgendwann. Früher oder später werden Sie ihre Kinder wiedersehen, wenn es das Schicksal so will." „Ja, wenn das Schicksal nicht gerade in schlechter Stimmung ist. Ansonsten kann ich getrost darauf verzichten. So viel Übles, wie es mir angetan hat. Ich wollte mein Leben beenden. Deswegen." Er tut mir ja so leid. „Menschen machen Fehler. Menschen ändern sich nie. Sie können es versuchen, aber sie fallen wieder zurück in ihre alten Gewohnheiten. Ein Mörder hört auch nicht auf zu töten, nur weil man ihn ins Gefängnis verfrachtet. Das Gefühl von Macht, das man durch das Morden erhält, kann man vergleichen mit einem Drogenrausch. Jedenfalls hat es meine ehemalige Freundin so ausgedrückt." „Aha. Interessant." Ich lege ihm widerwillig den Arm um die Schultern und raune ein paar entschuldigende Worte in seine Richtung: „Menschen kommen und gehen. Nur darf man sich nicht an ihnen festklammern, da der Verlust nur noch immenser wird. Akzeptieren Sie die Tatsache und versuchen Sie ein neues Leben aufzubauen." Im Moment schmeckt mein Speichel wie Galle, empor gekommen aus einem verwesenden Hundekörper. Ich hätte gehen sollen, ehe er reif für die Psychiatrie war. Nur habe ich den Zeitpunkt dafür schlecht gewählt. Ich versuche so ruhig wie möglich aufzustehen, um nicht auf falsche Gedanken zu bringen und bewege mich zwei Schritte von ihm weg. „Musst du etwa schon gehen?" Nein, ich tu nur so. Eigentlich möchte ich so schnell wie der Wind vor dir flüchten, um deine überaus erbärmliche Persönlichkeit nicht mehr in meiner Gegenwart erdulden zu müssen. Das kann ich ihm schlecht sagen. Wann bist du so denn so empfindlich gegenüber den seelischen Verletzungen anderer geworden? Das passt überhaupt nicht zu dir. Das bist nicht du Jody. Einmal wohl kann ich der inneren Stimme recht geben. Das bin nicht ich, die da denkt. Es ist die Angst, die aus jeder Pore meines Körpers strömt. Nur vor was habe ich Angst? Die Stimme hat dazu auch nichts zu sagen. Einmal hält sie ihre Schnauze, genau dann bräuchte man ihren Rat. "Ja, mein Freund erwartet mich zuhause." „Soll ich mitkommen", fragt er seltsamerweise, obwohl er die Antwort längst kennen sollte. „Nein, danke. Ich glaube den Weg nachhause besser zu wissen als Sie. Bis dann." „Ja, „Wiedersehen. Man sieht sich immer zweimal im Leben, also bis dahin, wünsche ich Ihnen viel Glück." „Ebenfalls." Puh, endlich kann ich alleine nach Hause stampfen, ohne, dass mich jemand mit seiner Midlife-Crisis bedrängt. Es ist zwar schön und gut sich anderen mitzuteilen, aber doch nicht Wildfremden, die man noch nie im Leben gesehen hat.

Wenn er dich so nervt, warum hast du ihn dann nicht getötet? Keiner würde ihn vermissen. Seine Familie würde es als Suizid abstempeln und die Richterschaft würde ihnen glauben. Kann es sein, dass du langsam zu einem Weichei mutierst? Du hattest nicht einmal das Rückgrat, Diana richtig zu foltern.

Von wegen! Ich habe sie gefoltert. Sie hat geschrien. Sie hat sich mit aller Macht gegen den Tod gewehrt. Doch ich habe ihn ihr gebracht. Ich habe die ach so stolze und wundervolle Diana von ihrem Thron gestürzt!

Wir wissen beide, dass du es tief in deinem Inneren bereust. Jeder hat ein Gewissen. Man kann es nicht abstellen.

Man hat nur ein schlechtes Gewissen, weil es die anderen einem machen. Jedoch habe ich fast keinen Kontakt mehr zu solchen dummen, sozialen Dummköpfen, die einem nur das Leben erschweren.

Als würdest du so einen Unsinn glauben! Du bist viel zu schlau, als, dass du das ernstmeinst.

Ich rede mir das Ganze nicht ein. Es ist die Wahrheit. Du kannst noch so sehr versuchen, mich zu verwirren, aber ich bleibe dabei. Niemand wird mich von meinem Standpunkt losbringen. Schließlich ist es ganz allein meine Entscheidung, was ich aus meinem Leben mache. Da hast du nichts mit zu reden!

Heftig trete ich gegen einen Stein, der meinen Weg blockiert. Beziehungsweise blockiert hat, als er in das dichte Gebüsch am Rande des Wegs fällt. Die Vögel singen, als wären nie dunkle Wolken aufgezogen und die Menschen in meiner Umgebung schnattern, als wären sie nie von dem leichten Nieselregen unterbrochen worden.

Was soll ich jetzt machen? Nachhause gehen? Ja, das wäre wohl die beste Idee. Ich träume schon davon, mich in mein Bett zu werfen und alle Sorgen des Alltags in die hinterste Schublade meines Gehirns abzuschieben. Was du heute kannst besorgen, verschiebe ja auf morgen. Mein Lebensmotto, dem ich unbedingt treu bleiben muss. Wenigsten einmal in meinem Leben.

Fast bin ich am Ausgang der großen Grünanlage angekommen, als ich plötzlich jemanden Bekannten erblicke. Inmitten von Dealern und Opfern der sogenannten Wundermittel, tritt er hervor. Einige der Dealer starren ihn ängstlich, andere bewundernd an. Hat er sich schon in dieser Szene etabliert? Anscheinend, denn die Menge teilt sich für ihn.

Er hat es tatsächlich geschafft, sich ein neues Leben nach der achten Klinik aufzubauen. Es ist nicht so, dass ich es ihm nicht zugetraut hätte, nur war er immer so passiv, sodass man ihn gerne als schüchtern bezeichnet hätte.

Ich atme tief ein und drehe mich ihm vollends zu. Diese Art von Leuten darf man nicht beleidigen. Sogar eine Mörderin muss sich ihm fügen. Ich habe Erfahrung mit Dealern, schließlich haben diese überall ihre Vögelchen.

„Jody. Ich hätte nicht erwartet, dass wir uns wiedersehen. Ausgerechnet an einem Ort, der nicht für zierliche Persönlichkeiten, wie dir, besonders geeignet ist. Lass uns eine bessere Lokalität aufsuchen, findest du nicht?“, fragt mich Luca.

 

Erfüllter Zweck (überabeitet)

Ich blicke ihn mit undurchdringlicher Miene an, jedenfalls glaube ich dies behaupten zu können. Ich kann mich schließlich selbst nicht betrachten, ohne mich vor einen Spiegel zu stellen.

„Ich dachte, du würdest dich in die Höhle zurückziehen, woher du gekommen bist. Dealer mögen es doch, wenn sie als unnahbar gelten und als Könige verehrt werden, obwohl sie eher das Gegenteil sind.“

Er schmunzelt über meine Aussage, die eigentlich der Wahrheit entspricht, nur das ich mir nicht sicher bin, warum er darüber lächelt.

„Ich hätte nie gedacht, dass du so schnell Vorurteile über jemanden Fremdes bildest. Du müsstest doch am besten von uns beiden wissen, dass der Schein trügt. Oder? Mörderin?“

Meine Lippen verziehen sich zu einem schmalen Strich, ein halbwegs geglückter Versuch, keine Emotionen an die Oberfläche durchdringen zu lassen. Er darf nicht erfahren, wie sehr er mich an der Angel hat.

„Ich gebe zu, ich bin kein Engel.“ Nicht einmal nah dran. „Und ich gebe zu, ich bin Mensch, der gerne über andere urteilt, ohne sie zu kennen, aber das ist nun mal mein Charakter. Außerdem glaube ich nicht, dass du Jesus bist, der nur von Liebe und Luft lebt. Niemand ist so wie er.“

Ich betrachte, wie er seinen Kopf in den Nacken legt und laut ausatmet. Eine seltsame Geste, die ich noch nie an ihm gesehen habe. Ich hätte mich definitiv an diese erinnert.

„Willst du mich zum Katholik missionieren? Tut mir leid, nein danke, dazu bin ich schon viel zu verdorben. Genauso wie du! Du kannst es akzeptieren oder nicht, aber es ist eine Tatsache, die man nicht widerlegen kann.“

Als ob ich ein gläubiger Christ wäre! Ha, welch Ironie. Die Mörderin sucht nach Vergebung und erhält sie. Ich bezweifle, dass jemand so gütig zu mir sein würde. Niemand kümmert sich einen Deut um mich. Ich bin ein niemand in der altdeutschen Gesellschaft und werde es auch immer bleiben. Somit besteht nicht die geringste Chance, dass ich Luca zum Christ wandle.

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß. Du? Ich ? Kein Mensch weiß, was morgen passiert, geschweige, denn in den nächsten fünf Minuten.“

„Ich weiß es“, behauptet er von sich das Unmögliche. „Ich glaube du überschätzt dich. Du bist nur ein kleiner, elendiger Dealer, eine Ratte unter Tauben.“

„Vielleicht bin ich – im Gegensatz zu dir – zu höherem berufen. Auch wenn ich eine Ratte unter Tauben bin, kann ich trotzdem zu einer Taube werden.“

„Ja, aber du müsstest ein Opfer bringen. Du müsstest alle Tauben töten, bevor du dich selbst als Taube betiteln kannst. Dadurch, dass es keinen mehr gibt, der deine Aussage bestreiten kann, wirst du zur Taube.“

„Hoch lebe sie, bis ans Ende der Ewigkeit.“

Ich schätze, er will mir etwas mit dieser Geschichte sagen. Nur verstehe ich nicht den Sinn in diesem ganzen Ratten – und Taubengewirr. Es kann auch nur Unsinn sein, um mich durcheinander zu bringen. Alles in mir widerstrebt der Vorstellung, dass er mich für seine Zwecke manipulieren könnte. Ich bin selbst Herrin über meinen Körper und Geist. Niemand kontrolliert mich oder trifft Entscheidungen über meinem Kopf hinweg. Das war einmal und nicht wieder. Die achte Klinik ist Vergangenheit.

„Ja, hoch lebe sie. In welches Lokal gehen wir?“

„Ach Jody, immer so ungeduldig. Daran müssen wir schleunigst etwas ändern. In meiner Branche ist Zeit mehr wert als hundert Tonnen Gänseblümchen.“

„Das ist aber großzügig, wenn man bedenkt, dass Gänseblümchen überhaupt nichts wert sind. Es ist einzig und allein eine große, giftige und gemischte Chemikalie, dass das Ziel verfolgt, dem Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen.“

Er überholt mich und unser lockerer Schritt wechselt zu einem langsamen Laufschritt.

„Wer sich darauf einlässt, muss mit den Folgen leben, oder? Was kann ich dafür, wenn die Menschen so dumm sind und es schnupfen, rauchen oder kochen? Bin ich verantwortlich für das schlechte Leben, das sie in der Abhängigkeit führen? Nein, bin ich nicht. Ich gebe diesen Versagern nur was sie wollen und verdiene dabei einen Haufen Geld.“

Ich kann ihm nicht widersprechen. Es ist wahr, was er mir in diesen kleinen Wutausbruch erzählt hat. In mir keimt eine Frage: „Wieso bist du so aufgeschlossen? Ich kenne dich und dieses Geschäft. Man bekommt nichts umsonst.“

„Du bist schlauer, als ich dachte. Zugegeben, ich bin ein wenig geschockt über deine Finesse. Kann es sein, dass du bereits Erfahrung gesammelt hast?“

„Kann sein.“ Er führt mich in eine Bretterbude, die schon bessere Zeiten erlebt hat. Darin ist alles verwirklicht, dass es zu einem perfekten Ort für ein geheimes Treffen macht. Abgedunkelte Ecken, in denen man sich gegenüber auf zwei Stühle setzen kann und über Geschäfte sprechen kann, in der Mitte ein großer Tisch für Versammlungen und eine Kellnerin mit Schusswaffe an ihrem Gürtel.

Sie blicken auf, als sie uns eintreten sehen und senken sogleich ihre Köpfe, um nicht auf die Liste der Lauscher zu kommen.

Luca und ich setzen uns in die linke der hinteren drei Ecken – ganz wie ich es erwartet habe.

„Und wie gefällt dir mein Reich?“

Ich mustere meine Umgebung. Manchmal, wenn die Leute denken, dass ich sie nicht ansehe, schauen sie auf und mir direkt in die Augen.

„Ein bisschen zu aufdringlich, ansonsten ganz nett.“

„Ganz deiner Meinung. Ich werde noch Vieles ändern müssen, bevor ich hier einen Drogensalon eröffne. Vor allem sollte ich die Kellnerin feuern. Die hat ihre besten Tage bereits hinter sich.“

Luca, so oberflächlich wie eh und je.

„Wenn du mich nach meiner Meinung fragen würdest, tätest du gut daran, es nicht zu tun. Lieber eine schwarzhaarige, ältere Dame, die sich wehren kann, als ein stumpfsinniges Flittchen, dass zwar gut aussieht, aber nichts im Köpfchen hat.“

„Warum, wenn ich auf dich höre, sollte ich das tun? Mir ist es egal, was mit der Kellnerin passiert. Vor mir aus kann sie erschossen werden oder mit jedem schlafen, den sie will. Es ist doch gleich, was sie macht, solange sie den Laden erfolgreich führt.“

So dumm, wie Luca ist, würde er seinen Ruf damit schädigen.

„Ich hätte gedacht, du wärst ein Dealer mit Hirn und kein Bordellbesitzer.“

„Ich bin kein Dealer mit Hirn, ich bin ein Drogenboss mit mehr Verstand als je eine Frau besitzen würde.“

„Und das sagst du in Anwesenheit einer Frau. Pass auf, dass du es nicht bereust.“

Er verzieht seine Mundwinkel zu einem wissenden Lächeln.

„Ich habe nie behauptet, dass du eine Frau bist, Schätzchen. Du bist ein Monster. Ein Monster, dass ich liebe.“

„Du weißt nicht, was du sagst“, zische ich zurück. Wie kann er es wagen, mich zu lieben? Es ist eine Beleidigung, dass mich ausgerechnet ein Drogenboss liebt, aber es der Arzt nicht konnte, den ich liebte. Warum spielt mir das Leben einen derartigen Streich? Findet das Leben es etwa komisch, mich zu bestrafen?

„Ich bin mir durchaus bewusst, dass es in deinen Ohren seltsam klingen muss, wie ich meine Liebe zu dir ausdrücke. Aber ich kann es nicht länger verschweigen. Es muss gesagt werden, was gesagt werden muss. Es ist wie brodelnde Lava, die es nicht mehr im Inneren des Vulkans aushält. Ich musste es sagen, es ging nicht anders.“

„Hör auf, wie ein verdammter Poet zu klingen. Das bist du nämlich nicht. Du bist ein erbärmlicher Mistkerl, der es zu nichts im Leben gebracht hat!“

Er legt den Kopf zurück in den Nacken und fängt wie ein Irrer zu lachen an.

„Du sagst mir, dass ich es zu nichts gebracht habe? Mir, der die gleiche Vergangenheit hat, wie du? Ist es nicht etwas zu unglaubwürdig, wenn eine Supermarkt-Angestellte einem Drogendealer, der zehnmal so viel in der Stunde wie sie verdient, sagt, dass er es zu nichts gebracht hat?“

Ich muss ihm Recht geben, es ist tatsächlich so. Ich hätte meine Klappe halten sollen und lieber nachgedacht, bevor ich ihm etwas Falsches sage.

„Eins muss ich dir gestehen, Schätzchen, dafür das du eine Mörderin bist, versteckst du dich nicht in deinem Rattenloch.“

„Ich bin nicht die Ratte in deiner Geschichte!“ Nie und nimmer kann man mich mit der Taubenratte in seinem metaphorischen Irrsinn assoziieren.

„Ich habe niemals behauptet, dass du es bist. Falls es dich beruhigt, ich bin die Ratte. Ich bin die Ratte, die damals die ganze Wohngegend im – ach so berüchtigten – schwarzen Viertel in New York in die Luft gesprengt hat. Wie ich sagte, man muss alle Tauben töten, ehe man als Taube angenommen wird. Du bist nur meine Rattenkolonie, zu der ich von nun an gehöre.“

So einen Schwachsinn habe ich schon lange nicht mehr zu Ohren bekommen. Mir scheint es so, als würde ihm eine weitere Dekade in der achten Klinik gut tun. Möglicherweise fülle ich einen Schein zur Beantragung einer Einweisung ein. Mal sehen, wie sich alles entwickelt. Ich kann nicht ahnen, was noch alles geschehen wird. Das Schicksal ist eben unberechenbar.

„Wieso umschreibst du mich und dich als Ratte? Wie kommst du darauf, dass wir überhaupt Ratten sind?“

Er rubbelt die schwarze Serviette am Tisch fünfmal durch seine langgliedrigen Finger, nachdem ich ihm die Fragen gestellt habe.

Ungeduldig, ehe er erneut fünfmal das Papiertuch quält, schlage ich mit geballter Faust auf seine Hand.

Luca rutscht mit einer gewaltigen Bewegung nach hinten und hält darauf überrascht mit einem starren Blick in meine Richtung inne.

Ich kann erkennen, wie sich die Gesichter der Ladenbesucher uns zuwenden und die Kellnerin mit gezückter Waffe auf uns zielt.

Mein Gesprächspartner nickt allen zu, um ihnen zu zeigen, dass sie sich nicht darum kümmern brauchen. Mit hoch gezogenen Augenbrauen, die ihn die Stirn runzeln lassen, betrachtet er die Kellnerin in Schussstellung.

„Nimm die Waffe runter. Es droht keine Gefahr von ihr.“

Wäre es unangebracht, wenn ich ihn warne, dass ich die größte Gefahr für ihn bin. Falls ein Erdbeben die Welt aus dem Gleichgewicht bringt, könnte er überleben. Wenn ich mit meinen Blitzen auf ihn ziele, überlebt er definitiv nicht.

Nein, das Risiko ist zu hoch, dass es einer von den Kunden mitbekommen würde. Ich könnte es bereuen, wenn ich es ihm sage. Denn dann müsste ich jeden Organismus, der mich versteht, verfolgen und vernichten.

„Siehst du“, ich deute auf die gut gebaute Kellnerin. „Ich habe dir gesagt, sie könnte sich als nützlich erweisen. Zweifle nie an meinen Worten.“

Als er sich mit der rosafarbenen Spitze seiner Zunge über die vordere Zahnreihe fährt, kann ich bereits vermuten, dass er meine Worte nicht auf sich sitzen lässt.

„Monster, ich sage dir eins. Ich weiß mehr über dich, als du dir vorstellen kannst. Auch wenn Noah dir blindlings vertraut hat und du ihn für sein einziges Vergehen getötet hast, bist du nicht in der Lage, es mit mir aufzunehmen.“

Ich schnaube amüsiert. „Wir werden sehen. Wegen was sitze ich eigentlich hier. Es muss noch einen anderen Grund geben, warum du mich in ein Lokal dieser Art geführt hast.“

„Wie hast du es herausgefunden?“

Diese Fragen. Zu einfach gestrickt. „Angesichts deiner nahtlosen Geständnisse über deine Geschäfte, bin ich mir sicher, du hast mich heute zu einem Mitglied deiner Drogengesellschaft gemacht. Einfach, ohne meine Zustimmung. Ich bin enttäuscht von dir. Die achte Klinik hat dich nicht schlauer gemacht.“

Das laute Klatschen seiner Hände lässt mich vermuten, dass ich wenigstens halbwegs richtig lag.

„Jody, schlaue Jody, du bist auf den richtigen Weg. Es stimmt, du kannst nicht mehr entkommen. Du bist zu tief in diese Drogenstruktur verankert. Um auf den Punkt zu kommen, ich erweise dir hiermit die Ehre zu meiner Stellvertreterin.“

Ich greife mit meiner rechten Hand an die Stelle, an der mein Herz ist, beziehungsweise sein sollte. Es ist so bewegend, dass ich nun die rechte Hand eines Dieners für die ganz Großen bin. Geradezu lächerlich, dass ich nicht für größere Geschäfte eingeplant bin. Das Leben ist einfach scheiße. Zu scheiße, um wahr zu sein.

„Ich nehme diese sogenannte Ehre an. Es ist ja nicht so, als wäre mir das Leben wichtig. Wie heißt es denn so schön: Ohne Risiko kein Spaß. Ich nehme mir diesen Spruch zu Herzen.“

Er steht auf und deutet mir mit der linken Hand den Weg zu seinem Arbeitszimmer. Anscheinend drückt seine Blase, da er schnell zum Herren-WC verschwindet. Unglücklicherweise sind Männer viel schneller beim Urinieren fertig, als Frauen, sonst hätte ich schon längst die Möglichkeit gehabt, vor der Zeit in der achten Klinik, dieses Geschlecht mehrmals zu bestehlen.

 

In seinem Büro, eher ein kleiner Abstellraum dessen beste Zeiten vorbei sind, mache ich eine kleine Umrundung. Er schmückt seine Regale mit Ordnern statt mit persönlichem Krimskrams. Interessant. Es zeigt, dass er nicht an Sachen hängt. Es ist ihm also egal, was mit seinen untergeordneten Dealern passiert.

Ich stelle mich hinter seinen Schreibtisch und genehmige mir den Sessel, der normalerweise dem Chef gebührt. Er wird sich damit abfinden müssen, dass ich wie eine Frau handle, damit ich seine rechte Hand bleibe und ihn nicht verrate.

Die Tür knarrt, als er sie öffnet. Mit wütendem Gesichtsausdruck baut er seine imposante Gestalt vor mir auf. Ich muss ihm lassen, dass er Willensstärke besitzt, sonst könnte er nicht die Finger von den Drogen lassen. Sind Gänseblümchen nicht die Verführung pur in ihrer wunderschönen Gestalt? Nein, nicht wirklich. Ich fand sie zu Klinikzeiten hässlich. Ich kann nicht verstehen, was die Abhängigen so auf sie fokussieren lässt.

„Warum sitzt du auf meinem Sessel?“

Bevor wir über dieses langweilige Thema diskutieren, lenke ich das Gespräch in eine andere Richtung. „Ich bin eine Frau. Ich darf das. Jedenfalls, wofür genau hast du mich zu deiner rechten Hand degradiert. Sicherlich, es ist eine große Ehre, aber du hast mir den eigentlichen Grund noch nicht gesagt. Ich höre?“

Sein Gesicht ähnelt dem eines Fisches, als sich seine Beine in Bewegung versetzen und sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch setzen.

Luca stützt seinen linken Ellbogen auf die Lehne, nachdem er seine Beine überschlagen hat, wobei er Ähnlichkeit mit einem senilen Rentner hat, der sich an vergangene Zeiten zurückerinnert.

„Es könnte sein, dass ich jemanden brauche, dem ich vertrauen kann.“

Ich kann erkennen, wie sich seine Mundwinkel leicht nach oben verziehen. Falls ich ihn nicht vorher schon töte, sollte ich ihm die Mimik und Gestik eines professionellen Drogenbosses beibringen.

„Willst du mich mit deinem Lächeln einschüchtern? Nein, tut mir leid, aber das ist nicht möglich, wenn du dabei aussiehst wie eine fette Katze auf Speed.“

Er schlägt seine Lider nieder und öffnet den Mund. Will er mir einen blasen, oder warum macht er den Gesichtsausdruck einer Schlampe?

„Es könnte sein, dass ich dich nicht einschüchtere. Es könnte sein, dass ich dich auf meine Seite ziehen möchte, ehe ein anderer kommt.“

Mein Kopf droht zu explodieren. Wie konnte ich die Möglichkeit außer Acht lassen, dass mich jemand bei meinen Morden beobachtet hat. Die Spitzel sind echt überall. Ich bin selten dumm! Ich hätte mich vor den scharfen Augen der Spione verstecken sollen, stattdessen bin ich meiner Mordsucht nachgegangen, ohne auf mein eigenes Wohl zu achten.

Wie konnte es nur so weit kommen?

„Wie willst du es beweisen? Oder hast du nur die Aussage eines bezahlten Mannes, den jemand zu dir geschickt hat?“

Er grinst mich böse an. Er erinnert mich nun an eine fette, schwarze Katze, die das Leben des Frauchens gefährden möchte. In diesem Fall bin ich das Frauchen. Keine besonders gute Aussicht für Jody.

„Weißt du nicht mehr? Der Tag, an dem du uns deine Fähigkeit auf dem Silbertablett präsentiert hast?“ Ich schüttle den Kopf. „Wirklich nicht? Ich bin enttäuscht von meiner rechten Hand.“

In Wahrheit weiß ich alles, was in dieser Nacht geschah, nur verdrängt mein Geist es in die hinterste Ecke meines Gehirns.

„Ich bin auch enttäuscht, dass ich dich damals nicht umgebracht habe. Es tut mir schrecklich leid, dass ich dazu nicht im Stande war. Zoey, nun ja, war einfach zu sehr von sich selbst überzeugt. Steve hatte eine Schwäche für mich. Und an Beth, wer ist Beth noch mal?“

„Der Sarkasmus wird dich irgendwann ins Grab befördern, liebste Jody. Du erkennst sicherlich, dass ich nicht ohne Grund der Chef hier bin. Eric, dein Chef, und Diana, seine Affäre, haben mir berichtet, dass du an Magersucht und an Wutausbrüchen leidest. Ich wüsste, was dagegen hilft. Jedoch ist es ein wenig gewöhnungsbedürftig, wenn man es so ausdrücken will.“

Ich bin weder magersüchtig, noch habe ich Wutanfälle. Was fällt diesen Schweinen nur ein!

„Jody, ich sehe, dass du dich gegen meine Worte wehrst. Nur, auf ehrliche Weise zugegeben, brauche ich eine fähige rechte Hand. Willst du mein Angebot hören? Oder muss ich dich erschießen, bevor du mich grillst?“

„Du kannst mich nicht wie ein verdammtes Vieh abschlachten?“

„Seit wann so aggressiv?

„Ich bin nicht aggressiv!“ Das ist genug! Ich lehne mich mit Schwung über seinen Tisch und packe seine Kehle. Fest drücke ich zu, als mein Bein anfängt zu schmerzen. Ich lasse von ihm ab und begutachte die Kugel in meinem Knie. Langsam sinke ich gen Boden, aber mein Blick haftet an dem Gesicht meines Chefs.

„Luca, ich akzeptiere dich als Führer.“ Als hätte er nur auf diese Worte gewartet, dreht er sich mir ganz zu, während er noch seinen Hals reibt.

Er bückt sich zu mir herunter und hält mir seine Hand hin. Ehe ich sie ergreifen kann, zieht er sie wieder zurück. „Meinst du, ich falle drauf rein? Jody, ich bin – wie gesagt – nicht umsonst der Boss hier. Außerdem trage ich Blitzableiter um meinen Körper herum. Einen habe ich sogar einbauen lassen, damit du mir keinen Schaden zufügen kannst.“

„Gut, ich glaube dir. Kannst du mich jetzt verarzten?“

„Ich“, er macht eine theatralische Geste an seiner Brust: „ mache gar nichts. Das können meine Handlanger für mich erledigen. Wenn man schon Bedienstete hat, sollte man dies in vollen Zügen genießen. Dir stehen ab heute übrigens auch drei Diener zur Verfügung. Jeder von ihnen hat eine besondere Bedeutung.“

Er geht zur Tür und gewährt drei sonderbaren Gestalten Einlass. Das Trio stellt sich in einer Reihe auf, sodass Luca gut auf sie deuten kann.

„Der von dir aus Linke, heißt Seelenreißer. Der Name des Mittleren lautet Geistbrecher und der Letzte nennt sich selbst Blutquäler. Du kannst selbst herausfinden, was es mit den Namen auf sich hat. Aber ich denke, das ist nicht allzu schwierig. So meine Männer, hier ist eure neue Vorgesetzte, sie heißt…..“, will er mich vorstellen. Bevor er jedoch allen meinen Namen lauthals verkünden kann, nehme ich selbst das Ruder in die Hand. „Man nennt mich Blitzrächer.“

„Ja, wenn das alles fertig ist, verschwindet. Seelenreißer, trage sie hinaus und ihr kümmert euch darum, dass es ihr an nichts fehlt.“

Der besagte Mann namens Seelenreißer schreitet mit großen Schritten auf mich zu und nimmt mich auf seine Arme, die von hervorstehenden Sehnen durchzogen sind. Ich mustere seinen Körper genauer und mir fällt auf, dass er dünn – nicht sehr muskulös – ist. Dunkelbraune Haare zieren sein Haupt, eine enge dunkelblaue Jeans und ein weites schwarzes T-Shirt bedecken seine Haut. Ich schätze ihn auf Ende Dreißig, denn der Jüngste ist er nicht mehr. Kleine Fältchen – wahrscheinlich von seinem strengen Blick her – verändern bereits seine Gesichtszüge. Als er den anderen folgt, kann ich erkennen, dass er schwarze, knielange Stiefel trägt, die seine Unterschenkel schützen. So etwas muss ich mir auch besorgen. Sie sehen nicht nur schön aus, sondern haben zudem auch noch eine Schutzfunktion. Wie praktisch!

Mein persönlicher Diener trägt mich zu einem schwarzen Auto. „Was ist das für eine Marke?“, frage ich ihn, als er mich auf den Beifahrersitz hievt und die Türen für die Rückbank aufgehen. Ich drehe meinen Kopf nach hinten und erblicke die zwei anderen. Wie heißen die noch einmal? Geistbrecher und Blut… irgendetwas mit Blut. Hm, ah ja, Blutquäler. Gut, nicht das ich noch in ein peinliches Dilemma gerate. Ich traue mir in diesem Zustand alles zu, obwohl ich kein Morphium innehabe. Morphium hört sich angesichts des pochenden Schmerzes in meinem Bein großartig an. Zu diesem Zeitpunkt wäre die achte Klinik ein Fachzentrum für meinen Fall, da niemand einen so großen Vorrat an dieser Beruhigungssubstanz hat als diese Anstalt. Ein wahrer Traum für alle Leidenden.

Ich nehme mein Knie in beide Hände und wackle es damit hin und her, da ich meinem Bein keine Bewegungen mehr zutraue. Zischend verlässt die Luft meinen Mund, während ich das Gelenk hin- und her schubse. Gut, es ist definitiv nichts Ernstes, denn sonst wäre der Schmerz nicht so groß.

Der Vorfall erinnert mich an einen Überfall, als ich fünfzehn war, und alleine in der Großstadt nahe dem Internat spazieren gegangen bin. Ein Schulausflug, den unsere Klasse aufgrund überragender Leistungen bekommen hat, den ich aber schlussendlich im Krankenhaus verbracht habe. Jemand hat mich überfallen, doch dieser jemand hat nichts gefunden, weil ich kein Geld oder sonstige Wertgegenstände bei mir hatte, da meine Eltern extreme Geizhälse waren. Der Verbrecher hat mir zweimal in die Bauchgegend geschossen und hat mich daraufhin blutend auf offener Straße liegen lassen. Ich wäre sicherlich verblutet, wenn mir nicht eine freundliche, mittelaltrige Frau geholfen hätte und schnell den Notarzt gerufen hätte. Dies ist wohl die einzige Person, der ich für immer für Dank verpflichtet bin.

Nun ja, ich werde es nie erfahren, was mit ihr passiert ist. Ich kenne weder ihren Namen, noch sonst irgendwelche Informationen über ihre Persönlichkeit. Sie ist ein Niemand für mich, aber trotzdem meine Retterin in der Not.

 

„Hör auf.“

Wer hat das gesagt? Seelenreißer. „Hör du doch auf.“ Pf. Es ist immerhin meine Entscheidung, was ich mache oder nicht. Meine Diener haben mir nichts zu sagen, höchsten hin und wieder einen gut gemeinten Rat.

„Es ist nicht besonders gut, wenn du dein Knie noch weiter beschädigst. Es ist zwar nur ein Streifschuss gewesen, dennoch eine ernstzunehmende Verletzung.

„Bist du Arzt? Weißt du, ich hatte mal einen Arzt als Freund, und der hat mich mit einer Frau betrogen, nachdem er sie unter Drogen gesetzt hat. Ich brauche die Meinung eines Arztes nicht.“

„Ich bin kein Arzt.“

„Was bist du dann?“

„Ich bin Seelenreißer.“ Oh, das ist mir durchaus bewusst, dass er Seelenreißer heißt. Am besten ich überspringe diesen Part der Konversation und komme gleich zum Punkt.

„Seid ihr von meiner Art?“

„Ja“, antworten alle drei unisono. Interessant, ich bin wohl doch nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit.

„Luca hat gesagt ihr seid meine Angestellten, nur das ich euch keinen Lohn bezahle und daher stellt sich mir die Frage, weshalb ihr hier seid?“

„Wir arbeiten für Luca und dich.“ Ich gehe darüber hinweg, dass sie mich bereits dreimal geduzt haben, ohne dass ich es ihnen angeboten habe. Ich bin schließlich ein gutmütiger Mensch, der keinem etwas Böses möchte. Zumindest das Erste ist halbrichtig. So schlecht bin ich auch wieder nicht.

Und ob du das bist. Du bist ein Monster. Luca hat es selbst gesagt.

Er hat es aber bestimmt nicht so gemeint. Er liebt mich schließlich, obwohl so etwas eigentlich unmöglich ist. Noah hat es mir selbst bewiesen, auf eine Art und Weise, die ich nie wieder vergessen werde.

Und jetzt verschwinde! Ich will nicht mehr gestört werden. Mach nen Abflug, du dämliche Stimme!

Du wirst nie jemals Ruhe vor mir bekommen. Ich werde immer da sein. Bis an dein Lebensende.

Uh, jetzt habe ich aber Angst. Das sind doch alles nur leere Drohungen, die du jedem gibst, um sie damit zu verstören. Du willst mich mit deinen Ratschlägen, Warnungen und Drohungen einzig und allein verwirren, nur um mich wieder in die achte Klinik zu verfrachten. Ich lasse das jedoch nicht zu. Ich bin eine erwachsene Frau, die ein Gehirn besitzt und damit umgehen kann. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, verschwinde einfach. Du bist und warst noch nie erwünscht.

Ich horche auf. Ich höre keine säuselnde Stimme mehr, die jedes beliebige Kind verführen könnte und bin heilfroh, dass ich es geschafft habe, sie zu vertreiben. Ich wünsche diese Stimme höchstens meinem schlimmsten Feind. Er hätte sie verdient.

 

„Wir sind da. Dein neues Zuhause.“

Geistbrecher hebt mich aus dem Sitz hoch und wendet mich dem Haus zu. Es scheint mir eher ein Loft zu sein, denn die ganze Umgebung erinnert mich an ein altes Industriegebäude, umfunktioniert zu einer Wohnung.

„Wohnt ihr auch hier?“

„Ja, wir sind deine ergebenen Diener.“ Diese Ernsthaftigkeit, einfach unglaublich.

„Ich hoffe, das war gerade Sarkasmus. Ich brauche keine Diener, nur Beschützer. Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt, solange ihr mich am Leben erhaltet.“

Er reicht mir die Hand. Vermutlich ist er der Sprecher des Trios oder die anderen haben keine Zungen.

„Abgemacht“, erklärt er unseren Pakt für beständig.

„Wunderbar. Wie teilen wir uns das Loft auf?“

„Es gibt fünf Schlafzimmer und zwei Bäder. Die Küche und den Keller nicht mitgezählt.“

Wir vier begutachten alle Zimmer und verteilen per Auswahlverfahren einer Münze, wer welchen Raum bekommt. Am Schluss sitze ich auf einer unbezogenen Matratze mit einem dicken Verband um meiner Wunde und blicke auf die Wand mir gegenüber. Ich bin gespannt, welchen Zweck ich für Luca erfüllen werde.

Erfolgreich geschockt (überarbeitet)

 

Ohne Erbarmen schütteln Hände meinen Körper, bis ich wieder unter den Lebenden weile. Ich reiße meine Augen zu großen Glubschaugen auf, die sonst nur Kuscheltiere zieren. Wütend ohrfeige ich Blutquäler.

„Warum weckst du mich?“

„Es ist Stoff geliefert worden. Luca erwünscht deine Anwesenheit, Jody. Du sollst die Übergabe leiten.“

Warum duzen und nennen mich alle bei meinen Namen? Habe ich es ihnen erlaubt? Nein, das habe ich definitiv nicht gemacht.

„Wann und wo?“, erkundige ich mich nach der Zeit und dem Ort, an dem mich mein sogenannter Chef antreffen möchte.

„Jetzt und in Innersdam. Seelenreißer fährt.“

„Wie schön, dass Luca mir mitgeteilt hat, dass ich nicht ausschlafen kann. Nächstes Mal will ich gefälligst Bescheid wissen, ehe ich unsanft aus meinem Dornröschen-Schlaf aufgeweckt werde. Meine Knochen sind auch nicht mehr die Jüngsten.“

Blutquäler gibt keinen Kommentar zu meinem überaus sarkastischen Tonfall. Das einzige was er tut ist, einen gelangweilten Blick auf mich zu werfen. Wie sympathisch er doch ist. Er ist jetzt schon einer meiner liebsten Bodyguards. Wahrscheinlich erstickt er mich nächstes Mal einfach im Schlaf, dann wache ich nie wieder auf. Die Welt würde ohne mich reicher sein. Reicher an Langeweile. Reicher an bösen Menschen. Reicher an Leben.

Wie tragisch, dass ich meinen Job als Mörderin liebe. Übrigens, bevor ich es vergesse, ich sollte Eric meine Kündigung per Post schicken und mein Haus ausräumen.

Ich schlage die Bettdecke zurück und kleide mich an. Die Nacht habe ich in meiner Unterwäsche verbracht, da ich es nicht für nötig empfand, meine Alltagsklamotten zu zerknittern. Irgendwie habe ich gestern schon gewusst, dass ich sie heute noch mal brauchen werde. Schicksal eben.

Fertig angezogen, mache ich einen kurzen Abstecher in Richtung Bad und wasche mein Gesicht ab.

In alter Frische warte ich draußen auf meine Mitstreiter. Ehe ich beschließen kann, nachzuschauen, wo sie stecken, erscheinen sie bereits im Türrahmen. In der gleichen Kampfmontur, die sie schon am Tag davor getragen haben, steuern sie auf mich zu. Seelenreißer geht derweilen zu der Garage und fährt das Auto vor. Mich wundert es, wie er es schafft, Ruhe zu bewahren. Ich meine, durch meine Venen rauscht pures Adrenalin, mein Herz klopft wie wild und meine Knie zittern wie Wackelpudding, der auf einen Teller hin und her rutscht.

Egal, was kümmert es mich, was andere machen oder denken. Es ist nicht meine Angelegenheit und wird es wohl auch nie sein.

 

Es dauert rund fünfzehn Minuten bis wir in Innersdam angelangt sind. Es ist noch dunkel in dem südlichen Stadtviertel, in dem wir gerade auf die Ware warten. Der Tunnel, durch den Schmelzwasser auf unsere Köpfe tropft, stehlt den idealen Übergabeort dar.

Die Landschaft ist verlassen – kaum zu glauben, wenn man sich eigentlich mitten in der Stadt befindet – und nur durch eine Schafherde besiedelt.

Einsam und unbesiedelt ist es der beste Ort, den man sich für einen Tausch Geld gegen Gänseblümchen vorstellen kann.

„Wann kommt Luca?“

„Gar nicht.“

Warum überrascht mich das nicht? Weil ich es schon vorhergeahnt habe. Tja, man muss eben immer alles alleine machen. Was Mann kann, kann Frau schon lange. Frauen Power! Juhu. Ich übertreibe gerade. Ziemlich. Sehr. Seit wann bin ich bitte so fröhlich? Ich hoffe ich habe keine Gänseblümchen intus. Hahaha, der schlechteste Witz aller Zeiten. Ich könnte mir selbst dafür einen Kinnhaken verpassen.

Jetzt mal wieder ernst. Ich muss mich konzentrieren.

„Das Geld ist bereits überwiesen? Oder geben wir es ihnen erst nach dem Deal?“

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass meine Beschützer mehr wissen, als ich. Das kann auf keinen Fall so weitergehen. Es ist eindeutig so, dass ich hier der Chef bin und es nicht dulde, dass ich keine Informationen habe, die sie aber auf der anderen Seite definitiv haben.

„Wann haben die Lieferanten vor zu kommen?“ Anscheinend nervt sie meine andauernde Fragerei, aber der Gesichtsausdruck kann auch vollkommene Müdigkeit anzeigen. Oder vielleicht auch beides. Es ist alles möglich.

„Dazu gibt es keine genauen Angaben. Wir warten einfach“, unterbricht Seelenreißer meine Gedanken hinsichtlich dessen Gefühlsregungen.

„Aha“, ist mein einziger Kommentar zu seiner Aussage. Luca wird für seine schlechte Arbeit eindeutig büßen müssen. Wie kann er glauben, dass ich mich mit seiner schlampigen Arbeit abfinde?! Ich meine, er ist Drogenboss geworden, wenn auch über einen verhältnismäßig kleinen Bereich, wie will er es dann schaffen diesen zu vergrößern, wenn er keine korrekten Anweisungen gibt. Wäre ich der Boss über diese nichtsnutzigen Bandenmitglieder, wäre ich schon längst aus dem Fenster gesprungen.

Fahrerlicht blendet meine Sicht, wobei ich erkennen kann, dass das Nummernschild des schwarzen Autos vom Ausland stammt. Entweder Polen oder Tschechien, oder wie die Länder nun auch immer heißen. Jedenfalls kann ich behaupten, der Drogenboom hat sich im Ausland in den letzten Jahren gehalten. Eventuell versuchen sich die Überlebenden des dritten Weltkriegs den Kopf mit Drogen zu bereinigen. Oder ihr Leben zu beenden, wenn man es als Optimist betrachtet. Nichts ist besser, als ein paar gute Joints und drei Spritzen in die Venen. Yeah.

Ein Hoch auf die heutige Zeit.

„Wisst ihr die Namen?“

Seelenreißer wendet sich mir zu und verneint meine Frage mit einem Kopfschütteln. „Wir kennen bloß ihre Decknamen. Ich werde zuerst mit ihnen reden, ehe du mit ihnen sprechen kannst. Es kann sein, dass die angekündigten Personen nicht kommen und ich will dir keine falschen Namen nennen.“ Schlauer Junge. Hätte er mir Humbug erzählt, wäre er auf der nächsten Müllhalde gelandet. Natürlich als Müllhaufen, bestehend aus Einzelteilen des menschlichen Körpers.

„Das Auto hält etwa fünfzig Meter von uns entfernt und drei Personen steigen aus. Ich kann zwei Frauen und einen Mann von der Gestalt eines Riesen erkennen. Keiner kommt mir bekannt vor, was ich daran feststelle, dass ich eine solch große Nase nie vergessen könnte, ganz zu schweigen von dem Aufzug, die die drei tragen. Nicht einmal kugelsicher.

Der Hüne schlendert auf uns zu, als hätte er alle Zeit der Welt, während ein Lächeln seine Züge verzieht. Er ist ein Mensch, den man schon vom ersten Augenblick an nicht mögen kann.

„Freunde, schön euch mal wieder zu sehen. Wer ist die Hure da? Ne Neue?“, wagt dieser Zurückgebliebene mich ernsthaft zu beleidigen. Er weiß wohl nicht, mit wem er sich anlegt. Ich lächele ihn geheimnisvoll an. Ich glaube, es scheint ihn zu irritieren.

„Der Hure gefällt es wohl, als Hure bezeichnet zu werden. Du kannst mich besuchen, wenn deiner Pussy langweilig wird. Bock drauf?“

Nur gut, dass ich einmal in meinen Leben meine Wut im Griff habe. Ich sehe, wie meine Kameraden die Hände zu Fäusten ballen. Männer eben.

Die beiden Frauen, welche wortwörtlich nichts am Leib tragen, außer man kann einen BH und einen Rock aus durchsichtiger Seide, so bezeichnen. Die Armen müssen frieren.

„Ich glaube, ich kann auf einen Besuch meinerseits verzichten. Aber Blutquäler wird sehr erpicht darauf sein, dein Blut in einer Urne zu sammeln und mir das Gefäß als Zeichen des Triumphs zu übergeben. Ein Mistkerl weniger auf der Erde. Bring mir sofort die Drogen und ich werde dein Leben verschonen. Andernfalls, du weißt, was dann geschieht.“

Mein Gegenüber verschränkt trotzig die Arme vor seiner Brust und wirft mir dabei einen überlegenen Gesichtsausdruck zu. Wer nicht hören will, muss fühlen. Die einen verstehen es, die anderen sind zu dumm, um es zu akzeptieren.

Traurig ist die Welt, trauriger mit dem Mann vor mir.

„Meinst du, ich lasse mir von einer dreckigen Hure etwas vorschreiben, nur weil sie drei Ratten begleiten? Pah, wahre Männer sind das dominierende Geschlecht und keine Ratte oder Hure kann etwas dagegen unternehmen. Entweder dein Boss lässt sich hernieder und nimmt mir die Drogen ab, oder ihr bekommt sie nicht!“

Noch nie etwas von Emanzipation gehört, alter Mann? Wohl kaum, denn sonst wäre er mehr als bereit, mir die Drogen zu übergeben. Nun, nichts desto trotz meiner guten Vorsätze, muss ich ihn nun erledigen.

„Ich habe dich gewarnt. Ich kann nichts dagegen tun, wenn es auf taube Ohren trifft. Besser du findest dich gleich mit deinem Tod ab, statt mir die Ohren von deinen guten Taten voll zu heulen, wenn ich dich ausschalte.“

„Komm nur her. Du hattest heute wohl noch keinen richtigen, sonst wärst du nicht so vorlaut, Hure.“

Er winkt mich mit dem Mittelfinger zu sich und tatsächlich – dem Anschein nach – befolge ich seinen indirekten Befehl. „Ja, komm nur her. Ich werde dich so richtig rannehmen. Du wirst nicht mehr laufen können! Hehe.“

„Ein sehr vielversprechender Vorschlag, aber ich passe. Ich habe Besseres zu tun, als mich mit Wichtigtuern wie dir abzugeben. Ich bin über deinem Niveau.“

Er zieht im Unglauben an meine Worte seine linke Augenbraue nach oben. Er wird schon sehen, was er von seinen Zweifeln an mir haben wird. Keiner hat je an mir gezweifelt und ist dabei ungeschoren davongekommen.

Ehe ich vor ihm stehe, atmet er gequält ein und aus. Ich erkenne es an seinem rasenden Atem, dass etwas nicht stimmt. Trotzdem gehe ich unbeirrt weiter, als hätte ich nichts wahrgenommen.

Ich wechsle vor seiner erbärmlich großen Gestalt in einen festen Stand und öffne meine Handflächen. Derweilen geht er in die Knie. Ich drehe mich nicht um, da es wie ein Puzzle in die Lücke passt, dass Blutquäler ihn gegen seinen Willen kontrolliert.

„Der einst so stolze Mann ist von einer einzelnen Ratte gebrochen worden. Aber ich bin heute gut gestimmt. Ich bringe dich gleich um. Deine Zeit ist vorbei.“

Ich hebe die Arme gen Himmel und sammle meine ganze Kraft. Als ich meine Energie deutlich spüre richte ich sie auf den Knienden. „Wir sehen uns in der Hölle.“

Mit den letzten Worten an ihn, verbrennen meine Lieblinge – die Blitze – seinen Körper, bis nur noch ein Häufchen Asche übrigbleibt. „Der Mensch ist nichts außer Asche. Wir fühlen uns zwar überlegen, sind es aber keineswegs. Ich bin gespannt, wann es die Menschheit einsieht, dass wir Nichts sind.“

Ich drehe mich zu einer der leicht bekleideten Frauen um, wobei ich einen Blick auf das halb versteckte Messer hinter ihren Rücken werfen kann.

„Schatz, leg das Messer weg! Oder du bereust es ebenfalls! Du hast gesehen, was mit Leuten wie ihn passiert, wenn sie mir nicht gehorchen.“

Sie befolgt meinen Rat, obwohl ich in ihren Augen lesen kann, dass sie es nur tut, um ihr Leben zu behalten. Ihr muss sein Leben tatsächlich etwas wert gewesen sein, ansonsten würde sie nun keinen hinterhältigen Mordplan gegen mich schmieden. Doch solange mir das Trio meinen Rücken stärkt, dürfte sie gegen mich so gut wie keine Chance haben. Wer beherrscht noch mal die Fähigkeit Blitze zu erzeugen? Ich. Wer sonst?

„Ladys, nehmt die Kiste mit. Unser Boss wäre bitter enttäuscht von euch, wenn ihr es nicht tut. Und unser Boss ist nicht gerade für seine Güte bekannt, nicht wahr Seelenreißer?“ Er nickt und ich gratuliere mir selbst für diese gelungene Drohung, die deren Angst mächtig schüren dürfte.

„Wo bringt ihr uns hin?“, fragt eine der Blondinen. Er muss wohl ein Faible für Blondchen haben.

„Was könnt ihr?“, stelle ich die Gegenfrage. „Habt ihr irgendeine Ausbildung?“

Beide schütteln wie wild mit ihren Köpfen. „Gut, dass braucht ihr auch nicht. Ihr werdet zuerst mal im Dealen mit Drogen unterrichtet und falls ihr nicht in der Zentrale gebraucht werdet, könnt ihr euch eigens nach einer Arbeit umsehen.“

Erstaunt heben sie ihre zuvor gesenkten Köpfe. „Ich habe aber auch keine fertige Schulbildung. Ich bin mit fünfzehn von der Mafia entführt worden und an den Drogenring verkauft worden.“

„Meinst du, jemand will wissen was x ist? Nein, wohl kaum.“

„Aber ich wollte studieren!“ Meine Güte, meine Nerven reißen gleich.

„Ich druck dir ein Abiturzeugnis aus, okay? Gib jetzt endlich Ruhe.“ Nicht einmal ausgeschlafen, kann man ihre piepsende Stimme ertragen.

„Danke.“ Uh, die Erste die sich bei mir bedankt. Wenn sie weiter so freundlich zu mir ist, wird sie nicht lange überleben.

Ohne auf die beiden Grazien Acht zu geben, übernehme ich das Kommando und gehe vorwärts Richtung des Autos. Entweder das Trio hilft ihnen die Kiste zu tragen, oder eben nicht. Ich hoffe, sie kommen mit der nicht vorhandenen Rücksicht klar, denn ansonsten kann ich ihnen auch nicht helfen.

Da ich denke, dass mir Seelenreißer niemals das Auto überlässt, wenn ich fahre, verfrachte ich mich selbst auf den Beifahrersitz. Keiner von uns hat wohl mit einem Zuwachs gerechnet, sodass sich die beiden Frauen übereinandersetzen müssen. Ich kann an der Miene der Oberen lesen, dass es ihr leicht unangenehm ist. Nein, wirklich, das wäre nichts für mich. Ich würde um einen Einzelplatz kämpfen und zwar bis zum blutigen Ende, denn ich kann es absolut nicht ausstehen, wenn sich unter mir etwas bewegt.

„Wo fährt ihr uns hin?“

Keine Antwort. Die kleinere von den beiden gibt der anderen einen Klaps auf den Arm, damit sie nicht zu einer neuen Fragestellung ansetzt. Sie ist wohl ziemlich korrekt drauf, denn sonst wüsste sie nicht, dass die andere uns mit Fragen auf die Nerven geht.

Der Rückspiegel zeigt mir, wie die größere Blondine der kleineren eine Kopfnuss gibt und ihr einen bösen Blick dabei zuwirft.

„Keinen Streit, sonst gibt es kein Essen in den nächsten zwei Tagen für euch. Passt auf, ich warne nur einmal.“

„Du kleine Hure, ich sag dir mal etwas, du erlaubst dir wohl alles, nur weil du dich besser fühlst als andere. Nur deshalb hast du den Rang inne, den du hast.“

Ich drehe mich vollständig zu der kleinen Streitliebenden um, damit sie meinen Augen nicht entkommen kann.

„Ich habe gesagt, ich warne nur einmal. Du hast nicht gehört, also bekommst du auch nichts zu essen. Außerdem lass dich überraschen, was noch auf dich zukommen wird.“

„Pah, als würde ich Befehle von einer hurenden Tussi entgegennehmen.“ Spätestens nächste Woche wird sie mir die Stiefel lecken. Ich freue mich schon darauf, wenn sie mit gebrochenem Geist meine Sklaven sein wird. Das andere Blondchen dagegen werde ich höchstpersönlich in der Waffenlehre unterrichten. Ich habe nämlich – aus welchen Gründen auch immer – die Ahnung, dass mehr in ihr steckt. Zwar ist sie klein und besitzt zugeben keine Kraft, aber sie hat Gehirn. Das, was ihre große Freundin leider nicht besitzt. Wenn sie mir auf die Nerven geht, kann ich immer noch ihren Geist brechen und sie zu einer Sklavin für meine drei Mitstreiter degradieren. Ja, das ist eine gute Idee. Meine Erfahrung bei Tante Linda und Onkel Joseppe macht sich definitiv bezahlt. Ohne sie hätte ich nicht den Hass auf Menschen entwickelt und kein Verlangen würde in meinem Herzen brodeln, dass mir beständig zuflüstert, dass ich mich an der Menschheit rächen sollte.

Du musst das nicht tun.

Ja, ich muss das nicht tun. Aber ich will es. Sie es so, du scheiß Nervensäge, ich bin hier die, die das Sagen hat. Entweder du hörst auf mich oder du ziehst dich wieder in deine Ecke zurück, woher du gekommen bist. Du hast überhaupt nichts zu melden hier.

Ja, stimmt. Aber ich kann dir das Leben zur Hölle machen.

Du hast mich solange in Ruhe gelassen, warum bist du wieder da? Ich kann auch ganz gut auf deine Gesellschaft verzichten. Verschwinde endlich.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, so heißt es jedenfalls. Was meinst du, was ich mit dir mache? Ich spiele nur mit dir. Und es endet erst, wenn einer von uns den letzten Atemzug macht.

Wie metaphorisch. Du könntest Poetin sein. Nur ohne mich. Außerdem will ich nicht mit dir spielen. Ich lasse mich nicht auf dich ein. Wir sind doch nicht mehr im Kindergarten, wo alles ein Spiel ist. Spiele sind etwas für Kinder.

Dann sind wir eben Kinder. Äußerlich sind wir erwachsen, aber der Schein trügt. Im Inneren besteht alles nur aus Spaß und Spiel. Nur in etwas abgewandelter Form.

Vielleicht für deine Wenigkeit. Jedoch ist es nicht meine Art, denn ich will nichts damit zu tun haben.

Was du willst oder nicht ist mir völlig egal. Nur muss ich das tun und du hast keine Wahl.

Verschwinde! Verschwinde aus meinem Kopf! Lass mich endlich in Ruhe!

Niemals.

Hallo?

Hallo?

Keine geheimnisvolle Stimme antwortet mir. Gut so. Mehr könnte ich sowieso nicht mehr ertragen. Dieser säuselnde Laut, der sich jedes Mal durch meinen Kopf schwingt, treibt mich beinahe in den Wahnsinn. Warum kann sie mich nicht leben lassen? Es ist nicht gerade so, dass ich wirklich lebe, aber mein langweiliges, drogenreiches Leben ist dennoch tausendmal besser, als wenn ich mir noch eine Stimme dazu einbilde, die es eigentlich nicht gibt. Definitiv zu viel des Schlechten.

„Jody? Wo bist du in deinen Gedanken?“

„Jedenfalls nicht hier“, antwortet Bluträcher auf die Frage von Seelenreißer. Warum antwortete er auf eine Frage, die für mich reserviert war?

„Ich bin hier. Keine Sorge, Bluträcher. Ich kann für mich alleine antworten.“

„Denke ich nicht. Eine der blonden Frauen hat dich wieder als Hure beschimpft und du hast nichts gesagt.“

„Das liegt daran, dass sie es bereuen werden. Sie werden die nächsten Monate nichts geschenkt bekommen. Das ist sicher.“

 

Während der weiteren Autofahrt werde ich mehrmals von der aufmüpfigen Blondine als Hure, Monster und Schlampe bezeichnet. Besonders kreativ ist sie wirklich nicht. Statt mir dankbar zu sein, dass ich sie aus ihrer Gefangenschaft oder Sklaverei, wie man es auch nennen mag, befreit habe, will sie ihren Arsch von mir geleckt bekommen. Interessant, wie sie ihren Sprachgebrauch weiterentwickelt. Anfangs kleine Beleidigungen mutieren nun zu Redewendungen mit tiefem Niveau. Als wir bei unserem Loft ankommen, steigen wir aus, bevor Seelenreißer das Auto in der schwarzen Garage parkt. Bluträcher und Geistbrecher führen unsere Gefangenen unterdessen in den Keller, wobei ich ihnen Anweisungen gegeben habe, wie sie die Opfer zu fesseln haben. Ehe ich mich zu den Frauen nach unten geselle, gehe ich in die Küche und nehme eine Flasche Wasser aus dem Kasten unter der Theke. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich noch nicht meinen Job bei Polak gekündigt habe. Wie vergesslich ich manchmal bin! Sofort nehme ich das Haustelefon zur Hand und will die Nummer eingeben, als ich erkenne, dass ich sie nicht auswendig weiß. Man, ich bin wirklich dämlich! Ich verschiebe das Telefonat auf später, ansonsten komme ich nicht mehr in den Genuss meine beiden Blondchen zu quälen. Die Stufen hinabsteigend nähere ich mich der Tür, hinter der meine zukünftigen Opfer angekettet sind. Voller Erwartung schließe ich langsam und extra laut die Tür auf, damit sie hören, dass ihre zukünftige Foltermeisterin kommt. Nicht, dass ich unbedingt meine sadistische Ader an ihnen ausleben möchte, nein, das nicht, aber ich will Respekt bekommen. Nur weil ich klein und dünn bin, heißt es nicht, dass ich gleichermaßen unterwürfig und schüchtern bin. Also das bin ich wahrlich nicht. Eher würde ich einen angeschimmelten Apfel aus der achten Klinik essen, als dass zu sein.

Ich schiebe den Riegel zurück und öffne mit meinem Schlüssel das Schloss der Tür. Widerspenstig - mit einigen Mühen - springt es auf und gewährt mir Einlass. Langsam drücke ich die Klinke hinunter, um meine Opfer wissen zu lassen, dass ich da bin. Es ist wortwörtlich der purste Genuss, wenn man die Angst in den Augen von Menschen sieht. Der Gedanke an mein erstes Opfer Zoey treibt mir schon Vorstellungen in den Geist, die Schmetterlinge in meinem Bauch entstehen lassen.

Mit langen Schritten trete ich ein und mache mir ein Bild von der Situation, die sich mir zeigt. Die Arme der beiden sind übereinander verschränkt in die Höhe gebunden, sodass sie mit Sauerstoff unterversorgt sind. Am Ende der Tortur sollte ich die Arme losbinden, ansonsten könnte es bleibende Schäden hinterlassen. Nun ist die Zeit gekommen, in der ich selbst meine Folterkünste an lebenden Puppen ausprobieren kann. Fünf Jahre haben die Forscher mich als Versuchskaninchen benutzt, jetzt will ich selbst erfahren, wie es ist, die völlige Entscheidungsfreiheit über einen Menschen zu verfügen ohne ihn zu töten. Mal sehen, ob ich an mich halten kann und das Ziel erreiche, sie am Leben zu lassen. Hoffentlich. Sonst kann ich deren Leben nicht mehr zerstören. Und das wäre ein Jammer. Es wäre wirklich Schade, teils unverbrauchtes Leben zu vernichten, ohne es verbraucht zu haben. Was wäre das für eine Verschwendung!

Erwartungsvoll blicke ich mich im Keller um, um zu sehen, wie die Gesichtszüge meiner Gefangenen entgleiten. Wie ich feststellen muss, ist dies aber nicht der Fall. Stattdessen wird mir eine böse Überraschung zuteil. Die vorlaute Blondine, die mich bereits im Auto auf das Übelste beleidigt hat, fängt lauthals an zu schreien: „Du verdammte Magersüchtige! Lass uns sofort frei oder ich werde dich eigenhändig erschießen!“

Es ist immer der gleiche Fehler, den meine Opfer machen. Sie fühlen sich mir überlegen, obwohl sie meine eigene – innerliche – Stärke unterschätzen. Nur das es für meine Opfer bis jetzt immer fatal geendet hat und nicht mit einer kleinen Züchtigung. Sie haben sprichwörtlich die Arschkarte gezogen und müssen jetzt meinen dunklen, abtrünnigen Gedanken standhalten.

Ich sehe mich um, auf der Suche nach einen spitzen Gegenstand. Meine Augen werden fündig und ich nehme mir das Messer beim Griff, dass in einem Holzstück steckt und ziehe es mit einem Ruck heraus. Damit gehe ich auf den gefesselten Körper der frechen Blondine zu und komme vor ihr zum Stehen.

Ehe ich mich versehe, ihr ruhig und besonnen – ohne irgendeinem Ausraster – zu erklären, dass ich ihr unangebrachtes Verhalten nicht ohne Konsequenzen hinnehme, befindet sich ein Teil ihres Speichels in meinem Gesicht. Wunderbar. Sie hat sich den Brocken selbst vor die Füße gelegt. Und sie wird darüber stolpern. Sich die Knie aufscheuern. Ruckartig zerfetze ich das Hosenstück über ihren Knie und trenne die Oberfläche der Kniehaut durch, sodass ein mittelgroßes, blutiges Stück ihrer porenreinen Haut Richtung Boden fällt. Eher entsetzt über ihren plötzlichen Hautabfall schreit sie auf und legt ihren Kopf in den Nacken, nur um noch lautere Töne des grausamen Schmerzes abzulassen.

Derweilen wische ich mir die Spucke aus dem Gesicht und packe die Blondine am Schopf. Es heißt doch immer, man solle die Gelegenheit beim Schopf packen und genau das befolge ich.

Ich ziehe ihr Haupt seitlich zu meinem Mund und raune mit belegter Stimme in ihr Ohr: „Falls du ein zweites Mal in Erwägung ziehst, mir ins Gesicht zu spucken, sage es mir. Dann werde ich dir nur ein Stückchen deiner Zunge herausschneiden und dich nicht von Seelenreißer verprügeln lassen. Du wirst keine Zähne gemischt mit deinem lieben Speichel spucken und dich nicht selbst am Blut deines Versagens ersticken.“

Hinter mir ertönt ein Klatschen, was mich dazu veranlasst, mich schlagartig um die eigene Achse zu drehen und dabei die Haare in meiner rechten Hand vergesse. Folglich höre ich einen kleinen Schmerzensschrei aus der Kehle der großen Blondine hervorkommen, was ich mit einem Schlag in die Magengegend quittiere. Ächzend weicht sie vor mir zurück, aber sie kommt nicht weit, da sie von den Fesseln am Andreaskreuz aufgehalten wird.

„Hübsche Aussicht“, beginnt Bluträcher eine Konversation. „Ich könnte dir behilflich sein. Ich meine mit der Versklavung der Blondinen. Ich kenne mehr Foltern, als du dir jemals vorstellen kannst, Jody. Ich wäre dir nur eine Hilfe.“

„Und was hast du davon?“, hake ich nach.

„Ich trage nicht umsonst den Namen Bluträcher“, lautet seine einzige Begründung. Während ich über sein überaus herzliches Angebot nachdenke, breitet sich zwischen uns eine angenehme Stille aus. Ab und zu ist das schmerzerfüllte Stöhnen meines Opfers zu hören, aber das tut der Stille keinen Abklang.

„Ich denke, ich sollte eines meiner lieben Opfer fragen, was sie dazu meinen.“

Ich schreite zu der kleinen Blondine und ziehe ihren Kopf an den Haaren zu mir hinauf. „Wie heißt du?“

„Sarah“, wimmert sie. Anscheinend ein auch ein kleines Weichei. Wenigstens hält sie sich mit ihrer piepsenden Stimme im Hintergrund und hat bis jetzt noch keine sinnlosen, nicht zusammenhängenden Sätze von sich gegeben, bei denen sie eine Ohrfeige oder anderweitige Strafe wie ihre Kollegin verdient hätte.

„So Sarah, wie findest du den Vorschlag von Bluträcher? Soll er mir an dir demonstrieren – oder an der anderen Blondine – wie er sich als Foltermeister gibt?“

Sie wartet nicht lange mit der Antwort, sondern verweist gleich auf die andere Gefangene im Raum. „Anscheinend hat die liebe Sarah kaum Mitgefühl mit dir“, wende ich mich der vorlauten, großen Blondine wieder zu.

„Das ist mir so richtig scheiß egal, was sie macht oder nicht. Sie ist eh viel zu dumm, um überhaupt einen Fuß vor den anderen zu setzen. Wenn ich freikomme, werde ich sie eigenhändig umbringen, dieses kleine Flittchen!“

„Wie ist dein Name?“

„Als würde ich dir meinen Namen nennen.“

„Dann heißt du ab heute eben Ratte. Beschwer dich nicht, es war deine Entscheidung.“

„Pah, als könntet ihr entscheiden, wie mein Name ist oder nicht. Es liegt ganz bei mir, wie ich heiße oder nicht. Und ihr könnt überhaupt – rein gar nichts – dagegen tun.“

Plötzlich – während ihrer armseligen Verteidigung – bildet sich in meinem Kopf eine Idee, wie Bluträcher und meine Wenigkeit beide auf ihre Kosten kommen.

 

„Bluträcher, komm her.“ Tatsächlich, ohne Widerworte rückt er zu mir auf, nachdem er seinen Platz an der Tür-Lehne verlassen hat. Fragend und doch zugleich erwartungsvoll blickt er mich aus seinen stahlgrauen Augen an. Die buschigen, in Form gezupften Augenbrauen nach oben ziehend und den Mund zu einer harten Linie gepresst, sodass seine hohen Wangenknochen zur Geltung kommen. Nicht hässlich, wie ich mir eingestehen muss. Aber nicht mein Typ. Eher würde Luca zu mir passen, als einer meiner drei sogenannten Bodyguards.

„Sarah gefällt dir, oder?“ Er weiß, dass ich erkenne, wenn er mich anlügt. Dadurch überrascht es mich nicht, als er mit „Ja“ antwortet.

„Ein schöner Körper – volle Brüste, ein wohlgeformter Hintern und pralle Oberschenkel – was wünscht sich ein Mann mehr. Ihre lockige, blonde Haarpracht, die ihr bis unter die Schulterblätter reicht und der laszive Blick, mit dem sie dich ködert. Meinst du, du kannst es schaffen, sie zu brechen?“

„Mich interessieren die weiblichen Formen nicht besonders, mir geht es eher um den Charakter.“

„Sie hat zwei sehr große Charaktere“, spiele ich auf ihren Vorbau an.

„Worauf willst du genau aus?“ Genau auf diese Frage habe ich gewartet, um ihm mit einer Antwort zu provozieren.

„Männer sind schwach. Sie folgen nur ihrem Schwanz, wo auch immer er gerade hinwill. Wenn ihnen etwas nicht passt, rasten sie aus und schlagen um sich, ohne auf die Worte zu achten, die sie dabei von sich geben oder allgemein die beruhigenden Worte, auf sie bezogen, überhören.“

„Das war jetzt nicht gerade nett. Aber, da du meine Chefin bist, verzeihe ich dir die Wortwahl.“

„Wie nett.“ Nett ist die kleine Schwester von Scheiße, wortwörtlich.

„Finde ich auch“, wiederholt er sarkastisch. Wie schöne es doch ist, sich intellektuell mit einem Mann zu unterhalten, denn momentan hat sich meine Meinung über Männer in keinster Weise verändert. Sie ist immer noch die Gleiche, wobei Bluträcher sie immer mehr festigt.

„Wir werden sehen, welchen Einfluss du auf Sarah haben wirst. Innerhalb eines halben Jahres, werden wir die beiden auf angenehme oder unangenehme Weise zu unseren Sklaven erziehen. Wenn wir beide Erfolg haben, überlasse ich dir Sarah. Wenn du keinen Erfolg hast, bekomme ich sie. Wenn ich keinen habe, bekommst du Ratte ebenfalls.“

Es wäre dumm gewesen die Worte lauthals durch den Raum zu schreien, weshalb sich Bluträcher zu mir hinunter gebückt hat, um meinen Worten zu lauschen, ohne dass die beiden Opfer den Inhalt verstehen.

Er reicht mir die Hand. Ich schlage ein. „Der Pakt gilt“, verkünde ich, damit die beiden Blondinen mitbekommen, dass wir einen Vertrag geschlossen haben.

„Ja, das tut er“, wiederholt er den Sinn meiner Worte, um das Ganze zu bestärken.

„Du hast nicht gesagt, wo ich Blondie quälen darf. Daher nehme ich sie mit, in mein Zimmer.“

„Aber ich hätte ganz gerne eine Vorführung. Ich will im Klaren sein, was du mit ihr machst. Sei gewarnt, ich bin nicht nachsichtig mit denen, die Fehler machen. War ich noch nie und werde ich auch nie sein.“ Ja, ein Charakter ändert sich nie, so gern man es auch tun würde, ich kann es nicht. Ich werde für immer die Jody sein, die ich bin. Eine Mörderin. Ein Monster. Es ist einfach zu schön.

„Sicher“, ist das einzige Wort, was er zu meinen provozierenden Sätzen sagt.

„Dann mach mal. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“ Naja, es ist wenigstens eine Halbwahrheit. Innerlich klopfe ich mir selbst auf die Schulter und lobe mich für mein vorbildliches Verhalten.

„Folter braucht Zeit.“

„Ich weiß. Ich habe nie behauptet, du hättest keine Zeit, sondern, dass es sich im Rahmen halten soll.“ Unterdessen betrachten meine Augen jeden Winkel im dämmrigen Keller. Neben drei verschieden Schlagbolzen, die an der gegenüberliegenden Wand angebracht sind, hängen noch zehn Peitschenarten, fein sortiert nach deren Länge und zwei Gerten. An der Wand, in der die Tür eingelassen ist, befindet sich ein Tisch, worauf sich zwei Elektroschockgeräte befinden, sowie vier unterschiedlich gewichtete Räder, mit denen man Knochen und auch Fleisch durchdrehen kann.

Hinter mir ist eine kahle Wand und an der Linken sind unsere Opfer an das Andreaskreuz gekettet. Ich muss definitiv die Foltergeräte aufstocken, wenn das alles hier ernsthaft meine neue Arbeit wird.

Es ist irgendwie unglaublich, was sich alles in den letzten Monaten getan hat. Apropos, ich darf nicht vergessen, später bei Polack anzurufen, um zu kündigen. Meine Kündigung überlasse ich gewiss nicht Luca, der eh schon viel zu viel auf sich hält. Das würde sein Ego nur noch weiter ausbauen, obwohl es im Moment schon so groß ist, wie der Pazifik. Darauf kann ich getrost verzichten.

Wie mir erst jetzt in den Sinn kommt, hat Ratte schon seit geschweige fünf Minuten ihre Klappe gehalten. Da ist irgendetwas faul an der Sache. Wenn jemand still wird, sollte man lieber aufmerksam werden und nicht etwas Unbedachtes machen. Ich habe schließlich aus meinen Fehlern gelernt. Ich mache sie kein zweites Mal.

Ich gehe mutigen Schrittes auf Ratte zu, wobei ich meinen Fokus auf die unteren Körperregionen lege. Tatsächlich entdecke ich eine gelockerte Fußfessel, die es erlauben würde, jemanden zu treten. Dieser jemand bin dann wohl ich. Bevor es jedoch zu einer Gewalttat kommt, bei der nicht ich die Schuldige bin, vermassele ich lieber ihren Plan und lege meine Hände um ihre Beine. Ehe sie der Überraschung Gegenwehr leisten kann, habe ich bereits die Seile wieder straff an das Holz gebunden. Niemand kommt mir ungeschoren davon, nicht einmal ich selber. Deshalb hole ich mir einen der Elektrokasten vom Tisch und lege ihn auf den Boden, da ich meine freien Hände brauche, damit ich den durchsichtigen Rock an ihren Beinen herunterreißen kann.

Als er nur noch in Fetzen vorhanden ist, zerstöre ich auch ihren Slip mit meinen bloßen Händen. Ihr Oberkörper ist bereits enthüllt, da ich meine drei Kumpanen ausdrücklich angewiesen habe, ihre obere Körperhälfte auszuziehen. Zu gerne hätte ich den entgleisten und gedemütigten Gesichtsausdruck ihrerseits gesehen, nur war mir mein Wasserhaushalt wichtiger, als diese Art von Vergnügen.

Während mein persönliches Opfer sich vor lauter Schimpftiraden nicht mehr beruhigen kann, gebe ich ihr eine Ohrfeige, deren Hall man durch den ganzen Keller hört. Sie schreit mich immer noch an, dieses Mal aber mit Fragen, was ich mit dem Elektroschocker vorhabe, den ich vom Boden aufhebe. Tja, wenn sie wüsste.

Ohne sie vorzuwarnen, was kommt, schalte ich den Elektroschocker auf Stufe zwei von fünf und halte ihn an ihre Bauchfläche. Wie ein brutzelndes Hühnchen in der Pfanne fängt sie an zu zittern und sieht mich entsetzt an. Ich fühle mit dir Ratte, ich weiß, wie es als Nummer in einer Menge von Nummer ist. Aber es wird besser werden, wenn man sich fügt und unterordnet.

 

Gekündigt und bestraft (überarbeitet)

Ihr Fleisch muss sich wohl durch meine unmenschliche Behandlung versengt haben, da der Geruch von Verbranntem den Keller ausfüllt. Jedenfalls genieße ich den Moment, indem sie in sich zusammensackt, als es ihrem Körper zu viel wird. Wie ein nasser Sack hängt sie nun am Andreaskreuz und ist der Ohnmacht nahe. Sogar ihr vorlautes Mundwerk ist verstummt, nur noch ein entsetzter Gesichtsausdruck ziert ihre Züge. Ein wunderbarer Anblick, wenn man weiß, dass man für dieses Werk verantwortlich ist. „War das nicht etwas zu viel für den Anfang?", stellt mich Bluträcher in Frage. „Was", gebe ich ihm nochmals die Chance sich zu korrigieren. Niemand wagt es - nicht einmal ansatzweise - mich zu degradieren, als wäre ich ein kleines Dummerchen. „Ich will damit sagen, ob du es für den Anfang nicht etwas ruhiger angehen willst. Es ist nur ein winziger Rat meinerseits. Nicht, dass mir deine Methode nicht gefällt, es ist nur, dass du dein Opfer zuerst psychisch quälen solltest." „Das ist ganz allein meine Entscheidung. Du brauchst dich da überhaupt nicht einmischen, schließlich bin ich dein Boss und habe hier das Sagen." „Ja, das hast du." Ehrlich gesagt, wäre es mir lieber, wenn sie schweigen würden. Am besten für immer und ewig. „Ich nehme Sarah mit auf mein Zimmer und behandle sie dort ihren Ansprüchen gerecht. Keine Sorge, ihr wird es dort mehr als gut ergehen. Ein kleines Lächeln ziert meine Mundwinkel, als ich die Ironie in seinen Worten erkenne. Ich hoffe für ihn, er hält sein indirektes Versprechen und enttäuscht mich nicht, ansonsten kann ich gar nichts garantieren. Höchstens für ein baldiges Ableben. Nachdem er dem schüchternen Opfer einen Kinnhaken verpasst hat, wirft er den blasen Körper über seine Schulter und verschwindet durch die Tür nach draußen. Ich für meinen Teil kann nun ganz ich selbst sein und mich gänzlich auf die Ratte konzentrieren. Was mein persönliches Opfer nicht weiß, ist, dass Ratten meine Lieblingstiere sind sowie meine einzig wahren Freunde. Aber ehe ich sie zu meinen Freunden zählen kann, muss ich sie erziehen. Es wird eine schmerzhafte, wenn es auch erst meine Erste ist, Erziehung, bei der ich mein Opfer zu einer guten Sklavin machen will. Vielleicht schafft sie es am Ende noch, zu einer Mörderin in meinen Diensten zu werden? Aber nur vielleicht. Es wird ein schmerzhafter und zugleich lehrreicher Weg für sie werden. Sie wird den Schmerz vergessen. Währenddessen ich mich in meinen eigenen Gedanken verliere, starre ich in das bewusstlose Gesicht von der Ratte. Nicht ein einziges Zucken oder eine andere kleine Bewegung verrät ihren aktuellen Zustand. Möglicherweise war es zu viel der Spannung. Vielleicht habe ich sie überbelastet? Wenn dem so ist, kann ich sie jedenfalls zu einer Marionette meiner Persönlichkeit machen. Einen Nutzen hat sie deshalb allemal, auch wenn sie ab heute nur noch von eins bis fünf zählen kann. Zwischendurch erinnere ich mich daran, dass ich noch bei Polack kündigen muss, um mein Gewissen davon zu befreien, dass ich immer noch eine Angestellte bin. Ich glaube, dass es am besten wäre, dies nun zu erledigen, weil ich sowieso nichts mit der Ratte anfangen kann.

Somit steige ich die Stufen des kleinen Treppenhauses hinauf und denke über die Worte meines baldigen Abschieds nach. Wie soll ich es ausdrücken? Soll ich nett und fromm klingen, einfach glücklich darüber, nicht mehr dort zu müssen? Oder verärgert und boshaft, um ihnen zu zeigen, wie sehr ich sie hasse? Nun ja, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, war ich der Arbeit als Angestellte von Polack nicht abgeneigt. Man hatte täglich den neuesten Tratsch um die Ohren und konnte dem Geflüster der Kunden lauschen. Ein kleines Geplänkel mit den Kunden hin und wieder gehörte ebenso zum Alltagsgeschehen, wie ein Streit mit Diana. Nur ist das Letztere nicht mehr möglich, denn sie ist leider von der Welt geschieden. Im Nachhinein erscheint mir der Mord an ihr ein wenig übertrieben, vor allem da die Langeweile ohne sie garantiert ist. Mit wem soll ich sonst meine alltäglichen Konflikte austragen, wenn es keinen gibt, mit dem sich ein Streit lohnt?

Meine drei Gesellen sind so amüsant wie ein Clown im Zirkus, der mit einer Wasserpistole auf die unteren Zuschauerränke spritzt. Dagegen verspricht mein Opfer ein wenig Unterhaltung, obwohl sie mich bis jetzt nur mit ihren entsetzten Gesichtsausdrücken in eine lustigere Stimmung versetzt hat. Die schüchterne Sarah bin ich an Bluträcher losgeworden, womit sie mich mit ihrer kleinlichen Art nicht mehr nerven kann, da mir ihr fehlendes Selbstbewusstsein immer deutlich gemacht hat, wie armselig die Menschheit doch sein kann. Wenigstens Bluträcher bringt Spannung in mein Leben, naja, zumindest versucht er es. Bis jetzt bleibt nur die Frage offen, wodurch sich meine drei Kumpanen ihre Namen verdient haben. Sie erscheinen mir nicht als gedankenlose Mörder, die spontan um sich schießen, wenn es ihnen in den Sinn kommt.

Als ich ins Wohnzimmers unseres Lofts komme, erwartet mich eine gähnende Leere, wie es sonst täglich der Fall ist. Nur zu gerne möchte ich wissen, was meine Kollegen den ganzen Tag treiben, weil ich sie nie zu Gesicht bekomme. Normalerweise sollte ich den Grund für meine Neugierde klären, aber zuallererst muss ich die Angelegenheit mit Erik besprechen. Nicht, dass er denkt, ich gehe ohne letzte Worte. So bin ich nicht, schließlich muss man sich an mich erinnern, falls ich demnächst das Zeitliche segne. Nun ja, falls das je geschehen wird.

Ich hole das Telefon aus der Küche und wähle die auf dem Zettel stehende Nummer, den ich aus meinem Zimmer geholt habe und warte auf die klare Stimme von Erik.

Nachdem das Tuten abnimmt und ich das Rauschen einer Stimme an meinem Ohr höre, die nach meinem Namen fragt, aber nicht Erik gehört, bin ich zunächst skeptisch. Trotzdem entschließe ich mich dazu, seine Frage nach dem Wer zu beantworten: „Ich bin Jody. Eine Angestellte von Polack. Ist Erik zu sprechen?“

„Nein. Er hat seinen Posten als Filialleiter aufgegeben, da er einen tragischen Verlust zu verkraften hat. Zu Ihrer Aussage, dass sie zur Mitarbeiterfamilie gehören, kann ich Ihnen leider nicht zustimmen. Ich weiß nichts von Ihnen. Es sind keinerlei Dokumente von Ihnen vorhanden und auch ansonsten kennen weder die Mitarbeiter, noch ich, sie.“

Wie bitte? Meine Kollegen von damals kennen mich doch! Sie haben mich gesehen. Sie haben mit mir geredet. Anscheinend hat es Luca ernst damit gemeint, dass er sich um alles gekümmert hat.

„Gut, ich glaube ich habe die falsche Nummer angerufen. An welchem Ort steht die Filiale nochmals?“

„In Fahn.“

„Ach, darum. Ich wollte eigentlich die in Ulrieb anrufen. Entschuldigen Sie für die Unterbrechung.“

„Schon gut.“

Nach seinen Worten drücke ich die rote Taste und beende damit das Telefonat. Ich lege den Hörer zur Seite und lasse mich auf das Sofa nieder.

Anscheinend bin ich nur ein Lufthauch, der einem kurz erschüttert und erzittern lässt, aber ebenso schnell vergessen wird. Wie sonst kann es sein, dass sie mich so schnell vergessen können. Luca hat gute Arbeit geleistet, das muss ich ihm lassen. Trotzdem ist es traurig, dass ich nur in mir existiere. Niemals habe ich irgendwo einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Nur ich selbst weiß von meiner Existenz. Mir scheint es, als wäre ich unwichtig, nur ein weiterer Stein in der Gegend, der langsam von der Erosion zerstört wird und auseinanderbröckelt, bis nur noch Staub übrigbleibt. Fast wären mir in diesem verlassenen Moment die Tränen gekommen, doch konnte ich sie gerade noch zurückhalten. Es kostete mich einiges an Überwindung, nicht meine verletzliche Seite zu zeigen. Auch ein Mörder hat Gefühle, wie ich mir gerade eingestehe. Nur sind diese besagten Gefühle anders, als die des Rests der Menschheit. Sie sind zurückgeblieben, tief in dir versteckt. Sie hatten nie die Möglichkeit sich auszubilden. Aber wenn sie die Möglichkeit haben, Wurzeln zu schlagen, fressen sie sich durch den Körper, wie ausgehungerte Parasiten, um sich an deinem Leid zu laben, nur um es zu verschlimmern.

Nachdem ich mich gefasst habe, wandere ich durch den Flur und lege meine Ohren an die Türen von meinen Handlangern. Leise versuche ich verräterische Töne aufzunehmen, die es nicht gibt. Entweder sind sie so leise, dass man sie nicht wahrnehmen kann, oder sie machen gar nichts.

Spontan entschließe ich mich Seelenreißer einen Besuch abzustatten und reiße die Tür auf. Überrascht – bei dem Bild, das sich mir bietet- lasse ich den Griff los und starre mit weit aufgerissenen Augen den weißen Körper unten am Boden an. Was ist mit ihm? Geht es ihm nicht gut? Mit einem kurzen Wisch verdränge ich die Gedanken um sein Wohlsein. Es kann mir egal sein, in welcher Verfassung er sich befindet, schließlich bin ich ihm nichts schuldig. Er ist nur ein weiterer Verbrecher in den Reihen der Gesetzlosen. Nichts Besonderes, dem eine gewisse Beachtung zuteil wird.

Seelenruhig schreite ich auf den leichenblassen Leib meines Kollegen zu, woraufhin ich mich zu ihm runterbeuge. Mit ruhiger Hand messe ich den Puls an seiner Halsschlagader, um mich zu vergewissern, dass er noch unter den Lebenden weilt. Ich kann keine weitere Leiche brauchen, vor allem nicht, wenn es sich um einen auf meiner Seite handelt. Ich brauche jegliche Unterstützung, um in der Drogenbranche zu überleben. Obwohl ich keinen von den Dreien vertraue, bin ich mir dennoch im Klaren, dass man in jeder Situation Rückendeckung benötigt.

Ein Schuss – oder zwei, können dein Ende bedeuten und das will ich nicht. Jedenfalls noch nicht. Zuerst möchte ich mir einen Namen unter den berühmt berüchtigten Drogenbossen machen. Erster Punkt auf meinem Plan dafür: Luca nach seinem überaus überraschenden Tod beerben oder gleich in eine andere Liga einsteigen. Gut, das ist mein Teilziel. Und ich werde es erreichen. Koste es was es wolle. Ich darf nicht vergessen werden. Man muss sich an mich erinnern. Für was, habe ich sonst gelebt? Ich will ein gefährliches Leben führen und zugleich den Respekt meiner Leute einhandeln, auch wenn ich jede Sekunde des Tages in Gefahr schwebe. Ich will leben!

Ich nehme Seelenreißer unter die Arme und ziehe ihn unter enormer Kraftanstrengung halbwegs auf den Teppich, der neben ihm liegt. Dann knie ich zu ihm auf den Boden und klatsche ihm zweimal pro Seite hart ins Gesicht. Wenn er nicht aufwacht, wird er es bereuen. Als hätte er meine innerliche Drohung gegen ihn gehört, öffnet er die Augen. Allerdings habe ich nicht mit einem Angriff seinerseits gerechnet. Somit werde ich ziemlich heftig auf den roten Steppteppich unter ihm geworfen. Danke, das gibt einen blauen Fleck für mich und einen Blitzschlag für dich. Vermutlich hätte ich ihn besser schocken sollen, denn er hält mich immer noch unter sich gefangen. Das gefällt mir nicht. Wirklich überhaupt nicht. Ich hätte ihn verbrennen sollen.

„Was machst du in meinem Zimmer?“

„Was wohl?“, stelle ich ihm eine Gegenfrage. Mir gefällt ebenfalls die unterwürfige Stellung nicht, die ich momentan einnehme. Was fällt ihm ein, so seine Vorgesetzte zu behandeln. Das gibt noch einen Blitzschlag für ihn. Prompt zuckt er über mir zusammen, doch es erzielt nicht das gewünschte Ergebnis.

„Du kannst mir noch so viele Schläge verpassen, aber ich werde dich nicht eher freilassen, bis ich eine Antwort auf meine Frage erhalte.“

„Ich bin deine Chefin. Du hast kein Recht mich so zu behandeln. Ich habe eine höhere Stellung inne, als du sie je haben wirst.“

„Sei dir dabei nichts so sicher. Wer hat hier wen in den Fingern? Außerdem kannst du mich nicht töten, ich bin immun gegen deine Energiestöße. Ich weiß sie abzuwehren. Pass auf, nicht dass ich sie noch auf dich ableite.“

Wie hat er es geschafft, mich unter sich zu degradieren? Ich bin der Tod in Form eines Menschen. Niemand kann mich aufhalten. Nun ja, bis zu diesem Zeitpunkt, an dem ich festgestellt habe, dass ich doch nicht die mächtigste Person auf der Welt bin. Schade, dass ich mir die Krone wieder abnehmen muss. Aber ich werde sie mir zurückholen! Irgendwann, aber heute nicht. Vorerst gönne ich ihm den kleinen Sieg über mich.

„Es muss dir gefallen, mich unter dir zu sehen.“

„Eigentlich nicht. Ich habe dich für eine starke Frau gehalten. Doch du bist auch nur eine von vielen, die ihre Schwäche offen zu geben.“

Etwas – zu sehr – verärgert, ziehe ich eine Augenbraue nach oben. „Sei dir da nicht so sicher. Ich habe immer noch ein Ass im Ärmel, auch wenn es aussichtslos ist. Dabei kann ich dir nicht versprechen, dass ich dich ebenfalls retten werde. Leute, die mir unsympathisch sind, lasse ich nur zu gerne sterben. Dann habe ich sie wenigstens los.“

„Danke. Ich kann auf deine Hilfe verzichten.“

„Schade. Ich hätte dir so gerne geholfen, weißt du? Dann hätte ich dich los.“

Den letzten Kommentar konnte ich mir leider nicht mehr verkneifen. Angesichts meiner prekären Lage hätte ich das aber tun sollen. Zwischen soll und hätte sollen liegt jedoch eine tiefe, unüberwindbare Schlucht, vor der sogar ich einen Rückzieher mache.

„Bevor dass der Fall ist, müsstest du meine Seele herausreißen. Und du müsstest am besten wissen, dass ich keine mehr besitze. Du hast es selbst am eigenen Leib erfahren. Erinnerst du dich an den ersten Eingriff in der achten Klinik, der dich zu einer Nummer von vielen gemacht hat?“

„Nein. Sollte ich mich?“ Noch immer liege ich unter seinem großen, gewichtigen Körper begraben, keine Chance mich von seiner Muskelmasse zu befreien.

„Ja, dass dürftest du. Anscheinend haben die Wissenschaftler dazu gelernt, nachdem ich ein paar blutige Leichen hinterlassen habe. Es war das schönste Gefühl, das ich je erlebt habe, als ich in die leeren Augen der Menschen gesehen habe, die mich aufgeschnitten haben und mich zu dem gemacht haben, was ich nun bin. Ein Monster im Körper eines Menschen.“

Meine Worte. Er interpretiert das Gleiche, wie ich in mich. Ein schmerzhaftes Ziehen katapultiert mich zurück in die Realität. Mein Herz. Es blutet. Ich spüre ganz deutlich, wie es Risse bekommt, und eine Flüssigkeit heraussickert. Verdammt, das fühlt sich nicht gut an. Besorgt streiche über die Brust, unter der sich mein Herz befindet, nachdem Seelenreißer von mir abgelassen hat.

„Wie kommst du darauf, dass wir Monster sind? Ich meine, wir würden wie welche aussehen, wenn wir welche wären.“ Ich muss einfach meinen Senf dazugeben, schließlich bin ich nicht umsonst Jody. Diejenige, die sich nichts gefallen lässt, ohne mindestens einmal widersprochen zu haben.

„Ach, wie denkst du denn, dass du aussiehst? Wie ein scheiß Supermodel? Wenn das wirklich so ist, kannst du dich gleich wieder in die Psychiatrie einweisen lassen. Du bist nämlich nur ein knochiges Skelett mit der Fähigkeit Blitze zu erzeugen. Und tief in deinem Inneren erkennst du, dass du nichts weiter, als eine Mörderin, bist.“ Seelenreißer verschränkt die Arme vor seiner breiten Brust und sieht mich abwartend an.

„Ich weiß, was ich bin. Ich spreche nur nicht aus, was ich bin. In unserer Welt ist immer noch das Gute vom Bösen klar getrennt. Es gibt kein Dazwischen. Dass es ein Grau zwischen Schwarz und Weiß gibt, wird nicht von den Menschen toleriert. Genauso behandele ich meine zweite Seite. Nichtsdestotrotz bin ich mir im Klaren, dass wir nur ein geringes Übel im Gegensatz zu dem Rest sind, die sich noch in der achten Klinik befinden.“

„Ja, das sind wir wahrlich. Ich hoffe wir müssen es nicht mehr erleben, wenn die Versuche erfolgreich werden.“

Ich hätte es von Anfang an erahnen können, dass die drei – ebenfalls wie ich – aus der achten Klinik stammen. Mein Scharfsinn lässt mich in letzter Zeit deutlich im Stich, obwohl ich ihn dringend brauchen würde.

„Lass uns das Thema wechseln. Was machst du jetzt in meinem Zimmer?“

„Ja, ich würde die Vergangenheit auch am liebsten totschweigen. Nur drängen sich die Bilder immer wieder in den Vordergrund. Das temporäre Vergessen erscheint mir manchmal als die einzige Gnade, die mir jemals zuteil werden wird.“

„Das beantwortet immer noch nicht meine Frage.“

Schmunzelnd sehe ich mich im Zimmer um. „Ich wollte nur wissen, was ihr drei in eurer Freizeit macht.“

„Nun, jetzt weißt du es. Kannst du mein Zimmer nun verlassen. Noch ein wenig Privatsphäre wäre schön, bevor wir heute Abend um sechs zu Luca müssen, um das Geld abzugeben.“

„Was? Warum gibt mir keiner über irgendeinen Termin Bescheid? Ihr wisst es immer früher, als ich und das finde ich echt abartig von euch.“

„Ich kann nichts dafür. Ich bin einzig und allein ein armer Hund, der das Vertrauen von Luca genießt und seine Vorteile daraus zieht.“

„Wer ist von uns der Anführer. Du oder ich?“

„Du. Ich. Keiner von uns beiden trifft es wohl eher. Meinst du, Luca zieht es ernsthaft in Erwägung seine Zukünftige als Stellvertreterin in Betracht zu ziehen. Niemals würde er die Geschäfte einer Frau anvertrauen, auch wenn sie ein Monster ist.“

Seelenreißer wird in meinen Augen immer unbeliebter. Meine Faust würde am liebsten Bekanntschaft mit seinem Gesicht machen, doch ich will meine Kraft nicht überschätzen. So wie ich mich kenne, würde das nur in eine Schlägerei ausarten, in der ich die Schwächere bin. Fairness geht anders.

„Ich gehe ja schon, bevor ich dir noch weiter auf die Nerven gehe“, beschwichtige ich ihn. Es wird definitiv Zeit, dass ich ihn auf den Platz verweise, der für ihn der Richtige ist. Und zwar nach ganz nach unten. Ich kann es partu nicht ausstehen, wenn man mich unterschätzt. Auch wenn er mich einmal besiegt hat, wird es kein zweites Mal geschehen. Diesen Fehler werde ich nie wieder begehen.

Aber bevor ich weiter vor mich hin fantasiere, gehe ich in die Küche, um meinen Entschluss – etwas zu essen- gerecht zu werden.

Dort angekommen, schneide ich mir eine Scheibe Brot vom Leib. Wer hat überhaupt eingekauft? In einem Haushalt, in dem sich drei Männer und eine Frau befinden, sollte ich mir diese Frage eigentlich nicht stellen, aber diese Frau heißt auch Jody.

Naja, kann mir auch am Buckel runterrutschen. Hauptsache ich bekomme etwas zu essen. Normalerweise sollte ich mich darüber nicht freuen. Ich weiß bis heute nicht, warum ich immer alles auskotze, was ich esse. Doch ich habe schon lange aufgeben mich nach dem Warum zu fragen, denn es macht einfach keinen Sinn, es zu tun. Es ist das Gleiche, als wenn man jeden Tag einen Stein in einen Fluss wirft. Es ist sinnlos. Es passiert nichts. Man kann noch so oft einen Stein werfen, der Fluss füllt sich nicht. Er wird immer weiter fließen. Kein Stein wird ihm bei seinem Lauf je beirren. So werde ich auch immer dünner, da ich dagegen einfach nichts tun kann. Jedenfalls kaue ich tapfer auf dem Brot herum und schaffe es sogar ein paar Bissen hinunterzuwürgen. Fast kommt es mir so vor, als würden sich die Krümel in meiner Speiseröhre verhaken, damit sie nicht im Magen landen.

Es scheint so, als stelle sich der eigene Körper gegen mich. Hat meine zweite Seite mehr Macht über mich, als ich glaube zu wissen? Wenn dem so ist, dann… Ich weiß es nicht. Die Ahnungslosigkeit geht über in Verzweiflung, die sich mit dem Blut in meinen Venen vermischt und mein Herz langsam absterben lässt. Ich spüre schon die eiserne Faust des Todes mein schwarzes Herz umfassen und….Warte! Was sinniere ich da? So leicht gebe ich mein Leben nicht auf!

Es wäre auch zu einfach gewesen.

Du schon wieder. Fast hättest du mich dran bekommen. Aber eben nur fast. So schnell kratze ich nicht ab, nicht ohne noch einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Die Menschen sollen sich an mich erinnern. Sie sollen mich verehren…

Falls du das wirklich glaubst, bist du echt arm dran. Ich meine, jeder Mensch hinterlässt eine Spur auf der Erde. Nur verschwindet sie mit der Zeit. Es kann sich um Sekunden oder Minuten handeln. Jedoch können auch Jahre und Jahrhunderte vergehen, bis man aus den Erinnerungen der Menschen gelöscht wird. Trotzdem wirst auch du eines Tages vergessen werden. Dieser andauernde Prozess kann niemals gestoppt werden. Vor allem nicht durch eine Sterbliche.

Das ist mir durchaus bewusst. Aber kann ich es mir nicht schönreden? Mein Leben sollte wenigstens einmal lebenswert sein.

Du hast deine zweite Chance vertan, Jody. Es ist zu spät. Du bist nicht mehr du selbst.

Warum höre ich nur auf dich. Schweig, du verdammte Hurenstimme! Ich kann deine kratzige Stimme nicht mehr hören. Sie ist wie raues Schleifpapier, sie tut nur weh und reißt alte Wunden auf.

Wenn ich sagen würde, dass es mir leid tue, dann wäre es gelogen.

Dann sag halt nichts mehr. Es ist ganz einfach, du musst nur deinen Mund zunähen.

Das kann ich nicht.

Was kannst du denn überhaupt, außer mich über irgendeine Moral voll zu reden, obwohl du selbst überhaupt keine Ahnung davon hast? Wie kommst du dazu, mir so etwas anzutun?

Reden, sprechen, schreien – wie man es auch nennen mag- ist die schlimmste Foltermethode, auch wenn es noch niemand anerkannt hat. Nichtsdestotrotz ist es eine Tatsache.

Schön. Wirklich schön für dich. Und jetzt schweig. Ich muss mich um die Ratte kümmern. Halt dich einfach im Hintergrund, so wie du es meistens tust.

Einige Zeit lausche ich der Stille, die sich nun in meinem Kopf befindet und seufze erleichtert, als ich keine nervige Stimme mehr höre. Endlich herrscht Ruhe und ich kann mich vollkommen auf meine Folter konzentrieren.

Was mache ich denn nun, nach meinem Einstieg? Ich könnte sie auspeitschen. Nein, definitiv zu langweilig. Wenn dann mache ich es richtig. Aber wie?

In der achten Klinik haben sie ohne Betäubung an uns herum geschnippelt, bis wir größtenteils aus körperfremden Stoffen bestanden haben und haben uns dann wieder zugenäht. Aber das kann ich nicht machen, weil ich erstens keine hoch entwickelte Technik zur Verfügung habe und zweitens ich keine zweite Jody möchte. Obwohl, so schlecht wäre das gar nicht. Nein, nein! Ehe ich noch auf weitere dumme Gedanken komme, nehme ich mir einen Eimer Wasser und ein Messer mit nach unten. Mit einem Messer kann man schließlich immer etwas anfangen. Hauptsache sie blutet, sonst habe ich keinen Spaß. Und wenn ich keinen Spaß an der Sache habe, wird es mir langweilig. Und man weiß, was mit Dingen passiert, die mir langweilig werden. Sie sterben.

Die Türe öffne ich im schleichenden Tempo, um die Fantasien der Ratte – falls sie sich im wachen Zustand befindet – anzuspornen. Ich möchte, dass sie sich vor Angst in die nicht vorhandene Hose pisst und ihr Herz einige Schläge aussetzt, wenn genau diese Türe aufgeht. Ich will in ihrem Gesicht die Spuren der Angst erkennen. Ich will sie gebrochen sehen. Am Boden zerstört und nicht fähig, ein Wort gegen mich zu wenden.

Eine wunderbare Vorstellung, dennoch ist es heute noch nicht so weit, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen wird. Ihr Kopf hängt gen Boden und als ich sie ins Gesicht schlage, zeigt sie keine Regung. Dann muss wohl der Eimer Wasser ran. Ich stemme ihn nach oben, damit ich den Inhalt über ihren Kopf entleeren kann. Bevor ich das Wasser ausschütte, nehme ich den penetranten Geruch wahr. Sie hat definitiv eine Dusche nötig, so wie sie stinkt. Somit kippe ich den Eimer auf einen Schlag um, wodurch sie eher einer Ersoffenen gleicht, als meiner Gefangenen.

Naja, wenigstens schüttelt sie nun den Kopf, wie es nur ein begossener Hund tun würde. Sie hat die Ohnmacht also nur gespielt. Schlaue Ratte, wenn ich nicht noch schlauer, als sie wäre.

„Äch, was ist das?“, stammelt sie.

„Wasser. Du solltest zusehen, dass du es von deinem Körper leckst, weil du heute nichts mehr zu trinken bekommen wirst. Also solltest du tunlichst meinen Vorschlag Folge leisten“, koste ich meine Überlegenheit vollkommen aus.

Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich schlurfende Geräusche höre. Tatsächlich ist sie nicht dumm. Sie macht Fortschritte.

Außer: „Wie hat dich dein ehemaliger Herr behandelt?“

„Schlimmer.“

Pah, was denkt sie denn, wer sie ist. Ich bin die Königin der Folter. Nun ja, das ist übertrieben, aber man lügt seine neue Herrin nicht an.

„Stimmt das?“

„Ja.“ Wieder möchte ich am liebsten die geballte Faust in ihre Magengegend treiben, doch ich halte mich zurück. Ich spüre den Duft der Ehrlichkeit in der Luft liegen und das will ich nicht überstrapazieren, schließlich hätte ich keinen so geringen Widerstand erwartet. Ehrlich überrascht nehme ich die Peitsche in die Hand. Vielleicht ist eine Auspeitschung doch nicht so übel und eintönig. Vielleicht. Vielleicht nicht. Ich kann mich nicht entscheiden.

Nach einer Salve an Peitschenhieben werde ich es sicherlich bemerken, dann kann ich immer noch das Instrument wechseln.

Zuerst nehme ich mir die Vorderseite vor, da ich zu wenig Kraft besitze um den zierlichen Körper der Ratte am Andreaskreuz zu drehen. Traurig, aber wahr, ich bin schwächer als mein Opfer. Ich weiß nicht, was ich genau davon halten soll, außer, dass ich etwas Muskelmasse aufbauen sollte. Und am besten auch etwas zu mir nehmen sollte. So geht das nicht weiter.

Trotzdem lege ich meine ganze Energie in die Hiebe, damit sie möglichst tiefe Striemen hinterlassen. Das wird von der Seite der Ratte mit lauten Schreien belohnt. Die Peitsche ist doch nicht so langweilig, wie ich es mir vorgestellt habe.

Wie falsch muss ich sein, wenn ich Ehrlichkeit bestrafe, kommt mir in den Sinn. Ja, das stimmt. Aber, warum nicht? Es ist doch lustig, sie schreien zu hören. Außer ich bekomme morgen davon einen Tinnitus. Das ist nicht ganz so lustig. Eigentlich überhaupt nicht komisch. Jedoch muss man das in Kauf nehmen, wenn man mein Leben führt. Eine der Nebenwirkungen, die das Leben eines Mörders und Clanmitglieds in der Drogenbranche, mit sich bringt. Falls man es dennoch ernst nimmt – dieses Leben zu führen – dann kann man sich wenigstens auf die guten Seiten freuen, wie zum Beispiel dem grundlosen Züchtigen von fremden Menschen, die einem beleidigt haben.

Die Peitsche schnellt zum wiederholten Male nach vorne, was der Gefangenen vor mir einen inbrünstigen Schrei entlockt. Erneut vollführe ich diesen Hieb, bis sich die Ratte nicht mehr bewegt. Kein Ton verlässt ihre Lippen, nur noch Tränen der Hilflosigkeit verlassen ihren Körper, als ich noch weitere Male die Peitsche hebe und senke.

Allerdings wird es mir schnell zu langweilig, wenn sie nicht mehr so offensichtlich leidet, wie sie es noch vor fünf Minuten getan hat. Dadurch lege ich die Peitsche zur Seite und schreite zu ihren - in sich zusammen gefallenen - Körper zu. Sie hängt vor mir wie ein geschlachtetes Opferlamm, das ihren letzten Atemzug von sich gibt. Nur mit dem Unterschied, dass sie noch ein wenig auf der Erde weilen darf, natürlich mit meiner Erlaubnis.

Lächelnd nehme ich ihr Gesicht zwischen die Finger und hebe es an, wodurch ich ihr besser in die dunkelbraunen Augen blicken kann. Nichts Besonderes, im Gegensatz zu meinen hellblauen. Aber es kann nicht jeder so gesegnet sein, wie ich. Oder verflucht, je nachdem, aus welcher Perspektive man es sieht. Vor meiner Zeit in der achten Klinik hatte ich ebenfalls öde, dreckbraune Augen, aber die Wissenschaftler haben mich zu etwas Besonderem gemacht. Ein Wunder, wie sie es genannt haben. Ich habe ihnen nicht geglaubt. Und meine Vermutung wurde bestätigt. Ich war nur ein Experiment von vielen. Nichts, das aus der allgemeinen Masse heraussticht.

Ich war nur ein Versuch mit der Nummer 254, besser bekannt als Patientin 254. Wie viele vor mir haben schon dieses Prozedere erleiden müssen. Wie Vielen haben sie schon vor mir diese Teile eingesetzt, von denen ich immer noch nicht weiß, wie sie heißen. Das Einzige, was sie mir gesagt haben, ist, dass man mich damit kontrollieren kann. Also entweder haben sie bei meinem wortwörtlichen Rausschmiss die Überwachung eingestellt oder sie tun es immer noch. Eventuell könnte es auch sein, dass sie mich mit diesen Dingen jetzt gerade kontrollieren. Vielleicht haben sie mich nur manipuliert und ich habe nichts in meinen Körper, was auch nicht dort hineingehört. Ich traue ihnen nicht. Schließlich haben sie mir auch weisgemacht, dass ich ein Wunder bin. Dagegen bin ich nur ein einsames Monster, das am liebsten momentan in die achte Klinik stürmen würde und die ganzen Wissenschaftler „freundlich“ befragen würde. Natürlich verzichte ich dabei auf Gewalt, denn die Wissenschaftler sind so verdammt nett und sagen mir zudem immer die Wahrheit. Was für ein Luxus!

Stopp! Jody, hör auf! Reg dich nicht auf. Richte deine Gedanken vollkommen auf dein Opfer, dann kannst du in die achte Klinik laufen und ein Blutbad veranstalten. Der Gedanke an blutüberströmte Leichen stimmt mich ein wenig besser und ich lege tatsächlich meinen Fokus auf die Ratte.

Anscheinend muss ich etwas zu viel Druck auf das Gesicht der Ratte ausgeübt haben, denn es wird ganz rot, als ich es loslasse. Das wird sicherlich zwei blaue Flecke geben. Und es wird schmerzen. Aber es sind ja nicht meine Schmerzen. Sie kann ruhig leiden. Hätte sie mich während der Autofahrt nicht beleidigt, wäre sie jetzt nicht ans Andreaskreuz gefesselt, hätte keinen Elektroschock bekommen und wäre nicht am Boden zerstört und würde unter meinen Blick weinen. Es entspricht wirklich der Wahrheit, dass vor mir eine Frau hängt, die ihren Kopf hängen lässt, als hätte sie keinen mehr und Tropfen der Verzweiflung schlagen auf den kalten Steinboden auf.

Ich lasse von ihr ab und trete ein paar Schritte zurück, um den Anblick einer gedemütigten Frau noch mehr zu genießen. Ich freue mich schon auf die Zeit, wenn sie perfekt dressiert ist und mir stets zu Diensten sein wird, denn dann werde ich sie nämlich an ihre Zeit als dickköpfige, blöde Kuh erinnern, die sie einmal war und sie weiter demütigen. Dennoch wird es noch einige Wochen in Anspruch nehmen, bis aus ihr eine perfekte Sklavin wird, die mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen kann, ehe ich ihn überhaupt ausgesprochen habe. Bei näherer Überlegung könnte ich mir allgemein noch eine Sklavin mit der Zeit zulegen. Schlecht wäre es nicht. Falls eine von ihnen in Ungnade fällt, kann ich sie durch die andere ersetzten. Eigentlich eine ganz gute Investition von Zeit. Hm, diesen Gedanken sollte ich definitiv ausbauen.

Ich drehe mich um 180 Grad und trete auf die Tür zu, die ich mit einem ausschweifenden Schwung aufreiße. Sie schlägt mit Wucht auf die Mauer neben ihr auf, was dazu führt, dass ich lachen muss. Nicht wissend, was der Grund dafür ist, dass ich Lachgeräusche von mir gebe, hole ich tief Atem und lasse meiner Belustigung vollen Lauf. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man mich für verrückt halten.

Nachdem ich mich nach meinem Lachanfall beruhigt habe, steige ich die verhassten Treppen nach oben. Meiner nicht vorhandenen Beckenmuskulatur tue ich damit bestimmt einen Gefallen, doch meiner Lunge bestimmt nicht. Diese beschwert sich schon nach zwanzig Stufen und lässt mich bei meinem Marsch innehalten. Zuerst ausruhen und dann gehe ich weiter, nehme ich mir vor. Immer einen Schritt nach den anderen.

Zurück in der achten Klinik (überarbeitet)

 

Atemlos falle ich auf mein weiches, überaus geschätztes Bett. Meine Ausdauer wird sich bestimmt verbessern. Irgendwann. Spätestens wenn ich nach dem halben Jahr mit der Ausbildung der Ratte fertig bin. Apropos Ratte, meine kleinen Lieblinge aus der Anstalt habe ich ganz vergessen. Wie kann ich nur, werden sich die kleinen Nagetiere wohl denken. Ich war für sie wie eine zweite Mutter und doch habe ich sie im Stich gelassen. Bestrafen sollte man mich für meine Vergesslichkeit! Aber das ist bestimmt eine Folge des Alters, auch wenn ich erst dreißig Jahre zähle. Trotzdem sollte ich sie mal wieder besuchen gehen. Zudem kommt dazu, dass ich mit meinen ehemaligen Genossen und Genossinnen noch eine Rechnung offen habe. Dabei ist es fast wie ein ungeschriebenes Gesetz, das besagt, dass man immer bezahlen sollte, was man sich zuschulden kommen ließ.

Erinnerungen vermischen sich mit Gedanken, was mich in eine Art komatösen Zustand verleitet. Es ist nur so, dass ich absolut nichts dagegen tun kann, da mich das Ganze aus dem Nichts übermannt.

Unter halb geöffneten Lidern sehe ich den alten, runzligen Wissenschaftler an, der mir eine Spritze vor die Nase hält. Bring es endlich hinter dir, denke ich mir. Lieber verschlafe ich die gesamte Prozedur – oder Tortur, wie man es auch bezeichnen mag – als, dass ich es mit vollem Bewusstsein über mich ergehen lasse. Die Wissenschaftler werden nicht umsonst in meinem Kreis – der, wie ich, eben aus Versuchskaninchen besteht- als skrupellos betitelt. Sie verdienen diese Beschreibung, da man sie auch nicht anders nennen kann. Sie sind keine Menschen mehr, sondern nur noch Monster – von innen und auch außen. Ihr Herz ist so rein, wie die Flüssigkeit, die sie uns in den Arm spritzen – nämlich gar nicht. Tatsächlich gibt ihr Äußeres den inneren Zustand wieder. Die hängenden Wangen, die unzähligen Muttermale, die ihre Haut übersäen und die gekrümmte Gestalt, die einem an den Glöckner von Notre Dame höchstpersönlich erinnert.

Unglücklicherweise wirkt die Betäubung nicht schnell genug, da ich die höllischen Schmerzen, die das Messer beim Aufschneiden meines Bauches verursacht, in ihrer ganzen Dimension erfahre. Ich schreie lauthals, was die Wissenschaftler nicht veranlasst, aufzuhören. Von wegen sie tun das für den guten Zweck. Zwar sind wir Insassen Abschaum, aber dennoch können sie uns nicht für das Wohl der Allgemeinheit nach Belieben aufschlitzen und wieder zunähen. Nein, dass dürfen sie wirklich nicht. Trotzdem hält sie nichts davon ab, mit uns nach Lust und Laune zu verfahren.

Jedoch spüre ich langsam, wie das Medikament anfängt zu wirken, weil ich mich zunehmend in die Traumwelt verabschiede, wo ich in ein schwarzes und doch zugleich erlösendes, schwarzes Loch stürze.

Nur zu gut kann ich mich an die Zeit in der achten Klinik erinnern. Die feinen Narben, die das scharfe, kleine Messer hinterlassen hat, zieren noch heute meine Bauchdecke. Sanft streiche über die Überbleibsel meiner schrecklichen, entwürdigten Vergangenheit und lächle über die Dummheit, die die Forscher begangen haben. Niemand legt sich mit Jody an. Niemand außer dem Tod höchstpersönlich, würde ich sagen. Ich könnte meinen alten „Freunden“ mal einen Besuch abstatten, um zu sehen was aus den überaus ehrbaren Forschern und Doktoren – sie haben allerlei Bezeichnungen- geworden ist. Wahrscheinlich sitzen sie immer noch in ihren Büros und werten die Ergebnisse aus, die sie durch das Aufschneiden von Patienten erlangen. Da stellt sich die Frage, was findet man dadurch heraus? Welches Ziel verfolgt man genau, mit diesen unsinnigen Schnipseleien? Nun ja, es ist Zeit dies herauszufinden. Meine Lieben, Jody kommt und jeder bekommt, was er verdient. Es mag sein, dass jemand etwas Gutes verdient, aber gewiss sind es nicht die, denen ich demnächst einen Besuch abstatten werde. Euphorie durchströmt meine Adern, als ich an meine Rache denke. Es ist ein Gefühl, dass man mit Liebe vergleichen kann, so schön und wunderbar fühlt es sich an. Nie wieder möchte ich es missen.

Leider stört eine gewisse Person meine Gedankengänge, wobei ich mit genauerem Hinsehen feststelle, dass es sich dabei um Seelenreißer handelt.

„Was willst du?“, frage ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Niemand stört mich ohne Grund. Ich schätze, das dürfte ich ihm noch beibringen.

„Luca hat angerufen. Der Auftrag hat sich verschoben. Wir sollen in einer Stunde die Lieferung abholen. In fünf Minuten fahren wir. Wir treffen uns unten vorm Eingang.“ Und schon ist er verschwunden. Die Tür bleibt hinter ihm offen, was ich mit einem missbilligenden Blick quittiere. Was denkt er sich denn dabei. Er soll gefälligst mit mir umgehen, wie es sich für einen Untergeordneten gehört. Mit Respekt soll er mir begegnen, die Worte mit Bedacht wählen. Anscheinend verdiene ich die Achtung noch nicht, ansonsten hätte ich sie schon längst. Ich sollte an mir arbeiten, um meinem Ruf gerecht zu werden.

Ich ziehe mir eine schwarze Weste über mein dunkelblaues T-Shirt und ziehe mir meine schwarzen Halbschuhe an, ehe ich meine dunkelgraue Hose nach unten stülpe. Ich sollte mir dringend neue Kleidung beschaffen, da ich mir aus Noahs Haus nur das Notwendigste mitgenommen habe. Ich bin schon froh gewesen, dass sich Geistbrecher erbarmt hat, mich dorthin zu kutschieren, da wollte ich nicht seine so „wertvolle“ Zeit – wie er behauptet hat, mit dem endlosen Packen von Koffern verschwenden. Daher sind es nur zwei Koffer geworden, die mit meinem Hab und Gut gefüllt waren.

Als ich die Haustüre öffne, warten schon alle draußen. Meine drei Lieblinge schauen mich mit genervten Gesichtsausdrücken an, während ich nur mit den Schultern zucke. Seelenreißer fährt den Wagen vor, nachdem er mit seinen zwei Kumpanen einen Blick ausgetauscht hat, bei den man meinen könnte, dass ich zu spät gewesen bin. Von wegen. Ich war überpünktlich.

Die Wiesen und Felder der Vorstadt, die in einzelne, nah beieinander gelegene Dörfer gegliedert ist, ziehen an uns vorbei, als wir mit fast 150 km/h die Straße entlangfahren. Das erinnert mich an meine letzte Fahrt mit meinem geliebten VW-Käfer. Mein Schatz, der jetzt wohl nur noch eine zusammengepresste Blechbüchse ist, weil ich ihn Noah anvertraut habe. Nie wieder werde ich mich verlieben, nie wieder schenke ich dem männlichen Geschlecht mein Vertrauen, das mich so schamlos ausgenutzt hat. Nun gut, ich bin auch nicht besser. Da sag ich nur Banles, mein vierter Toter. Ich kann mich noch ganz genau an die Nacht erinnern, als er nackt in der Adonis-Position auf meinem Bett lag und begierig auf meinen Körper gestarrt hat. Tja, rechne immer mit dem Unerwarteten, mein lieber Banles. Weißt du denn nicht, dass man Fremden nicht trauen darf? Was haben dir denn deine Eltern beigebracht? Dem Anschein nach nichts, was dich am Leben gehalten hätte.

Nach einer Stunde, in der ich das Gefühl hatte, dass wir sinnlos umherfahren, kommt der Wagen zum Stehen. Seelenreißer blickt jedem von uns ins Gesicht, vor allem bei Blutquäler bleibt er ein wenig länger hängen. „Jeder hört auf mein Kommando“, spricht er. Die beiden anderen nicken kurz, aber ich antworte nur mit hochgezogenen Augenbrauen. „Jody, Jody“, sagt er in einem belehrenden Ton. „Hast du denn noch gar nicht erfahren, dass ich eigentlich der Stellvertreter von Luca bin? Du bist nur für die Außenwelt das Sündenopfer, wenn sie jemanden den Prozess machen wollen. Du bist entbehrlich.“ Bin ich nicht. Verdammt, das bin ich nicht. Man braucht mich! Das werden sie jedoch noch früh genug in Erfahrung bringen. Spätestens wenn ich ihnen den Arsch rette. Ha, sie werden mich auf Knieen anflehen, dass ich ihnen für ihre Wortwahl verzeihe. Auf diesen Tag werde ich mich sehr freuen.

Wir steigen aus. Wir gehen etwa zwanzig Meter vom Auto weg und warten auf die Dealer. „Wie viel?“, frage ich. „50 Kilogramm reinstes Gänseblümchen.“ Gänseblümchen, ein wundervoller Deckname. Niemand ahnt dahinter den Namen einer der gefährlichsten Drogen aller Zeiten. Sie katapultiert dich in Höhen, die du ohne ihr nicht erreichen kannst. Allenfalls lautet so die Beschreibung von Abhängigen. Das Gute dabei ist, dass man von dieser Droge, deren richtiger Name „Galaxy Boom“ ist, nicht die Finger lassen kann, egal wie lange man abstinent ist, man fällt immer wieder auf den wohlriechenden Duft dieses Wundermittels rein. Niemals wieder kann man dadurch ein völlig normales Leben in Freiheit führen. Wie sehr man es auch versucht, GB siegt. Man verfällt in den reinsten Wahnsinn und es gibt kein Entrinnen. Die Schilderungen eines Patienten in der achten Klinik treffen die Auswirkungen genau in der Mitte. Ich habe zwar Galaxy Boom noch nie geraucht, geschweige denn geschnupft oder gespritzt, aber wie ich es an den Dealern sehe, stimmt es. Der reinste Wahnsinn. Niemand kann dir mehr helfen. Langsam kommen die zwei Männer auf uns zu und ich erkenne den Wahnsinn. Der ist ihnen sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben. Dicke, schwarze Augenringe befinden sich unter hohlen Augen, da deren Augäpfel auf die Größe einer Erbse geschrumpft sind und die Wangen sind so tief eingefallen, dass die Wangenknochen meilenweit aus dem Gesicht hervorstehen. Die Haut ist rissig und schwarz gefleckt, wie die eines Kaminkehres und die Schlüsselbeine haben nur noch die Breites eines Zahnstochers in Miniaturausführung. Insgesamt ist die Erscheinung mit der einer abgemagerten Kanalratte zu vergleichen, deren einziger Sinn im Leben das Überleben ist.

Einer der zwei, offensichtlich sind es die Dealer, fängt an zu sprechen: „Wir haben die Gänseblümchen. Rückt das Geld raus. Wir haben nicht ewig Zeit, schließlich seid ihr nicht die einzigen Auftraggeber.“

„Ich würde sagen, wir haben mehr als genug Zeit. Wir haben hier das Geld nicht ihr. Ihr seid abhängig von uns“, mischt sich Geistbrecher ein, bevor jemand anderes zu Wort kommt.

„Kann sein. Aber es gibt genügend Leute, die unseren Stoff reinziehen wollen. Dagegen könnt ihr nichts unternehmen.“

„Ach nein?“ Geistbrecher ballt beide Hände fest zusammen, bis man die Knöchel knacksen hört. Anscheinend bewirkt das nichts im Geringsten, als das sich die beiden umdrehen und zum Auto zurückkehren.

„Idioten. Die wollen abhauen“, anscheinend hat es doch etwas, laut Seelenreißer, gebracht. Die zwei Männer wollen sich aus dem Staub machen. Das würde ihnen wohl passen. Ich hebe beide Hände, bereit ihnen das Gemüt ein wenig aufzuheizen. Sofort sammelt sich meine ganze Energie in den Fingerspitzen, bis sich zu viel davon in ihnen befindet. Es ist so weit. Sie werden brennen.

Jäh werde ich von zwei sehnigen Händen unterbrochen, die sich um meine Handknöchel klammern.

„Nicht“, raunt mir Blutquäler ins Ohr. „Das kannst du später noch zur Genüge tun, aber jetzt ist der schlechteste Zeitpunkt dafür.“ Wehe er steckt mir noch seine Zunge ins Ohr. Pfui, nein danke.

„Hast du einen Ohr-Fetisch oder was soll das Ganze?“, erhöhe ich meine Stimme, sodass man glauben könnte, ich wäre hysterisch.

„Ablenkung. Ablenkung soll das Ganze bewirken.“

Aja, wunderbar. Hat geklappt. Ich bin abgelenkt. Bevor ich mich umdrehe, verpasse ich Blutquäler einen kleinen Stromschlag in seinen Arsch. Er jault auf wie ein verletzter Wolf und sieht auch so aus. Zufrieden wende ich mich wieder dem vorrangigen Geschehen zu.

Die zwei Abhängigen, schließlich müssen sie abhängig sein, man kann es aus deren Aussehen schließen, sind doch nicht abgehauen, sie haben bloß den Stoff geholt. Wunderbar. Ich klatsche mit meinen knochigen Händen, was die Aufmerksamkeit der kleinen Menge auf mich zieht. Anscheinend mögen sie das Geräusch von klapperden Knochen nicht besonders, denn sie verziehen ihr Gesicht bis zum hintersten Winkel. Es gleicht grotesken Grimassen, die sie in schaurige Theater-Stücken verwenden. Tja, jeder hat so seine Schatten, das sind eben die ihren.

„Was ist?“, schnauzt mich Seelenreißer wortwörtlich an. Was ist denn dem über die Leber gelaufen? Eine Laus bestimmt nicht, eher eine Spinnenhorde. Seelenreißer, mein Freund, wird mir immer unsympathischer. Ich sollte ihn aus dem Weg räumen, bevor er das bei mir tut. Ich befinde mich unter drei ebenbürtigen Mördern und ehemaligen Leidensgenossen, da darf ich mir keine Fehler erlauben. Niemals, sonst wird es mein letzter Fehler gewesen sein.

„Ich finde es nur großartig anzusehen, wie geordnet die Angelegenheit abläuft. Fast könnte ich mir vorstellen, dass mich Luca damit auf die Probe stellen wollte. Überhaupt will er wissen, ob ich autoritär bin und mir nicht alles sagen lasse.“ Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich so ist oder ob ich mich vollkommen verschätzt habe.

„Das ist unwahrscheinlich. Luca tut so etwas nicht“, redet sich Seelenreißer aus dem Dilemma, während einer der Dealer erstaunt fragt: „Wie bist du denn darauf gekommen?“ Das ist wohl geklärt. Ich gehe zurück zum Wagen, steige ein und fahre los. Ohne jeglichen Begleiter. Sie haben mich verraten, da dürfen sie auch zu Fuß nach Hause gehen. Als Strafe sozusagen. Daheim wird sie jedoch noch mehr erwarten. Vor allem für Blutquäler wird es ein wenig blutig ablaufen. Er hat mich abgelenkt. Die Rache meinerseits bekommt er dafür als Gegenleistung. Er soll sich glücklich schätzen, dass ich ihm nichts antue. Jedenfalls nicht körperlich. Sie wird dafür büßen müssen.

Ehe ich jedoch meinen Plan verwirkliche, mache ich noch schnell einen Stopp bei Luca, um ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass ich nicht sehr wohlgesinnt bin über seinen Plan, mich zu testen.

„Luca. Luca, Luca, ich bin enttäuscht von dir. Du hättest mir auch vertrauen können. Weißt du denn gar nicht, dass ich es sehr persönlich nehme, wenn mir jemand hinterher schnüffelt. Das kann ich nämlich überhaupt nicht leiden.“

„Es war nur für den Schutz des Clans“, will er die Diskussion vermeiden. Er mochte es noch nie, mit mir zu streiten. Ganz abgesehen davon, habe ich zudem nie geglaubt, dass er es zu diesem Posten schafft. Ich habe ihn immer als Schwächling bezeichnet und als Stumpfhirn. Aber, dass er tatsächlich den Grips hat, meinen Vorgesetzten zu spielen, das hat mich überrascht.

Nachdem er das gesagt hat, trete ich aus dem Türrahmen und schlage die Tür mit aller Wucht hinter mir zu. Das Bücherregal wackelt mit der Vitrine um die Wette, ehe zwei Bücher aus dem Regal auf den Boden aufschlagen.

„Was machst du da, Schatz?“ Jetzt bin ich plötzlich sein Schatz. Aber nicht mehr lange. In absehbarer Zeit wird er das Zeitliche segnen. Ich hoffe, dass ich wenigstens noch meinen Spaß bekomme. Die letzten Tage waren für mich ziemlich langweilig und Langeweile kann ich partu nicht ausstehen. Es ist so, als würde man eine Beförderung bekommen und am nächsten Tag ist man arbeitslos.

„Wer wird eigentlich Nachfolger, wenn der Vorgesetzte auf unnatürliche Weise stirbt?“

„Jody, dazu würde ich dir nicht raten. Du weißt ganz genau, dass du gegen mich keine Chance hast!“, schreit er mich lauthals an und wird ganz rot dabei. Vermutlich bekommt er noch einen Herzinfarkt, bevor ich ihn auch nur anrühre, lache ich in mich hinein.

„Alistair! Komm sofort rein, du verdammter Hurensohn!“

Ehe man sich versieht, kommt ein muskulöser Riese hereingeeilt, ein Berserker ist nichts dagegen und macht sich ein Bild über die momentane Lage. Sein Blick sagt deutlich, dass er an der mentalen Gesundheit unseres Bosses zweifelt. Was kann ihm schließlich schon eine magersüchtige, kleine Frau antun, die sich dabei noch am anderen Ende des Zimmers befindet.

„Was ist los?“

„Bring sie in den Keller.“

Alistair nickt und kommt auf mich zu. Ich warte auf den Moment, als er nahe genug an mir dran ist, um meine Hand in sein Fleisch zu graben, an jenem Ort, wo sich sein Herz befindet. Er schreit und packt meinen Arm. Mit seinen Fingernägeln gräbt er sich ebenfalls in mein Handgelenk und mit der anderen Hand, die nicht beschäftigt ist, sich in mich zu vergraben, schlingt sich um meine Kehle. Es ist Zeit. Meine ganze verweilende Energie stecke ich in den Stromschlag, der das Bild von einem Mann ins Jenseits schicken soll. Und er tut es. Die Leiche fällt mit einem stumpfen Schlag auf den Boden, nachdem sie die letzte Kraft verlassen hat. Die leeren Augen des zuvor noch überaus lebendigen Mannes starren in Richtung seines Chefs. Derjenige, der für seinen Tod verantwortlich ist. Jedoch ist derjenige nicht mehr da, wo er eigentlich sein sollte. Ich sehe mich im ganzen Zimmer um. Niemand ist mehr darin, außer der Leiche und mir. Wo ist er hin? Er kann doch nicht so einfach entkommen, oder doch? Aber ich kenne mich in- und auswendig. Ich würde mir nie so einen tragischen Fehler erlauben, der mich dermaßen aus dem Konzept bringt. Am liebsten würde ich mir dafür die Kugel geben. Meine Unfähigkeit treibt mir die Tränen der Wut in die Augen. Ist es nicht schon schlimm genug, dass er ich überwachen ließ und jetzt ist er auch noch davongerannt. Habe ich denn nichts Gutes im Leben verdient?

Aber ich kann ihn jetzt nicht verfolgen. Zuerst muss ich sie töten und dann aus dem Loft abhauen. Ansonsten ist Ärger schon vorprogrammiert. Zugegeben, ich habe ein wenig Angst vor den dreien, denn sie stellen tatsächlich eine nicht unbeachtliche Gefahr für mich und mein Leben dar. Zusammen könnten sie mich mit Leichtigkeit abmurksen. Blutquäler bringt mich mit seiner Fähigkeit, meinen Körper zu kontrollieren, dazu mich wehrlos darzustellen. Geistbrecher, macht mich – wie sein Name schon lautet – irre und Seelenreißer setzt zum finalen Schlag an und tötet mich. Ich will mir schon gar nicht vorstellen, wie es wohl aussehen würde: Jody am Boden. Ohne Kraft. Nicht einmal einen Finger kann sie mehr rühren. Sie ist kreidebleich. Sie ist tot.

Nein, das kann und werde ich nicht mitmachen. Dafür ist mir mein Leben noch viel zu lebenswürdig, auch wenn es nicht immer danach aussieht. Jedenfalls muss ich jetzt meine Gedanken sortieren, um klar zu denken. Also, als Erstes muss ich zum Loft fahren. Somit steige in den gestohlenen Wagen und steuere ihn zum gewünschten Ort.

Ohne auf die Umgebung oder jemand anderen zu achten, gehe ich in den Keller zur Ratte. Vor der Tür muss ich mich entscheiden. Soll ich ihrem elendigen Dasein ein Ende setzen oder sie am Leben lassen, um ihr elendiges Dasein zu erleiden. Es fällt mir schwer eine Entscheidung zu machen, denn es hört sich beides für meine Ohren an, als wäre es nur eine Alternative für das, was ich gerne mit ihr machen würde. Sie soll sich selbst töten. Ja, genau. Aber zuerst soll sie Sarah ins Jenseits bringen. Genau, eine wundervolle Idee, die mir Entschädigung verspricht für den Luca-Fall.

Ich drücke die Türklinke nach unten und der Anblick purer Demütigung erwartet mich. „Ratte, ich habe eine großartige Lösung für dein Problem. Du wirst mich für immer los sein, wenn du genau das tust, was ich von dir möchte. Wenn nicht, dann wirst du die Konsequenzen zu spüren bekommen. Und die werden bittersüß sein. Für mich.“

Langsam richtet sie ihr ausgemergeltes Gesicht in meine Richtung. Kalt und auffordernd sieht sie mich an. Aber ich werde nicht nachgeben, noch nicht. Erst wenn sie mich flehend, am Boden um die Antwort auf all ihre derzeitigen Probleme bittet. Na gut, am Boden ist sie schon.

„Was willst du? Ich mach alles, was du willst. Ich will einfach nur raus aus diesem verdammten Loch und leben. Verstehst du, ich will leben!“, schreit sie mich auf einmal an. Und wie ich sie verstehe. Nichts anderes wollte ich in meinen ganzen Leben je machen. Einfach nur leben. Doch das ist leichter gesagt als getan.

„Weißt du, was du dir da vorstellst? Bist du dir ganz sicher?“ Ich weiß nicht recht, ob dass ihr Ernst ist. Der einzige Sinn im Leben ist der Tod. Aber ich denke, das wird ihr sicherlich klar, wenn es soweit ist.

„Ja, ich bin verdammt sicher! Lass mich los und ich mach alles, was du willst. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich brauche Luft. Ich brauche Freiheit…“, die letzten Worte flüstert sie nur noch, kaum verstehe ich sie mehr.

„Töte Sarah für mich. Das Zweite, das du für deine Freiheit tun musst, werde ich dir später sagen. Komm“, sage ich zu ihr, während ich sie von ihren Fesseln losschneide.

Ich gehe vor ihr die Treppe hinauf. Ich bin mir bewusst, dass sie mich jeden Moment von hinten anspringen kann, aber sie wird es nicht tun. Zu froh ist sie darüber, als dass sie ihre Nacktheit und den geheimen Vorteil gegenüber mir erkennen würde. Auch wenn sie fast eine halbe Woche ohne Essen und nur kleinen Schlucken Wasser verbracht hat, ist sie immer noch stärker als ich.

Man darf den Gegner nie unterschätzen. Das habe ich in der achten Klinik am eigenen Leib erfahren. Alles und jeden hat man misstrauen müssen, sonst hätte er dir ein Messer in den Rücken gerammt. Niemals konnte man in Gedanken abschweifen, sonst hätte man eine Spritze vom Pfleger in den Nacken gestochen bekommen. Ich reibe mir über eine Stelle, an der es besonders schmerzhaft war. Es fühlt sich so an, als wäre es erst gerade eben geschehen. Erinnerungen und Erfahrungen formen den Menschen. Und ich bin zu dem, was ich jetzt bin, durch die achte Klinik und meinen Eltern geworden. Hätten sie mich damals nicht im Stich gelassen, wäre ich nie missraten. Jedenfalls weiß ich es nicht, aber ich wäre sicherlich anders geworden. Im positiven Sinne. Jedoch haben sie es bevorzugt, mich in ein Internat zu schicken, als ich ihren wunderbaren Erben getötet habe. Dazu muss ich sage, dass ich rein gar nichts dafür kann, dass ich meinen Bruder ermordet habe. Nur sein andauerndes Ärgern und Geschwafel darüber, wie toll er ist, hat mich so sehr erzürnt, dass ich irgendwie nicht anders konnte. Es musste einfach raus. Und er musste daran glauben. Opfer müssen gebracht werden. Daran führt kein Weg vorbei.

„Warte kurz. Ich muss schnell verschnaufen“, höre ich es hinter mir rufen. Ratte bekommt wohl keine Luft mehr. So ist es mir auch ergangen, als ich die ersten Male die Treppen rauf und runter gegangen bin. So geht es mir immer noch, aber ich bin nicht mehr so stark vom Geländer abhängig. Vorher habe ich mich wortwörtlich daran hinaufgezogen, als würde ich in den Stufen ertrinken, doch nun ist es ein wenig besser geworden. Nicht mehr ganz so arg schlimm.

Geduldig warte ich auf sie, bis sie wieder hinter mir her schnauft, wie ein Walross, das auf dem Strand gestrandet ist. Obwohl sie gar nicht wie eines aussieht.

Bis wir oben ankommen, müssen wir noch fünf Stopps einlegen, wobei ich mir langsam Sorgen mache, wann meine früheren Weggefährten in das Loft zurückkehren. Lange kann das nicht mehr dauern und das lasse ich Sarah mit einer erhöhten Schrittgeschwindigkeit spüren. Wozu haben die Erbauer auch keinen Lift eingebaut. Da würde alles viel einfacher ablaufen. Wahrscheinlich haben sie das sogar getan, aber ich habe den Lift noch nicht gefunden. Okay, Jody, genug der Hirngespinste. Mitten unter meinem Denkprozess werde ich von der früheren Geisel unterbrochen.

„Muss ich wirklich Sarah töten. Sie war eigentlich immer so etwas wie eine Freundin für mich. Zwar keine gute, aber das ist egal bei Freundschaft. Solange man sich gegenseitig vertraut, ist alles im Reinen.“

„Hast du eigentlich schon immer so viel geredet. Bring es hinter dich und beschwer dich nicht. Wenn du das tust, habe ich neben deiner Freiheit sogar noch eine Überraschung für dich.“

„Okay, wie du meinst. Aber sie war wirklich eine überaus freundliche Person. Sie hatte manchmal nur Tage, an denen man sie in Ruhe lassen musste, dafür kann sie nichts. Das sind die Hormone.“

„Halt deine Klappe, Sklavin! Tu was ich dir gesagt habe und enttäusch mich nicht. Ansonsten werde ich dir zwei Messer in den Körper rammen und dich auf beiden Seiten von oben nach unten in zwei Hälften schneiden. Und es wird weh tun! Solche Schmerzen wirst du bis über den Tod hinaus noch spüren können. Wie Flammen werden sie deinen Körper teilen, bis du nur noch ein elendiges Stück geschlachtetes Vieh bist. Du wirst dir wünschen, mir niemals nur in die Augen gesehen zu haben. Ich bin der Teufel. Und du bist nur eine armselige Sklavin. Ich hoffe wir verstehen uns.“

Dem Anschein nach ist sie von meiner kleinen Rede ziemlich eingeschüchtert. Gut so. Ich kann keine redseligen Menschen ausstehen. Sie sind wie die Beulenpest im Mittelalter. Nach außen hin sind sie hässlich, aber innerlich sind sie der reinste Abschaum. Wie Galle und Dornen. Ein blutiges Gemisch aus Versagen und Dummheit. Ich klatsche Sarah eine, dass sich noch die Wände unter der Kraft meiner Hand biegen und sie eilt mit Tränen verschleierten Augen in Blutquälers Zimmer hinein. Ich folge ihr dabei und sehe, zu meiner Überraschung, Sarah an die Wand gefesselt, wobei ihr Blut in geringen Mengen aus dem unteren Bereich fließt und in Tropfen auf den Boden fallen. Das nenne ich mal ein Meisterwerk an Tortur.

Man kann nun Blutquäler als gerissen bezeichnen, da er weiß, wie man das männliche Geschlecht am besten als Waffe benutzt. Aber ich für meinen Part bin der Meinung, dass es an Geschmackslosigkeit nicht zu überbieten sein kann. Wie ich das Opfer genauer mustere, erkenne ich, dass ihr der kleine Zeh und eine Brustwarze fehlt. Wie erbärmlich kann ein Mann nur sein? Das ist wirklich …. Ich kann es nicht in Worte fassen, wie schlecht man nur sein kann!

Ich kann ein Lachen über diese Situation kaum verkneifen, da ich die stummen Worte der Ratte selbst gedacht habe. Nur um mich zu bestätigen, sagt sie: „Scheiße. Wie sieht die denn aus!“

Es war wirklich die richtige Entscheidung, Sarah von ihrem unglücklichen Dasein zu befreien. Ihr Leben ist, soweit ich erkennen kann, nichts mehr wert. Ihre Seele gebrochen und ihr Körper geschunden. Das Leben ist zugrunde. Wenn ich in ihrer Situation wäre, hätte ich längst die Luft angehalten und hätte mich von dieser traurigen Welt verabschiedet. Die Welt würde mich nicht vermissen. Zugegeben die Welt wäre ohne uns Mörder arm dran, da wir eigentlich die Bevölkerung am Wachsen hindern. Nun gut, der Krieg hat so ziemlich die meisten Menschen vernichtet. Nur die, die genug Geld, ein krankes Gehirn oder Glück hatten, konnten entkommen. Die anderen sind gestorben. An einem entwürdigenden und unspektakulären Tod.

Jeder Mensch hat von uns einen spannenden und unvergesslichen Tod verdient. Ich helfe dabei, dies zu verwirklichen.

Ja, und ich bin Gott. Und du bist mein Richter. Zusammen sind wir unschlagbar. Ah, bevor ich es vergesse zu erwähnen. Das war Sarkasmus.

Halt deine Klappe, du scheiß Miststück. Ich will nichts mehr von dir hören, bis an unser Lebensende.

Gut, wie du wünscht, o hochwohlgeborene Hochheit.

Für meinen Geschmack hat die Stimme viel zu früh aufgehört, mich zu nerven. Vielleicht hat sie endlich eingesehen, dass es keinen Sinn hat, mich in den Wahnsinn zu treiben! Oder ich werde bald sterben. Mit weit aufgerissenen Augen halte ich die Hand an meine Brust. Nein, nicht! Ich bin doch noch viel zu jung. Ich muss mich um die Welt kümmern, solange es geht. Ich muss so viele Menschen wie möglich mit mir in den Tod reißen. Das ist die einzig logische Erklärung für ihr Verhalten. Dennoch hoffe ich trotzdem auf einen Sinneswandel, der mich von dieser krächzenden Stimme befreit. Aber mein Herz, mein Gehirn und einfach alles in mir schreit danach, dass ich nicht mehr viel Zeit habe. Bald ist es zu Ende.

„Ich werde es machen. Ich werde sie töten. Ich kann das schaffen.“ Ratte geht zu ihrem ersten Opfer hin und legt die spitzige Schere oberhalb ihrer verwundeten Brust an.

„Ein wenig tiefer. Sonst wird es nichts. Du willst doch nicht, dass sie leidet. Oder vielleicht sogar noch aus ihrer Ohnmacht aufwacht und anfängt zu schreien, oder?“

Sie tut, wie ihr befohlen und ehe ich mich versehe, stößt sie mit einem gezielten Schlag in die bereits vorhandene Wunde hinein. Sarah wird nie mehr aufwachen.

Ich blicke auf den komplett erschlafften Leib, wie ihm langsam die Farbe verlässt. Es scheint fast so, als hätte sie ihre Seele verlassen.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie Ratte die Schere an sich zieht und sie verdächtig lange mustert. Sie hat nicht vor, mich ebenfalls damit zu töten, oder?

Hat sie doch. „Du wagst es nicht“, sage ich noch, bevor sie den Arm hebt und auf mich zielt. Das alles geht so schnell voran, dass ich mich nur noch auf den Boden schmeißen kann und über mir die Schere mit einer beträchtlichen Geschwindigkeit vorbeizieht. Ich sehe hinter mir nach und entdecke die in der Wand steckende Schere. Also Ratte ist mir definitiv körperlich überlegen.

Wütend über ihren Angriff balle ich meine Hände zu Fäusten und fasse auf beiden Füßen schnell einen festen Stand. Ihn werde ich brauchen, da ich der Ratte Freiheit schenken will. Und nur der Tod bringt die Freiheit. Die pure Erlösung.

Auf einen Schlag strecke ich die Hände in ihre Richtung und ziele auf ihr ungeschütztes Selbst. Bald ist sie nur noch ein Häufchen Asche. Ihre persönliche Freiheit, nach meiner Ansicht.

„Bereit für deine Freiheit, Schätzchen? Es wird – wie ich finde – höchste Zeit dafür. Du bist ja schon ganz ungeduldig. Und übrigens, ich verstehe dich nur zu gut. Die Freiheit erwartet dich.“

Und schon stürmen die blauen Lichter auf ihren Körper nieder. Sie schreit, doppelt so laut wie eine Sirene, weshalb ich fast von ihr ablasse und mir die Ohren zuhalten muss. Sowas erlebt man auch nicht alle Tage, wie ich gestehen muss. Wie kann man nur so ein Organ haben? Wird man bei dem ganzen Geschrei nicht selber taub? Die Euphorie über die am Boden liegende Asche hält sich in Grenzen, was zuletzt nicht an der Tatsache liegt, dass meine drei früheren Gefährten unten an der Haustüre zu sehen sind. Das ist wohl das Zeichen dafür, dass ich schleunigst von hier verschwinden muss. Schnell stopfe ich ein paar Klamotten in einen gefundenen Rucksack und hole noch ein paar Flaschen Wasser. Essen kann ich sowieso nichts, also ist mein Rucksack für die Verhältnisse ziemlich leicht.

Wie soll ich aus der Wohnung raus? Die drei stehen bereits unten oder befinden sich sogar schon im Treppenhaus. Außerdem wissen sie Bescheid, dass ich hier bin, da Seelenreißers Auto unten steht. Scheiße. Es wird doch wohl noch nicht das Ende sein?

Ich öffne ein Fenster und blicke nach unten. Es sind schätzungsweise fünfzehn Meter bis nach unten. Kann ich das überleben? Ich glaub kaum. Aber ich kann etwa drei Meter unter mir einen Balkon ausmachen, der sich etwas schräg von meinem Standpunkt aus befindet. Ich könnte es schaffen. Ich habe eh nichts zu verlieren. Außer meinem Leben. Kurz zögere ich, doch ich glaube bereits Geräusche an der Wohnungstüre wahrnehmen zu können. Jetzt muss alles schnell gehen.

Ich setze mich auf das Fensterbrett und springe quer, um den unten gelegenen Balkon zu erreichen. Knapp hätte ich ihn verfehlt und meine Knochen halten keinen solchen Sprung mehr aus. Aber ich muss weitermachen, ansonsten bin ich geliefert. Dazu häng ich noch zu sehr an mir.

Der Boden kommt näher. Und etwa die gleiche Distanz hat ein Balkon unter mir, wie die, die ich bereits überstanden habe. Schon lande ich auf den harten Steinen.

Als ich gerade von diesem springen möchte, höre ich jemanden schießen. Ich kann mir denken, auf wem geschossen wird und weiche blitzschnell zurück. Heilige Scheiße, gerade noch daneben. Haarschaf ist die Kugel an mir vorbei.

Ohne zu überlegen hüpfe ich einfach hinunter zum nächsten Balkon und gehe sofort nah an die Mauer, damit er mich hoffentlich beim nächsten Mal verfehlt. Ich hebe mein Gesicht hinauf, entgegen der hellen Sonne und entdecke Blutquäler, der auf mich zielt.

„Das war meine Sklavin. Hast du mich gehört, das war mein Besitz, Diebin. Du weißt bestimmt, was wir drei mit Dieben machen, oder?“, schreit er mir vom offenen Fenster zu.

Ich warte auf eine Antwort. Sie kommt nicht. Dafür kommt eine Aufforderung, der ich nur zu gerne nachkomme: „Renn. Renn um dein Leben.“

Und ich renne. Ich renne zurück zur achten Klinik. Wo alles begann.

 

Grenzenlose Überwindung (überarbeitet)

 

Wo soll ich nur hin? Zurück kann ich nicht mehr. Ha. Ich kann nirgendwo mehr hin, ohne dass ich nicht abgeknallt werde. Traurig, ich versinke schon fast im Selbstmitleid - es steht mir schon bis zum Halse. Zuerst muss ich die Nacht überstehen, dann kann ich weiterdenken. Als hätte ein Blitz in mein Gehirn eingeschlagen, keimt in mir eine Lösung. Noahs Haus. Mein Eigentum. Ich war seine Freundin und er hatte ansonsten keine weitere Verwandtschaft. Ich habe das Gebäude als mein Eigentum übernommen, auch wenn es mein Konto erheblich erleichtert hat. Wie schon erwähnt, ist es mein Eigentum und ich kann damit machen, was ich will. Und genau dorthin werde ich gehen. Zu meinem früheren, kurzweiligen Zuhause.

Während ich meine Füße wund trete, denke ich über das Kommende nach. Es wird nicht lange dauern, bis mich meine ehemaligen Kollegen finden und töten werden. Obwohl ich überall hinreisen könnte, würde mich Luca jederzeit finden. Er hat Kontakte, die sich über den ganzen Globus erstrecken. Dagegen habe ich es mit meinen sogenannten Freunden bereits verbaut. Ich dachte einmal, dass ich sie nicht mehr bräuchte. Anscheinend habe ich mich verschätzt. Ob ich das überlebe? Zurzeit sieht es wohl schlecht für mich aus. Mal sehen, was die Zukunft bringt. Ich bin sicher, sie wird für Überraschungen sorgen, die sich gewaschen haben. Als allererst muss ich jedenfalls zu Noahs Haus gelangen. Hier gibt es allerdings kein Taxi weit und breit, das mich mitnehmen könnte. Mein Handy und Laptop habe ich im Loft zurückgelassen. Nur Unmengen an Wasser und ein paar frische Sachen im Rucksack trage ich bei mir. Es könnte schlechter laufen. Viel schlechter. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass mir das Leben nochmals eine Chance gegeben hat, für ein paar weitere Minuten auf der Erde zu verweilen. Gütiger könnte man nicht sein.

Wenigstens kann ich mich nun austoben und überschüssige Energie loswerden. Nur habe ich keinerlei Fett an mir, dass ich loswerden könnte. Und ich bin müde. Aber ich muss weiter. Sonst holen mich die Schatten ein. Und Schatten sind schnell. Manche sogar noch schneller als der Blitz.

Außerdem bin ich darüber nicht informiert, wie weit Seelenreißer und die anderen zwei gehen können. Nichts weiß ich über die Fähigkeiten, die tief in ihnen schlummern. Am liebsten würde ich das Trio ausquetschen, bis die letzte Information heraussickert und in meinen gierigen Schlund gelangt. Nur bin ich derzeit nicht in der Lage dazu. Erstens bin ich zu schwach dafür und zweitens will ich zuerst der achten Klinik einen Besuch abstatten. Als mich die Kugeln fast durchlöchert hätten, ist mir der Gedanke hochgekommen, dass ich noch nicht bereit bin zu sterben. Meine oberste Priorität, meine Rache zu vollenden, habe ich noch nicht erfüllt. Früher kann ich und darf ich noch nicht gehen. Wenn ich schon am Ende bin, darf ich nicht auf das Niveau eines Toten fallen. Ich muss es noch aufrechterhalten, solange wie es nötig ist. Dann kann ich schlafen. Dann kann ich alles tun, was Leben ausmacht.

Für mich gibt es seit jeher kein anderes Ziel, als Rache an den Wissenschaftlern zu nehmen. Sie haben mich auf die brutalste Weise behandelt, die es nur gibt. Ich war nur freies Vieh für sie, das keinen Wert hatte, höchstens den eines Versuchsobjekts. Niemanden von ihnen hat es interessiert, ob ich die sogenannte Untersuchung überstehe oder sterbe. Es war ihnen egal. Ich war ihnen egal. Wie meinen Eltern. Wie meinen damaligen Freunden und Lieben.

Ich darf nicht weinen. Jody weint nicht. Ich bin eine Mörderin, für die Töten eine Normalität darstellt. Mein Herz lässt keine Trauer und keinen noch so anhänglichen Schmerz zu. Die Zeit lässt dich vergessen und genau auf das hoffe ich. Bis jetzt bin ich aber nur enttäuscht worden. An jede einzelne Untersuchung kann ich mich erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Die Spritzen, die so fürchterlich lang waren, dass sie meinen ganzen Arm durchstehen hätten können. Nein, das kann kein Mensch mehr vergessen. Es hat mich zu dem gemacht, dass ich nun bin. Vieles hat mich dazu gemacht, aber dies hat mich ganz besonders geprägt. Es war schrecklich mitanzusehen, wie du nur eine von vielen warst, der es so ergangen ist. Doch man schaltet ab. Irgendwann ist es einem egal, ob man den nächsten Tag überlebt oder nicht. Was ist schon ein Mensch von vielen. Ein Nichts. Ein Niemand. Es gibt so viele von ihnen, dass es sich um unendliche Ressourcen handelt. Daher nimmt man einfach jemanden aus der Menge und schneidet ihn auf. Nimmt ein paar Proben, schnippelt an deinen Organen rum und falls du das zusätzliche Glück hast, eine übernatürliche Gabe zu besitzen, spritzen sie dich mit Beruhigungsmitteln voll und testen deine Fähigkeit aus. Du hast keinerlei Kontrolle darüber, was sie mit dir machen, vor allem nicht, wie sie es mit dir machen. Du bist für sie schließlich nur ein erbärmliches Vieh, das sie eingefangen haben und nie wieder aus deren Fängen entkommt.

Tragischer Weise wird diesen bald das Gleiche wiederfahren. Nur bin ich dieses Mal diejenige, die auf der längeren Leitung steht. Ich werde über sie siegen, wie sie über mich gesiegt haben. Aber es wird anders sein. Es wird Leichen geben. Ihre Seelen werden in der Hölle schmoren, wie die meiner Eltern und der übrigen Verwandtschaft. Auch der meinen wird es nicht anders ergehen, jedoch lässt mich der Gedanke ruhen, dass sie es verdient haben. Solange ich zufrieden mit deren Bestrafung bin, kann mich erwarten, was kommen mag. Ich werde dem gegenübertreten und standhalten.

Die Sonne geht unter. Wie lange gehe ich wohl schon dahin und weiß nicht, wohin ich muss. Hoffentlich erreiche ich bald ein Haus oder irgendein Fahrzeug kommt mir entgegen, sodass ich fragen kann, wo genau ich mich befinde. Am Schluss hält noch jemand an, der denkt, ich gehe auf den Strich. Das wäre sicherlich das Lustigste, was ich in meinen Leben erlebt hätte. Schade, dass mir so etwas noch nie passiert ist. Jemand, der mich schön genug für Sex findet und sogar noch danach fragt. Patrick, Noah und all die anderen Sexpartner meines Lebens haben ohne zu fragen und dem ehrlichen Wollen den Sex einfach von mir verlangt. Und ich habe ihnen Besagtes gegeben. Im Nachhinein sind sie alle gestorben. Für mich und für die Welt.

Tatsächlich kommt bald ein Haus in Sicht, indem vereinzelt Lichter brennen. Ich gehe dorthin und klingle. Ein älterer Mann mit bereits ergrautem Haar sieht mich verwirrt an. Ich begrüße ihn und frage nach, wo sich das Wohngebiet der Stadt befindet. Er traut mir nicht, was ich bereits an seinem misstrauischen Blick erkenne, dem ich begegne. Dennoch gibt er mir eine Antwort, die sagt, dass ich noch ein wenig geradeaus gehen muss, dann wäre ich da. Nachdem man sich verabschiedet und bedankt hat, mache ich mich auf den weiteren Weg.

Meine Füße schmerzen, als ich im noblen Gebiet, da wo die reichere Gesellschaft und auch ich lebe, ankomme. Den Schlüssel entnehme ich aus dem Blumenkasten, fünf Meter von der Haustür entfernt und sperre sie auf. Mein Blick begegnet sofort der Uhr, die mir halb drei in der Nacht anzeigt. Zeit mich auszuruhen und zu schlafen. Ich gehe heute keinen Schritt mehr. Meine Beine versagen und ich sitze mit dem Rücken an der Wand gegenüber der offenen Haustür. Ich kann nicht mehr. Trotz alledem raffe ich mich auf, schließe die Türe ab und gehe hinüber zum Bett, dass ich mir ein paar Monate mit Noah geteilt habe. Eine schöne, wenn auch konfliktreiche, Zeit war es mit ihm zusammen. Warum musste er mich nur betrügen? Hätte er in dieser Zeit nicht einfach nach Hause kommen können und mit mir Abendessen speisen können? Stattdessen bin ich wieder enttäuscht worden. Von ihm. Vom Leben.

Es hat mir gezeigt, dass, wenn man auf sich alleine gestellt ist, man mehr erreicht, als in einer Beziehung. Zum Beispiel ein glücklicheres Leben ohne Liebeskummer und friedlichem Zusammensein. Wohin schweife ich nur ab. Ich sollte schlafen. Morgen, dann werde ich nämlich meiner alten Zeit eine Reformation beschaffen. Die alte Zeit wird sich in eine neue Zeit verwandeln. In die Zeit von Jodys Rache.

Mein Gesicht ganz vergwollen, betrachte ich mein Spiegelbild. Wie wundervoll die Zeiten doch waren. An was denke ich? Es war niemals wirklich lebenswert. Das ganze Leben ist nur eine Verarsche. Jeder Erdenbewohner hat dabei seine ganz eigene Welt und sein Fake-Leben. Die meisten finden sich wahrscheinlich nicht mit dieser tristen Welt ab, ansonsten würden sie nicht verzweifelt versuchen, etwas aus ihren erbärmlichen Leben zu schaffen. Es sind geschriebene Fehler, die man nicht ausradieren kann. Sie verschwinden einzig und allein, wenn man sie verbrennt. Die Doktoren sind Fehler. Und ich bin die Flamme der Hölle, die sie auslöschen wird. Eine einzelne Träne entweicht meinem Lid, die ich mit meinem Zeigefinger auffange. Warum? Wie ist dieser Tropfen Salzwasser aus meinem Auge gekommen? Habe ich mich nicht für immer und ewig der Trauer abgewendet? Es ist sinnlos dem nachzutrauern, das dir solch großen Schaden zugefügt hat, dass du an dir selbst zweifelst. Ich habe oft genug nicht an mich geglaubt, ich habe sogar versucht, mir einen guten Ruf zu verschaffen, aber, entweder haben meine Verwandten diesen vermiest, oder ich selber habe meinem Zorn Luft gemacht.

Mit geschlossenen Augen kratze ich das letzte Bisschen an Energie zusammen, dass mir von den Strapazen der letzten Monate übriggeblieben ist, und balle meine Hände zu Fäusten. Nur noch ein paar Stunden muss ich durchhalten. Dann habe ich mit meinem Leben abgeschlossen. Denn lebend werde ich aus der ganzen Sache nicht mehr rauskommen. Das ist mir klar. Über dreißig Jahre habe ich gelebt. Es war die reinste Verschwendung. Aber ich kann das Blatt noch wenden. Ich werde diejenigen retten, denen noch ein gutes Leben gewährt ist. Für mich kann niemand mehr etwas tun. Nicht einmal der Herr höchstpersönlich.

Wie ich nun feststelle bin ich am Punkt des Abschieds angekommen. Vielleicht werde ich später keine Chance mehr dazu haben. Vermutlich werde ich mit Tod beschäftigt sein. Mein ganzes Leben war ein Nichts. Keine einzige gute Tat. Die Morde sind nur die Verwirklichung meiner selbst, wenn ich mich gerade in einem instabilen Zustand befinde. Was denke ich da? Ich bin die ganze Zeit nicht ganz bei Sinnen. Sonst wäre ich mit Zoey und den anderen schon früher aus der Klinik geflohen. Stattdessen habe ich sie als irre abgestempelt und auf den Tag meiner Entlassung gewartet. Zugegeben, ich hätte niemals gedacht, dass ich nur eine kurze Zeitspanne absitzen muss, bis es zu diesem Ereignis gekommen wäre. Ich verstehe sowieso nicht ganz, wieso ich freigelassen wurde. Brauchten sie freie Plätze für andere sogenannte Psychopathen? Oder waren die Leiter von Spontanität geleitet, um den tristen Alltag zu entkommen? Egal, was es auch immer ist, ich bin frei. Und ich habe es zu nichts gebracht. Das Einzige was ich erreicht habe, ist eine richtig lange Blutspur zu hinterlassen. Noch ist mir niemand auf die Schliche gekommen, sodass ich immer weitermachen könnte. Aber es ist besser einen Schlussstrich zu ziehen. Falls ich nicht die ganze Klinik abbrennen kann, werde ich schlussendlich das Zeitliche segnen. Punkt. Aus. Amen.

Ich ziehe ein paar frische Klamotten an, die früher Noah gehörten. Nun sind sie mein Besitz. Er ist ja schließlich tot. Eigentlich bin ich ziemlich froh darüber, ansonsten hätte es bestimmt eine andere übernommen und es dann bereut. Und ich bereue es insgeheim überhaupt nicht. Die Menschheit sollte mich anpreisen für das, was ich gemacht habe. Ich habe sie vor einem Frauenschänder gerettet, der bestimmt noch mehr Opfer im Visier hatte. Hm, naja, da ich mich nicht unbedingt über alle Maßen in den Himmel loben muss, werde ich mich wohl besser auf meine Rache konzentrieren. Die Wissenschaftler, die uns wie drittklassige Laborratten behandelt haben, verdienen es nicht anders. Und sie werden für ihre Verdienste demnächst gebührend ausgezeichnet werden.

Wie soll ich vorgehen? Fertig angezogen und keinen Plan, so sieht meine derzeitige Situation aus. Am besten bestelle ich mir ein Taxi, denn an Geld mangelt es mir seit dem Bankraub nicht mehr. Gut, dass ich damals für diese Situation vorgesorgt habe. Plötzlich schießt mir ein Gedanke in den Kopf, der auf die nächsten Stunden großen Einfluss haben könnte. Wenn die Patienten oder gar die Angestellten mich erkennen, ist es für mich aus. Eine Perücke und ein Kostüm wären nicht schlecht. Dazu noch ein wenig Schminke und ich könnte beinah als attraktiv durchgehen. Ja, das ist eine gute Idee. Das ich nicht früher darauf gekommen bin, ich Idiotin!

Schnell schalte ich daher den Laptop ein. Besser gesagt, ich versuche es. Ganze fünfmal muss ich auf den Knopf drücken, bis sich der Bildschirm von schwarz auf grau ändert. Was für eine Geschwindigkeit! Da wäre eine Schnecke noch schneller. Oder ich auf einem Bein bei einem Marathon. Nach guten zehn Minuten verändert sich nichts mehr. Der Bildschirm ist anscheinend eingefroren. Das kann passieren. Jody reg dich ab. Du hast Wichtigeres zum Tun, als dich über solche Nichtigkeiten aufzuregen. Ich versuche es erneut und tatsächlich funktioniert es reibungslos. Glücklich gebe ich der Tastatur einen kleinen Klaps und ziehe die Finger schnell wieder zurück. Am Schluss stürzt er wieder ab und ich habe gerade keinen Nerv für so eine Angelegenheit. Ich glaub, ich würde ihn aus dem Fenster werfen, falls der Bildschirm abermals schwarz wird. Ja genau, da gehört diese verdammte Technik hin. Aus dem Fenster geworfen. In die Erde gerammt. Oder in den tiefsten Punkt der Ozeane gestürzt. Für was gibt es schließlich diese weltveränderten Erfindungen, wenn sie nicht entsprechend genutzt werden können.

Mit einzelnen Fingern tippe ich mein Ziel in die Suchfunktion Wormedia ein. Google gibt es leider schon seit längerer Zeit nicht mehr. Wormedia - als Ersatz - ist noch unsicherer als Google, was sich durch die unzähligen Pornoseiten ausmacht, die sich nach dem Eintippen reihenweise öffnen. Nachdem ich sie alle weggeklickt habe, öffne ich das erste Ergebnis und stelle fest, dass der Salon für Perücken nicht weit weg von hier entfernt ist. Ich muss Noah für diesen gut ausgewählten Standort wirklich danken. Falls ich je hier lebend rauskomme, gehe ich an sein Grab, lege einen hässlichen Blumenstrauß darauf und danke ihm damit. Er kann mich mal!

Nun suche ich noch nach einem Ankleide-Geschäft, in dem ich mich für meine Zwecke vorteilhaft bekleiden könnte. Tatsächlich gibt es genügend Auswahl und ich beschließe einfach in das nächst beste rein zu gehen, dass sich in der Nähe des Perücken-Geschäfts befindet. Schminke kann ich im Tofar – dem kleinen Geschäft neben der Perückerei – kaufen. Fertig ist mein Verwöhnungspaket für heute. Am Ende des Tages bin ich entweder tot und sehe undefinierbar aus oder ich lebe noch und sehe undefinierbar aus. Beides ist die Auswahl zwischen Pest und Cholera. Doch was kann man dagegen tun? Nichts. Die Welt will sich nicht verändern lassen. Sie sträubt sich mit Haut und Haaren dagegen und man muss schon eine gewaltige Menge an Kraft aufwenden, um sie nach eigenen Vorstellungen zu formen. Die habe ich nicht. Die hatte ich noch nie und die werde ich auch nie haben. Ich werde für immer schwach sein. Nun ja, heute werde ich ein einziges Mal stark sein. Wenn es auch für nichts sein wird.

Ich nehme mein Handy, dessen Akku für ein Smartphone vergleichbar lange herhält, und tippe die Nummer eines Taxiunternehmens ein. Die Telefonnummer für ein Taxi ist schnell gefunden, da es in dieser Stadt mindestens fünf Anbieter gibt. Die Auswahl ist sozusagen unbegrenzt.

Um zehn vor elf am Vormittag sollte vor meiner Haustür eigentlich ein gelbes Auto stehen. Man kann sagen, ich stehe wie die letzte Kuh am Straßenrand und warte mit einem Haufen Geld auf das Taxi. Wenn es nicht in fünf Minuten angefahren kommt, werde ich einen Rabatt erzwingen. So geht das doch nicht. Man kann einem nicht Dienste versprechen, die dann nicht eingehalten werden. Eigentlich sollte mich das nicht im Geringsten überraschen. Verärgert setze ich mich auf einen Zierstein und sitze die Zeit sprichwörtlich ab.

Nach einer kleinen Ewigkeit kommt das versprochene Taxi angetuckert und besitzt dazu noch die Frechheit, einfach an mir vorbeizufahren.

„Hey! Hey! Bleib stehen!“, rufe ich ihm lautstark nach. Dem Anschein nach haben meine wild winkenden Arme ihn auf mich aufmerksam gemacht.

Er dreht in einer Ausfahrt um und bleibt neben mir stehen. Der Fahrer kurbelt das Fenster hinunter: „Sind sie die Lady, die ich irgendwo hin kutschieren soll?“

„Ja, ich bin die“, antworte ich ihm bissig, während ich die Hintertür öffne und einsteige.

„Lady, wohin soll es gehen?“

„Zu Perück-de luxe, wenn es ihnen nicht zu viel ausmacht.“

„Entschuldigen Sie wegen meiner Verspätung. Aber der Verkehr – es war zum wahnsinnig werden. Ausgerechnet heute sind drei Lastwagen vor mir gefahren. Und ein Rentnerpaar hat noch nie von dem Gaspedal gehört und ist mit Schrittgeschwindigkeit gefahren. Schrecklich. Einfach nur schrecklich.“

„Gut, in Ordnung. Und warum sind Sie dann einfach an mir vorbeigefahren?“

„Entschuldigen Sie, aber ich habe Sie schlichtweg übersehen. Ihre Statur ist nicht gerade die eines Menschen, wenn ich es so ausdrücken darf.“

„Keine Sorge, ich bin ein Mensch. Fahren Sie!“ In dem Moment, in dem er mich mit seinen doch überaus zutreffenden Worten beleidigt hat, habe ich beschlossen, dass meine Blutspur verlängert wird.

„Ich meine es wirklich nicht böse. Sie sehen nur etwas ungesund aus“, stottert er dahin, dabei sieht er mich mit seinen vertrauenswürdigen braunen Augen an. An seiner Ehrlichkeit kann ich nicht zweifeln.

„Nicht jedem hat das Leben ein schönes, gesundes Leben geschenkt“, sage ich auf seine abgehakten Worte nur.

Es wird kein weiteres Wort in der Fahrt zum Perück-de luxe gesprochen. Äußerst dankbar dafür, lächle ich ihn an und bitte ihn auf mich zu warten.

„Ich bin gleich fertig. Das wird höchstens fünfzehn Minuten in Anspruch nehmen. Sollte es länger dauern, werde ich die Vergünstigung wegen der Verspätung vergessen.“

Der Taxifahrer, der bereits in den Fünfzigern zu sein scheint, nickt mir zu. Das nehme ich als Bestätigung und öffne die Tür des Geschäfts, deren Glocke mit einem lauten Klingeln meine Anwesenheit verkündet. Eine rundliche, wenn nicht gar schon fette, Frau begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln. Fast könnte ich schon die Geldzeichen in ihren Augen glänzen sehen, wenn sie nicht unter einer dicken Schicht Make-Up versteckt wären. Die schwarzen Lidstriche sind leider immer noch recht beliebt unter den Frauen, die sich nach mehr Aufmerksamkeit sehnen.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich brauche eine Perücke“, spreche ich das Offensichtliche an.

„Ja, deswegen sind Sie bestimmt hier. Es ist eben der beste Salon der Stadt“, preist die fette Kuh das Geschäft zum Himmel und wieder zurück. Das einzige, an dem ich überhaupt interessiert bin, ist, dass ich eine neue Mähne brauche. Leider – wie ich glaube zu wissen – kann das noch dauern. Außerdem werde ich sicher ein paar Scheine los, da Verkäuferinnen nur das Teuerste anbieten, auch wenn die Qualität eher gering ist. Ich nicke, damit Sie weiterspricht.

„Irgendwelche Wünsche? Ich würde Ihnen zu einer lachsfarbenen oder kupferfarbenen Haarpracht raten. Aber da müssten sie bis morgen warten, damit ich sie färben kann.“

„Was haben Sie denn hier?“, unterbreche ich ihren Redeschwall abrupt.

„Sehen Sie doch selbst“, antwortet sie und führt mich in einen großen Nebenraum. Perücken in allen Variationen bauen sich vor mir auf und ich kann eine hochgezogene Augenbraue nicht verhindern. Warum hat diese Frau das nicht schon früher hergezeigt? Für was ist das lange Geschwafel, wenn es doch zu nichts führt, außer, dass ich Sie vielleicht hochgenervt erdrosseln würde. Trotzdem reiße ich mich wegen meiner größer werdenden Gewaltbereitschaft zusammen und lächle sie freundlich an.

„Rot ist eine schöne Farbe. Jedoch möchte ich wegen eines besonderen Anlasses schick und businessmäßig erscheinen und nicht wie ein ausgeflipptes Teenager-Mädchen. In dieser Altersgruppe befinde ich mich schon lange nicht mehr.“

„Oh, Entschuldigung. Ich hätte Sie jünger geschätzt. Ihre zierliche Figur und die leicht bläulichen Strähnen lassen Sie wie eine Achtzehnjährige aussehen. Aber die Blüte des Lebens hat Sie nur noch schöner gemacht.“

Der Speichel rinnt ihr bereits über die Mundwinkel Richtung Boden. Bildhaft stelle ich sie mir als verdummte Bulldogge vor, die gerade einen knautschigen Ball mustert. Wundervoll ekelhaft. Tatsächlich war ich als pubertierendes, pickeliges Mädchen relativ hässlich und das haben mir die Menschen auch auf eine nicht ganz so schöne Weise mitgeteilt. Das ist jedoch Vergangenheit. Und die Vergangenheit sollte man vergessen. Das ist der einzige Weg, um damit abzuschließen. Nur, dass ich das nicht konnte. Ich brachte es nicht übers Herz, meine Vergangenheit ruhen zu lassen, und man sieht, was aus mir geworden ist. Das perfekte Beispiel von einer ruhelosen, rachsüchtigen und verdorbenen Frau.

Jody, besinne dich! Du kannst es dir nicht leisten, heute die Kontrolle zu verlieren.

Verliere sie. Du wirst dich besser fühlen. Ich verspreche es.

Hau ab! Hau ab! Hau ab! Verschwinde aus meinen Leben. Das ist mein letzter Tag und ich will, dass du mich in Ruhe lässt. Lass mich wenigstens noch einmal richtig leben, bevor ich Abschied nehme!

Dein letzter Tag ist schon lange her. Weißt du denn nicht mehr? Erinnerst du dich nicht mehr an die schwarze Leere, in die du gefallen bist, nachdem du ohne Narkose aufgeschlitzt worden bist? Das war dein Tod. Deine rote Hölle.

Einige Sekunden verfalle ich in eine Art Schockstarre. Kann das wirklich sein? Ich sehe an mir hinunter zum Boden. Bin ich schon tot? Nein! Ich esse, ich schlafe und ich töte. Ich bin definitiv am Leben. Die Stimme will mich nur verunsichern. Es sind einzig und allein Schuldgefühle, nichts anderes, dass mir eingeflüstert werden möchte.

Möglicherweise wurdest du reanimiert. Es hat nicht geklappt. Möglicherweise hat man dir ein Serum gespritzt, dass dich wieder auferweckt hat. Es hat geklappt.

Verdammt nochmal. Es ist mir scheiß egal, was du vermutest, was geschehen ist. Ich lebe und niemand kann daran Zweifel haben. Plötzlich herrscht wieder gähnende Leere in meinen Kopf, als wäre die Stimme weg.

Mir wird eine Perücke in die Hände gedrückt und verdattert sehe ich die Verkäuferin an.

„Kommen Sie, bloß keine Scheu, probieren Sie die Perücke an. Eine ausgezeichnete Qualität, muss ich gestehen. Wunderbar diese Leichtigkeit und die Sanftheit der Haarsträhnen, einfach unglaublich. Setzen Sie die Haarpracht auf, es wird Ihnen bestimmt gefallen.“ Am liebsten würde ich meine Hände an ihren Hals legen und zudrücken. Dennoch tue ich es nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Sie mich aus den Gedankengespräch mit meiner inneren Stimme geholt hat, als es am schlimmsten war.

„Ich hebe die zusammengeklebten Haare auf mein Haupt und staune nicht schlecht. Die langen, lockigen und blonden Haare lassen mich wie eine Lolita der feinen Art auftreten und man würde nie vermuten, dass sich unter diesem schönen Gesicht eine gewissenslose Mörderin versteckt.

„Wie ich vermutet habe, steht Ihnen diese Perücke ausgezeichnet“, ertrinkt sie fast in ihrem Eigenlob.

„Da muss ich Ihnen Recht geben, werte Frau“, schmeichle ich ihr. Eins muss ich Ihr lassen, Geschmack hat Sie. Wenn es auch das Einzige ist, was sie gut darstellen lässt.

„Wollen Sie noch andere aufsetzen oder sollen wir zur Kasse wechseln?“

„Kasse.“

Ich verlasse den Laden mit einer Perücke mehr und einem viel leichteren Geldbeutel. Der Taxifahrer hat geduldig auf mich gewartet. Vielleicht lasse ich ihn am Leben. Aber er ist einfach an mir vorbeigefahren, als wäre ich eine defekte Straßenlaterne. Nein, das ist nicht zu verzeihen. Oder doch? Eine schwierige Entscheidung, die es nicht jetzt zu lösen gilt.

„Wo wollen Sie als nächstes hin?“

„Zu Tofar, doch ich sehe es nicht.“

„Ach dieses kitschige Geschäft, dessen Gestank die ganze Stadt verpestet hat. Die sind letztes Jahr umgezogen und dann haben sie geschlossen, da es für sie nicht mehr rentabel war.“

Die Internetseite gibt es nach wie vor. Pff, Internet ist nicht mehr das, was es einmal war.

„Ja, gut. Dann fahren Sie mich bitte in das nächst beste Ankleide – Geschäft, dass Ihnen bekannt ist.“

„In Ordnung. Da gibt es ein wundervolles kleines Geschäft am westlichen Ende der Stadt. Es grenzt schon fast an das Industriegebiet, dennoch mangelt es nicht an Kundschaft.“

„Dann nichts wie los“, versuche ich zu spaßen. Anscheinend muss ich eher wie eine gequälte Katze geklungen haben, als, wenn ich gerade vor Begeisterung platze. Nun, ich bin keine Schauspielerin, sondern eine Mörderin. Und dafür brauche ich wenigstens keinen gelungenen Lebenslauf.

Der alte Mann vor mir tritt mächtig auf das Gaspedal, da ich mit dem Kopf nach vorne stoße. Verflixt noch mal. Hat er den keinen Führerschein gemacht? Wohl nicht, ansonsten käme ich hier heil raus. Bei Beginn der Fahrt war doch noch alles in grünen Bereich in Sachen Auto-Steuerung. Aber jetzt? Eine Katastrophe! In Schlangenlinien will er mich auf der breiten Straßen mit mehreren Linien zu dem besagten Geschäft fahren, allerdings halte ich ihn davon ab, indem ich nach vorne greife und das Lenkrad zwischen meine Hände nehme. Halb liege ich auf den Taxifahrer, als er ohnmächtig wird. Offensichtlich ist es gerade noch gut ausgegangen. So manövriere ich den Wagen in die nächste Ausfahrt und ziehe die Handbremse, da ich an die Bremse nur sehr umständlich gelangen würde.

Laut schlage ich die Tür hinter mir zu und stelle mich einige Meter vor dem Wagen auf. Die Begutachtung des Schadens erfolgt sofort: Der Mann ist immer noch ohnmächtig. Wenigstens hat er nun eine Ausrede dafür, dass ich ihn nicht umbringe. Ich werde schließlich niemanden töten, der momentan einen Anfall oder Herzinfarkt hat. Die ganze Sache tut mir tatsächlich leid. Für mich. Wie komme ich nun von A nach B?

Ich sehe mich. In meiner Umgebung befindet sich auf der rechten Seite ein Lastwagen, dessen Fahrer wahrscheinlich gerade ein Schäferstündchen macht und auf der linken Seite eine Familie, die vermutlich den weiteren Verlauf ihrer Tour planen. Jedenfalls hält der Vater eine Karte in der Hand. Nur nicht die Geduld verlieren, ermahne ich mich. Jody, warte für die nächste Gelegenheit, die sich bietet und wirf den Taxifahrer aus dem Wagen und fahr davon. Niemand wird es bemerken. Niemand.

Bald darauf rollt die Familie von dannen und von dem Lastwagenfahrer fehlt weiterhin jede Spur. Gut so. Schnell steige ich aus, da ich vorher wieder eingestiegen bin, um meine Tarnung aufrecht zu erhalten und reiße die Fahrertür auf. Daraufhin schnalle ich den Halbrentner ab und ziehe ihn aus seinem Sitz. Als er halb aus dem Auto heraus ist, wird er mir zu schwer, weshalb ich ihn einfach auf den Boden plumpsen lasse. Das gibt sicherlich eine Gehirnerschütterung. Was tut man nicht alles, damit die Rache verwirklicht wird? Um dennoch mein Budget an guten Taten für heute aufzufüllen, schiebe ich ihn weit genug vom Auto weg, sodass er nicht von den Reifen zerquetscht wird.

Laut jault der Motor auf, als ich weg rattere und bis zum nächsten Geschäft für Kleidung und anderen Schnickschnack kurve. Ein Kostüm, in dem ich wie eine frühzeitige Rentnerin aussehe, da es mich auf das Unvorteilhafteste betont, ist schnell eingetütet und wie ich festgestellt habe, gibt es in Tropina – so heißt das Geschäft – ebenfalls den Kleister für das Gesicht. Im Vergleich zu der teuren Perücke, ist das Ganze relativ billig und zügig hinter sich gebracht. Aber was kümmert mich das Geld? Ich habe viel zu viel, als dass ich es heute Abend ausgeben könnte. Ich sollte mich um diese Belanglosigkeit keinerlei Sorgen machen. Es wird mich nie wieder kümmern, wenn ich meinen letzten Atemzug gemacht habe. Die Torturen und Quälereien in der Hölle muss ich so oder so über mich ergehen lassen. Da hilft auch kein Geld weiter.

In einer kleinen Gaststätte, in der mir die Wirtin freundlicherweise erlaubt hat, mein Geschäft zu verrichten, ziehe ich mich um und trage dann die Schminke auf. Am Schluss sehe ich aus wie ein miesgelaunter Papagei, mit den beiden Regenbögen auf meinen Augenlidern. Nachdem ich mich fertig betrachtet habe, verlasse ich die Toilette und bedanke mich herzlich bei der Wirtin, die zu dem Zeitpunkt meines Abgangs gerade vorbeieilt. Misstrauisch mustert sie mich und verabschiedet mich dann rüde. Warum denn so unhöflich? Was denkt die sich nur? Hätten die Menschen nicht immer diese blöden Vorurteile, würde die Angelegenheit viel reibungsloser von Statten gehen. Aber nein, die Menschen müssen sich von ihrer best-schlimmsten Seite geben.

Ich reagiere wieder über. Der letzte Tag. Es hört sich echt beschissen an. Vielleicht sollte ich noch einen kurzen kippen, ehe ich mich auf den Weg zu der achten Klinik mache. Zurück in die Vergangenheit. Es läuft rückwärts und bergab, eigentlich sollte ich mich betrinken und volldröhnen, bevor ich durchstarte. Ha, an meinem letzten Tag werde ich noch zu einer Alkoholikerin. Ich lach mich schlapp. Laut brülle ich los und ziehe die Aufmerksamkeit der Personengruppen auf mich, als ich Richtung Parkplatz gehe.

„Juhu, bald habe ich es geschafft!“, recke ich meine Faust nach oben. Die Leute grinsen mich an, sie denken, ich würde über etwas feiern. Das ich mit meiner Ausbildung oder meinem Studium oder meinem sonst noch was fertig bin, aber sie haben ja keine Ahnung. Ja, sie wissen nichts! Rein gar nichts! Denn ich – Jody – werde heute mein Leben riskieren, um mich zu rächen. Um die Lüste nach Tod und Blut zu stillen, werde ich die Körper der Wissenschaftler auseinandernehmen und sie zerreißen, bis sie nur noch in einzelnen Atomen vorhanden sind. Das rote Gold wird fließen. In Strömen. Bis zum Ende dieses Tages.

Ich sperre den Taxi-Wagen auf und setze mich auf den Fahrersitz. Ich starte den Wagen zum letzten Mal und lege den Rückwärtsgang ein. Ich gebe mein Ziel in das Navi – glücklicherweise ist eines im Bildschirm integriert – ein und trete heftig auf das Gaspedal. Vollgas Richtung Irrenhaus.

Felder, Bäume und Wälder ziehen an mir vorbei, als wäre es ein großes Nichts. Alles ist endlich, wie mir in diesem Moment bewusst wird. Alles vergeht mit der Zeit. Am Anfang ist alles voller Schönheit und Anmut, doch am Ende ist es zerfressen von Hass und verdorben bis in die kleinste Kapillare des Körpers. Nichts ist von Dauer, alles ist vergänglich. Alles schwindet. Nichts bleibt so wie es einmal war. Manchmal scheint es mir, als würde die Zeit vor mir davonrennen. Als hätte sie Angst, dass ich sie einhole und mit größter Befriedigung ihre Kehle durchschneide. Nun ja, diese Annahme ist berechtigt. Ich bin durchaus unberechenbar, wenn ich mich nicht zusammenreiße. Aber mir gefällt es so wie es ist. Wieso sollte ich dann meine Gewohnheiten ändern? Inzwischen macht es keinen Unterschied mehr, ob mir die Polizei oder sonst jemand auf die Schliche kommt. Ehrlich gesagt, wäre es am besten, wenn mich Luca aus dem Weg räumen würde, damit es niemand bemerkt. Ja, das ist die beste Lösung. Und innerlich spüre ich es. Er wird kommen!

Ich halte auf dem Parkplatz des Geländes, ziehe die Rückbremse und lasse mich in den Sitz zurück sinken. Auf, auf in den Tod.

 

Der letzte Tag (überarbeitet)

Im Nachhinein denke ich mir, dass es besser gewesen wäre, wenn ich mir eine Pistole zugelegt hätte. Schon alleine wegen dem Knall und der damit verbundenen Dramatik. Mein Weg führt direkt zum Eingang. Nicht etwa ein Hintereingang oder ein geheimer Nebeneingang ist damit gemeint, sondern schlicht der Haupteingang. Kurz und schmerzlos soll es sein. Aber. Ich habe die Zeit meines Lebens – warum diese nicht ausnutzen? Ich könnte mich mit Süßigkeiten vollstopfen bis zum geht nicht mehr oder Sport machen bis zum Umfallen, aber ich habe mich dazu entschieden meine Vergangenheit hundertprozentig aufzuräumen. Meine völlige Konzentration liegt auf den nächsten Augenblicken. Ich habe auf dem Besucherparkplatz geparkt. Es hat mich stark verwundert, dass es Derartiges hier gibt. Mich hat niemand während meines Aufenthalts besucht. Ein wenig betroffen folge ich dennoch meiner Entscheidung. Rache ist süß. Ich würde sie nicht missen wollen.

Egal was sich dort drin ereignen wird, ich werde immer Jody sein und bleiben. Wahrscheinlich ist diese Vorstellung irrwitzig, dennoch könnte es heute mein letzter Tag sein. Irgendein Gefühl, dass ich mit Angst in Verbindung bringe, schleicht sich in meine Gedanken. Nein! NEIN! Ich lasse mich nicht beirren. Es wird mich nicht durcheinanderbringen. Schon gar nicht werde ich, wie ein Angsthase, davonrennen. Sicherlich legt sich das Gefühl gleich.

Mit diesem Beschluss trete ich in den Eingangsbereich ein. Mein Herz pocht immer schneller. Nein! Verdammt! Ich muss das schaffen. Ich muss Seelenfrieden finden. Es lässt mich sonst nie in Ruhe. Pure Verzweiflung macht sich in mir breit und ich wage schon den Gedanken, alles abzubrechen. Das wäre jedoch die Handlung eines Feiglings, der ich gewiss nicht bin. Ich bin lange genug von meinen Quälern davongelaufen. Nichts würde mir mehr Freude bereiten, als ihnen die Kehle aufzuschlitzen.

Dieser Vorsatz wird mich durchhalten lassen.

Hinter dem Tresen sitzt die Empfangsdame. Damals war es eine schöne Blondine, die mir die Außenwelt nähergebracht hat. Dieses Mal sitzt eine kleine, mollige Frau auf dem Stuhl, der fast schon unter ihr verschwindet.

Ich räuspere mich.

„Ah, hallo. Entschuldigen Sie mich noch einen Moment? Ich muss noch schnell wichtige Unterlagen kopieren. In zwei Minuten bin ich sofort für Sie zur Stelle.“

„Ja, geht in Ordnung.“ Überhaupt nicht. Ich will das Ganze so schnell wie möglich hinter mich bringen. Was ist, wenn sie mich erkannt hat? Besser, ich sollte mich beeilen, um von hier zu verschwinden. Sie wird schon nicht das Sicherheitsteam verständigen. Sicher kann ich mir nicht sein. Hm, vielleicht sollte ich ihr folgen beim besagten „Kopieren“. Besser wäre es ganz sicher. Man kann niemanden trauen, Jody. Das stimmt. Der Einzigen, der du über dem Weg trauen kannst, bist du selbst.

Auf leisen Sohlen folge ich der Dame, die bereits hinter der nächsten Ecke verschwindet. Flink, wie ein Wiesel, schleiche ich zu der Ecke und blicke dahinter um die Seite. Dabei sehe ich, wie sie in die dritte Tür einbiegt, auf der linken Seite. Kurz darauf ertönt das Geräusch eines misstönenden Kopierers. Puh. Sie hat mich nicht erkannt. Welch ein Glück! Erleichtert lasse ich die angestaute Luft aus meiner Lunge und gehe wieder zurück zum Tresen. Keine Minute später steht die Empfangsdame wieder dahinter und fragt nach meinem Anliegen.

Was für ein Anliegen? Keine Ahnung.

„Ich möchte meinen Ex-Freund besuchen. Er heißt, lassen Sie mich kurz überlegen. Entschuldigen Sie, dass ist mir gerade richtig peinlich. Ich habe ein Gedächtnis wie ein Sieb.“ Wie soll ich ihn nennen? Nick. Nein. Carter. Klingt zu machomäßig. Viellicht Jason. Ja, das hört sich gut an. „Jetzt erinnere ich mich. Jason. Wir waren zwei Jahre zusammen, bis er weggesperrt wurde. Der Grund ist mir zwar unbekannt, denn mein Jason könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.“ Gespielt verträumt seufze ich.

„Ich sehe mal nach, ob ein Jason in der Datenbank ist. Es gibt zwei. Jason Reed und Jason Dramsen. Wer ist es?“

„Jason Dramsen“, sage ich einfach aus dem Bauch heraus. Hoffentlich, lässt mich Jason Dramsen nicht im Stich!

Mir erscheint es, als würde das Moppelchen gerade extra durch die Flure laufen, damit ich vor Erschöpfung lieber nach Hause fahre, als Jason Dramsen zu besuchen. Bei einer Tür, die eigentlich genauso aussieht wie alle anderen, aber durch das Schild `Stufe 4 ´ einen deutlichen gefährlicheren Menschen verbirgt, halten wir an. Wem habe ich mir nur ausgesucht? Definitiv den falschen Jason. Vermutlich ist er ein altes, sadistisches Schwein, so wie ich – nur das ich noch nicht alt bin.

„Er ist gerade ruhiggestellt worden, also können sie in seinen Raum gehen, ohne Angst haben zu müssen. Ansonsten hätten wir Ihnen einen Raum für das Gespräch zur Verfügung gestellt. Gleich werde ich einen Pfleger rufen, der sie nach einer Stunde wieder zum Ausgang bringt.“

„Danke sehr“, lächle ich sie freundlich an und hoffe, dass sie schnellstmöglich verschwindet. Ich drücke die Klinke nach unten und öffne die Tür.

Ich trete ein, während der große Mann – der auf dem Bett sitzend mit dem Rücken an der Wand lehnt – gerade seine Lider nach oben klappt. Giftgrüne Augen erwidern meinen Blickkontakt und wir starren uns einen Moment an, ehe ich mir einen Stuhl nehme und mich zu ihm setze.

Stumm blicken wir uns eine Zeit lang an, ehe ich meinen Mund öffne: „Jason Dramsen. Wie schön dich kennen zu lernen. Ich bin Jessica. Jessica Richter.“

Mein „Freund“ grinst mich nur breit an, als er aufsteht und näher zu mir kommt. „Steh auf.“

„Warum“, frage ich ihn verwirrt.

„Ich will meine sogenannte Ex-Freundin ansehen. Weißt du, ich hatte viele One-Night-Stands, aber nur eine Freundin. Sie war groß, schön, vollbusig und hatte ein Becken zum Wohlfühlen. Ein wahrer Traum.“

Ich kann mir denken, was er will. Einen Deal. Na gut, denn soll er haben.

„Schlaues Mädchen.“

Meine Augen verdrehen sich wie von selbst, als ich ihm einen Vorschlag mache, von dem wir beide profitieren. „Du erlangst deine Freiheit wieder, wenn du mir hilfst, die Doktoren zu finden und zu töten.“

„Wie genau stellst du dir das vor?“

„Wie ich sie töten werde oder wie ich dabei vorgehe, sie zu finden?“

„Beides.“

„Ich werde sie zuerst verstümmeln und wenn sie an der erträglichen Schmerzensgrenze angekommen sind, werde ich sie mit vielen Messerstichen leiden lassen. Falls es aber nicht klappt, muss ich mir wohl etwas anderes einfallen lassen.“

Er sieht mich an, als ob ich ihm nicht alles erzählt habe. Stimmt, aber ich werde es nicht mal in meinen Gedanken denken.

„Du hast dem Anschein nach herausgefunden, dass ich telepathische Fähigkeiten besitze. Daran sind ebenso die Doktoren Schuld, wie bei dir. Ein Fiasko, dass es nichts Vergleichbares gibt. Wie du dir denken kannst, bin ich interessiert daran, sie auch für meine Verunstaltung leiden zu lassen.“

Jason dreht seinen Kopf zur Seite, damit ich seinen Hinterkopf vor mir habe.

„Es sieht nicht gut aus“, gebe ich meine Meinung dazu. Vereinzelt wachsen Haare auf dem Narbengewebe, das einmal seine Kopfhaut war. Wie eine verzerrende Fratze erscheint mir das Gebilde.

„Gewisse Narben werden mir jede Frau vergraulen, die einen halbwegs anständigen Körper hat und eine wahre Sexgöttin ist. Einfach nur schrecklich. Für immer abstinent. Nein, ich werde diese scheinheiligen Laborratten dafür leiden lassen! Es wird ein Jahrtausendgemetzel. Blut wird fließen. Auf Fließen, auf der Wand und an der Decke werden ihre Glieder kleben.“

„Kann es sein, dass du deine Tabletten nicht genommen hast?“

„Doch, aber sie wirken bei mir nicht mehr in der Konzentration. Ich bräuchte mehr, damit ich etwas spüren würde. Ein wenig geschwächt fühle ich mich, aber das liegt vor allem an meinen durchlebten Nächten.“

Ach, interessant.

„Zeigst du mir nun, wo sich das Labor befindet. Ich war schon ewig nicht mehr hier. Den Weg habe ich vermutlich bereits vergessen, als ich noch hier war.“

„Ja, das liegt daran, dass sie dir ein Serum spritzen, dass dich fast alles vergessen lässt, dass maximal eine Woche alt ist. Das haben sie jedenfalls gedacht. Also jede Woche ist uns eine Spritze in den Arm gejagt worden, dass uns das meiste vergessen hat lassen. Hundertprozentig arbeitet es anscheinend noch nicht, denn sonst würden wir nichts mehr wissen.“

Aha. Eigentlich wollte ich nur ein paar Doktoren töten, aber wenn er mir eine Geschichte erzählen will, kann er das auch machen. Nur, dass ich davon höchst genervt werde und nicht garantieren kann, dass ich ihn nicht ein Haar krümmen werde. Möglicherweise auch zwei.

„Ja, du hättest auch einfach sagen können, dass dir das Ganze am Arsch vorbeigeht und dir nur deine Rache wichtig ist.“

„Unfreundlich ist nicht mein zweiter Vorname, falls du das meinst. Ich bin nur ehrlich.“ Wenn es mir gerade gefällt.“

Ein Blick auf die Uhr verrät, dass mir noch eine halbe Stunde mit ihm übrig bleibt. Eigentlich irrelevant, aber nicht, dass zu einer ungelegenen Minute jemand herein schaut. Sonst beginnt das Mordprojekt schon früher.

„Fangen wir in einer halben Stunde an, wenn dich ein Pfleger abholen will?“

„Ja. Jederzeit. Ich will nur meinen Seelenfrieden.“

Es wird mein letzter Tag hier auf Erden sein, denn ich werde es nicht überleben. Ich habe es nicht vor. Luca werde ich meinen Tod nicht gönnen. Es ist meine Entscheidung. Und meine Entscheidung ist, dass es heute mein letzter Tag sein wird. Egal, ob ich eine Chance habe, lebendig aus dem Gebäude zu kommen oder nicht. Ich bestimme über mich selbst. Niemand anders. Ja, der Tod gehört mir.

„Lust auf Sex? Der soll bekanntlich die Stimmung aufhellen?“

„Nein. Heute nicht.“

Pure Erlösung (überarbeitet)

 

Leise, sodass man jeden Schritt im Gang draußen hören kann, warten wir auf den Pfleger. Oder die Pflegerin, die gerade die Tür öffnet. Jason hat sich auf das Bett gelegt, um einen möglichst erbärmlichen Anblick darzustellen. 

„Patient Jason schläft?", erkundigt sich die kleine Blondine nach ihm. 

Ich nicke. Sie kommt näher, um mir höchstwahrscheinlich mitzuteilen, dass ich nun gehen muss. „Ist er nicht friedlich, wenn er schläft? Wie ein kleines, süßes Kind."

Keine Erwiderung. Eine 180 Grad Wendung vollziehe ich, womit ich genau in das Gesicht von Jason schauen kann. Hinter meinen Rücken spüre ich deutlich, wie sie die Augen verdreht. Ein sechster Sinn sozusagen.

„Schade, dass er nicht mehr der ist, der er einmal war."

Eine Hand legt sich zur Beruhigung auf meine Schulter. „Jetzt", schreie ich. Sofort springt Jason vom Bett auf und boxt der kleinen Blondine in den Bauch. Vor Schmerzen kreischt sie laut auf und geht zu Boden. Mein großer Freund setzt sich auf sie und fesselt ihr mit dem Kissenbezug die Hände hinter ihren Rücken. Danach knotet er mit einem seiner Hemden den Mund zu - eine Art Knebel - um sie zum Schweigen zu bringen. Jason hebt die zierliche Frau auf das Bett, wo er dann ihre beiden Füße jeweils am Geländer mit dem in zwei gerissenen Laken festknotet. Als wir dann mit ihrem Schlüssel das Zimmer zu sperren, blicken wir uns beide tief in die Augen. Denn nun gibt es kein Zurück mehr. Wenn die anderen die ans Bett gefesselte Pflegerin finden, dann ist es aus mit dem Bonnie und Clyde Spiel, ehe es überhaupt richtig angefangen hat. 

Schnell rasen wir beide den Gang entlang, mit einer nie dagewesenen Kraft. Das dürfte die Wirkung des Adrenalins sein, das mich zu solchen Höchstleistungen antreibt. Einen Schritt vor den anderen und dass in einer solch rasanten Geschwindigkeit, dass mir selbst ein wenig schwindlig vor Augen wird. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich schlussendlich meine Rache bekommen werde. Niemals. Ein wunderbares Gefühl ist es und doch ist mir zugleich die Nervosität ins Gesicht geschrieben. Was, wenn alles schiefläuft? Ich bekomme meine Rache nicht? 

Dann ist es eben vorbei. In jenen Moment, als ich dies gedacht habe, wird eine Tür geöffnet, die zum Labor führt. Glück gehabt, würde ich wohl sagen. Dann brauchen wir die Tür nicht mehr auseinandernehmen oder gar schmelzen. Weniger Aufwand und somit mehr Kraft und Energie, um die Laborratten zu köpfen. 

Apropos Ratten. Wo sind denn meine lieben Freunde? Seltsam. Ich verstehe es nicht, sie hätten mich wenigstens ab und zu besuchen können. Meine kleinen, armen Nagetiere. Hoffentlich ist ihnen nichts zugestoßen. Ich könnte es mir nicht verzeihen. 

Ich klatsche einmal und pfeife dazu ein wenig, vielleicht kommen sie dann. Ein wenig Aufmerksamkeit zu erregen, ist vermutlich nicht die dümmste Idee, die ich je hatte. Tatsächlich erscheinen die kleinen Vierfüßler und fiepen mich an. Während ich mich um meine grauen Haustiere kümmere, erledigt Jason den heraustretenden Laboranten. 

„Danke, dass ich die alleinige Arbeit erledigen durfte", fährt mich Jason an. 

„Bitte. Tut mir leid, dass ich nicht so stark bin wie du. Nicht."

Wir gehen weiter, dieses Mal ist es ein schnelles Schlendern, da wir des Sieges gewiss sind. Wir werden die achte Klinik aufräumen. Oder die Trümmer hinterlassen.

Die Ratten folgen mir auf Schritt und Tritt, was das Rascheln ihrer Schritte verrät. Nach etwa fünf Minuten stehen wir vor verschiedenen Laboren. Ungefähr auf Kopfhöhe sind kleine Fenster eingelassen, die uns die herum wuselnden Laboranten zeigt. 

„In welchem brechen wir zuerst ein, Jessica?", betont er extra stark meinen falschen Namen. 

„Wie wäre es wenn wir uns aufteilen?"

„Nein. Ganz schlechte Idee. 'Am Schluss entkommt uns noch einer", meint er. Ich nicke zustimmend. 

Jason stürmt einfach ohne meine Zustimmung in das Labor neben ihn und fängt an, die einzelnen Laboranten auseinander zu nehmen. Nun ja, auseinander nehmen ist ein viel zu schönes Wort dafür. Niedermetzeln, köpfen und auseinanderreißen trifft es wohl eher. Das Blut spritzt, wie bei Beethovens Symphonie Nummer Sieben die Töne klingen. Ein grausiges Spiel des zerschellten Körpers, in dem sich meine Ratten beseelt laben. Nach einer Minute der Starre schnelle ich ebenfalls in den Raum hinein, in dem es jetzt nicht mehr nach Sulfaten oder anderen Chemikalien riecht. Nein, es ist schlichtweg nur noch das reine Aroma des roten Saftes vorhanden. Genießerisch atme ich den beruhigenden, metallischen Geruch des Totes ein, der dich mit jeder vergehenden Sekunde mehr verführt. Ich könnte schwelgen darin. 

Ein dunkelhäutiger Mann will mich von der Seite angreifen, jedoch bemerke ich es gerade noch rechtzeitig und lasse meine Energie auf ihn fließen, sodass es einmal blau blitzt und schon liegen ein paar Leichenteile mehr herum. So eine Sauerei, die nur Menschen anrichten können. 

Der Weg ist frei, da sich die restlichen, noch lebendigen, Arbeiter auf Jason konzentrieren und mich schlichtweg ignorieren. Pech für sie. Glück für mich. Eilig begebe ich mich zu der Tür, die nach meiner Vermutung dieses Labor und das neben dran verbindet. Ich liege richtig. Schon drücke ich die Klinke nach unten und verschwinde dahinter. Ohne lange zu überlegen ramme ich meine Hand durch den Körper einer Laborratte. Mir ist es gleich, ob er das verdient hat oder nicht. Rache ist wichtiger als alles andere - in diesem Moment. Ich möchte mich noch einmal lebendig spüren, bevor es mit mir zu Grunde geht. Ha, es ist mit mir schon zu Ende. Ich spüre es einfach. Ich spüre den Tod in meine Poren strömen. Er erfüllt mich. 

Entweder sind sie wirklich von unserem Angriff derart überrascht worden oder sie haben kein ausgeklügeltes Sicherheitssystem, das sie anwenden könnten. Tatsächlich bieten sie sich geradezu als Opfer meiner blutroten Rache an. Überall spritzt der dunkle Lebenssaft, fast ist es ein abstraktes Gemälde, das die Wand ziert. Die Spritzer sind lebendige Fäden, die sich überall auf der Wand bewegen und es werden immer mehr. Eine weitere Person kommt dazu, Jason. Anscheinend ist er fertig mit unserem ersten Versuch das Problem Menschenchemie zu lösen. Meiner Beobachtung zu Folge, wird das Ergebnis richtig gut aussehen. Alle sind tot, außer wir. Ein Schlachtfeld Ohnegleichen ist es. Warum, werden sich die Menschen fragen, die die Leichen finden werden, tut man Derartiges? 

Bald ist Jody´s Symphonie der Rache beendet und man das Resultat roher Gewalt erkennen. Weitere Minuten vergehen, die sich wie Sekunden anfühlen und die Menschen werden immer weniger. Viele versuchen zu fliehen, manche greifen uns an - sie wollen einen auf Retter spielen. Nur wird es heute nicht gut ausgehen für die Mutigen. 

Plötzlich - es sind nur noch eine Handvoll vorzufinden - höre ich ein Zischen, das in unsere Richtung treibt. Eine Kugel - so denke ich mir. Das es stimmt, beweist mir ein Loch in Jasons Hemd und ein schellendes Lachen von Luca. Seine Stimme würde ich aus hunderttausenden wiedererkennen. Wie ein plätschernder Wasserfall, der sich zu einem tosenden Sturz entwickelt, scheint es mir. 

Auf einmal geht alles auf Eins. Jason wird von einem Kugelhagel durchbohrt, obwohl er versucht, standhaft zu bleiben, fällt er zuerst auf die Knie und dann seitwärts zu Boden. Wunderbar. Meine Unterstützung ist tot. Nun bin ich auf mich alleine gestellt. 

Meine Konzentration liegt auf meiner puren Kraft. Ob ich es wohl schaffen werde, diesen Ort mit meiner Gewalt nieder zu reißen? Meine Gedanken werden von einer Kugel unterbrochen, die sich in mein Bauchgewebe hineinfrisst. Wenn, dann muss ich es jetzt machen. Ich habe definitiv keine Zeit für lange Diskussionen mit mir selbst. 

In meinem Inneren balle ich eine Energie zusammen, die noch nie jemand überlebt hat. Meine Blutgefäße ziehen sich zusammen, da sich deren Inhalt in meinem Herzen sammelt. Meine Haare fallen zu Boden, denen ich aber keinen zweiten Blick würdige. Mir ist es gleich, wie ich aussehe. Es wird ihr letzter Anblick sein, da soll es doch ein schöner werden. Die Fingernägel bohren sich tief in meine Haut und in das darunterliegende Fleisch. Die Zähne knirschen und brechen unter der Gewalt, bis ich plötzlich schreie und sich meine gesamte, geladene Energie auf einmal entlädt. Stück für Stück reißt sie mich auseinander. Blaue Blitze treten aus mir heraus. Es werden meine letzten Sekunden hier auf Erden sein. 

Auf Nimmerwiedersehen ihr Menschen.

Auf Nimmerwiedersehen, meine ach so liebliche innere Stimme. 

Auf Nimmerwiedersehen Welt. 

Ich werde ich nicht vermissen. Niemand hat mir je geholfen. Ich bin die Einzige, die mir je geholfen hat. Nur man selbst ist ein jemand, wenn man sich treu bleibt und seine wahre Natur pflegt und hegt wie ein kleines Kind. 

Ein lauter Krach und ein tosendes Brennen ist das Letzte, das ich wahrnehme, bevor mich die Energie auseinanderreißt und mein Lebenslicht ausgelöscht wird. 

Versuch 254: nicht erfolgreich

Ende -

 

Impressum

Texte: Keira Fight
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine lieben, teuflischen Leser.

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