Guten Abend, sie haben die Telefon-Seelsorge gewählt. Mein Name ist Werner Braun. Bei welchem Problem kann ich versuchen, Ihnen zu helfen?
(Eine zögerliche Stimme): Ebenfalls guten Abend, Herr Braun. Ich wusste mir keinen anderen Ausweg, weil ich dringend einen Rat brauche, was ich tun kann, um endlich wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.
Wie darf ich sie denn bitte anreden?
Ach so, ich bin so durch den Wind, dass ich glatt vergessen habe, mich vorzustellen. Gernot Schneider. Ich bin gerade 18 geworden, rufe aus Verl an.
Gut Herr Schneider oder darf ich sie Gernot nennen? Was bedrückt sie denn so sehr?
Na klar, ich bin mit Gernot einverstanden. Es geht darum, dass meine Freundin Ivon, mit der ich schon über 2 Jahre zusammen bin, mir heute ganz lapidar mitgeteilt hat, dass mit uns Schluss ist. Das hat mich wahnsinnig geschockt, richtig umgehauen, weil es so plötzlich kam, ohne jede Vorwarnung.
Ich verstehe, was das für einen Schock auslöst, Gernot. Hat sie denn diesen Schritt ihnen gegenüber näher erklärt?
Das ist es ja gerade – eben nicht! Ich bekam nur eine SMS mit dieser Ein-Satz-Botschaft, mehr nicht. Und dass nach über zwei Jahren Zusammensein, ich bin echt am Boden zerstört. Wir waren die ganze Zeit ein Herz und eine Seele, wie man so sagt. Deshalb verstehe ich das einfach nicht. Ich bin völlig fertig, bitte helfen sie mir.
Haben sie denn schon versucht, sie zu erreichen?
Natürlich, wenn sie wüssten, wie oft. Sie geht einfach nicht ran. Das ist ja das Schlimme.
Wahrscheinlich hat sie Angst vor einem Gespräch mit ihnen, dass sie vielleicht dabei einen Rückzieher machen könnte, was sie nicht riskieren will. Das passiert zwar öfter, als man denkt, oft aus falsch verstandenem Mitleid. Auch wenn sie vielleicht darauf hoffen, Gernot. Es würde höchstwahrscheinlich nur eine Hoffnung für begrenzte Zeit sein für sie, meistens passiert die Trennung dann später doch….
Habe ich sie richtig verstanden, Herr Braun, dass ich trotzdem weiter versuchen soll, sie zu erreichen, um den Grund dafür zu erfahren?
Genau. Das wäre aus meiner Sicht durchaus die naheliegendste Möglichkeit. Aber schalten sie dafür unbedingt ihre Rufkennung im Handy aus, damit sie nicht gleich sieht, wer dran ist. Oder können sie besser gleich zu ihr hinfahren?
Das hätte ich natürlich gleich gemacht, geht aber nicht, weil sie für drei Monate in Berlin ist. Und ich kann hier nicht weg, erst wieder in den nächsten Ferien. Was soll ich bloß machen, wenn sie nicht rangeht? Diese Ungewissheit frisst mich fast auf. Sehen sie, auf das Ausschalten der Rufkennung hätte ich doch auch schon selber kommen können, aber wie schon gesagt, ich bin völlig down. Schon ein Wunder, dass ich wenigstens darauf gekommen bin, bei ihnen anzurufen. Es tut wirklich gut, darüber mit jemanden sprechen zu können. Doch was soll ich ihr bloß sagen, um sie nicht gleich vor den Kopf zu stoßen?
Naja, das ist natürlich etwas schwierig für mich, weil ich ihre Ivon nicht kenne. Haben sie denn beide Streit miteinander gehabt?
Eigentlich nicht. Nur dass ich nicht in den Winterferien zu ihr gefahren bin, könnte sie mir vielleicht Übel genommen haben. Mir wird jetzt schon wieder ganz mulmig, wenn ich nur daran denke, nie mehr die schöne Zeit mit ihr erleben zu können, wie im vergangenen Herbst. Da macht ja das ganze Leben echt keinen Sinn mehr, ohne sie. Am liebsten würde ich mich völlig hängen lassen, wenn sie verstehen, was ich meine, Herr Braun.
Durchaus, nur berücksichtigen sie, dass eigentlich Liebeskummer für das Banalste von der Welt gehalten wird. Außer es ist der eigene….Das hat ein Schriftsteller namens Blanck mal in einem Aphorismus ausgedrückt.
Der hat gut reden. Ich frage mich ernsthaft, warum man eigentlich noch keine Tabletten oder Lösungen speziell gegen Liebeskummer erfunden hat. Damit könnte die Pharmaindustrie bestimmt Profit machen, oder?
Keine schlechte Idee, Gernot. Ich spüre, dass sie beginnen, ihre Situation aus einer nicht mehr ganz so hoffnungslosen Sicht zu betrachten. Humor ist schließlich der beste Weg zur Besserung, glauben sie mir. Lassen sie mich deshalb ganz offen sagen, was ich von Liebeskummer halte. Ich hoffe, sie sind mir danach nicht allzu böse, Gernot. Also, es ist so, dass „wir auf dem Wege zur wahren Liebe viele Verliebtheiten erleben und dabei glauben, diese seien schon die wahre Liebe. Der Liebeskummer der Trennung,“ den sie gerade durchmachen, Gernot,“ zeigt uns, dass es wahrscheinlich noch nicht diese eine, wahre Liebe gewesen sein wird. Wenn wir dann irgendwann die richtige Partnerin gefunden haben, werden wir sehen, das alles andere im Vergleich zu ihr nur Spielerei war.“ (1)
Nur Spielerei? Wie können sie denn so etwas sagen! Habe ich ihnen nicht überdeutlich erklärt, dass es alles andere als Spielerei war? Haben sie mir eigentlich richtig zugehört, Herr Braun? Augenblick mal. Ich kriege gerade eine SMS. Sie ist von Ivon: Sie konnte eine Zeit lang weder angerufen noch Mailbox erreicht werden wegen einem wichtigen Termin und hat gerade meine vielen Anrufversuche entdeckt. Sie entschuldigt sich vielmals für die andere SMS mit der Schlussbotschaft. Sie war gar nicht für mich gedacht, sondern für ihre Freundin, mit der sie sich total verkracht hat. Sie hat eben erst gesehen, dass sie diese SMS in der Wut falsch adressiert hat. Ich bin unendlich froh! Der ganze Liebeskummer war glatt umsonst. Gott sei Dank! Ich muss jetzt Schluss machen und gleich Ivon anrufen und unser nächstes Treffen vereinbaren….Auf niemals-wieder-Hören, Herr Braun. Ich werde ganz bestimmt nie wieder wegen Liebeskummer bei ihnen anrufen müssen…..
Ich wünsche ihnen beiden viel Glück, Gernot.
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(1) Quelle: Werner Braun (1951-2006), deutscher Aphoristiker
Texte: Idee/Text: Yety.2008; Aphorismen: F.Blanck, W.Braun
Bildmaterialien: Coverfoto: Yety.2008
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2012
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