„Ist Glück messbar?“
Wir werden Zeuge eines rabulistischen (*1) Streitgespräches zwischen dem analytischen Philosophen Stefan Klein (SK,*2) und einem Fast-Philosophen, Manfred Spitzer (MS,*3).
MS: Na, Herr Kollege, wie ich sie kenne, gehen sie an die Antwort auf diese Frage von Phil Humor (*4) wie immer rein wissenschaftlich determiniert heran. Ich für meinen Teil bin fest davon überzeugt, dass die Messung des Glücks durchaus ihre Tücken hat
(*5).
SK: Wieso eigentlich soll die Messung des Glücks nicht möglich sein? Wenn man unter Glück den Strom bestimmter Chemikalien - wie Endorphin, Oxytocin, Dopamin oder Serotonin – im Kopf
(*6) versteht, dann lassen sie sich heutzutage doch zweifelsfrei nachweisen. Und ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, indem ich behaupte, dass wir unser Gehirn so trainieren können, dass es Glücksemotionen intensiver und häufiger wahrnimmt
(*7).
MS:Nun gehen sie mir aber doch etwas zu forsch vor. Wir sollten uns zunächst darüber einigen, was wir unter Glück überhaupt verstehen. Für mich ist Glück die Erfüllung menschlichen Wirkens und Strebens. Es ist für mich ein originäres individuelles Freiheitsrecht
(*8). Könnten wir uns auf diesen Ausgangspunkt einigen, Herr Kollege? Wenn sie aber nun den Grad der Erfüllung des Strebens nach Glück bei einem Individuum messen wollen, dann halte ich das für äußerst problematisch, wie ich eingangs bereits bemerkte.
SK: Das sagen sie zwar, haben aber noch keine Begründung dafür nachgeschoben. Ich möchte ihnen deshalb einen Vorschlag für unseren Disput machen: Wenden wir doch bei unserer Wahrheitsfindung einige der 38 Kunstgriffe der Eristischen Dialektik
(*9) an, wie sie bereits um 1830 von Arthur Schopenhauer
(*10) ausgearbeitet wurden.
Sie sollen hilfreich sein, per fas et nefas
, also mit erlaubten und unerlaubten Mitteln bei einem Streitgespräch Recht zu behalten.
MS: Einverstanden, wenn ich mich auch zu denen zähle, die der Auffassung sind, dass Schopenhauer diese mehr in einer ironisch gemeinten Absicht veröffentlicht hat. Es kann doch nicht vordergründig darum gehen, im Guten wie im Schlechten unbedingt Recht zu haben. Sollten wir uns nicht besser daran ausrichten, uns der Wahrheit anzunähern?
SK: Da bin ich bei ihnen. Hauptsache sollte in der Tat sein, gute zielführende Argumente vorzubringen, egal von wem sie kommen. Ich gehe natürlich davon aus, dass sie die Größe besitzen werden, zu ertragen, dass sie Unrecht haben und ich Recht behalte.
MS: Na, na, na, Herr Klein, quod errat demonstrandum
(*11), kann ich darauf nur reagieren. Doch lassen sie unsere Leser nicht länger zappeln. Gehen wir in medias res
(*12)!
SK: Einverstanden. Die ersten drei schopenhauerschen Kunstgriffe dienen der Ablehnung von Behauptungen durch mutatio contro versiae
, also eine Veränderung der Streitfrage.
MS: Das will ich gleich mal vornehmen. Schließlich debattieren wir über eine der ältesten philosophi-schen Fragen überhaupt. Seit über 2000 Jahren gibt es den Mythos Glück, der darin gipfelt, man könne gar nicht genau sagen, worin es bestehe. Wenn also das nicht mal klar ist, wie will man erst recht behaupten, man könne es messen? Ist es nicht einfach nur ein Signal, das die Natur erfunden hat, um uns zu sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind?
SK: Verstehe den Kunstgriff 1. Sie haben einfach eine Erweiterung
auf ein Natursignal vorgenommen. Dann antworte ich mit Kunstgriff 2, der Homonymie
: Verwendung von mehrdeutigen Bezeichnungen, hier die „Zufriedenheit“.
MS: Nein, nein, Herr Kollege, da sind sie auf dem Holzweg. Zufriedenheit kann man doch nicht mit Glück vergleichen. Zufriedenheit empfindet man in Folge eines Urteils im Rückblick. Das Glück dagegen ist im Jetzt beheimatet; es ist nur vorübergehend, denn der Mensch setzt sich gleich darauf ein neues Ziel, eine neue Sehnsucht, um glücklich zu bleiben. So schnell, wie das Glücksgefühl schwindet, so schnell sind sie mit ihren fraglichen Messapparaturen gar nicht da. Sie würden – wenn überhaupt – nur so etwas Ähnliches wie Zufriedenheit feststellen können.
SK: Damit sind sie aber schon beim Kunstgriff 3 angelangt, den Schopenhauer als Verabsolutierung formuliert hat. Sie haben eben eine Behauptung relativiert – nämlich man würde nur die Zufriedenheit messen - und in einer anderen Hinsicht gedeutet. Sie denken, damit meine These, man könne Glück messen, widerlegt zu haben. Dem ist aber nicht so, hochverehrter Herr Kollege.
Wenden wir uns daher lieber den Kunstgriffen 4 bis 6 zu. Vielleicht kommen wir damit ja weiter.
MS: Nun gut. Ich merke schon, sie wollen neue Prämissen einführen, die ihre haltlose Behauptung der Glück-Messbarkeit stützen soll. Machen sie sich auf meinen Widerspruch gefasst. Ich merke es wohl, wenn sie Kunstgriff 4 – Umwege
– verwenden wollen, denen ich zustimmen würde, weil ich die Konsequenzen daraus nicht erkenne. Doch daraus wird nichts. Versuchen sie es doch lieber gleich mit Kunstgriff 5 – Prämissen ad populum und ex concessis
. Das wird ihnen jedoch schwer fallen, müssten sie doch Prämissen verwenden, die sie selbst für falsch halten, von denen sie aber annehmen, ich hielte sie für wahr.
SK: Das ist mir jetzt aber zu gewagt. Dann schon lieber gleich zu Nr. 6, der versteckten petitio principii.
MS: Das geht ja schon gar nicht!
Denn das klappt doch nur, wenn sie die Anwendung dieses Kunstgriffs vor mir geheim halten.
SK: Meinen sie? Lassen sie mich nur machen. Könnten sie mir wenigstens bestätigen, dass die Person es merkt, wenn sie glücklich ist? Diese Verallgemeinerung ist doch nun wirklich unverdächtig, oder? Ich bemerke, dass sie zustimmend nicken. Dann stimmen sie doch sicher mit mir auch überein, dass wir es beim Glücksempfinden mit einer Reihe von Sonderfällen zu tun haben, ja? Ich denke da an das vielbeschworene Liebesglück, das leider nur seltene Lottoglück oder das noch seltenere Glück der Selbstheilung von einer schweren Krankheit. Sie kennen sicher noch weitere Sonderfälle für Glücksemotionen. Wollen wir es aber mal bei diesen drei belassen, einverstanden?
MS: Nun gut. Aber worauf wollen sie denn damit hinaus? Ich verstehe einfach nicht ihre Zielrichtung.
SK: Sehen sie, genau das habe ich bezweckt. Indem sie eben diese drei Sonderfälle als unverdächtige Prämissen für meine Beweisführung bestätigten, können sie nicht mehr dahinter zurück. Jetzt aber kommt mein „Angriff“: Ich beweise ihnen, dass ihre Behauptung von vorhin, ich käme mit meinen Messapparaturen viel zu spät, um das Glück zu messen, nun nicht mehr zutrifft. Man kann sehr wohl zu einem frühen Zeitpunkt des ersten Kennenlernens eines Paares durch EEG die „Chemie“ zwischen ihnen messen und dann, wenn es gerade „gefunkt hat“, die Messung wiederholen. Sie würden staunen, auf wie viel mehr Endorphine sie stoßen werden. Und wenn sie dann noch eine Vergleichsmessung zwei oder drei Jahre nach ihrer Heirat vornehmen, dann kämen sie wahrscheinlich bei weitem nicht mehr an den Spitzenwert heran. Das Paar würde - hoffentlich - behaupten, immer noch glücklich zu sein, aber die Werte würden lediglich eine bestimmte Zufriedenheit belegen.
Und bei den anderen beiden – von ihnen zugestandenen - Sonderfällen wäre das Vorgehen ähnlich, wenn auch die Rate der vergebens durchgeführten Erstmessungen selbstverständlich enorm hoch wäre. Wann hat man schon den „Riecher“, dass der oder die vielleicht mal im Lotto gewinnt oder von einer eigentlich unheilbaren Krankheit gesundet. Höchstens bei Kandidaten für „Wer wird Millionär“ würde sich wohl eine Erstmessung eher lohnen.....
MS: Na gut, ich wende Kunstgriff 7 an und gestehe ihnen hiermit mehr zu, als nötig. Aber dann folgt Nr. 8: Durch Fragen werde ich sie nun provozieren.
Erste Frage: Wie glücklich bin ich? Das wollen sie ja mit ihren Gehirnmessungen beantworten können, nicht wahr? Können sie aber gar nicht, denn die Frage ist viel zu ungenau, viel zu unscharf! Was ist denn gemeint? Speziell bezogen auf etwas oder eher überhaupt? Wo, zu Hause oder auf Arbeit?
Mit wem, dem Partner oder einem Freund?
Wir streben zwar dauernd nach etwas, aber empfinden nie dauerndes Glück. Alles hängt doch damit zusammen, was man zu tun in der Lage ist.
Daher halte ich es mit Schopenhauer, der definierte: „Glück ist Unglück, was man nicht hat.“
Und das wollen sie für messbar erklären, Herr Klein?
SK: Na gut, Nr.9 der Kunstgriffe geht an sie; Zugeständnis von Umwegen
. Auch Kunstgriff 10 – Zugeständnis aus Trotz
– beanspruche ich nicht. Jedoch Nr. 11, die Induktion aus Zugeständnissen,
die hilft bei meiner Beweisführung weiter. Ganz einfach: Man muss doch nur die Frage „wie glücklich bin ich?“ konkretisieren, beispielsweise um „bei meiner Arbeit“ oder „wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin“. Und schon ergeben sich für die Wissenschaft wieder drei Messpunkte: vor – während – nach dem Glücksmoment. Nun sind sie dran!
MS: Entschuldigen sie, aber irgendwie habe ich den Eindruck, sie kokettieren mit Daniel Kahneman´s „Peak – End – Rule“
(*13). Darunter versteht man ja wohl die Bildung des Mittelwerts aus dem Höhepunkt des Ereignisses minus dem Endpunkt. Sie ermitteln lediglich noch einen zusätzlichen Wert, der zeitlich vor dem Höhepunkt angesiedelt ist. Richtig?
SK: Genau. Denn je rascher auf den Glücks-Höhepunkt das Ende folgt, desto schöner bleibt das Ganze in Erinnerung. Und wenn wir schon bei der Nennung berühmter Namen sind, dann sollte Oscar Wilde
(*14) nicht fehlen, der meinte: „In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Die eine, nicht zu bekommen, was man möchte, und die andere, es zu bekommen.“
MS: Dann darf aber auch der populäre „Glücksautor“ Dr.med. Eckhart von Hirschhausen
(*15) nicht fehlen mit dieser Glücksbegriff-Definition: „In einer Aufgabe aufzugehen bedeutet Glück.
Wenn man in ihr untergeht – Unglück.“
Und ich denke er hat recht, wenn er meint, das man glücklich sei, er nennt das neudeutsch „sich im Flow befinden“,
wenn man nicht darüber nachdenke. In dem Moment, wo das geschehe, man auf die Uhr schaue, wie lange man denn schon drin sei – genau in dem Moment sei man raus. Wann also, lieber Kollege Klein, wollen sie denn messen? Sie haben gar keine reelle Chance dazu!
SK: Ich sehe schon, sie wollen die Kunstgriffe 12 bis 38 nicht mehr durchgehen; um unsere Leser nicht noch länger zu langweilen, oder warum? Na gut. Dann komme ich zu ihnen auf die populäre Plattform, auf der ich ja bekanntlich gern einher wandere. Und damit komme ich zum „Schach-Matt“, mein lieber Kontrahent. Dr. Hirschhausen hat nämlich ein sehr einfach anzuwendendes Glücksmess-Instrument erfunden: Das „Hedonimeter“ (Hedon ist die Maßeinheit für Glück,
*16).
MS: ?
SK: Ja, da sind sie baff, was? Es ist ein „Mundwinkelmesser“, mit dessen Hilfe man ablesen kann, wie glücklich oder auch unglücklich man gerade ist. Und das funktioniert so:
Stehen die Mundwinkel mehr als 35° nach oben, bedeutet das „ohne Worte“, also unbeschreiblich glücklich. 30° - völlig enthemmt, 25° - verzückt, 20° - super, 15° - lustig, 10° - fröhlich, 5° - erheitert und 0° - völlig normal. Natürlich gibt es auch einen um jeweils 5° nach unten absinkenden Mundwinkel, dessen Bedeutung dann von „ooch jo“, über „es muss“, „dumm gelaufen“, „richtig doof“ (20°) dann zu „will auf den Arm“, „will wieder runter“ und „will nicht mehr“ (35°) reicht und bei „ohne Worte“ endet. Was sagen sie nun? Das wir darauf nicht gekommen sind – schließen unsere Probanden an teure Hirnstrommessgeräte an und bräuchten eigentlich nur einen einfachen Winkelmesser.
MS: Ja, ja, da haben wir uns ganz schön blamiert, würde ich sagen.
Nun kann ich leider nicht mehr behaupten, Glück kann man nicht messen. Und sie könnten eigentlich ihre ganze Apparatur verschrotten. Ob nun der (Pseudo)-Kollege Dr. Hirschhausen wohl für den Nobelpreis vorgeschlagen wird.....?
Aus gegebenem Anlass, der noch nicht allzu lange zurück liegt, folgen nun die mit einem * gekennzeichneten Zitatquellen, Fußnoten bzw. zusätzlichen Erläuterungen:
1 Rabulistik: Form der Argumentation, die eine von Schopenhauer (*10) unterstellte „Lehre von den Verfahren bezüglich der dem Menschen natürlichen
Rechthaberei“ beinhaltet
*2 Stefan Klein: 1965 in München geborener analytischer Philosoph und Wissenschaftsautor, z.B. „Glücksformel“
*3 Manfred Spitzer: Prof. f. Psychiatrie, Uni Ulm, Träger Preis zur Förderung der Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaft, Wissenschaftsautor
*4 Phil Humor: BookRix-Autor, Moderator der Gruppe „Philosophisches“, Autor u.a. von „Fantastisches“ - Geschichten und Gedichte, www.Phil-Humor.de
*5 M.Spitzer in seinem Vorwort „Fachinformation: Kann man Glück wissenschaftlich untersuchen?“ bei „Glück kommt selten allein“ (*15 )
*6 S.Klein „Was ist Glück?“ in www.stefanklein.info/node/63
*7 ebenda
*8 siehe unter *5
*9 siehe de.wikipedia.org/wiki/Kunstgriffe
*10 Arthur Schopenhauer: deutscher Philosoph, 1788 – 1860, Autor, Hochschullehrer siehe de.wikipedia.org/wiki/Schopenhauer
*11 lat. „was zu beweisen ist“
*12 lat. „zur Sache kommen“
*13 Daniel Kahneman, 1934 in Israel geborener Wirtschaftswissenschafts- Nobelpreisträger, de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Kahneman
*14 Oscar Fingal O´Flahertie Wills Wilde, irischer Schriftsteller (1854-1900)
*15 Dr.med.Eckart von Hirschhausen (geb. 1967), Mediziner, Wissenschaftsjournalist,Kabarettist, Bestsellerautor , u.a. „Das Glück kommt selten allein“
*16 Hedonimeter in ebenda, S. 80 f
Texte: Text und Coverfoto:Yety.2008
Tag der Veröffentlichung: 05.04.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Entstanden für den 1. Schreib-Wettbewerb in der Gruppe "Philosophisches"