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„Also noch einmal: Bitte um Punkt 11 Uhr 30 hier wieder am Bus einfinden, damit wir pünktlich zum Mittagessen nach Oberwiesenthal kommen.“ Mit diesen Worten entließ der Fahrer des Reisebusses seine 23 Passagiere, darunter auch 5 Kinder, auf dem Parkplatz an der Talstation der Bergseilbahn am Fichtelberg.
Familie Werther hatte gleich an der Tür gesessen und gehörte zu den Ersten, die ausstiegen. „Siehst du Friederike, ich habe dir doch gesagt, dass es hier oben morgens mächtig frisch ist. Aber du hast trotzdem zugelassen, dass die Jungs kurze Hosen anziehen. Sie dir nur an, wie sie jetzt anfangen zu bibbern....!“ Herrmann, der ewig besorgte Familienvater, hatte aber auch immer was zu bekritteln.


Seiner Frau reichte es allmählich, denn so ging es schon fast die ganze Woche ihres Aufenthaltes hier im Mittelgebirge. Hinzu kam, dass er sich übertrieben gründlich auf diese Fahrt vorbereitet hatte, indem er fast den gesamten Text des Reiseführers auswendig zitieren konnte und das auch ständig praktizierte.
Auf dem kurzen Weg zum Eingang der Talstation erklärte er schon wieder seinen beiden Söhnen, Gernot und Paul - sie waren 8 und 10 Jahre alt - dass sich die Talstation der Seilbahn auf einer Höhe von 905 Metern befand und die etwa einen Kilometer lange Seilbahn sie bis auf 1209 Meter bringen würde. Der Fichtelberg selbst hätte eine Höhe von 1215 Metern, ergänzte er noch.


Seine Jungs bestaunten die Tragstützen, über die die mächtigen Drahtseile verliefen, an denen die Gondeln hingen. Seine Frau jedoch blickte etwas skeptisch zu ihnen hinauf. Das veranlasste Herrmann, sie mit seinem Wissen zu verunsichern, indem er ihr sagte:“ Heute wird ja hoffentlich noch nichts passieren, denn die Ausnahmegenehmigung erlischt dieses Jahr. Es ist immerhin die älteste Luftseilbahn Deutschlands, denn sie wurde schon 1924 in Betrieb genommen.“ Auf ihren erschrockenen Blick reagierend ergänzte er aber schnell, dass die gesamte Tragwerkkonstruktion 1984 rekonstruiert wurde; also eigentlich kein Grund zur Sorge bestehe.


Inzwischen hatte die Familie als eine der ersten die Kasse erreicht, bezahlt und wartete auf die nächste freie Gondel nach oben. „Papa, warum heißt der Berg eigentlich Fichtelberg? Wichtelberg wäre doch viel lustiger gewesen,“ meldete sich Gernot, der jüngere Sohn, gleich nachdem sie in der Gondel Platz genommen hatten. Während sich seine Frau erneut auf einen längeren Vortrag gefasst machte, begann Hermann auch schon, seinen Jungs zu erklären, dass sich der Name vom Fichtenbestand auf dem Berg ableitete. Allerdings hätte es vor einigen hundert Jahren auch noch andere Baumarten hier gegeben, wie Weißtannen und Rotbuchen.


Doch die wären mit der Zeit alle abgeholzt worden und die Förster hätten dann nur noch Fichten nachgepflanzt, weil die schneller wuchsen und bessere Holzerträge versprachen. „Das muss ja ein schön bunter Wald gewesen sein, mit den weißen Tannen, roten Buchen und grünen Fichten. Genau wie die Farben der italienischen Nationalflagge“, glänzte Paul nun auch mit seinem Wissen. Geografie war schließlich sein Lieblingsfach in der Schule. Während dessen blickte die Mutter etwas beklommen in die Tiefe. So richtig wohl fühlte sie sich nicht und war sichtlich erleichtert, als sie die letzte Tragstütze passierten und nun in die Bergstation hinein schaukelten.


Kaum ausgestiegen, liefen die beiden Jungs auch gleich zur Aussichtsplattform; die Eltern konnten nur mit Mühe Schritt halten. „Boah! Ist das geil! So schön hatte ich mir das hier oben nicht vorgestellt!“ „Tolle Aussicht! Sieh mal dahinten, Gernot. Da stehen ja die Berge auf´n Kopf!“ Paul zeigte in eine bestimmte Richtung. Sein jetzt auch angekommener Vater traute seinen Augen nicht. Paul hatte recht; er hatte als Erster die eigenartige Erscheinung am Horizont entdeckt. Jetzt sahen auch alle anderen Reisegäste, die inzwischen auch auf der Plattform standen, dorthin. „Guckt mal! Das ist ja eine richtige Fata Morgana!“ wurde gerufen. „Ich dachte immer, die gibt’s nur in der Wüste oder auf den Salzseen. Und nun auch hier.


Ich werd´verrückt!“ ließ sich ein Mann neben Hermann vernehmen. „Sie wissen doch so viel. Wie kommt denn nun sowas zu Stande?“ frug er ihn nun. „Hm, davon stand nun nichts in meinem Reiseführer. Da erwischen sie mich leider auf dem linken Bein,“ bekannte der kleinlaut.
Nun aber schlug die große Stunde seiner Ehefrau, die nicht ohne ein wenig Stolz erklärte:“ Solch eine Naturerscheinung entsteht nur bei speziellen Hochwetterlagen. Es ist eine Luftspiegelung, die durch verschiedene Temperaturschichten in der Luft hervorgerufen wird. Ich schätze mal, dass das, was wir gerade sehen, der auf den Kopf gestellte Böhmerwald ist, immerhin rund 150 Kilometer von uns entfernt!“ Hermann sah seine Frau an und nickte anerkennend.


Ihre beiden Söhne sahen ebenfalls zu ihr auf und meinten fast gleichzeitig „Was Mutti alles weiß!“ Ihrem Vater hatten sie das noch nie gesagt.....
Allerdings löste sich auf Grund der veränderten Temperaturen das Ganze dann bald auf.
Sonst hätten die Besucher auf der Aussichtsplattform ob des Anblicks dieser seltenen Lufterscheinung fast vergessen, vor der Abfahrt noch den Andenkenladen aufzusuchen. Eine Ansichtskarte mit der Fata Morgana fanden sie jedoch nicht. Aber sie hatten ja genügend Beweise mit ihren Digitalkameras geschossen, um zu Hause von diesem einmaligen Erlebnis berichten zu können.....


Anmerkung:
Im Herbst 1985 konnte tatsächlich dieses seltene Naturschauspiel von Meteorologen und ersten Besuchern auf dem Fichtelberg beobachtet werden. Auch im Jahr zuvor soll das bereits möglich gewesen sein.

Impressum

Texte: Coverfoto von Yety.2008
Tag der Veröffentlichung: 04.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für den Märzwettbewerb "Kurzgeschichte zum Thema Fata Morgana" entstanden

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