Cover

„Wann bist du endlich fertig mit deinen Umzugskisten? Ich will da auch ran!“, ruft Carola ungeduldig in das völlig chaotisch anmutende Wohnzimmer, in dem Ricky dabei ist, seine Bücher aus dem schon halbleer gewordenen Bücherregal zu nehmen und in den wahllos herumstehenden Umzugskisten zu verstauen. Er erinnert sich noch gut an den Tag vor drei Jahren, als sie sich hier ihr erstes gemeinsames Nest einrichteten. Was hatten sie damals Spaß dran gehabt, das Bücherregal und die Schrankwand mit ihren nun gemeinsamen Schätzen zu füllen. Ihre erste gemeinsame Wohnung! Nun jedoch würde sie auch die einzige bleiben, wie die Dinge sich entwickelt hatten. Er hatte keine Hoffnung, dass sich noch mal alles einrenken könnte, wie es ihnen Anfang des Jahres noch gelungen war. Damals hatte er eingelenkt, als er Carola ertappte, wie sie ausgerechnet mit seinem besten Kumpel Brandon- Christopher etwas angefangen hatte.


Vor die Wahl gestellt, hatte er sich für seine Frau entschieden und ihr verziehen. Natürlich schmerzte der Verlust eines guten Freundes sehr, aber was sollte er machen. Einen solchen Vertrauensbruch konnte man nicht kitten. Er wollte zu seiner Carola stehen, so wie er es ihr versprochen hatte. Und nun das hier. Jetzt war sie es, die sich entschieden hatte und zwar gegen ihn. „Ich kann nicht mehr mit dir leben,“ hatte sie ihm vor wenigen Tagen erst ins Gesicht gesagt. „Nichts, aber auch gar nichts, kriegst du auf die Reihe! Das halte ich nicht mehr länger aus! Alles lastet auf meinen Schultern. Du gehst nur deinen Steckenpferden nach und ich kann sehen, dass hier alles läuft. So kann das nicht weiter gehen! Damit muss endlich Schluss sein! Ich lass´ mich scheiden!“
Er sieht immer noch ihr wutverzerrtes Gesicht vor seinem inneren Auge, während sie ihm die Vorwürfe entgegen schreit. Noch immer weiß er nicht, was der eigentliche Auslöser dafür war. Er ist sich keiner unmittelbaren Schuld bewusst. Auf seine Fragen danach war sie stets ausgewichen. Steckte etwa schon wieder ein anderer dahinter oder gar sein ehemaliger Freund? Hatte sie etwa gar nicht mit ihm Schluss gemacht, wie sie damals versprach? Das wäre eine plausible Erklärung für die jetzige Situation. Richtig. Sie wusste damals ja bereits, dass er eine ziemlich hohe Erbschaft zu erwarten hatte. Seine Tante aus Milwaukee war verstorben und hatte ihm eine beträchtliche Summe in Dollar hinterlassen. Die Überweisung des Betrages war auch wenige Wochen später erfolgt und gab ihnen Gelegenheit, sich einige Sachen zu leisten, die vorher nicht möglich gewesen waren. Und Carola war in solchen Dingen nicht gerade zurückhaltend. Sie hatte sich völlig neu eingekleidet. Für sein Gefühl völlig überzogen. Doch er wollte nicht schon wieder einen Streit vom Zaume brechen. Er sieht kaum noch hin, welche Bücher er gerade in der Hand hat. Die meisten waren sowieso von ihm gewesen.


Plötzlich flattert ein schon etwas vergilbt aussehendes Foto vor ihm auf den Teppich und landet mit der Rückseite nach oben. Er hebt es auf und erkennt, dass es genau das Foto ist, dass sein Freund von Carola und ihm, beide auf der Bank sitzend, gemacht hatte, als sie beschlossen, sich zu verloben. Natürlich erinnert er sich wie heute an diesen Tag, nach dem Hochzeitstag eigentlich der Schönste in seinem Leben bisher. Sie waren zuvor und danach Hand in Hand durch den Park geschlendert, dessen Bäume und Sträucher bereits den nahenden Frühling ankündigten. Sie hatten beide gemeinsam herrliche Zukunftspläne geschmiedet. Als sie dann zufällig mit Brandon-Christopher zusammentrafen, der mit dem Fotoapparat unterwegs war, um ein paar Frühlingsaufnahmen zu machen, baten sie ihn um ein Foto von ihnen, zur Erinnerung an diesen Tag. Aber so einfach dasitzend wollte er sie nicht gern ablichten. Da kam ihnen ein zweiter Zufall zu Hilfe in Gestalt eines herrenlosen Luftballons, an dessen Ende noch die Schnur hing, die zuvor sicher von einem Kind gehalten worden war, aber sich losgerissen hatte. Schnell hatte er zugepackt und den Luftballon aufgefangen. Er überreichte ihn Carola mit den Worten, dass er in ihn alle gemeinsamen Wünsche, von denen sie beide zuvor gesprochen hatten, hinein gepackt habe. Der Freund drückte genau in diesem Moment auf den Auslöser. Ein paar Tage danach überreichte er ihnen das entwickelte Foto. Sie mussten es wohl in den damaligen Umzugswirren in irgendein Buch gelegt und dann vergessen haben....
Ausgerechnet jetzt war es wieder da. Ein Wink des Schicksals? Vielleicht, obwohl er an so etwas nicht glauben wollte. Er legt es gerade auf den Couchtisch, als Carola ins Zimmer tritt. „Was hast du denn da?“ nimmt sie das Foto auf und betrachtet es eingehend.
Auch sie erinnert sich an den Tag, an dem es aufgenommen wurde und die Wünsche und Hoffnungen, die sie damals beide geträumt hatten und die nun in diesem Luftballon eingefangen waren. Für einen Moment erkennt Ricky in ihren Augen, dass auch sie sich zurück sehnt zu diesen glücklicheren Stunden ihrer Gemeinsamkeit. In ihm keimt Hoffnung auf. Vermag das Foto vielleicht, die Situation nochmals zu retten? Sie muss doch spüren, wie sehr er sie auch heute noch liebt....
Durch Carola geht ein sichtbarer Ruck, sie richtet sich gerade auf und sagt zu Ricky: „Du denkst wohl, du kannst mich mit diesem sentimentalen Foto noch einmal umstimmen? Da hast du dich aber geirrt! Das, was in diesem Ballon eingefangen wurde ist nichts als heiße Luft! Genau, nur ein Ballon mit heißer Luft. Ich kann damit nichts anfangen, ich brauche etwas Greifbares und das kannst du mir einfach nicht bieten.“
Von unten hört man eine Autohupe. Carola öffnet das Fenster und ruft hinunter, dass sie in 10 Minuten kommen würde. Als Ricky hinunter blickt, erkennt er Brandon-Christopher, seinen ehemaligen Freund......

Impressum

Texte: Coverfoto: nach Brandon Christopher Warren "I´ll Give You All I Can..." bearbeitet;
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für jugendliche Träumer

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