Die Nacht schien erdrückender denn je. Der Mond kam kaum hinter den Wolken hervor, sodass sich die Straßen in einem tiefen schwarz färbten. Menschenleer waren die Straßen. Niemand wagte es bei diesem eiskalten Wetter einen Schritt nach draußen zu wagen. Das Eis lag meterhoch, Jahre lang lag der Schnee nicht mehr so hoch und so lange. Doch als der Schnee schließlich im Frühjahr auftaute,kamen die möglichsten Dinge ans Licht. Zum Beispiel war unter mehreren Blättern die kleine Spange eines Mädchens zu sehen, dass es beim Spielen mit dem Schnee Monate zuvor verloren hatte. Auch befand sich im auftauenden Schnee das Armband eines 14 jährigen Mädchens, das dieses Schmuckstück als Zeichen der Liebe von ihrem Freund, der sie im geheimen betrog, erhielt. Als sie ihm dann schließich auf die Schliche kam, schmiss sie ihr sonst gut behütetes Armband in den Schnee. Und neben all diesen winzigen und einfachen Dingen fand sich auch die Leiche des 19- jährigen Mikes.
Und da saß schließlich Sarah im Verhörsaal gegenüber Detective Miller. Miller, der sie ansah und wusste, das hier etwas ganz und gar nicht stimmte.
Detective Miller sah sich am Tatort um. Wie lange mochte die Leiche des Jungen schon hier unter dem Schnee liegen, fragte er sich als er sich bückte, um das Gesicht von Mike näher zu betrachten. Sein Gesicht war kreidebleich und seine Lippen blau. An seinem Hals erkannte man Kratzspuren, vermutlich Fingernägel. Vielleicht konnte die Spurensicherung wichtige Beweise von diesen Kratzern entnehmen. Mike war vollständig bekleidet und keiner seiner Kleidungsstücke waren mit Blut oder dergleichen beschmutzt. Das lag wahrscheinlich daran, dass er einige Zeit im Schnee lag, sodass sich das Blut ausgewaschen hatte. Somit war nicht eindeutig zu klären, wie er starb. Wurde er angeschossen oder vergitete man ihn? Fragen nach Fragen, die erst nach einer Autopsie geklärt werden können.
„Guten Morgen", begrüßte Detective Joleene Klein ihren Vorgesetzten und reichte ihn einen Becher Kaffee, den er dankend annahm.
„Bei dem Jungen handelt es sich um den 19- jährigen Mike Fellow, der vor 4 Monaten als vermisst gemeldet wurde. Er war Footballspieler am Community College und hatte eine Freundin names Sarah Lang. Sie hatte ihn damals als vermisst gemeldet, nachdem er für zwei Wochen nicht mehr in ihrerer gemeinsamen Wohnung auftauchte", informierte Klein Detective Miller. Er schwieg und trank dann einen Schluck von seinem Kaffee.
„Glaubst du er lag die ganzen vier Monate hier?", wollte Miller von seiner Partnerin wissen. Er sah sie fragend an.
„Ich denke nicht", erwiderte sie und stemmte ihre Hände an ihre Hüften. Joleene war eine zierliche, rothaarige Frau, die gerade mal mit ihren 28 Jahren schon 8 Jahre verheiratet war. Sie lebte mit ihrem Mann Thomas am Stadtrand, jedoch hatten sie noch keine Kinder, vermutlich lag es daran, dass Thomas strikt dagegen war. Er arbeitete als Brooker in einem Unternehmen und war die meiste Zeit nicht zu Hause. Joleene vertraute ihrem Mann blind. Detective Lucas Miller war eher ein normaler Mann, der aber die Fähigkeit besaß, alle seine Fälle zu lösen. In der Kleinstadt, in dem sich das Geschehen abspielte, genannt Forrestville, kam es eher selten zu Mordfällen, doch wenn es zu welchen kam, dann war es Detective Miller, der sie löste. Er war in seinen besten Jahren und ledig. Er hielt nicht viel von der Ehe, vielmehr waren Gefühlsempfindungen für ihn nicht von Belang. Die einzige Persoon, die er wirklich ins Herz schloss, war sein 7-jähriger Sohn Michael, der während der Ehe mit seiner Ex- Frau Marry zur Welt kam. Die Ehe hielt nicht lang, aber die Liebe zu seinem Sohn blieb Lucas erhalten.
„Es ist nicht deutlich zu erkennen, wie er starb", sagte Detective Klein und zückte ihren Notizblock.
„Wir müssen den Autopsiebericht abwarten". Miller kommentierte die Aussage seiner Partnerin nicht. Sie sprach das aus, was er zuvor gedacht hatte. Weitere Worte waren unnötig.
„Wurde seine Familie schon benachrichtigt?", fragte Detective Miller mechanisch. Dieser Ablauf blieb immer der gleiche. Niemals änderte sich etwas daran. Detective Klein schüttelte den Kopf. „ Das ist jetzt unsere Aufgabe", meinte sie. Miller seufzte auf. Dieser Teil des Jobs war der viel schwiegere Teil. Zunächst musste man den Eltern den Tod ihres in ihren Augen " noch kleinen Jungen" nahe bringen. Oft endete dieser Schritt in Verzweiflung und war mit viel Tränen verbunden. Anschließend wurde einem Fragen gestellt: „ Wie konnte das passieren?" oder „Wer hat das meinem armen Jungen angetan" und schließlich " Sie werden den Mörder meines Sohnes finden, habe ich Recht?". Auf all diese Fragen hatte man zu Beginn eines jeden Falles keine Anwort und doch wurde eine verlangt. Und selbst wenn man dann auf Antworten während der Untersuchtung stieß, waren die Eltern über alle Maße unzufrieden und geschockt, da sich die wahre Natur ihrer Kindern endlich offenbarte. Miller spielte dieses Szenario schon in seinem Kopf ab, wohlwissen das es auch hier nicht anders laufen würde. Dennoch hatte er keine andere Wahl. Er musste die edrückende Traurigkeit, die die Eltern bei der Verkündung des Todes offenlegten, ertragen. Er musste die Fragen mit „Wir werden es herausfinden" und „ Noch wissen wir nichts" und „Ja, ich werde den Mörder ihres Sohnes finden, ich verspreche es ihnen" beantworten. So begaben sich Miller und Klein in ihren Dienstwagen und fuhren los zum Haus der Fellows. Mike Fellow war Sohn des Reiseunternehmers Sam Fellow, dem mehrere Reisebüros gehörten. Gleichzeitig gehörte ihnen die Airline " Fellow Airlines". Den Fellow ging es demnach sehr gut und auch Mike profitierte stets von seinen Eltern. Während Miller und Klein im Auto saßen, ertönte aus dem Radio plötzlich die Nachricht : „ Mike Fellow, der Sohn des erfolgreichen Reiseunternehmers Fellow, wurde heute Tod aufgefunden. Mike war für mehrere Monate verschwunden und galt als vermisst. Als der Schnee schließlich auftaute, entdeckte man seine Leiche. Informationen über die mögliche Todesursache und dergleichen liegen noch nicht vor. Wir informieren sie in Kürze über weitere Entwicklungen." Detective Klein seufzte laustark auf und Miller fluchte leise vor sich hin. „Diese verdammte Presse", zischte Miller wütend und beschleunigte das Auto. Jetzt mussten sie umso schneller bei den Fellows ankommen.
Nach etwa einer halben Stunde erreichten die Detectives das Anwesen der Fellows. Miller war seit langem nicht mehr so weit aus der Stadt gefahren. Das letzte Mal war im Juni des vergangenen Jahres gewesen, als er mit seinem Sohn angeln war. Der Angelausflug erwies sich als sehr erfolgreich. Sie fingen zwei Seebarsche, was sehr ungewöhnlich war, denn in ihrer Gegend tauchten die Fische kaum auf. Vielleicht spürten auch sie etwas von der bedrückenden Stimmung, die latent in den Gedanken der Menschen verankert war.
Miller nickte Detective Klein zu und sie beschritten den langen Kiesweg, der zum Tor führte. Sie betätigten die Klingel und warteten einen Moment. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein", ertönte eine Stimme aus den Lautsprechern. „Guten Tag, ich bin Detective Miller. Meine Partnerin und ich müssen dringend mit den Fellows sprechen!", erwiderte Miller klar und deutlich. Kurz danach öffnete man ihnen das Tor. Sie fuhren die Auffahrt entlang und waren kurze Zeit später auch schon vor dem Haus. Der Wagen hielt an. Bevor beide Detectives aus dem Wagen stiegen sahen sie sich vielsagend an. Als sie aus dem Wagen traten, kam ihnen Mr. Fellow entgegen.
„Stimmt das, was in den Nachrichten gesagt wurde?", wollte er aufgebracht von Detective Miller wissen. Dieser nickte bedächtig. Hinter Mr. Fellow tauchte plötzlich Mrs. Fellow auf, die das Nicken des Detectives noch sah. Sie riss ihre Augen auf, als sie Detective Miller sah. Detective Miller und Mrs. Fellow kannten sich noch aus Jugendtagen, weshalb dieser Besuch sich umso schwieriger für Miller gestaltete. Mrs. Fellow, der Detective Miller stets nachtrauerte.
Sie rannte auf die Detectives zu. „Mein Sohn ist tot?", rief sie ungläubig aus. „Ja, schatz!", sagte ihr Mann völlig verstört und nahm seine Frau in den Arm, die anfing zu weinen. Detective Klein blickte zu ihrem Partner. Sie sah den Schmerz in seinen Gesichtszügen, den er geschickt zu verbergen wusste. Sie sah, den Blick, mit dem er Mrs. Fellow ansah. Der Blick, der mehr aussprach als es tausend Worte zu vermögen mochten.
„Lassen Sie uns bitte ins Haus gehen", schaltete sich Detective Klein ein, womit sie ihren Partner aus seiner Trance rüttelte. Mr. Fellow nickte und führte sie ins Haus. Im großen Wohnzimmer setzten sich alle hin und schwiegen erstmal, bis Detective Miller das Wort ergriff: „ Es tut mir sehr leid. Ich möchte es mir gar nicht vorstellen, wie es sich für sie anfühlen muss." Mr. Fellow nickte dem Detective dankend zu, wohingegen Mrs. Fellow gar nicht anwesend erschien. Sie weinte unaufhörlich weiter. Miller spürte den Schmerz, der sich in seinem Herz bemerkbar machte. Der Schmerz, nicht an ihrer Seite sein zu können.„Wer hat das unserem Sohn angetan?" Leicht schmunzelte Klein als sie die Frage vernahm. „Wir sind noch zu Beginn unserer Ermittlungen. Ihren Sohn haben wir erst heute früh gefunden. Er war wahrscheinlich schon seit längerem tot. Seine Leiche entdeckten wir erst jetzt, da sie unter dem meterhohen Schnee begraben war", erwiderte Klein behutsam. Mr. Fellow fuhr sich nervös durch die Haare. Etwas zu nervös, klingelten die Alarmglocken bei Detective Miller. War es nicht immer einer aus der Familie? Dieses klischeehafte Muster verabscheute Miller, doch fast immer entsprach es auch der Wahrheit. „Das ist eine reine Routinefrage: Wann haben sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?", wollte Klein nun wissen, wofür sie empörende Blicke erntete.„ Wollen Sie uns etwa den Tod unseres Sohnes anhängen?", schrie Mrs. Fellow die junge Detectivin an. Klein schüttelte ruhig den Kopf.„Nein das möchte ich nicht", sagte sie nachdrücklich, „wie gesagt, es ist eine reine Routinefrage!" Mrs. Fellow ließ sich dennoch nicht beruhigen.„Das ist ja unerhört!", rief sie aus und blickte ihren Mann an. „Die wollen uns ernsthaft den Mord unseres Jungen anhängen, Sam! Unseres Fleisch und Bluts!" Mr. Fellow hingegen zeigte sich weniger aufgebracht. „Alicia, beruhige dich bitte. Diese Fragen sind reine Bürokratie, der Vollständigkeit halber!" Er strich behutsam über ihre Wange. „Lucas! Denkst du etwa auch wir hätten Mike umgebracht? Traust du uns das zu?" Alle blickten verwundert zu Detective Miller, der die Ruhe selbst war.
„ Alicia, niemand denkt das hier. Es muss nur in den Akten stehen, dass wir euch gefragt haben. Vertrau mir!" Er versuchte überzeugend zu klingen, was ihm auch schließlich gelang. Mrs. Fellow lehnte sich zurück und meinte: „Ich war außerhalb der Stadt. Um genau zu sein in London, ich musste eine unserer Filialen begutachten,da es dort zu Problemen gekommen ist." Klein notierte sich die wichtigsten Fakten und hackte noch einmal nach: „ Was genau für Probleme?" Mrs. Fellow sah unschlüssig zu ihrem Mann. Mr. Fellow war schließlich der, der die Frage beantwortete: „Personalprobleme." Mehr wollte er dazu nicht sagen. Das heißt, dass man dort noch nachhacken müsse.
„Haben Sie jemanden, der uns ihre Anwesenheit in London bestätigen, Mrs. Fellow?", wollte Detective Klein von der verstörten Dame wissen. Mrs. Fellow nickte. „Ja, das Personal dort." Ihre Antwort war knapp, denn es war ihr deutlich anzusehen, dass sie um ihre Fassung rang.
„Ihren Sohn haben sie also vor ihrer Londonreise zuletzt gesehen?" Klein schrieb eifrig mit. Mrs. Fellow schüttelte den Kopf. „ Nein, Mike habe ich schon seit längerer Zeit nicht gesehen. Er war viel mehr damit beschäftigt, seine Beziehung zu seiner Freundin zu pflegen." Mrs. Fellows abfälliger Ton fiel Detective Miller sofort auf.
„Meinst du Sarah Lang?", richtete sich Miller unbedacht direkt an Mrs. Fellow. „Wen sollte ich denn sonst meinen", lachte Mrs. Fellow heiser auf. „Dieses Mädchen ist überhaupt erst der grund dafür, dass Mike den Kontakt zu uns nach und nach abgebrochen hat!"
„Mr. Fellow, was ist mit Ihnen? Wann haben Sie Ihren Sohn das letzte Mal gesehen?" Klein sah zu dem Reiseunternehmer, der kurz zögerte. „Ich habe ihn das letzte Mal kurz vor seinem Verschwinden gesehen. Wir hatten einiges zu besprechen wegen seines Posten als neuer Personalchef in unserer Filiale vor Ort."
Mrs. Fellow drehte sich erstaunt zu ihrem Mann. Ihre Augen weit aufgerissen rief sie perplex aus: „Das hast du mir ja gar nicht gesagt!" Mr. Fellow sah seine Frau an und umfasste ihre Hand. „Ich habe dir nichts davon erzählt, weil er sich schließlich dazu entschieden hatte, die Bedinung aber dafür war, dass wir seine Freundin akzeptieren."
Klein und Miller verfolgten das Gespräch der Eheleute aufmerksam. Mrs. Fellow seufzte auf. „Soetwas kannst du mir doch nicht vorenthalten, Schatz!" Sie strich ihrem Mann über die Wange und die beiden tauschten einen zärtlichen Kuss aus. Klein bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Detective Miller sich abwandte.
„Schließen Sie jegliche Verbindung zum Mord ihres Sohnes hinsichtlich seiner Freundin Sarah Lang aus?", erkundigte sich Klein mit ruhiger Stimme. Beide schüttelten den Kopf.„Die hat bestimmt etwas damit zu tun, ein Mädchen wie sie bringt nur Pech mit sich!" Mrs. Fellows Stimme war eindringlich und durch ihre Worte erschauderte Detective Klein.
„Ich glaube das wär es dann fürs Erste", beendte Klein schließlich die Zeugenaussage. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Detective Miller ist der Beste, er wird den Mörder ihres Sohnes finden."
Klein lächelte Miller an. Er erwiderte ihr Lächeln wehmütig. Dann sah er zu den Fellows. „Ich werde mein Bestes versuchen."
Tag der Veröffentlichung: 06.12.2014
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