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Prolog




Kanntet ihr das Gefühl? Den Menschen zu verletzten , den man liebte. Nein wahrscheinlich nicht. Ihr wart nicht in meiner Situation.
Noch 2 Tage. Dann müsste ich Lynns Seele einfangen. Jedoch konnte ich das nicht. Nein, ich liebte sie zu sehr. Viel zu sehr.
Sie war meine große Liebe. Die Liebe meines Lebens.
Wie sollte ich mich entscheiden. Ich musste ihre Seele einfangen. Noch nie hatte ich nachgedacht meine Bestimmung aufzugeben. Niemals. Aber jetzt wog ich das in Erwägung.


Kapitel 1

 

 




Ich blickte auf die Uhr. Das Ticken machte mich nervös. Wo steckte Perseus schon wieder?Endlich ging die Tür des Direktors auf. Pseseus zwinkerte mir zu. Er trat hinaus; gefolgt vom Direktor.
„Matt" , sagte der Direktor.Ich stand von meinem Stuhl auf und blickte Mr.Jelly erwartungsvoll an.
„Nun du wirst nicht von der Schule geworfen" , meinte er mit Nachdruck , „jedoch darfst du nicht mehr schwänzen!"
Ich nickte horchend. „Nein das werde ich nicht" , antwortete ich, „ und danke!"
Ich lächelte Pseseus an.„Kann ich zurück in meine Klasse?" , fragte ich.
Mr.Jelly nickte und reichte mir eine Entschuldigung zum Abgeben.Erleichtert nahm ich mir meine Tasche und ging gemächlich zum Unterricht.

In der Mittagspause ging ich auf die Toilette.
Perseus wartete schon.
„Wie hast du den Direktor weich klopfen können?" , fragte ich ihn.
Er lächelte stolz.„Das ist nicht wichtig."
„Wie du meinst" , sagte ich mit einem Schulterzucken.
„Hier" , sagte er und reichte mir eine Akte.
Ich öffnete sie.
„Lynn Joke" , las ich laut vor.
Pseuseus nickte nur. „ Deine neue Seele. "
„ Hatte ich nicht gesagt keine jungen Mädchen mehr" , seufzte ich genervt.
„Sie ist in deinem Alter" , erwiderte er und lehnte sich gegen das Waschbecken.
„ Wirklich?" Erstaunt musterte ich sie auf dem Foto. Sie sah gut aus, musste ich ehrlich zugeben.
„ Du kennst die Regeln." Perseus sah mir tief in die Augen.
Ich nickte. „ 1 Monat. Ich darf keine Beziehung zu ihr anfangen. Keine Gefühle für sie haben und ihr auch nicht das Gefül geben, dass aus uns was wird." , sagte ich nochmal die wichtigsten Regeln auf, sobald es um Frauen ging.
Perseus lächelte. „ Irgendwann wirst du auch ein Mentor werden und genauso stolz sein wie ich in diesem Moment auf meinen Schüler."
Ich fühlte mich geschmeichelt. Jedoch blieb ich wie immer cool und zeigte keinerlei Gefühle. So war ich nunmal.
„ Irgendwann mal." Mehr sagte ich nicht.
Ich betrachtete Perseus. Er war groß und breit. Seine Bizeps waren unter seinem Hautengen T-shirt zu erkennen. Sobald er lächelte bildeteten sich um seine Augen Fältchen. Die blauen Augen strahlten jeden Tag und er war immer voller positiver Energie und sah jeden Tag als einen tollen Tag. Seine schulterlangen braunen Haare waren zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz. Er trug immer hautenge T-shirts und weite Hosen. Für seine italienischen Lederschuhe war er bekannt.
Noch dazu war er mein Adoptivvater.
„ Ich gehe jetzt. Wir sehen uns zuhause ", sagte Pseseus und verschwand durchs Fenster.
Ich sah ihm nach und ging kurz darauf nach der Pause in den Unterricht.

Mein Leben. Ich könnte es euch in 3 Wörtern erklären: Leid. Schmerz. Hass.
Hörte sich das für euch gut an? Wahrscheinlich nicht. Denn jeder verband mit seinem Leben ja auch Liebe. Aber wenn ich nun keine Liebe empfand. Wenn ich gar nichts empfand außer Leere. Eine Folge des Leides und des Schmerzes.
Aber wen hatte ich Hass? Die Frage war leicht.
Auf mich selber. Nun, was haltet ihr davon?
Hm... Mal überlegen. Der ist nicht ganz bei Sinnen. Dachtet ihr mal darüber nach? Wohl kaum.
Ich erzählte ich euch nun meine Geschichte.Stückweise, denn alles aufeinmal würde selbst ich nicht verkraften. 

 

 


Kapitel 2

 

 




Montagmorgen, der 12.3.2002
10:30 Uhr




„ Mama! " , schrie ich durch die Wohnung, „ wo ist mein Tiger?"
„Welcher? Der orange?" , rief sie zurück.
„ Ja!" Ungeduldig bewegte ich mich hin und her.
Geschlagene 5 Minuten später kam meine Mutter zu mir; den orangenen Tiger im Arm.
Sie kniete sich vor mir hin und sah mir tief in die Augen.
„ Hier, mein kleiner Matt" , lächelte sie und gab mir den Tiger, den ich fest knuddelte.
„ Danke, Mama" , sagte ich leise.
Sie zog mich an sich und drückte mich fest.
„ Matt?" , fragte sie leise und strich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ich wartete darauf, dass sie weiterspricht.
„ Papa kommt nicht mehr hierher" , meinte sie mit fester Stimme und schätzte meine Reaktion ab.
Für einen 10- Jährigen verstand ich viel.
Manchmal zu viel.
„ Lieben du und Papa euch nicht mehr?" , wollte ich wissen. Meine Kinderstimme klang ein paar Oktaven zu hoch.
„ Doch, doch" , sagte sie beschwichtigend und ein wenig zu schnell, „wir lieben uns, aber Papa hat einen neuen Job."
„Einen neuen Job? Warum?" Ich sah sie fragend an. „ Will Papa nicht mehr bei mir sein?"
Leise schluchzte ich und meine Mutter drückte mich.
„ Er will nicht mehr bei mir sein" , flüsterte sie leise.
„ Aber-" Ich wurde unterbrochen.
„ Du bist doch ein großer Junge, oder?"
„ Ja , Mama“, sagte ich mit fester Stimme.
„ Okay. Bitte höre mir jetzt gut zu“ , meinte sie und streichelte liebevoll meine Wange.
Ich nickte und wartete.
„ Ich will dich nicht mehr belügen“ , seufzte sie, „ Papa hat eine neue Frau. Er will dich und mich nicht mehr sehen. Er hat uns aus seinem Leben geschmissen.“




Kapitel 3

 

 




Mein Handy klingelte. Im Cafè in dem ich saß, war es nun rappelvoll. Wie lange saß ich hier schon und blickte vor mich hin? Ich schaute auf die Uhr.
15:46 Uhr. Seit einer Stunde. Seufzend erhob ich mich. Langsam machte ich mich auf den Weg zum wöchentlichen Treffpunkt der jugendlichen Seelenfänger.
Ich fuhr mir durch die pechschwarzen Haare.Meine blaugrünen Augen reflektieren irgendwie das Sonnenlicht. Es war sehr heiß heute und ich trug immer noch meine blöde Schuluniform. Ein Hemd, eine Weste, ein Jackett und eine Stoffhose. Alles in blau.
Nach etlichen Minuten kam ich endlich an und Hayley kam mir entgegen und umarmte mich. Meine Umhändetasche fiel zu Boden und ich erwiderte ihre Umarmung halbherzig.
Sanft schob ich sie weg.
„ Hey" , lächelte ich und hob meine Tasche auf.
Sie grinste über beide Ohren. Hayley war hübsch. Sehr hübsch sogar.
Ihr ovales Gesicht war pickelfrei und ein Vollponi verdeckte ihre Stirn.Die langen blonden Haare waren zu einem Dutt zusammengebunden, die Lippen waren voll und rot und sie roch immer gut. Aber ich empfand nichts für sie. Egal wie nett sie zu mir war, ich empfand für niemanden was. Außer für Pseseus. Oder Danny. Wer Danny war, würde ich euch später erklären.
Hayley nahm freundschaftlich meine Hand und zog mich in den Freizeitraum.
Hier hangen wir die meiste Zeit ab, solange bis der Unterricht begann.
Ich nahm diesen Unterricht erst seit 4 Jahren. Trotzdem war ich der beste hier. Und nur zur Info: ich war nicht eingebildet oder selbstverliebt. Ich sprach hier nur die Wahrheit.

Joshua, Mike, Chloe und Karen warteten schon auf mich und Hahley.
„ Ein neues Traumpaar?“ , rief Joshua mir lachend schüttelte seine unausstehlichen Locken.
Wie ich sie hasste.
„ Lass’ stecken“ , gab ich genervt zurück und ließ Hayles Hand los.
Sie seufzte und setzte sich neben Karen, die sofort anfing mit ihr zu tuscheln.
Karen war schon heiß. Das musste ich zugeben. Wäre sie doch nur nicht mit Joshua zusammen, dann hätte aus uns vielleicht was werden können.
Ich erkläre euch mal, warum Joshua so eine Verschwendung ist.
Joshua ist ein Nerd. Wie soll ich das erklären. Ein richtiger Nerd.
Er liest Wissensmagazine und hört Beethoven. Ganz abgesehen davon, dass er Kreuzworträtsel auf der Toilette macht und Alberteinstein imitiert, reißt er Witze die keiner außer ihm verstehen. Außer Karen natürlich.
Sie liebte ihn abgöttisch. Warum verstand ich auch nicht. Karen war an ihrer Schule Cheerleader Kapitän und echt beliebt. Sie hatte kurze blonde Haare, einen Seitenschal und leuchtend blaue Augen. Genauso wie Hayley.
Hayley und sie waren wie Zwillinge vom Aussehen her. Aber Karen begehrte ich wegen etwas anderem. Wegen ihrer Art. Ihrem Charakter. Sie schenkte Joshua soviel Liebe.
Wäre ich mit ihr zusammen, dann bräuchte ich genauso viel Liebe. Von da an würde ich abhängig werden. Aber Karen würde ich niemals lieben. Ich würde nur ihre Nähe begehren. Das Gefühl jemand anderes zu sein mit ihr. Aber Liebe verband ich auch nicht mit ihr.
Mit wem verband ich Liebe? Diese Frage werde ich euch nicht beantworten. Das könnt’ ihr selber herausfinden.
Ich schaute zu Mike, der Hayley wie ein Stalker beobachtete. Er war von ihr besessen.
Mike. Wie sollte ich euch erklären, wer Mike war.
Mal nachdenken.
Mike liebte es zu skaten. Er hatte diese typische Skaterfrisur. Braune Haare.
Braune Augen. Und er stand dermaßen auf Hayley, dass es einen Angst machte.
Sogar mir.
„ Mike?“ , fragte ich ihn.
Er zögerte und antwortete dann: „ Was gibt’s?“ Jedoch blieben seine Augen auf Hayley gerichtet.
„ Ach nix.“ Hier habt ihr den Beweis. Er schaut sie die ganze Zeit an!
Ich schaute mich in der Runde um. Über wen hatte ich noch nicht gesprochen?
Ach ja, Chloe! Chloe, Chloe, Chloe…
Chloe war eine Streberin. 1,0. Das war ihr Durchschnitt. Krass oder? Na ja. Sie machte immer zusätzliche Hausaufgaben. Woher ich das wusste? Wir besuchten die gleiche Schule.
Nur andere Kurse.
Auf jeden fall band sie sich die Haare immer zu einem festen Pferdeschwanz zusammen und trug ihre Brille. Eine seltsame große schwarze Brille. Mit ihren 16 Jahren trug sie noch ihre Zahnspange. Sie zog sich immer adrett an.
Als ich ihren Hals näher betrachtete fiel mir sofort was auf. „ Chloe!“, rief ich überrascht aus.
Vor Schreck lies sie ihr Buch fallen. „ Was ist, Matt?“
„ Du hast einen Knutschfleck!“ Der Rest der Truppen hörte aufmerksam zu und sahen jetzt auch den Knutschfleck.
„ Von wem ist der denn?“, wollte Joshua wissen. Er lachte. Während ich euch von Chloe erzählt hatte, ist Karen zu Joshua gegangen und nun kuschelten beide.
Hayley hatte kurz mit jemandem telefoniert.
Nun starrten alle wie gebannt auf Chloes Knutschfleck.
„ Ähm“ , stotterte sie , „ Der ist von meinem Freund.“ Nun sprach sie das aus, was alle hören wollten.
„ Seit wann hast du einen Freund? Nicht mal Hayley hat einen bis jetzt!“ , sagte Karen und gab Joshua einen Kuss, den er kurz erwiderte.
Bäääh.
„ Lange.“ Mehr wollte sie uns nicht verraten. Ich ließ das Thema fallen und nahm Hayles Hand und führte sie raus.
Sie sah mich fragend an. „ Matt ist was?“
„ Mike. Er beobachtet dich die ganze Zeit!“, flüsterte ich aufgeregt.
„ Wir waren mal heimlich zusammen“, gestand sie mir kleinlaut.
„ Was?!“ Fassungslos sah ich sie an. „ Wie lange?“
„ 1 Jahr.“ Sie seufzte. „ Jedoch empfand ich nichts mehr für ihn. Ich hatte mich neu verliebt.“ Sie sah mir in die Augen und ich wusste , dass ich gemeint war.
„ Aber er will dich zurück“, schloss ich.
Sie nickte. „ Ja. Aber ich ignoriere das.“
„ Mit wem hast du vorhin telefoniert?“, fragte ich sie und hielt ihre Hand immer noch.
„ John.“ Ihr Mentor.
„ Was wollte er?“
„ Na Ja“, fing sie an, „ ich habe eine neue Seele bekommen. Lara Klein. Sie ist 33 Jahre alt.
Ich fange morgen an.“ Sie seufzte.
Ich nahm sie in die Arme.
„ Ich würde dich so gerne lieben“, flüsterte ich ihr ins Ohr , „ aber ich weiß nicht mehr was Liebe ist. Es tut mir leid.“
Ich hörte sie leise schluchzen. „ Schon okay.“
Eine Weile hielt ich sie im Arm. „ Der Lehrer kommt gleich“; hörte ich sie sagen.
Plötzlich hatte ich das Lied You found me im Kopf.
Ich drückte sie von mir. Wir sahen uns in die Augen und ich küsste sie unüberlegt.
Anfangs kam sie mit der Situation nicht klar, jedoch erwiderte sie den Kuss dann.
Ich legte die Hände an ihre Taille und sie schlang ihre Arme um meinen Hals.
Durch ein Räuspern wurden wir gestört.
John. Ein kleiner Zierlicher Mann. Blonde Haare. Braune Augen.
„ Rein mit euch“; sagte er, „ heute übernehme ich den Unterricht.“
Peinlich berührt ging Hayley rein. Jedoch ging ich Gefühllos rein. Und mal wieder fühlte ich nichts. Und dafür hasste ich mich noch mehr.


Kapitel 4

 

 



Endlich war der verdammte Unterricht vorbei.
Schnell ging ich als erster aus der Klasse, um ein unangenehmes Gespräch mit Hayley durchführen zu müssen.
Ich musste mich jetzt auf Lynn konzentrieren!!
Mein Weg setzte ich in der Stadt fort.
Hier musste Lynn eigentlich immer sein, der Akte nach.
Da! Ich entdeckte sie alleine in Starbucks.
Ich betrat Starbucks und stellte mich wie jeder andere hier an, um unauffällig zu wirken.
Dann setzte ich mich an einen Tisch nicht weit von ihren.
Ich machte mir Notizen zu ihrem Verhalten. Studierte es.
Für mich persönlich ergab es keinen Sinn das Leben einer 16 Jährigen zu beenden. Sie hatte doch noch alles vor ihr und ich müsste ihre Seele aussagen. Diese Gabe brachte einen echt in einer Zwickmühle. Einerseits war es Pflicht, egal welche Seele es war, sie einzufangen. Aber andereseits wurde es meistens persönlich. Und das durfte einem ja nicht passieren. Was interessierte sie mich eigentlich? Ich hatte schon tausende Leute gehabt dessen Seelen ist einfangen sollte.
Und über keinen hatte ich so gegrübelt.Was unterschied Lynn also von den anderen?
Ich fixierte Lynn unauffällig und ich sah wie sich ein älterer Junge, ca. 19 Jahre alt, setzte sich zu ihr und küsste sie.
Sie hatte einen Freund? Ich durchstöberte ihre Akte und fand den vermeindlichen Freund.
Nick. Soso.
Als ich wieder aufblickte liefen beide Hand in Hand aus dem Coffeeshop.
Ich sah ihnen nach. Und weg.


Kapitel 5

 

 

 

Montagmorgen, der 12.3.2002
11:00 Uhr





„Wie meinst du das, Mama?",fragte ich leise.
„ Er will ohne uns weiter leben. Mit einer neuen Frau, neuen Kindern." Meine Mutter kämpfte mit den Tränen.
„ Aber Papa hat doch mich!" Ich schluchzte.
„ Dich will er auch nicht mehr, mein Süßer."Ihre Worte waren zu viel für mich.
Ich rannte in mein Zimmer, warf mich auf mein Bett und weinte. Den ganzen Tag tat ich nichts anderes als dies.

Für mich war mein Vater ein Verräter in diesem Moment. Ich hasse ihn ab da. Wie sollte ein kleiner Junge Hass empfinden denkt man sich, nicht wahr?
Aber ich konnte es. Meiner Mutter schenkte ich Liebe. Niemand anderem sonst. Wer hatte sie auch schon verdient? Jeder hätte mich wieder verlassen können. Genauso wie mein Dad. Da stellt sich die Frage, warum ich es bei meiner Mutter nicht dachte, dass sie einfach verschwinden könnte.
Nun ja, sie war halt meine Mutter. Und seiner Mutter schenkte man ja bekanntlich all die Liebe, die man hatte, oder?
Nun ja. Bekanntlich.


Kapitel 6


Ich lag in meinem Bett. Starrte an die Wand. Es wurde an die Tür geklopft und bevor ich „Herein", sagen konnte stand Perseus schon im Zimmer.
„Was gibts?", wollte ich von ihm wissen. Perseus schwieg und ich stand auf. „Los, rück schon mit der Sprache raus", drängte ich ihn nun. Allmählich formte sich sein Mund zu einem Lächeln und er fing an lauthals loszulachen. Völlig verwirrt starrte ich ihn an und urplötzlich verstand ich: Er hatte mich reingelegt. Ich stimmte in sein Lachen ein. „Hast du dir schonmal deine neue Seele angeguckt?", fragte Perseus mich und ich nickte.„Sie ist sehr jung. Wieso soll ich ihr ihre Seele entziehen?" Fragend sah ich ihn an und er überlegte einen Moment. „Ihre Zeit ist gekommen", meinte Perseus langsam. Das war keine richtige Antwort.Auch Perseus bemerkte, dass ich mich nicht mit dieser Antwort zufrieden geben würde und fügte dann noch hinzu: „Es gibt da eine bestimmte Tafel in dem Hauptquartier in New York. Da erscheinen jährlich tausende von Namen. Und dieses Jahr stand Lynns Name drauf."Ich zog meine Augenbrauen zusammen und plötzlich realisierte ich etwas:„Das heißt jeder von uns könnte dran kommen?" Perseus nickte und mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich hatte meine Aufgabe immer einfach erledigt und nie gefragt, wieso ich das Leben all dieser Menschen beenden musste. Menschen starben, weil auf einer verdammten Tafel Namen erschienen? Das war totaler Schwachsinn. 

„Lynn wird also sterben müssen, weil irgendeine Tafel Namen erscheinen lässt? Das ist doch total unsinnig!", gab ich empört von mir und Perseus lächelte. Plötzlich wirkte er so alt und weise. „Manche Dinge sollte man einfach akzeptieren. Gute Nacht." Mit diesen Worten verabschiedete er sich und ich wusste, damit war das Thema für ihn abgeschlossen. Vorerst, dachte ich mir und musste über meine eigene Sturheit grinsen.

Ich war noch lange nicht bereit schlafen zu gehen, deswegen entschied ich mich ein wenig frische Luft zu schnappen.  Nachdem ich mir meine Lederjacke übergezogen hatte, schlüpfte ich in meine Vans und schlich mich aus dem Haus. Perseus würde nur unnötig Stress machen, also brauchte er nichts davon zu erfahren.

Ich irrte einige Zeit umher und wusste gar nicht, wohin ich wollte.Ein mir sehr vertrautes Gefühl machte sich in mir breit: Einsamkeit. Ich bevorzugte die Einsamkeit. So musste man keine Erwartungen von Menschen erfüllen, die man am Ende sowieso nicht umsetzten konnte. Mir war es lieber für mich zu sein. Starbucks war noch geöffnet und ich beschloss mir einen Kaffee zu kaufen und wen ich dort traf , verblüffte mich. Lynn saß an einem Tisch ganz hinten und war alleine. Die perfekte Chance, fiel mir sofort auf. Wie von alleine bewegten sich meine Füße in ihre Richtung und im nu war ich bei ihr angekommen. Sie war sehr hübs. Lynn besaß makellose Haut. Ihre langen braunen Haare fielen  ihr als leichte Locken über den Rücken und ihre katzengrünen Augen blickten zu mir hoch.Sie trug einen schlichten weinroten Pullover, dazu eine schwarze Jeans und graue Chucks. An ihrer Hand baumelten unzählige Armbänder und ihre Finger waren übersäht mit kleinen Ringen. 
„Kann ich dir helfen?", fragte sie mich dann und ihre Stimme kam mir angenehm bekannt vor. „Darf ich mich setzen?" Sie sah sich kurz um und nickte dann verhalten. „Ich bin Matt", stellte ich mich ihr vor und sie erwiderte knapp: „Lynn."

„Wie gehts dir so?", wollte ich von ihr wissen und trank einen großen Schluck von meinem Kaffee. Sie zuckte mit den Schultern und lächelte leicht. „Ganz gut und dir?"

Ich lächelte ebenfalls leicht und erwiderte:„Mir auch. Ist schon relativ spät, oder?"

Sie sah mich verwirrt an und sah auf ihre Uhr.„Es ist ja schon 23 !", rief sie erschrocken aus.„Ich habe gelesen", sagte sie und zeigte auf ihr Buch, dass auf ihrem Schoß platziert war. Sie stand ruckartig auf und packte ihre Sachen zusammen. Anschließend zog sie ihre Jacke an . „Ich muss gehen", teilte sie mir dann mit. Ach wirklich, dachte ich mir. „Soll ich dich nach Hause begleiten?", bot ich ihr an und sie lachte auf. Sie hatte ein wunderschönes Lachen fiel mir auf und es war überraschenderweise herzerwärmend.

„Ich kenne dich doch gar nicht", sagte sie und sah mir direkt in die Augen,„du könntest auch ein Verrückter sein." Ich zuckte mit den Schultern und meinte dann: „Na dann eben nicht.Man sieht sich." Gerade als ich mich in Bewegung setzte sagte sie: „Das war nicht so gemeint. Kannst du mich bitte nach Hause bringen?"

Ich nickte und wir liefen gemeinsam aus Starbucks. „Wie alt bist du eigentlich?", erkundigte sie sich, wohlmöglich um Small Talk zu betreiben. „Wie alt schätzt du mich denn?"

Sie sah mich kurz von oben nach unten an und sagte dann: „19?" Ich musste leicht grinsen und nickte.„Ich werde in 2 Wochen 19 ", verriet ich ihr und nun war ich wohl an der Reihe mit Fragen stellen.

 „Hast du einen Freund?", fragte ich, obwohl ich die Antwort ja schon wusste. Sie nickte und sah mich dann schuldbewusst an.„Findest du, ich betrüge ihn gerade mit dir?" In ihrem Gesicht war deutlich zu erkennen, dass sie von Schuldgefühlen geplagt wurde. Ich schüttelte den Kopf.„Solange ich dich nicht küsse und wir unsere Nummern austauschen nein." Ich hatte das Gefühl ich musste sie anlächeln ,weshab ich es auch tat. Im Nu verwandelte sich ihre traurige Miene zu einem Lächeln.

Den restlichen Weg über schwiegen wir und nach 10 Minuten kamen wir vor einem prächtigen Haus zum Stehen. „Da sind wir", verkündete sie und ich brachte nur ein „Wow", über die Lippen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hatte etwas besonderes an sich, was mich in ihren Bann zog. „Dann heißt das wohl gute Nacht", meinte ich rasch und wandte ihr sofort den Rücken zu, ohne auf ihre Antwort zu warten. Mit schnellen Schritten lief ich nach Hause und dachte dabei auf unerklärliche Weise nur an Lynn.

 

 

Der nächste Tag war´herangebrochen und nur mühsam konnte ich mich aufrappeln. Völlig erschöpft stieg ich unter die Dusche und hoffte durch das kühle Wasser wach zu werden. Während das kalte Wasser auf meine Haut prasselte , schweiften meine Gedanken zu Lynn. Die Regeln des Seeleneinfangens erschienen mir all die Zeit über recht plausibe : Als erstes erhielt man eine Akte über die jeweilige Person, um sie ausfinding zu machen. Sobald dies erfolgt ist, beobachtet man sein Objekt eine Zeit lang vom Weiten und studierte Verhaltensweisen und Umgebungen, in denen sich das Objekt aufhielt. Anschließend musste man Kontakt zu aufbauen, damit eine gewisse Vertrautheit entsteht , die jedoch nicht zu Liebe werden durfte. Wenn dies erledigt ist, musste man einen richtigen Zeitpunkt finden, um mit dem Seelenaussaugen zu beginnen, denn dies dauerte in der Regel mindestens 2 Stunden. Die Seele wird in einen runde Box, die mit verschiedensten Runen und Schriften verziehrt ist, geleitet und der Körper wird dort gelassen, damit die Familie die Person auch für Tod erklären konnte, ohne das man etwas vermutet. Dieses Vertrautheit, die aufgebaut werden musste, war wichtig für das Aussaugen einer Seele, denn Seelen lassen sich nur von vertrauten Seelen aussaugen. 
Leider hatte ich den Fehler gemacht,mich Lynn viel zu schnell vorzustellen. Das Beobachten aus der ferne würde sich absofort schwieriger gestalten. Sobald sie mich entdeckte , würde sie mich für einen Stalker oder so halten. Das heißt, ich musste von jetzt offensiv an die Sache rangehen. Ich musste mich mit ihr anfreunden.
Somit würde ich den Schritt dazwischen einfach überspringen. Perseus musste davon auch nichts erfahren. Er würde mir nur unnötige Reden wie „es ist wichtig, dass du die einzelnen Schritte befolgst!" Halten und darauf hatte ich um Gotteswillen keine Lust. Ich drehte das Wasser ab und trat aus der Dusche. Sofort wickelte ich mir ein Handtuch um und betrat wieder mein Zimmer. Nachdem ich mich angezogen hatte, nahm ich meine Tasche und ging in die Küche, wo ich auf Perseus traf.
„Wo warst du noch nach unserem Gespräch?", fragte er mich , ohne von seinem Pancake aufzublicken.
„Das heißt guten Morgen", erinnerte ich ihn mürrisch und griff nach einem Pancake. „Bist du etwa mit dem falschen Fuß aufgestanden?", wollte Perseus wissen und warf einen flüchtigen Blick auf mich.„Nein, ich habe einfach keine Lust in die Schule zu gehen. Das ist ja wohl nichts neues", sagte ich und aß ein Stück von meinem Pancake.
Perseuse ahmte mich mittels mürrischer Laute nach und ich musste unwillkürlich lachen. Er hatte wirklich die Fähigkeit jeden zum Lachen zu bringen.
„Du hast heute nach der Schule wieder Unterricht mit den Anderen", teilte mir Perseus mit und ich stöhnte auf.„Die haben echt keine Ahnung", murrte ich vor mich hin.
„Ihr seid dort zum Lernen, Matt.", erläuterte er. Ich lachte kurz auf.„Die lernen ja nichts mal. Jedes Mal machen sie die gleichen Fehler", sagte ich spöttisch und trank von meinem Glas Orangensaft.
„Hochmut ist eine schlechte Eigenschaft , Matt", meinte Perseus und sah mich mit einem vielsagenden Blick an.
„Das ist kein Hochmut, sondern nur die Wahrheit!", sagte ich aufgebracht und stand auf. Ohne mich zu verabschieden, ging ich aus dem Haus und machte mich auf den Weg zur Schule.

 

Dienstag, der 13.03.2002
15 Uhr

 

„Wo bleibt meine Mommy?", schrie ich die Lehrerin an und sie sah ziemlich überfordert aus. 
„Deine Mommy ist gleich da, Matt. Nicht traurig sein", versuchte sie mich zu beruhigen, doch ich schrie weiter, bis meine Mutter endlich auftauchte.
„Wo waren sie denn?", fragte meine Lehrerin meine Mutter wütend.„Matt hat schon seit 2 Stunden Schluss! So geht das nicht weiter. Das ist nicht das erste Mal, Misses Riley."
„Es tut mir schrecklich Leid", entschuldigte sich meine Mutter und nahm mich bei der Hand, „das wird nicht wieder vorkommen." Mit diesen Worten setzte meine Mutter sich in Bewegung und ich folgte ihr.
Den ganzen Weg bis nach Hause schwieg sie und auch meine Rufe ignorierte sie. Erst als wir zu Hause waren, brach sie endlich ihr Schweigen.
„Es tut mir so Leid, mein Kleiner"; sagte sie und tätschelte mein Gesicht ab. Ich sah sie böse an. Ein Neunjährige Junge war noch nicht auf dem geistigen Niveau, um die Entschuldigung anzunehmen.
„Nein, du hast mich vergessen. Schon wieder! Du liebst mich gar nicht! Genauso wenig wie Papa mich liebt!", schluchzte ich und ließ mich auf den Boden fallen. Mit den Fäusten schlug ich auf den Boden.
Meine Mutter packte meine Fäuste und sagte :„Wie kannst du soetwas sagen? Du bist mein ein und alles, Matt. Du und ich werden für immer zusammen bleiben!"
Mit meinen Händen wischte ich mir trotzig die Tränen weg und meine Mutter holte ein Spielauto aus ihrer Tasche. „Ich kam zu spät, weil ich das für dich gekauft habe." Sie lächelte mich herzlich an und drückte mir das Spielauto in die Hand.
Sofort war meine Wut verraucht und ich schlang meine Arme um den Hals meiner Mutter.

 

Kapitel 7


Kurz vor 8 Uhr betrat ich das Schulgebäude und traf auf Chloe. „Hey Matt", begrüßte sie mich und ich nickte ihr zu. Gerade als ich weiter gehen wollte, hielt sich mich am Arm fest. „ Kann ich mit dir reden?", fragte sie und ich seufzte auf. „Was gibt es denn?", wollte ich von ihr wissen. Ich versuchte nicht genervt zu klingen, obwohl ich das war. „Du weißt schon, dass Hayley auf dich steht, oder?" Chloe sah mich fragend an. Ich nickte. „Und das ist dir total egal?" Ich konnte Entsetzen auf ihrem Gesicht erkennen. „Chloe, ich mag Hayley. Aber eins musst du wissen, ich bin zu solchen Gefühlen nicht fähig!", machte ich ihr klar und ging davon.
Wieso erwarteten alle von mir, Hayleys Gefühle zu erwidern? Ohne mich war sie doch viel besser dranne. Ich verstand überhaupt nicht, was sie an mir fand. Ich hatte ihr niemals irgendwelche Hoffnungen gemacht, darin war ich mir sicher. Dennoch liebte sie mich auf unerklärlicheweise. Das machte mich unglaublich wütend, weshalb ich anhielt und mit voller Wucht meine Faust auf einen Spind schlug. Das gleiche tat ich wieder und wieder.Als meine Knöchel anfingen zu schmerzen, hörte ich auf und setzte meinen Weg zur Klasse fort.


Nach dem Unterricht eilte ich direkt aus dem Schulgebäude, um einem weiteren Gespräch mit Chloe zu entgehen. So oder so würde ich sie später beim Trainig wieder treffen, doch jetzt war mein Maß an Chloe überzogen. Ich ging zu Starbucks und bestellte mir einen Frapuccino. Anschließend setzte ich mich und schloss meine Augen, während ich von meinem Getränk trank. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, doch ich wurde von einem „Hey", aus meiner Starre geweckt. Ich schlg meine Augen auf und blickte in das Gesicht von Lynn.
„Hey", meinte ich lässig, wobei ich meine plötzliche Nervosität gekonnt überspielte. „Kann ich mich setzten?", fragte sie und ich nickte.„Du bist oft hier", stellte ich fest. „Ich treffe mich hier immer mit meinem Freund", meinte sie und nippte an ihrem Kaffee. „Ist er sehr eifersüchtig?", fragte ich und versuchte dabei recht interessiert zu klingen, obwohl es mich nicht kümmerte, wie ihr Freund so war.
Lynn fuhr sich durch ihre Haare. Sie trug ein Sommerkleid, das ihr bis zu ihren Knie ging. Dazu trugt sie Chucks und den gleichen Schmuck wie gestern. „Er ist nicht wirklich eifersüchtig", meinte sie und ich glaubte ein wenig Traurigkeit herauszuhören. Mir wurde mulmig. Mir gefiel es nicht, dass sie traurig war.
„Er steht einfach drüber. Eifersucht ist kein Maß für die Liebe", versuchte ich sie aufzumuntern; erfolglos.
„Kann sein", flüsterte sie auf ihre Tasse blickend. „Auf welche Schule gehst du?", wechselte ich das Thema und schon befand ich mich in einem Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie auf genau die gleiche Schule ging wie Hayley, die Max-Brown-High School. Ich redete nicht viel, hörte ihr aber aufmerksam zu. Lynn besaß einen jüngeren Bruder und ihre Eltern waren geschieden, was ich alles schon wusste. Trotzdem hing ich an ihren Lippen und langweilte mich nicht eine Sekunde.
Wir wurden von ihrem Freund Nick gestört. „Hey", begrüßte er uns und drückte Lynn einen innigen Kuss auf. Er wollte sein "Eigentum" markieren. „Das ist Matt, ein Freund von mir", stellte Lynn mich vor und ich nickte Nick zu. Nick war etwa 1,90 m groß und hatte einen muskulösen Körper.
Seine Anwesenheit machte mich auf unerklärliche Weise ungeheuer wütend.Ich reichte Nick meine Hand, woraufhin er ebenfalls seine Hand ausstreckte und wir kurz unsere Hände schüttelten. Kurz danach waren er und Lynn schon Hand in Hand auf dem Weg heraus aus dem Cafe. Ich blickte ihnen nach. Währenddessen versuchte ich ihre Beziehung nachzuvollziehen. Wie musste sich Liebe wohl anfühlen?, fragte ich mich, jedoch schüttelte ich diesen Gedanken schnell wieder ab. Was interessierte mich das denn? Ich brauchte keine Liebe. Sie würde mir eh nichts bringen, genauso wenig wie mir die Liebe zu meiner Mutter brachte. Sie hatte mich nur zerstört.


„So, Leute. Das war es für heute! Wir sehen uns dann nächste Woche Dienstag", schloss der Lehrer unsere Unterrichtseinheit ab. Ich begann hastig meine Sachen zusammenzupacken, da ich Hayley aus dem Weg ging. Ich war nicht darauf bedacht in irgendeinem sinnlosen Gespräch mit ihr verwickelt zu sein. Jedoch machte Chloe mir einen Strich durch die Rechnung.
„Matt, wir wollen noch etwas trinken gehen. Alle sind dabei!" Sie sah mich erwartungsvoll an. Nach kurzem Überlegen stimmte ich zu und wir alle gingen in Joes. Das war ein beliebte Studentenbar, die auch ein Sammelort für Teenager unserer "Art" war. Schon witzig, wie sehr wir uns von den anderen Teenagern unterschieden. Unwillkürlich musste ich an Lynn denken. Lynn, die so unscheinbar wirkt, gleichzeitig aber auf eine Weise besonders ist, die ich schon lange nicht mehr erlebt hatte. Eine Art, die mich berührte. Eine Art, wie die meiner Mutter.

Karen riss mich aus meinen Gedanken. „Für dich auch ein Bier?", fragte sie, woraufhin ich nickte. Joshua, Chloe, Hayley und Mike hatten schon Platz genommen. Ich gesellte mich anschließend mit Karen und den Getränken zu ihnen und eine heiße Diskussion über Frank Sinatra wurde entfacht. Halbherzig folgte ich dem Geschehen, wobei mir Hayleys Blicke nicht entgingen. Als die Live- Band einen langsamen Song spielte, zog Hayley mich auf die Tanzfläche. Völlig perplex wies ich sie nicht ab, sondern hielt mit ihr Schritt. Sie legte meine Arme auf ihre Hüften und umschloss meinen Hals mit ihren Armen. Unsere Lippen waren nurnoch einige Zentimeter voneinander entfernt, jedoch blieben die Funken aus. Ich wusste, dass Hayley nicht die Richtige für mich war.
„Was soll das Hayley?", fragte ich schließlich, blieb aber in gleicher Entfernung zu ihr. „Ich will tanzen , Matt. Mehr ist da nicht!" Unschuldig sah sie mich an und ich schmunzelte nur. Schmunzeln tat ich aber eher aus Mitleid als aus Zuneigung. Wir bewegten uns einige Zeit zur Musik.
„Möchtest du nicht mit jemanden tanzen, der wenigstens mit dir tanzen möchte?", wollte ich von ihr wissen. Sichtlich verletzt von meinen Worten ließ sie mich los und stampfte davon. Sie ging zurück an den Tisch, wohin ich ihr folgte. Karen musterte uns beide und grinste leicht. Ich grinste zurück. Ich war echt fies.
„Wie läuft es mit deinem Objekt?", fragte Joshua mich , während er an seinem Getränk nippte. Sein Bier schwappte leicht über das Glas und der kleine, aber stilvolle Bartisch war leicht beschmutzt mit Tropfen. Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich habe mich ihr vorgestellt. Dabei hat ihr Freund mich nicht sehr herzlich aufgenommen", lachte ich und Joshua stimmte in mein Lachen mit ein.
„Verständlich", erwiderte er wehmütig. So wehmütig wie immer gab sich Joshua. Es ekelte mich an. Wie konnte man so ein guter Mensch sein wie er? Liebte Karen ihn deshalb so abgöttisch? Weil sie das Gefühl hatte , dass er ein guter Mensch war. Urplötzlich fühlte ich mich nicht mehr wohl. Wollte nur weg.
„Ich muss los", verabschiedete ich mich hastig und stürmte hastig aus der Bar. Einige Minuten später hielt ich schließlich an. Mein Atem ging stoßweise. Ich hatte das Gefühl keine Luft zu kriegen.

 

Freitag, der 16.03.2002
7 Uhr

„Mommy?", schrie ich durch die Wohnung, jedoch erhielt ich keine Antwort. Verunsichert lief ich ins Zimmer meiner Mutter. Sie lag heulend auf dem Bett. Ich kletterte zu ihr aufs Bett.
„Mommy?", fragte ich erneut und wieder bekam ich keine Antwort.

Anstatt weiter nach ihr zu rufen, schmiegte ich mich an sie.

 

 

Ich lief einige Zeit umher und wusste nicht mehr, wie spät es war. Um ehrlich zu sein war mir das auch herzlich egal. Nach dem Aufenthalt in der Bar ging es mir echt beschissen, sodass ich nicht sofort nach Hause ging, sondern bisschen frische Luft schnappen wollte. Ohne das ich es wusste, hatten mich meine Beine zu Starbucks geführt. Mein Herz sagte mir, dass Lynn dort sein würde und ich behielt recht. Beim Betreten des Cafes stand sie gerade mit einer sehr attraktiven Blondine an der Kasse. Sie wandte sich abermals um, als sie die Tür aufgehen hörte und begrüßte mich mit einem Lächeln. 

„Hey", sagte ich lässig und richtete meinen Blick anschließend auf Lynns Begleitung. Sie musterte mich ebenfalls.„Das ist meine Freundin Jessica", stellte Lynn ihre Freundin vor und wir beide sahen uns eingiebig an.

Ich hatte das Gefühl, Jessica war eine Person mit der man Spaß haben könnte. Ihr wisst auch bestimmt, welche Art von Spaß ich meine. Doch irgendwie reizte mich dieser Gedanke nicht so stark wie Lynns Denken über mich, falls ich dies mit Jessica täte. „Ich bin Matt", erwiderte ich schließlich. „Hey Matt", kicherte Jessica kindhaft.„Wir setzen uns dann mal hin, war schön dich wiederzusehen", meinte Lynn schließlich und zog ihre Freundin mit sich, die mir noch nachblickte. Geschmeichelt war ich zumindestens schon, jedoch blieb es auch dabei. Ich verspürte keinen Drang dazu sie mit ins nächste Hotel zu nehmen.

Seufzend bestellte ich mir einen Kaffee und setzte mich auf einen Sessel, der weit entfernt von Lynn und ihrer Freundin stand. Die leise Musik ausblendend sank ich tief in meine Gedanken. Schritt für Schritt versuchte ich mich auf meinen Atem und schließlich auf meinen Herzschlag zu konzentrieren, um eine innere Ruhe zu erreichen, da ich mich immernoch etwas mitgenommen fühlte. Joshua konnte nicht wirklich was dafür, aber sein Wesen rief in mir tiefe Selbstzweifel auf, denn er war jemand, der jedem ein guter Freund war. Wenn dies das Ideal eines Menschens war, wie empfanden die Menschen dann mich? Wurde ich nur wegen meinem guten Aussehen gemocht oder gab es wirklich Menschen, die meine tiefe, schwarze Seele liebten? Dies erschien mir abwägig, denn ich selbst ekelte mich über alle Maßen von mir selbst. Wie konnte also Hayley zum Beispiel solch tiefe Gefühle für mich hegen zumal ich ja auch immer abweisend zu ihr war? Sofort meldete sich wieder meine dominante Seite, die mich dazu brachte all das auszublenden und mich nicht weiter damit zu beschäftigen. Sollten die Menschen doch denken, was sie wollen. Die Wahrheit lässt sich einfach nicht verstecken. Langsam glitt ich wieder in die Realität und entdeckte Jessica, die sich auf die Sesselkante gesetzt hatte. „Du warst kurz weg", bemerkte sie lächelnd. Ich zuckte mit den Schultern. „Hast du vielleicht Lust noch mit zu mir zu kommen?", wollte sie keck wissen und mein Blick glitt sofort zu Lynn, die mich hilflos ansah.

Mein verletzte ICh von vorhin hätte jetzt dankend abgelehnt, aber meinem selbstzerstörerischen Ich gefiel dieser Gedanke.„Wieso nicht?", antwortete ich und erhob mich. Jessica sah mich frech an und fasste mir an die Hand. Sie winkte Lynn zu, die uns schockiert nachsah. Ja, ich war wohl doch der Böse.

 

 

Die Sonnenstrahlen weckten mich auf. Sehr mühsam blinzelte ich auf und fand mich in einem pinken Zimmer wieder. Der Raum war sehr pompös eingerichtet. Das Bett auf dem ich lag war riesig und gegenüber stand ein enorm großer Wandschrank. Rechts vom Bett hing ein Spiegel und links befand sich eine Kommode, ein Frisiertisch und die Tür. Als ich an mir herabblickte, entdeckte ich ein blondes Mädchen schlafend auf meiner nackten Brust. So langsam kamen die Erinnerungen an die letzte Nacht zurück. 

Ich hatte mit Lynns Freundin Jessica geschlafen! Dafür konnte ich mir auf die Stirn hauen.Dennoch war die letzte Nacht echt gut. „Bist du wach?" fragte Jessica flüsternd und ich nickte. Sie setzte sich auf und sah mir in die Augen.„Mir hat das gestern echt gefallen", kicherte sie und zeichnete Kreise mit ihrem ZEigefinger auf meiner Brust. Ich schmunzelte leicht.„Mir auch."

„Woher kennst du Lynn?", wollte ich dann von ihr wissen. Sie stoppte die Kreisbewegung und verdrehte die Augen, anstatt mir zu antworten. Völlig verwundert sah ich sie an. „War ja klar, dass so ein gut aussehender Typ wie du auf Lynn steht und ich die Ersatzfrau für eine schnelle Nummer bin!", motzte sie und stand mit der Decke um ihren Körper gebunden auf.„ Ich stehe nicht auf Lynn", stellte ich klar und zog sie wieder aufs Bett.„Wieso fragst du dann?" Verunsichert sah sie mich an. „Vergiss, dass ich gefragt habe", murmelte ich und drückte meine Lippen auf ihre und der Spaß begann von vorne.

Nachdem ich mich schließlich nach zwei weiteren Nummern von Jessica verabschiedet hatte, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Perseus musste schon ganz außer sich vor Sorge sein, was ich jedoch nicht nachvollziehen konnte. Ich war verdammt nochmal alt genug und ein Junge. Ich konnte mich selbst verteidigen. Als die Tür ins Schloss fiel, hörte ich Perseus schon sagen:„Wo warst du?"

Er stand direkt vor mir und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. So wie üblich antwortete ich ihm nicht sofort, sondern zog erstmal meine Schuhe aus und machte es mir dann auf dem Sofa breit.

„Ich war bei einem Mädchen", gestand ich ihm. Perseus seufzte laut auf und setzte sich neben mich.

„Matt, hast du nicht langsam genug von all diesen Dingen? Willst du nichtmal eine richtige Beziehung führen? " Perseus sah mich eindringlich an. Da ich wusste, er würde noch weiterfahren, schwieg ich.

„Wie wäre es denn mit Hayley? Sie hat doch eindeutig ein Auge auf dich gelegt!", fuhr er schließlich fort.
Ich lachte belustigt auf.„ Hayley denkt sie mag mich, aber würde ich wirklich mit ihr zusammen kommen, würde sich das schnell ändern."

Perseus sah mich verwirrt an.„Du kennst meine Vergangenheit. Ich bin nicht dazu fähig jemanden solche Zuneigung und Liebe zu schenken und ich will das auch gar nicht. Mir gefällt mein Leben so wie es ist."

Entschlossen erwiderte ich seinen Blick. Perseus lächelte wehmütig.„Irgendwann wirst du dich verlieben und dann wirst du eine ganz andere Sicht dazu haben werden."

Ich winkte mit meiner Hand ab.„Jaja. Bis dahin lässt du mich bitte mit deinem Mädchen Gelabber zufrieden" murrte ich vor mich hin. Perseus stand auf.„Anstatt so faul rumzuliegen, würde ich mich lieber mit deiner Seele beschäftigen. "
Ich nickte ihm zustimmend zu.„Du hast recht. Nach einem Nickerchen mache ich mich auf den Weg."

Anschließend schloss ich meine Augen und versank in das Reich meiner Alpträume.

 

 

Ich war kurz eingenickt, denn als ich meine Augen aufschlug, war meine Mutter nicht mehr neben mir. Völlig panisch sah ich mich und suchte die Wohnung nach ihr ab, fand sie aber nirgendwo.

Ich schnappte mir meinen Tiger und schluchzte laut auf. „Mommy?", kreischte ich und obwohl ich wusste meine Mutter war nicht da, tat ich dies wieder und wieder.

Stattdessen entdeckte ich einen Zettel auf dem Bett.„ Mein lieber Matt. Ich..ich komme bald wieder. Pass' auf dich auf."

Verwirrt nahm ich den Zettel und las ihn mir wieder und wieder durch, erhoffte  dabei einen Schreibfehler zu finden, jedoch geschah dies nicht. Meine Mutter war weg. Sie war einfach weg.

 

Völlig verschwitzt erwachte ich aus meinem Traum. Mein Atem ging stoßweise und ich sehnte mich nach Zuneigung. Wo sollte ich diese bloß finden ohne mich dabei vollkommen zum Idioten zu machen? Meine Mutter ließ mich dies machen und was hatte ich davon? Sie war weg.

Ich fuhr mir durch die Haare und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht. Meine Geister waren zu präsent. Perseus irrte sich. Ich würde niemals in der Lage sein, zu lieben. Dafür war ich nicht geschaffen. Dafür war ich nicht bereit. Mir fiel auf, dass es schon dunkel war. Das heißt, ich hatte sehr lange geschlafen. Mich wunderte es, dass Perseus nicht kam, um mich zu wecken. Vielleicht hatte er ja gemerkt, dass ich sehr müde war und wollte mich schlafen lassen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es 20:22 Uhr war.

Ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich schließlich ins Bad ging, wo ich mich fertig machte. Kurze Zeit war ich fertig und las in Lynns Akte, dass sie Samstags immer bei ihrem Freund war. Somit war der Weg zu ihr nicht so einfach, wie erhofft. Ich schnappte mir schließlich meine Jacke und schloss die Tür beim Rausgehen hinter mir. 
Anstatt zu fahren, beschloss ich mich zu dem Haus ihres Freundes zu laufen. Dort würde ich dann auf sie warten und ihr solange folgen, bis ich mich ihr zeigen konnte. Langsam ging ich durch die Straßen und der Lärm des Verkehrs störte mich keineswegs. Vielmehr war ich daran schon gewöhnt. Die Lichter der leuchtenden Bar Logos und der Ampeln waren viel störender. Am liebsten hätte ich meine Augen geschlossen, doch das ging ja schlecht. Mein Handy vibrierte plötzlich in meiner Hosentasche. Ich holte es heraus und sah, dass eine Nachricht von Hayley angekommen war. 

 

Hey Matt.

Ich würde gerne nochmal mit dir über das reden, was gestern war. Bitte triff mich in einer Stunde am See.

Hayley

 

War das ihr ernst? War ich gestern nicht deutlich genug gewesen? Darüber hinaus drängte die Zeit. Ich musste mich Lynn nähern, sonst würde das Aussaugen ihrer Seele schief gehen. Nach kurzem Überlegen entschloss ich mich Hayley doch zu treffen, damit ich mich danach voll und ganz auf Lynn konzentrieren konnte.

 Somit änderte ich meine Laufroute kurzerhand und war nach einer halben Stunde schon angekommen. Deshalb schwelgte ich erstmal in Kindheitserinnerungen.

 

Sonntag, der 12.2.2000

„Mama!", schrie ich lauthals , als die meine Füße in das kalte Wasser tauchten. Meine Mutter stand einige Meter Hinter mir und stritt lautstark am Telefon. 

„Nein, es ist vorbei. Ich habe einen Sohn und bin verheiratet. Ich kann das einfach nicht mehr! Bitte lass mich einfach in Ruhe!", schrie sie und legte dann schließlich auf. Sie zitterte am ganzen Leib. Als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete, kam sie auf mich zu.

„Was ist denn Matt?", wollte sie liebevoll wissen und strich mit ihrer Hand über meinen Kopf. Ich zeigte mit meinem Finger auf das Wasser und sie verstand.

„Es ist sehr kalt, oder?" Sie lächelte mich an. Sie war sehr blass, fiel mir auf. Ich nickte stumm. Ihr Lächeln wurde jetzt breiter. Ohne jede Vorwarnung packte sie mich und hob mich auf ihren Arm. Zusammen gingen wir dann tiefer ins Wasser.

 

 

 „Matt?", riss eine Stimme mich aus meinen Gedanken. Ich wandte mich um. Hayley stand in einem grünen Sommerkleid vor mir. Sie sah gut aus.

Ich nickte ihr zu.„Also du wolltest reden?", fing ich an und verstummte, damit sie ihr Anliegen unterbreiten konnte.

„Ich habe mich gestern echt doof benommen", entschuldigte sie sich und blickte auf ihre Hände. Wow, sie entschuldigte sich bei mir, obwohl ich gestern unmöglich zu ihr war.

„Entschuldigung angenommen. Noch etwas?" Die Kälte meiner Worte war mir durchaus bewusst, jedoch wollte ich Hayley nicht unnötig Hoffnungen machen.

Sie sah mich an und kam auf mich zu. Wir waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Ich blickte zu ihr herunter, da sie einen halben Kopf kleiner als ich war. „Nur einmal", forderte sie flüsternd.

Fragend sah ich sie an.„Nur einmal möchte ich deine Lippen auf meinen spüren." Ihr Atem ging nun stoßweise, ich selbst war die Ruhe in Person, denn Hayley reizte mich auf keinste Weise. Ich verspürte nicht die gleiche Anziehung ,die sich zum Beispiel gegenüber Karen äußerte. Ich legte meine Hand auf ihre Wange, wartete darauf, dass sich etwas in mir regte, aber es änderte sich nichts.

„Hayley, ich..", fing ich an, jedoch unterbrach sie mich, indem sie ihren Zeigefinger auf meine Lippen legte.

„Pshhht! Ich weiß, dass du nicht dasselbe empfindest, aber bitte." Sie sah mir tief in die Augen.

Ein Teil von mir, wollte ihr ihren Wunsch erfüllen, obwohl ich mir dessen Folgen bewusst war. Jedoch hinderte mich ein anderer Teil, da ich Hayley nicht weiter verletzten wollte.Ich erwiderte ihren tiefen Blick, doch es passierte immernoch nichts. Dennoch drückte ich ihr meine Lippen auf den Mund und sie erwiderte den Kuss hastig und innig. Unsere Zungenspitzen trafen aufeinander und so allmählich machte sich in mir ein leichtes Prickeln breit. Ich umfasste mit meiner rechten Hand ihre Wange und zog sie mit meiner linken Hand näher an mein Becken. Ungezügelte Lust ging von beiden Seiten aus und im Nu umschlang sie meine Hüfte mit ihren Beinen. Ich wusste, dass es nicht richtig war, diesen Schritt mit ihr zu gehen, aber der nach Liebe und Zuneigung suchende Teil in mir hatte den anderen Teil besiegt und ich gab Hayley das was sie wollte.

 

Hayley und ich lagen in ihrem kleinen Minivan nebeneinander. Sie schlief und atmete gleichmäßig.Außerdem war es noch dunkel draußen. Wir hatten unsere Aktivitäten vorhin kurzerhand in den Minivan verlegt und ich schenkte Hayley dort ihren langersehnten Höhepunkt. Meiner blieb aus. Obwohl ich ein leichtes Kribbeln empfunden hatte, haute es mich nicht um. Es war wie bei jedem anderen Mädchen, mit dem ich schlief. Es war nichts besonderes. Es war einfach nur Sex. Bedeutungsloser Sex. Ich sah an die Decke des Minivans und wollte mich selbst für meine Aktion umbringen. Wie konnte ich es soweit kommen lassen? Das würde alles verändern! Hayley würde sich jetzt etwas darauf einbilden und den anderen davon erzählen, die anschließend zu mir kämen und mir Vorträge darüber halten würde, wie rücksichtslos ich doch sei. Das kann ich mir wirklich sparen!

Noch dazu hatte ich die Zeit wirklich nötig gehabt, um in Sachen Lynn weiterzukommen. Wie würde ich erfolgreich ihre Seele auslöschen können, wenn ich ihr nicht mal nahe komme? Gleichzeitig kam in mir eine andere Frage auf: Was passierte eigentlich mit den Menschen, dessen Seelen nicht rechtzeitig ausgesaugt werden? Das hatte ich Perseus schon mal gefragt, er hatte mir jedoch ausweichend geantwortet, indem er meinte, das so etwas nicht passiere. Aber es war bestimmt schon mal vorgekommen, darin war ich mir sicher. Dem wäre ich lieber mehr auf den Grund gegangen, jedoch war meine Motivation dafür einfach zu niedrig. Wieso sollte ich mich gegen das System stellen? Es hatte einen Grund ,wieso alles so war, wie es ist.

„Bist du wach?", flüsterte Hayley. Ich drehte mich in ihre Richtung und wir sahen uns direkt in die Augen.

„Ja", erwiderte ich knapp. Sie lächelte mich an und wurde leicht rot. „Ich fand das gerade eben...wundervoll!", strahlte sie und legte ihre Hand auf meine Wange.

Ich schwieg.„Matt?", fragte sie etwas verwirrt. „Was möchtest du?", wollte ich genervt von ihr wissen.

Sie schluckte schwer.„ Warum bist du denn jetzt so abweisend?"

„Wie soll ich mich denn bitte sonst verhalten? Du wolltest von mir, dass wir miteinander schlafen. Ich habe dir diesen Wunsch erfüllt. Damit ist es getan." Ich sah sie verständnislos an.

Einige Tränen kullerten ihr plötzlich über die Wangen.„Aber ich ...aber ich dachte", schluchzte sie leise und ich seufzte laut auf.

„Du sollest lieber nicht denken! Denn da ist nichts zum Denken." Ich zog mich hastig an und ging zur Tür des Minivans. Hayley packte mich an meinem Arm.

„Hast du denn rein gar nichts gespürt?" Sie sah mich hoffnungsvoll an. Meine Brust schmerzte. Könnte das mein Herz sein? Wohl eher nicht. Ich hatte kein Herz.

„Nein, es tut mir leid." Mit diesen Worten verabschiedete ich mich und stieg aus dem Van aus. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, machte ich mit eiligen Schritten auf den  Weg zu Lynn nach Hause.

 

 

Ich lief gerade zu Lynn nach Hause und fühlte mich schäbiger denn je. Wieso hatte Hayley sich so an ihn herangemacht? Wieso hätte sie nicht einfach locker lassen können? Ich schlug mir mit meiner Hand auf die Stirn.

Ich war so blöd. Aber was sollte ich tun? Sollte ich eine Liebe vorgauckeln, die gar nicht existiere? Ein Verlangen, dass sich nicht äußerte? Ich hatte schon mit mehreren Mädchen geschlafen, doch nichts davon hat mich so aus aus der Bahn geworfen wie das mit Hayley. Lag es daran, dass ich sie oft zu Gesicht bekam oder hatte ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Ich wusste es nicht. Wollte es auch nicht wissen. Ich musste mich auf Lynn konzentrieren.

Nach einigen Minuten kam ich schließlich bei Lynn an und außer einem Zimmer lag das ganze Haus im Dunkeln.

Ein Blick nach rechts und einer nach links verrieten mir, dass niemand außer mir draußen war, sodass ich auf die Mauer kletterte, die um das Haus angerichtet war.

Bedacht darauf nicht entdeckt zu werden, schlich ich mich durch den Garten ins Haus und kletterte die Wand des Zimmers hoch, das noch beleuchtet war. Als ich hereinblickte, entdeckte ich Lynn die mit ihrem Mp3 Player auf dem Bett lag und irgendetwas in ein Schreibheft kritzelte. Sie machte gerade Hausaufgaben. Unwillkürlich bereitete sich in mir eine Wärme aus. Ich beobachtete sie eine Weile. Sie stand währenddessen auf, verschwand für kurze Zeit aus ihrem Zimmer und kam dann im Pyjama wieder zurück. Meine Chance. Ich klopfte ans Fenster.

Sie schrie erschreckt auf als sie mich entdeckte. Mit schnellen Schritten kam sie aufs Fenster zu und öffnete es.

„Was suchst du hier?", sagte sie entsetzt. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Deine Freundin hat mir gesagt, wo du wohnst. Da wollte ich dir mal einen Besuch abstatten!" Ich versuchte so locker wie möglich zu klingen. Sie sah mich skeptisch an.

„Irgendwie habe ich das Gefühl, du stalkst mich!" meinte sie dann schließlich und ich konnte mir ein Lachen nun nicht mehr verkneifen.

„Pschht!", brachte sie mich zum Schweigen und zog mich in ihr Zimmer. Mein Blick schweifte durch ihr geräumiges Zimmer. Links vom Fenster stand ein großer Spiegel, neben dem sich eine voll belandene Kommode befand. Rechts von mir stand das Bett, das einem Himmelbett gleichte. Daneben sah ich einen kleinen Sessel.

Darüber hinaus waren an den Wänden überall Motive und Schriftzüge abgebildet.

„Wieso bist du hier?", riss sie mich aus meinen Gedanken. Ich blickte sie an. Vielleicht sollte ich es auf die Freundschaftstour versuchen.„Ich habe was getan und weiß nicht, mit wem ich darüber reden soll." 

Erstaunt fuhr sie sich durch die Haare. „Und da kamst du zu mir?", fragte sie.

Ich nickte und versuchte dabei so angeschlagen wie möglich zu klingen. Sie zog mich aufs Bett und wir saßen und schließlich gegenüber.

„Dann fang mal an", meinte sie während sie mir tief in die Augen sah. Ihre Augen nahmen mich für einen kurzen Moment gefangen, jedoch schaffte ich es, mich loszureißen.

„Ich habe mit einer Freundin geschlafen. Sie steht schon seit langem auf mich und ich hab ihr eigentlich immer gezeigt, dass ich nichts von ihr möchte. Sie konnte mich aber diese Nacht überreden mit ihr zu schlafen, danach war ich wieder abweisend und kalt zu ihr. Jetzt fühle ich mich schlecht", erzählte ich ihr langsam.

Sie schwieg mich erstmal kurz an und im nächsten Moment wollte sie mir eine Ohrfeige geben, jedoch hat sie die Rechnung ohne meine Reflexe gemacht. Bevor sie in die Nähe meines Gesichtes kam, packte ich ihre Hand.

Völlig perplex sah sie mich an.„Wie?", flüsterte sie vor sich hin. Ich sah sie an.

„Ich weiß, dass es nicht richtig war. Aber sie wusste es auch. Sie wusste, dass ich sie nicht liebe. Sie kennt meine Geschichte!", versuchte ich mich zu verteidigen, was mich selbst überraschte, denn sonst war es mir herzlich egal, was andere über mich dachten. Aber bei Lynn war es nicht so.

„Aber du hättest nicht mit ihr schlafen sollen! Wie soll sie denn jetzt über dich hinweg kommen", warf sie vorwurfsvoll ein und ich löste meinen Griff um ihre Hand. Stattdessen legte ich mein Gesicht in meine Hände und holte tief Luft. 

Wir schwiegen eine Weile, in der ich mich vollkommen auf Lynns Atemzüge konzentrierte. Sie beruhigten mich.

„Was jetzt?", wollte ich von ihr wissen. Sie brummte vor sich hin. „Was willst du denn hören?" Sie sah mich provozierend an. So kannte ich Lynn ja gar nicht. Sie wirkte sonst recht schüchtern auf mich.

„Du bist ja sehr aufgebracht. So kennt man dich ja gar nicht", sprach ich meine Gedanken dann aus.

Sie sah mich so an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. „Du hast mit einem Mädchen geschlafen, obwohl du sie nicht liebst, im Wissen sie liebt dich. Wie soll ich mich da denn verhalten?"

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und blickte an die Decke.

„Ich habe auch mit deiner Freundin geschlafen", meinte ich dann. Sie seufzte laut auf. „Das habe ich mir schon gedacht. Sie kriegt jeden herum. So ist sie halt."

Ich lachte leise auf.„Ich weiß auch nicht", murmelte ich vor mich hin. Die Decke erschien langsam näher zu kommen, immer näher.

 

Freitag, der 16.03.2002

 

11 Uhr

Mein Schluchzen wurde immer lauter. Ich hatte Angst. Hatte das Gefühl, die Wände würden mich einengen. Und bevor ich einen weiteren Schluchzer machen konnte, stand meine Mutter wieder vor mir.

„Mama", schrie ich und rannte ihr in die Arme. Sie strich mit ihrer Hand über meine Haare.„Psscht", versuchte sie mich zu beruhigen. Ich schluchzte eine Weile weiter,dann kriegte ich mich wieder ein, denn meine Mutter war wieder bei mir.

 

„Bist du noch da?" Lynn schnippte mit ihren Fingern und riss mich so aus meinen Gedanken. Ich musste weg. Sofort.

„Ich muss gehen, sofort!", murmelte ich und stand auf. Lynn stand ebenfalls auf. „Was ist denn los?" Besorgnis war aus ihrer Stimme herauszuhören, jedoch konnte ich ihr nicht antworten.

Ich kletterte schnell aus dem Fenster, dann über die Mauer und rannte nach Hause.

 

 

Kapitel 8

 

„Matt!", riss mich eine Stimme aus meinem Schlaf. Langsam schlug ich meine Augen auf und blickte direkt in Perseus Gesicht. „Steh auf! Du musst zur Schule." Sein mahnender Blick durchbohrte mich förmlich. Seufzend kroch ich unter die Decke, hoffend dass er nun endlich Ruhe geben würde. Doch ich hatte falsch gehofft.

Perseus entriss mir die Decke, woraufhin er mich böse ansah. „Ich schick' dich ansonsten auf ein Internat", drohte er mir ziemlich ernst. Perseus aber vergaß ständig, dass ich ihn nur aus eigenem Willen respektierte. Würde ich ihn nicht mögen, würden mir seine Anweisungen ziemlich egal sein. 
„Na gut!" Ich rappelte mich auf. Perseus lächelte triumphierend und ich gönnte ihm den Moment des Glücks.

Innerhalb von 10 Minuten hatte ich geduscht und mich angezogen. Anschließend setzte ich mich an den voll gedeckten Essenstisch. Perseus hatte von French Toast zu Omletts ein ganzes Arsenal an Essen zubereitet.
Ich griff mir von jedem ein bisschen und begann zu essen. Perseus Blick entging mir jedoch nicht.

„Willst du irgendetwas loswerden?", fragte ich ihn während meiner Bisse. Er nickte behutsam. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht wusste, wie er das Gespräch anfangen sollte. Nach einer Weile sagte er schließlich:  „Was hast du gestern Abend so getrieben?" , wollte er endlich wissen. Ich verschluckte mich an meinem Bissen Omlett. „Ehm- ich-ich war bei Lynn", brachte ich schließlich nach mehrmaligen Husten hervor. „Ich habe versucht, eine Freundschaft aufzubauen, was einigermaßen geklappt hat. Ihr Freund ist nur noch das Problem, aber den hab ich auch im Griff und er sollte bald keine Umstände bereiten", fügte ich souverän hinzu. Ich erwähnte aber nicht, wie aufgewühlt ich nach dem Besuch war;wie sehr ich Lynns Stimme vermisste; wie sehr mir meine Mutter weiterhin zu schaffen machte; wie kaputt und einsam ich mich eigentlich fühlte. Doch Perseus ließ sich davon nicht überzeugen. „Du weißt, was ich meine!", beharrte er tadelnd. Ich seufzte laut auf. Ich wollte nicht über Hayley reden! Wie hatte er verdammt nochmal davon Wind bekommen? Perseus wusste einfach alles. 

„Ich war vorher mit Hayley unterwegs! War es das, was du hören wolltest?", stieß ich genervt hervor, doch Perseus schwieg. „Ich will aber nicht darüber reden, okay?", meinte ich noch und schob mir das letzte Stück Pancake in den Mund. Anschließend nahm ich meine Tasche und ging energisch aus dem Haus.

 

 

„Hey, Matt", begrüßte mich Chloe, als ich in den Chemieraum kam. Ich nickte ihr zu und setzte mich auf meinen üblichen Platz in der letzten Reihe. Chloe kam an meinen Tisch. „Kommst du heute zum Trainig?", wollte sie wissen. „Ich weiß es nicht, kommt auf meinen Fall an. Bin immer noch dabei, eine Verbindung aufzubauen", erwiderte ich wahrheitsgemäß. „Wieso versuchst du nicht mit ihr irgendeine Aktivität zu machen, bei der du weißt, dass sie sie liebt. Sowas gefällt Mädchen. Sie fühlen sich begehrt, wenn ein Junge alles tut, um sie glücklich zu machen!" Sie lächelte mich schüchtern an. Ich musste auflachen. So leicht konnte man Mädchen also beeindrucken? Wie erbärmlich.

„Ich guck mal, was sich machen lässt. Danke für den Tipp", bedankte ich mich und versuchte dabei, wirklich dankbar zu klingen, obwohl ich das relativ lächerlich fand.

Chloe antwortete darauf nur mit einem Lächeln und setzte sich nach vorne in die erste Reihe, um dem beginnenden Unterricht folgen zu können.

 

 

14. November 2003

 

„Matt, ich würde dir gerne jemanden vorstellen", sagte meine Mutter bedacht, während sie mit ihrer rechten Hand über meinen Kopf strich. Ich sah sie mit großen Augen an.
„Wen denn, Mami?", wollte ich von ihr wissen. „Einen guten Freund von mir. Pete ist doch dein bester Freund in der Schule oder?"  Ich nickte auf ihre Frage und sie fuhr fort :„Ich habe auch so einen besten Freund. Nur ist er viel älter als Pete. Er heißt Micheal. Wir kennen uns auch seit dem Kindergarten. Er ist sehr lieb. Er würde dich gerne kennenlernen, wenn das okay ist."
Ich sah sie fragend an. Meine Mami hatte zuvor noch nie von Freunden erzählt. „Aber er ist viel zu alt", beklagte ich mich lautstark. Sie lächelte wehmütig. „Das wirst du kaum bemerken." 
Doch meine Mutter irrte sich. Ich sollte es bemerken, auf die eine oder andere Weise.

 

 

Als die Schulklingel läutete, machte ich mich so schnell wie möglich auf dem Weg zu Starbucks, um Lynn zu begegnen. Ich hatte ehrlich gesagt keine Lust, Hayley zu begegnen, weshalb ich ganz froh war, meinem Fall mehr Aufmerksamkeit schenken zu müssen. Nach Perseus Anspielung heute fragte ich mich, wer noch alles davon wusste. Hatte ich mich Chloe vielleicht deswegen gefragt, ob ich heute käme? Ich schüttelte diese Gedanken schnell ab. Mir war es eigentlich herzlich egal. Hayley konnte es sonst wem erzählen, hauptsache niemand hält mir dann eine Rede über Moral oder dergleichen. Darauf konnte ich verzichten.
Nach etwa 20 Minuten kam ich bei Starbucks an, doch es fehlte jegliche Spur von Lynn. Ich bestellte mir einen Kaffee Latte und setzte mich auf einen Sessel. Während ich wartete, kreisten meine Gedanken um Lynn. Wo steckte sie wohl? Warum war sie nicht da? Sie war täglich hier. Es war ihr zweites zu Hause. Verwunderte griff ich schließlich zu ihrer Mappe und musste enttäuscht feststellen, dass sie bei ihrem Freund sein müsste. Seine Adresse war in der Akte ebenfalls vermerkt. Sollte ich mich auf den Weg dorthin machen? Ich schüttelte diesen Gedanken schnell ab. Falls sie mich dort sehen würde, käme ich ihr wie ein Stalker vor und das wollte ich nicht. Entgegen aller meiner Prinzipien gehörte Lynn zu den Menschen, deren Meinung mir wichtig war. Und von denen gab es bis jetzt nur eine Person; Perseus. Ich wusste nicht, wieso es so war, aber ich durfte es nicht zulassen. Als ich einen Schluck von meinem Kaffee Latte trank, entdeckte ich Lynns Freundin Jessica. Sie beobachtete mich bestimmt schon seit einer Weile, denn als ich endlich zu ihr sah, winkte sie mich lächelnd zu sich. Ich nahm meinen Becher und ging auf das große Sofa am Ende des Cafes zu, wo ich mich dann neben sie setzte. „Hey, süßer", begrüßte sie mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich grinste leicht. „Hey, Jessica", erwiderte ich lässig. „Was machst du hier so ganz alleine?", wollte sie von mir wissen, während sie mit ihrer linken Hand über mein Bein strich. „Ich hänge ein bisschen ab", meinte ich nur. Jessicas linke Hand umfasste meinen Nacken und sie kam mit ihren Lippen an mein Ohr. Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich wusste, dass ich kurz davor war, sie zu packen und mit ihr in der Toilette zu verschwinden. Lynn hatte also Recht gehabt. Ihre Freundin wusste, wie man jemanden herumkriegen konnte.
„Hast du Lust, mit mir auf Nicks Party zu gehen?", flüsterte sie an meinem Ohr. Nick? Lynns Freund Nick? Ich spürte ihren Atem an meinem Hals und ich konnte schwer antworten. Stattdessen nickte ich nur und sie lehnte sich lächelnd zurück. „Ich gehe mich kurz frisch machen und dann können wir losgehen", sagte sie grinsend, drückte mir einen Kuss auf die Lippen und verschwand dann ins Bad. Langsam entspannte ich mich wieder und trank meinen Kaffee Latte endgültig aus. In meinem Kopf tüftelte ich schon an einem Plan, Jessica loszuwerden. Sie war ja ganz amüsant und mit ihr hatte man eindeutig Spaß, aber sie war ein Hindernis für meine Aufgabe. 

 „Komm, lass uns los!", riss sie mich aus meinen Gedanken und streckte mir ihre Hand aus. Ich ergriff sie und so liefen wir zu Jessicas Wagen. „Möchest du fahren?", wollte sie zaghaft von mir wissen. Ich schüttelte den Kopf und setzte mich ohne eine weitere Bemerkung auf den Beifahrersitz. Sie stieg nach mir uns Auto und startete den Motor.„Was ist das überhaupt für eine Party", hackte ich bei Jessica nach. Sie zuckte mit den Schultern.„Eine ganz normale Party eben. Es wird ein bisschen getrunken, getanzt und gelacht. Man lässt sich einfach gehen." Jessica lachte kurz auf.„Warst du noch nie auf einer Party?",stieß sie ungläubig hervor. „Nein. Auf Partys gehen meistens die Menschen, die mit ihrem Leben nichts anzufangen haben. Man verhält sich total primitiv, nur um mal beim Kaptain des Footballteams Eindruck zu schinden. Das ist nichts für mich", erwiderte ich abfällig. Jessica kicherte mädchenhaft.„Das stimmt doch gar nicht. Ich gehe total gern auf Partys", meinte sie und konzentrierte sich aufs Fahren. „Genau das meine ich", murmelte ich vor mich hin. Die restliche Fahrt schwiegen wir. Nach etwa einer Viertelstunde erreichten wir die Party, die schon im vollen Gange war. Jessica hielt an und ich stieg aus dem Wagen und ging ums Auto. Als ich gerade hereingehen wollte, packte mich Jessica am Arm. Sie drehte mich zu sich und drückte mir einen innigen Kuss auf, den ich erwiderte. Mit ihrer Hand fuhr sie unter mein T-Shirt, umfasste meinen Bauch und streichelte meinen Rücken. „Du bist mit mir hier" flüsterte sie mahnend an meinem Ohr,„ alle anderen Mädchen sind für dich tabu." Ich lachte heiser auf. War das ihr Ernst? Ich sparte mir einen meiner üblichen Kommentare, um endlich zu Lynn gehen zu können.„Okay", meinte ich, nahm ihre Hand und betrat mit ihr das Haus. Die Musik tönte lautstark aus allen Ecken und man konnte sich kaum einen Weg durch die Menge bahnen. Alle sahen mich verwundert an, vielleicht lag es daran, dass sie mich nicht kannten oder sie waren einfach neugierig, weil ich immernoch Jessicas Hand hielt, die ich aber direkt losließ. Sie schaute mich mit einem vielsagenden Blick an und plötzlich war sie in der Menge verschwunden. Voller Erleichterung griff ich mir eine Cola aus dem Kühlschrank und blickte mich um. Weit und breit keine Spur von Lynn. Sie musste sich bestimmt irgendwo mit ihrem „achso tollen" Nick aufhalten. „Matt!", riss mich eine bekannte Stimme aus meinen Gedanken. Ich drehte mich um und entdeckte Lynn.„Was machst du denn hier?", fragte sie ungläubig. Unsere letzte Begegnung endete relativ merkwürdig und man spürte dies auch.„Deine Freundin Jessica hat mich eingeladen. Ich bin heute sozusagen ihr Eigentum !", witzelte ich herum. Lynn lachte laut auf. „Das ist doch nicht ihr Ernst", rief sie entsetzt aus. Ich nickte. „ Das gleiche habe ich mir auch gedacht. Aber ich habe ihr die Genugtuung gelassen. Sie ist sehr gut im Überreden wie du weißt." Ich warf Lynn einen vielsagenden Blick zu. Sie versetzte mir einen Stoß in meine Schulter.„Matt, was war letztens eigentlich los mit dir. Du bist einfach so verschwunden!" Lynns Blick durchlöcherte mich.

„ Das erkläre ich dir ein anderes Mal."  Meine Antwort schien Lynn nicht zu gefallen, denn im nächsten Moment wollte sie sich umdrehen. Ich umfasste ihren Arm. „Warte." Sie sah mich abwartend an.„Es fällt mir nicht besonders leicht darüber zu reden. Ich hatte einen harten Start ins Leben. Beim letzten Mal habe ich mich an etwas erinnert und dann musste ich einfach weg. Es tut mir leid", versuchte ich ihr zu erklären. Völlig überrascht über mich selbst, wartete ich auf Lynns Antwort. Anstatt etwas zu sagen, nahm sie mich in die Arme. Ich wollte mich selbst ohrfeigen dafür, dass ich es Lynn gesagt hatte. Sie verspürte jetzt Mitleid mit mir. Das brauchte ich nicht, das wollte ich nicht. Ich löste mich bestimmt von ihr.„ Ich brauche dein Mitleid nicht", zischte ich und entfernte mich von ihr. „Matt, ich wollte nicht-", fing sie entschuldigend an. „Du kannst es dir sparen", meinte ich mit zusammengepressten Lippen. „ich hab es dir nicht gesagt, damit du mich bemitleidest. Ich bin nicht der nette Junge, für den du mich halten willst. So bin ich einfach nicht." Lynn sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen, doch ihr Gesicht verriet mir, dass es Tränen der Wut waren.
„Du verdammtes Arschloch", rief sie aus und schlug auf mich mit ihren zarten Händen ein. Es tat mir nicht weh körperlich, sondern psychisch. Ich hatte Lynn einfach so vor den Kopf gestoßen. Während sie auf mich einschlug, gelang es mir, sie in den Arm zu nehmen. Sie ließ ihre Arme fallen. „Es tut mir leid", flüsterte ich aufrichtig. Lynn schwieg. Ich löste mich von ihr, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Wir blickten uns direkt in die Augen. Ihre so schönen, warmen Augen. Mein Hals fühlte sich aufeinmal so trocken an. Ich sah zu Lynns Lippen; so schön gewundene, zarte Lippen. Mein Herz pochte lauter als sonst. Was war los mit mir? Langsam näherten sich meine Lippen ihren und ich fühlte mich immer nervöser. Kurz bevor sich unsere Lippen berührten, hielt ich inne. Was tat ich denn hier? Mit geschlossenen Augen war ich kurz davor lynn zu küssen. Ich spürte diese elektrische Spannung, die sich zwischen uns aufbaute, die mich elektrisierte, die mich zerfraß. Gerade als sich unsere Lippen fast berührten, wurde ich von jemanden angerempelt. Lynn und ich sahen uns direkt an, diesmal aber mit einem Sicherheitsabstand von etwa einem Meter. „Ich gehe mal nach Nick gucken", murmelte Lynn und stürtze sich in die Menge.
Völlig verwirrt blieb ich zurück. Lynn und ich ... nein. Wir hätten uns beinahe geküsst. Das war unmöglich. Ich hätte es fast zugelassen. Ich trank ein Schluck von meiner Cola und versuchte mich zu beruhigen. Lynn war es sichtlich unangenehm gewesen und mir ging es da nicht anders. „Da bist du ja!", rief eine Stimme und ich drehte mich in die Richtung, aus der sie kam. Jessica kam auf mich zugelaufen. „Wo warst du aufeinmal?", wollte sie gespielt wütend von mir wissen. Ich antwortete ihr nicht. Ich war es leid, mich mit ihr abgeben zu müssen. „Matt?", sagte sie ein wenig verwundert. Mein Blick schweifte zu ihr. „Jessica, ich muss gehen." Sie sah mich verständnislos an, doch es war mir egal. Ich drängte mich durch die Menge. Ich wollte an die frische Luft, weg von Jessica. Weg von Lynn. Weg von Nicks Haus.

 

17. Februar 2001

„Dad", rief ich fröhlich aus, als ich meinen Vater erblickte. Er kam gerade die Tür herein und hatte eine Zeitung in der Hand. Doch mich kümmerte das nicht. Ich wollte ihn einfach umarmen. Er ließ die die Zeitung fallen und drückte mich fest. „Na ,mein Kleiner! Wieso bist du denn noch zu Hause?"  Ich grinste über beide Ohren.

„Mami hat gesagt, ich muss heute nicht in die Schule!", verkündete ich stolz. Die Miene meines Vater veränderte sich schlagartig. „Matt, du musst in die Schule! Geh dich anziehen."  Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich will aber nicht!" Trotzig verschränkte ich meine Arme.„Mein Kleiner, bitte!" Er sah mich wehmütig an. Ich rekapitulierte und stampfte in mein Zimmer. Bevor ich aber mein Zimmer betrat, hörte ich, wie mein Vater meine Mutter anschrie. So laut, wie er sie immer anschrie.

 

Ich irrte einige Zeit umher. Völlige Einsamkeit machte sich in meinem Herzen breit. Ich wusste nicht, wohin ich sollte. Die Nacht war noch lange nicht vorbei. Die Nacht, die mir stets mein wahres Wesen offenbarte. Meine Gedanken schweiften zu Lynn. Wieso war sie so nett zu mir? Wie konnte sie mich überhaupt auf irgendeine erdenkliche Weise mögen? Diese Fragen konnte ich mir bei keinem, den ich kannte, erklären. Auf erstaunliche Weise wurde ich gemocht. Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Langsam machte ich mich auf den WEg nach hause und hoffte, dass mir der Schlaf ein wenig Ruhe verschaffen könnte.

 

 

„Wie ihr bereits wisst, gibt es noch die andere Gruppe der Seelenfänger. Sie saugen die Seelen aber nicht dazu ein, um sie zu befreien, sondern viel mehr um sie für ihre eigenen Zwecke zu benutzen", lehrte Perseus uns im Kurs. Ich saß ganz hinten und hörte ihm aufmerksam zu. Nach dem gestrigen Abend war ich froh, dass erstmal Wochenende war.

 „Wieso haben sie sich von uns abgesondert?", wollte Chloe neugierig wissen. Perseus blickte zu ihr.„Sie konnten es nicht nachvollziehen, dass die eingesaugten Seelen ein Recht auf Freiheit und Erfüllung haben. So kam es einmal zu einem Krieg zwischen uns und sie sind als die Verlierer hervorgegangen." 

Meine Nackenhaare stellten sich auf. Wann hatte all das wohl stattgefunden? „ Wann ungefähr ist all das passiert?", wollte ich von Perseus wissen. Hayley drehte sich zu mir um, als sie meine Stimme hörte. Der Schmerz in ihrem Blick war nicht zu übersehen, weshalb ich ihrem Blick erstmal auswich. „Das ist schon Jahrhunderte von Jahren her", meinte Perseus knapp. Das machte mich stutzig. War hinter dieser Geschichte mehr, als Perseus uns erzählte? Es wäre zumindestens nicht das erste Mal, dass Perseus eindeutig etwas verheimlichte. „Das ist auch der Grund, weshalb wir euch auch das Kämpfen beibringen. Wenn ihr einmal auf diese Seelenfänger trifft, müsst ihr euch auf einen Kampf bereiten machen. Sie kämpfen nämlich bis zum bitteren Ende!", fügte Perseus nachdrücklich hinzu. Der ganze Kurs schwieg. „Wir machen eine Pause", verkündete Perseus und wir alle entspannten uns. Chloe kam zu mir gelaufen. „Und?", fragte sie aufgeregt nach. Ich sah sie fragend an. „Hast du meinen Rat befolgt?"
Oh, das meinte sie. Sofort dachte ich an Lynn. Lynn, die ich beinahe geküsst hatte. 

 „Einigermaßen", erwiderte ich nur. Sie lächelte mich an.„Ist auch alles okay, Matt?" Wieso hackte sie aufeinmal so nach? Sollte ich Chloe davon erzählen? Konnte ich ihr überhaupt vertrauen? Ich sah zu Hayley, die sich aufgeregt mit Karen unterhielt. Vermutlich berichtete sie mir gerade von meiner Schandtat. Mein Blick schweifte wieder zu Chloe. Ich hatte ihre Frage immer noch nicht beantwortet, dennoch entschied ich mich ihr nicht die Wahrheit zu sagen. Sie musste nicht wissen, wie aufgewühlt ich war. Wie mich das gestern mit Lynn vollkommen aus der Bahn geworfen hatte. Wie sehr ich gerne bei ihr wäre. Aber nein, da musste ich alleine durch. Also nickte ich. Sie strich mich über den Arm und ging wieder an ihren Platz. Ich fuhr mir durch mein Haaar. War es möglich, dass eine einzige Person so viel in einem zum Nachdenken brachte? Joshua stand plötzlich vor mir. Wieso war heute so darauf bedacht, mich zu nerven? „Hey", meinte er und ich nickte ihm zu.„Wir gehen wahrscheinlich später ins Kino", gab er mir Bescheid, „du kannst ja mitkommen, falls du Lust hast." Ich überlegte kurz. Sollte ich wirklich mit? Hayley würde bestimmt auch dabei sein, aber andererseits brauchte ich unbedingt Ablenkung. „Okay ich bin dabei." Ich grinste ihn freundlich an. Er setzte sich wieder an seinen Platz und Perseus machte auch schon weiter mit dem Unterricht. „Sucht euch bitte einen Partner!" Chloe und Karen und Mike und Joshua schlossen sich zusammen. Nur Hayley und ich blieben übrig. War das irgendwie beabsichtigt von den anderen? Wut stieg in mir auf.
„Stellt euch so dicht wie es geht gegenüber", wies Perseus uns an, was wir dann auch taten. Ich hörte, wie Hayleys Atmen stoßweise ging. Perseus kam zu mir und Hayley. „Ihr macht die Übung bitte vor!" Wir nickten beide. Ich war hochkonezentriert. Nach seiner Beschreibung der Übung fingen wir an. Hayley holte aus, um mein Gesicht zu treffen. Ich bückte mich, umfasste ihre Beine mit meinem rechten Arm und hielt ihre Hand mit der linken fest. Dann warf ich sie über meine Schulter auf die Matte. Die anderen klatschten. Hayley funkelte mich böse an.
„Jetzt bist du an der Reihe, Hayley!" Perseus sah sie aufmunternd an. Sie nickte entschlossen. Wir stellten uns genau wie zu vor gegenüber und ich holte aus. Völlig überraschend gelang es Hayley, mich auf die Matte zu werfen. Alle applaudierten und selbst ich war überzeugt von ihr. Sie sah mich triumphierend an. Die anderen machten die Übung nun auch und Hayley und ich wechselten uns ab. Als wir eine kleine Pause machten, blickte ich zu Hayley. Ich schuldete ihr eine Entschuldigung.„Hayley, ich-", fing ich an, doch sie unterbrach mich. „Matt, du brauchst mir nichts  zu erklären. Ich weiß schon, was du sagen willst und es wird nichts wiedergutmachen. Wir können nicht zurück", erwiderte sie mit fester Stimme. „Ich hoffe, dass wir einfach Freunde bleiben können." Ich sah sie mit einem leichten Lächeln an. „Tut mir Leid, Matt, aber ich kann das nicht." Hayleys Stimme bröckelte. Ich nahm sie in den Arm und flüsterte: „Okay." Dann schob ich sie wieder von mir und wir machten mit anderen Übungen weiter.

 

Nach dem Training schauten wir uns den neusten Actionfilm an und ich hatte wirklich Spaß, so wie seit langem nicht mehr. Hayley und ich gingen uns aus dem Weg, aber erstaunlicher Weise hatte ich viel mit Joshua zu reden. Wir unterhielten uns mindestens noch eine Stunde nach dem Film in unserer Stammbar. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Film so enden wird", sagte ich erstaunt. „Ich auch nicht!", stimmte mir Joshua augeregt zu. Wir lachten dann noch eine Weile über den Typen im Film, dem es immer wieder gelang, die Arbeit seines Kollegen auf unerklärliche Weise zu sabotieren. Karen und Chloe waren auf der Toilette und Hayley tanzte mit Mike, weshalb ich beschloss, Joshua etwas zu fragen.„Joshua, wann wusstest du eigentlich, dass du Karen liebst?", wollte ich von ihm wissen und nippte an meiner Cola. Er sah mich verwundert an, antwortete aber:„ Wir hatten uns schon eine Weile nach dem Training getroffen und eines Tages saßes wir im Cafe. Es war ein völlig alltäglicher Moment." Er unterbrach kurz, um von seinem Getränk zu trinken. Dann fuhr er fort:„Sie hatte sich einen Kaffee bestellt und ich einen Cappucino. Wir saßen für einen Moment und betrachteten unsere Kaffees. Mein Blick schweifte dann kurz zu Karen und da wusste ich es auf wunderbare Weise. Ich wusste, dass ich es nicht aushalten würde, sie nicht mehr sehen zu können." Er sah mich wehmütig. „Du hälst mich bestimmt für einen Idiot, das ist mir schon bewusst", meinte er lächelnd, „aber ich sage dir eins, Matt. Du spürst es." Ich schwieg erstmal. Bevor ich etwas sagen konnte, kam Karen an unseren Tisch und drückte ihrem Freund einen Kuss auf. „Worüber habt ihr geredet?" 
Joshua sah mich an und erwiderte:„Immernoch über den Film, der hat es uns wirklich angetan." Ich sah ihn dankend an. Karen berichtete dann, dass Chloe sich mit ihrem Freund treffen musste und deshalb gegangen ist. Karen, Joshua und ich unterhielten uns noch eine Weile, als ich plötzlich Mike auf mich zulaufen kommen sah. Im nächsten Moment schlug er auf mich ein. Völlig überrascht ließ ich ihn erstmal auf mich einschlagen. Ich hörte die Stimmen um mich herum, die ihn baten, aufzuhören, doch er machte weiter. Wut stieg in mir auf und ich umfasste seine Mitte, rang ihn zu Boden und schlug auf ihn ein, bis seine Nase anfing zu bluten. Dann rollte ich mich von ihm ab. „Was ist dein verdammtes Problem?", schrie ich ihn an. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht.„Du hast Hayley benutzt! Wie konntest du mit ihr schlafen, du wusstest, was sie für dich empfindet!", schrie er zurück. Hayley sah betreten zu Boden. Karen und Joshuas Blicke durchlöcherten mich. „Sie hat sich genauso darauf eingelassen!", sagte ich wütend, „wieso bin ich dann der Böse?" Alle außer Mike schwiegen.„ Du hast kein Herz, Matt. Du bist ein elender Mensch." Mike blickte mir direkt in die Augen. „Das bin ich vielleicht", meinte ich und wandte mich dann zu Hayley.„ Ich nehme mein Angebot zurück. Wir können niemals Freunde werden!" Dann zog ich mir meine Jacke über und verließ die Bar.

 

22. Dezember 2003

„Du wirst ihn mögen", sagte meine Mutter, als wir die Auffahrt zu Micheals Haus hoch liefen. Ich blieb stumm. Ich wollte ihn nicht treffen. Niemand konnte meinen Vater ersetzten. Meine Mutter bemerkte, dass ich mich völlig dagegen stellte, diesen Micheal zu treffen. Sie hielt an und beugte sich zu mir vor. „Bitte sei lieb, Matt. Tu es für deine Mommy. Du liebst mich doch , oder?" Ich nickte eifrig. Sie strich mich über die Wange.„ Und genau weil du mich liebst, gehst du jetzt mit mir da herein, okay?" Ich verzog meinen Mund und schüttelte den Kopf. 
Bevor meine Mutter etwas weiteres sagen konnte, wurde uns schon die Tür geöffnet. Meine Mutter funkelte Michael böse an. „Ich  habe gesagt, wir kommen rein, sobald er sich bereit fühlt!" Micheal ignorierte meine Mutter einfach. „Hallo, Matt. Ich bin froh, dich endlich kennen zu lernen!" Er lächelte mich an. Micheal kam mir wie ein Riese vor. Ich versteckte mich hinter meiner Mutter. „Ich will nach Hause!", motzte ich herum, doch meine Mutter zog mich mit ins Haus.


Ich irrte einige Zeit umher und wusste nicht, wohin ich sollte. Sollte ich nach Hause? Ich war mir nicht sicher. Zu hause würden sich zu viele Gedanken in meinem Kopf bannen, zu viel zum Nachdenken, zu viel zum Verkraften. Die Stille im Haus brachte mich an meine tiefsten Punkte, an Orte, die ich nicht zu besuchen versuchte. Plötzlich klingelte mein Handy. Es war Perseus.

„Ja?", nahm ich ab. „Wo bist du, Matt?", wollte Perseus von mir wissen. Ich seufzte auf. Ich beschrieb ihm, wo ich war und er kam mich abholen. Während ich auf ihn wartete, durchlebte ich den gestrigen Abend immer und immer wieder. Lynn, die so nett zu mir gewesen war, die ich abgewiesen hatte, die ich fast geküsst hatte. Es war nichtmal eine Woche vergangen, doch hatte ich das Gefühl, dass sich etwas geändert hatte. Etwas tief in mir drinne. Etwas, was ich schon lange nicht mehr verspürt hatte. Plötzlich vernahm ich ein Hupen. Ich blickte auf und sah Perseus, woraufhin ich in seinen Mazzerati stieg. Er sah mich eindringlich an.„Ich habe von eurer Schlägerei gehört", meinte er nur langsam. Ich nickte.„Dachte ich mir schon", sagte ich knapp und ballte meine Hände zu Fäusten. „Ich war natürlich mal wieder der Böse. Der böse Matt, der Hayley ausgenutzt hat." 
Perseus schwieg, außerdem machte er keine Anstalten, endlich loszufahren. „Wollen wir nicht endlich mal losfahren?" Wütend sah ich ihn an. „Wieso bist du so streng mit dir selbst?", fragte mich Perseus stattdessen. Völlig perplex wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte.„ Matt, du tust Sachen, die dich so wirken lassen, als wäre dir jeder gleichgültig, aber wir beide wissen, dass das nicht so ist", fügte Perseus nachdrücklich hinzu. Ich blickte aus dem Fenster.

 „Du weißt ganz genau, wieso ich so bin", zischte ich energisch. „Ja, Matt. Aber du bist inzwischen alt genug, um das endlich abzuschütteln. Es wird Zeit, dass du dich davon lossagst!" Perseus legte seine Hand auf meine Schulter. Ich seufzte laut auf.„Denkst du denn nicht, dass ich das will?" Ich drehte mich zu ihm. Meine Stimme wurde lauter.„Denkst du, ich bin glücklich mit dieser inneren Leere, die niemand ausfüllen kann? Danny ist weg. Meine Mutter ist weg. Ich habe niemanden mehr!" 
„Doch, du hast mich!", wandte Perseus ein, „ich werde nicht gehen." Ich lachte verzweifelt auf. „Glaubst du wirklich, das ist genug?" Ich schüttelte den Kopf.„ Weißt du, ich sehe die Menschen um mich herum. Sehe das Glück in ihren Augen. Weißt du, was ich in diesem Moment verspüre?" Perseus blickte mich an, wartete, dass ich selbst antworte. „Ich verspüre Neid, weil ich das nicht habe und Hass auf mich selbst, dass ich es beneide!", sagte ich verächtlich. 

„Matt, glaub mir. Danny und deine Mutter werden nicht die Letzten bleiben, die du geliebt hast. Das kann ich dir versichern!" Perseus Worte waren so hoffnungsvoll und so verlockend, doch ich wusste, dass es nur beschwichtigendes Gerede war. Ich wusste, wie unwahrscheinlich das war, dass ich jemanden so lieben konnte und geschweige denn, dass mich jemand so lieben konnte. 
„Habe ich dir mal von meiner Ex-Frau erzählt?", meinte Perseus nach einer kurzen Stille. Ich schüttelte den Kopf.
„Ich habe sie unendlich geliebt, aber dann ging sie von uns. Ich dachte, ich würde niemals wieder so empfinden können, doch dann habe ich dich aufgenommen. " Er lächelte wehmütig. „Und obwohl ich sie manchmal vermisse, bin ich nicht alleine, denn ich habe dich." 
Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Perseus Worte rührten mich zutiefst. Nun war ich es, der die Hand auf seine Schulter legte. Wir schwiegen eine Weile, dann fand ich meine Stimme wieder. „Erinnerst du dich an den Tag, als du mir Danny vorgestellt hattest? Das war kurz nachdem du mich aufgenommen hattest." Perseus nickte aufgeregt. „Ihr wurdet die besten Freunde", erinnerte sich Perseus lächelnd. „Und erinnerst du dich daran, wie sehr mich sein Tod mitgenommen hat?", meinte ich nun mit Tränen in den Augen. Perseus nickte erneut, nun aber viel trauriger.„Du warst gerade mal 14, als er von uns ging." Perseus schluchzte auf. „Du irrst dich, Perseus. Als deine Exfrau ging, hattest du nicht nur mich. Du hattest auch Danny." Wir schwiegen eine Weile. Niemand von uns fühlte sich im Stande dazu, jetzt etwas zu sagen. Die Stille begrüßten wir herzlich. Perseus fuhr schließlich los.

Als wir anhielten, sagte ich: „Mir waren oder sind nicht nur meine Mutter und Danny wichtig, sondern auch du."

Perseus grinste mich an. „Ich weiß." 

 

Nachdem Perseus und ich schließlich ausstiegen, riet er mir, mich mit meinem Fall zu beschäftigen. Zunächst zögerte ich, dennoch machte ich mich auf den Weg zu Starbucks. Auf keinen Fall sollte Perseus mitbekommen, dass ich und Lynn einen sehr intimen Moment hatten. Als ich bei Starbucks ankam, entdeckte ich Lynn, die mit Jessica an einem Sofa am Ende des Cafes saß. Genervt seufzte ich auf. Dieses Mädchen war tatsächlich überall!
Ich bestellte mir einen Kaffee und ging mit entschlossenen Schritten auf beide zu. Lynn entdeckte mich zuerst. Es war ihr sichtlich unangenehm. Jessica hingegen besprang mich sofort, wobei ich beinahe meinen Kaffee verschüttete. Sie drückte mir ihre Lippen auf. Behutsam schob ich sie von mir. Mein Blick schweifte direkt zu Lynn. Sie sah mich abfällig an und widmete sich ihrer Lektüre. „Wo warst du gestern aufeinmal?", wollte sie von mir wissen. Anstatt ihr zu antworten, setzte ich mich hin und tippe Lynn an. Sie sah auf.„Was ist ?" 

„Können wir bitte reden?" Ich umschloss ihren Arm mit meiner Hand. Aus dem Augenwinkel konnte ich Jessica sehen, die uns mit einem scharfen Blick beobachtete. „Nein, ich bin gerade beschäftigt." Dann blickte sie zu Jessica.„Jessica sieht aber so aus, als ob sie gerne mit dir reden würde, nicht wahr?" Jessica nickte aufgeregt. 
Völlig hoffnungslos seufzte ich auf. „Bitte!", bettelte ich sie schon fast an. Lynn betrachtete mich eingehend.

„Na gut." Sie stand auf. Ich tat es ihr gleich.„ Ich geh jetzt nach Hause. Matt bringt mich nach Hause", teilte sie Jessica mit, die uns völlig überrascht ansah. „Gute Nacht", verabschiedete ich mich von ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Wange auf. Dann verschwanden Lynn und ich rasch aus dem Cafe. Unsere Blicke trafen sich, woraufhin wir lauthals zu lachen anfingen. „Wieso ist sie so anhänglich", klagte ich völlig resigniert. „I-c-h, we-weiß es ni-nicht", stottere Lynn. Ihr war kalt, weshalb ich ihr meine Jacke um die Schultern legte. Dann führte ich fort.„Ich glaube, ich muss sie heiraten", witzelte ich herum und erntete dafür einen bösen Blick von Lynn. „Ich mache nur Spaß", versuchte ich die Situation aufzulockern. Sie schwieg. „Du wolltest reden", verwies sie mich auf unser Gespräch im Cafe. Ich nickte. „Es tut mir Leid wegen gestern. Ich hätte das nicht tun sollen", versuchte ich mich einigermaßen zu entschuldigen.„Du meinst erstens dich wie ein Arsch zu verhalten und zweitens mich küssen zu wollen?", zählte sie meine Vergehen noch einmal mürrisch auf. „Genau. Bist du bereit, mir zu verzeihen?" Ich sah sie eindringlich an. Ihre Augen funkelten, bestimmt heckte sie gerade einen tükischen Plan aus. „Unter einer Bedinung verzeihe ich dir", gab sie dann bekannt. „Ich tue alles." Diese Worte kamen aus meinem Mund, bevor ich überhaupt über die Konsequenzen nachdachte. „Ich nehme dich beim Wort", betonte sie grinsend und erzählte mir dann, was sie von mir verlangte.

 

„Muss ich das wirklich machen?!", fragte ich Lynn unsicher. Wir standen vor dem Haus ihres Direktors. Ich hatte eine Schachtel Eier in der Hand. Sie nickte eifrig.„Ich selbst würde soetwas niemals übers Herz bringen, aber du schon", meinte sie grinsend, „noch dazu meintest du, du würdest alles tun! Also steh dazu!"
„Und danach bist du nicht mehr sauer auf mich?", wollte ich noch einmal sichergehen. „Ja", bestätigte sie, „und jetzt los!"
Ich nahm ein Ei aus der Schachtel und warf es an die Fassade des Hauses. Lynn kicherte auf und ich fuhr fort, bis alle Eier verbraucht waren. Das letzte Ei traf das Fenster, sodass es zu Bruch ging. Im Haus ging das Licht an. Ich sah panisch zu Lynn, die wie versteinert da stand und sich nicht rührte. Jeden Moment könnte ihr Direktor herauskommen, als nahm ich ihre Hand und zog sie mit. Wir rannten um die Ecke. Als wir schließlich da waren, fingen wir lauthals an zu lachen. Wir kriegten uns gar nicht mehr ein.„Das war so...ungewohnt", sprudelte es aus Lynn heraus, „ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas jemals machen würde. Eigentlich bin ich ja nicht so ein Typ Mensch, aber jetzt verstehe ich, warum das so viele machen. Man hat ja richtig Spaß dabei. Ob der Direktor mich verdächtig? Obwohl, er würde das nicht von mir erwarten." Lynn redete mit so einer Geschwindigkeit, dass ich es nicht schaffte, mitzukommen. Sie sah mich entschuldigend an.„Tut mir leid, manchmal rede ich einfach drauf los."

Ich zuckte die Achseln.„Schon okay." Wir schwiegen kurz und sahen uns an. „Kann ich dich etwas fragen?", fing Lynn langsam an. Ich nickte. „Wieso hast du mich angesprochen? Wieso genau mich? Ich meine in dieser Nacht im Starbucks." 

„Du schienst mir sympathisch", log ich sie an. „Und du sprichst jeden an, der dir sympathisch scheint?" Ihre Stirn runzelte sich. Ich schüttelte den Kopf. „Nur die, die ich hübsch finde", antwortete ich wahrheitsgemäß, denn ich fand Lynn unglaublich hübsch. Ihre Wangen röteten sich.
„Du findest mich hübsch?" Sie blickte schüchtern zu mir auf. „Ja, sehr sogar", sagte ich und lächelte sie leicht an. Wir blickten uns für einige Sekunden tief in die Augen, bis Lynns Telefon klingelte. Sie wandte sich ab.

„Hey Schatz", ging sie mit zarter Stimme ans Telefon,„ich bin gerade auf dem Weg nach Hause, und du?"
Eine Weile redete Nick, bis Lynn schließlich sagte: „Na gut, dann hol mich eben ab." Dann gab sie ihm ihren Standort weiter und legte auf.
Ohne dass ich es bemerkt hatte, waren meine Hände zu Fäusten geballt. Wut stieg in mir auf, dass Lynns Freund uns ständig in die Quere kam. Ich konnte nicht einmal einen Moment mit ihr genießen, ohne dass sich der "ach-so-tolle" Nick" meldete.

„Ich sollte lieber gehen", meinte ich schroff und sah sie dabei an. Ihr Blick war eher unschlüssig, dennoch nickte sie langsam. Das war mein Zeichen, ich musste gehen, was ich dann auch tat.

 

 

22. Dezember 2003

Meine Mutter und ich saßen auf dem Sofa. Micheal war in der Küche, um uns etwas zu trinken zu holen. Ich langweilite mich sehr und wusste nicht, weshalb wir hier waren. Es machte für mich keinen Sinn, jemand neues kennenzulernen. Ich brauchte nur meinen Vater und meine Mutter. Dieser Michael konnte mir gestohlen bleiben.
„So", rief er lächelnd aus, „einen Kakao für den Matt und einen Kaffee für seine hübsche Mutter." Meine Mutter errötete und ich stand wütend auf. „Mama, ich will nach Hause", motzte ich weinerlich. Meine Mutter sah völlig peinlich berührt zu Micheal. „Es tut mir so leid, sonst ist er nicht so unhöflich", meinte sie und dann richtete sie sich an mich: „Ich dachte, ich hätte meinen Sohn besser erzogen!"

Ich hörte auf zu weinen und verstand. Leise setzte ich mich wieder hin und schwieg.

„Wie geht es dir , meine Liebe", wollte Michael von meiner Mutter wissen, wobei er ihre Wange sanft streichelte. Sie schloss ihre Augen. „Es ist alles so anstrengend. Das mit der Scheidung muss noch angegangen werden und das mit Matt." Sie öffnete ihre Augen und blickte mich liebevoll an. „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe", klagte sie. 
Michael warf mir einen Blick zu, den ich in dem Alter noch nicht deuten konnte. „Keine Sorge, ich helfe dir dabei."

 

 

 

Kapitel 9

 

Nachdem ich gestern bei Lynn war, ging ich nach Hause und legte mich direkt schlafen. Nachdem ich am letzten Tag des Wochenendes mit Perseus unterwegs gewesen war, endeten meine freien Tage recht schnell. Nun war ein neuer Tag angebrochen, dem ich nicht optimistisch entgegenblickte. Die Stimmung in der Trainingsgruppe war sehr angespannt und zwischen mir und Lynn lief rein gar nichts. Und genau das machte mir zu schaffen. Ich wollte sie küssen. Darin war ich mir sicher. Aber wollte sie mich küssen? Wahrscheinlich nicht. Sie hing an ihrem Freund Nick.

Und ich musste in die Schule. Das war sowas von deprimierend. Ich hatte also keine andere Wahl als meine tägliche Morgenroutine durchzuführen und dann zur Schule zu fahren. 
Als ich dort ankam, war es natürlich mal wieder Chloe, die auf mich zukam. „Haben du und Mike euch wirklich -", fing sie aufgeregt an, doch ich unterbrach sie genervt. „Ich habe ehrlich gesagt keine Lust darüber zu reden." Chloe verstummte und schenkte mir ein halbherziges Lachen, dann ging sie davon. Natürlich war es total unhöflich sie zu unterbrechen, aber ich trug eine enorme Wut mit mir herum. Ich wollte unbedingt herausfinden, was das für Gefühle waren, die ich Lynn gegenüber empfand. Während des ganzen Schultages konnte ich mich kaum konzentrieren. Es machte mich ungeheuer wütend, dass ich so viel darüber nachdenken musste. Während ich aus dem Schulgebäude heraus ging, empfing ich eine Nachricht von Perseus. Der Unterricht würde für heute ausfallen. Was für eine Erleichterung! Ich musste mich nicht mit Mike herumschlagen, der jetzt ganz sicher mit Hayley zusammen war. Ich nahm den Bus und fuhr zu Starbucks. Dort entdeckte ich Lynn, die gerade an der Kasse stand. Ich gesellte mich lächelnd zu ihr.„Hey", sagte ich mit sanfter Stimme. Sie grinste mich an. „Hey." Ich bestellte für uns beide einen Kaffee Latte und wir setzten uns hin. 
„Du hättest dabei sein sollen, als unserer Schulleiter sich aufgeregt hat. Er hat gefordert, dass sich die Verantwortlichen sofort bei ihm melden. Es war einfach so witzig. Er war total außer sich, konnte gar nicht nachvollziehen, wie jemand auf so eine Idee kommen würde..", sprudelte es lachend aus Lynn heraus. Während ich ihr zuhörte, beobachtete ich sie und plötzlich wünschte ich mir sehnlicher denn je sie zu küssen, aber ich wusste, dass mir dieser Wunsch nicht erfüllt werden würde. Ich musste diese Gedanken abschütteln. Lynn war nicht irgendein Mädchen, mit dem ich mich nett unterhielt. Sie war mein Fall.

„Alles okay?", wollte Lynn plötzlich von mir wissen, sodass ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ich nickte langsam. „Erzähl' mir bisschen von dir", bat ich sie lächelnd, um den Fall voranzutreiben. Wir redeten über alles mögiche: Über ihren Lieblingsladen, ihr Lieblingsplüschtier in der Kindheit, über ihren Schulterbruch, als sie sich nicht traute, auf einem Balken zu balancieren und vielem mehr. Ich hörte ihr aufmerksam zu und oft ergaben sich Gemeinsamkeiten. Nach einer gefühlten Ewigkeit fragte sie mich schließlich: „Was ist mit dir?"
Ich schluckte schwer. War ich bereit ihr einen Einblick in die tiefsten Abgründe meines Lebens zu geben? Noch  nicht. „Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen", meinte ich ausweichend, doch Lynns Blick durchbohrte meinen. Ich spürte, dass sie sich nicht zufrieden gab, weshalb ich beschloss ihr von Danny zu erzählen. „Es gab da mal jemanden in meinem Leben"; setzte ich behutsam an. Ihre Augen sahen mich forschend an. „Er hieß Danny. Er war mein bester Freund", erzählte ich ihr mit rauer Stimme. „Er war?" Unsicherheit war aus ihrer Stimme herauszuhören. Ich nickte. „ Er und ich hatten einen Unfall, als wir noch etwas jünger waren, etwa 13-14 Jahre alt. Wir waren am Strand und für einen Moment war unser Adoptivvater Perseus nicht da. Wir nutzten die Gelegenheit, um ein Lagerfeuer anzuzünden, so wie es echte Pfadfinder tun. Als wir jedoch das Feuer anzündeten, ging es auf Danny über und voller Panik war das erste was er tat, ins Wasser zu rennen. Danny konnte aber nicht schwimmen und als ich ihn versuchte aus dem Wasser zu holen, ertrank ich fast selbst dabei. Die Rettungsschwimmer fischten uns beide schließlich aus dem Wasser, Danny hatte es jedoch nicht überlebt." Meine Stimme brach ab und Tränen sammelten sich in meinem Auge an. Ich spürte, wie ich vor der Schuld zu ersticken drohte. Lynn legte ihre Hand auf meine und schluchzte: „Es tut mir unheimlich Leid." Ich nickte sie dankend an, jedoch war das nicht genug. Ihre Worte konnten die Leere, die seitdem in mir war, nicht füllen. Völlig unüberlegt stand ich auf, ich musste heraus. Das spürte ich. 
„ICh muss gehen, tut mir leid", sagte ich und ging mit schnellen Schritten rasch aus dem Cafe. Der Abend war schon herangebrochen. Ich erlaubte es mir, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, indem ich um die Ecke des Cafes zum Stehen kam und laut aufschluchzte. Ich musste an Danny denken, Danny der sich stets auf mich verlassen hatte. Danny, der es geschafft hatte, die Leere zu füllen, die meine Eltern hinterlassen haben. Ohne jede Vorwarnung spürte ich zwei Arme, die sich um  mich schlangen. Es war Lynn, die mich fest an sich drückte. 
„Es ist okay", flüsterte sie. Ich versuchte mein Schluchzen zu unterdrücken, denn noch nie hatte mich jemand in solch einer Verfassung gesehen, nicht mal Perseus, jedoch gelang es mir nicht, meine Gefühle nicht zum Ausdruck zu bringen. Ich erwiderte Lynns Umarmung und drückte sie fest an mich. Mein Weinen wurde immer weniger, bis ich schließlich ganz aufhörte. Ich hielt sie noch eine Weile fest, denn ich fühlte mich unendlich wohl in ihren Armen. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste ich mich von ihr und wir sahen uns tief in die Augen. „Danke", brachte ich mühselig über die Lippen, denn meine Stimme drohte wegzubrechen. Sie legte ihre Hand auf meine Wange und wischte mir lächelnd eine Träne vom Gesicht. Ich war um einiges größer als sie und als ich mich schließlich völlig übereilt dazu entschloss, sie zu küssen, beugte ich mich vor und legte meine Lippen auf ihre. Lynn war total überrascht, jedoch erwiderte sie den Kuss zaghaft. Es fühlte sich so an, als ob jede Faser in meinem Körper elektrisiert wurde. Noch nie hatte ich einen Kuss so genossen, noch nie habe ich mir einen Kuss so sehr herbeigesehent. Ich legte meine Hand an ihre Hüfte und schob sie näher an mich heran, woraufhin Lynn sich aber hektisch von mir löste. Ich konnte ihren Blick nicht deuten, jedoch ohrfeigte sie mich im Anschluss mit solch einer Kraft, dass ich wusste, was der Blick bedeutete. Sie war aufgebracht. „Wieso tust du das, Matt?", wollte sie wütend von mir wissen. „Ich bin mit Nick zusammen!" Anstatt ihr zu antworten schwieg ich, denn ich hatte keine Ahnung, was ich ihr darauf antworten sollte. Wie sollte ich ihr eine Antwort darauf geben, wenn ich selbst noch nicht wusste, wie viel sie mir bedeutet und warum ich das getan hatte? Ich hatte mich gehen gelassen. Noch nie war ich soweit gegangen, aber das mit Lynn war anders. „Ich rede mit dir!", zischte Lynn weinend. „Ich habe Nick betrogen"; sagte sie fassungslos. „Es tut mir leid", murmelte ich vor mich hin. „Mir tut es auch leid", erwiderte Lynn und ging mit schnellen Schritten davon und ich blieb alleine zurück.

 

 

 

31. Dezember 2003

 „Gleich ist es soweit", meinte meine Mutter aufgeregt zu Michael. Wir waren bei uns zuhause und es waren nur noch wenige Minuten bis zum Jahreswechsel. Michael drückte meiner Mutter einen innigen Kuss auf, während ich an meinem Kinderchampagner nippte. Ich wartete gespannt auf das Feuerwerk, das ich wie jedes Jahr mit meiner Mutter vor unserer Haustür entzündete. „Mama, fangen wir gleich an?", wollte ich von ihr wissen.

„Dieses Jahr entfachen du und ich das Feuerwerk"; verkündete Michael und lächelte mich an. Ich sah unschlüssig zu meiner Mutter und sie nickte mir zu.  Also gingen Michael und ich alleine herunter, jedoch herrschte eine seltsame Stimmung. Als wir unten ankamen, begannen wir mit dem Feuerwerk. Micheal entfachte eine Wunderkerze und beugte sich vor: „Du benimmst dich absofort!". Er drückte mir die Wunderkerze auf die Hand, woraufhin ich anfing zu schreien. Er hielt mir den Mund zu. „Kein Wort zu deiner Mutter", zischte er und zog mich mit nach oben.

 

 

Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so einsam gefühlt wie in diesem Moment. Ich war vollkommen auf mich alleine gestellt. Ich wusste, dass ich Lynns Fall abgeben musste. Es war unmöglich für mich, noch ihre Seele auszusaugen, da jegliche Art von Vertrautheit nicht mehr gegeben war. Lynn hasste mich. Sie hasste mich dafür, dass ich aus ihr eine Betrügerin gemacht hatte und das konnte ich ihr nicht verübeln.Langsam machte ich mich auf den Weg nach Hause, um mit Perseus zu reden. Er würde sicher nicht erfreut darüber sein, dass ich den Fall abgeben möchte, aber im Moment sah ich keinen anderen Ausweg. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich schließlich das Haus und betrat das Haus. In der Küche fand ich Perseus, der gerade am Kochen war. 
„Wir müssen reden", meinte ich und blickte ihn unschlüssig an. War ich bereit dafür? Perseus wandte sich erwartungsvoll um und sah mich fragend an. „Ich...", fing ich langsam an, jedoch verstummte ich gleich wieder. Noch nie war mir das passiert. Sonst erledigte ich meine Aufträge recht schnell und war bekannt dafür, ein aufstrebender Seelenfänger mit hohem Potenzial für die oberste Leistung zu sein, doch das, was ich mir mit Lynn geleistet hatte, enstprach diesen Erwartungen nicht mehr. „Los, Matt!", riss Perseus mich hektisch aus meinen Gedaken, „die Soße brennt sonst noch an!" Na gut. Dann musste ich ihm davon erzählen. „Ich habe Probleme bei meinem Fall", gestand ich kleinlaut. Perseus sah mich mit großen Augen an. „Du? Der sonst so selbständige Matt hat ein Problem mit seinem Fall?" Er konnte es gar nicht fassen. Ich nickte demütig. Perseus brach in schallendes Gelächter aus, was mich enorm wütend machte, schließlich hatte ich meinen ganzen Mut zusammengenommen, um Perseus nach Hilfe zu fragen. „Dann eben nicht", rief ich griesgrämig aus. Er hatte meinen Stolz erheblich verletzt. Langsam wurde Perseus bewusst, dass meine Frage ernst gemeint war. 

„Du meinst es ja wirklich ernst", stellte Perseus verwundert fest. Ich nickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an.„ Was ist los?", fragte Perseus mich und nahm den Topf vom Herd. Ich setzte mich hin  und schaute auf meine Hände. „Ich glaube, ich habe meinen Fall nicht mehr unter Kontrolle", gestand ich ihm kleinlaut.
„Wie meinst du das?", hackte Perseus nach. Sollte ich ihm von meinen Gefühlen für Lynn erzählen; Von dem Gefühl der unendlichen Freude, als sich unsere Lippen berührt haben;  von der Sehnsucht, die sich wie ein schwarzes Loch in mir breit machte ; oder vom Scham, der mich zu erdrücken drohte? 
„Matt?", riss mich Perseus besorgt aus meinen Gedanken. Ich sah ihn verunsichert an. „Ich glaube, ich kann Lynns Seele nicht einfangen. Die nötige Verbundenheit konnte ich nicht aufbauen", log ich Perseus teilweise an, denn es stimmte ja auf eine Weise an. Lynn hasste mich. Diese Erkenntnis traf mich wie eine Wucht.
„Als ob du dich von soetwas herunterkriegen lässt", meinte Perseus aufmunternd. Ich lachte traurig auf. „Diesmal ist es anders", ewiderte ich nachdrücklich. Perseus musterte mich. „Ist irgendetwas zwischen euch vorgefallen?" Der scharfe Unterton seiner Stimme war deutlich herauszuhören. Ich wusste, es war nicht richtig, ihm von unserem Kuss zu erzählen. Er wäre unendlich enttäuscht. „Nein", log ich erneut. Er nickte mir zu und sagte dann: „Du hast ja noch etwa 2 1/2 Wochen. Das ist genug Zeit, um die Verbundenheit aufzubauen. Mach' dir keinen Kopf. Wir alle haben mal Probleme."
Ich schwieg ihn an. Mir schwirrten zu viele Gedanken im Kopf herum. Der Gedanke, ein weiteres Mal enttäuscht worden zu sein, nagte an mir, drohte mich innerlich zu zerfressen. Ohne etwas zu sagen, erhob ich mich und ging mit schnellen Schritten aus dem Haus. Ich wählte beim Herausgehen Jessicas Nummer. 

 

„Ich freue mich, dass du gekommen bist", murmelte sie an meinem Ohr. Ich war bei ihr zu Hause und sie saß auf meinem Schoß. Ich legte meine Hand an ihre Wange und zwang sie, mich anzugucken. Lynn blickte mir geradewegs in die Augen. „Was tust du mit mir?", wollte ich völlig perplex von ihr wissen. Sie lächelte mich auf ihre niedliche Art an.„ Ich habe dich verzaubert", kicherte sie kindlich. Ich drückte sie mit meiner freien Hand näher an mich heran.  „Das hast du wirklich", murmelte ich und legte meine Lippen auf ihre.

 

 

Ich schlug meine Augen auf. Das pompöse Zimmer von Jessica erkannte ich sofort. Jessica lag neben mir und beobachtete mich auf ihrem Bauch liegend. „Endlich bist du wach", rief sie erleichtert aus und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, den ich halbherzig erwiderte. Der Vorfall mit Lynn gestern hatte mich in übliche Verhaltensmuster zurückfallen lassen. Doch wie immer hatte der kurze Moment der Lust meine Schmerzen nicht betäuben können. Viel mehr hatte ich das Gefühl, dass die einzige Medizin meiner Probleme Lynn war. 

Doch ich lag hier mit ihrer Freundin Jessica, die mir über die Brust streichelte, die mir das Gefühl von Liebe gab, gleichzeitig aber fühlte ich mich einsamer denn je. 
„Worüber denkst du nach?", wollte sie leise wissen. Ich drehte meinen Kopf zu ihr. „Das würdest du nicht verstehen", gab ich nachdenklich von mir. „Du kannst es ja probieren", hielt sie dagegen. 
„Was verstehst du unter Liebe?", fragte ich sie schließlich, ohne eine ernstzunehmende Frage zu erwarten.
Sie lächelte mich an. „ Willst du mir etwa deine Liebe gestehen?" Ich schüttelte den Kopf. „Ich wusste doch, dass du es nicht verstehen würdest", stieß ich genervt von mir.

„Lieben heißt. ein besserer Mensch für den anderen werden zu wollen; Lieben bedeutet, dass du bereit bist, alles für den Anderen zu tun, ohne zu zögern. Liebe bedeutet, dass du ehrlich und treu bist, egal was passiert, egal wie schwer die Situation auch erscheinen mag. Liebe bedeutet, den Anderen ständig bei sich haben zu wollen. Liebe bedeutet, dass die Sehnsucht nach dem Anderen einen innerlich zu zerbrechen droht. Liebe bedeutet, dass alleine der Gedanke an den Anderen einen unendlich glücklich macht. Liebe bedeutet, dass man endlich über seinen Schatten springt. Lieben bedeutet einfach, dass man vor nichts und niemanden Angst hat und seine Gefühle offen zu gibt." Jessica beendete ihre Defintion von Liebe, die mich sprachlos machte.
Lieben bedeutete stets für mich verletzt und enttäuscht zu werden. Anders hatte meine Mutter es mich nicht gezeigt. Doch langsam begriff ich, dass Liebe viel mehr als das war, was ich mir eingestehen wollte. Und die Gefühle, die ich für Lynn hegte, waren annähernd so stark, wie die, die ich Jahre über für meine Mutter hatte, natürlich auf andere Weise. Ich liebte meine Mutter instiktiv, doch Lynn rief in mir eine tiefe Leidenschaft und Zuneigung hervor. Das paradoxe an der Situation war, dass ich nicht mit Lynn hier lag, sondern mit ihrer besten Freundin.
„Überlegst du gerade, ob du mich liebst?", kicherte Jessica und streichelte meine  Wange. Ich sah sie eingiebig an und wusste, dass ich zu Lynn musste. Auch wenn sie mich hasste. Auch wenn ich mir sicher war, dass sie mich nicht sehen wollte. Ruckartig sprang ich auf und suchte hektisch meine Sachen  zusammen. „Was tust du?" , fragte mich Jessica, nachdem ich mich angezogen hatte. „Es tut mir leid, Jessica. Das war ein Fehler!" , erwiderte ich schuldbewusst und dann ging ich rasch aus ihrem Zimmer.

 

 

Binnen von 30 Minuten war ich zuhause angelangt. Perseus stand vor meiner Zimmertür. Fragend blickte ich ihn an. „Du musst zur Schule! Mir ist es egal, wo du dich gestern herumgetrieben hast, falls du denkst, ich sei deswegen vor deiner Tür!", meinte er nachdrücklich. Ich nickte genervt und huschte an ihm vorbei in mein Zimmer. Dort ging ich ins Bad und nahm eine ausgiebige Dusche.  Wie sollte ich Lynn von mir überzeugen? Sie liebte Nick. Dieser Gedanke machte mich auf eine Weise wütend, die ich schon seit langem verspürte. Doch ich grübelte schon länger darüber, was diese Gefühle zu bedeuten hatten, jedoch wurde mir schlagartig bewusst, worum es sich handelte: Eifersucht. Die Art von Gefühlen, die Mike verspürte, als er herausfand, dass ich mit Hayley geschlafen hatte. Plötzlich empfand ich soetwas wie Schuld Mike gegenüber, denn ich hatte mit seinen Gefühlen gespielt. Ich nahm mir vor, mich beim Training bei ihm zu entschuldigen. Es wurde an die Badezimmertür geklopft. 
„Los, Matt!", rief Perseus energisch, woraufhin ich das Wasser abstellte und mich für die Schule fertig machte.

 

„Danke fürs Fahren", bedankte ich mich bei Perseus und wollte gerade aussteigen, als er meinen Arm umfasste.
„Pass' auf dich auf", meinte er nur und ließ mich los. Ich nickte ihm zu und trat aus dem Auto. Als er wegfuhr betrat ich das Schulgebäude und machte mich auf dem Weg zu meinem Mathekurs, als ich plötzlich von hinten angerempelt wurde. Da ich eine gute Balance hatte, hielt ich mich sicher auf den Beinen. Dennoch war ich überrascht, wer mich so anrempeln würde. Ich drehte mich um und blickte in Nicks Gesicht.
„Was willst du?", knurrte ich ihn an. Er versetzte mir einen Stoß. Ich biss meine Zähne aufeinander und schlug ihm in den Bauch. Wut zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Lass' gefälligst die Finger von Lynn!", zischte er und schlug ein weiteres Mal auf mich ein. Um uns hatten sich schon eine Menschenmasse gebildet, die uns anjubelte.
„Was ist dein verdammtes Problem?!"; schrie ich ihn an, während ich ihn zu Boden drückte. „Du hast Lynng geküsst, du elender Bastard!", brüllte er mich völlig übergeschnappt an und schlug meinen Kopf gegen seinen.
Ich taumelte nach hinten und mir wurde mulmig. Lynn hatte Nick von unserem Kuss erzählt? Wieso sollte sie das tun? Hatte sie so ein schlechtes Gewissen? Meine Gedanken schwirrten nur so umher, sodass ich nicht mitbekam, wie Nick mir einen weiteren Schlag direkt ins Gesicht verpasste. Ich spürte, wie Blut meinem Gesicht entlang floss und meine Wut war nun ungezügelt. Ich richtete mich auf und schlug blind auf ihn ein. Nach einiger Zeit spürte ich das Blut an meinen Händen, doch das hielt mich nicht ab. Erst als ich keinen Widerstand mehr spürte, öffnete ich meine Augen. Nick lag blutend und bewusstlos auf dem Boden und regte sich nicht mehr. Die Masse um mich sah mich schockiert an. Ich selbst war völlig perplex. Was hatte ich angerichtet? Ich nahm mein Handy heraus. Anschließend rief ich den Notruf. 

 

 

„Was sollte das?", schrie mich Perseus im Krankenhaus. Nachdem ich den Notruf gerufen hatte, brachte man mich und Nick ins nächstgelegene Klinikum, wo wir ambulant behandelt wurden. Nick war wieder bei bewusst sein, und lag auf der Liege neben mir.
„Er hat angefangen", murmelte ich vor mich hin. Perseus ballte seine Hand zu einer Faust. Dann richtete er sich an Nick.  „ Wieso hast du ihn angegriffen?", wollte er nun wissen. Plötzlich stieg Panik in mir auf. Falls Nick ihm den wahren Grund nennen würde, hätte das enorme Konsequenzen. Ich müsste meinen Fall abgeben.
„Willst du mir nicht lieber etwas zu trinken holen?", warf ich hektisch ein und schob Perseus in Richtung der Cafeteria. Er musterte mich verwundert. Genauso wie Nick.
 „ Worum geht es hierbei, Matt?" Perseus ließ sich nicht abschütteln. Ich seufzte laut auf. Wie sollte ich es ihm bloß beichten? Doch Nick übernahm diese Aufgabe, denn er rief verärgert: „Er hat meine Freundin geküsst".
Perseus sah mich mit großen Augen an. Purer Scham machte sich in mir breit. Mir wurde langsam bewusst, wie falsch mein Handeln gewesen ist.
Bevor Perseus etwas sagen konnte, entschuldigte ich mich „Es tut mir Leid, Nick. Sie ist deine Freundin. Das hätte ich nicht tun sollen!" Sowohl Nick als auch Perseus blickten mich musternd an.
„Meinst du das auch wirklich ernst?" Perseus Frage irritierte mich. War ich denn sonst so ein schlechter Mensch, der seine Fehler nicht zugeben wollte? Obwohl, wenn ich so nachdachte, dann war das so. Ich entschuldigte mich nie für mein Fehlverhalten, doch Lynn brachte in mir eine gute Seite hervor.
Ich nickte und ging dann auf Nick zu, wobei ich ihm meine Hand hinhielt. „Es wird nicht wieder vorkommen", versprach ich ihm kleinlaut. Er umfasste meine Hand mit einem festen Griff.
„Das will ich auch für dich hoffen!", drohte er mir. Ein eiskalter Schauder lief mir meinen Rücken entlang. Ich beendte unseren Händeschlag, drehte mich zu Perseus und zog ihn mit mir in Richtung Ausgang. Er hatte nicht herausgefunden, dass ich sich um Lynn handelte. Was für ein Glück!
Dennoch schwieg Perseus die ganze Fahrt über. Nach einiger Zeit hielten wir vorm Trainingsquartier. Fragend blickte ich ihn an. Doch er schwieg weiterhin. „Wieso hast du mich hier hin gefahren?!", hakte ich nach.
„Weil ich dich nicht zuhause haben will", brachte er Zähne knirschend hervor. Oh, er war sauer.
„Wie konntest du soetwas tun, Matt? Hast du nichts aus deiner Vergangenheit gelernt?" Anschuldigend sah er mich an. Ich legte meine Stirn in Falten. Was meinte er?
„Deine Mutter hat deinen Vater mit Michael betrogen, während sie noch verheiratet haben. Wie hat sich dein Vater damals gefühlt, als er es herausgefunden hatte? Erinnerst du dich nicht daran, wie du.." , erklärte Perseus, doch ich fiel ihm ins Wort.
„Ich ähnel diesem Bastard auf keinste Weise!", schrie ich Perseus mit Tränen in den Augen an. „ Nein, Matt! Du bist genauso wie er! Du hast dich an eine Frau herangemacht, die mit jemand anderem liiert ist."
Die Wut drohte mich innerlich zu erdrücken.„ Er hat unsere Familie zerstört", schluchzte ich.
„Und du hast eine Beziehung zerstört! Ich dachte stets das wäre eine Limit für dich. Niemals konnte ich dir diese unzähligen One- Night- Stands ausreden, aber die Tatsache, dass du niemals jemanden auf so eine Weise hintergehen würdest, ließ mich nachts wenigstens in Ruhe schlafen. Doch was du getan hast, ist auf keiner Ebene zu entschuldigen. Was hast du dir dabei gedacht?" Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
„Ich dachte mir, ich liebe sie", gestand ich ihm schluchzend. War ich wirklich wie Michael? Michael, der meine Mutter für sich eroberte, obwohl sie mich und meinen Vater hatte. 
Perseus sah mich mit aufgerissenen Augen an. „Matt, ist das wahr? Du liebst dieses Mädchen?" 
Anstatt ihm aber zu antworten, stieg ich rasch aus und rannte ins Trainingsgebäude. Ich konnte dieses Gespräch nicht führen, nicht jetzt.

 

 

Ich stürzte völlig aufgelöst in den Trainingsraum, weshalb mich die anderen völlig verwundert ansahen. Ich hoffte nur, dass man mir mein Heulen nicht ansah. Ich setzte mich auf den freien Platz neben Joshua und folgte dem Unterricht. Jedenfalls versuchte ich das, denn meine Gedanken waren wie immer bei Lynn. Wieso liebte sie Nick und nicht mich? Diese Frage nagte an mir wissend, dass ich niemals eine Chance bei ihr haben würde. Sie war so nett, so gütig, so herzlich, so unschuldig. Was war ich dagegen? Ein gemeiner, egoistischer Zyniker, der jeden um sich verletzte. Vielleicht hatte Perseus Recht. Vielleicht ähnelte ich Michael mehr, als ich zugeben wollte.

„Matt", riss mich Joshua aus meinen Gedanken. Ich blickte ihn an. „Ist alles okay?", wollte er besorgt von mir wissen. Der dicke Kloß in meinem Hals verhinderte, dass ich Joshua antworten konnte, weshalb ich nur den Kopf schüttelte. „Willst du darüber reden?" Joshuas Fürsorge schätzte ich sehr, doch er war der letzte, der davon erfahren sollte. Er wäre unendlich wütend auf mich, zumal er ja selbst eine Freundin hat.
„Ich kann nicht", brachte ich schließlich mühsam über meine Lippen. Joshua verstand und legte seine Hand auf meine Schulter. Damit zeigte er mir seine Anteilnahme. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich nicht vollkommen alleine.  Ich versuchte, mich auf andere Gedanken zu bringen, indem ich dem Unterricht folgte.

Der Trainer erzählte uns von der Tafel in New York. Vor mehreren Jahrhunderten fand man sie im Kaukasusgebirge. Sie war in einer Höhle versteckt. Die Entdecker haben die Tafel über Jahrzehnte nicht verstanden, denn es erscheinten Namen, die keiner kannte, die keiner zuordnen konnte. Mit dem Beginn der Industrialisierung wurde das Reisen erleichtert, weshalb man die Tafel zunächst nach England brachte. Dort sammelten sich wichtige Forscher, um den Mysterium der Tafel nachzugehen.  Als der Name von einem der Forscher auf der Tafel erschien, wurde er zum lebenden Testobjekt. Man führte etliche medizinische Tests durch und als die Forscher nach 8 Wochen immernoch kein Ergebnis erzielten, brachte sich die Testperson, die inzwischen nicht mehr ganz bei Verstand war, um, woraufhin der Name verschwand. Und so entwickelten sich die Methoden immer weiter, bis, wie heute, die Seelen ausgesaugt werden, damit die Menschheit nicht von der geheimen Loge erfuhren.
„Wir machen dann mal eine kleine Pause", teilte uns der Trainer mit und jeder entspannte sich augenblicklich. Mit meinen Augen suchte ich den Raum nach Mike ab, den ich etwas weiter vorne dann entdeckte.
Ich stand auf und ging mit unsicher auf ihn zu. Als ich vor ihm zum Stehen kam, sah er mich wütend an.
„Was willst du?" Seine Stimme war viel mehr ein Zischen. „Und was ist mit deinem Gesicht passiert? Da gibt es wohl noch andere Menschen, die dich nicht leiden können", fügte er gehässig zu. Automatisch fasste ich an mein Gesicht, das noch leicht angeschwollen war. Meinen neuen Grundsätzen entsprechend erwiderte ich nichts auf seinen Kommentar, sondern erklärte aufrichtig: „Ich bin hier, um mich zu entschuldigen. Es war falsch mit Hayley zu schlafen. Ich habe gewusst, was du für sie empfindest und trotzdem habe ich mit ihr geschlafen."
Mike sah mich mit einem kritischen Blick an. „Wie kommt dieser plötzliche Sinneswandel?" 
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe endlich verstanden, was es bedeutet zu lieben", entgegente ich ehrlich und gab Mike damit eine Möglichkeit mir zu schaden, da ich ihm meine verletzliche Seite offenlegte.
Jedoch tat Mike das genaue Gegenteil. Er reichte mir seine Hand. „ Es tut mir leid, Matt", sprach er mitfühlend. Ich zog meine Augenbrauen zusammen.
„Du verstehst es leider endlich jemanden zu lieben, den man nicht haben kann", beantwortete er meine unausgeprochene Frage. Ein Stich in meinem Herzen bestätigte mir die Richtigkeit seiner Worte. Ich erwiderte seinen Händeschlag und ging dann zurück an meinen Platz. Während ich zurücklief, bemerkte ich die unzähligen verwunderten Blicke. Jeder fragte sich, wie Mike und ich uns vertragen hatten. Hayley war die Erste, die auf mich zukam, bevor ich überhaupt am Sitzen war. „Was war das?", fragte sie mich völlig perplex. Ich lächelte sie gutmütig an. „Wir teilen das selbe Leid", entgegente ich trostlos. Sie verstand nicht, doch ich blickte sie nur resigniert an, weshalb sie zu Mike ging. Langsam setzte ich mich hin und bemerkte, wie Joshua mich beäugte.

„Was ist da gerade passiert?", fragte er völlig verwundert. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Wir haben uns vertragen", erwiderte ich mit fester Stimme. Joshua blieb weiterhin perplex.

„Also ich habe mich bei ihm entschuldigt", ergänzte ich nach einer kurzen Stille. Plötzlich brach Joshua in schallendes Gelächter aus. Ich wusste natürlich, wie sich das anhörte. Ich, Matt, der stets den Eindruck vermittelt hatte, jeder sei ihm unwichtig und er habe zu viel Stolz für soetwas, hat genau das getan, was niemand von ihm erwartet hätte: Er hat sich entschuldigt. 
Nachdem sich Joshua beruhigt hat, sah er mich eindringlich an. „Wer ist sie?", wollte er schließlich wissen und nun war ich es, der zunächst nicht antworten konnte. Woher wusste er, dass der Grund für meine Nettigkeit Lynn war?

„Wie kommst du darauf, dass ein Mädchen im Spiel ist?" Verwundert sah ich ihn an. Mein Gesicht tat mir immernoch ein wenig weh, weshalb mir auch das Reden nicht so leicht fiel.

„Ich habe eins und eins zusammengezählt", fing er an, „ du hast mich letztens gefragt, wie ich meine Liebe zu Karen entdeckt habe und jetzt kommst du mit einem Veilchen im Gesicht zum Trainung und entschuldigst dich bei Mike?" Er sah mich überlegen an. „Du bist ja für deine Frauengeschichten auch bekannt", fügte er neckend hinzu.

Ich hörte ihm schweigend zu und seine Schlussfolgerungen waren entrüstend. Joshua hatte mich auf eine Weise durchschaut, die ich nicht für möglich gehalten habe.

„Ich kann nicht", meinte ich dann endlich. „Ich darf sie nicht lieben", wisperte ich und dabei realisierte ich, welche Enttäuschung sich in mir breit machte. Der Gedanke, Lynn nicht lieben zu dürfen, brachte mich innerlich um. War das Schicksal gegen mich? All die Jahre war ich wie gelähmt, nicht in der Lage zu lieben. Und genau als ich meine Selbstzweifel und Zerrissenheit für jemanden überwinden konnte und mich in diese Person verliebte, durfte ich es nicht.

„Hat sie schon einen Freund?", hakte Joshua wissbegierig nach. Wenn es so einfach wäre, seufzte ich innerlich auf. Selbst wenn ich das mit Nick irgendwie hinkriegen würde, stünde meine Tätigkeit als Schattenjäger uns weiterhin im Weg.

Während ich Joshuas Frage mit einem Nicken bejahte, fürchtete ich, seinen Ekel mir gegenüber hervorzurufen.

„Das ist übel", kommentierte er mitfühlend. „Du findest mich nicht abscheulich für das, was ich für eine liierte Frau empfinde?" Ich sah ihn verwirrt an. Joshua schmunzelte leicht.„Niemand kann sich aussuchen, in wen er sich verliebt. Es passiert einfach", antwortete er ruhig. 

„Danke", brachte ich gerade noch so über die Lippen, denn Joshuas Fürsorge traf mich auf enorme Weise. All die Zeit hatte ich Joshua für seine Nettigkeit verabscheut, nicht in der Lage Karens Gefühle für ihn nachzuempfinden. Doch nun wurde es mir schlagartig bewusst: Joshua urteilte nicht über mich. Er urteilte über niemanden, denn er sah in jedem Vorhaben, in jedem Fehler einen Beweggrund.  
Joshua legte eine Hand auf meine Schulter. „ Das bedeutet aber nicht, dass du dich an das Mädchen heranmachen darfst!" Die Nachdrücklichkeit seiner Worte war nicht zu überhören. „Wenn ihr wirklich füreinander bestimmt seid, dann wird sie zu dir kommen. Sie muss es von alleine wollen.Ansonsten zerstörst du vielleicht eine einzigartige Beziehung." Joshuas Blick schweifte zu Karen, die sich gerade mit Chloe unterhielt. Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Irgendetwas hatte sich verändert an seinem Blick. Er sah Karen trauernd an und nicht so verliebt wie sonst.

„Ist alles okay zwischen euch?", hackte ich nun besorgt nach. Er nickte resigniert. „Wir haben uns gestritten, aber das ist nicht so wichtig."

„Wieso habt ihr euch denn gestritten?" Nun blickte ich auch zu Karen, die weiterhin mit Chloe beschäftigt war. 
„Sie will nach dem Abschluss wegziehen", erklärte er mir schließlich seufzend. Seine Hand nahm er von meiner Schulter und bedeckte damit sein Gesicht. „Und du willst nicht mit?", erwiderte ich vorsichtig.

Er schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Ich habe ein Stipendium für eine Universität, die mehr als 3 Stunden von Karens Universität entfernt ist." 

„Eine Sache habe ich gelernt", fing ich bedacht an, „ Liebe kennt keine Grenzen und keine Distanz. Ich weiß, dass du Karen liebst und dass sie womöglich die 'Eine' ist, weshalb du nicht so leicht aufgeben darfst. Eure Situation ist um einiges leichter: Du hast Karen schon. Du würdest dich ein lebenlang dafür hassen, wenn du sie jetzt gehen lässt. Glaub' mir, ich wünschte, ich wäre an deiner Stelle. Ich wünschte, ich könnte die Liebe meines Lebens als 'meins' bezeichnen, aber dieses Privileg habe ich leider nicht."

Joshua hatte mir aufmerksam zugehört.„Danke für den Rat, Matt. Ich werde aufjedenfall mit ihr reden!" Ich nickte ihm aufmunternd zu und ließ den Blick nach vorne schweifen. Was Lynn wohl gerade tat? Besuchte sie vielleicht Nick im Krankenhaus? Mein Herz versetzte mir einen Stich. Meine Gefühle hatten mich nicht mehr rational denken lassen, so wie immer. Jedes Mal ließ ich mich von den Schatten meiner Vergangenheit einholen. Vor allem der Gedanke an den Mann, der mein Leben zerstört hatte, führte zu tiefen Selbstzweifel, deshalb konnte ich Perseus Worte nicht abschütteln. Allein die Vorstellung, jemand hatte das selbe Bild von mir wie ich von Michael, machte mich Ungeheuer wütend. In meinen Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht, dass der Unterricht wieder begonnen hatte. Ich versuchte aufmerksam zuzuhören und als der praktische Teil begann, konnte ich wenigstens für ein paar Stunden meine Sorgen vergessen.

 

 

Nach dem Unterricht schloss ich mich der restlichen Gruppe an, die Pläne für einen gemeinsamen Abend gemacht hatten. Wir besuchten ein Konzert und obwohl ich nicht so ein großer Musikfan war, entspannte ich durch die Bassklänge. Ich schloss meine Augen, wobei ich mich vollkommen auf den Gesang des Frontsängers konzentrierte. Jemand tippte mich an, woraufhin ich meine Augen öffnete. Ich sah in Hayleys Gesicht.
„Was willst du?", zischte ich sie an und richtete meinen Blick wieder auf die Band. „Wieso hast du dich Mike entschuldigt?" Ihre Stimme bebte. „Das geht dich nichts an. Seit dem Moment, in dem du Mike davon erzählt hast, bin ich fertig mit dir. Hast du das verstanden?"  Ich funkelte sie an und mir war durchaus bewusst, dass ich in alte Verhaltensmuster zurückfiel, aber was blieb mir denn sonst anderes übrig? Hayley war nicht die Richtige und das wird sie auch niemals sein.
„Es ist schon echt auffällig, dass etwas mit dir vorgeht", murmelte Hayley vor sich hin und trat näher an mich heran. Sie griff in meine Haare und zog meinen Kopf näher an sich heran. Ihre Lippen verweilten an meinem Ohr. 
„Ich werde herausfinden, was du verheimlichst, Matt. Und sobald ich das getan habe, wirst du dir wünschen, du hättest mich anders behandelt", flüsterte sie mit einer Kälte in ihrer Stimme, die ich von Hayley nicht gewohnt war. Sonst erschien sie mir wie das hilflose, kleine Mädchen, das mit sich alles machen ließ. Doch ich hatte mich geirrt. In Hayley schlummerte mehr, als sie uns preisgab.
Urplötzlich löste sie ihren Griff und trat wieder zur Gruppe, die etwas weiter weg stand. Hayley durfte nichts von meiner Liebe zu Lynn erfahren, denn dann würden sie mich von ihrem Fall abziehen. Im Endeffekt müsste jemand ihre Seele aussagen und wäre es nicht besser, es käme von einer geliebten Person, fragte ich mich. Doch langsam ertappte ich mich selbst dabei, wie sehr ich mir wünschte, Lynns Seele nicht auszusaugen, sondern mit ihr abzutauchen, damit ich sie niemals wieder verlieren würde. War es unausweichlich? Wenn ich mich gegen die Loge stellte, dann würde ich alles verlieren. Meinen Vater, meine Freunde, meine Berufung. Waren die Gefühle für Lynn es wert, mein ganzes Leben über den Kopf zu werfen und mit ihr zu verschwinden? Diese Frage konnte ich mir noch nicht beantworten. Während ich in meinen Gedanken schwelgte, spielte die Band einen neuen, langsameren Song. Ich sah wie, sich Karen an Joshua schmiegte und er sie von hinten mit seinen Armen umschloss. Er blickte kurz zu mir herüber. Seine Augen strahlten und ich wusste, dass er sie liebte. Ich nickte ihm lächelnd zu und er schmunzelte leicht, widmete sich dann aber wieder seiner Freundin. Auch Chloe war mit ihrem Freund beschäftigt, den sie uns heute vorgestellt hatte. Er hieß Charlie und studierte Jura im 2. Semester. Er war schmächtig gebaut und war etwa 2 Köpfe größer als Chloe. Charlie schien ganz nett und zunächst hatte ich mich gefragt, ob er von unserem Geheimnis wusste, doch ich verwarf diesen Gedanken wieder schnell. Bestimmt hatte Chloe ihm nichts davon erzählt, damit würde sie ihn nur unnötig in Gefahr bringen, denn es war uns verboten, anderen die Existenz der Loge zu offenbaren. Ich versuchte meinen Kopf nun frei zu kriegen, indem ich der Musik meine volle Aufmerksamkeit schenkte.

 

Nach dem Konzert gingen wir in ein Diner und bestellten reichlich zu essen. Als mein Burger endlich vor mir stand, biss ich hinein. Joshua lachte mich aus und ich stimmte mit vollem Mund in sein Lachen ein, wodurch die anderen kichern mussten. Selbst Hayley schien wieder normal zu sein. Als ich auf die Toilette ging, folgte mir kurze Zeit darauf Charlie. „Matt, stimmts?", hakte er nochmal freundlich nach. Ich nickte und wusch mir dann die Hände.„Ihr seid echt cool drauf, Mann", meinte Charlie dann anerkennend, „ nach all der Zeit durfte ich euch endlich kennenlernen. Chloe hat sich immer geweigert, da dachte ich schon ihr wärt irgendeine seltsame Truppe." Er lachte auf. Ich grinste ihn an.„Wir wissen auch erst seit kurzem von dir", erwiderte ich dann. „Aber du scheinst auch ganz okay zu sein." Ich versetzte ihm einen Stoß, nachdem ich  meine Hände abgetrocknet hatte. „Und Hayley ist deine Freundin?", fragte er nun neugierig. Völlig überrascht fing ich lauthals an zu kichern. „Oh nein, man. Wir hatten mal was, aber das kann man nicht Beziehung nennen", meinte ich schließlich, als ich mich wiedergefangen hatte.
„Naja, die Richtige kommt bestimmt noch." Er lächelte halbherzig und dann gingen wir aus der Toilette. Am Tisch angekommen unterhielten wir uns mit dem Rest der Gruppe angeregt über den Auftritt der Band und ich verspürte endlich mal so etwas wie Freude, nachdem der Tag so schlecht angefangen hatte. „Also ich fand, dass die Band ganz toll gespielt hatte", widersprach ich Chloe, die gesagt hatte, die Band sei viel zu durchschnittlich gewesen. 
Charlie stimmte mir zu.„Schatz, die Band war der Wahnsinn!", wandte er sich an Chloe, die sich grummelnd geschlagen gab. Wir bestellten alle nach unserem herzhaften Essen Pancakes. Während wir auf die Bestellung warteten, schlug Hayley plötzlich vor: „Kommt, lasst uns Wahrheit oder Pflicht spielen!" Während ich und Charlie uns heftig dagegen zu wehren versuchten, waren die Anderen dafür, sodass es dazu kam, dass Hayley als erstes die Flasche drehte. Sie zeigte auf Charlie. „Wahrheit oder Pflicht?", wollte sie nun neckend von ihm wissen. Er grinste. „Wahrheit!" Für seine Antwort erntete er Buhrufe, doch seine Entscheidung wurde akzeptiert. Hayley überlegte kurz, bis sie dann sagte: „Mit wie vielen Jahren hast du deine Jungfräulichkeit verloren?" Forschend sah sie ihn an und für einen Moment dachte ich, ich hätte Scham in seinen Augen aufblitzen sehen, doch er antwortete gelassen: „Mit 16." Anerkenned klopfte ich ihm auf die Schulter und auch Joshua nickte ihm beeindruckt zu. Nun war Charlie an der Reihe und ich ließ meinen Blick kurz nach draußen schweifen, als ich Lynn mit Jessica ins Diner hingehen sah. Panische Angst packte mich und bevor ich reagieren konnte, waren beide schon drinnen und sahen mich. Jessica kicherte sofort auf und Lynn sah mir direkt in die Augen. Mein Herz setzte kurz aus. Ich konnte ihren Blick nicht deuten und war viel zu sehr in meinen Gedanken versunken, sodass ich nicht mitbekam, wie Joshua mehrmals meinen Namen rief, bis er mir schließlich einen leichten Stoß versetzte. Ich sah ihn perplex an. „Wahrheit oder Pflicht?", wiederholte Charlie seine Frage. Bevor ich antworten konnte, hörte ich wie Jessica meinen Namen rief: „Matt!!" Alle meine Freunde blickten zu ihr auf. Sie kam angelaufen und zog Lynn mit, die ihr nur widerwillig folgte. Als Jessica und Lynn vor unserem Tisch zum Stehen kamen, erhob ich mich. Die restliche Gruppe folgte dem Geschehen aufmerksam. Jessica sah kurz zu meinen Freunden, bevor sie sich an mich zog und mir einen innigen Kuss aufdrückte, den ich widerwillig erwiderte, jedoch löste ich mich wieder schnell von ihr und sah Lynn an. Sie schien angeekelt. Jessica legte ihre Hand auf meine Brust und sagte dann: „Willst du uns nicht vorstellen?" Ihre Augen klimperten mich an und ich seufzte genervt auf. „Nein, wieso sollte ich?" Sie funkelte mich wütend an und übernahm die Aufgabe selbst. „Hallo, ich bin Jessica, Matts Freundin", kicherte sie, „und das ist meine Freundin Lynn!" Lynn blickte auf den Boden, als Jessica „Matts Freundin" sagte und auch meine Freunde waren sichtlich überrascht. „Du bist nicht meine verdammte Freundin, okay?" , zischte ich sie wütend an, „das wirst du auch niemals sein. Ich brauche dich nicht! Wieso verstehst du das nicht?" Jessica war sichtlich beleidigt und errötete, da ich sie vor allen Leuten bloß gestellt hatte. Doch mir war die Meinung aller egal, denn ich sorgte mich nur um Lynn. „Gestern Nacht klang, das aber ganz anders", raunte sie mir leise zu, „du schienst sehr viel Spaß zu haben!" 
Ich sah, wie Lynn ihren Kopf anhob und mich geschockt ansah. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Diner. Unüberlegt folgte ich ihr und um die Ecke erwischte ich sie endlich. „Lynn, warte bitte!", rief ich ihr zu. Sie ging weiter und ignorierte meine Bitte. Als ich sie aber endlich zu fassen bekam, schüttelte sie mich sofort ab. „Du elender Bastard", schrie sie mich mit Tränen in den Augen an. „Du hast mit Jessica gestern Nacht geschlafen, nachdem du mich geküsst hast?" Nickend sah ich sie an. „Denkst du, dass alles hier ist ein Spiel, Matt? Denkst du, du kannst die Freundin eines Jungen küssen und dann schläfst du mit ihrer Freundin?", schrie sie mich weiter an. „Bin ich dir so wenig wert, dass du meine Beziehung nicht respektierst, verdammt nochmal!" Ich hatte Lynn noch nie so wütend gesehen. Tränen liefen ihr ihren Wangen herunter. „Du hast Nick davon erzählt, Lynn. Wieso hast du ihm davon erzählt?"; wollte ich von ihr wissen. Sie sah mich aufgebracht an. „Hörst du mir überhaupt zu? " Ihre Stimme hallte in der kleinen Gasse wieder. „Ich habe ihm davon erzählt, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Er ist schließlich mein Freund!" Lynn wischte sich mit ihrer Hand die Tränen aus dem Gesicht. „Ich habe dich nicht einfach so geküsst, Lynn", versuchte ich mich nun zu erklären. Ich trat näher an sie heran, doch sie wich nach hinten, solange bis sie gegen eine Wand stieß. Ich war nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt. Ihr Atem ging schneller. „Ich habe dich geküsst, weil ich es wollte. Ich wollte es so sehr", beteuerte ich nachdrücklich. 

„Wieso?", flüsterte sie heiser. Ich legte meine Hand an ihre Wange und schloss meine Augen. Kurz genoss ich den Moment der Nähe, doch Lynn legte ihre Hand auf meine und nahm sie von ihrere Wange. Forsch sah sie mich an. „Sieh in mein Gesicht , Lynn. Das war dein Freund", meinte ich und sie blickte mich verwundert an. „Nick und du habt euch geprügelt wegen mir?" Ich nickte. „Das wusste ich gar nicht"; murmelte sie gedankenverloren vor sich hin. „Hast du nicht mit Nick geredet?" Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nicht seitdem ich ihm vom Kuss erzählt habe." Nun blickte sie mir wieder tief in die Augen. „Matt, warum hast du mich geküsst?" Ich schluckte meinen Kloß herunter und versuchte der inneren Anspannung ein Ende zu bereiten. „Was denkst du wohl warum?", lachte ich verzweifelt auf. Lynn fasste meine Antwort als rhetorische Frage auf. „Lynn...", doch bevor ich meinen Satz beenden konnte, hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Ich wandte mich um und entdeckte Joshua, der auf uns zugelaufen kam. Schnell entfernte ich mich von Lynn. „Alles okay bei euch beiden?", wollte er besorgt wissen. „Ja, alles gut", beruhigte ich ihn. „Ich muss gehen", sagte Lynn nun schroff und ging los. Ich umfasste ihren Arm. „Bitte, Lynn. Bleib." Unendliche Traurigkeit war aus meiner Stimme herauszuhören. Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht", schluchzte sie, schüttelte meinen Arm ab und machte sich mit schnellen Schritten davon. Meine Füße setzten sich in Bewegung, da ich Lynn folgen wollte. Doch Joshua hielt mich davon ab. „Lass' sie gehen, Matt! Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt." Ich blieb stehen und schrie wüted auf. Dann schlug ich meine Hände vors Gesicht. Wieso musste es so kompliziert sein? Unendlich viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. „Matt, beruhige dich", redete Joshua besänftigend auf mich ein. Seine Stimme brachte mich zurück in die Realität, in der ich vor meinen Freunden Lynn hinterhergerannt bin. Ich konnte mich selbst dafür ohrfeigen, vor ihnen meine Fassung verloren zu haben. Insbesondere vor Hayley musste ich mich in Acht nehmen. „Matt", wiederholte Joshua. Langsam nahm ich meine Hände von meinem Gesicht und sah zu ihm. „Geht es dir gut?", hakte er fürsorglich nach. „Was denkst du denn?", erwiderte ich schroff. Er sah mich forschend an. „Willst du zurück zu den anderen?" Ich schüttelte den Kopf. „Das ist das Mädchen, das du liebst, stimmt's?" Joshua hatte mich durchschaut und damit war er bestimmt nicht der einzige. Die restlichen Gruppenmitglieder hatten wahrscheinlich die selben Schlussfolgerungen daraus gezogen, auch wenn sie nicht die ganze Geschichte kannten. Wie wütend ich auf Jessica war! Wie wütend ich auf mich selbst war! Lynns Reaktion hatte mir Gewissheit gegeben. Sie war sehr wütend auf mich. Aber hasste sie mich? „Denkst du sie hasst mich?", fragte ich Joshua stattdessen. Verwundert sah er mich an. „Ich glaube, sie hasst mich", ergänzte ich und spürte ich, wie sich mein Herz schmerzhaft zusammenzog. Joshua hingegen schwieg. Er schien nachzudenken, mein Blick schweifte derweil zur Wand. Lynns Nähe hatte mich elektrisiert. Diese wenigen Zentimeter, die zwischen meinen und ihren Lippen standen, waren unüberwindbar gewesen. Sie wollte nicht nochmal von mir geküsst werden, oder doch? Sie hatte mich gefragt, wieso ich sie geküsst hatte. Wenn sie nur wüsste, wieso, dachte ich verbittert. „Ich denke, sie hasst dich nicht", setzte Joshua nun vorsichtig an. „Ich verdiene sie nicht, Joshua. Sie ist viel zu gut für mich." Die Verbitterung in meiner Stimme war nicht herauszuhören. „Nein, Matt. Das ist nicht wahr!", widersprach Joshua mir sofort. Ein schwaches Lächeln huschte über mein Gesicht. „Danke, Joshua", meinte ich nur und ging dann in Richtung des Diners zurück.

 

 

Kapitel 10

 

01.01.2004

 

Micheal und ich waren wieder oben bei meiner Mutter. Sie hatte mich liebevoll in die Arme genommen, als wir in hineingetreten sind. Ich war kurz davor, ihr von Micheals  Tat zu erzählen, doch er sah mich drohend an, weshalb ich beschloss zu schweigen. Für lange Zeit. Für sehr lange Zeit.

 

Alles okay, Matt?", fragte mich Chloe besorgt, als ich wieder im Diner angelangt war. Joshua setzte sich kurz nach mir wieder zurück zur Gruppe. Ich nickte kurz. „Was war denn los?" Hayley sah mich forschend an. „Geht dich nichts an", fauchte ich sie genervt an. „Matt", mahnte mich Mike und ich seufzte auf. „Ist das wirklich deine Freundin?", hakte Karen kleinlaut nach. Aus Respekt zu Joshua reagierte ich nicht so wie zu vor. „Nein, ist sie nicht", meinte ich nur.  Die Stimmung war beklemmend. Jeder schaute mich an und ich konnte die unausgesprochenen Fragen in ihren Augen sehen. Das war unerträglich.„ Naja, wir waren bei Wahrheit oder Pflicht stehen geblieben, oder?", setzte Charlie nun grinsend an und allmählich entspannten wir uns alle. Ich warf ihm einen dankenden Blick zu. Den restlichen Abend über war ich glücklicherweise nicht mehr das Gesprächsthema, sondern Charlie, der uns von seinem Sommercamp erzählte, in dem er zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hatte. Ab und zu zeigte die Flasche auf mich, doch niemand traute sich, etwas über vorhin zu fragen. Viel mehr wurde ich gefragt, mit wie vielen Frauen ich schon geschlafen hatte und bei meienr Aufzählung fingen alle Jungs lauthals an zu lachen, wohingegen Hayley und der Rest der Mädchen total schockiert waren. Hayley erhob sich und ging zur Toilette. Als mein Blick kurz zu ihr schweifte, sah ich, wie sie mich zu sich winkte auf dem Weg zur Toilette. Ich stand auf und folgte ihr. Sie lehnte wartend an der Tür. Fragend zog ich meine Augenbrauen zusammen.„Was gibt's?"
„Du hast ja mit echt vielen Mädchen geschlafen!", rief sie schockiert aus und ich zuckte nur mit den Schultern. „Du gehörst auch zur langen, endlosen Liste", neckte ich sie und lehnte mich neben sie an.  „Ja", hauchte sie kaum hörbar. „Ich wünschte nur, du würdest mich so ansehen, wie du das Mädchen angesehen hast, dem du hinterhergelaufen bist", meinte sie nun mit einem Hauch von Traurigkeit in der Stimme und mir stockte der Atem.
„Du bist verrückt, Hayley. Da läuft nichts", antwortete ich und versuchte meine Angst davor, dass Hayley mich durchschaute, mit Lässigkeit zu überspielen. Ich drückte mich von der Wand ab und trat vor sie, wobei ich meine Handflächen gegen die Wand stützte. „Ich dachte, du hättest mir heute auf dem Konzert deutlich gemacht, dass du mich leiden sehen willst", flüsterte ich und beugte mich vor. „Wieso möchtest du dann so von mir angesehen werden?". Hayleys Atem ging schneller. Sie legte ihre Hand auf meine Wange. „Ich weiß es nicht", flüsterte sie mit rauchiger Stimme zurück. Wir sahen uns in die Augen. Hinter all dem Schmerz sah ich, dass Hayley immer noch Gefühle für mich hatte. Gefühle, die sie nicht rational handeln ließen. Genauso wie es bei mir der Fall mit Lynn war.
„Wieso bist du ihr nachgelaufen?", hakte sie ein weiteres Mal nach. Ihre Hand verweilte immer noch auf meiner Wange. „Sie ist mein Fall", erklärte ich ihr seufzend. Hayley sah mich entrüstend an. Sie nahm ihre Hand von meiner Wange. „Wie..", fing sie verwirrt an und verstummte dann wieder. „Du liebst sie?", fragte sie stattdessen. Ich schüttelte den Kopf und versuchte so überzeugend wie möglich zu wirken. „Ich kann keine Verbundenheit aufbauen, wenn ich mit ihrer besten Freundin im Bett war. Sie fühlt sich verraten. Mehr steckt nicht dahinter. Sie liebt mich nicht!", erwiderte ich ruhig. Mein Herz zuckte zusammen, bei meinem letzten Satz. Sie liebt mich nicht.

Ich habe nicht gefragt, ob sie dich liebt, sondern ob du sie liebst!", wiederholte Hayley fordernd. Was sollte ich tun? Mir kam eine Idee auf, für die ich mich selbst hassen würde, aber ich hatte keine andere Wahl. Langsam beugte ich mich weiter nach vorne, bis sich unsere Lippen fast berühren. Hayley schnappte überrascht nach Luft.
„Was tust du, Matt", hauchte sie und während sich ihre Lippen bewegen, streifen sie meine. 

 „Du musst dir eins merken, Hayley. Ich kann nicht lieben. Das solltest du von allen am besten wissen", raunte ich ihr mit kehliger Stimme zu. Bevor ich überhaupt aussprechen kannte, schlang Hayley ihre Arme um meinen Nacken und presste ihre Lippen auf meine. Stürmisch erwiderte ich den Kuss. Ich drückte sie gegen die Wand und meine Lippen fanden den Weg zu ihrem Hals. Mein Handeln war falsch, das war mir eindeutig sicher, aber ich wusste diesmal, dass es dabei nicht darum ging, meiner selbstzerstörerischen Seite einen Gefallen zu tun, sondern viel mehr der Seite, die noch nicht dazu bereit war, Lynn aufzugeben. Ich konnte es nicht. 
Hayley stöhnte erregt auf und meine Lippen fanden zurück zu ihnen. Abrupt löste ich mich von ihr. Keuchend sahen wir uns an. „Es..es..tut mir leid", stotterte sie gerötet. „Schon okay", erwiderte ich einfühlsam. Sie sah mich unsicher an. „Wir müssen zurück", sagte ich aber, bevor sie noch etwas sagen konnte und machte mich auf den Weg zu den anderen. Sie folgte mir. 
„Wo habt ihr bloß gesteckt?", rief Karen verwundert aus. „Wir haben unseren Streit beiseite gelegt, nicht wahr?", ging ich auf Karens Frage ein und schaute erwartungsvoll zu Hayley. Sie nickte schüchtern. Da war sie wieder. Die allzu bekannte schüchterne Hayley. Das totale Gegenteil zur der Hayley, die mir während des Konzertes gedroht hatte. Sie machte keine Anstalten, den anderen von unserem Kuss zu erzählen, was mich erleichternd aufatmen ließ. Doch mit Konsequenzen musste ich rechnen, wann sie jedoch zuschlagen würde, war ungewiss. Dafür hatte ich mir ein bisschen Zeit gewonnen. Ich musste herausfinden, was das zwischen mir und Lynn war. Ob sie es für möglich halten würde, mich zu lieben, so zu lieben, wie ich sie liebte. Mein Herz zog sich zusammen. Ich liebte sie so sehr.

Aber zur Liebe gehörte auch Treue. Und deshalb schwor ich mir absofort, nichts mit einem anderen Mädchen zu machen, außer mit Lynn. Solange bis sie mir endgültig beweisen konnte, dass sie nichts für mich empfand; dass sie diese tiefe, unendliche Verbundenheit nicht spürte; dass sie nicht bei dem Gedanken an mich glücklich wurde; dass ihr Körper nicht auf mich reagierte. Die eindeutigen Reaktionen, die sie unbewusst von sich gab, waren Beweis genug: Sie empfand etwas für mich. Lynn war noch wütend auf mich, da sie Nick betrogen hatte, aber sie konnte ihre Eifersucht nicht leugnen. 

„Der Abend ist für mich gelaufen", erklärte ich schließlich gespielt müde. Ich gähnte laut. Die anderen schienen genauso erschöpft, weshalb wir uns alle auf den Weg nach Hause machten. Schließlich hatten wir morgen noch Schule. Allein der Gedanke daran ließ mich genervt aufstöhnen. Nach meiner Schlägerei mit Nick gab es bestimmt schon  die einfallsreichsten Geschichten zur Ursache unseren Streites. Wenigstens konnte ich von  mir behaupten, als Gewinner hervorgegangen zu sein, obwohl ich mir ehrlich gesagt nicht sicher war, ob das das nun für oder gegen mich sprach. Mir wurde an die Schulter getippt, als sich unsere Wege gerade trennten. Ich sah mich verwirrt um. Chloe stand hinter mir. Ihr Freund stand einige Meter entfernt. Er winkte mir zu, ich winkte zurück. „Alles okay, Chloe?" Meine Verwunderung war deutlich herauszuhören.
„Ich..naja..also", fing sie unsicher an, woraufhin ich noch neugieriger wurde. Was ging hier gerade vor sich?
„Ich wollte es nicht vor den anderen ansprechen, aber ich weiß, warum du so zugerichtet aussiehst. Und ich weiß auch, dass es dabei um deinen Fall geht", sagte sie schließlich und brachte all ihren Mut auf.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Mist.  „Und?" So gut wie möglich versuchte ich, die Situation herunterzuspielen, doch ich ahnte schon, wohin diese Konversation führen würde.
„Pass' auf, Matt", warnte sie mich nur einfühlsam und wandte sich dann zu Charlie. Als sie bei ihm ankam, schaute sie sich noch einmal vielsagend um, dann widmete sie sich wieder vollkommen ihrem Freund. Bevor ich überhaupt einen weiteren Gedanken fassen konnte, schnappte ich panisch nach Luft, denn mir fiel jetzt erst auf, dass ich seit Chloes Warnung die Luft angehalten hatte. Sie hatte mich durchschaut. Sie wusste, was Sache war. Doch Chloe machte nicht den Eindruck auf mich, als ob sie mich verraten wollen würde. Nein, ihr Hinweis schien eher mir eher so, als ob sie mich beschützen wollte und zwar vor mir selbst. Diesen Gedanken schüttelte ich schnell ab. Sie kannte nicht die Abgründe meiner Seele, nein. Die kannte niemand.
Ich setzte mich langsam in Bewegung. Was sollte ich nun tun? Ich musste genauso weitermachen wie vorher, nur etwas vorsichtiger. Die Grenzen zwischen meinem Fall und meinem normalen Leben waren eindeutig verwischt, weshalb ich Abstand zwischen beiden schaffen musste. Auf dem Weg nach Hause grübelte ich lange Zeit.

 

Als der nächste Morgen kam, fühlte ich mich schwach und ausgelaugt. Der gestrige Tag schien nicht enden zu wollen. Zuhause angekommen kam mir nicht der langersehnte Schlaf, sondern meine Gedanken wanderten stets zu Lynn, deren Wange ich gestern berührt hatte. Lynn, die wegen mir eifersüchtig war. Lynn, die ich verletzte hatte. Ich seufze laut und versuchte mich nicht selbst zu hassen, was mir sehr schwer fiel. Langsam tappte ich ins Bad, nahm eine Dusche, bereitete mich für die Schule vor und ging schließlich in die Küche. Doch anders als sonst war Perseus nicht da. Meine Laune verschlechterte sich abermals, denn er war immernoch wütend auf mich. Seine Liebe zu mir schien aber nicht eingeschränkt, denn er hatte wie sonst Frühstück vorbereitet. Obwohl ich gehofft hatte, er würde wieder zum Alten übergehen, wusste ich, dass er das erst tun würde, wenn ich mich entschuldige, aber ich wusste nicht wie. Was sollte ich ihm sagen?, dachte ich mir, während ich eine Weintraube aß. Sollte ich ihm sagen: „Perseus, ich habe mich in die Seele verliebt, die ich aussaugen soll und ich denke darüber nach, meine Tätigkeit als Schattenjäger aufzugeben, um sie zu retten? Und ach so noch nebenbei, tut mir leid, dass ich eine liierte Frau geküsst habe, aber wie du vielleicht schon gemerkt hast, handelt es sich um ein und die selbe!"
Vermutlich nicht. Grimmig packte ich mir ein Sandwich und eine Wasserflasche ein und machte mich auf den Weg zur Schule.

Als ich dort ankam, beäugten mich die Schüler und ich wusste auch wieso. Mein Gesicht  war noch leicht angeschwollen und blau von dem Streit mit Mike gestern. Anerkennend wurde mir von unbekannten Schülern auf die Schulter geklopft. „Du hast ihn erledigt!", rief mir einer sogar nach. Ich seufzte genervt auf. Diese unreifen Kinder! Wenn sie bloß wüssten, was die Welt alles zu bieten hatte, von dem sie nicht mal die geringste Ahnung hatten.
Kurz bevor ich in den Kursraum trat, sah ich Chloe, die am Ende des Ganges stand und mir zuwinkte. Ich winkte zurück. Noch immer gingen mir ihre Worte nicht aus dem Kopf. Pass' auf, Matt. Die Sache mit Lynn wurde immer komplizierter. Es schien, als ob jeder wüsste, was ich für Lynn empfand, außer sie selbst. Frustriert betrat den ich den Raum und setzte mich ganz nach hinten. Nachdem schließlich der Unterricht anfing, ertönte der morgendliche Schulnachrichtensprecher. „Matt Riley bitte ins Sekretariat des Schuldirektors Mr. Jelly", verkündete er nun. Es ging ein Raunen durch den Kurs. Genervt erhob ich mich, ging zur Klassenlehrerin, die mir einen Laufzettel gab, und machte mich dann auf dem Weg zum Büro des Direktors. Mr. Jellys Sekretärin winkte mich durch, weshalb ich kurz klopfte. „Herein", hörte ich Mr. Jelly sagen, woraufhin ich den kleinen, aber mir allzubekannten Raum betrat.
„Guten Morgen", begrüßte ich den Direktor höflich. Er forderte mich auf, mich hinzusetzen, was ich dann auch tat.

„Du weißt bestimmt, wieso du hier bist", setzte er nun an und nahm seine Lesebrille ab. Ich rollte mit den Augen. „Kann schon sein", erwiderte ich zögernd. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen. „Es war nicht meine Schuld", versuchte ich nun zu erklären, doch Mr. Jelly hob eine Hand. „Der Junge, den du bewusstlos geschlagen hast, ist kein Schüler dieser Schule, Matt", unterbrach, „ das könnte ein großes Problem werden. Deswegen sehe ich mich gezwungen, dich für die restliche Woche zu suspendieren! Dein Verhalten war unverantwortlich und nicht zu rechtfertigen. Das nehmen sich die Anderen noch als Vorbild!" War das sein Ernst? „Sie können mich doch nicht suspendieren!", rief ich entsetzt aus. „Doch, das kann ich. Es sind nur ein paar Tage", wies er mich hin. Perseus würde mich umbringen.
„Du hast Glück, dass ich dich nicht vollkommen von den Prüfungen ausschließe!", fügte er mit nachdrücklicher Stimme hinzu. Anstatt etwas zu sagen, schwieg ich. Mr. Jelly sah mich eindringlich an. „Wieso habt ihr euch überhaupt gestritten?", wollte er neugierig wissen, während er sich seine Brille wieder aufsetzte. Ich seufzte auf. „Es war ein Missverständnis", gab ich vorsichtig zurück. Er faltete seine Hände zusammen. „Ich will nicht, dass sich soetwas wiederholt, haben wir uns verstanden, Matt?" Mr. Jellys scharfer Unterton war nicht zu überhören. Ich nickte demütig. „Dann kannst du jetzt gehen. Dein Vater wurde schon informiert", fügte er noch hinzu, während er sich schon seinem riesigen Stapel Papier widmete, der vor ihm lag. Scheiße! Perseus würde mich jetzt definitiv umbringen. Geknickt stand ich auf und ging aus dem Büro. Dann machte ich mich auf den Weg nach draußen. Vor der Schule stand Perseus vor seinem Mazerati. Meine Laune verschlechterte sich augenblicklich, denn Perseus sah mich wütend an. „Steig ein", zischte er kaum hörbar, als ich vor ihm stand. Widerstandslos befolgte ich seine Anweisung. Nachdem ich mich gesetzt hatte, stieg Perseus ein. Seine Finger umklammerten im Nu das Lenkrad. Im Anschluss startete er den Wagen und fuhr los. Er erhöhte das Tempo rasant, woraufhin ich in meinem Sitz nach hinten gedrückt wurde. Überrascht schnappte ich nach Luft, doch Perseus erhöhte die Geschwindigkeit weiterhin. 
War er etwa verrückt geworden?„Perseus!", rief ich erschrocken aus. Doch er ignorierte mich, schlängelte das Auto durch den Verkehr und bog schließlich in eine leere Landstraße ein, bis wir nach einer halben Stunde bei einer kleinen Holzhütte ankamen. Urplötzlich hielt er an, sodass ich nach vorne fiel. Zum Glück war ich angeschnallt, schoss es mir durch den Kopf. „Wo sind wir?", fragte ich verwirrt. Perseus schaltete den Motor aus und drehte sich zu mir. „Wieso muss es mit dir immer so anstrengend sein?", entgegnete er stattdessen wütend. Was sollte ich darauf antworten? „Erst diese Schlägerei, dann die Suspendierung", meinte er erschöpft. Ich wusste, dass ich der Grund für seine Sorgen war, was mich sehr traurig machte. Nie wollte ich für Perseus eine Belastung sein, deshalb hatte ich immer härter als andere trainiert, mich mehr angestrengt, damit Perseus sich nie Gedanken über mich machen musste. Doch im hier und jetzt saß ich mit ihm im Auto. Mit einem Menschen, der mich so sehr liebte, so viel für mich geopfert hatte und womit dankte ich ihm? Ratlos sah ich ihn an. „Es tut mir leid", murmelte ich leise vor mich hin. Was machte eine Entschuldigung schon aus? Gar nichts. Das würde seine Sorgen nicht zerstreuen.
„Hier kam ich oft als Kind mit meinen Eltern her", erzählte er mir nun mit etwas ruhigerer Stimme, „ jede Ferien verbrachten wir hier, fernab von allen Menschen. Nur mein Vater, meine Mutter und ich. Die Natur hat eine beruhigende Wirkung. Man kann hier viel nachdenken und zu sich kommen." Aufmerksam hörte ich ihm zu.

„Wir bleiben für ein paar Tage hier", verkündete er nun resolut. Dann stieg er aus und ging zum Kofferraum.
Wie bitte?? Geschockt löste ich den Sicherheitsgurt. Anschließend folgte ich ihm zum Kofferraum. „Perseus, du weißt schon, dass ich einen Fall habe?", wies ich ihn hin. Er zuckte desinteressiert mit den Schultern.„ Ein paar Tage eine Auszeit von allem tut dir gut. Und noch dazu wirst du den Fall trotzdem abschließen!", erwiderte er abwesend, denn er fischte zwei riesige Reisetaschen aus dem Kofferraum und reichte mir eine. „Deine Sachen", erklärte er, als ich ihm die Tasche fragend abnahm. Er schloss den Kofferraum und lief auf die Hütte zu. Ich konnte es noch immer nicht fassen, dass Perseus es wirklich ernst meinte. Wie sollte das klappen? Ich musste zu Lynn, ihr sagen, was ich für sie empfand, bevor es zu spät war. Doch Perseus machte mir einen Strich durch die Rechnung. Genervt stampfte ich zur Hütte, dessen Tür jetzt offen stand. Perseus war schon hereingetreten und nahm die Laken von den Möbeln. Es war eine kleine, aber geräumige Hütte. Beim Hereintreten gelangte man direkt in das Wohnzimmer und in den integrierten offenen Küchenbereich. Antike Möbel, ein Fernseher, Stühle und ein Tisch bildeten das Zentrum des kleinen Wohnbereiches. Hinter dem Fernseher entdeckte ich zwei weitere Zimmer. Ein Bad und ein Schlafzimmer.
„Gefällt es dir?", fragte Perseus mit strahlenden Augen. Ich hingegen rollte meine Augen und meinte abfällig: „Was ist das für eine alte Hütte?" Mein Adoptivvater seufzte auf.„Schätz' doch einfach mal die einfachen Dinge im Leben, Matt!", mahnte er mich nachdrücklich, woraufhin ich schwieg. Er hatte Recht. Ich verfiel in meine typischen Verhaltensmuster. Aber was sollte ich sonst sagen? Perseus hielt mich davon ab, der einzigen Sache nachzugehen, die mich im Moment glücklich machen konnte: Lynn. Allein schon der Gedanken an sie ließ mich innerlich schmunzeln. Doch ich wusste, dass ich hier erstmal feststeckte, weshalb ich die Situation wohl oder über akzeptieren.
„Du kannst uns ja etwas zu essen machen", merkte ich grinsend an. Perseus bewarf mich mit dem Laken, das er von den Möbeln genommen hatte. Ich fing es rechtzeitig ab. „Was möchtest du denn essen?", fragte er dann fürsorglich und mir wurde klar, egal was ich tat, Perseus Liebe würde niemals nachlassen, selbst wenn er wütend auf mich war. Nachdem wir beschlossen Spaghetti zu essen, fing Perseus mit dem Kochen an und ich ging hinaus, um eine kleine Runde um die Hütte zu drehen. Dabei bemerkte ich einen kleinen See, der nicht weit von der Hütte lag. Mit langsamen Schritten kam ich dem See immer näher. Der Anblick war wunderschön. Baumkronen umrandeten den See und er erstrahlte durch die Sonnenstrahlen in einem hellen blau. Ich konnte verstehen, wieso Perseus es hier liebte. Es war sein Rückzugsort. So idyliisch und ruhig wie es nur im Traum sein konnte. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare. Wie schön es doch wäre, auf ewig hier zu bleiben und somit den Problemen des Lebens zu entkommen. Leider war mir dieses Glück nicht vergönnt. Ich stand in meinem Leben an einem Scheidepunkt: Meine Berufung und die Liebe zu Lynn waren zwei Sachen, die sich nicht vereinbaren ließen und dennoch wollte ich auf mein Herz hören. Das erste Mal seit Jahren hatte ich das Gefühl, dass sich etwas in meinem Herzen regen konnte, dass ich doch vielleicht in den Genuss von Liebe kam. Bedingungslose Liebe. Wie sehr hoffte ich, dass Lynn meine Gefühle erwiderte, doch wie ging es dann weiter? Ich war noch nie in einer Beziehung gewesen und vielleicht konnte ich Lynns Ansprüchen nicht gerecht werden. Was ist, wenn ich sie nur enttäuschen würde? Dann würde sie genauso verschwinden wie meine Mutter. Die Angst vor einer weiteren Enttäuschung war groß, dennoch musste ich es versuchen. Vielelicht konnte ich mich selbst überraschen.
„Matt", hörte ich Perseus rufen und wurde somit aus meinen Gedanken gerissen. Ich wandte mich um. Perseus kam auf mich zugelaufen, weshalb ich meinen Blick wieder nachdenklich auf den See richtete. 
„Schön nicht wahr?", meinte Perseus anerkennend, nachdem er bei mir angekommen war, woraufhin ich nickte.
„Ich wünschte es wäre real", flüsterte ich leise. Perseus sah mich musternd an. „Was meinst du?"
„Das Gefühl von Sorglosigkeit", erwiderte ich nun schroff und machte mich zurück auf den Weg zur Hütte dicht gefolgt von Perseus. Während des gesamten Essens schwiegen wir . Auch nach dem Abwasch sagte keiner von uns ein Wort. Erst als wir uns beide ins Wohnzimmer setzen, brach Perseus das Schweigen.
„Wie fandest du die Spagetthi?" Perseus strahlte mich an. „Lecker", gab ich tonlos zurück. 
„Matt", seufzte Perseus lautstark auf, „wieso verhälst du dich denn so?"
„Wie denn?", fragte ich zurück.  Perseus sah mich eindringlich an. „Ständig musst du dich selbst bemitleiden! Du machst dir stets nur Gedanken darüber, wie schlecht den Leben doch ist, ohne an das gute daran zu denken."

Meine Mundwinkel zuckten leicht auf. Mein Adoptivvater kannte mich sehr gut. „Ich bin eben so." Trotzig hielt ich seinem Blick stand. 
„So kommst du aber nicht weit", mahnte er mich. Ich zuckte mit den Schultern. „Stimmt das, was du mir im Auto gesagt hattest?" Perseus Frage nahm mir jeglichen Wind aus den Segeln. Mein Schweigen bestätigte Perseus' Vermutungen. „Ich meinte dir ja, dass dieser Tag kommen wird." Seine Worte waren nicht lauter als ein Murmeln und doch machten sie mich ungeheuer wütend. 
„Ja und? Und jetzt ist es passiert? Bringt dir diese Genugtuung irgendetwas? MIR NÄMLICH NICHT", schrie ich ihn genervt an und erhob mich. „Dieses Gefühl frisst mich von innen auf. Die ganze Zeit sind meine Gedanken nicht bei mir, sondern bei ihr. Ich wünsche mir jede Sekunde bei ihr zu sein. Wie kann ich das aber, wenn sie einen Freund hat und mir jeder verdammte Mensch im Nacken steht? Ich will doch einfach nur glücklich sein, wieso darf ich das nicht? Kannst du mir das erklären Perseus? KANNST DU?" Meine Stimme wurde immer lauter. Ich selbst erkannte mich nicht wieder und auch Perseus schien überrascht über meinen plötzlichen Gefühlsausbruch. Erschöpft ließ ich mich zurück auf den Sessel fallen. Mein Gesicht legte ich in meine Hände, da ich beschämt über meine Worte war.
Plötzlich spürte ich Perseus Hand auf meiner Schulter, woraufhin ich aufsah. „Es tut mir leid, Matt. Die erste Liebe ist wahrscheinlich das intensivste Gefühl, dass du jemals verspüren wirst." 
Seine Worte konnten mich jedoch nicht tröstlich stimmen. Das Loch in meinem Herzen durch Lynns Abwesenheit ließ sich nicht füllen. Wie konnte ich sie schon so sehr lieben? War das überhaupt noch normal? 
„Manchmal kann der einen Verstand nicht davon abhalten, so stark zu lieben, Matt.", erwiderte Perseus tröstend und ich bemerkte, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen hatte. War auch Lynns Name gefallen? Diese Angst wurde mir direkt genommen, als Perseus fragte: „Woher kennst du sie?"
Mein Hals wurde mit einem Mal ganz trocken, denn ich musste Perseus anlügen. Ich hatte keine andere Wahl, oder doch? Nein, er würde es nicht verstehen. Ja, er war sehr fürsorglich und verständnisvoll, aber Perseus befolgte stets die Regeln und das war ein klarer Regelverstoß.
Also beschloss ich  ihm nicht davon zu erzählen, dass Lynn eigentlich die Seele war, die ich in nichtmal zwei Wochen aussagen musste.
„Auf einer Party", log ich und versuchte so überzeugend wie möglich zu klingen. „Seit wann gehst du denn auf Partys?" Perseus war sichtlich verwundert. „Naja, ich hatte etwas mit ihrer Freundin am Laufen und sie hat mich auf die Party mitgenommen." Dieser Teil war ja nicht hundertprozentig gelogen.
Er nickte. „Und sie hat einen Freund?" Nun war ich es, der nickte. „Hmmmm", entfuhr es Perseus nachdenklich.
„Glaubst du denn, dass es zwischen euch klappen könnte?", fragte er neugierig. Nervös ballte ich meine Hände zu Fäusten. Noch nie hatte ich so offen mit jemandem über meine Gefühle geredet. Diese Situation überforderte mich.
„Perseus", mahnte ich ihn dann. Er fing an zu lachen. Typisch. Nie nahm er mich ernst.

„Wenn du sie liebst, musst du auch dazu stehen, Matt. Merk' dir das!" Die Nachdrücklichkeit in seinen Worten entging mir nicht. „Vielleicht wird sie ja ihren Freund für dich verlassen und dann? Wenn du die Sache falsch angehst, dann wirst du sie verlieren. So läuft das eben im Leben. Für alles gibt es ein erstes Mal. Auch für Schmerz und Trennung", sagte er resigniert und ich wusste, er musste an seine Frau denken, weshalb ich ihm meine Hand auf die Schulter legte. „Ich will aber keine Fehler machen, dafür ist sie mir zu wichtig." Ich holte tief Luft und atmete dann wieder gleichmäßig aus. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Allein der Gedanke daran, Lynn zu verlieren, zerstörte mich. „Sie hat mich zu einem besseren Menschen gemacht, Perseus. Wie ist das möglich? Ich verstehe es nicht. Alles was ich tue, will ich für sie tun. Noch nie habe ich mich so selbstlos gefühlt!", sprudelte es aufgeregt aus mir heraus. „Wie sehr ich mir wünschte, dass sie ihren Freund für mich verlässt. Das lässt mich widerrum so selbstsüchtig fühlen. Müsste ich ihr das nicht gönnen?" Perseus hatte aufmerksam zugehört.
„Ich denke, es ist normal, dir eine gemeinsame Zukunft mit ihr vorzustellen", fing er behutsam an, darauf bedacht meine Gefühle nicht zu verletzen, „aber wenn sie sich für ihren Freund entscheidet, musst du das akzeptieren, Matt. Stell dir mal vor, du wärst der Junge auf der anderen Seite. Wie würdest du dich fühlen?" Perseus Frage ließ mich erschaudern. Wäre es andersrum, könnte ich dann überhaupt damit klar kommen?
„Nein", entfuhr es mir unkontrolliert, „es würde mir mein Herz zerreissen!" Perseus seufzte wissend auf.
„Lass' die Dinge seinen Lauf nehmen, Junge", riet er mir mitfühlend und ich nickte langsam, war aber noch nicht vollkommen überzeugt. Wie sollte das denn klappen? Mir erschien es unmöglich, Lynn aus dem Weg zu gehen, wenn es nicht mehr lange bis zu dem Tag war, an dem sich alles ändern würde. Doch Perseus wusste davon nichts. 
Er wusste nicht, dass es sich um Lynn bei meiner Seele handelte. Wie würde er dann reaigeren? Neugierig sah ich ihn an. Wahrscheinlich würde er mich ermahnen und mir einen Vortrag halten, wie unverantwortlich ich mich verhalten habe und dann würde jemand andere das vollenden, was noch vor mir stand.
„Matt?", riss mich Perseus sanft aus meinen Gedanken, woraufhin ich meinen Blick auf ihn schärfte. „Ich gehe schlafen, ich bin echt müde. Wir machen morgen früh noch einen Angelausflug"; teilte er mir mit, stand auf und begab sich auf das kleine Zimmer. Die Tür fiel hinter ihm  zu und ich war versucht, seinen Autoschlüssel zu nehmen und zu Lynn zu fahren, dennoch hielt mich mein Inneres Ich zurück. Was wenn sie mich gar nicht sehen wollte? Vielleicht brauchte sie Zeit zum Nachdenken? Genauso wie ich. Anstatt also den Schlüssel zu nehmen setzte ich mich auf und ging hinaus. Als ich bei dem See von heut Mittag ankam, ließ ich mich auf das dichte Gras fallen. 
Ich wurde in meine Kindertage zurückversetzt. Unwillkürlich kam in mir die Frage auf, wie mein Leben sich entwickelt hätte, wenn meine Eltern sich nicht getrennt hätten und ich nicht auf Michael getroffen wäre. Würde ich dann ein besserer Mensch sein? Wäre mir dann vielleicht Glück vergönnt? Wie erbärmlich mein Selbstmitleid war, wusste ich selbst, jedoch war es schwer, sein eigenes Bild zu ändern. So verkorkst wie ich war, wer wäre schon in der Lage, Gefühle für mich zu hegen, wenn ich es nichtmal selbst auf die Reihe brachte. Schnaubend fuhr ich mir durch meine Haare. Meine Mutter hatte mich geliebt, das hatte ich jedenfalls geglaubt. Vielleicht war es ja der Grund, weshalb sie mich verlassen hatte, weil sie wusste, dass ich mit ihr und Michael niemals glücklich werden konnte. Oder doch? Ich bemerkte gar nicht, wie mir Tränen über die Wangen liefen. Sie war mein Vorbild gewesen. Sie war mein Anker in einer Welt voller Gefahren und Ungewissheiten, doch von einen auf den anderen Tag änderte sich das. Der Tag, an dem sie mich verlassen hatte, das war der Tag, an dem ich zu jemandem wurde, der ich nicht sein wollte, mit dem ich mich aber abfand. Was sollte ich dagegen tun?, dachte ich mir stets. Inzwischen wusste ich aber, dass es falsch war. Lynn war nun mein Vorbild, mein Anker in einer Welt voller Gefahren und Ungewissheiten. Sie war der einzige Grund, weshalb ich mein Leben überhaupt noch genoss. Wie leer und einsam ich eigentlich war, wurde mir erst bewusst, als ich auf Lynn traf und in ihre Seele blicken durfte und sie in meine. So einen Einblick wie sie hatte noch nie jemand gehabt. Sie war die Einzige, die von Danny wusste. Die einzige, die es je geschafft hatte, dass körperliche Nähe für mich eine Bedeutung hatte, die über Zeitvertreib ging. Anstatt ihr all das zu sagen saß ich hier in mitten der Pampa. Allein. Vielleicht für immer. Meine Gedanken schweiften zu dem Szenario, in dem sich Lynn gegen mich entscheidet. Was würde ich tun? Allein schon der Gedanke daran ließ mich wütend aufkochen. Könnte ich in einer Welt überleben, in der Lynn mich verstoßen hatte. Genau wie sie. Perseus hatte davon geredet, dass die erste Liebe etwas besonderes sei, doch wollte ich überhaupt jemand anderes außer Lynn lieben? Ich hatte etliche Mädchen kennengelernt und nicht selten wollte die mich ein weiteres mal sehen, doch ich wusste, dass keine meine Abgründe verstehen würde, keine könnte sich mir meiner vollends annehmen. Sie mochten das, was ich ihnen erlaubte zu sehen, das, womit ich sie zu manipulieren versuchte. Das, was ich erfolgreich schaffte. Hayley zum Beispiel liebte mich auf eine Weise, die selbst ich nicht verstand. Konnte ich da überhaupt von Liebe sprechen? Es kam mir eher wie eine Abhängigkeit vor. Bist du nicht auch abhängig von Lynn? Meine Gedanken überschlugen sich. Nein, das war etwas anderes. Oder doch nicht?  „Doch!", entfuhr es mir laut und ich hörte plötzlich ein Rascheln, weshalb ich vom See aufsah. Vor mir stand ein hochgewachsenes Mädchen mit langen blonden Haaren. Sie hatte ein hübsches ovales Gesicht. Ihre großen jadefarbenen Augen blickten mir geradewegs in meine. Sie hatte eine kleine Stupsnase und volle Lippen. Sie trug eine lockere Jeans und ein tiefgeschnittenes Oberteil.
„Was machst du hier?", fragte sie und im nächsten Moment richtete sie ein Gewehr auf mich. Völlig geschockt hob ich meine Hände in die Höhe.
„Meinem Adoptivvater gehört die Hütte", sagte ich verängstigt. Sie blickte hinter mir zur Hütte.
„Du bist Perseus Sohn?", hakte sie nun nach und ließ ihr Gewehr sinken, so wie ich meine Hände. Ich nickte vorsichtig. „Was machst du hier draußen? Das ist schon Teil unseres Grundstückes." Sie deutet auf eine größere Hütte nicht weit hinter ihr.
„Ich brauchte Raum zum Überlegen"; antworte ich wahrheitsgemäßig. Sie sieht mich abschätzig an, doch dann lässt sie sich neben mir fallen. Überrascht sehe ich sie an, als sie eine Flasche Whiskey aus ihrer Hosentasche holt.
Dankend nehme ich die Flasche und kippe mir einen großzügigen Schluck den Hals herunter.
Sie tut es mir gleich. „Brooke", stellt sie sich vor. „Matt", erwidere ich gedehnt.
„Und du kennst meinen Vater?", setzte  ich nach einer gefühlten Ewigkeit fragend an. Brooke nickt , während sie einen weiteren Schluck nimmt. „Er ist öfters hier", erklärt sie nun ruhig. „Wohnst du hier? Also dauerhaft ", frage ich verwundert. Ich könnte das niemals.
„Nein, also irgendwie schon. Mein Vater wohnt hier dauerhaft, aber meine Eltern sind getrennt. Eigentlich wohne ich bei meiner Mutter , besuche meinen Vater so oft ich kann", erklärt sie schon leicht angeschwippst.
„Worüber grübelst du?", meint sie dann und sieht mich unverwandt an. Leichte Gänsehaut überfährt mich.
„Über das Mädchen, das ich liebe", gebe ich dann leise zu , woraufhin ich meinen Blick abwende.
Sie umfasst mein Kinn und dreht mein Gesicht zu sich. „Dafür brauchst du dich doch nicht schämen", gluckst sie weniger überzeugend, weshalb ich mich schnaubend ein weiteres Mal abwende.
„Ich komme grad von einer Party, die war aber so langweilig", erzählt sie mir , ohne dass ich sie gefragt hatte.
Wen interessiert es?, dachte ich mir. „Ich hasse Party", nörgelte sie herum. Ich stimmte ihr nickend zu. „Da gehen eh  nur die..", fange ich an und gleichzeitig sagen wir dann: „dummen Footballspieler hin!" Wir beide fangen an zu lachen und langsam bemerke ich die Wirkung des Alkohols.
„Wo ist denn deine Herzensdame", neckt sie mich spöttisch. „Bei ihrem Freund", erwidere ich geknickt.
„So einer bist du also ja?" Gespielt erschrocken versetzt sie mir einen Stoß. „Ha ha ha." Genervt sehe ich sie an.

„Ist die Schlacht denn schon verloren?", will sie neugierig wissen und regt sich dann darüber auf, dass ihre Flasche leer ist. Ich schüttelte den Kopf. Sie gestikuliert wild herum. „Na los, dann ab! Wer weiß, wie viel Zeit dir noch bleibt", ruft sie energisch aus. Natürlich sprach der Alkohol aus ihr.
„Morgen ist genug Zeit dafür." Resigniert lasse ich die Schultern hängen, denn ich selbst bin von meiner Aussage nicht überzeugt. Vielleicht ist es morgen schon zu spät.
Ich spüre, wie Brookes Finger über meinen nackten Unterarm fahren. Augenblicklich stellen sich meine Haare auf.
„Woah, du hast aber viele Haare", kichert sie ungehemmt . Kopfschüttelnd stimme ich in ihr Lachen ein. Sie verträgt aber wenig. Wie kann sie eigentlich so unverantwortlich sein, sich mit einem Fremden zu betrinken. 
„Glaubst du, du wirst sie auf ewig lieben", flüstert sie nun ernst. Ihre Frage kommt so abrupt, dass ich erstmal schweige. Würde ich das? Lynn auf ewig lieben?
„Hoffen wir mal nicht", witzel ich herum. Brooke starrt mich wütend an. „Du musst sie auf ewig lieben, hast du gehört?", faucht sie mich entsetzt an. Grinsend nicke ich nur. Sie fährt sich ungeschickt durch die langen blonden Haare. Dann legt sie ihre Arme um meinen Hals. Ich schrecke kurz zurück.
„Ich mache dich nicht an, keine Sorge", versichert sie mir benebelt. Ihr Atmen kitzelt mich. „Ich brauche nur kurz etwas halt", murmelt sie vor sich hin.  Ich nickte verhalten und hoffte, dass dieser unangenehme Moment endlich vorbei gehen würde. Sie nahm schließlich ihre Arme von mir und richtete sich auf.
„Gute Nacht, trostloser Matt", sagte sie nachdrücklich. Perplex winkte ich nur und sah wie sie sich mit langsamen, aber unsicheren Schritten entfernte.

 

 

 

Kapitel 11

 

„Wie spät ist es?", fragt mich Lynn, während sie kritisch in den Standspiegel vor sich guckt. Ich schaue auf meine Uhr und antworte :„17 Uhr, Lynn! Seit dem du das letzte Mal gefragt hast, ist es immernoch 17 Uhr". Genervt seufze ich. Sie dreht sich zu mir um. „Matt! Du weißt, wie wichtig mir der Tag heute ist. Heute lernst du meine Eltern kennen", gibt sie verletzt zurück. Ich schmunzele sie an und ziehe sie dann in meine Arme.„Ich weiß, meine Kleine", flüstere ich an ihrem Ohr, während ich ihren süßen Geruch einatme. Benebelt von ihrem schönen Duft drücke ich sie noch fester an mich.
„Bitte verlass mich niemals", bringe ich mühsam über die Lippen. Sie rückt von mir ab. Lächelnd umfasst sie mein Gesicht mit ihren Händen. „Wieso sollte ich dich denn verlassen?" Ihre grünen Augen strahlen mich an. 
„Weil ich nicht gut genug für dich bin", erwidere ich wahrheitsgemäß, doch sie schüttelt nur ihren Kopf, wodurch ihre Locken leicht umherwippen. Dann küsst sie mich zärtlich und jede Faser meines Körpers ist elektrisiert.

„Niemals, Matt. Versprochen", murmelt sie, als sie sich kurz von mir löst und küsst mich dann erneut.

 

 

„Aufstehen!" Unsaft wachte ich aus meinem Traum auf. Verdammt! Natürlich war es ein Traum, als ob dieses Szenario jemals echt sein würde.

Ich sah Perseus genervt an.„Lass' mich bloß in Ruhe", rief ich ihm grimmig zu, woraufhin er mir die Decke wegzog. Lachend warf er sie in die andere Ecke des Raumes. „Los, es wird Zeit fürs Frühstück." Dann machte er sich auf dem Weg in die Küche. Seufzend ging ich an mein Handy und sah, dass mich einige Nachrichten erreicht haben.

 

Joshua, gestern 21 Uhr

 

Matt, ist alles okay? Ich habe gehört, was in der Schule los ist. Scheiße, das ist echt abgefuckt. Wenn was ist, meld dich. Und dein Geheimnis ist bei mir sicher. Keine Sorge.

 

 

Einige Sekunden starrte ich auf die Nachricht und fragte mich, was die anderen wohl über mich sagen. Was Lynn wohl über mich sagt. Diesen Gedanken versuchte ich schnell abzuschütteln und blickte auf die nächste Nachricht.

 

Hayley, heute 8 Uhr

 

Hey, Matt. Wie geht es dir? Chloe hat mir erzählt, dass du suspendiert wurdest. 

 

 

Jetzt auch noch Hayley!  Ob sie schon nach Lynn suchte? Schließlich gingen die beiden auf die selbe Schule. Scheiße! Daran hatte ich gar nicht gedacht, als ich Hayley offenbarte, dass es sich bei Lynn um meinen Fall handelte. Hoffentlich würde sie Ruhe geben.

 

„Matt", hörte ich aus der Küche, weshalb ich mein Handy ausschaltete, ohne eine Nachricht zu beantworten. Damit konnte ich mich nicht herumschlagen. Nicht jetzt. Langsam trottete ich in die Küche und sah das berühmtberüchtige Frühstück, das Perseus jeden Tag auftischte: Pancakes, Sandwiches, Obst und noch vieles mehr.

„Selbst hier lässt du nicht locker ", sagte ich neckend und nehme mir ein Stück Obst. „Frühstück ist sehr wichtig , das weißt du !", erwiderter Perseus nur und lässt sich neben mich fallen, nachdem er den letzten Pancake zum Haufen dazulegte. Beim Frühstück machten wir ein paar Witze und für einen Moment vergaß ich sogar all meine Probleme, die mich zu erdrücken drohten. Es fühlte sich an wie früher. Früher, bevor Lynn in mein Leben trat. 

„Wir gehen später angeln", verkündete Perseus dann frohlockend und seine gute Laune war ansteckend. Ich nickte, fügte dann aber noch hinzu:„Perseus, kennst du eigentlich die Nachbarn?"

„Ja, natürlich! Mein guter Freund Smith. Seine Tochter besucht ihn auch oft hier. Wieso fragst du?", erwiderte Perseus neugierig.

Lässig zuckte ich mit den Schultern.„ Ich habe Brooke gestern Nacht kennengelernt am kleinen See", erklärte ich ihm. 
PErseus sah mich abschätzig an.„Lief da was zwischen euch?"  Seine Frage verletzte mich. Er wusste doch, dass ich Lynn liebte. Wie konnte er mir solch eine Frage stellen.

„Ja, was denkst du denn? Wir haben miteinander geschlafen, das ist doch mein Fachgebiet!", keife ich wütend zurück und erhebe mich einem lauten Rucken. Perseus verdrehte die Augen.„So war das nicht gemeint, Matt. Aber naja, dafür bist du eben bekannt." Das fehlende Einfühlvermögen, mit dem mir Perseus entgegentat, war ziemlich unerwartet. „Da muss ich dich wohl leider enttäuschen. Diesmal wurde ich meinem Ruf nicht bekannt. Sorry!", rief ich wütend und stampfte aus der Hütte. Immernoch im Pyjama lief ich zum kleinen See und ließ mich dort nieder.

Wieso dachte er so schlecht von mir? Einige Minuten vergingen und ich merkte, wie die Wut allmählich verrauchte. Perseus hatte niemals ein Geheimnis dadrum gemacht, dass er fand, ich hatte mein Liebesleben nicht unter Kontrolle. Aber ich hatte gehofft, dass sich das geändert hatte, seitdem er von ihr wusste.Lynn.

Erst jetzt bemerkte ich, wie mich der Traum aus meiner Routine geworfen hatte. Er hielt mir das vor Augen, was ich nicht haben konnte, was meine Seele in viele kleine Teile zersplittern ließ. Wenn selbst Perseus so von mir dachte, würde Lynn darüber hinwegsehen können? 

„Matt?" Ich drehte mich um und blickte in Perseus Augen. Er ließ sich neben mir fallen. „Es tut mir leid", sagte er nach einer kurzen Stille. Schuldbewusst seufzte ich auf.„Mir tut es leid. Ich weiß ja, wie ich sonst bin.", sagte ich doch dann schüttelte ich den Kopf.„Wie ich war!, denn so bin ich nicht mehr!"

Perseus legt mir seine Hand auf die Schulter.„Nur weil du es für dich so entschieden hast, kannst du nicht erwarten, dass die anderen es direkt sehen. Du musst es dir erarbeiten, Matt." Perseus nachdrücklichen Worte waren von so viel Wahrheit geprägt. Ich erwartete von mir so viel, aber auch von den anderen. Wenn ich nichtmal an mich selber glauben konnte, wie konnte ich es von den anderen erwarten?

„Ja , du hast Recht, dennoch ist es schwer diese Veränderung durchzumachen", meine ich dann und schaue auf meine Hände.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.05.2010

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