Cover

Danksagung




Danke
an Andy für das Probelesen und die Inspiration,
an Kai für die ewigen Stunden Covernbasteln,
an Matthias für das begeisterte Lesen :>,
an Gronkh, Sarazar und RahmschnitzLP für stundenlange gute Unterhaltung,
und an die Cree für die tollen Stunden und die kranken Ideen.

Yelava Yen´vela
2012

Prolog



Hilf dir selbst, so hilft dir Gott- Ich verfolg einen Zweck mit dem Schrott!

-Gronkh, Sarazar, KsTBeats, Jamericanbeatz& Colimoly - Reiseführer



Lang zuvor…


„Lysarya!“ Der junge Kleriker stürmte ohne anzuklopfen in den Raum, donnerte eine Schriftrolle auf den schwe-ren Holztisch und strahlte die blutjunge Leiterin des Or-dens der Kleriker an. Selbige strich sich seufzend das weiße Haar aus der Stirn und sah dem Elf direkt in die braunen, lebhaften Augen.
„Jarad? Was macht man, wenn man jemanden am Tag das erste Mal sieht?“, fragte sie leise. Der Kleriker sah sie verständnislos an.
„Einen guten Morgen wünschen?“ Dann blitzte Erkennt-nis in seinen Augen auf. „Oh. Guten Morgen, Lysarya.“
„Guten Morgen, Jarad. Was hast du da?” Jarad Na´Avanan deutete auf die Schriftrolle, welche bereits vergilbt und rissig war.
„Meinen Beweis!“ Lysarya hob fragend eine Augen-braue.
“Eine alte Elfenschrift? Dein Beweis?”
“Ja! Lysa, hier steht etwas von einem Drachenhüter. Jad´Varashem. Lysa, das ist es! Es gibt den zehnten Hü-ter!” Jarad lächelte siegessicher.
„Varashem? Jarad, dir ist klar, dass sich das Wort varar - Seele- aus varashem entwickelt hat? So alt, wie dieses Schriftstück ist, muss damit der Seelenhüter gemeint sein.“ Die hohe Klerikerin Lysarya Ma´Savena sah ihr Gegenüber mitleidig an, während Jarads Züge sich ver-steiften.
„Du glaubst mir auch nicht, Lysarya?“, fragte er leise.
„Jarad, du steigerst dich da in etwas herein. Seit dieser Magiegeist-Sache suchst du immer wieder Ansatzpunk-te, unsere Lehren über den Haufen zu werfen. Was willst du bezwecken? Rache an dem System, an das dein Bru-der glaubt? An dem System, dass unser aller Grundlage ist?“ Jarad schnaubte verächtlich.
„Unser aller Grundlage? Ein System, das zu solchen Gräueltaten fähig ist? Ein System, das Experimente an Unschuldigen erlaubt? Ein System, das keine Änderun-gen zulässt? Lysarya, du weißt, dass ich recht habe.“ Die Klerikerin hob eine Hand.
„Jarad. Was ich glaube, und was ich vertrete, sind zwei unterschiedliche Dinge. Bring mir einen handfesten Be-weis für die Existenz eines Drachenhüters, dann nehme ich deine Kritik an unserem System an.“ Jarad ver-schränkte die Arme vor der Brust, trotzig.
„Gut. Bitte. Ich werde ihn finden, das muss Beweis ge-nug sein.“
„Finden? Wie willst du das anstellen?“
„Indem ich meinen Hinweisen folge und ihn suche. Ganz einfach.“
„Einfach? Du müsstest Sanctum verlassen.“
„Und? Was hält mich hier? Wenn selbst du dich gegen mich stellst, Lysa, habe ich hier nichts mehr verloren.“ Wütend nahm der junge Kleriker die Schriftrolle wieder auf. „Auf Wiedersehen, Lysarya.“, brummte er. Die Lei-terin des Ordens blickte ihm hinterher.
„Jarad“, sagte sie schließlich leise. Der junge Elf blieb stehen, wandte sich allerdings nicht zu ihr um. „Möge Aion über dich wachen, Jarad. Viel Erfolg.“

Kapitel 1



At the end of a river, the sundown beams

-Nightwish, Turn loose the mermaids



Es war bereits dunkel und eiskalt, als ich die Haustür hinter mir zuzog. Ich griff in die Taschen meines Mantels und stellte fest, dass meine Handschuhe, der einzige gute Schutz gegen Fingerfrost, noch bei Valentin auf der Kommode liegen mussten. Strike.
Schnell huschte ich unter dem Vordach hervor und warf einen Blick auf die Fenster, die zu der Wohnung meines Freundes gehörten. Allesamt dunkel. Klar, Valle war mü-de gewesen, und hatte sich wohl hingelegt, kaum, dass ich seine Wohnung verlassen hatte. Kurz wägte ich ab. Kalte Finger oder der ewig währende Zorn eines Freun-des, dessen Nachtruhe ich störte? Ich entschied mich für kalte Finger, steckte die Hände in die Manteltaschen und stiefelte durch den Schneematsch gen heimatlichen Ge-filden. Ich gehörte genauso ins Bett, wie Valle. Nur, dass ich noch etwa zehn Minuten in der Kälte einer Dezem-bernacht verbringen musste, bevor ich in mein warmes Bett konnte.
Mein Atem bildete feine, weiße Wölkchen, als ich auf die Hauptstraße einbog, welche auch verlassen vor mir lag. Seltsam, in Köln herrschte eigentlich immer Verkehr, und jetzt diese Ruhe?
Beschwere ich mich gerade wirklich über Ruhe? Ich glaube, ein Glas Vollmilch weniger wäre nicht schlecht gewesen.
Ich folgte der Straße, den Blick in den Himmel gerichtet. Dank der Beleuchtung der Stadt erkannte man keine Sterne, einzig der volle Mond hing fahl weiß über mir, ein letztes bisschen Natur im Betondschungel.
Keine zehn Meter vor der Fußgängerampel blieb ich stehen. Ich hatte das ungute Gefühl, dass, zusätzlich zu den Handschuhen, noch etwas fehlte. Mit einer dumpfen Vorahnung tastete ich meine Taschen ab und, siehe da! Der Schlüssel fehlte. Vermutlich machte er sich mit den Handschuhen einen bunten Abend auf Valentins Kom-mode. Ich seufzte ergeben und zog mein Handy aus der Tasche. Nacht auf der Treppe oder der ewig währende Zorn eines Freundes, dessen Nachtruhe ich störte? Dann lieber den ewig währenden Zorn, der morgen früh ver-gessen sein würde. Ich tippte auf die Schnellwahltaste und wartete.
Es knisterte.
„Erik?“, brummte Valles Stimme verschlafen aus dem Handy.
„Du-hu, Valle? Hast du schon geschlafen?“
„Ja, und sehr gut geträumt. Bis du angerufen hast. Ist es wenigstens wichtig?“ Ich musste grinsen, ob meiner ei-genen Verpeiltheit oder Valles schlaftrunkener Stimme wusste ich nicht genau.
„Ich hab meine Handschuhe bei dir vergessen.“
„Das fällt dir jetzt ein?“
„Naja, die Handschuhe sind nicht so schlimm, aber dass mein Schlüssel wohl neben ihnen liegt, das ist das Doo-fe.“ Ein Seufzen.
„Erik. Ersatzschlüssel. Gute Nacht.“ Knistern, Tuten. Irri-tiert sah ich mein Handy an.
„Danke Valle, aber wo liegt der verdammte Schlüssel?“ Freunde. Da brauch man sie, und sie wollen lieber Schla-fen. Wieder wählte ich.
„WAS NOCH?“
„Wo ist der Schlüssel?“, fragte ich mit meiner süßesten Zuckerstimme, zu der ich nach Vollmilchkonsum noch fähig war.
„Du hast deinen Kopf auch nur, damit das Headset beim Let´s-Playen nicht auf dem Tisch liegt, oder?“, fragte Valle mit einem doch recht zynischem Unterton.
„Valle, büdde. Wo liegt der Schlüssel?“
„Rechter Blumenkasten. Darf ich jetzt Schlafen?“
„Rechts von der Treppe oder von der Tür aus?“ Wieder Seufzen.
„Erik. Gute Nacht.“
„Nein, Valle, warte. Ernsthaft jetzt!“ Oh, ich mochte es, ihn zu ärgern! Nein, ich liebte es.
„Wenn du die Treppe hochkommst, der Rechte. Unge-fähr mittig. Brauchst du noch ne Zeichnung?“
„Wenn du so fragst…“ Die Ampel sprang auf Grün, ich machte mich daran, die Straße zu überqueren.
„Erik, wenn du so weiter machst, kann ich nicht mehr für deine körperliche Unversehrtheit garantieren.“
„In dem Fall wünsche ich dir eine geruhsame-“ Weiter kam ich nicht.
Ich war mitten auf der Straße, als es plötzlich laut quietschte. Reflexartig blickte ich nach rechts und sah zwei gelbe Scheinwerfer, eine rote Motorhaube mit ei-nem schwarzen Drachenmotiv darauf. Zu spät.

„Erik? Erik, hörst du mich?“ Gleißende Helligkeit umfing mich, ich hörte hektische Rufe, Piepsgeräusche, Quiet-schen. Dazwischen eine bekannte Stimme… Aber woher? Was war eigentlich los?
Was…

Kapitel 2



Caress the one, the never-fading rain in your heart - the tears of snow-white sorrow

-Nightwish, Amaranth



>>Strayana ist eine der dunkleren Gegenden Monteniques. Grün dominiert, giftiger Regen fällt ohne Unterlass vom Himmel. Die Wesen Strayanas sind dun-kel, die meisten aber nicht feindlich gesonnen. Die Her-ren Strayanas, die Schattendrachen, halten sich ver-steckt. Wenige bekamen sie zu Gesicht, vornehmlich die Waldläufer. Vermutet wird, dass die Drachen den Wesen Einhalt gebieten. <<
-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 19, Sch-St

Ein Tropfen platschte in mein Gesicht. Noch einer... Re-gen? Mir tat alles weh... Ich schaffte es, die Augen zu öffnen, und sah... grün. Der Himmel war mit dunkelgrü-nen Wolken behangen, die Bäume trugen grünes Laub, das Gras war grün. Allerdings kein sehr gesundes Grün,und wenn ich genau hinsah... Ja, auch der Regen war grün.
Wo war ich? Hm. Aufstehen war eine klasse Idee, damit sollte ich mehr sehen können. Ich stöhnte auf, als ich versuchte, mich zu bewegen. Das mit dem Aufstehen wurde wohl nichts. Unter Schmerzen wälzte ich mich auf die Seite, ein stechender Schmerz fuhr durch meinen rechten Arm. Ausgerechnet rechts. Ich schaffte es ir-gendwie, auf die Knie zu kommen.
Und sah Rot. Blut. Etwa meins? Erst jetzt merkte ich, dass ich zitterte.
Rascheln rechts neben mir. Seltsamerweise registrierte ich dieses leise Geräusch. Etwas Blaues schoss aus dem Gehölz hervor, blieb neben mir stehen. Zwei niedliche, grüne Augen schauten zu mir auf, ein kleines Maul öff-nete und schloss sich hektisch, entblößte dabei spitze, rote Zähne. Das Tier sah aus wie eine übergroße Echse, vom Kopf bis zur Schwanzspitze etwas mehr als einen Meter lang. Allerdings trug es ein Halsband. In einer anderen Situation hätte ich wahrscheinlich über dieses süße Ding gelacht, jetzt war mir ganz und gar nicht da-nach.
"Poncho, komm her!", hörte ich eine Stimme. Sie hatte einen sehr fremdartigen Klang, das, was sie sagte, war jedenfalls nicht deutsch. Dennoch verstand ich jedes Wort.
"Poncho, verflucht! Yela lyncht mich, wenn ich dich nicht wieder mitbringe. Böse Echse, komm her!" Ich ent-schloss, nach Hilfe zu rufen.
"Hey... hier... h-h-Hilfe-e..!" Das klang wirklich sehr kläg-lich. Wahrscheinlich hörte der Mann mich nicht einmal.
"Ist da wer?" Doch, die Stimme kam näher. Ich merkte, wie sich die Schwärze wieder in mein Blickfeld schob. Nein, alles, nur nicht ohnmächtig werden... Rascheln. Die Echse verschwand im Gehölz. Knistern, Knacken. Diesmal brauch nicht die Echse aus dem Holz hervor, sondern eine Person. Gleichzeitig gaben meine Arme nach, ich schlug hart auf dem grasbewachsenen Boden auf. Wieder Dunkelheit.
"Hey!" Die Stimme war jetzt nah bei mir.
"Alles okay? Was ist passiert?", fragte der Mann. Immer noch lag der fremdartige Ton darüber. Ich spürte eine Berührung an meiner Schulter, merkte, wie ich herum-gewälzt wurde. Schmerzen hatte ich dabei seltsamer-weise keine mehr.
"Ach du heilige...!", fluchte der Mann. "Okay, ganz ru-hig. Ich mach das schon. Hörst du mich?" Besorgnis schwang in seiner Stimme mit.
"Ja", brachte ich schwach hervor.
"Okay. Ich bin Atlan. Ich will dir helfen, ja? Aber bitte, bleib wach. SHADOW!" Das letzte brüllte er in irgendei-ne Richtung. Er murmelte irgendetwas Unverständliches. "Wie bist du hierhergekommen? Was ist passiert?", fragte er beruhigend. Ich schaffte es, die Augen wieder ein Stück zu öffnen, sah zuerst weiß. Nein... platinblond, seine Haare.
"Ich..." Meine Stimme war nurnoch flüstern. Er legte eine Hand auf meine Brust. "Ganz ruhig." Er strahlte eine ziemliche Ruhe aus. Rascheln, gedämpftes Hufgetrappel näherte sich. Sein Kopf fuhr herum. "Shadow!", rief er erleichtert, sprang auf. "Komm her, hopp!". Dann kniete er wieder neben mir wieder, fasste meine Schultern. "Vorsicht, das kann jetzt wehtun.", sagte er, aber hielt noch einmal inne. "Was sagtest du, wie du heißt?", fragte er, sah mich dabei fast ein wenig skeptisch an.
"E-Erik..." Irgendwie klang mein Name mehr wie ein Seufzen. "Okay, Erik. Dann helfen wir dir jetzt mal." Er lächelte.
Und zog mich hoch. Wieder raste ein Schmerz durch meinen Körper, die Dunkelheit umfing mich.

Kapitel 3



I wish for this night-time to last for a lifetime the dark-ness around me shores of a solar sea

-Nightwish, Sleeping Sun


>> Zarastria: Inselgruppe Terras, gelegen im von Mythen behafteten Bermudadreieck, Westatlantik. Genaue Koordinaten unbekannt. Bestehend aus Inseln Montenique, Nevestia, Lesestia und Malana. Geschützt durch magischen Schild, der passieren nur Magiern und Manamanipulieren möglich macht. Rückzugsort ver-schiedener Völker, Näheres textlich nicht erfasst. <<
-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 26, Za-Zi

"Ich frag mich ja, wo du sowas immer wieder an-schleppst!", hörte ich eine aufgebrachte Stimme.
Ich lag auf etwas Weichem, fühlte eine Decke auf mir liegen. Ich Ich erkannte ein abgedunkeltes Zimmer, ein schmaler Streifen Licht fiel durch die in offensichtlich großer Eile zugezogenen Fenster. Wo war ich? Was war passiert? Ich konnte mich nicht genau erinnern...
Oder, doch, ja. Ich war bei Valle gewesen, auf ein Gläs-chen Vollmilch, war dann nach Hause gegangen. Kurz vor der Ampel war mir eingefallen, dass mein Schlüssel fehlte. Das Telefonat mit Valle, die Straße, ein Auto.
Und dann, auf einmal, diese fremde Umgebung, dieser Mann. Was hatte er gesagt? Atlan? Kannte ich nicht.
"Wo sagst du?", fragte die Stimme von vorhin wieder.
"In Strayana. Bei den fliegenden Egeln. Ich hab keine Ahnung, wo er herkommt. Jedenfalls hab ich ihn da leicht lädiert gefunden.", antwortete eine weitere Stim-me der Ersten. Diese hatte ich allerdings schon mal ge-hört, es war die von diesem Atlan.
"LEICHT lädiert? Der Rest ist beim Transport passiert? Lany, über den ist wahrscheinlich der Blutige Schatten drüber geflitzt, das hat nichts mit leicht zu tun." Die ers-te Stimme wieder.
"Warum grade der Blutige?"
"Würde seine Verletzungen erklären. Außerdem weiß ich nicht, wie der andere heißt."
"Also, ich glaube nicht, dass das einer der Drachen war."
"Wieso?"
"Weil die Drachen ihn gefressen hätten."
"Ahja. Die Erkenntnis des Tages deinerseits. "
"Von mir doch immer, Ricky. Kennst mich doch. Als Er-kenntnis des Tages wäre es mir allerdings lieber gewe-sen, zu erfahren, wer er ist und wo er herkommt."
"Vielleicht solltest du ihn fragen."
"Kann ich schon mit ihm reden?"
"Ich hab ihn soweit geflickt, du kannst mit ihm reden. Aber nicht zu viel. Und, ich schmeiß dich raus, wenn du ihn zu sehr stresst. Meine Patienten gehen vor."
"Ich weiß, Enrique. Ich weiß was ich tue."
"So siehst du auch aus."
"Danke." Gut, Sarkasmus schien den Leuten hier nicht fremd zu sein.
Mit einem leisen Schaben öffnete sich die Tür, durch den Spalt fiel Licht in den Raum. Ein Schatten huschte hinein, die Tür wurde geschlossen. Schritte.
"Hey, bist du wach?", wurde ich leise gefragt.
"Ja", gab ich zurück. Immer noch klang meine Stimme sehr leise.
"Okay." Knipps, das Dämmerlicht einer Lampe erhellte den Raum ein wenig. "So.", sagte der Mann -Atlan?- und ließ sich neben mir auf dem Bett nieder. Sein platinblon-des Haar war schulterlang, einzelne Strähnen hingen in seinem Gesicht. Seine Augen funkelten rot, ein leichter Goldschimmer lag darin. Er war etwa 1,90m groß, recht schlank. Vermutlich ein absoluter Frauenschwarm. Er lächelte freundlich.
"Also, Erik, ich nehme an, das Gespräch, das ich mit En-rique geführt habe, hast du gehört?" Ich hatte ihm mei-nen Namen gesagt?
"Ja... war schlecht zu überhören." Er lachte.
"Ja, Ricky hat die Angewohnheit, recht laut zu werden, wenn ich etwas von seinen Patienten will." Beiläufig strich er sich eine Strähne aus den Augen. "Gut", sagte er. "Dann hab ich jetzt genau zwei Fragen an dich. Ers-tens: Wie bist du hierhergekommen? Zweitens: Wer oder was hat dich so zugerichtet? Aber ich erwarte ei-gentlich nicht, dass du mir antworten kannst, oder doch?" Er zupfte die Decke zurecht.
"Irgendwie... also..." Er zog eine Augenbraue hoch. "Nein, ich hab keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, wo ich hier eigentlich bin." Er nickte gedankenverloren. Seufzte.
"Hier bist du im Lazarett von Mayapan, der größten Ma-ya-Stadt Monteniques. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, das klingt am Anfang für alle ziemlich fantas-tisch." Er hielt inne, schien zu lauschen. "Aber ich glaube, ich kann rausfinden, wie du hierhergekommen bist. Und warum." Er stand auf. "Ich werd jetzt gehen, mal einige Leute befragen... Ich werd jemanden vorbeischicken, mit dem du reden kannst, wenn du möchtest. Sie wird dich über die hier herrschenden Verhältnisse informieren." Damit huschte er beinah lautlos aus dem Zimmer. Und ließ mich mit meinen Gedanken allein. Maya? War das nicht dieses alte Volk, dessen Kalender dieses Jahr wieder neustartete? Weswegen viele dachten, der Weltuntergang würde kommen? Aber... die waren doch schon längst ausgestorben... oder doch nicht? Das war alles ziemlich verrückt. Vielleicht konnte mich diese Person, die Atlan herschicken wollte, darüber aufklären.

Kapitel 4



Don't give me love, don't give me faith wisdom nor pride, give innocence instead
Don't give me love, I've had my share beauty nor rest, give me truth instead

-Nightwish, The crow, the owl and the dove



>>Mayapan ist die größte Stadt im südlichen Teil Monteniques. Es ist die Hauptstadt der ansässigen Maya, dominiert von einem großen Steintempel, der Verwendung als Hauptsitz der monatlichen Volksversammlung gefunden hat. Obwohl das Gildenhaus der LinguaMortis in Mayapan steht, hat die Stadt keinen elfischen Zweitnamen, so wie es üblich wäre. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 1441, Ma-Oz




"Mein Name ist Lysarya Ma´Savena. Ich bin hohe Klerikerin des Ordens der Hochelfen und Offizierin der Gilde Anxifer. Freut mich, dich kennenzulernen.", flötete die junge Frau und hielt mir ihre Hand hin. Verwirrt ergriff ich sie.
"Ähm, hi.", sagte ich, noch völlig perplex über ihr plötzliches Auftreten und den Redeschwall. "Und du bist...?", fragte sie, wirbelte dabei zum Fenster und öffnete es. "Ähm, Erik heiß ich." Sie grinste. "Uhhh, wo kommst du her? Aus dem hohen Norden? Wie der Namenspater des Altvorderen?", lachte sie. Was, wie, wo?
"Alsooooo", hielt sie inne. Kein Witz, sie zog das o wirk-lich sehr lang. Sie schien zu überlegen, was sie sagen wollte. Ihr hüftlanges Haar war komplett weiß, die blauen Augen blickten lebhaft aus einem schön geschnitte-nen Gesicht. Ihre Ohren lugen durch ihr Haar, lang und spitz zulaufend. Was hatte sie gesagt? Klerikerin der Hochelfen? Also, wenn man sich Hochelfen vorstellen wollte, hatte man wohl unweigerlich diese Frau vor Augen.
"Wo sollen wir anfangen? Willst du was Spezielles wis-sen? Oder, nein, warte. Ich weiß es. Über die Insel? Nein, langweilig. Wie wär es mit den Elfen? Nö, das kann Yela dir erzählen. Oder, ja, die Zauberer... ach nein, da wird Lany sonst sauer. Hm... Huii, ja, wie wär´s, wenn ich dir einfach alles ZEIGE? Ja, super Idee, komm!", rief sie und warf mir ein Bündel Kleidung zu. Meine Kleidung. Aber frisch gewaschen, immerhin. Sie lachte glockenhell.
"Achja, warte. Ich geh schon." Und hüpfte hinaus. Verwirrt über diesen kurzen, lauten und seltsamen Auftritt blieb ich sitzen. Was?
Hochelfen, Insel, Kleriker, Sightseeing-Tour, was? Wo war ich hier nur gelandet?
Durfte ich überhaupt schon aufstehen? Egal, wenn ich etwas über diesen Ort erfahren wollte, war jetzt der perfekte Zeitpunkt gekommen, mal abgesehen davon, dass diese junge Frau - Lysarya?- mir sehr sympathisch war und eine sehr ansteckende Art hatte. Also stand ich, recht mühsam, auf und zog mich an. Gut, ich war noch etwas wackelig auf den Beinen, aber eigentlich ging es. Sie wartete hinter der Tür auf mich, legte einen Finger auf die Lippen.
"Pssst. Leise. Ricky hört uns sonst. Und dann ist der gan-ze Spaß vorbei. Komm. Aber leise." Sie schlich förmlich vor mir durch den Gang, ihre Schritte machten kein Ge-räusch. Wir kamen an eine große Tür, die sich knarzend öffnete. Lysarya schlüpfte durch den schmalen Spalt hindurch, ich ihr hinterher. Draußen zog sie mich sofort beiseite, um das Haus herum. Es war hell, Vögel zwitscherten. Alles sehr idyllisch. Ich erhaschte einen Blick auf große Bäume mit dunklem Stamm und langen, wie Lametta herabhängenden, grünen Blättern.
"So.", sagte sie. "Jetzt zeig ich dir erst mal alles. Kannst du reiten?" Sie ging weiter, erst jetzt registrierte ich das schwarze Pferd, dass auf der Wiese stand und genüsslich Gras kaute.
"Reiten? Nein, nicht wirklich..." Langsam ging ich hinter ihr her. Sie drehte sich um.
"Echt nicht? Naja, egal, komm. Halt dich einfach an mir fest, dann sollte nichts passieren." Sie zog sich auf den Pferderücken, ergriff meine Hand und zog mich ebenfalls hoch. Ich saß hinter ihr, klammerte mich an ihr fest. "Und los geht´s!", rief sie, und trieb das Tier an.

Kapitel 5



Dark chest of wonders seen through the eyes of the one with pure heart once so long ago

-Nightwish, Dark chest of wonders



>>Die Häuser der Gilden sind in fast jeder großen Stadt zu finden, hauptsächlich im Nordteil der Insel. Die Städte, in denen Gildenhäuser errichtet wurden, tragen elfische Zweitnamen. Die Häuser sind ein Garant für den Schutz der Stadt. Viele Bürger wenden sich mit ihren Problemen an die Gildenleute, wodurch deren Aufgaben zusätzlich um Streitschlichtung, Fürsorge und ähnliches erweitert sind. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 7, Ga-Gi



Lautes Pochen an der Tür. Durch das kleine Fenster fiel das Morgenlicht in den spärlich eingerichteten Raum.
"Aufgestanden!" Ich brummte etwas und drehte mich wieder um. Das Weckkommando zog spätestens halb sieben Uhr morgens durch das Gildenhaus und holte rigoros alle aus den Betten. Halb sieben. Das war doch keine Uhrzeit fürs Aufstehen. Mal abgesehen von dieser unmenschlichen Weckzeit und dem Küchendienst, war die Gilde super. Erstens hatten mich alle Mitglieder rundweg akzeptiert, trotz meiner Unwissenheit und den daraus resultierenden blöden Fragen. Zweitens hatte ich hier Antworten auf die meisten meiner Fragen erhalten und drittens waren alle verrückt genug, um "den Neuen" auf ihre Touren mitzunehmen, was durchaus Spaß machte und mir tieferen Einblick in das Leben hier gab. Zudem gewährte die Gilde mir Schutz, den ich, wenn ich meinen Infos glauben durfte, wohl brauchte. Außerdem war Lysa ebenfalls ein Mitglied der Gilde.
Ich war erst zwei Wochen hier, und hatte in dieser Zeit so viele Sachen erfahren, die ich unter anderen Umständen wohl nie geglaubt hätte. Von Lysa hatte ich erfahren, dass dieser Ort hier für mich eigentlich gar nicht existieren durfte. Sie hatte etwas von "parallel verlaufenden Zeiten" gesagt, und aufgegeben, als sie meinen fragenden Blick bemerkte. So gesehen durfte ich gar nicht hier sein, war aber doch irgendwie her gekommen. Wie, wusste sie auch nicht. Die Lösung dazu konnte Lany bieten, der uns unterwegs aufgesammelt hatte. Er hatte von Magie und Manaströmen geredet. Das meiste davon hatte ich geschluckt, ohne mir weiter Gedanken drüber zu machen. Er nahm mich mit, hierher, ins Gildenhaus der Anxifer, wo er mir erklärte, warum ich hier war: Laut seiner Kontaktperson, er ging nicht näher darauf ein, hatte ich einen Unfall gehabt, bei dem ich, seiner Aussage nach, wohl gestorben wäre, aber irgendein Schutzmechanismus (er wollte mir das später genauer erklären) hatte mich hierher gebracht. Um genau zu sein: Mein Bewusstsein, welches hier auf Montenique eine körperliche Form angenommen hatte. Mein richtiger Körper lag im Krankenhaus im Koma, so erklärte er weiter. Ich könnte zurück, wenn ich wöllte, aber solle erst einmal eine Weile hier bleiben, damit sich beide Teile, Geist und Körper, erholen konnten. Geendet hatte er seine Erklärung mit: "Na, platzt dir der Kopf?".
In der Tat, das tat er. Mana? Koma? Einerseits wirkte das alles wie ein schlechter Film auf mich, andererseits auch ein wenig an die Geschichte eines schlechten Spiels. Allerdings war das hier kein Spiel, sondern bitterer Ernst, wie ich noch feststellen sollte.
Er hatte mich an Lysa und ihre beste Freundin Yelava Yen´vela weitergeleitet, die mir erklärten, wie ich mich zu verhalten hatte, wollte ich in der Gilde bleiben. Sie stellten mir die wichtigsten Leute vor (die meisten waren Frauen), zeigten mir das Gildenhaus und erklärten mir einige wenige Sachen über die verschiedenen Völker, die sich hier zusammen gefunden hatte. Vieles erfuhr ich allerdings erst von anderen Mitgliedern der Gilde, die mir geduldig alle meine Fragen beantworteten.
Fast alle Fragen. In einigen Büchern und Gesprächen hatte ich Sachen wie "Hochmagier", "Hüter" und "Drachen" aufgeschnappt. Fragte ich dahingehend, wurde ich immer an Lany weitergeleitet, der schwieg sich jedoch aus. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass es sich dabei um wichtige, mich betreffende Informationen handelte…
Lysa und Yela, die Hochelfe und die Waldelfe, klärten mich über die Elfenvölker Monteniques auf.
Die Waldelfen lebten wohl sehr zurückgezogen, wenige beteiligten sich am Gildenleben in den Städten. Die wenigen, die es taten, waren die sogenannten Waldläufer, Experten im Spurenlesen und begabt im Kampf mit dem Bogen. Yela entstammte einer alten und angesehenen Familie der Waldelfen, die allerdings in ihrer Elterngeneration komplett nach Randol, in die große Hauptstadt des nördlichen Teils der Insel gezogen war. Dadurch hatten sie einige Feinde gehabt, was dazu führte, dass Yelas Eltern durch eine Assassine ermordet worden waren. Yela war dadurch eine Art rächender Engel geworden, war erst der königlichen Garde Randols, dann der Gilde Anxifer beigetreten. Aber als sie die Mörderin ihrer Eltern fand, brachte sie es nicht übers Herz, Rache zu üben. Wenig später trat die Assassine, Laodamea, ebenfalls den Anxifer bei. Lysarya hatte Yela, während diese ihre Geschichte erzählte, misstrauisch beäugt, aber nichts gesagt. Seltsam…
Lysa ihrerseits, eines der Gründungsmitglieder der Anxifer, gab nichts über ihr Leben preis. Sie erzählte allerdings von den Hochelfen, die früher Randol gegründet hatten und sich später ebenfalls zurückgezogen hatten. Sie bewohnten eine Nachbarinsel Monteniques. Auch wenige der Hochelfen hatten Teil an dem Leben auf Montenique, und die wenigen, die hier waren, folgten ihrerseits strengen Regeln. Weiblichen Hochelfen war es vorgeschrieben, Klerikerinnen zu werden, die mit ihren Fähigkeiten heilten und unterstützten. Männliche Hochelfen wurden allesamt Beschwörer, die sich die Elemente in Form von Geistern oder Verwandlungen untertänig machten. Lysa, so erfuhr ich im Gespräch mit anderen Mitgliedern der Gilde, hatte es zu großer Bekanntheit gebracht und war die Meisterin ihres Faches. Ich hatte sie einmal in Aktion gesehen, und wie sie mit ihrem Stab rumwirbelte hatte mich sehr beeindruckt. Die anderen Gruppen derer, die die Gilden bildeten (Lysa hatte von Manamanipulierer gesprochen- meine Fragen dazu hatte sie mit "Später!" abgeblockt-) rekrutierte sich größtenteils aus Menschen, die verschiedene Fähigkeiten hatten. So gab es die Ritter und Paladine der Garde und die "Töchter des Nachtwindes" - flink, schlau, meistens Assassinen. Ebenfalls gab es die Magier, die teils Menschen waren, aber teils auf Hochelfen, die sich in dunkler Magie übten. Vieles von dem, was ich hier lernte, erinnerte mich an die Fantasy-Literatur, die ich teilweise gelesen hatte. Und doch war es viel realer. Die wenigen Gespräche, die ich mit Lany führen konnte, er war ständig unterwegs, klärten auch nicht gerade viel auf. Er redete nur kryptisch über "Sachen, die" ich "noch lernen sollte".
Gemeinsam mit Lysa hatte ich Randol erkundet. Es war eine riesige Stadt, komplett mittelalterlich, viele Häuser waren Fachwerk. In kleinen Gassen drängten sich schmale Häuser aneinander, an großen Straßen standen prunkvollere Gebäude. Im Zentrum der Stadt herrschte angeregtes Markttreiben. Mit einigen Händlern führte ich Gespräche- dieser fremdartige Ton, den ich übrigens registriert hatte, als Lany das erste Mal mit mir gesprochen hatte, rührte von der Sprache, die hier jeder sprach, und die ich aus irgend einem Grund ebenfalls verstand und fließend sprach, nämlich Latein- und erfuhr, dass diese Stadt für die normalen Menschen, die sich nicht in Gilden orientierten, Vestholm hieß, und die Stadt ihrer Königin war.
Wieder pochte es an der Tür, ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. "Hey du fauler Kerl. Es ist um sieben! Aufstehen oder es gibt kein Frühstück!"
Widerwillig stand ich also auf.

Kapitel 6



A crow flew to me, kept its distance, such a proud creation

-Nightwish, The crow, the owl and the dove



>>Über die Assassine Yilduna ist wenig bekannt. Ihre Spuren finden sich bereits in der Anfangszeit der Gilden, sie trat in den ersten Tagen der Gilde Equilibrium bei. Bereits nach kurzer Zeit beendete sie ihr Arrangement mit der Gilde und verschwand für die Geschichtsschreibung spurlos. Erst im Zusammenhang mit der Neugründung Anxifers trat sie wieder in Erscheinung. Dennoch ist sie eines der Geheimnisse Monteniques. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 25, Ya-Yo



Lysa stand neben mir, ihr weißes Haar zu einem Zopf zusammengefasst. Ihr schlanker Körper steckte in einer violetten Stoffrüstung mit weißen Verzierungen. In ihrer rechten Hand ruhte ein violetter, glatter Stab, an dessen Ende eine Klinge befestigt war. Der Kopf des Stabes war reich verziert, Silbertöne überwogen hier. Ihr Blick wanderte suchend über den abgesteckten Sandplatz, auf dem die Gildenmitglieder trainierten. Sie murmelte etwas, zu leise, als das ich es verstehen konnte. Schließlich seufzte sie.
"Alsdann, Erik. Lany hat entschieden, dass du, solange du hier bist, auch lernen sollst. Genauergesagt lernen sollst, wie du dich schützen kannst. Und darum sind wir hier." Sie deutete auf den Platz. "Du musst den Umgang mit mindestens einer Waffe lernen. Ich denke, Dolche sollten die beste Wahl für dich sein. Aber typischerweise fehlt die Lehrmeisterin mal wieder. Aber was hätte ich bei Duna auch anderes erwarten sollen", maulte sie.
Ich räusperte mich.
"Ja?", fragte sie, immer noch suchte ihr Blick den Platz ab.
"Also, warum muss ich das lernen? Ich meine, solange bleibe ich doch nicht hier, und zu Hause ist mir bisher noch nie was passiert, was das Wissen über Selbstverteidigung notwendig gemacht hätte." Sie sah mich an. Ihre tiefblauen Augen blitzen.
"Bisher", sagte sie und wandte sich wieder ab.
"Und was soll das jetzt heißen?"
"Bisher heißt", seufzte sie, offenbar genervt, "dass du jetzt, wo du hier warst, mehr Probleme bekommen wirst. Anxifer hat Feinde, mächtige Feinde. Feinde, die dich als gefundenes Fressen ansehen werden. Darum sollst du lernen, dich zu wehren." Sie wirkte wirklich etwas gestresst. So in Rüstung und mit Waffe war sie kühler und unnahbarer als sonst. Und irgendwie zog mich dieses geheimnisvolle an wie eine Motte das Licht. Ich entschloss, sie nicht weiter auszuhorchen. Stattdessen betrachtete ich die Umgebung genauer. Das Gildenhaus stand etwas außerhalb der Mauern Randols, auf einer freien Fläche vor der Stadt. Folgte man der Straße weiter, gelangte man in einen Wald. Das Gildenhaus selbst war ein breites, vier-etagiges Fachwerkhaus. An mehreren Stellen wehten Fahnen. Ich hatte mir erklären lassen, dass die eine die Fahne Monteniques war, die andere das Gildensymbol der Anxifer, rot-schwarzer Grund auf dem ein silbernes Kreuz prangte. Den obligatorischen Gildenumhang, gleiches Aussehen, trug ich bereits. Lysa atmete hörbar aus.
"Da ist sie ja endlich", sagte sie, vermutlich erleichtert, mich loszuwerden. Eine kleine Frau lief auf uns zu, rote Kurzhaarfrisur, grüne Augen. Sie hielt zwei goldene Dolche in den Händen, von denen ein orange-gelbes Leuchten ausging.
"Wo hast`n die ausgegraben?", fragte Lysa beinahe desinteressiert.
"Meine guten, alten Lehrlingsdolche", sagte die kleine Frau. Ihre Stimme klang ziemlich dunkel. "Passend für die Anfänger-Klientel." Sie lachte. Lysa schüttelte den Kopf.
"Wenn du nicht die beste Assassine wärst, die wir haben, ich würde ihn sofort mitnehmen. Aus purer Sicherheit." Die Frau sah Lysa mit gespieltem Erschrecken an.
"Vertraust du mir etwa nicht, Lysarya Ma´Savena? Du tust ja geradezu so, als würd ich deinem neuen Schützling was antun!" Lysa schnaubte verächtlich.
"Erstens ist er nicht mein >Schützling

Kapitel 7



No will to wake for this morn to see another black rose born deathbed is slowly covered with snow.
Angels, they fell first but I’m still here, alone as they are drawing near. in heaven my masterpiece will finally be sung

-Nightwish, End of all hope


>>Prinzessin Yelava Yen´vela ist Waldläuferin der Anxifer und als Tochter Königin Ishin Yen´velas als Thronfolgerin der Waldelfen auserkoren. Sie wuchs in Randol auf, trat später der -> königlichen Garde Vestholms bei. Diese verließ sie nach etwa zwei Jahren Dienst und trat den Anxifer unter Admiral Atlan bei. Seitdem fokussierte sie ihre Tätigkeit auf die Arbeit der Waldläufer. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 25, Ya-Yo



Stöhnend ließ ich mich auf eine der Bänke im Essenssaal fallen. Mir tat alles weh. Die Trainingseinheit mit Duna, der besten Assassine Anxifers, hatte den ganzen Tag gedauert. Laufen, Springen, Kämpfen. Ich hatte mehrere Schnittwunden an den Armen und einige unschöne Abschürfungen davon getragen. Es war ziemlich anstrengend gewesen und hatte doch irgendwie Spaß gemacht. Duna meinte zwar, dass ich noch sehr viel lernen und üben musste, aber dennoch war sie zufrieden. Zwar verstand ich immer noch nicht ganz, wozu das Ganze diente, aber Lysas Worte ließen mich auch nicht los."Anxifer hat Feinde, mächtige Feinde." Wer sollte das sein? Und was wollten die von mir? Gerade von mir, der ich hier doch nur durch Zufall reingerutscht war?
"Hey!", tönte hinter mir eine warme Stimme auf. Yelava. Sie setzte sich zu mir.
"Na? Alles klar? Sieht so aus, als wär Duna nicht grad zimperlich gewesen, was?", fragte sie mitfühlend. Ihr schulterlanges, nussbraunes Haar fiel ihr ins Gesicht, der schmale Haarreif, den sie trug, hielt das Wirrwarr nur schwer zurück.
"Klingt so, als wäre das an der Tagesordnung", murmelte ich.
"Eigentlich nicht. Dass Lany grade Duna für deine Ausbildung abgestellt hat..." Sie machte gedankenverloren Pause. "Du bist wichtig. Ob für uns als Gilde, oder gar für die Hochmagier, weiß ich allerdings nicht." Ich horchte auf. Da war es wieder, das gemiedene Thema.
"Hochmagier?“ , echote ich.
"Also, eigentlich... hm.", machte sie.
"Yela, wenn du was weißt, was ich wissen sollte, dann sag´s mir bitte." Sie kratze sich an der Nase. "Die Frage ist ja, ob du´s wissen solltest, Erik. Ist nämlich eine Sache, die, nun ja, eigentlich... also... Außenstehende sollten normalerweise nicht-"
"Wenn’s mich betrifft, bin ich wohl kaum ein Außenstehender.", fiel ich ihr ins Wort. Sie dachte nach. "Nein.", sagte sie schließlich, "Bist du wohl nicht. Trotzdem solltest du´s glaube ich noch nicht erfahren. Sonst hätte Lany-"
"Was soll das bitte? Erstens hat er, Gildenleiter hin oder her, nicht das Recht, euch zu zensieren, und außerdem geht´s hier um mich, oder?" Irgendetwas Großes steckte dahinter. Und ich würde schon noch herausfinden, was.
"Erstens", sagte Yela, klang dabei etwas böse, "hat er als Gildenleiter unsere uneingeschränkte Loyalität. Wir halten die Klappe, wenn er´s für besser befindet. Und zweitens hat er einen tieferen Einblick in die ganze Sache und kann’s besser einschätzen. Besser als wir, und allemal besser als du." Damit stand sie auf, und ließ mich mit meinen Fragen allein. Irgendwie ahnte ich, dass ich nicht so bald wie angenommen nach Hause konnte. Und vor allem nicht so ahnungslos, wie ich eigentlich wollte. Da war mehr, und ich spielte eine der Hauptrollen.

Kapitel 8



Imaginarium, a dream emporium! Caress the tales and they will read you real. A storyteller's game,
Inside he flicks the gate the calling heart is a limitless chest of tales...

-Nightwish, Storytime


>>Vestholm (elf. Name Randol) ist die Hauptstadt den im Norden Monteniques befindlichen Reiches der Menschen. In der Burg residiert die Menschenkönigin, geschützt von ihrer Garde. Innerhalb und außerhalb der doppelten Stadtmauer befinden sich mehrere Gildenhäuser. Die beiden größten sind dabei das der Gilde Equilibrium im Zentrum der Stadt und das der Gilde Anxifer, außerhalb der Stadtmauern. Randol als Hauptstadt ist der größte Schmelztiegel der Insel, Umschlagplatz von Tonnen an Waren und Gerüchten. Auch für die Manamanipulierer hat die Stadt großen Wert als Treffpunkt und Handelsort. Randol ist eine der wenigen Städte, die sogar über einen Elfenteleporter und ein Elfenarchiv verfügen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 16, Ra-Ru



Lysa hatte mich am gleichen Abend besucht, auch ihre Stimmung war nicht allzu gut. Sie hatte kurz gefragt, wie es mir ging, hatte meine Wunden versorgt und mich wieder allein gelassen. Es war, als hätte sich ein Schatten über die Gilde, nun ja, zumindest über Lysa, Yela und ihre Freundinnen gelegt. Das bestärkte mich noch mehr, nachzuforschen, was hier eigentlich los war.
Am nächsten Tag stand ich also pünktlich mit dem Weckdienst auf und ging bereits am frühen Morgen nach Randol. Den Gildenumhang hatte ich nicht mitgenommen. Ich wollte mich unters Volk mischen, Sachen in Erfahrung bringen. Über die Anxifer, über Lysa, über diese "Hochmagier". Und über meine Rolle in der Sache.
Die meisten meiner Fragen blieben einer Beantwortung schuldig. Viele konnten, oder wollten nichts sagen. Zwar erfuhr ich, dass die Gilde Anxifer sehr alt sein musste, mindestens genauso alt wie Equilibrium, die zweite inselweit bekannte Gilde. Und ich erfuhr die eigentliche Bedeutung des Namens: angstbringend. Latein. Ich fragte mich zwar, warum meine seltsamerweise neugewonnenen Lateinkenntnisse das nicht hergaben, aber das war wohl Nebensache. Mehr erfuhr ich über Anxifer nicht. Was Lysarya anging war ich genauso unerfolgreich. Zwar brachte man sie mit der Gründungszeit Anxifers in Verbindung, laut den wenigen Aussagen, die ich hatte, musste sie allerdings sehr viel älter sein, was ich mir irgendwie nicht vorstellen konnte. Immerhin beschrieb Anxifer angeblich einen Zeitraum von 600 Jahren! Was die Magiergeschichte anging, hielt man sich noch bedeckter. Immer wieder verwies man mich an Atlan. Toll.
Irgendwann am späten Abend, das Markttreiben hatte mit Sonnenuntergang sein Ende gefunden, saß ich auf dem einsamen Markt auf dem Rand des Brunnens und dachte nach. Fast kam mir das alles wie eine Verschwörung vor, oder wie ein dummer Witz, den man mit mir spielte.
Vorsicht, Kamera, Verstehen Sie Spaß? Aber eine einleuchtende Erklärung für das alles fand ich auch nicht.
"Du solltest weniger grübeln.", erklang hinter mir eine Stimme. Ich erschrak, hatte niemand kommen hören. Aus dem halbdunkel trat eine große Gestalt ins Dämmerlicht der Laternen. Atlan. Er grinste schief. "Deine Fragen werden ja langsam fast ein bisschen lästig", meinte er und ließ sich neben mir auf dem Brunnenrand nieder. Er hatte sich seinen Umhang fest um die Schultern gezogen, sah hinaus in die Nacht. "Du willst also Antworten? Einige kann ich dir vielleicht geben." Interessiert rutschte ich näher. "Was willst du zuerst wissen? Die Geschichte Anxifers? Oder der Hüter? Hm... nein, ich denke, Anxi tut´s fürs erste auch." Er seufzte.
"Hör mir gut zu, nochmal erzähl ich´s dir nicht."

Kapitel 9



Horizon crying the tears he left behind long ago

-Nightwish, The Islander



"Anxifer. Es ist ein altes Wort aus der Sprache der Drachen. Es ist eines von 27 Wörtern für „Magie“. Und gleichzeitig hat es noch die Bedeutung „Böse“. Das heißt, es ist die Beschreibung für dunkle Magie. Im lateinischen heißt es sinngemäß "angstbringend" oder "furchterregend". Also, vor langer Zeit, vor etwa, nun ja, hm, 800 Jahren, kamen die Menschen auf die Idee, sich in Gilden zusammenzuschließen, um stärker zu sein, und Gefahren besser abwenden zu können. Die erste Gilde, die gegründet wurde, erhielt den Namen Equilibrium. Latein, Gleichgewicht. Dementsprechend wählten sie als Symbol eine Waage. Viele schlossen sich dieser Gilde an, und sie wurde stark. Die Mitglieder dieser Gilde nutzten ihre Fähigkeiten, um Gutes zu tun und die Menschen zu schützen. Es waren auch Magier unter ihnen. Ich habe sie unterstützt, bin ihnen aber nie beigetreten. Jahre später gründeten einige Magier eine zweite Gilde. Sie nannten sie Anxifer. Ihnen war ihre Macht zu Kopf gestiegen, sie wollten die alleinige Herrschaft über die bekannte Welt. Dazu mussten sie die Mitglieder von Equilibrium aus dem Weg räumen, das war allen klar, also überlegte man, wie man das verhindern konnte, ohne Blutvergießen. Man entschied, die Anxifer zu infiltrieren. Eine junge Zauberin der Equilibrium meldete sich für diese Aufgabe freiwillig. Sie hieß... Isabella Belladonna.“ Der alte Mann unterbrach sich. Er schwieg eine Weile. Schließlich fuhr er mit rauer Stimme fort: „Ich wollte verhindern, dass sie zu den Anxifer ging. Es erschien mir zu gefährlich. Ich habe sie geliebt...“ Wieder brach er ab. „Sie wollte sich nichts einreden lassen. Schließlich tat sie es für ihre Gilde. Also ging sie zu den Anxifer. Selbige hatten zu diesem Zeitpunkt bereits, gemäß ihres Namens, Angst verbreitet. Sie mordeten in der Bevölkerung, sie raubten, sie forderten. Dennoch wagten es sich die Mitglieder von Equilibrium nicht, sie offen anzugreifen. Isabella trat den Anxifer bei. Sie spionierte sie aus und informierte die Equilibrium. Diese konnten dadurch die Pläne der Anxifer gezielt vereiteln. Andererseits schien Isabella einen positiven Effekt auf die Anxifer zu haben, denn sie mäßigten sich, und ließen das Volk in Ruhe. Nur gegenüber den Equilibrium verhielten sie sich aggressiv. Isabella traf ich während dieser Zeit heimlich. Jedes Mal sagte ich ihr, dass es gefährlich sei, bei den Anxifer zu bleiben. Sie hörte nicht auf mich. Sie blieb bei den Anxifer, in der Überzeugung, dass diese weiterhin passiv bleiben würden. Das war auch so. Über Jahre ging es gut. Die Anxifer hielten still, den Menschen ging es gut, die Equilibrium erhielten Informationen und Isabella passierte auch nichts. Bis, nun ja... bis Isabella von einem Tag auf den anderen spurlos verschwand. Niemand wusste, wo sie hin war, und warum sie weg war. Sie war einfach weg, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Zuerst hatte ich die Anxifer in Verdacht. Aber auch sie wussten nichts über ihr Verschwinden und auch sie waren erschüttert darüber. Also begann ich nach Spuren zu suchen. Mein damals bester Freund Erando half mir dabei. Aber wir fanden nichts. Es war wirklich so, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätte... Jedenfalls war sie weg, und ich wusste weder warum, noch wohin. Auch die Equilibrium waren bestürzt über ihr Verschwinden, aber auch sie fanden keine Spuren. Monatelang suchten wir, Monate, in denen die Anxifer wieder planten und in denen sie wieder mordeten. Die Equilibrium griffen ein, wo sie konnten. Aber auch ihnen waren Grenzen gesetzt, sie konnten auch nicht überall zugleich sein. Die Anxifer... sie hatten es auf mich abgesehen. Scheinbar machten sie mich für Isabellas Verschwinden verantwortlich. An mich kamen sie nicht heran, mir konnten sie also nicht schaden. Wohl aber meinen Freunden... Ein Magier der Anxifer verfluchte Erando. Und als wir das merkten, war es bereits zu spät. Er starb...“ Wieder unterbrach er sich. "Machthungrige Mörder. Nach Erandos Tod gingen die Equilibrium offen gegen die Anxifer vor. Die Gilde wurde zerrieben und löste sich auf. Was blieb, war die Erinnerung an sie. Düstere Erinnerungen. Etwa zehn Jahre, nachdem die Anxifer aufgelöst worden waren, taten sich einige junge Magier zusammen. Sie wollten den Menschen etwas Gutes tun und die Erinnerung an die Anxifer verändern. Sie gründeten die Anxifer neu, ebenfalls unter dem X. Sie halfen den Menschen, sie taten Gutes, sie waren das komplette Gegenteil der alten Anxifer. Bald vergaßen die Menschen die böse Erinnerung, sie freuten sich, wenn sie das Zeichen der Anxifer sahen. Ich ließ es dabei bewenden, auch weil die neuen Anxifer gute Absichten hatten. Seit jener Zeit hatte ich eigentlich nichts mit den Anxifer am Hut. Duna und Lysa behielten sie für mich im Auge, Lysa ihrerseits trat irgendwann, hauptsächlich Yelavas Eltern geschuldet, den Anxifer bei. Und irgendwie kam ich nicht umhin, es ihr gleich zu tun. Die Gildenleitung wurde mir dann später zugetragen... Jedenfalls ist Anxi mittlerweile wieder eine stolze Gilde geworden, auch wenn immer noch ein dunkler Schleier darüber hängen mag." Er schwieg. Ich war überrascht über diese Offenheit, die er mir plötzlich entgegen brachte. Leider brachte mich diese ganze Geschichte nicht wirklich weiter. Aber ich merkte es mir, vielleicht brauchte ich diese Puzzleteil später noch.
"Was Lysarya angeht", sagte Lany und stand auf, "fragst du sie am besten selbst. Sie scheint dir im Übrigen sehr zugetan zu sein." Er lachte leise. "Sie liebt das Geheimnis, darum macht sie aus sich selbst eines. Und du bist das geheimnisvollste Wesen, das ihr seit langem über den Weg gelaufen sein dürfte."

Kapitel 10



Old loves they die hard, old lies they die harder

-Nightwish, I wish I had an angel


>>Admiral Atlan, genannt Lany, ist der Leiter der Gilde Anxifer, und der Vorsitzende der Volksversammlung Monteniques. Als >Regierungschef< der Insel ist es seine Aufgabe, den Frieden zu wahren. Im Notfall kann er ohne Rücksprache mit den Volksräten und Volksvertretern allein Entscheidungen treffen. Die Hüter, zu denen Atlan gehört, haben keine Einflussmöglichkeit auf die Regierung, es sei denn, sie werden zu Volksvertretern gewählt. Dennoch haben die Hüter die Möglichkeit, bestimmte Entscheidungen anzufechten. Außerdem fungieren sie als Berater. Mehr dazu siehe >Volksversammlung

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 2, Al-At



Der nächste Tag verlief recht... uninteressant. Mit Duna zusammen trainierte ich wieder, sie schien zufrieden zu sein. Lysa ließ sich den ganzen Tag nicht sehen, Duna sagte etwas über einen Auftrag, den sie zu erledigen hatte. Was genau das war erfuhr ich, wie üblich, nicht.
Der Brunnen auf dem Marktplatz hatte es mir irgendwie angetan. Er war von kreisrunder Bauart, das Wasser sprudelte aus einer Zwischenstufe, auf der die Statue einer Elfenfrau stand. Sie hatte den Bogen gezogen, ihr Haar wehte im Wind, sofern Stein denn wehen konnte. Bogen und Haarreif waren goldverziert, ebenso einige Teile der Rüstung. Sie sah ernst aus, aber dennoch freundlich. Die Inschrift auf der Goldtafel am Rand des Brunnens konnte ich nicht lesen. Besonders im Halbdunkel der nächtlichen Straßenbeleuchtung übte dieser Platz eine ungeahnte Faszination auf mich aus. Das leise Plätschern des Wassers beruhigte sehr. Wie gestern saß ich auf dem Rand des Brunnens und dachte nach. Was Lany mir erzählt hatte, stand auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang zu mir. Ehrlich gesagt, auf den zweiten Blick auch nicht. Jedenfalls fand ich ihn nicht. Daher hatte ich mir ein neues Ziel gesetzt: die "Manamanipulierer". Aus ihnen setzten sich die Gilden zusammen, sie schienen über irgendwelche besonderen Fähigkeiten zu verfügen. Lysa hatte mich auf später vertröstet, aber ich, neugierig wie ich war, wollte möglichst bald wissen, woran ich war. Die Frage war: wo sollte ich irgendetwas herausfinden? So etwas wie eine Bibliothek hatte ich noch nicht gefunden, und Google ließ sich ohne PC schlecht befragen. Apropos... wie es meinen Freunden wohl gerade ging? Für sie lag ich im Koma... Ich schüttelte mich. Schreckliche Vorstellung.
"Erik!", hörte ich Lysas Stimme rufen, drehte mich suchend zu allen Seiten. "Hey!" Sie kam aus dem Dunkel auf mich zugerannt, sah besorgt aus. "Was fällt dir ein, allein durch die Straßen zu ziehen!", rief sie wütend.
"Lysa, beruhig dich. Ist doch nicht so schlimm...", versuchte ich sie zu beruhigen. Sie lachte kalt auf. "Wenn du wüsstest..." Sie atmete hörbar aus, beruhigte sich wirklich. "Pass auf, du bist in Gefahr. Lany reißt mir den Kopf ab, wenn er erfährt, dass ich dir das erzähle. Straya ist hinter dir her. Die ganze Gilde. Vermutlich wissen sie, was wir auch wissen. Ist mir zwar schleierhaft, woher, aber das tut im Endeffekt nichts zur Sache. Komm mit, “ - sie nahm meine Hand- "jetzt bringe ICH dir was bei." Verwirrt ließ ich mich mitziehen. Gefahr? Straya? WAS wissen? Ich verstand das alles überhaupt nicht. Lysa ließ sich auf kein Gespräch ein, zog mich schweigend weiter. Möglicherweise würde sie mir alle Antworten liefern. Als wir die Stadtmauern hinter uns gelassen hatten, zog sie mich von der Straße hinunter ins Gebüsch. Erst im Schutz des Waldes wurde sie langsamer, hielt meine Hand aber immer noch fest. Sie nahm einen kleinen Trampelpfad, der sich nach einigen Wegminuten zu einem kleinen Weg verbreiterte. Eine kleine gerodete Fläche folgte, an deren Ende, dort, wo die Bäume wieder anfingen, Statuen den Weg überspannten. Unter den Statuen blieb sie schließlich stehen, drehte sich zu mir um.
"Es kann sein, dass du ziemlich bald in Schwierigkeiten gerätst. Und ich glaube nicht, dass du dich wirklich schützen kannst, zumindest momentan noch nicht. Genauso wenig, wie ich dich beschützen kann. Aber ich hab nicht vor, dich an Straya zu verlieren. Über die Magie die hohen Hüter, zu denen du zweifelsfrei gehörst, auch wenn ich nicht weiß, wie du da reinpasst, kann ich dir nichts erklären. Aber ich kann dir beibringen, Manaströme zu erkennen und zu verändern, so wie wir es tun. Auch das wird dir wohl nicht viel helfen, aber vielleicht hast du dort dein Talent liegen. Und dann WIRD dir dieses Wissen helfen." Ich setzte zu einer Frage an, aber sie hob abwehrend die Hand. "Nein, frag nichts. Nimm´s so hin. Wir haben wahrscheinlich nicht viel Zeit, ich will diese nicht mit langen Erklärungen verschwenden. Setz dich." Sie deutete auf den Boden. "Und tu bitte genau, was ich dir sage." Ich nickte, gespannt auf das, was jetzt folgen würde. Aber auch verunsichert... sie sprach von Gefahr. Und das gefiel mir nicht. Sie hockte sich mir gegenüber hin, bedeutete mir, die Hände aneinander zu legen. Sie zog ihre Handschuhe aus, ihre warmen Hände berührten meine.
"Diese ganze Welt", sagte sie leise, "ist von Mana durchdrungen. An manchen Stellen, den Quellen, fließt es stärker, an manchen schwächer. Wir haben die Fähigkeit, dieses Mana unter Kontrolle zu bringen. Wir können die Flüsse so ändern, dass sie nach unserem Willen fließen, und können damit dem Mana sogar Fähigkeiten geben. Heilen, helfen, aber auch schaden. Wir Klerikerinnen nutzen unsere Möglichkeiten hauptsächlich um zu heilen. Du, als höherer Magier, solltest mehr können. Du musst auch mehr können, wenn du dich schützen willst. Hör mir zu und lerne. Schließ die Augen, konzentrier dich. Hör auf deine Umgebung, nein, fühle sie." Ich horchte. Im Wald schuhute ein Uhu, Grillen zirpten. Auf was musste ich eigentlich genau achten? Ich fühlte die Wärme von Lysas Händen, das Gras raschelte leise. Leises Wolfsheulen in der Ferne, Lysas schneller Atem neben mir. Da! ich spürte... Wärme. Eine Art helles blaues Glänzen hing auf einmal über der Landschaft.
"Gut", flüsterte Lysa. "Fühle das Mana. Es gibt dir die Kraft für deine Zauber. Es-"
Sie brach ab. Schritte. Ich wurde aus meiner Konzentration gerissen, die Dunkelheit der Nacht fing mich wieder.
"Ahh. Die große Lysarya. Und direkt dabei ihr neuer kleiner Schützling. Trifft sich ja gut." Eine schneidend kalte Stimme. Ich konnte die Umrisse eines Mannes ausmachen, er hielt in jeder Hand ein Schwert.
"Du!", knurrte Lysa. Auf einmal stand sie, hatte den violetten Stab von vor zwei Tagen in der rechten Hand. Ihre Haltung war geduckt, in der linken Hand blitzte eine Klinge auf. Ich verstand gar nicht, was so plötzlich hier passierte.
"Rührend. Meinst du, du könntest ihn beschützen?", lachte der Mann kalt. Eine Frau war hinter ihm erschienen, sie trug einen Bogen, gespannt, der Pfeil zeigte genau... auf mich.
"Deinen kleinen Freund jedenfalls nehmen wir jetzt mit. Er kann uns bestimmt gute Dienste erweisen..." Lysa stellte sich schützend vor mich.
"Dazu musst du erst mal an mir vorbei!", rief sie.
"Das sollte kein Problem darstellen."
Auf einmal erklang lautes Wiehern. Der Mann und seine Begleiterin zuckten zusammen. Drei Pferde brachen aus dem Wald hervor. Hufgetrappel, Stimmenwirrwarr. Die Tiere drängten die ungebetenen Besucher beiseite. Lysa entspannte sich, kniete in einer fließenden Bewegung neben mir nieder.
"Wer ist das?", fragte ich flüsternd.
"Die Reiter? Sie sind, wenn ich das grade richtig erkennen kann, Mitglieder der Sternreiter." Ich setzte zu einer Frage an. "Erklär ich dir später!", sagte sie. Im Dunkeln sah ich, wie einer der Reiter den anderen ein Zeichen gab. Dann lenkte er sein Tier zu uns und saß ab. Er kniete sich ebenfalls hin. "Mike?", flüsterte Lysa überrascht.
"Lysa, Schöne.", sagte er. Seine Stimme klang warm und gütig. "Geh bitte zurück zur Gilde. Sag Lany, dass ich mich um unseren Gast kümmere. Ich dulde keine Widerrede. Von dir nicht, und von ihm auch nicht. Geh, schönste Tochter der Elfen. Ich erledige das." Er schickte Lysa weg. Und ich? wollte er mich mitnehmen? Lysa stand auf.
"Pass bitte auf ihn auf.", bat sie leise. Dann ging sie. Der Mann stand auf, bot mir wortlos seine Hand an.

Kapitel 11



Light the fire, feast chase the ghost, give in take the road less traveled
Leave by, leave the city of fools turn every poet loose

-Nightwish, 7 days to the Wolves



>>Der Hüter der Seelen ist der höchste der Hüter. Er beherrscht alle vier Elemente und die höchsten Stufen der Magie. Sein Hauptelement ändert sich mit jeder Reinkarnation, welche tausend Jahre nach dem Tod des Vorgängers geboren wird. Der gegenwärtige Seelenhüter ist Wasserelementar-zauberer. Er ist der Anführer und Sprecher der Hüter. Was die genauen Fähigkeiten des Seelenhüters betrifft, so sollten die Bücher im Archiv der hohen Priester in Romania Auskunft geben. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 19, Sch-St




Schweigend hatte er mich durch den Wald geführt. Ich hatte die Zeit zum Nachdenken genutzt. Lysa hatte versucht, mir etwas zu erklären... Kräfte.. Mana... Hatte von Gefahr gesprochen. Dann diese zwei Fremden, die uns bedroht hatten. Und nun dieser Mann, dessen Autorität offenbar reichte, um Lysa und Lany befehlen zu können? Was für eine Position hatte dieser Mann? Welche Macht? Und was hatte das mit mir zu tun? Ich war hier auf Montenique in Sachen geraten, die ich mir erstens nie hatte träumen lassen und die zweitens bei weiten zu schwer für mich waren.
"Bitte. Komm rein." Die Stimme des Mannes riss mich aus den Gedanken. Wir standen vor einer kleinen Hütte im Wald, die Tür war geöffnet. Ich trat ein, er schloss die Tür hinter mir, dirigierte mich zu einem Stuhl. Dann entzündete er eine Lampe, gab mir damit die Möglichkeit, ihn genauer zu betrachten. Er war recht groß, 1,90m vielleicht. Er war schlank, trug einen blauen Umhang mit einem stilisierten Stern darauf. Sein Haar war rotblond, etwa 5 Zentimeter lang. Der Blick aus seinen grünen Augen war sanft aber auch entschlossen. Er war dieser Typ Mann, den man sofort als Anführer anerkennt. Er wirkte unendlich weise. Er musterte mich eine Weile interessiert. "Du bist also der, den Lany aufgegabelt hat? Hm. Paralleluniversen... Ich mag das ja eigentlich nicht." Er klang freundlich, drehte sich um, sah aus dem Fenster. Er machte einen nachdenklichen Eindruck. "Ein Hüter also... nur erschließt sich mir der Zusammenhang nicht. Oder soll dieser alte Kauz doch recht gehabt haben...?" Ruckartig drehte er sich wieder zu mir. "Mein Name ist Michael. Aber nenn mich Mike, wie alle anderen auch. Ich bin der Hüter der Seelen, der höchste der Hochmagier... und ich denke, ich werde dir jetzt all das erklären, was Lany dir vorenthalten wollte. Ich glaube sogar, ich kenne seine Beweggründe, aber dennoch halte ich diese Einstellung für falsch... Ich werd dir jetzt ein paar Fragen stellen, antworte bitte wahrheitsgemäß."
Damit begann ein Frage-Antwort-Spiel. Name, Alter, Tätigkeit, besondere Ereignisse in meinem Leben, wie ich hierhergekommen war, was Lysa mir erzählt hatte... Über viele meine Antworten dachte er eine ganze Weile nach, sagte aber nichts dazu. Nach etwa zwei Stunden - mein Mund war ganz trocken vom vielen reden - hatte er keine Fragen mehr. Er dachte noch lange über alles nach. "So wie ich das sehe, hat Arthoslor dich mit Absicht gerettet. Also bist du für uns - oder für deine Welt- ziemlich wichtig. Mir gefällt das zwar ganz und gar nicht, aber so sei es. Ruh dich erst einmal aus, morgen werde ich dir alles erklären."

Kapitel 12



Getaway, runaway, fly away lead me astray to dreamer`s hideaway
I cannot cry `cause the shoulder cries more I cannot die, I, a whore for the cold world

-Nightwish, The poet and the pendulum



>>Arthoslor ist der Höchste der Drachen. Er ist hauptsächlich auf dem Drachenfels Monteniques anzutreffen. Seine Schuppen sind tiefrot, golden an Hals und Bauch. Seine Augen sind stechend blau, die Klauen ebenfalls golden. Er kann Größe und Erscheinungsbild beliebig verändern, tritt aber zumeist in seiner ursprünglichen Drachenform auf. Er mischt sich äußerst selten in die inneren Angelegenheiten Monteniques ein, meist nimmt er die Rolle des kommentierenden Außenstehenden ein. Er unterstützt zuweilen die Magier, meist ohne, dass sie davon erfahren. Nur den Hütern und wenigen ausgewählten Elfen ist es erlaubt, Kontakt zu ihm aufzunehmen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 2, Al-At



Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Mike nicht da. Ich nutzte die Möglichkeit, mich in seinem Haus umzusehen. Es war sehr einfach eingerichtet, überwiegend Holz. An den Wänden hingen einige Gemälde, der Signatur nach zu urteilen von ihm selbst. Unter den Motiven fanden sich auch Lysa und Yela. Ich betrachtete gerade ein Bild, das einen Baum auf einer grünen Wiese voller Blumen zeigte, als Mike wiederkam. Er sah unzufrieden aus.
"Ah, du bist schon wach, gut.", sagte er dennoch freundlich. "Dann fangen wir am besten gleich an... am besten mit der Theorie, macht sich besser." Er winkte mich hinaus, setzte sich auf einen Stein und bedeutete mir, mich auf den anderen Stein zu setzen. Ich tat wie gehießen.
"Da dein Wissen über die Hochmagier sehr begrenzt ist, werde ich damit anfangen. Lysa hat dir ja schon einige Bruchstücke über die Manamanipulierer erzählt. Das ist die Grundlage, um das Folgende zu verstehen. Die Manamanipulierer nutzen die natürlichen Manaströme, um einen Effekt zu erzielen. Der Effekt hängt von verschiedenen Sachen ab: Wahl der Waffe, Wahl der katalysierenden Juwelen, Wahl des Ziels und Grad der Konzentration beziehungsweise Fokussierung auf einen gewünschten Effekt. Wir hohen Zauberer können das quasi auch. Dieses ganz normale, naja, für dich vielleicht nicht normale, Verändern der Manaströme. Wir können aber auch... wie sag ich das jetzt? Wir können quasi aus uns selbst heraus zaubern. Wir brauchen kein Mana dafür, auch wenn´s mit Mana besser geht. Vor allem strengt´s weniger an. Aber dazu später, wenn du das lernst. Wir Zauberer sind eine Art Patrouille für diese Welt, beziehungsweise für die Welt, aus der wir stammen. Wir sind die Aufpasser und Problemlöser. Wir Hochmagier haben uns zu dem sogenannten Kollektiv zusammengeschlossen. Um dir das zu erklären... das Kollektiv besteht aus 9 Zauberern. Die vier Hüter der Drachenseelen, die vier Hüter der Elementgesten und mir, dem Hüter der Seelen. Die Zauberer blicken auf eine lange Geschichte zurück. Es gibt einen Mythos, der dem zugrunde liegt. Laut diesem haben die Drachen, Arthoslor, Saphira, Smaragda und Rubina, das Universum erschaffen und später den Menschen die Magie gegeben. Die vier ersten Magier erhielten von den Drachen einen Teil deren Magie, die Drachenflamme genannt, den sie beschützen und nutzen lernten. Diese Flammen wurden immer weitergegeben, bis sie bei uns ankamen. Bei den Gestenhütern verhielt es sich ähnlich, sie erhielten Teile der Magie der Flammenhüter. Das war eine Maßnahme der Drachen, als sie feststellten, dass die Flammenhüter zu mächtig waren. Ich, als Seelenhüter... meine Aufgabe ist es, das alles unter einen Hut zu bringen.
Den Zauberern ist jeweils ein Element zugeordnet. Erde, Luft, Wasser und Feuer. Je stärker der Zauberer, beziehungsweise seine natürliche Macht, desto mehr Elemente beherrscht er. Um dir das genauer zu erklären: Der Hüter der Erdflamme beherrscht nur die Erde. Der Hüter der Luftflamme Luft und Feuer. Der Hüter der Wasserflamme Wasser, Luft und Erde. und der Hüter der Feuerflamme alle vier Elemente. Ebenso verhält es sich mit den Gestenhütern. Ich als Seelenhüter beherrsche auch alle vier Elemente, aber mein Grundelement ist das Wasser. Was die Elemente angeht, später. Du bist der Part, der hier überhaupt nicht reinpasst. Es gibt neun Hüter. Damit also auch neun Hochmagier. Du bist... du passt einfach nicht rein. Du bist definitiv ein Hochmagier. Deine Ausstrahlung, deine Fähigkeiten, der Umstand deines Herkommens beweisen das. Aber du passt einfach nicht ins Bild. Und wir müssen jetzt ergründen, an welche Stelle du gehörst."
Ich schluckte. Jetzt wusste ich wenigstens, woran ich war, auch, wenn mir das nicht gefiel.

Kapitel 13



He will go down he will drown drown, deeper down the river wild will take your only child
He will go down he will drown drown deeper down the mills grind slow in a riverbed ghost town
He will go down he will drown drown, deeper down if you want me, then do come across

-Nightwish, Ghost River



>>Nur wenige verstehen die Drachensprache, Dragoren, vornehmlich die Waldläufer und die hohen Hüter. Es existieren keine Wörterbücher oder ähnliche Verständnishilfen. Man lernt diese Sprache nicht, man versteht sie von Anfang an und spricht sie auch fließend. Es gibt keine Möglichkeit, Dragoren zu erlernen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 4, C-Do



Er hatte mich in den Wald geschickt. Ich sollte mir einen ruhigen Ort suchen, in mich gehen und horchen. Auf den Wald und seine Zeichen. Also war ich eine Weile über Tierpfade gestapft bis ich einen Baumstumpf gefunden hatte, der mich geradezu einlud, mich darauf zu setzen. Er meinte, ich würde so etwas über diese Welt erfahren. Und über die Ströme des Mana, die diese Welt durchzogen. Außerdem hatte er gesagt, ich könnte so eventuell erfahren, zu welchem Elementar meine magischen Fähigkeiten gehörten. Also hatte ich mich auf dem Baumstamm niedergelassen, die Augen geschlossen und begonnen zu horchen.
Anfangs fiel es mir recht schwer, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, weil ich immer wieder an seine Worte denken musste. Magie… Ein Zauberer, ich? Gerade ich, der ich mit solchen Sachen wahrlich wenig am Hut hatte? Warum? Und was war meine Aufgabe? Wie kam ich hierher? Drache… Was bezweckte dieser Drache mit mir? Und wie sollte ich das eigentlich alles meinen Freunden erklären? Ich zwang die Gedanken fort und lauschte.
Verschiedene Geräusche drangen an meine Ohren, Geraschel, Knacken, Rauschen von Wasser. Aber ich schaffte es nicht, wieder diese Ströme von Mana zu spüren - zu sehen- wie zwei Abende zuvor mit Lysa. Wahrscheinlich grübelte ich wirklich zu viel über das, was Mike mir erklärt hatte. Magier, Elemente, Drachen... an sich klang das alles viel zu fantastisch um glaubwürdig zu sein. Dennoch war es wahrscheinlich die Wahrheit. Und wenn ich hier irgendetwas herausfinden wollte, musste ich das akzeptieren. Ein Rauschen ging durch die Blätter, Wind kam auf. Das Knacken und Rascheln im Wald wurde lauter. Irgendetwas war da... etwas ziemlich Großes. Im Nachhinein kann ich nichtmehr genau sagen, was mich dazu brachte, aufzustehen und der Sache auf den Grund zu gehen. Jedenfalls war das sehr dumm von mir.
Vorsichtig kämpfte ich mich durch das Gehölz, immer in die Richtung der Geräusche. Je tiefer ich in den Wald vordrang, desto mehr wandelte sich sein Erscheinungsbild. Er wurde viel grüner, dichter, aber auch deutlich dunkler. Erste Regentropfen fielen. Nach etwa zehn Minuten lichtete sich der Wald. Ich betrat eine grüne, freie Fläche. Vereinzelt standen Farne und wenige Bäume, ein Bach schlängelte sich hindurch. Ein abgebrochener Baum lag auf der Grünfläche. Die Bruchstelle war frisch, also musste die Ursache für den Lärm irgendwo hier in der Nähe sein... Der Regen war dichter geworden, erst jetzt fiel mir auch, dass auch er grün war. Grüner Regen, grüne Landschaft? Moment! Ich sah in den Himmel. Grün. Ich schluckte. Das war der Ort, an dem ich gelandet war! Der Ort, an dem Lany mich gefunden hatte! Ob ich hier mehr Antworten finden würde?
Ein lautes Brüllen ließ mich zusammenzucken. Ich sah mich erschrocken um. Wo kam das her? Ich konnte nichts sehen. Ein ohrenbetäubendes Knacken ertönte. Einer der Bäume, die so vereinzelt standen, brach ab. Wie von Geisterhand geworfen flog der abgebrochene Stamm ein Stück über die Wiese. Angsterfüllt wich ich zurück in den Schatten des Waldes. Was war das gewesen? Und vor allem, egal was es war: hatte es mich bemerkt? Stand ich jetzt etwa auf seinem Speiseplan?
"Du hast also die Strayana-Drachen kennengelernt.", erklang Mikes Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum. Er lachte.
"Hey, du siehst ja aus! Als wär dir der Teufel persönlich begegnet. Nicht wundern, die Viecher sind unsichtbar. Man sieht sie zwar nicht, aber man hört sie. Und trifft man sie aus Versehen mit einem Zauber oder Pfeil, fühlt man sie. Das sind zwei ziemlich große Drachen, die Herren über Strayana. Eigentlich tun sie keinem was, außer einigen Bäumen. Willst du unseren Freund hier mal sehen?" Warum musste Mike eigentlich so unglaublich cool sein? Klar, er kannte diese Welt und ihre Eigenarten, aber im Gegensatz zu ihm war ich ja der reinste Angsthase.
"Ja, zeig mal her.", sagte ich. Er grinste.
"Nicht ärgern, ich hab mich das erste Mal auch total erschrocken. Aber, man gewöhnt sich dran. Und da die zwei wie gesagt eigentlich recht friedlich sind, arrangiert man sich mit ihnen." Er trat aus dem Schutz der Bäume heraus auf die Wiese, machte eine Handbewegung. Die Luft neben dem abgerissenen Baumstumpf begann zu flirren, Umrisse wurden sichtbar. Rote Schuppen, tiefschwarze, etwa zwei Meter lange Klauen. Ein riesengroßer Drache war das! Er stand auf den muskulösen Hinterbeinen, stützte sich auf einen langen, schuppenbewährten Schwanz. An seiner Schwanzspitze waren lange, dunkelrote Stacheln, die sich auch über den kompletten Rücken des Wesens zogen. Zwei riesige Flügel schmiegten sich eingeklappt an seinen Rücken. Die ledrigen Flughäute waren gelblich, die Knochen dazwischen blutrot geschuppt. Der Bauch des Wesens war beinahe weiß, dicke Platten schützten Hals und Brust. Aus dem Kopf ragten seitlich zwei riesengroße, etwas gedrehte Hörner. Aus der riesigen Nase strömte in regelmäßigen Abständen dunkler Rauch. Parallel dazu dehnten sich Brust und Bauch etwas aus. Das Vieh atmete Qualm aus! Das riesige Maul stand offen, lange, spitze Zähne waren zu sehen. Die Augen glühten in einem unheimlichen rot. Alles in allem war das Wesen wirklich furchterregend und sah so aus, als ob es mich am liebsten fressen würde. Und der sollte friedlich sein? Mike lachte.
"Hey, du hast Glück. Das ist der, der sich seltener zeigt. Die Elfen nennen ihn Blutiger Schatten. Sieht ziemlich furchterregend aus, was?" Ich nickte. Furchterregend zwar, aber irgendwie auch sehr majestätisch. Der Drache riss mit seinen Klauen einen weiteren Baum ab und schleuderte ihn über die Wiese. "Anscheinend ist er sauer.", murmelte Mike, mehr zu sich selbst als zu mir.
"Merkwürdig. In letzter Zeit zeigen alle Drachen dieses seltsame Verhalten." Nachdenklich kratze er sich an der Nase. Dann sagte er lauter, offensichtlich für meine Ohren bestimmt:
"Entschuldige mich bitte, ich muss mal weg. Mit jemandem reden." Dann verschwand er wieder im Wald, ließ mich allein mit dem Drachen.
Dem Drachen, der offensichtlich wirklich sehr wütend war. Ein weiterer Baum musste unter seinen Aggressionen leiden, einen Stein spaltete er einfach mit seinem Schweif. Was trieb dieses Wesen dazu? Warum war es so gereizt, wenn es doch eigentlich friedlich war? Ich trat hinaus auf die Wiese, ging langsam etwa bis zur Mitte. Damit stand ich etwa zwanzig Meter von dem Riesen entfernt. Vorsichtig, ganz langsam, ging ich auf die Knie. Ich wollte mich nicht mit zu schnellen Bewegungen als Futter anbieten. Ein weiterer Baum wich der Rage des Wesens. Endlich bemerkte es mich. Seine roten Augen fixierten mich. Der Drache schnaubte laut, stampfte dann mit seinen großen Hinterbeinen auf mich zu. Was tat ich hier eigentlich gerade? Nachdenken schien im Moment nicht meine Stärke zu sein. Er würde mich auffressen, als einen willkommenen Imbiss. Ich zwang mich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, ignorierte meinen rasenden Herzschlag. Der Drache blieb vor mir stehen, ich brauchte die Hand eigentlich nur noch ein wenig ausstrecken, um seine schwarzen Hinterklauen berühren zu können. Er atmete schwer. Vorsichtig, ganz langsam, streckte ich die Hand aus, berührte die Klaue. Sie war warm. Ich legte die Hand ganz darauf. Der schnelle Atem des Wesens beruhigte sich. Eine ganze Weile rührten wir beide uns nicht, dann, mit einem Mal, bewegte sich der Drache, sein Kopf schwebte ganz nah über mir. Er hatte das Maul mittlerweile geschlossen, die Rauchwölkchen, die aus seiner Nase drangen waren kleiner geworden. Vorsichtig streckte ich die Hand aus, berührte seine Nase. Hitze raste durch meinen Körper, etwas blitze vor meinen Augen auf. Dann war es dunkel.
Dennoch blieb ich bei Bewusstsein. Ich spürte etwas... In mir, in meinem Kopf.
>Duuu...< Ich wollte weg, aber mein Körper reagierte nicht. Was war das? >Duuuu... Wer biiiisssst duuuuuu?< Sprach da etwa der Drache zu mir? >Duuuu biiiissst ein Maaaaagieeeeer. Aaaaabeeer duuuuu beeeeniiiiimsssst diiiich niiiicht wiiie eiiineeeer.< Er sprach ziemlich langsam und abgehackt. Wie sollte ich ihm antworten? >Duuuuuu kannsssssst mit unssssss redeeeeen. Duuuu biiiist aaaandeeers.< Anders? Wieso anders? Und wieso reden? >Duuuuu kannssssssst mich hööööööreeeen. Duuuuu versteeeeeehsssst miiiich. Daaaaaarum reeeeden.< Verstand er etwa was ich dachte? >Jaaaaaaa, ich versteeeehe diiiich. Weeeeer biiiiist duuuu? Waaaaaruuuuum biiiiist duuuu andeeers? <
Tja. Wenn ich das wüsste. Ich bin Erik, und eigentlich hab ich doch mit dem allen hier gar nichts zu tun...
>Duuuu biiiiist freeeemd hier. Duuuuu gehöööörst niiiiicht in Straaaayaaanaaaas Waaaald. Aaaabeeer duuuu biiiiist eiiiiin Freuuuund deeeer Dracheeeen. Keeeennssst duuuu unseeeereee Spraaaaacheeee? <
Ihr Drachen habt eine eigene Sprache? Naja, ich weiß nicht, ob ich das verstehe, aber eigentlich dürfte ich auch kein Latein verstehen, von daher...
>Welche Art von Magier bist du? < Die Stimme des Drachen klang auf einmal viel klarer. offensichtlich verstand ich seine Sprache, und es fiel ihm auch leichter, so zu sprechen.
Ich weiß nicht, was für ein Magier ich sein soll. Das scheint niemand zu wissen...
>Die Hüter sind in ihrem Wissen begrenzt. Sie sind überheblich. Keiner von ihnen weiß, dass wir sprechen können. Sie sind fehlbar. Warum sollten gerade sie dein Geheimnis ergründen können? Einzig der Seelenhüter zeigt einen offeneren Blick, aber auch er ist beschränkt auf ein festes Gedankensystem… <
Wie? keiner von ihnen hat je mit euch gesprochen? Warum kann ich das dann?
>Das weiß ich nicht. Der große Arthoslor wird es wissen, aber er hält sich bedeckt. <
Kannst du mir vielleicht helfen? Ich muss wissen, wie das hier alles funktioniert. Ich möchte mehr über die Hüter erfahren, über meine Rolle...
>Ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann, Drachenfreund. Mein Wissen ist begrenzt. <
Das heißt, du wirst mir nichts erklären können?
>Was das Lernen angeht, kleiner Mensch, bist du bei dir selbst am besten aufgehoben. Du hast Potenzial. Nutze es. Rede mit den Wesen, auf die du triffst, einige vermögen dir vielleicht zu helfen. Dein Freund, der Seelenhüter ist wieder da. Halte dich an ihn. Er ist zwar arrogant wie die anderen, aber hat mehr Verständnis für uns. Er ist uns nicht feindlich gesinnt. Er hat Respekt vor dem Leben. Ich wünsche dir viel Glück, Drachenfreund Erik.

Kapitel 14



And I'm pouring crimson regret and betrayal I'm dying praying bleeding and screaming
Am I too lost to be saved? Am I too lost?

-Evanescence, Tourniquet


>>Straya ist eine der jüngeren Gilden Monteniques. Sie zeichnet sich besonders durch die Brutalität ihrer Mitglieder aus. Straya hat wenige Verbündete und sehr viele Feinde, auch wenn momentan keine offenen Konflikte bestehen. Solang die Bezahlung stimmt, erledigt Straya die Drecksarbeit für Einzelpersonen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 19, Sch-St



Kopfschmerzen. Schreckliche Kopfschmerzen. Damit erwachte ich. Es war dunkel, mein Schädel pochte. Ich wollte mir die Hände an die Schläfen legen aber konnte nicht. Ich konnte meine Hände nicht bewegen. Irgendein Widerstand behinderte mich. Es klirrte leise. Ich war gefesselt.
Zäh wie Honig rannen die Gedanken durch meinen Kopf. Man hatte mich gefangen. Aber warum? Eine Tür knarzte. Schritte. Ein Schmerz durchfuhr mich. Ich stöhnte auf.
"Er ist wach.", hörte ich eine kalte Stimme. Die Stimme von neulich abends.
"Und was machen wir jetzt mit ihm?", fragte eine Frauenstimme. Der Mann lachte auf.
"Wir werden ihn dem Chef übergeben. Der wird sich freuen." Dem Chef?
"Und dann? Was passiert dann mit ihm?" Ja, das würde ich auch gern wissen.
"Naja. Was soll groß passieren. Er wird ihm seine Macht nehmen. Und ihn dann töten." Die Frau lachte.
"Super Plan!" Ja. Super Plan. Ich fand ihn nicht ganz so toll. Vor allem, weil er meinen Tod beinhaltete. Wieder Schmerzen. Ein heiserer Schrei entfuhr mir. Dann Schritte, Schaben, die zwei waren wieder weg. Schwer atmend lag ich am Boden. Was nun? Was sollte ich tun? Hoffen, dass mich jemand rettete? Selbst kam ich wohl nicht mehr aus dieser Situation raus.
Oder... ein Gedanke blitzte auf. Es war eine dämliche Idee, aber davon hatte ich in letzter Zeit genug gehabt. Zwar existierte ich hier, aber, wenn Lany recht hatte, war ich gar nicht "richtig" hier. Dann gab es einen Weg, zurückzukommen.
Ein weiterer Gedanke blitzte auf. Wie war ich hierhergekommen? Weil ich verletzt gewesen war. Konnte ich über den gleichen Weg wieder zurück? Mich aus den Fängen meiner Häscher befreien? Aber eigentlich war es müßig, darüber nachzudenken. Selbst wenn sie mir den Dolch, den ich bei mir getragen hatte nicht abgenommen hatten, kam ich nicht an ihn ran, schließlich war ich gefesselt. Aber... Wie war das? Ich war Magier? Und der Drache hatte gesagt, wenn ich lernen wollte, sollte ich mich auf mich selbst verlassen.
Ich schloss die Augen, konzentrierte mich. Es dauerte eine Weile, bis ich dieses blaue Glänzen sah, es spüren konnte. So. Und wie sollte ich das nun steuern? Irgendwie musste mir das helfen, die Fesseln zu lösen... Leises Klirren riss mich aus meiner Konzentration. Meine Hände waren frei. Sollte das gereicht haben? Der bloße Wunsch, die Fesseln zu lösen? War Zaubern wirklich so einfach? Mühsam richtete ich mich auf. Mein Kopf brummte immer noch. Meine Finger ertasteten den Dolch, schlossen sich um seine Klinge. Ob das wirklich funktionierte? Aber, wahrscheinlich war das meine einzige Chance. Und ein Weg, nach Hause zu kommen. Und sollte es nicht funktionieren...
Immerhin geriet meine - Wie hatte der Mann gesagt? Macht?- Nicht in falsche Hände. Ich wusste zwar nicht, was passieren würde, wenn das geschah, aber der Gedanke allein gefiel mir nicht. Bestimmt würden viele dabei zu Schaden kommen. Ich dachte an Lysa, die hübsche, so geheimnisvolle Klerikerin.
Dann rammte ich mir den Dolch in die Brust.

Kapitel 15



Years they come and go rain falls and rivers grow
moon shine for me so that I can see my road, my road back home

-Grailknights, Home at Last



Es war schwarz, zappenduster, fortgeschrittene Dunkelheit. Es war so finster, dass ich nicht einmal meine Hände sehen konnte.
Gleichzeitig fühlte ich mich merkwürdig… körperlos. Schwebend, als hätte ich kein Gewicht, als wäre… ich nicht in meinem Körper.
Hupps.
Tolle Idee, offensichtlich nach hinten los gegangen. Fühlte sich so der Tod an? So schwarz, düster und… leicht?
Ich hörte Stimmen, ein leises Flüstern, ein verschwörerisches Rauschen. Ich horchte, wollte wissen, was sie sagten.
Das soll er sein?
Das Bindeglied zwischen unseren Welten?
Er? Er sieht… nutzlos aus. Schwach.
Nein, er ist mächtig, sieh her.
Er ist uns nicht feindlich gesonnen.
Ob er uns helfen wird?
Ob er den Untergang abwenden wird?
Still, der Meister kommt.
Lasst ihn reden.


Leises Hundegebell erregte meine Aufmerksamkeit. Tatsächlich- in der Schwärze tat sich ein heller Fleck auf, wie von einem Scheinwerfer beleuchtet. Darauf machte ich einen weißen, großen Hund aus, dessen blaue Augen aufmerksam in meine Richtung blickten. Was war überhaupt meine Richtung? Langsam näherte ich mich dem Hund, trat in den Lichtkegel um ihn herum, und erkannte, dass ich sehr wohl noch körperlich war. Meine Haut schimmerte perlweiß, die eine Strähne des sonst dunkelbraunen Haares, die mir in die Augen fiel, wirkte eher hellbraun. Der Hund bellte freudig und schnupperte an mir. Ich kniete mich hin, vergrub die Finger in dem weißen Fell und kraulte den Hund ausgiebig hinter den Ohren.
Hatte es doch geklappt? War ich weg von Montenique und wieder daheim, in meinem komatösen Körper? War das hier ein Traum, eine Wahnvorstellung? Was für Stimmen waren das gewesen? Worüber hatten sie geredet? Welten? Hilfe? Wer war dieser Meister? Dieser Hund etwa?
Ich war schrecklich müde, lehnte den Kopf gegen das weiche Fell des Tieres und schloss die Augen. Der Hund hechelte in mein Ohr und schleckte dann über meine Hand, wollte weiter gekrault werden. Erschöpft folgte ich seiner Aufforderung. Ich war zu müde, die Schritte zu bemerken, die sich mir näherten.
„Du sollt also der Weißbeschwingte sein, von dem alle reden?“, ertönte eine warme, melodische Stimme. Matt hob ich den Kopf und erkannte die Gestalt eines Mannes, der ebenfalls den Lichtkreis betreten hatte. Er war groß, schlank, trug ein weites, rotes Stoffgewand, hatte schwarzes Haar, dunkle Haut und lebhafte, braune Augen.
„Wer bist du?“, fragte ich leise. Der Mann lachte ein dunkles, kehliges, freudloses Lachen.
„Namen sind einzig Mahnmale längst vergessener Menschen und Taten. Oder… In deinem Fall, großer Zukunft…“ Gedankenverloren sah er mich an, ging dann im Kreis um mich herum, als würde er mich von allen Seiten begutachten wollen.
„Was ist das hier?“
„Das Tor zu unserer Welt, eine Welt, die bald die deine sein könnte… Du, Hüter, hast eine große Aufgabe. Von dir hängt unsere Existenz ab. Und vermutlich auch mein Leben…“
„Was… was soll ich tun?“ Der Mann drehte sich um und hob eine Hand. Der Hund löste sich von mir und gesellte sich zu seinem Herren.
„Deine Aufgabe, hoher Hüter, ist bemerkenswert einfach, vorerst. Lebe. Lebe, damit wir leben können.“ Damit trat er in die Schwärze und war verschwunden.
Was? Leben? Ich lebte doch, oder etwa…?
Oh.
Plötzlich war mir eiskalt. Etwas berührte meine Haut, ich fuhr zusammen. Eine Hand, weiß, pergamentartig, wie tot. Ich keuchte auf, taumelte zurück, auf die andere Seite des Lichtkreises. Die Hand folgte mir, ein Arm rückte ins Licht, ein merkwürdig verrenkter Körper, ein Kopf… Leere Augenhöhlen starrten mir entgegen. Das Gesicht dazu war zu einer grässlichen Fratze entstellt, ich schrie auf.
Da griffen erneut kalte Hände nach mir. Ich schlug die Hände vor die Augen, wollte nicht sehen, was das war.
Das war alles irreal, nicht existent!
Lebe! Die Worte des Mannes fanden durch die kalten, ekeligen Hände ihren Weg zu mir.
Leben! Das war ein Traum, ein verdammter Traum! Ich muss einfach nur aufwachen, einfach nur aufwachen! Dann wäre das alles vorbei! Nur ein böser Traum!
Die Kälte wich, ebenso die tastenden Hände.

Kapitel 16



Roman Cavalry choirs are singing be my mirror my sword and shield

-Coldplay, Viva la vida


Mit einer Tasse warmen Kakao in der Hand stand ich am Fenster meiner Wohnung. Es dämmerte bereits, wieder hatte ich die ganze Nacht kein Auge zu getan. Ich dachte viel zu viel nach. Vor über einem Jahr war ich im Krankenhaus im Beisein meines besten Freundes Valentin aufgewacht. Er hatte die Tage zuvor an meinem Bett verbracht, in der Erwartung, dass es meine letzten wären… So sagten es ihm die Ärzte. Umso Überraschter und glücklicher war er gewesen, als ich dann doch die Augen aufschlug, quicklebendig. Keine drei Tage später war ich aus dem Krankenhaus entlassen worden.
Obwohl Valle sich mein bester Freund schimpfte, erzählte ich ihm nichts von Montenique. Im Nachhinein kam es mir selbst mehr wie ein Traum vor.
In den letzten Nächten war ich immer wieder aufgewacht. Ich wusste nicht genau, warum. Ich konnte mich nach dem Aufwachen nie an den Traum erinnern, aber ich wusste, dass es immer der gleiche war. Ein Traum... genau wie das, was mir widerfahren war, als ich im Koma lag. Eine Projektion meines Bewusstseins. Beschäftigungstherapie.

Ich war hundemüde. Zum Glück stand heute nicht allzu viel an, eigentlich nur die Standartarbeit. Aufnehmen musste ich heute nichts, also hatte ich sogar den Abend frei. Es war mal wieder Zeit für einen Spaziergang.
Ein Spaziergang durch das frühabendliche Köln. Es war angenehm warm, die Sonne stand noch relativ hoch. Ich hatte mich für einen kleinen Bummel durch die Innenstadt entschieden, schlenderte langsam über den Domplatz. Eigentlich beobachtete ich mehr die Leute, die hier unterwegs waren. Familien, junge Paare und unendlich viele Touristen. Tauben flogen über den Platz, Spatzen hüpften über die Steinplatten und sammelten Brotkrümel und Pommesreste. Ein Hund schnüffelte fröhlich schwanzwedelnd an meiner Hand, ein Radfahrer fuhr dicht an mir vorbei. Eigentlich ein ganz normaler Abend. Ich setzte mich auf eine Bank und beobachtete das Treiben. Zwei kleine Kinder tobten über den Platz, ihre Mütter standen ganz in der Nähe und unterhielten sich.
Mein Blick blieb an einer jungen Frau hängen, die sich offenbar orientierungslos umsah. Ich stutze. Sie kam mir bekannt vor, dabei hatte ich sie noch nie gesehen. Sie hatte schulterlages, blondes Haar und trug ein knielanges Sommerkleid. Nein. Ich erkannte sie nicht. Aber etwas war anders. Ihre Ausstrahlung... In diesem Augenblick drehte sie sich zu mir, sah mich direkt an. Wie versteinert saß ich da und erwiderte ihren Blick... Plötzlich schob sich eine Gruppe Touristen zwischen uns und unterbrach diesen kurzen Augenblick.
"Na!" Zwei Hände legten sich auf meine Schultern. Erschrocken wandte ich mich um. Valentin stand grinsend hinter mir. Irritiert sah ich mich noch einmal um, aber die Frau war verschwunden. Seltsam. Höchst seltsam.
"Na, Lust auf einen kleinen Spaziergang?", fragte er. Ich nickte.
Er lenkte ab. Wenn er da war und redete wälzte ich nie dunkle Gedanken. Aber wer war diese Frau gewesen?
Wir schlenderten durch die Straßen, er plapperte aufgeregt von Projekten, die wir geplant hatten. ich gab mich nicht sehr gesprächig, ließ ihn reden und wälzte meine eigenen Gedanken. Wer war diese Frau? Wo kam sie her? Und warum beschäftigte sie mich so?
Es war schon ziemlich dunkel, als wir zu der kleinen Gasse kamen, an der wieder alles über den Haufen geworfen werden sollte.
Die Frau stand an der Ecke unter der Laterne. Wie auch immer sie dahin gekommen war, im Nachhinein kannte ich ihre Planlosigkeit. Wie versteinert blieb ich stehen. Verfolgte sie mich etwa? "Alles klar bei dir?", fragte Valentin besorgt.
"Jaja, passt schon.", antwortete ich, immer noch elektrisiert von dem plötzlichen Auftauchen der Frau. jetzt bemerkte sie mich, sah mich an. Mit wenigen schnellen Schritten war sie bei mir.
"Hoher Hüter! Drachenfreund, du ahnst gar nicht, wie schwer es war, dich in dieser Stadt zu finden! Alles so groß, viel zu viele Straßen, viel zu wenig Bäume. Und keiner konnte mir erklären, wie ich dich finde! Seltsam, nicht wahr? Dabei will man meinen, Waldläufer finden ihren Weg. Aber ich bin wohl die schlechteste Waldläuferin überhaupt. Und gerade ICH sollte dich finden. Was ein Stress, was?" "Ähm...", brachte ich hervor.
"Ach weißt du, eigentlich sollte eine Waldläuferin keine Wegbeschreibung brauchen, aber irgendwie verrenn ich mich ständig. Noch dazu scheint mich hier niemand wirklich zu verstehen. Naja, was soll´s, jetzt hab ich dich ja gefunden, Drachenzunge." Ich hob eine Hand.
"Drei Fragen: Wie hast du mich gefunden, was willst du und warum Drachenzunge?" Sie sah mich irritiert an. Naja, eher vollkommen verpeilt.
"Naja. Jeder weiß doch, dass du die Fähigkeit der Sprache hast. Du kannst mit den magischen Wesen reden, so, wie es eigentlich nur wenige begabte Waldläufer können. Und der Seelenhüter, natürlich. Unter den Wesen sprach sich das herum, so ist es zu uns Waldläufern gekommen. Und von uns aus... es war eine Frage der Zeit, bis alle davon erfuhren. Du bist berühmt, Drachenzunge Erik." Berühmt? Drachenzunge? Das war doch alles nur ein Traum gewesen! Was machte diese Frau hier?
"Wie heißt du?", fragte ich leise. Sie sah musterte mich.
"Falarica Zer´velan. Waldläuferin der Wächtergarde. Aber, eigentlich bin ich nicht hier, um zu plaudern. Michael hat mich und zwei andere Waldläuferinnen ausgeschickt, dich zu suchen und dir drei Gegenstände zu überreichen." Wieder hob ich die Hand. Sie hielt inne.
"Warum und wen?", fragte ich knapp.
"Um dir zu helfen, hoher Hüter. Du musst lernen, um deine Aufgabe erfüllen zu können. Er schickte mich, Gardeleiterin Feeby Samunia und die Königstochter Yelava Yen´vela. Dein Geheimnis ist bei uns sicher. Niemand wird erfahren, wo du bist. Hier.", sie zog etwas Glänzendes aus einer Tasche, "nimm dies hier. Es wird dir helfen. Und vertrau auf deine Kräfte, sie werden dich leiten." Sie nahm meine Hände, legte den Gegenstand hinein. Es war ein Edelstein, glänzend und rund. Er hatte einen braunroten Farbton, ein sanftes Leuchten ging von ihm aus. Sie verneigte sich.
"Es war mir eine Ehre, hoher Hüter. Wir werden uns wiedersehen. Die Gardeleiterin und die Königstochter werden deinen Weg kreuzen." Sie seufzte. "Und meinen hoffentlich auch, sonst finde ich nie wieder nach Hause." Damit verschwand sie um die Ecke und ließ mich ratlos stehen.
"Krank.", flüsterte Valentin neben mir.

Kapitel 17



Ride, ride, over the land sorrow come without a warning, dear

-Haggard, Of a might divine



Falarica Zer´velan. Sie hatte mich wieder komplett durcheinander gebracht. Es war kein Traum gewesen, sondern die Wahrheit. Valentin hielt sie für verrückt, zum Glück. Somit brauchte ich ihm nichts zu erklären. Aber mir... Der Stein, den sie mir gegeben hatte, war ein Topas. Er sollte dazu dienen, die Manaströme zu bündeln, das wusste ich. Mike hatte das so erklärt. Falarica hatte von einer Aufgabe gesprochen... aber was für eine? Stand meine Rolle fest?
Irgendwie freute ich mich ja, dass sie gekommen war. Es war mir immer wie ein Traum vorgekommen, aber dennoch hatte ich mich auf Montenique wie zu Hause gefühlt. Willkommener als hier jedenfalls. Zumal ich dort irgendeine Art Aufgabe hatte. Ob es mit den magischen Wesen zusammenhing, wie der Drache eines war? Oder mit den Gilden? Ich wusste es nicht. Egal, wie sehr ich mir das Hirn zermarterte, ich wusste es nicht. Aber, ich hatte angefangen zu lernen. Ich konnte das Mana dieser Welt spüren. Ich konnte es nicht leiten, aber fühlen. Ebenso hatte ich ein Fitnesstraining begonnen. Sollte es eine Rückkehrmöglichkeit geben, musste ich fit sein.
Drei Wochen war das Treffen mit Falarica her. Seitdem hatte keine weitere Waldelfe meinen Weg gekreuzt, dennoch erkannte ich den Gedanken an. Montenique... Ich wollte zurück. Aber dazu mussten wohl die anderen Elfen auftauchen. Beinahe jeden Moment erwartete ich ihre Ankunft, besonders die von Yelava. Sie war die einzige, die ich persönlich kannte. Sie konnte mir bestimmt Informationen geben. Musste sie. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass sie begleitet wurde. Von Lysarya...
Es klingelte. Ach, ja klar, ich war ja verabredet. Valentin und ich wollten ja zum Griechen. Das brachte vielleicht ein wenig Ablenkung, mal sehen.
Wir waren beide nicht wirklich gut drauf, sondern mehr in Gedanken versunken. Erst im Nachhinein erfuhr ich, dass er Falarica doch mehr Glauben schenkte, als ich anfangs annahm. Ich meinerseits erwartete jeden Moment Feebys Auftritt.
Wir wählten den Weg durch den kleinen Park, der allerdings sehr schlecht beleuchtet war. Egal, waren eigentlich nur fünf Minuten, von daher.
"Sag mal, “, fragte mein Freund unvermittelt, "kanntest du diese Falarica? Was meinte sie mit >Du bist berühmt

Kapitel 18



Then the storyteller awakes the realm of dragons, wizards and knights

-Haggard, Sleeping Child


Wortlos hatte ich ihn mit nach Hause genommen, hatte überlegt, wie ich ihm das Alles erklären sollte. Mir war nichts Gescheites eingefallen. Ich legte den Dolch auf den Küchentisch, daneben den Topas, den Falarica mir gegeben hatte. Dann atmete ich tief durch.
"Ehrlich gesagt, ich hab keine Ahnung, wie ich dir das alles begreiflich machen soll, ich versteh vieles ja selbst nicht." Die Klinge schimmerte im Licht. Der Edelstein funkelte vor sich hin. Braun... Blau... Eine Assoziation drängte sich mir auf, wenn Yelava auftauchte, würde sie sich eventuell bestätigen. "Versuchs wenigstens.", forderte mein Freund.
Also setzte ich mich und begann zu erzählen. Von Montenique, von Magiern, von Drachen, von Elfen, von allem, was ich vor über einem Jahr erlebt hatte. Er lauschte schweigend, schien aber wenig überzeugt. Als ich schließlich geendet hatte, schwieg er lange. Ich fühlte mich müde, ausgebrannt. Jetzt war alles raus. Und glauben würde er mir wohl nicht. Er schüttelte den Kopf.
"Das ist unglaublich. Zu unglaublich." Er musterte mich wieder. "Wenn ich dich nicht zu gut kennen würde, würde ich sagen, du bist verrückt geworden. Aber dazu meinst du's zu ernst." Trotzdem glaubte er mir nicht. Warum auch? Selbst für mich klang das zu fantastisch. Ich betrachtete die zwei Gegenstände vor mir auf dem Tisch. Juwel... und Dolch... Ich brauchte einen Schlüssel. Eine Erklärung, eine Anleitung. Hoffentlich würde Yelava mir diese liefern.
"Diese... Frauen. Was haben die eigentlich für eine Sprache gesprochen?" Ich sah überrascht auf. Dong! Natürlich, Latein. Davon verstand er ja kein Wort. Er wusste gar nicht, wovon Falarica und Feeby gesprochen hatten! Wobei. Falarica hatte zu Beginn doch Englisch... Genau. Englisch. Mehr schlecht als recht, aber Valentin musste sie verstanden haben.
Platsch. Ein Tropfen fiel zu Boden. Blut. Mein Blut. Das hatte ich ganz vergessen, Feeby hatte mich mit ihrem Dolch verletzt.
Ein Geräusch wehte durch das Haus, es klang verdächtig nach Türklappen. Valentin sah auf einmal sehr überrascht aus, sah über meine Schulter. Ich drehte mich um, sah schlanke Beine, die in einer Jeans steckten. Turnschuhe. Mein Blick wanderte nach oben, ein weißes Shirt, nussbraune Haare, tiefgrüne Augen. Yelava. Als dieser Gedanke endlich in meinem Kopf angekommen war, sprang sie auch schon zu mir und umarmte mich stürmisch.
"Erik! Was bin ich froh, dich zu sehen!", rief sie voll überschwänglicher Freude. Ich tippte auf ihre Schulter. Sie sah mich an, ließ mich sofort los. Ja, so ging das mit dem Atmen direkt viel besser. "Tut mir leid.", grinste sie. "Ich freu mich nur. Wir haben sonst was gedacht. Straya... und dann warst du weg. Himmel, wir haben uns vielleicht Sorgen gemacht!" Sie setzte sich. "Feeby und Fala haben dich bereits besucht, wie ich sehe. Gut, dann können wir ja direkt zur Sache kommen, ich hab da was für dich." Ich hob die Hand, sie unterbrach sich. Dieses Mädel konnte reden wie ein Wasserfall.
"Yela, sag, was hat das alles zu bedeuten?" Sie sah mich interessiert an, hielt den Kopf etwas schief. "Du sollst hier deine Zeit finden, in Ruhe und ohne Gefahr zu lernen, was du kannst. Mike hält das für besser, und ich ehrlich gesagt auch. Lysa wiederrum weniger, sie ist ja beinahe explodiert, als ich ihr gesagt hab, dass Mike mich herschicken wollte. Sie wollte mit, ich hab‘s ihr verboten. Sicherheitsrisiko, weißt du. Aber sie wollte, dass ich dir etwas gebe." Sie kramte in einer Tasche. Tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf. Lysa, Mike, Zauberer. Zufrieden registrierte ich, dass Yela Deutsch sprach. Valentin musste jedes Wort verstehen. Yela zog eine Goldkette aus ihrer Tasche. Ein kleiner, roter Stein hing daran. Das Licht brach sich darin. Sie betrachtete den Stein eine Weile fasziniert, dann gab sie mir die Kette.
"Ich glaube fast, Lysa mag dich etwas zu sehr." Sie grinste, sah sich um. Erst jetzt schien ihr aufzufallen, dass wir nicht alleine waren.
"Huch!", sagte sie überrascht. "Wer bist denn du?" Und bevor Valentin überhaupt irgendetwas sagen konnte fügte sie hinzu: "Ich bin Yelava Yen´vela. Waldelfe und Waldläuferin. Ich..." Ich hörte gar nicht weiter zu, ließ Yela reden. Der rote Stein funkelte vor sich hin. Ein Geschenk von Lysa... Lernen sollte ich. Hier, gefahrlos. Außer Mike und den Waldläufern wusste also niemand, wo ich war? War ich wirklich sicher? Und, vor allem: Waren meine Freunde hier sicher? Zumindest Valentin hatte ich mit hinein gezogen. Er war damit wahrscheinlich zum Ziel geworden... Wieder eine Assoziation. Braun, Blau, Rot. Drei Edelsteine. Yelava sollte mir noch etwas überbringen. Grün? Und warum drängte sich mir genau diese Farbe auf? Ich rieb mir die Augen. Ich war hundemüde.
"Erik? Halluuuuu? Hörst du mir zuuuu? Waldi an Zauberer. Biste noch da?" Yela riss mich aus meinen Gedanken.
"Ja, klar.", murmelte ich verwirrt und müde.
"Du siehst grad voll geschafft aus. Ab ins Bett, wir reden morgen. Ich hab ja ein Opfer gefunden." Sie lachte. Sah so aus, als würden die zwei sich gut verstehen.

Kapitel 19



Sometimes in heaven a fable is born nobody knows where it comes from

-Lunatica, Fable of dreams



Als ich am nächsten Morgen barfuß in die Küche tappte, stand da bereits frischer Kaffee auf dem Tisch. Daneben lag eine Zeitung, aufgefaltet, darüber hingen Valentin und Yelava, die Köpfe zusammen gesteckt. Die beiden passten sogar zusammen. Irgendwie. Yela sah auf.
"Guten Morgen, Schlafmütze!" Sie lachte. "Hier, setz dich. Frühstück erst mal." Also setzte ich mich und trank erst einmal einen Schluck Kaffee. Ich musste wach werden. Yela und Valentin tuschelten miteinander. Ja, sie verstanden sich super.
"Yela, sag.", begann ich, "habt ihr irgendetwas zu meiner Rolle herausgefunden?" Yela dachte nach, hielt ihren Kopf dabei typisch leicht schief.
"Nun ja.", sagte sie. "Wir nicht direkt. Aber die magischen Wesen. Und weil nur einige von uns Waldläufern mit ihnen reden können, haben nur diese Waldläufer dieses Wissen." Sie hielt inne. "Und du gehörst natürlich dazu?", fragte Valentin an meiner statt. Yela nickte.
"Ja. Aber eigentlich darf ich mit diesem Wissen nicht hausieren gehen. Andererseits betrifft es dich... Laut den magischen Wesen bist du zwar ein Hochmagier, gehörst aber nicht ins Kollektiv. Das widerspricht sich komplett, denn die Hochmagier sind allesamt Kollektivmagier, Hüter. Darum sehen dich die Waldelfen als hoher Hüter, obwohl sie sich nicht ganz sicher sind, ob du einer bist." Ich stutzte.
"Sie? Du bist doch auch eine Waldelfe?", fragte ich.
"Naja." Sie wollte der Frage offensichtlich ausweichen. "Naja... Also, Die Königin der Waldelfen- "
"Deine Mutter?“, unterbrach ich sie.
"Ja. Die Königin der Waldelfen hatte die Möglichkeit, mit dem hohen Drachen Arthoslor zu sprechen. Dieser sagte ihr, dass du... ach, wie sag ich das jetzt? Du stehst quasi außerhalb dieser ganzen Hütergeschichte. Du bist einer -wir wissen nicht, von was- aber du gehörst nicht in dieses starre System rein. Und, vor allem: Du bist wahrscheinlich mächtiger als die anderen Zauberer. Das wird auch der Grund sein, aus dem Lany dir misstraut, auch wenn er's nicht zugeben wird. Und das ist der Grund, aus dem du in Gefahr bist. Es gibt Leute, die deine Macht gerne für sich hätten. Und denen ist jedes Mittel recht. Gilden wie Straya sind für sie nur ein Mittel zum Zweck. Straya sind Profis was rohe Gewalt angeht, aber meistens denken sie nicht nach. Vor allem nicht, wenn die Bezahlung stimmt. Und sie hinterfragen nicht. Darum wissen wir leider nicht, wer der Auftraggeber der ganzen Sache ist. Fest steht: Bis du dich ausreichend wehren kannst und deine Kräfte beherrschst, musst du hier lernen. Und hier können wir dir keinen Lehrmeister geben. Das wäre zu auffällig. Fala, Feeby und ich mussten schon tierisch aufpassen, damit man uns nicht auf die Schliche kommt. Mike weiß das, darum schickt er dir die drei Dinge, die wir dir übergeben haben, beziehungsweise in meinem Fall noch werde. Ein Juwel, das dir helfen soll, das wenige Mana dieser Welt zu bündeln. Einen Dolch zum Schutz. Und-" Irgendwoher nahm sie ein Buch- "Dieses Buch hier. Es ist ein Magiebuch, es sollte dir ausreichend Informationen für ein Selbststudium geben. Verlier es nicht! Und, solltest du nach Montenique kommen, zeig es niemand. Es stammt aus den Geheimarchiven eines magischen Zirkels. Und eigentlich hätte es deren Bibliothek nie verlassen dürfen. Eigentlich." Sie lächelte zuckersüß, gab mir das Buch. Dann stand sie auf.
"Ich muss jetzt gehen, ich war schon zu lange hier. Sag, soll ich Lysa eine Nachricht überbringen?" Mein Blick wanderte zwischen Buch und Yela hin und her. Klick! Lysa. Klick! Eine Nachricht!
"Ja, warte." Ich stand auf, wühlte auf meinem Schreibtisch nach diesem vermaledeiten Zettel, den ich geschrieben hatte, um ihn einer der Waldelfen mitzugeben. Da war er ja!
"Hier." Ich gab Yela den Zettel. Sie nickte, steckte den Zettel in eine Hosentasche.
"Ich freue mich darauf, dich wieder zusehen.", sagte sie.
"Ich mich auch.", erwiderte ich. Sie ging an mir vorbei, verabschiedete sich ähnlich von Valentin und verließ den Raum. Die Haustür klappte, sie war fort.
"Und? Was gedenkst du nun zu tun?", fragte Valle.
"Üben und lernen.", erwiderte ich, betrachtete dabei den Einband des Buches. Ein Juwel war darin eingearbeitet. Grün.

Kapitel 20



If you read this line, remember not the hand that wrote it

-Nightwish, Dead boy`s poem


"Schau mal hier!" Mit einem dumpfen Geräusch landete das Buch auf Valentins Schreibtisch. Er sah auf.
"Weißt du jetzt, wie du‘s lesen kannst?" Ich nickte.
"Ja, war eigentlich ganz einfach. Ich kann geschriebenes Latein zwar nicht verstehen, aber ich kann´s ganz gut vorlesen. Und wenn ich's höre, versteh ich's. Das dauert zwar alles eine Weile, aber funktioniert." Er grinste.
"Okay, dann lass hören. Was hast du herausgefunden?" Er hatte in der Nacht, in der Yela da gewesen war, von ihr vieles gelernt. Wegen ihrer Worte glaubte er mir, und vor allem interessierte er sich für jeden meiner Fortschritte. Für mich war es wohl ganz gut, jemanden zum Gedankenaustausch zu haben. Das erleichterte einiges.
"Also, pass auf." Ich schlug das Buch auf. "Hier steht was von Elementen... Und vom beherrschen derselben..." Ich erklärte ihm grob, was ich gelesen hatte. Dass ein Magier mindestens ein Element beherrschen, bändigen konnte. Nach seinem Willen formen. Dementsprechend hatte jeder Magier auch spezielle Zauber, über die er verfügen konnte, elementarabhängig. Ein Wassermagier verfügte beispielsweise über starke Heilzauber, zusätzlich zum Heilen über das >Wasserbeherrschen

Kapitel 21



Over the Hills and far away he swears he will return one day
Far from the mountains and the seas back in her arms he swear he’ll be

-Nightwish, Over the hills and far away



Die nächsten Wochen verliefen recht ereignislos. Ich lernte, die Manaströme zu lenken und für meine Zwecke zu nutzen. Dazu ständiges Training, um fit zu bleiben, üben im Umgang mit dem Dolch. Valentin stand mir meistens zur Seite, vieles versuchte er ebenfalls.
Was das Element anging... breiten wir den Schleier des Schweigens darüber. Ich hatte keine Ahnung. Aber ich wusste, dass ich das noch rausfinden musste. Ansonsten war alles normal. Keine Zwischenfälle, keine Probleme.
Wir hatten eine recht abgelegenes Waldstück gefunden und trainierten dort. Da waren wir am ungestörtesten. Ich veränderte Manaströme, zauberte. Farben ändern, vergrößern, verkleinern, stärken, schwächen, Schildzauber, Angriffszauber. Und weil ich Valentin alles genauestens erklärte, verstand auch ich viel besser, was ich da eigentlich tat.
An jenem Tag übte ich mich in Schildzaubern. An sich relativ leicht. Ich wirkte einen Schild um etwas, und dann flogen Steine, Holzstücke und verschiedene Zauber (meinerseits) auf den Schild. Meistens hielt er stand. Valentin machte sich die Mühe, meine Konzentration weitestgehend zu sabotieren. Ich musste auch in schweren Situationen meine Zauber durchhalten, durfte nie unkonzentriert werden. Außerdem musste ich lernen, meine Fähigkeiten einzuschätzen. Verlangte ich mir zu viel ab, ging das mit Schwäche einher. Einmal war ich sogar ohnmächtig geworden. Später hatte ich im Buch eine entsprechende Passage gefunden. Manche Zauber überstiegen die Fähigkeiten des Magiers, gerade zu Beginn. War der Zauber zu stark, verbrauchte er zu viel Energie, und der Zaubernde konnte sogar sterben. Seitdem ich das gelesen hatte, war ich deutlich vorsichtiger geworden.
Ein Knacken ertönte hinter uns im Wald. Sofort hielten wir inne, lauschten. Das hatte nicht nach einem Tier geklungen. Ich schubste Valentin in den Schutz eines Felsens, ging neben ihm in die Hocke. Er blieb still, ich horchte genauer auf die Umgebung. Die Manaströme waren vollkommen verwirbelt, etwas war im Busch. Ich konnte nur nicht genau ausmachen, wo.
Knacken. Äste brachen. Sirren. Ich fuhr herum, sah eine Axt auf uns zu kommen. Instinktiv blockte ich, die Axt verhakte sich im Schild. Ich sprang über den Stein weg, meinen Freund zog ich am Arm hinter mir her. Wieder wirbelte ich herum, schleuderte dem Gegner - einem Ork (ich hatte Bilder in dem Buch gesehen)- einen Zauber entgegen. Das Wesen strauchelte, fiel. Zwei weitere kamen nach. Valentin tastete nach meinem Dolch, sicherte. Eine weitere Handbewegung, ein violetter Blitz schaltete den linken Ork aus, der rechte fiel unter einem geschickten Dolchangriff. Weitere Orks folgten, Schwerter blitzten, Äxte wurden geschwungen. Ich wirkte einen Schild, ein Schockzauber erledigte drei weitere Orks.
Weitere Orks kamen von den Seiten, ihre olivgrünen Leiber drängten sich aneinander. Okay, das waren wirklich viele. Verdammt, ich konnte keinen einzigen Elementarzauber. Gerade so einen brauchte ich jetzt, die waren um vieles stärker als die einfachen Zauber. Weitere Orks fielen, aber es kamen immer Neue nach. Valentin und ich standen mittlerweile direkt mit dem Rücken zur Felswand, die Orks umringen uns. Noch hielt der Schild, aber ich fühlte, wie meine Kräfte nachließen. Ein Pfeil sirrte, durchbrach den Schild und- traf meinen Begleiter in der Brust. Er knickte auf die Knie. Verflucht! Irgendwie musste ich diese Orks stoppen! Der Anführer hielt mir eine Axt an die Kehle. Das war´s. Aus. Ich schloss die Augen.
Und fühlte. Die Erde zu meinen Füßen. Ballte die rechte zur Faust. Stieß sie dem Ork ins Gesicht. Zacken brachen aus der Erde. Trafen die Orks. Sie wurden zurückgestoßen, einige fielen. Ich zitterte. Der Anführer rannte auf mich zu. Ich riss die Hände hoch-
Ein Feuerstoß. Der vordere Ork brüllte, krümmte sich zusammen. Die anderen blieben, ihres Führers beraubt, stehen.
Bitte, verschwindet! Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Die Orks hoben ihre Waffen, offensichtlich wollten sie beenden, was sie begonnen hatten. Sie stürmten auf mich zu. Ich ging in die Knie, stützte mich auf die Arme. Sollten sie mich doch holen. Valentins Hand lag in meinem Blickfeld. Sie zuckte leicht. Ich sah auf. Mich konnten sie töten, wenn sie wollten. Aber ihn nicht! Ich richtete mich auf, spürte, wie Hitze mich durchströmte. Fixierte den vorderen der Orks, die irritiert stehen geblieben waren. Hob die Hände. Die Orks fielen unter dem Feuersturm.
Und ich fiel in bodenlose Dunkelheit.

Kapitel 22



A light that blinds the blind god end this suffering
My blood and tears that flow for you, my King

-Haggard, Eppur si mouve


Ich fühlte mich schlecht, schwach. Was war passiert? In meinem Kopf waren mindestens zwanzig Spechte unterwegs. Mühsam öffnete ich die Augen.
Wald. Licht. Rauchfäden. Schwerfällig richtete ich mich auf, in meinem Kopf explodierte ein Feuerwerk. Nicht ganz wach betrachtete ich die Umgebung. Asche, verschmorte Reste von irgendetwas. Zäh wie ein Kaugummi unter einem Schuh kam ein Gedanke, setzte sich mitten in mein Hirn und richtete sich dort häuslich ein. Er dauerte eine Weile, bis ich die Tragweite des Gedankens begriff. Orks.
Auf einmal war ich hellwach. Orks hatten uns überfallen, angegriffen. Valentin war getroffen worden, ich hatte... Valentin! Fast panisch sah ich mich um. Er lag neben mir, bleich, ein Pfeil steckte in seiner Brust, das Gras war seltsam rot verfärbt. Blut. Ein weiterer Gedanke blitzte auf. Alles, nur das nicht! Ich robbte zu ihm, drehte ihn auf den Rücken.
Seine Augen waren geschlossen, er war wirklich blass. Zu blass.
Ich fühlte seinen Puls. Schwach. Zu schwach.
Ich merkte, dass meine Finger zitterten. Ich musste ihm helfen... Aber wie? Wie, verdammt? Ich beherrschte keinen einzigen Heilungszauber! Das war Wassermagie, was verstand ich den schon von Elementaren? Verflucht! Ich konnte ihm nicht helfen. Eine Träne plitschte auf sein Gesicht. Ich konnte nichts tun...
Ich hörte leises Rauschen. Klar, der Bach. Er gurgelte vor sich hin, als wäre nichts passiert. Moment... Meine Gedanken rasten. Bach. Wasser. Wassermagier konnten heilen. Wasser hatte diese Kraft. Ich sah auf. Erde. Feuer. Beides hatte ich benutzt. Erde... Feuer... Was... Was, wenn ich auch... Wasser? Es war der letzte Strohhalm, an den ich mich klammern konnte. Klappte das, konnte ich ihn retten. Ich sprang auf, taumelte mehr, als das ich zum Wasser rannte. Kniete am Ufer nieder. Schloss die Augen. Versuchte, meine Gedanken zu beruhigen. Spürte die Strömung. Spürte das Wasser. Das Ziehen... Bewegte die Hände. Öffnete die Augen. Wasser. In der Luft vor mir. Es hatte geklappt! Es hatte wirklich funktioniert! Mühsam stand ich auf. Taumelte zurück. Fiel neben Valentin auf die Knie. Zog den Pfeil aus seiner Brust. Legte ihm meine von Wasser umschlossenen Hände auf die Brust. Atmete keuchend aus. Und spürte, wie meine letzte Kraft aus mir herausfloss.
Wieder Schwärze.

Kapitel 23



Awaiting the sunset on this lonely shore home, a strange word in my mouth

-Lunatica, Avalon


Irgendjemand rüttelte an meiner Schulter. Ach, lass mich doch schlafen. Ich bin müde. Ich muss doch noch gar nicht aufstehen... Wieder rütteln, energischer diesmal.
"Erik, bitte, wach auf!" Leise drang die Stimme zu mir durch. Ganz langsam erst erkannte mein Hirn die Konsequenz. Ein Gedanke formte sich. Es hat funktioniert. Mit einem Mal stand ich- und ging sofort wieder auf die Knie. Vor meinen Augen verschwamm alles. Zwei Hände hielten mich fest. "Ruhig. Ist alles vorbei, hoffe ich. Du hast die Viecher platt gemacht." Langsam klärte sich mein Blickfeld. Rötliches Licht fiel auf uns herab. Es war kühl. Stöhnend sackte ich nach hinten, lehnte den Rücken an die Wand. So musste sich ein nasser Sack fühlen. Ich sah in Valentins blasses Gesicht.
"Du musst echt super gewesen sein. Die sind ja ziemlich gut durch.", versuchte er zu witzeln. So richtig gelang es ihm nicht, Schmerz spiegelte sich in seinem Gesicht.
Orks. Und ich hatte sie ausgeschaltet. Mithilfe der Erde. Und des Feuers. Elementarmagie. Dazu Wasser. Die Heilung. Beherrschte ich etwa alle vier Elemente? Sollte das wirklich? Ein weiterer Gedanke.
Orks.
Man hatte mich gefunden.
Es war nicht gerade leicht gewesen, möglichst schnell nach Hause zu kommen. Aber angesichts der Tatsache, dass wir in tödlicher Gefahr schwebten... Das Versteckspiel war aus. Egal, wer mein Feind war, er hatte mich gefunden und das nächste Mal würde er wohl bessere Truppen schicken, mich zu holen. Ich musste nach Montenique. Erstens konnte ich dort besser lernen, und zweitens war ich sicherer. Und drittens würde Valentin nichts mehr zustoßen können. Ich wusste, wie ich nach Montenique kam, im Buch hatte ich eine Art Portalzauber gefunden. Aber dazu musste ich leider irgendwie wieder Kraft gewinnen. Es war mir zuwider, aber ich brauchte eine Ruhepause.
Und, obwohl nicht geplant, schliefen wir, kaum, dass wir uns im Schutz meiner Wohnung auf dem Sofa niedergelassen hatten, ein.
Als ich erwachte fühlte ich mich zwar erholt, aber nicht wirklich besser. Irgendwie war ich zu einer Decke gekommen, eine Tasse Kaffee stand auf dem Couchtisch. Ich richtete mich auf. Das Buch, der Dolch, das Juwel. Sie lagen auf dem Tisch, allesamt funkelten vertrauenserweckend vor sich hin. Ich tastete nach Lysas Kette, sie war noch da. Gut. Meiner Abreise stand also nichts im Wege. Ich stand auf. Na gut, frische Kleidung war vielleicht noch angebracht. Ich betrachtete den Tisch noch einmal genauer. Etwas störte mich. Kaffee. Natürlich. Kaffee kochte sich nicht von allein.
"Ah, guten Morgen." Valentin kam herein, eine weitere Tasse in der Hand. Er trug frische Kleidung und sah deutlich besser aus.
"Hör mal, ich muss weg von hier", sagte ich. Er sah mich überrascht an.
"Weil man dich gefunden hat?" Ich nickte. "Gut. Aber ich komme mit." Warum hatte ich genau das erwartet?
"Nein, kommst du nicht. Es ist zu gefährlich, ich weiß nicht, ob ich dich auch auf Montenique weiter beschützen kann. Hier bist du sicherer. Ich gehe allein." Er lachte auf.
"Sicherer? Hat man ja prima gesehen. Ich glaube, die Viecher würden sich freuen, mich allein zu erwischen. Als Druckmittel, verstehst du?" Verdammt, er hatte recht. Und trotzdem musste er hier bleiben. Wenn ich Mike darum bat, er würde Elfen herschicken... "Denk nicht mal dran. Ich komme mit. Basta." Hrgn. Und sowas nannte sich mein bester Freund. Toll.
Ich aß hastig ein paar Bissen, zog mich um. Dann suchte ich in dem Buch nach der Seite, in der die Portale beschrieben waren. Ich steckte den Dolch ein, ebenso das Juwel. Ein drittes Mal las ich nach. An sich recht einfach. Einfacher jedenfalls als eine Horde wilder Orks mit Mundgeruch in Schach zu halten. Ich steckte das Buch ein, sagte mir die Formel noch einmal vor. Ein Portal war einer der Zauber, die auf einem Spruch basierten. Hier waren Worte der Katalysator für das Mana. In der richtigen Reihenfolge gesprochen öffneten sie Portale überallhin. Ich blinzelte zu Valentin hinüber. Wenn ich schnell genug war... An sich widerstrebte es mir, Freunden wehzutun. Aber in diesem Fall...
Ich sprach die Worte. Ein blaues Flirren entstand vor mir in der Luft, verbreiterte sich, verwirbelte, manifestierte sich. In der Mitte dunkelblau, zum Rand hin immer heller werden schwebte ein Portal vor mir, etwa zwei Meter groß. Es begann ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden und reichte ein gutes Stück über meinen Kopf hinaus. Sollte reichen. Wieder sah ich mich um. Wenn er nicht freiwillig bleiben wollte... musste ich leider nachhelfen.
"Tut mir leid", sagte ich leise. Holte aus. Richtig getroffen würde es ihm nicht mal weh tun. Ich spürte Widerstand, plötzlichen Druck.
"Wie gesagt, denk nicht mal dran." Er schob mich durch das Portal und folgte mir.
Blaue Helligkeit umfing uns.

Kapitel 24



Oh, how I wish to go down with the sun sleeping, weeping with you

-Nightwish, Sleeping Sun



>> Magische Portale sind die bequemste Art zu reisen. Ein Magier öffnet ein Portal mit einem bestimmten Ziel, man geht hindurch und kommt im Bestfall am Ziel an. Ungenauigkeiten können durch Störung der Konzentration oder Verwendung der falschen Worte entstehen. Im schlimmsten Falle landet man kilometerweit vom ursprünglichen Ziel entfernt. Bei unerfahrenen Magiern kann es durchaus passieren, dass das Portal während des Durchganges zusammenbricht, in dem Fall sind alle sich darin befindenden Wesen unrettbar verloren. Es ist nicht empfohlen, diesen Zauber ohne die ausreichende Erfahrung auszuführen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 15, Pa-Qu



Abrupt entstand eine Landschaft. Ich stolperte aus dem Portal, taumelte, fing mich. Augenblicklich erkannte ich die Umgebung wieder, die grüne Wiese, auf der ich den Drachen kennengelernt hatte. Ich sah mich um, bereit, mich im Notfall zu verteidigen. Alles ruhig, nur einige riesenhafte vogelähnliche Wesen flatterten gemütlich auf der Wiese am anderen Ufer des Baches. Das Portal glitzerte bläulich. Aber Valentin fehlte noch. Ein Stück weit war ich ja sauer auf ihn. Aber andererseits hatte er vielleicht recht. Hier war er womöglich besser geschützt. Die Farbe des Portals änderte sich zu grün. Valentin stolperte heraus, strauchelte, kippte. Ich fing ihn ab, trotzdem ging er auf die Knie. Er stöhnte vor Schmerzen. Offensichtlich schien diese Portalgeschichte nur was für Magier zu sein.
Plopp! Das Portal schloss sich. Hoffentlich hatte niemand uns bemerkt.
Valentin rappelte sich auf, er sah nicht gut aus.
"Sag nichts.", murmelte er. "Bin ich selbst dran schuld." Er atmete tief durch.
"Besser?", fragte ich. Er nickte.
"So, und wo sind wir nun?" Ich sah mich noch einmal um. Es regnete ein wenig, der Himmel war wolkenverhangen. Grün dominierte.
Was hatte Mike gesagt? Strayana? Ich hatte nie eine Karte von Montenique gesehen, ebenso wenig von der Insel selbst. Und hier musste ich nun meine wenigen Freunde suchen und dabei gleichzeitig möglichst allen, die mir ans Leder wollten aus dem Weg gehen. Schwierige Aufgabe. Ich stand auf, reichte Valentin meine Hand. Er zog sich an mir hoch. Jetzt mussten wir einen Weg suchen. Ich sah zum Wald hinüber. Ob ich mich da durch finden würde?
"Wald dürfte keine gute Idee sein. Wir sollten nach einer Stadt suchen, da kann man uns bestimmt helfen." Er hatte recht. In einer Stadt waren wir wohl geschützt, allein, weil wir uns unter die Menge mischen konnten. Also los. Ich wählte den Weg über die Wiese, vielleicht fanden wir einen Weg, den wir nehmen könnten. Valentin folgte mir, betrachtete die Umgebung, sagte nichts. Mühsam arbeiteten wir uns durch Farne und Gehölz. Als wir endlich durch einen ziemlich hohen Busch durch waren, standen wir vor einer Brücke.
"Das ist gut.", meinte ich. Eine Straße führte zu der Brücke. Oder von ihr weg, wie man's nimmt. Ich sah die Straße entlang. Menschenleer. Das war wohl auch ganz gut so. Ich horchte auf die Umgebung, auch hier nichts. Dicke Schlieren von Mana zogen über die Landschaft, aber alles war ruhig. Ich bedeutete Valentin, mir zu folgen und trat auf die Straße.
Ein seltsamer Schrei ertönte, es klang nach einem Tier. Bevor ich ganz realisierte, wo er herkam, lag ich auch schon auf dem Boden und wurde unten gehalten. Zwei riesige Augen starrten mich an. Ich blickte auf einen spitzen, kurzen gelben Schnabel, der zur Stirn hin grün wurde. Das Wesen war weiß gefiedert, an den Armen und den kräftigen Hinterläufen waren die Federn türkis. Die beschuppten Krallen waren schwarz, silberne Schuppenplatten bedeckten die Oberseite von Hals und Rücken. Die Schwanzfedern waren lang und blau. Insgesamt war es etwa einen Meter groß.
Und verflucht süß.
"Cho! Chomaru! Lass ihn in Frieden! Cho!" Die Stimme, die das Wesen zur Ordnung rief, kannte ich. Sie gehörte einer der Waldläuferinnen, die mich besucht hatten. Wie hieß sie noch gleich? Falarica? Das Wesen ließ von mir ab, drehte mehrfach schnell den Kopf. Dann tippelte es mit schnellen, kurzen Schritten auf Valentin zu, warf ihn ebenfalls zu Boden... und schleckte ihn mit einer langen, blauen Zunge ab. Ich musste lachen. Niedlich. Eine Waldelfe rannte auf uns zu, mühte sich, den Bogen auf den Rücken zu bekommen.
"Entschuldigung, hoher Hüter!", rief sie atemlos. "Cho hört nie richtig auf mich." Sie ging zu dem Wesen, legte ihm die Arme um den Hals und zog es von Valentin runter. "Böses Terra! Ganz böses Terra. Nie hörst du auf mich. Mach so weiter und du kommst an die Leine. Klar?" Das Wesen - ein Terra?- musterte sie. Offensichtlich empfand es die Leine nicht als ernstzunehmende Drohung. Es öffnete den Schnabel ein wenig, schien zu lachen. Ich stand auf. Falarica seufzte.
"Verzeih, hoher Hüter. Ich hörte von den magischen Wesen, dass du gekommen bist. Sofort hab ich dich natürlich gesucht... Du solltest nicht allein unterwegs sein, nicht nach dem, was passiert ist." Offensichtlich wussten zumindest die Waldläufer Bescheid.
"Falarica", sagte ich. "Ich muss zur Gilde. Und mit Mike sprechen. Am besten gleichzeitig. Kannst du uns nach Randol bringen?" Sie zögerte.
"Naja. Ich kann euch nach Thenodya bringen. Das ist die nächstgrößere Stadt. In der normalen Sprache heißt sie... Evelance, denke ich. Folgt mir." Sie wirkte unsicher, dennoch folgten wir ihr.

Kapitel 25



My fall will be for you my love will be in you

-Nightwish, Ghost Love Score


>>Evelance(elf. Name Thenodya) ist eine der im Nordosten Monteniques gelegenen Städte. Sie verfügt über keinen Hafen. Im Jahr 1922 terranischer Zeitrechnung tobte hier ein Krieg um die Herrschaft im Königreich im Nordteil der Insel. Evelance liegt inmitten des Ödlandes Monteniques, die Gegend um die Stadt ist dunkel und wirkt verbrannt. An dieses Ödland grenzen die Wiesen und Wälder Strayanas an, durch giftigen Regen verseucht. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band5, Do-Fa



Die Stadt war riesig. Häuser drängten sich an enge Gassen und weite Straßen, Menschen boten ihre Waren an, unterhielten sich, gingen anderen Beschäftigungen nach. Wir konnten uns hier einigermaßen unentdeckt halten. Die Gegend, in der die Stadt lag, war ziemlich dunkel, aber die Stadt selber war voller Menschen uns strahlte Helligkeit und Freude aus. Falarica, die mich gebeten hatte, sie Fala zu nennen, erzählte von einem Krieg, der hier getobt hatte. Ich hörte nur mit einem halben Ohr zu, grübelte.
Dabei merkte ich erst zu spät, dass ich alleine war. Ich sah mich um. Irgendwo musste ich Fala und Valentin verloren haben... Naja. Fala würde ihn wohl in das Haus ihrer Gilde bringen, und wenn ich erst mal bei den Anxifer war, sollte es kein Problem sein, rauszufinden, wo das war. Nur, erst mal musste ich zur Gilde kommen... Wieder sah ich mich um. In Randol gab es eine Kneipe, in der man zu jeder Uhrzeit Elfen antraf. Ob es hier auch eine gab? Zumindest hatte die Stadt einen elfischen Zweitnamen. Die Chancen standen also recht gut. Ich wollte gerade eine Marktfrau ansprechen, als sich mir eine Hand auf die Schulter legte. Ich drehte mich um. Sie gehörte zu einem Mann, so groß wie ich, blond, schlank, charismatisch. Braune Augen, eine Narbe zierte seine rechte Wange.
"Komm mit.", sagte er freundlich, aber bestimmt. Ich horchte kurz auf das Mana. Es war um ihn besonders dicht, schwaches, braunes Leuchten ging auf der höheren Ebene von ihm aus. Ein Magier. Also folgte ich ihm.
In einer recht dunklen Ecke machte er halt, drehte sich um.
"Drachenzunge Erik", sagte er, "also hast du deinen Weg hierher gefunden." Ich nickte.
"Du willst zur Gilde? Ich rate zur Vorsicht. Einer der Hüter neidet dir deine Macht. Sei auf der Hut." Neider? Gilde? Ich nickte wieder, würde mir den Tipp zu Herzen nehmen.
"Achja, bevor ich´s vergesse. Auch die Gilde bietet trügerische Ruhe. Offensichtlich sind ihre Mitglieder nicht sicher." Ich stutzte.
"Wie meinst du das?", fragte ich.
"Nun, die hohe Klerikerin der Gilde wurde entführt. Lysarya Ma`Savena."

Kapitel 26



And they told us that in our days, different words said in different ways,
Have other meaning from he who says, in our time

-Lunatica, Hymn


>>Das Kollektiv der Hüter setzt sich aus 9 Magiern zusammen. Ihre Autorität wird an ihrer Macht gemessen. Die Erdmagier stehen ganz unter, danach folgen die Luftmagier, darauf die Wassermagier, schlussendlich die Feuermagier. Über allem steht der Seelenhüter. Nach einer Prophezeiung der Waldelfen gibt es einen weiteren Hüter, dessen Macht der des Seelenhüters gleichkommt. Weder seine Identität, noch seine Fähigkeiten sind bisher geklärt. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 11, In-Ku



Die Nachricht hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Lysa... entführt? Wie? Warum? Ich hatte mich an die Wand gelehnt, dachte fieberhaft nach. Der Zauberer hatte mich allein gelassen. Lysa... meine Gedanken kreisten. Wer, wie, warum? Ich musste sie retten, das stand fest. Wahrscheinlich war sie nur meinetwegen in Gefahr. Und was war dann mit Yela und Yilduna? Und den anderen Gildenmitgliedern? Auf einmal fühlte ich mich müde und schwach. Ich brauchte Hilfe, Informationen. Bloß, wo sollte ich die her bekommen? Wem konnte ich trauen?
Schritte. Jemand schloss mich in seine Arme.
"Erik, hier bist du!" Sofort ließ sie mich wieder los. Yelava. Interessant. Sie tauchte immer auf, wenn ich sie brauchte.
"Der Wald hat deinen Namen geflüstert. Die Wesen haben zu uns Waldläufern geredet. Man schickte mich, dich zu suchen und zu begleiten. Du darfst nicht allein unterwegs sein! Zumindest noch nicht." Sie klang unendlich besorgt.
"Erik, du kommst im richtigen Augenblick gekommen. Wir brauchen deine Hilfe. Der Wald und seine Wesen werden bedroht. Nicht nur die Elfen sind in Gefahr, auch die Wesen, die den Wald bevölkern. Die Drachen nannten deinen Namen. Sie sagten, du kannst die Ursache ergründen." Wald? Gefahr? Warum gerade ich? Yelava stutzte.
"Du weißt schon von Lysa?", flüsterte sie mit belegter Stimme. Ich nickte müde.
"Lysas Entführung und die Gefährdung des Waldes gehen Hand in Hand. Die Drachen sagen, wenn wir das eine lösen, lösen wir das andere. Ich hab, gelinde gesagt, keine Ahnung, was sie meinen." Ich seufzte.
"Yela, ich brauche alles, was du weißt. Hast du in der Gilde Anhaltspunkte dafür gefunden, dass..." Sie unterbrach mich.
"Hat er dich also doch erwischt. Lass dir von dem keine Flausen in den Kopf setzen. Er ist ein Lügner durch und durch. Auch wenn die Zauberer das nicht einsehen wollen. Wir Elfen kennen ihn und seine Taten." Sie drehte sich um, sah hinaus auf die Straße, drehte sich wieder zurück.
"Du hast doch mit ihm geredet, oder?" Mein fragender Blick schien ihr zu reichen. "Dem Erdflammenhüter. Dolan." Sie spie den Namen regelrecht aus. "Groß, blond, charismatisch, Blödmann." Sie hatte wirklich keine gute Meinung über ihn. "Ich erklär´s dir später. Komm bitte mit, zur Gilde. Dort können wir ungestört reden, und vor allem können uns die Hüter helfen. Mittlerweile sind alle hier, du wirst sie kennen lernen."
Sie lieh zwei Pferde, auf meinen Hinweis hin holten wir Valentin beim Gildenhaus der Cree ab. Wenn die Lage wirklich so unsicher war, wollte ich ihn bei mir wissen. Auch, weil laut Yela alle Hüter versammelt waren. Das war wohl das höchste Maß an Sicherheit, dass ich ihm bieten konnte.
Der Weg von Thenodya nach Randol war nicht sehr lang, hauptsächlich, weil Yela alles aus den Tieren rausholte. Die ganze Zeit waren meine Gedanken bei Lysa. Wo war sie? Wie konnte ich ihr helfen? Und warum hing ihre Entführung mit einer >Veränderung des Waldes< zusammen, wie Yela sich ausgedrückt hatte? Was sollte das alles? Erst als die Mauern Randols vor uns auftauchten, fanden meine Gedanken andere Bahnen. Die Hüter. Wie würde ein Treffen ablaufen? Yela lenkte die Pferde an der Außenmauer der Stadt entlang, sie nahm den schnellsten Weg zum Gildenhaus. Die Banner der Gilde und Monteniques flatterten im Wind, eine einsame Gestalt stand auf dem Sandfeld, auf dem ich zusammen mit Yilduna trainiert hatte. Als wir näher kamen, erkannte ich die Gestalt. Klein, schlank, rotes Struwwelhaar. Yilduna. Sie erwartete uns bereits.
"Hoher Hüter." Sie neigte den Kopf zur Begrüßung. "Man erwartet dich bereits. Folge mir." Yela nickte mir aufmunternd zu.
"Ich kümmer mich um ihn. Geh." Also folgte ich Yilduna ins Innere des Hauses. Sie führte mich ein Stück durch die Korridore, deutete dann wortlos auf eine Tür und ließ mich stehen. Ich schluckte. Hinter dieser Tür saßen also alle bekannten Hüter, und warteten auf mich. Ich nahm allen Mut zusammen und öffnete die Tür.
Der Raum war relativ groß. Bücherregale bedeckten die Wände, ein großer Tisch stand in der Mitte, Lanys hochgewachsene Gestalt saß darauf. Die Unterhaltung verstummte, alle sahen mich an. Auf einmal fühlte ich mich ganz klein und unbedeutend. Gehörte ich überhaupt zu diesen ganzen, mächtigen Männern? Ich schaute mich schnell um. Lany war da, neben ihm stand ein großer Mann mit dunkelblondem Haar und grauen Augen. Dem Gegenüber ein etwas kleinerer Mann, kurzes, rotes Haar, wasserblaue Augen. Am Fenster stand ein Mann mit schwarzem gelocktem Haar, er war der einzige, der mich nicht ansah. Dann ein alter Mann, der Lany sehr ähnlich sah, zumindest die gleiche Haar- und Augenfarbe hatte. Und der Zauberer, den ich in Evelance kennen gelernt hatte. Mike fehlte.
Der Mann neben Lany trat einige Schritte auf mich zu, neigte den Kopf.
"Willkommen." Die Tür hinter mir wurde geöffnet, schloss sich wieder. Mike hatte den Raum betreten, völlig außer Atmen. Er blickte sich schnell um, sah mich an. "Ahh, Erik, du bist schon da." Er grinste.
"Und du bist wie üblich der letzte, Seelenhüter.", sagte der Mann am Fenster. Er hatte eine recht tiefe Stimme. Er war mir auf Anhieb sympathisch. Mike verzog das Gesicht.
"Ach, Sirius, Klappe."
Lany meldete sich."Wenn ihr dann damit fertig seid, euch zu belabern, wäre es super, wenn wir zum Thema übergehen könnten.“
Der Blonde lächelte. "Eher zur Vorstellung."
Mike trat vor. "Sagt alle brav >Hallo

Kapitel 27



Let me stay where the wind will whisper to me
Where the raindrops, as they’re falling, tell a story

-Evanescence, Imaginary


>>Mentalmagie ist eine Sache, die nur den Hochmagiern vorbehalten bleibt. In besonderen Situationen kann es dazu kommen, dass Magier eine tiefere Bindung eingehen. Sie spüren dann die Anwesenheit des anderen, können sich in Gedanken mit ihm unterhalten. Sie verstehen sich meist ohne Worte, können gemeinsam stärkere Zauber vollbringen. Ein bekanntes Mentalmagierpaar sind Atlan/Perry, die Hüter von Wasser- und Feuerflamme. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma-Oz



Fast drei Tage war ich, nur mit einer Karte ausgerüstet, durch Strayana gelaufen, hatte den Drachen gesucht. Keins der Wesen, auf die ich getroffen war, hatte mir in irgendeiner Weise helfen können, viele waren verwirrt, einige griffen mich sogar an. Hier und da traf ich auf besorgte Waldläufer, aber auch diese konnten mir nicht helfen. Keiner wusste, wo die Drachen waren.
Müde und enttäuscht kehrte ich nun zurück zur Gilde. Die Karte, die Lany mir gegeben hatte, war definitiv nicht komplett, sie zeigte wohl nur einen kleinen Teil Monteniques. Wie ich darauf kam, dass sie nur einen Teil zeigte? Montenique war eine Insel, und auf der Karte war kein einziger Küstenstreifen zu sehen. Ich hoffte, möglichst bald eine komplette Karte zu erhalten.
Und ich hoffte, dass die anderen mehr Erfolg als ich gehabt hatten. Irgendwie mussten wir den Waldelfen helfen, und den Verursacher des Übels finden. Denjenigen, der vermutlich auch Lysa entführt hatte.
Das Gildenhaus stand friedlich da. Wie schon bei unserer Ankunft vor drei Tagen fehlte die hektische Betriebsamkeit, die ich bei meinem ersten Besuch erlebt hatte. Ein dunkler Schatten lag über der Szenerie. Die Banner bewegten sich nicht, kein Vogel zwitscherte, kein Tier war zu sehen. Auf dem Sandplatz vor dem Gildenhaus standen zwei einsame Gestalten und übten sich im Bogenschießen. Als ich näher kam erkannte ich Yela und Valentin, beide hielten einen Bogen in den Händen. Offensichtlich hatte er ein Betätigungsfeld gefunden. Als ich den Sandplatz betrat, sah Yela sich um. Sie kam auf mich zu, schien meine Enttäuschung zu bemerken. Sie schüttelte den Kopf.
"Gar nichts?", fragte sie leise, als sie neben mir stand.
"Nichts. Die Drachen sind wie vom Erdboden verschluckt. Ich bin ratlos." Besorgnis trat in ihr Gesicht. "Damit sind wir also keinen Schritt weiter..." Sie seufzte. "Die Königin ist zutiefst besorgt. Immer mehr Wesen fallen der Dunkelheit anheim. Den meisten können wir nichtmehr helfen." Sie schluckte schwer.
"Ich verstehe..." Den Waldelfen fiel es ungemein schwer, einem Wesen des Waldes Leid zuzufügen. Doch hier blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie waren nicht zu retten, die Waldelfen mussten Maßnahmen zum Schutz ergreifen. Andererseits war der Tod für diese Wesen wahrscheinlich eine Befreiung.
Ein Pfiff ertönte. Atlan war aus dem Schatten des Gildenhauses getreten, winkte mich zu sich. Ich warf Yela einen entschuldigenden Blick zu und ging zu ihm hinüber.
"Sieht nicht so aus, als wärst du erfolgreich gewesen.", meinte Lany. "Ich ebenso wenig...", er blickte gedankenverloren über die Ebene. "Die Waldelfen haben einfach keine Feinde. Und andere Theorien erweisen sich ebenfalls als unhaltbar. Ich muss ehrlich zugeben, ich bin mit meinem Latein am Ende." Er schüttelte den Kopf.
"Wenn wir nicht bald einen neuen Anhaltspunkt bekommen..." Er ließ den Satz offen. Dann blieb uns nichts als Schadensbegrenzung. Und das gefiel mir nicht. Er schwieg eine Weile, dachte nach.
"Dein Freund", sagte er schließlich unvermittelt "ist ein begabter Schütze. Ich denke, mit der richtigen Ausbildung kann er etwas aus sich machen." Er verschränkte die Arme.
"Ich denke nicht, dass ich ihn nochmal mit hierher nehme. Eigentlich wollte ich ihn auch zurückschicken." Lany schüttelte den Kopf.
"Ich glaube, er wird dir noch von großem Nutzen sein. Es ist hilfreich, Freunde zu haben... Hast du das Buch komplett durchgearbeitet?" Ich hasste plötzliche Themenwechsel.
"Naja, nicht ganz.", gab ich zu. "Ich hatte nicht die Zeit dazu." Wieder schwieg er eine Weile.
"Du solltest dich mal belesen... Es gibt einige Sachen. die dir noch behilflich sein werden." Damit wandte er sich um und ging.
Ich sah wieder zu Yela und Valentin hinüber. Ein passabler Schütze also... Ich ging wieder zu den beiden hin, beobachtete sie. Yela war eine Meisterin im Bogenschießen, jeder ihrer Pfeile traf ins Schwarze. Sie hatte einen grünen Bogen in den Händen, wohl aus mehreren verschiedenen Holzarten gefertigt. Entlang der Bogensehne sprangen kleine Blitze entlang. Sie spannte den Bogen, zielte kurz. Ein Pfeil sirrte los, traf. Valentin- einen kürzeren, hellgrünen Bogen in der Hand- tat es ihr nach, traf ebenfalls, wenn auch nicht ganz in der Mitte. Yela hängte sich ihren Bogen über die Schulter, lächelte. Sie trat zu mir.
"Erik, komm mal mit. Ich wollte dir noch was zeigen." Sie bedeutete Valentin, uns zu folgen, nahm mich bei der Hand und zog mich mit sich.
Nach wenigen Minuten hatten wir die Straße erreicht, folgten ihr in den Wald. Sie nahm kleine Tierpfade, drückte dünne Äste beiseite. Schließlich erreichten wir einen neuen Weg, der, kurz bevor die Bäume wieder begannen, von zwei Statuen überspannt wurde. Die Statuen zweier Drachen, die Flügel ausgebreitet, die sich an den Nasen berührten. Wie vom Blitz getroffen blieb ich stehen. Hier hatte Lysa mich her geführt. Hier hatte sie mich über das Mana aufgeklärt. Hier... Yela zog mich unbarmherzig weiter, unter den Statuen hindurch, wieder in den Wald hinein. Einen von einem Steinbogen überspannten Weg ignorierten wir, folgten dem Pfad. Schließlich lichtete sich der Wald wieder, wir betraten eine freie Fläche. Der Boden war dunkel, spitz zulaufende Holzpfeiler reckten sich in den Himmel. Sie bildeten einen Kreis. Auf dem Boden drehte sich langsam ein rotes, kreisrundes Symbol. Ein Pentagramm, umgeben von mehreren, gestaffelten Kreisen. Das gleiche wiederholte sich noch einmal in etwa drei Metern Höhe, in fünf Metern Höhe und an der Spitze der Pfähle, etwa zehn Meter hoch. Zwischen den Kreisen leuchtete es weißlich, es sah aus wie Nebel. An den Kreisen selber war der >Nebel

Kapitel 28



He reads the letters that she wrote one day he’ll know the taste of freedom

-Nightwish, Over the hills and far away


>> Sinarél sind eine seltene Erscheinung. Das Aurensehen ist die seltenste Fähigkeit, die ein Nichtmagier haben kann. Es gab wenige bekannte Sinarél, der letzte war ein Begleiter Erandos, dem Seelenhüter vor Michael. Ein Sinarél verfügt sonst über keine magischen Fähigkeiten und kann nur im beschränkten Maße das Mana beeinflussen. Dafür verfügen Sinarél über besondere Fähigkeiten im Umgang mit anderen Waffen, beispielsweise Bögen. Zudem sagt man ihnen nach, empfindlich auf reines Mana zu reagieren, wie es beispielsweise bei Portalreisen auftritt. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 19, Sch-St



"Ist sie immer so... aufbrausend?", fragte Valle keuchend, während wir hinter Yela her hechelten. "Ich hab keine Ahnung. Ich weiß nicht mal genau, warum sie grad so aufgekratzt ist.", erwiderte ich wahrheitsgemäß. Diese Aurengeschichte schien sie ziemlich aufzuwühlen, anscheinend war das wirklich selten. Und wichtig. Sinarél... Ich nahm mir vor, mich dazu genauer zu belesen. Anscheinend steckten Valentin und ich tiefer in der ganzen Sache, als zuerst angenommen. Am Waldesrand, das Gildenhaus war bereits zu sehen, blieb Yela abrupt stehen. Ich bremste zu spät, rempelte sie an. "Tschuldigung", murmelte ich. Sie sah hinaus auf die Ebene.
"Der", zischte sie wütend. Ich folgte ihrem Blick, sah einen Mann in Rüstung stehen. Er hatte in jeder Hand ein Schwert. Gerade der. Der hatte mir gerade noch gefehlt. Der Typ, der Lysa und mich überfallen hatte und mich wenig später im Wald niedergeschlagen hatte. Dieser Ritter. Yela murmelte etwas, zog ihren Bogen.
"Dieser Spaten kann mal was erleben! So unverblümt vorm Gildenhaus rum zu rennen. Dieser Klappstuhl!" Ich hielt sie an der Schulter fest, zog sie mit ins Buschwerk. Lieber in Deckung bleiben. Schnell erklärte ich Yela, woher ich ihn kannte. Sie verzog wütend das Gesicht.
"Straya lässt sich auch für alles buchen. Kein bisschen Hirn im Kopf, aber wenn’s um rohe Gewalt geht... Pappnasen." Sie fluchte. "Und allein wird Vermur nicht hier rumtigern, grade hier, in der Nähe des Gildenhauses der Anxi und der Equilibrium... Was will Straya nur von dir?" Ich legte die linke Hand auf ihren Bogen.
"Straya selber wohl weniger. Sie wollten mich, wenn ich richtig gehört habe, ihrem >Chef

Kapitel 29



Angels, they fell first but I’m still here

-Nightwish, End of all hope


>>Hüter Marcus Dolan ist unter der Bevölkerung wenig beliebt, aufgrund verschiedener…<<
An dieser Stelle ist das Papier geschwärzt.

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma- Oz



Atemlos kamen wir am Gildenhaus an, Yela war bereits darin verschwunden. Wir rannten durch die Tür, ich rutschte den gefliesten Boden entlang. Rumms. Eine Topfpflanze hatte sich mir in den Weg gestellt. Der Zusammenstoß schien ihr nicht zu bekommen, einige Blätter knickten ab. Wem auch immer diese Pflanze gehört (hatte), die Position war grottenschlecht gewählt. Ich schob die Scherben des Topfes schnell ein wenig zusammen, rannte weiter Richtung Besprechungsraum. Ob überhaupt jemand da war? Ich schlüpfte in den Raum, Valle quetschte sich schnell noch durch den enger werdenden Spalt der sich schließenden Tür. Atlan, Sirius und Marcus waren da. Yela sah sich kurz um. "Lany, Lany, zwei wichtige Sachen! Wir..." Lany hob die Hand, Yela unterbrach sich.
"Langsam, schöne Waldelfe. Erstmals durchatmen, dann reden. Und eventuell erklärt ihr mir zuerst, was er“, er deutete auf Valentin, "hier soll. Er hat hier nichts zu suchen." Yela hüpfte auf der Stelle. "Doch, doch, doch, doch, doch! Weißt du, was er ist? Ein Sinarél ist er! Lany, ein Aurenseher! Überleg mal! Das ist ewig her!" Sie erinnerte mich an einen Flummi.
"Ein Aurenseher? Das ist natürlich... interessant." Lany sah ehrlich überrascht aus. Marcus erhob sich. "Willst du ihr etwa glauben? Warum sollte ein dahergelaufener Nichtmagier ein Sinarél sein." Sirius, der wieder am Fenster gestanden hatte, fuhr herum.
"Bezichtigst du sie der Lüge?", brauste er auf. "Warum sollte gerade die Prinzessin der Waldelfen lügen? Genau, wenn ihre-" Lany stand auf.
"Ruhe. Erstens, ja, ich glaube Yela. Zweitens, streitet euch später. Und wag es nicht, mir ins Wort zu fallen, Sirius, solange Mike nicht da ist, hab ich das Sagen. Drittens", er wandte sich zu Yela um, "was wolltest du noch sagen?" Yela erstarrte, zog dann den Zettel hervor.
"Vermur lungerte hier rum. Wir haben ihn ein wenig... äh, aufgemischt. Und dabei das hier gefunden. Dieser Brief besagt eindeutig, dass Straya beauftragt wurde, Erik zu schnappen. Und zwar von ihm." Sie deutete auf Marcus. Dieser wurde blass.
"Ich muss mir keine Verleumdungen von einer halben Waldelfe anhören! Sie hat nicht das Recht sich in die Belange von Magiern einzumischen, diese-" Sirius, der während Marcus´ Rede herangestürmt war, rammte ihm die Faust ins Gesicht.
"Und DU!", brüllte er, "DU hast nicht das Recht, MEINE FREUNDIN derartig zu beleidigen!" Yela hielt ihn zurück, als er das zweite Mal ausholte.
"Nicht!", rief sie. "Er ist es nicht wert!" Marcus funkelte die beiden wütend an.
"Schluss!", sagte Lany laut. "Den Brief, Yela." Yela gab ihm den Zettel, er las. Seine Miene verdunkelte sich mit jeder Zeile. "So ist das also.", murmelte er. "Offensichtlich", er hob die Stimme, "hat Yela recht. Allen Anschein nach-" Marcus rannte. Ich war zu langsam, erwischte ihn nichtmehr. Er stürmte aus dem Saal. Zu spät. Weg war er.
"Dieser Penner!", murrte Sirius. Yela lag in seinen Armen. "Wenn ich den erwische..." Lany hob wieder die Hand.
"Schluss damit. Ich kümmere mich darum. Später. Es gibt wichtigeres als Straya und ihn. Wir wissen Bescheid, er weiß das. So dämlich, jetzt noch einmal Schwierigkeiten zu machen, ist er nicht. Nein, keine Widerrede." Damit schien das Thema für ihn beendet. Er steckte den Brief ein. Dann sah er Valentin nachdenklich an.
"Ein Sinarél also. Lag ich mit meiner Vermutung doch richtig... Yela, lass deine Wunde verarzten. Und dann besorg für die zwei“, er nickte in Valles und meine Richtung, "Eine Audienz bei deiner Frau Königin Mutter. Sie sollten doch etwas über diese ganze... Geschichte erfahren. Und vorerst werdet ihr beide hierbleiben. Keine Zwischenfälle mehr."

Kapitel 30



Every little memory resting calm in me resting in a dream smiling back at me

-Nightwish, Rest Calm


>>Die Topographie Monteniques mag Außenstehenden seltsam erscheinen. Auf der klein erscheinenden Fläche der Insel finden sich Wüsten, Wälder, Ebenen und Gebirge. Der Südteil der Insel, abgegrenzt durch das Drachengebirge, wird größtenteils von Wiese dominiert. Spärlich gesäte, dichte Wälder dienen oftmals als Stadtgrenzen, beispielsweise in Mayapan. Wenige kleine Bäche und Flüsse schlängeln sich durch die Südebene. Ein einzelner Berg erhebt sich etwas abseits des Gebirges, der Drachenfels, auf dem der hohe Drache Arthoslor residiert. Der Nordteil zeigt mehr geographische Einzelheiten. Es gibt Eisregionen, Wüsten, dichte Wälder, Gebirge, Flüsse und flache Küstenstreifen. Die Hauptstadt Vestholm (Randol) liegt im gemäßigtem Klima, umgeben von einem Laub- und Nadelmischwald. Lakin, das Dorf zu Füßen des alten Schlosses, liegt im kalten Klima Monteniques, dauerhafter Schneefall dominiert das Bild. Rossotorres liegt in der Wüstenregion des Nordteils. Evelance (Thenodya) ist im Ödland nördlich Strayanas gelegen.<<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 7, Ga-Gi



Müde ließ ich mich auf das Bett fallen. Uns waren zwei nebeneinander liegende Zimmer gegeben worden. Ich freute mich einfach nur noch auf ein paar Stunden erholsamen Schlaf. Es klopfte, Valle steckte den Kopf zur Tür rein. Ich winkte ihn herein.
"Müde?" Er grinste.
"N bisschen. Eine Kaffeeinfusion könnte helfen.", erwiderte ich grinsend.
"Also, bis jetzt hab ich hier noch keinen Kaffee gefunden." Er setzte sich.
"Kein Kaffee ist ein absoluter Missstand. Beinahe mittelalterlich. Jetzt sag, wie bist du ans Bogenschießen geraten?" Er zuckte mit den Schultern.
"Durch Yela halt. Ich hab ihr zu gesehen, sie hat mich gefragt, ob ich‘s nicht mal selbst probieren will. Sie meinte, ich wäre ganz gut, für einen Anfänger." Er lachte. "Ich find‘s ganz interessant. Sie hat mir auch ein wenig über die Gegebenheiten hier erzählt. Trotzdem alles ziemlich mysteriös." Wupps, und ich musste mir mühselig jedes Fitzelchen Information erbetteln?
"Mysteriös stimmt wohl. Und vor allem komplex." Ich seufzte.
"Und anscheinend gibt es Probleme. Erklär mal." Also doch nicht alles erzählt.
"Ich weiß auch nicht wirklich viel mehr als du. Irgendetwas, oder irgendwer, verändert die Wesen. Die Magier wissen nicht, warum, die Waldelfen wissen nicht, warum." Er sah mich an.
"Und was ist deine Rolle dabei? Sollst du etwa den Grund rausfinden?" Ich schüttelte den Kopf. "Glaube nicht. Zumal ich auch keine Idee hab, woran das alles liegen könnte. Wirklich ziemlich kompliziert, das Alles." Ich ließ mich wieder nach hinten fallen.
"Und dieser Zauberer? Der dich fangen lassen wollte? Was ist mit dem?" Gute Frage.
"Keine Ahnung, was da jetzt passiert. Nach dem zu urteilen, was Yela sagte, scheint er kein unbeschriebenes Blatt zu sein. Vielleicht kann ich bei ihr noch etwas erfahren." Ich dachte kurz nach. "Wobei sie auch nicht ganz sauber zu sein scheint." Er nickte.
"Kannst du laut sagen."
"Nein, nicht im Sinne von verrückt. Ich meine eher... sie hat mir erzählt, sie wäre in Randol aufgewachsen, und man hätte ihre Eltern ermordet. Jetzt heißt es auf einmal, sie sei die Tochter der Waldelfenkönigin. Passt nicht ganz zusammen." Er dachte kurz nach.
"Stimmt schon... Meinst du, sie ist nicht vertrauenswürdig?"
"Ich wüsste nicht, wem ich sonst vertrauen sollte..." Er murmelte irgendetwas.
"Anscheinend werden wir ja nun der Waldelfenkönigin vorgestellt."
"Offensichtlich. Wahrscheinlich wegen dieser Seher-Geschichte. Yela war ja ganz aus dem Häuschen deswegen. Für die Waldelfen hat das irgendeine besondere Bedeutung." Er nickte versonnen.
"Naja, ich lass dich mal schlafen. Wir werden bestimmt noch erfahren, was das alles soll." Er stand auf, ging zur Tür. Er blieb kurz stehen. "Meinst du, dass irgendwer gewollt hat, dass wir uns treffen?" Huch, was sollte denn die Frage.
"Möglich. Wär ziemlich seltsam. Irgendwie."
Er lächelte. "Womöglich." Dann schlüpfte er hinaus. Komisch.

Kapitel 31



Hearing music from the deepest forest songs as a seduction of sirens
The elf-folk is calling me

-Nightwish, Elvenpath


>>Die Waldelfen leben auf einer Nachbarinsel Monteniques, sehr zurückgezogen im Wald. Nach mehreren Auseinandersetzungen mit den Menschen zogen sie sich zurück, traten erst spät, weit nach der Gründung der Gilden wieder auf. <<


-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 23, Wa-Wu



Lautes Klopfen riss mich aus meinem Schlaf. Es war bereits Morgen. Licht fiel durch das hohe Fenster in den Raum, eigentlich ein schöner Tag. Ich quälte mich aus dem Bett, immer noch hundemüde. Auf dem langen Flur traf ich Valentin, er sah nicht viel ausgeschlafener aus.
"Unser Abholservice scheint da zu sein.", murmelte er. Ich nickte. Eine Haarsträhne fiel mir in die Augen. Langsam gingen wir die Treppen zur Haupthalle hinab. Yela stand unten, die Hand auf Lanys Schulter gelegt. Dieser betrachtete gedankenverloren den Blumentopf, den ich gestern erwischt hatte.
"Auch noch meine Lieblingspalme, das arme Ding.", seufzte er.
"Die wird schon wieder.", versuchte Yela ihn zu beruhigen.
"Wenn ich den Rowdy erwische, der hier lang rasen musste. Der kann sich auf was gefasst machen." Memo an mich selbst: Von Lany fernhalten. War anscheinend seine Pflanze gewesen. Eine weitere junge Frau stand im Saal. Eine Elfin, zumindest den spitzen Ohren nach zu urteilen. Sie trat zu uns, neigte den Kopf,
"Hoher Hüter, Sinarél. Mein Name ist Cara Dan´velej. Ich bin die engste Vertraute und Beraterin der Königin Ishin Yen´vela. Prinzessin Yelava erzählte mir bereits einiges über euch. Ihr seid eingeladen, die Königin zu treffen. Sie wird euch weitere Informationen zuteilwerden lassen. Folgt mir bitte." Sie hatte eine angenehm ruhige Stimme. Ihr volles Haar war genauso nussbraun wie Yelas, ihre Augen waren ebenfalls braun. Sie war schön, aber wirkte trotz ihrer einladend warmen Stimme distanziert. Wir folgten ihr Richtung Randol. Sie wollte uns zu ihrer Königin führen, zu einer Frau, von der ich hoffte, dass sie mir - uns- helfen könnte. Königin Ishin Yen´vela... Yelava Yen´vela... Warum hatte sich mich das erste Mal über ihre Geschichte angelogen?
Wir hatten den Markt Randols erreicht. Der Brunnen plätscherte vor sich hin, die Statue darauf überblickte den Platz wie eh und je. Cara Dan´velej bedeutete uns, zu warten. Ich betrachtete die Brunnenfigur genauer. Die Elfenfrau mit den wehenden Haaren...
"Irgendwie sieht sie Yela ähnlich.", sagte Valle.
"Hm? Ach, ja, kann sein. Stimmt, du hast recht. Sie sieht ihr wirklich ähnlich." Cara trat wieder zu uns, registrierte unsere interessierten Blicke.
"Wie ich sehe, habt ihr die Statue von Königin Yen´vela bemerkt. Es ist das einzige Denkmal der Königin hier auf Montenique. Allgemein ist es das einzige Denkmal der Königin. Folgt mir, die Teleporterin wird uns ein Portal öffnen, durch das wir die Stadt der Waldelfen, Fanuría, erreichen werden. Das erspart uns die lange Überfahrt mit dem Schiff zur Nachbarinsel Malana. Folgt mir." Sie umrundete den Markt, ging zielstrebig auf einen Mann in einem langen Stoffgewand zu. Er lächelte uns freundlich zu, murmelte einige Worte, vollführte eine Handbewegung. Ein blaues Flimmern entstand in der Luft, festigte sich, nahm die Umrisse eines Portals an. Es sah dem ähnlich, das ich beschworen hatte, um nach Montenique zu kommen.
"Bitte. Hoffentlich geht alles gut." Cara nahm mich am Arm, schubste mich in das Portal. Mein überraschter Ausruf ("WAS?") verklang ungehört.
Alles war blau. Dann klärte sich mein Sichtfeld. Ich stolperte, fing mich ab. Ich stand auf einer Holzplattform, um mich herum nur Bäume. Dichtes Blattwerk versperrte den Blick zum Himmel, dennoch war es hell. Vögel sprangen über die Wiese zwischen den Bäumen. Leises Klappern. Cara war aus dem Portal getreten, stilvoller als ich. Man merkte, dass sie öfter mit diesen Portalen reisen musste. Valle stürzte hinter ihr aus dem Portal, strauchelte, konnte sich nicht abfangen. Ich fing ihn auf, hielt ihn fest.
"Alles okay?" Er hielt sich den Kopf.
"Geht schon.", murmelte er. "Kopfschmerzen. Diese Portale sind nichts für mich." Cara trat zu uns, sah mich entschuldigend an.
"Verzeih, Sinarél, aber wir haben wenig Zeit. Mir ist bewusst, dass Aurenseher diese Art zu Reisen nicht vertragen, aber aufgrund der Dringlichkeit der Sache-"
"Halt, Stopp!", fiel ich ihr ins Wort, "Du WUSSTEST, dass diese Portalreisen nicht für ihn sind und hast ihn trotzdem da durch geschleppt?" Sie hob abwehrend eine Hand. Silberne Reife zierten ihren Arm, sie klapperten.
"Ich bitte um Vergebung, hoher Hüter. Aber in Anbetracht der Lage musste ich leider auf die Portalreise zurückgreifen." Ich seufzte, Valle richtete sich mühsam wieder auf.
"Ich bestehe darauf, dass eine andere Möglichkeit der Rückreise gefunden wird. In Ordnung?" Sie nickte.
"Wie Ihr wünscht, hoher Hüter. Nun, folgt mir bitte. Bis Königin Yen´vela Zeit euch empfangen kann, möchte ich euch durch Fanuría führen." Offensichtlich reichte meine Autorität als Hüter zwar, um einen gewissen Grad an Stressfreiheit zu gewährleisten, aber zur Königin kamen wir trotzdem nicht schneller. Ich hielt Valle sicherheitshalber am Arm fest, als wir Cara langsam folgten.
"Wie ihr seht, ist Fanuría tief im Wald versteckt. Nein, der Wald ist Fanuría. Wir Waldelfen bauen unsere Häuser in den Bäumen, geschützt vor bösartigen Wesen. Menschliche Eindringlinge gibt es nicht, der Wald schützt uns davor. Wir leben in Frieden und Einklang mit der Natur." Sie deutete auf einen riesigen, alten Baum. "Das Zentrum jeder Waldelfenstadt bildet ein alter Baum. Ein erhabenes Wesen, das uns schützt und für uns zum Wald spricht. In jeder Stadt gibt es einen speziellen Waldelf, den Wächter des Baumes. Er ist eine Art... Ihr Menschen würdet ihn wohl als Priester bezeichnen. Er redet mit den Bäumen und Tieren. Wenige Waldelfen haben diese Fähigkeit, ganz wenige. Dennoch verlassen die Meisten uns. Sie suchen nach Abenteuern. Einige leben auch auf Montenique, um unseren Gedanken weiter zu tragen und die Hüter zu unterstützen. Diese Waldelfen nennen sich Waldläufer und leben in den Gilden der Manamanipulierer. Trotz der räumlichen Trennung stehen sie immer noch für unseren Weg des Lebens ein." Durfte ich eigentlich Fragen stellen? Egal.
"Cara? Sag, wie viele Waldläufer gibt es genau? Also auf Montenique?" Sie dachte einen Moment nach.
"Sieben müssten es sein. Wobei ich sie nicht alle namentlich kenne, da solltest du Lany fragen.", antwortete sie dann.
"Und, wen kennst du mit Namen?", wollte ich wissen.
"Nunja. Königstochter Yen´vela wäre da. Wobei sie ein Sonderfall ist. Dann Feeby Samunia, Leiterin der Leibgarde der Königin der Menschen. Und Falarica Zer´velan, die Offizierin der Gilde Cree." Oh, oh. Ausgerechnet die planlose Falarica? Das konnte ja noch sehr heiter werden. "Und, und... Ellenor. Aber sie ist... genauso ein Sonderfall. Eventuell kennst du die Gilde Straya?" Alarmglocken.
"Ja. Hängt sie damit zusammen?" Cara nickte.
"Sie scheint also keine große Verfechterin eurer... Meinungen zu sein?" Cara seufzte.
"Leider nein. Sie... gibt nicht viel auf die Gemeinschaft des Waldes. Zumindest nicht, seit sie diesen... Vermur getroffen hat. Frag nicht weiter, zu ihr kann ich wirklich nicht viel erzählen, hoher Hüter. Verzeiht." Sie neigte den Kopf ein wenig. Valle räusperte sich schüchtern. Cara sah ihn an. "Ja, Sinarél?", fragte sie freundlich.
"Sag, dieser >Weg des Lebens< von dem du gesprochen hast... Wie sieht der eigentlich aus?" Sie lächelte zufrieden.
"Wir Waldelfen leben in Frieden und Einklang mit der Natur. Kein Wesen kommt durch uns zu Schaden, außer, es lässt sich absolut nicht vermeiden. Oder die Hüter befehlen es. Frieden herrscht in unserer Gesellschaft, es gibt keine Kriminalität oder ähnliche menschliche Probleme. Wir leben für den Wald und für die Magie, die alles durchströmt. Das ist die Sichtweise der Waldelfen." Das war in etwa das, was ich mir vorgestellt hatte. Friedliche Wesen, vom Gedanken beseelt, alles verstehen und ehren zu wollen. Das war gar nicht mal so schlecht, so sollte eine Zusammenarbeit gut funktionieren. Zumal sie anscheinend viel auf die Hüter gaben. Punkt für mich. Wir hatten vor einem hohen Baum gehalten, einer Birke. Geschäftig liefen Elfen umher, alle grüßten uns oder nickten zumindest freundlich in unsere Richtung. Dennoch hielten sie Abstand. Später erfuhr ich, dass sie Respekt vor Cara hatten. Die meisten Leute hier hätten uns am liebsten auf Herz und Nieren ausgehorcht.
Cara deutete auf die Krone des Baumes.
"Dies ist der >Palast

Kapitel 32



An owl came to me, old and wise pierced right through my youth
I learned it's ways, envied it's sense

-Nightwish, The crow, the owl and the dove



>>Königin Ishin Yen’vela ist die momentane Herrscherin über das Volk der Waldelfen. Sie entstammt der Blutlinie der großen Yelava Yen´vela, welche die Einigung der Elfen herbeiführte. Sie ist eine weise und gerechte Königin und genießt das Ansehen der Hüter und der Menschenkönigin. <<


-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 11, In-Ku


Der Aufstieg endete in der Baumkrone, etwa fünfzig Meter über dem Boden. Hier im Wald schienen alle Bäume riesig zu sein. Wir standen auf einer Holzplattform, vor uns erhob sich, in Blätter gehüllt, eine Art offener Holzpalast. Helle Farben dominierten, in Wasserbecken plantschten Vögel, eine Katze lag faul in der Sonne. Zwei Wachen flankierten die Eingangsöffnung, ein Mann mit einem Speer und eine Frau mit Bogen. Sie sahen sehr ernst aus, aber ließen uns passieren.
Das Innere des Palasts wirkte viel größer als die Fassade glauben machte. Wir standen in einem Saal, mindestens fünfzehn Meter hoch, durch den sich Äste rankten. Überall war grün. Stoffbahnen verdeckten die wenigen Holzstellen, an denen nichts wuchs. An der Stirnseite des Saales stand ein Thron aus Holz, verwaist. Auf den Treppenstufen davor saß eine junge Waldelfe. Sie hatte feuerrotes Haar, welches von einem dünnen Haarreif aus Blättern und Zweigen zurück gehalten wurde. Ihre Augen waren so grün wie Yelas. Auch ihr Gesicht sah derem der Waldläuferin sehr ähnlich. Sie stand auf. Sie trug eine grün-silberne Stoffrüstung. Ein kurzer Rock gab den Blick auf ihre langen, schlanken Beine frei, die bis zu den Knien in grünen Stiefeln steckten. Die Handschuhe waren mit silbernen Platten verstärkt, ebenso die Schulterschutze. Der Stoff sah aus wie dünnes Blattwerk. Um den Hals hing eine dünne Silberkette mit einem blauen, tropfenförmigen Anhänger. Sie lächelte freundlich. In der rechten Hand trug sie einen kurzen, himmelblauen Stab mit reichlichen Verzierungen. Anscheinend war auch sie Klerikerin, so wie Lysarya. Sie verneigte sich kurz vor uns, ging dann an uns vorbei. Allerdings nicht ohne Valentin einen interessierten Blick zuzuwerfen, der er auch erwiderte. Oh, oh, da bahnte sich womöglich was an. Sie verließ den Saal, nein, sie schwebte regelrecht hinaus.
"Das war meine jüngere Tochter Yeldrish.", erklang eine warme, freundliche Stimme hinter uns. Wir fuhren herum. Da stand die Elfe vom Marktbrunnen Randols. Lebensecht. Und noch viel schöner und königlicher, als ich es mir hätte vorstellen können. Sie war das exakte Ebenbild von Yelava, sah aber etwas älter und vor allem viel weiser aus. Sie trug ein langes, blaues Kleid. An ihren Fingern glänzten Ringe, in ihren nussbraunen Haaren glitzerte ein Diadem. Ich kniete vor ihr nieder, Valentin tat es mir gleich.
"Nein, hoher Hüter, Sinarél, ich bitte euch. Erhebt euch. Es ist mir eine Ehre, euch kennen lernen zu dürfen. Ich bin Ishin Yen´vela, Königin der Waldelfen. Meine Töchter durftet ihr nun schon kennen lernen." Ich stand auf.
"Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Königin. Ich bin Erik, mein Freund hier heißt Valentin. Danke, dass Ihr uns empfangt." Sie lachte freundlich.
"Bitte, lasst die Förmlichkeiten. Ein Hüter und sein Freund sind mir gegenüber zu nichts verpflichtet. Ich freue mich, dass ihr hier seid. Ich hoffe, ihr hattet einen angenehmen Empfang?" Smalltalk.
"Nun, der Empfang... lassen wir das. Königin-" Sie hob die Hand.
"Nenn mich Ishin, Hüter Erik." Ich nickte.
"Gut, Ishin. Ich hatte die Hoffnung von Euch etwas über... diese ganze Geschichte mit den magischen Wesen zu erfahren. Und über die Waldelfen. über die ganzen Verhältnisse hier." Sie zog eine Augenbraue hoch, sah dabei unglaublich gut aus.
"Ihr seid im Unklaren gelassen worden? Von Wasserhüter Atlan hätte ich etwas anderes erwartet. Ich werde euch eure Fragen so gut es geht beantwortet. Kommt, setzen wir uns." Endlich die erhoffte Aufklärung! Sie führte uns durch eine versteckte Tür in einen kleinen Raum. Wieder war alles grün und hell. Ein Tisch stand in der Mitte, drum herum einige Stühle. Sie setzte sich, bedeutete uns, es ihr gleich zu tun.
"Meine Vertraute Cara wird euch über die Waldelfen aufgeklärt haben?" Valle nickte.
"Ein wenig. Zumindest über die grobe Lebensweise." Dem hatte ich nichts hinzu zu fügen.
"Gut.", sagte sie. "Auf Cara ist immer Verlass. Sagt, was wollt ihr zuerst wissen? Ich kann euch fast alle Informationen liefern, außer denen, die interne Angelegenheiten der Hüter betreffen." Schade, so nah dran und wieder nichts.
"Dann zu Montenique selber. Zu den Wesen, die hier leben. Wie ist das alles entstanden? Und warum wird der Frieden nun bedroht?" Sie lachte bitter.
"Frieden? Der herrschte auf Montenique nie. Unter den Menschen gab es immer Streitigkeiten und Kriege. Was die Geschichte betrifft, möchte ich euch eine genaue Chronik zur Verfügung stellen, alles andere würde den Rahmen sprengen. Soviel sei gesagt: Die Elfen kamen sehr viel später als die Drachen und die anderen magischen Wesen hierher. Und die Menschen kamen zuletzt, mit ihnen kamen Leid und Krieg. Viele Versuche in Frieden zu leben scheiterten, bis auf Hüter Atlan neideten die Menschen uns unser Leben. Selbst die anderen Hüter, Hüter, die mittlerweile tot und vergessen sind. Wir Waldelfen zogen uns hierher zurück, die Hochelfen taten es uns gleich. Lange Zeit herrschte Kälte zwischen diesen drei Völkern. Erst Seelenhüter Erando stellte Frieden und Freundschaft wieder her. Dennoch leben die Elfenvölker zurückgezogen, bitter enttäuscht über das Verhalten der Menschen nach dem Tod des Seelenhüters. Nach nunmehr 600 Jahren ist das Verhältnis immer noch unterkühlt, aber vor allem durch die Arbeit der neuen Hüter verbessert." Ich nahm diese ganzen Informationen auf, jedes Bruchstück konnte wichtig sein.
"Ishin, eventuell kannst du mir zu den Hütern dennoch weiter helfen. Ihr Waldelfen habt sicher einen gewissen... Einblick in die Machtverhältnisse der Hüter, oder nicht?" Sie sah mich an, ihre grünen Augen glänzten wie Smaragde.
"Machtverhältnisse? Die internen Sachen gehen mich nichts an, eigentlich. So viel: Der mächtigste unter ihnen ist der Seelenhüter, darauf folgen die Feuermagier, darauf die Wassermagier, darauf die Luftmagier, am schwächsten sind die Erdmagier. Deine Rolle darin mag für die Hüter nicht geklärt sein, aber in den Archiven der Waldelfen lagert eine alte Schriftrolle... Sie wurde vom Wächter des Baumes Fanurías verfasst, ein Mann, der mein vollstes Vertrauen genießt, auch wenn die Hüter ihn gern als geisteskrank abtun. Seinen Worten nach bist du, Erik Drachenzunge, dem Seelenhüter nicht unterlegen. Du stellst seinen Gegenpart dar, denjenigen, der den Wald und seine Bewohner retten und behüten soll. So schrieb er, und ich denke, er liegt nicht falsch. Du hast die Gabe der Sprache. Genauso wie die Waldläufer kannst du mit den Wesen reden, sie beruhigen. Du erkennst die Magie besser als manch anderer Zauberer. Und dein Freund hier", sie deutete auf Valle, "wird ebenfalls in dieser Schrift erwähnt. Sinarél sind selten, sehr selten. Die Fähigkeit des Aurensehens ist etwas Besonderes, sie wird viele Dinge erleichtern. Ihr zwei solltet euch nie aus den Augen verlieren, ihr seid eine sehr mächtige Gemeinschaft." Eine Schriftrolle der Waldelfen sollte des Rätsels Lösung sein?
"Den Wald retten und behüten? Wie soll ich das verstehen?", fragte ich, weiter nach Informationen suchend.
"Anscheinend ist damit unser gegenwärtiges Problem gemeint. Die Wesen des Waldes werden beeinflusst, manipuliert. Von einer Macht, stärker als jene der Hüter. Du und dein Freund, ihr könnt dieses Unheil abwenden. Ich bin fest davon überzeugt. Es liegt in euren Händen." Oha. Königin Ishin legte viel Vertrauen in uns. Für meinen Geschmack zu viel.
"Königin“,, sagte Valentin ruhig. "Was kannst du uns über die Hochelfen erzählen?" Sie sah einen kurzen Moment sehr traurig aus.
"Nicht viel. Die Hochelfen und die Waldelfen haben seit Jahrhunderten wenig Kontakt. Die Hochelfen leben noch zurückgezogener als wir, denjenigen, die ihre Städte verlassen, ist die Rückkehr verwehrt. Sie erzählen auch nichts über ihre Heimat. Leider kann ich euch da nicht helfen." Valle nickte gedankenverloren. Mir fiel etwas ein.
"Ishin? Was weißt du über die großen Drachen? Speziell über einen... wie hieß er noch gleich..." Sie sah mich überrascht an.
"Arthoslor. Der höchste der Drachen. Seltsam, dass sie dich selbst darüber nicht informiert haben, hoher Hüter." Ich zuckte mit den Schultern.
"Scheint Gang und Gebe zu sein." Sie lächelte.
"Sollte es aber nicht. Hör zu, Drachenzunge. Es gibt verschiedene Drachen. Die niederen Drachen, die die Täler Strayanas bevölkern, die mittleren Drachen, die sich in den Dienst von Menschen und Elfen gestellt haben, und die hohen Drachen, wie die Schatten Strayanas oder die Flammendrachen. Das Oberhaupt, der König der Drachen, ist Arthoslor, der weise Rote. Er gab den Hütern die Magie, er wacht über die Völker Monteniques. Wirklich mysteriös, dass er dich noch nicht sprechen wollte. Ich möchte mich zu ihm auch nicht weiter äußern, verzeih, Hüter. Was die Schatten Strayanas betrifft, so sei gesagt, dass der blutige Schatten nach dir suchte. Leider sind beide Drachen, sowohl der düstere als auch der blutige, verschwunden. Die Waldläufer um meine Tochter Yelava vermochten bisher nicht, sie aufzuspüren. Leider." Ich nickte, besorgt über diese Aussage. Drachen verschwanden nicht einfach. Dazu waren sie zu groß. Auch Drachen, die sich unsichtbar machen konnten verschwanden nicht einfach komplett.
"Achja, wo du es sagst, Ishin. Bei meinem ersten Besuch hat Yela etwas anderes über ihre... Herkunft erzählt..." Die Königin lachte wieder.
"Ja, sie erzählt die Wahrheit nicht gerne. Ich nehme an, sie sagte, sie wäre bei ihren Eltern in Randol aufgewachsen? Und diese wären ermordet worden?"
"Ja, genau.", antwortete ich.
"An sich stimmt das auch. Sie wuchs bei ihrem Vater und dessen Frau auf. Als die Elfen erfuhren, dass ihre kleine Prinzessin von einem Menschen abstammte, gab ich sie zu ihm. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Zudem sollte sie unter Menschen und Elfen leben um zu verstehen, wer sie eigentlich ist. Eine Halbelfe. Bei einem Besuch in der Gilde Anxifer traf ich sie später, erklärte ihr ihre Lage. Ich denke, sie versteht meine Beweggründe, auch wenn sie sie nicht akzeptiert. Zumal sie nicht gerne als Prinzessin angesehen werden will. Diese Rolle überlässt sie viel lieber Yeldrish. Auch wenn mein Volk Yeldrish nicht dieses Vertrauen entgegenbringt, weil sie sich für den Weg der Klerikerin entschieden hat, der eigentlich nur von Hochelfinnen beschritten wird. Die Mädchen haben ihre eigenen Köpfe, und das ist gut so. Sie werden einmal gute Königinnen sein." Sie lachte wieder. "Sind eure Fragen damit erschöpfend beantwortet?", fragte sie freundlich.
"Vorerst ja, Königin.", erwiderte ich. "Danke sehr." Sie stand auf.
"Kommt auf mich zurück, wenn ihr weitere Hilfe braucht. Ihr könnt mich über Hüter Atlan oder Yelava erreichen."
Es klopfte. Ein Waldelf kam in den Raum, verstört, außer Atem.
"Königin!" Er verneigte sich kurz. "Hoher Hüter, Sinarél." Er wandte sich wieder seiner Königin zu. "Der blutige Schatten ist gefunden worden. Er ist tot, MyLady."

Kapitel 33



Oh how I wish for soothing rain
All I wish is to dream again

-Nightwish, Nemo



>>Falarica Zer´velan ist das Wunderkind der Waldelfen. Sie entstammt einer einfachen Familie. Niemand, am allerwenigsten sie selber, hätten vermutet, dass sie über die Gabe der Sprache verfügt. Sie wurde zur Waldläuferin. Trotz, dass sie sich oft verläuft und gerne wichtige Dinge vergisst, ist sie hochangesehen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 5, Do-Fa



Die Königin war sofort aufgebrochen, wir waren ihr gefolgt. Zu Valentins Leidwesen durch mehrere Portale. Als wir endlich, nach dem dritten Portaldurchgang, eine Freifläche im typischen Farbton Strayanas erreichten, hing er wie ein nasser Sack in meinen Armen. Diese Portalreisen waren wirklich nichts für ihn. Wir wurden bereits erwartet. Yela stürmte auf uns zu, grüßte ihre Mutter knapp und kühl, stützte Valle.
"Wir müssen uns wirklich was einfallen lassen", murmelte sie schuldbewusst. Ich überließ meinen Freund ihrer Obhut. Lany stand nachdenklich da, den Blick auf den Körper des Drachens gerichtet. Die zuvor glühend roten Schuppen waren fahl, die Augen milchig. Ich kniete vor dem Kopf des Wesens nieder, legte die Hand auf seine Nase.
"Wer hat das getan, Hüter Atlan?", fragte Ishin bedrückt.
"Waldläuferin Zer´velan und ich gehen darin überein, dass die Wesensveränderung daran schuld sein muss. Es gibt keinerlei Gewalteinfluss und keine Spuren von Zaubereinwirkung.", sagte er, Trauer in der Stimme. Eine Frau kniete neben mir nieder. Falarica, die Waldläuferin.
"Es tut mir leid", sagte sie leise. "Ich konnte nichts mehr tun, als die Hüter und die Königin zu benachrichtigen. Verzeih." Ich strich über die kühlen Schuppen des Drachen.
"Dich trifft keine Schuld, Fala." Sie seufzte leise.
"Wir Waldläufer sind machtlos. Wir können die Wesen der Wälder nichtmehr schützen."
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, denn das ist meine Aufgabe."

Kapitel 34



A maiden elf calling with her cunning song

-Nightwish, Wishmaster



>>Die Dunkelelfen sind verbannte Hochelfen, welche sich den dunklen Teilen der Magie zuwandten. Weder Aufenthaltsort noch Namen sind bekannt. Es ist anzunehmen, dass es noch Hochelfen gibt, die Zeitzeugen der Verbannung waren, aber diese werden noch in Sanctum verweilen. Daher wird eine Befragung unmöglich sein. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 5, Do-Fa



Königin Ishin hatte uns eine ausführliche Chronik Monteniques zukommen lassen, die ich nun Nacht für Nacht durcharbeitete, während tagsüber Trainigseinheiten stattfanden. Ich fand wenig Schlaf in diesen Tagen. Die Waldelfen erwarteten von mir, dass ich die Wesen des Waldes befreite und vor dem Tod rettete, also lerne ich so viel, wie möglich in kürzester Zeit. Leider half mir auch das Wissen über die Geschichte der Insel nicht wirklich weiter. Zumal das, was mich wirklich interessierte auch nicht in diesem Buch stand. Zwar gab es ein Kapitel, dass mit >Hochelfen< überschrieben war, aber es beinhaltete nur die lapidare Aussage, dass die Hochelfen zurückgezogen lebten, niemanden in ihr Reich einließen und die, die es verließen als Verbannte galten. Und diese Elfen erzählten nichts über ihre Heimat. Ein Bild war dem Text beigefügt, es zeigte eine Hochelfin mit kurzem, weißem Haar in einem weißen Kleid. Dazu hielt sie einen Stab, dessen Kopf an Adlerflügel erinnerte in der Hand. Unterschrieben war das Bild mit >Hohe Klerikerin Lysarya Ma`Savena vor dem Seelentor in Egeha, Mai 1403.< Lysarya... Sie galt es ebenfalls zu retten... Müde klappte ich das Buch zu. Der Morgen graute bereits. In wenigen Stunden begann der Trott von neuem. Zum Schlafen war es wieder zu spät.
Königin Ishin hatte sich verzweifelt gezeigt, sie wusste nichtmehr, wie sie den Wald uns seine Wesen noch schützen sollte. Yelava ihrerseits reiste kreuz und quer über die Insel, ständig auf der Suche nach Informationen. Sie sprach mit jedem, den sie finden konnte. Falarica mühte sich, die wenigen Wesen zu erreichen, die noch nicht der Veränderung anheimgefallen waren. Sie hatte wenig Erfolg dabei, wenige Wesen waren noch ansprechbar.
Ich stand auf. Schnell noch ein wenig frische Luft schnappen, bevor der Rest der Gilde erwachte. Mein Seitenblick fiel auf den Spiegel, der in meinem kleinen Zimmer hing. Ich betrachtete mich genauer. Status: Vollbart. Die dunkelbraunen Haare fielen mir ins Gesicht, zeigten Ansatz einer mehr oder weniger gewollten Langhaarfrisur. Ringe zierten die dunkelblauen Augen. Was hatte Valle gesagt? Ich würde aussehen, wie der Tod persönlich. Naja, ganz so schlimm war´s noch nicht.
Stille herrschte im Gildenhaus. Die meisten Mitglieder kamen gegenwärtig nur zum Schlafen hierher, waren tagsüber unterwegs. Einige beschützten die Städte der Menschen, andere halfen den Waldelfen beim... mehr oder weniger >befreien< der magischen Wesen. Wobei das eher einer Säuberungsaktion glich. Schadensbegrenzung. Einige wenige Mitglieder waren dauerhaft hier, vornehmlich die jüngeren und unerfahreneren. Lany war ebenfalls fast immer hier, daraus resultierte auch ein Strom an Menschen, der hier ein und aus ging, um sich mit ihm zu beraten. In den letzten Tagen hatte ich viele Leute kennen gelernt, die wenigsten hielten sich mit mir auf. Die meisten Namen hatte ich auch schon wieder vergessen. Eine einzige Person hatte mein Interesse geweckt. Wolfstraum, Leiter der Gilde Cree, der Schwestergilde Anxifers. Er war Kleriker, ein Hochelf. Leider aber auch genauso schweigsam wie das Buch. Eventuell konnte ich ihm noch einige Informationen entlocken.
"Na, kleiner Morgenspaziergang geplant?" Ich drehte mich um. Valentin kam die Treppe herunter, grinste. "So früh schon wach?" Ich schüttelte den Kopf.
"Eher noch wach." Mein Blick fiel auf Atlans geliebte Topfpalme. Sie zeigte nurnoch wenig Spuren des unverhofften Zusammenstoßes. Sie hatte einen neuen Topf, nurnoch wenige Zweige waren nach unten geknickt.
"Dieses Buch lässt dich nicht los, was? N bisschen Schlaf würde dir bestimmt mal gut tun.", meinte er. Vielleicht. Aber nicht jetzt. Gemeinsam verließen wir das Gildenhaus, ich schlug den Weg hoch in die Stadt ein. Randol schlief noch, man konnte sich prima umsehen, ohne ständig von irgendwelchen Menschen angehalten zu werden. Die Hüter waren sehr bekannt auf Montenique, und ich zählte nun mal dazu. Jeder Magier war unter den >normalen< Menschen eine kleine Besonderheit.
Wir trafen nur wenige, geschäftige Menschen. Bäcker, Fleischer, den Pfarrer, Bauern. Insgesamt nicht mehr als zwanzig Personen. Die riesige Stadt schlief wirklich noch tief und fest. Der Marktbrunnen war unser Lieblingsplatz geworden. Auf dem Markt herrschte immer buntes Treiben. Gaukler, Marktfrauen... Und ein klasse Ort, wenn man fremde Manamanipulierer treffen wollte. Der Markt war ein großer Warenumschlagplatz. Nahrung, Stoffe, Tränke, Waffen, Rüstungen, Tiere, Gebrauchsgüter aller Art wechselten hier den Besitzer. Und Informationen. Nachrichten aus den entlegeneren Gebieten Monteniques wurden hier weiter gegeben, verbreitet, aufgewertet. Manchmal war das Getuschel der Leute einfach besser als nüchterne Bücher.
Wir setzten uns auf den Brunnenrand, unterhielten uns über Belanglosigkeiten. Valentin hatte Yeldrish Yen´vela, Königin Ishins Tochter, genauer kennen gelernt, sie standen in engen Kontakt. Vermutlich bahnte sich da wirklich was zwischen den zweien an. Ich erzählte ihm, was ich aus dem Buch gezogen hatte, er ergänzte mit dem Wissen, welches er von den Waldelfen bekommen hatte. Die Waldläuferinnen bildeten ihn aus. Spurenlesen, Bogenschießen, unerkanntes Anschleichen. Wer weiß, wann wir das noch brauchen würden. Ich arbeitete mit den Hütern und Magiern zusammen. Ich musste viel mehr Zauber lernen, mit meinen Fähigkeiten besser umgehen lernen. Als schließlich die ersten Verkäufer ihre Stände öffneten, beschlossen wir, zur Gilde zurück zu kehren. Frühstücken, dann sollte der Alltag beginnen.
Wir kämpften uns durch die ersten Menschenmassen, die auf den Markt strömten. Elfen, Menschen, Magier. Dazwischen Pferde, Esel, mittlere Drachen. Hier und da ein Terra, so wie Falas Chomaru, ab und an ein Pofenion, ähnlich den Terras, nur größer und bunter. Und noch niedlicher. In einer kleinen Seitengasse konnten wir dem Strom schließlich entfliehen. Ich lehnte mich grinsend an eine Hauswand, deutete auf eines der süßen Vogel-Echsen-Wesen.
"Das wär ein prima Haustier für dich. Absolut niedlich. Da haste was zum Kuscheln." Er schlug mir freundlich auf die Schulter.
"Du weißt schon, dass du gemein bist." Ich nickte.
"Stimmt, das arme Vieh wäre ja mit dir gestraft." Sofort drehte ich mich um, rannte weg.
"Na warte!", hörte ich ihn rufen. An der nächsten Straßenkreuzung blieb ich stehen, wartete. Manchmal musste ein kleiner Spaß doch sein. Ich sah die Straße hinunter. Valle stand da, den Blick Richtung Markt. Seltsam. Ich lief zu ihm zurück.
"Was ist denn los?", fragte ich. Er sah irritiert aus. Er deutete die Straße hinunter.
"Da war jemand... ein Elf." WOW!
"Ein Elf also. Und? Hier gibt´s gefühlte tausend Elfen." Er sah mich vorwurfsvoll an.
"Er war... anders. Er hatte eine... Aura. Dunkel." Nachdenklich sah er die Straße hinunter. "Die normalen Elfen haben eigentlich keine Aura. Zumindest nicht so stark. Und die von euch Hütern ist anders. Seine ist... bedrohlich." Ich stutze. Das durfte eigentlich nicht sein... Gut, ich verstand nicht viel von der Aurenseherei, das war Valles Fachgebiet, aber, wenn ihn etwas verwunderte... Dann sollte mich das alarmieren.
"Hast du dir gemerkt, wie er aussah?" Er nickte.
"Dann komm. Lany weiß eventuell, wer das ist." Wir sprinteten zurück zur Gilde. Ich wurde das Gefühl nicht los, als das es eine ziemlich dringende Sache war. Valle hatte von >bedrohlich

Kapitel 35



This roses' leaves seem to be magic and saved all the poor population below

-Haggard, De la morte noire


>>Über Wolfstraum, hohen Kleriker des Ordens ist ebenso wenig bekannt wie über die Hochelfen selber. Fest steht, dass er seinen elfischen Namen ablegte, was für Hochelfen äußert ungewöhnlich ist. Er schweigt über seine Vergangenheit. De facto ist er Gildenleiter der Cree, Schwestergilde der Anxifer. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 23, Wa-Wu



Wieder hatte ich kein Auge zu getan. Dieser Dunkelelf ließ mich nicht los. Lany und die Elfen zeigten sich äußerst besorgt. Anscheinend waren die Dunkelelfen kein unbeschriebenes Blatt, auch wenn niemand genaueres wusste. Das heißt, es gab Personen, die wohl mehr wussten als ich. Die wenige Hochelfen, die allerdings nie über so etwas redeten. Die Gildenmitglieder waren ausgeschwärmt, hatten sämtliche Hochelfen aufgesucht. Immer die gleiche ablehnende Haltung. Keiner wollte uns etwas erzählen. und trotz meiner Müdigkeit hatte ich keinen Schlaf gefunden, hatte viel zu sehr nach gegrübelt. Schließlich hatte ich mich auf die Treppen der Eingangshalle gesetzt. Hier war es angenehm kühl und dunkel. Ich dachte nach. Der Tod des Drachen, Dunkelelfen, Waldelfen... in welchem Zusammenhang stand das? Gingen wir eventuell von einer falschen Grundlage aus? Wir hatten angenommen, die Wesen wurden geschädigt, um die Waldelfen zu verängstigen, ihnen zu schaden. Aber Waldelfen und Dunkelelfen hatten an sich nichts miteinander zu tun... Zumindest nicht nach unseren Informationen. Die reichlich dürftig waren. Aber... wenn man dazu noch Lysas Entführung betrachtete... Entweder passierte das alles wegen MIR, oder wegen den Hochelfen. Aber warum dann auf dem Rücken der Wesen des Waldes? Ich lehnte meinen Kopf gegen die kühle Wand. Warum...?
"Wer hat SCHONWIEDER MEINE PFLANZE ERWISCHT?" Ich schreckte hoch. Valentin saß neben mir, grinste schelmisch.
"Guten Morgen. Nicht bis ins Bett geschafft?" Wupps, ich war eingeschlafen. Und Lanys Gezeter um seine Pflanze hatte mich geweckt. Es war hell, einige Gildenmitglieder kamen bereits die Treppen herunter. Immerhin, Lany war ein super Wecker, wenn auch laut. Auch wenn ich mich wunderte, dass er erst heute das >Versehen< von gestern entdeckte. Gelächter kam auf. Die Gilde schien sein Leid sehr lustig zu finden. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ihr seid gemein. Sagt mir lieber, wer das war. Derjenige kriegt n Satz heiße Ohren." Ja, ich sollte mich wirklich von ihm fernhalten. Zumindest vorerst. Sicherheitshalber.
Die große Eingangstür schwang auf, zwei Personen betraten die Halle. So früh schon Besuch? Ich erkannte Falarica, die Waldläuferin. Sie winkte mir freundlich zu. An ihrer Seite watschelte ihr treues Tier, das Terra Chomaru. Zielstrebig lief das kleine, flinke Wesen in unsere Richtung. Bloß nicht. Es stürzte sich auf Valle, schleckte ihn ab. Puh, Glück gehabt. Zusammen mit Lany ging ich zu Fala und ihrem Begleiter. Ich erkannte darin den Kleriker, Wolfstraum. Lany neigte den Kopf.
"Waldläuferin, hoher Kleriker. Was führt euch zu früher Stunde hier her?" Fala verneigte sich ebenfalls ein wenig.
"Wolf hier hat sich bereit erklärt, uns die Informationen über die Dunkelelfen zu geben, die wir brauchen." Bingo.
"So? Nun, dann kommt mit." Zusammen gingen wir zum Besprechungsraum. Valle, mittlerweile von seinem Leid befreit, folgte uns, Chomaru folgte ihm auf dem Fuß. Fala stellte sich neben der Tür auf, Lany setzte sich, bedeutete dem Kleriker, es ihm gleich zu tun. Valle positionierte sich in Falas Nähe, ich zog es vor, stehen zu bleiben. Notfalls war ich gerne in der Lage, schnell zu reagieren. Ich betrachtete den Elf genauer. Er hatte langes, blondes Haar, seine Augen waren blaugrau. Er war ungefähr zwei Meter groß, trug eine dunkle Lederrüstung ähnlich derer, die Valle mittlerweile täglich an hatte. Den Stab, rot, einfach verzierter Kopf, hatte er an den Tisch gelehnt. Soweit typisch Kleriker. Sein Umhang trug das Gildenabzeichen der Cree, eine Mondsichel, die ein >C

Kapitel 36



Heaven queen, carry me away from all pain
All the same take me away we're dead to the world

-Nightwish, Dead to the world



>>Der Seelenturm in Egeha ist eines der höchsten Gebäude der Gegend. Ein hoher Turm aus schwarzem Stein, der sich in den Ruinen eines alten Schlosses erhebt. In direkter Nähe befindet sich eine große Freifläche, ein Schlachtfeld eines längst vergessenen Krieges. Die Seelen der gefallenen suchen ihren Todesort noch immer heim, die meisten Menschen und Elfen meiden diesen Ort. Im Seelenturm selber treiben Untote und Monster ihr Unwesen, angeführt von einem sagen-umwobenen Schlangenwesen. Da die dunkle Magie, die von den Monstern ausgeht, als zu stark eingestuft wurde, ist der Turm mit mehreren starken Bannsiegeln verschlossen worden. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 19, Sch-St



Falarica hatte sich bisher noch nicht gemeldet. Dafür waren vermehrt Gruppen von magischen Wesen, zu Monstern geworden, aufgetaucht. Die Gildenmitglieder waren mittlerweile nur noch zur Sicherung der Städte unterwegs, Valle und ich mit eingeschlossen. Einerseits war das gutes Training, andererseits fiel es gerade den Waldelfen schwer, diese Aufgabe zu übernehmen. Und auch mir tat es jedes Mal in der Seele weh, ein fehlgeleitetes Wesen töten zu müssen.
Wir waren gerade zur Gilde zurückgekehrt. Unser >Auftrag< hatte uns nach Aaron geführt, einer Stadt im eigentlich schönen Landstrich Egeha. Es war alles recht grün, erinnerte insgesamt an mitteleuropäische Landschaften. Von überall sah man, hoch oben in den Bergen, einen schwarzen Turm. Dunkle Wolken hangen um dessen Spitze, Schwaden von Mana trieben umher. Ziemlich gruselig. Eine Horde Gremlins, kleine, grüne, bösartige Viecher, hatte die Stadt überfallen wollen, was wir vereitelt hatten. Die wenigen Menschen, die hier lebten, zeigten sich äußerst dankbar.
Der Rest des Tages sollte aus Training und Warten bestehen, falls man uns noch einmal als Notfallhilfe brauchte. Lany war ausgeflogen, er sagte, er wolle etwas mit jemanden bereden. Er schien schwammige Formulierungen zu lieben.
„Du grübelst schon wieder?“ Valle setzte sich zu mir in den Schatten eines Baumes, der am Rand des Sandplatzes stand. Ich nickte.
„Diese ganze Dunkelelfen- Sache ist mir noch zu undurchsichtig. Auf dieser ganzen Insel gibt es niemanden, der uns wirklich Informationen liefern kann! Und der einzige, der uns was verraten könnte, will selbiges nicht. Und so soll man arbeiten können.“
„Und zu den Hochelfen selber können wir nicht einfach rein spazieren?“
„Nicht offiziell jedenfalls. Und ob wir einfach in ihre Stadt >einbrechen

Kapitel 37



The chain is broken, a creature is freed, all the bonds are concealed

-Darkwell, Fate prisoner


>>Bannkreise finden an verschiedenen Stellen Monteniques Verwendung. Zum einen, um Menschen, Manamanipulierer, Wesenheiten und sogar das Mana selbst aus- beziehungsweise einzusperren, andererseits um Wesen in ihrer Macht einzugrenzen. Alten Überlieferungen zu Folge wurden früher Drachen und ähnliche stark magische Wesen mit Bannkreisen belegt, damit sie keine Gefahr mehr darstellen konnten. Heutzutage ist ein solcher Einsatz der Bannmagie nichtmehr gebräuchlich. Allgemein sind nur noch wenige Bannkreise in Verwendung, darunter die insgesamt zehn Bannsiegel des Seelenturms, die Bannkreise der Säulen der Hauptmagie und die Siegel der Tore Sanctums. Bannkreise verlieren über die Zeit ihre Macht und müssen daher regelmäßig, meist im 500-Jahres-Turnus, erneuert werden. Dies ist abhängig davon, wie stark der Bannkreis ist, wie viele Zauberer beteiligt waren und ob selbige noch leben. Mit dem Tod eines der beteiligten Zauberer wird der Kreis schwächer, stirbt der Letzte, bricht er sogar. Bannkreise können nur durch Hochmagier beschworen werden, sind damit nur den Hütern vorbehalten. Die Hochelfen scheinen allerdings über rudimentäre Grundlagen dieses Wissens zu verfügen, Sanctums Tore sind durch viele, wenn auch schwache, Bannsiegel gesichert. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 3, At-Bu



Mein Schädel tat höllisch weh. Noch dazu brannte meine linke Schulter wie Feuer. Ich wollte die Hand heben, jemand hielt mich zurück.
„Schscht. Langsam.“ Eine warme, vertraute Stimme. Ich wollte die Augen öffnen, bekam sie nicht auf. Ich fühlte mich sehr schwach.
„Ruhig. Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.“ Ich spürte die Berührung einer warmen Hand an meiner Wange. Diesmal bekam ich die Augen ein Stück weit auf. Es herrschte Dämmerlicht. Ein schön geschnittenes Gesicht hing dicht über meinem, blaue Augen, Stupsnase, spitze Ohren, weißes Haar.
Lysarya.
Sie lächelte.
„Sieht aus, als kommst du langsam wieder zu dir. Kopfschmerzen?“
>Ja. <, wollte ich sagen, ein Krächzen kam dabei heraus. Sie lächelte wieder.
„Schon gut, wird bald vorbei gehen. Ist bei euch Magiern immer so. Man kann euch sonst was antun, ihr werdet Kopfschmerzen bekommen.“ Was war eigentlich passiert? Ich erinnerte mich dunkel… an ein Gespräch mit Wolfstraum…
„Kriegst du einen graden Satz raus?“, fragte sie leise.
Nicht wirklich.
„Dachte ich mir fast. Eine Attentäterin der Nityapralaya hat dich erwischt. Ihr Dolch war vergiftet. Noch dazu hat sie beinahe dein Herz erwischt, wärst du nicht ausgewichen. Wäre Traum nicht in der Nähe gewesen, wir hätten dich verloren.“ Ihre Stimme klang belegt.
Oha. Da war ich dem Tod mal wieder gerade so von der Schippe gesprungen. Trotzdem fühlte ich mich so unsäglich schwach… Sie strich über meine Stirn, fuhr mit der Hand durch mein Haar.
„War ziemlich knapp. Wir sind Traum zu größtem Dank verpflichtet…“
„Wo…“, brachte ich mühsam hervor. Sie sah auf.
„Langsam. Nicht zu viel auf einmal.“
„Wo warst… du?“ Endlich raus. Ihr Gesicht verfinsterte sich.
„Unterwegs. Forschen. Seelenturm… Erklär ich dir alles später, okay? Wenn’s dir wieder besser geht.“
Oh, wie ich dieses >Erklär ich dir später

Kapitel 38



It's not the tree that forsakes the flower but the flower that forsakes the tree
Someday I'll learn to love these scars still fresh from the red-hot blade of your words

-Nightwish, Bye Bye Beautiful



>>Merak ist eine der verschiedenen Regionen des Nordteils von Montenique. Unter den Menschen wird sie >das große Ödland< genannt, der Boden ist dunkel, ebenso die Bäume und der Himmel. Evelance (elf. Name Thenodya) ist die größte Stadt, Kherum mit einer Säule der Hauptmagie die Hauptstadt. Kherum ist recht klein, dennoch finden sich dort sowohl Gildenhäuser als auch das Gebäude eines -> Magischen Zirkels. Selbiger soll angeblich Bücher von allergrößtem Wert besitzen, welche nicht einmal für die Hüter zugänglich sind. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma- Oz




Wirklich besser fühlte ich mich nicht. Meiner Schulter schmerzte noch immer, auch mein Kopf puckerte vor sich hin. Dennoch war mir genug Gesundheit bescheinigt worden, damit ich aufstehen konnte. Dennoch verbrachte ich die meiste Zeit in meinem kleinen Zimmer, vornehmlich im Bett. Die Wirkung des Giftes ließ nur sehr langsam nach, trotzdem fühlte ich mich hundeelend. Valle ließ mich weitestgehend in Ruhe, verbrachte viel Zeit in den verschiedenen Regionen der Insel, meist in Yelas Begleitung.
Lysa hatte sich mir bisher nicht erklärt, war aber auch kaum zu sehen gewesen, seit ich in ihrem Beisein aufgewacht war. Ich hoffte immer noch auf eine Erklärung ihrerseits.
Ich hatte die Zeit genutzt, um mein Zauberbuch weiter durch zu arbeiten. Ich hatte mir vieles angelesen, was ich üben musste, wenn ich wieder fit war.
Wenn. Denn momentan lag ich im Bett, Kopfschmerzen, Schmerzen in der Schulter, hundemüde, halbtot. Hrgn.
Es klopfte, Lysa steckte den Kopf zur Tür herein.
„Darf ich reinkommen?“, fragte sie. Sie sah müde aus, besorgt, geschafft. Ich nickte. Sie trat ein, schloss sorgfältig die Tür hinter sich, setzte sich neben mir auf das Bett.
„Nicht viel besser?“
„Nicht wirklich.“ Und das stimmte. Sie drehte sich ein Stück. Ihr Haar war nur noch schulterlang, eine Strähne fiel ihr ins Gesicht. Sie trug ein weißes Kleid, das mich entfernt an ein Brautkleid erinnerte. Dazu kniehohe, violett-silberne Stiefel. An den Händen zwei violette Stoffbänder, wie Stulpen gewickelt. Ihre Haut war sonnengebräunt. Sie war wirklich wunderschön.
„Darf ich mal?“, fragte sie, deutete auf meine Schulter.
„Wenn du möchtest.“ Ich richtete mich auf, zog vorsichtig mein Hemd aus. Jede Bewegung schmerzte. Sie setzte sich auf meine andere Seite, berührte mich am Rücken, löste den Verband.
„Man möchte meinen, dass das eigentlich besser verheilen sollte.“, murmelte sie.
„Möchte man. Sieht nicht gut aus?“
Nicht wirklich. Nettes Tattoo übrigens.“ Upps. Das hatte ich total vergessen… Ein Rabe zierte meine linke Schulter, fliegend. Sah an sich ganz gut aus. Egal, Themawechsel. Dringend.
„Lysa?“
„Ja?“ Sie legte vorsichtig ihre Hand auf die Wunde. Ich spürte, wie ihre heilende Magie warm durch mich hindurchfloss.
„Sag, was hat es mit diesem Seelenturm auf sich?“ Sie sagte eine Weile lang gar nichts. Ihre Finger fuhren über meine Schulter.
„Der Turm… Allein das Gebäude ist seltsam… Egeha ist eigentlich ein friedlicher Landstrich. Warst du schon mal da?“ Ich nickte. „Und? Ist dir was Besonderes aufgefallen?“
„Naja. Dieser seltsame Turm, den man eigentlich von überall her sieht.“
„Sonst noch etwas?“
„Ziemlich viel sichtbares Mana.“
„Genau. Ziemlich viel sichtbares Mana.“ Sie zerbiss jedes Wort. Vorsichtig verband sie die Wunde wieder.
„Dafür gibt es natürlich eine Erklärung?“
„Richtig. Der Turm. Seine Spitze hängt hoch in den Wolken, Wolken, die größtenteils aus Manaschwaden bestehen.“ Sie setzte sich wieder auf die andere Seite. Sie sah traurig aus.
„Monster leben dort. Verdorben vom Leid, dass in diesem Landstrich herrschte. Monster, angeführt von einem Schlangenwesen, dem Scale Terrain. Sie sind zu viele, der Terrain ist zu stark, als das wir sie besiegen könnten. Dunkelheit und Leid nähren sie… Deshalb wurde der Turm mit Bannsiegeln verschlossen. Zwei von außen, sodass nichts nach außen dringen kann. Dennoch kommen Magier und Manamanipulierer hindurch. Sie kämpfen immer wieder gegen die Untoten und Monster, die die unteren Etagen bewohnen. Doch egal, wie viele besiegt werden, es kommen immer neue nach. Ein Fluch liegt über dem Land.“
„Und diese Siegel sind gebrochen?“
„Halt, warte, das war noch nicht alles. Die höheren Etagen sind extra verschlossen. Ein weiteres Bannsiegel findet sich vor der achten Etage, eines darin. Die neunte Etage ist doppelt verschlossen, innerhalb der Neunten befindet sich ein weiteres Siegel. Drei Siegel verschließen die oberste Etage, eines befindet sich auf dem Weg in die Kuppel, das letzte und stärkste verschließt die Kuppel selbst. In der Kuppel wandelt der Terrain.“
„Warum so viele Siegel in den oberen Etagen?“
„Je weiter man nach oben kommt, desto zahlreicher und böser werden die Wesen. Starke Magier können das Bannsiegel zur achten Etage noch durchdringen, spätestens am Aufgang zur neunten Etage ist Schluss.“
„Und trotzdem wurden die Siegel gebrochen? Obwohl sie so stark waren?“
„Die meisten waren altersschwach. Allein schon, weil nur noch einer der ausführenden Magier lebte. Ein Missstand, der sich nun rächte. Wobei, an sich war es ganz gut, dass die Siegel fielen.“
„Ausführenden Magier?“, echote ich. „Und warum ganz gut?“
„Bannsiegel werden meist von mehreren Magiern beschworen, dann sind sie stärker. Stirbt ein Beteiligter Magier, verlieren sie an Kraft, stirbt der Letzte, bricht das Siegel. Von den Magiern, die die Siegel des Seelenturms erschaffen haben, lebt nur noch Lany. Deswegen gab es diese Siegel überhaupt noch. Und ganz gut“, sie seufzte, „weil ich dadurch forschen konnte. Wobei mir meine Ergebnisse nicht sehr gefallen…“
„Forschen? Was denn?“
„Das wirst du noch früher erfahren, als dir lieb ist. Aber nicht jetzt.“ Immer wieder dieses vertrösten auf später. Und da sollte ich helfen können? Wenn ich immer als Letzter von irgendetwas erfuhr?
„Wenn dieser Turm so gefährlich ist… Warum >beseitigt< man ihn denn nicht?“ Lysa lachte bitter auf.
„Der Turm SELBST ist die Manifestation des Dunkels. Das Leid und die Dunkelheit, die über Egeha kamen, wurden vom Mana absorbiert, und dieses festigte sich zu diesem dunklen, hohen Turm aus schwarzem Stein, der hoch in den Bergen thront, in den Ruinen einer Burg. Ein Mahnmal… Ein Fluch, der seitdem über dem Land hängt.“
„Und wer hat dieses Leid verursacht?“ Sie sah mich an, ihre Augen blitzten.
„Menschen. Machthungrige Menschen. Ein König, der das Land in seines einverleiben wollte. Krieg. Langer, dunkler Krieg.“ Sie sah wütend aus.
„Du warst damals dabei?“ Sie seufzte.
„Nein. Das ist solange her… zu dieser Zeit befand ich mich noch in Sanctum, in der Stadt der Hochelfen. Du wirst wohl keinen direkten Augenzeugen finden.“ Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre, sie rührte sich nicht.
„Menschen sind schlecht. Aber Elfen genauso.“ Ihr Haar verdeckte ihr Gesicht.
„Übrigens. Es war keine gute Idee, deinen Freund mitzubringen.“
„Warum das denn? Mal abgesehen davon, dass >mitbringen

Kapitel 39



“You stand accused of robbery”, he heard the bailiff say

-Nightwish, Over the hills and far away



>>Magische Zirkel sind selten gewordene Vereinigungen von Menschen, die magische Schriften sammeln und behüten. Auf Montenique gibt es noch drei solcher Zirkel: den Magischen Zirkel zu Kherum, den Orden Romanias und den hohen Orden der Kleriker, beheimatet in Sanctum. Das eifersüchtige Wachen der Zirkel über ihr Wissen hat nachteiliger weise zur Folge, dass niemand sonst Zugang zu den Schriftstücken hat, nicht einmal die Hüter. Es sind >Zwischenfälle

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma- Oz



Lakin war wirklich eiskalt. Es war ein recht kleines Städtchen, aber gut befestigt. Es erstreckte sich inmitten einer Wüste aus Schnee und Eis und lag zu Füßen eines Berges, welcher von einem Schloss geziert wurde. Kleine Häuser drängten sich hinter den hohen Mauern der Stadt zusammen, das Wasser des Brunnens in der Mitte des kreisrunden Marktplatzes war gefroren. Wenige Menschen waren zu sehen, die meisten in dicke Pelze gewickelt. Diejenigen, die in ihren Eisenrüstungen steckten, beneidete ich nicht.
Die Mauern hatten nach Süden gerichtet eine Lücke, das Holztor, das diese gewöhnlich verschloss, stand offen. Dahinter erstreckte sich eine lange, weiße Fläche. Links schimmerte eisblau ein gefrorener See. Dunkle Gestalten trieben darauf ihr Unwesen.
In meinem Buch hatte ich ein Kapitel über den Krieg gefunden, von dem Lysa geredet hatte. Egeha und Tarian lagen eng zusammen, in Egeha fanden die Seelen der Toten keine Ruhe. Und auch hier, im ewigen Eis, kehrten sie immer wieder zurück und Überfielen Wanderer und die hier lebenden Menschen. Im Gegensatz zu Egeha geisterten hier aber auch die Seelen von Wald- und Hochelfen umher. Auch ihren Zorn spürten die Menschen oft. Jedes Mal eilten die Gilden und die Mitglieder der königlichen Garde zu Hilfe. Dennoch siedelte sich in Lakin selbst keine Gilde an.
Man hatte mir gesagt, dass ich Valentin hier finden würde. Er beteilige sich rege an der Verteidigung der Städte, hatte man mir gesagt.
Etwas außerhalb der Stadt fand ich ihn. Er trug irgendetwas zwischen Lederrüstung und Pelzmantel, dazu einen Bogen. Selbiger war rot-blau, violette Details waren zu sehen. Ein Nebel blauen Manas umschwebte den Bogen, nur für uns Magier zu sehen.
Ich setzte mich auf einen Findling, der in der Landschaft lag, beobachtete Valle. Seinen gezielten Schüssen mussten sich mehrere Geister ergeben. Immer wieder verbanden sich die Pfeile mit einem Teil des Manas aus der Wolke um den Bogen, richteten größeren Schaden an. Klar. Die Juwelen, die in den Bogen eingesetzt waren, sammelten Mana und gaben den Pfeilen magische Fertigkeiten. So ähnlich hatte Yela das auch mal erklärt. In jeder Waffe, die man hier auf Montenique in die Hände bekam, waren Juwelen eingearbeitet, die Mana kanalisierten.
Ein weiterer Trupp Geister fiel den Pfeilen zum Opfer.
„Valle?“, rief ich laut. Er drehte sich um, winkte. Er schlängelte sich im gebührenden Abstand an weiteren Geistern vorbei, kam zu mir gerannt.
„Wieder fit?“ Er grinste.
„Mehr oder weniger. Ich brauche deine Hilfe.“ Er setzte sich zu mir.
„Wobei denn?“
„Wolfstraum hat etwas… über ein Buch erzählt. Es soll Informationen über die Hochelfen enthalten, vermutlich auch über die Dunkelelfen.“
„Prima. Und wo soll das sein?“
„In den Kellern eines Hauses eines magischen Zirkels.“
„Und das Problem ist welches? Es gibt doch eins, oder?“
„Die werden das Buch nicht freiwillig hergeben. Da liegt das Problem.“
„Und da soll ich dir jetzt wie helfen? Willst du da einbrechen?“
„Du hast es erfasst.“ Er sah mich skeptisch an.
„Und das soll gut gehen? Mal abgesehen davon, dass wir uns vermutlich strafbar machen…“
„Strafbar hin oder her, ich will dieses Buch. Darin stehen Infos, die wir brauchen.“
Er schwieg eine Weile, sah hinaus auf den gefrorenen See.
„Und wie stellst du dir das vor? Wenn ein solcher Zirkel seine Bücher bewachen will, wird er doch Zauber und Fallen zu deren Schutz haben.“ Hm. Stimmt, hatte ich mir keine Gedanken drüber gemacht…
„Naja. Die meisten sollten kein Problem für mich darstellen.“ Hoffte ich. „Hilfst du mir nun oder nicht?“ Er seufzte schwer.
„Natürlich helf ich dir. Auch wenn’s mir nicht gefällt. Aber ich werde noch jemanden organisieren, der uns zur Seite steht, in Ordnung?“
„Ist vielleicht sogar besser.“ Er nickte.
„Sonst wirklich alles in Ordnung? Du siehst geknickt aus.“
„Stimmt schon. Ist alles ziemlich kompliziert. Lysa wirft immer wieder neue Fragen auf.“
„Inwiefern?“
„Sie erzählte von Forschungen… Und vom Seelenturm. Sowas halt. Viel hat sie nicht gesagt, aber was sie sagte, klingt nicht allzu erfreulich.“ Was sie über Valle gesagt hatte, verschwieg ich. „Und nun ist sie wieder verschwunden.“
„Seltsames Mädchen. Irgendeinen Grund wird sie schon haben… Nach dem zu urteilen, was ich so alles über sie hörte, scheint sie sehr angesehen zu sein.“
„Scheint so. Ich versteh sie einfach nicht.“
„Denkst du, ich? Frauen kann man einfach nicht verstehen.“ Ich musste grinsen.
Es war düster in Kherum. Keine Lampen brannten, die Fenster waren dunkel. Einzig die Säule der Hauptmagie warf Dämmerlicht auf den Platz. Ich lehnte an einer Hauswand, wartete. Das Gebäude des Zirkels hatte ich im Blick, meinen Informationen und Beobachtungen nach waren nur wenige Mitglieder vor Ort. Und die schliefen.
Ich wartete nur noch auf Valle, dann sollte es los gehen. Ich hatte mir ein Fenster ausgesucht, dessen Zirkelbann (ähnlich den Bannkreisen/-siegeln, aber für den >alltäglichen Hausgebrauch

Kapitel 40



Is there a village inside this snowflake?

-Nightwish, Song of Myself


>> Feeby Samunia ist eine der Waldläuferinnen Monteniques. Sie ist die Anführerin der Garde, welche als eine Art >Polizei< fungiert. Sie verhält sich den Magiern gegenüber kühl, mit normalen Menschen wechselt sie kein Wort. Geflissentlich geht sie ihrer Arbeit nach, lässt sich dabei von Nichts und Niemanden stören. Selbst die Hochmagier, die meist vor Strafen gefeit sind (aufgrund ihrer allgemeinen Beliebtheit), erhalten bei ihr keine Sonderbehandlung. Sie sieht sich nur dem Gesetz gegenüber verpflichtet. Und natürlich ihrer Königin Ishin Yen´vela, welche als einzige befugt ist, Gardeleiterin Samunia Befehle zu erteilen. Sie verbindet eine enge Freundschaft mit -> Cara Dan´velej, der Beraterin Königin Yen´velas. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 6, Fa-Fu



Sie hatte uns Ketten um die Hände legen lassen. Idiotischer weise hatte ich mein Zauberbuch mitgenommen, was man nun bei mir fand. Als Beweismittel. Verflucht.
„Der feine Herr Hochmagier war also der Meinung, dass er und der Sinarél einen Einbruch in ein Gebäude eines magischen Zirkels begehen könnten, ohne gefasst und bestraft zu werden? Nur, weil ihr überall einen Sonderstatus habt? Typisch.“ Das würde kein gutes Ende nehmen.
„Gardeleiterin! Waldläuferin Samunia! Wartet!“ Lysas Stimme klang auf. Feeby fuhr herum.
„Ach, nein. Die hohe Klerikerin Ma´Savena mischt sich mit ein? Rührend. Sie bleiben nicht unbestraft!“ Sie fuhr einige ihrer Männer an. „Durchsucht sie! Vermutlich hat sie etwas damit zu tun!“ Lysa wich zurück. Plötzlich hatte sie wieder ihren violetten Stab in der Hand, wirbelte ihn durch die Luft. Die zwei Wachen gingen zu Boden.
„Denkt nicht einmal daran, Gardeleiterin!“
„Hat die Hochelfe etwa etwas zu verheimlichen?“, gab Feeby drohend zurück.
„Nicht, das ich wüsste. Nur habe ich mich Euch gegenüber nicht zu rechtfertigen, Waldläuferin.“ Lysa stand leicht geduckt da, bereit, in Aktion zu treten, sollte es notwendig werden.
„Warum warst du dann hier, Klerikerin? So bemerkenswert kurz, nachdem wir die zwei fassten!“
„Auch das geht Euch nichts an, Gardeleiterin.“ Zwei weitere Männer kamen von der Seite angelaufen, Yilduna gefesselt zwischen sich.
„Gardeleiterin! Wir haben die Assassine der Anxifer erwischt! Sie trug dieses Buch aus dem Inventar des Zirkels bei sich.“ Feeby hob eine Augenbraue.
„Also eine Gildensache der Anxifer? Interessant. Das war wohl Anxifers letzter Fehler…“
„Gardeleiterin! Ihr wisst nicht, was Ihr hier stört!“
„So? Weiß ich das nicht? Was ich hier >störe< ist ein krimineller Akt! Vermutlich ist er… Nein! Ihr beide.“ Sie deutete zuerst auf Lysa, dann auf mich. „Natürlich. Sein Auftreten, dein Verschwinden, das Fehlverhalten der Wesen! Es passt zusammen! Ich habe euch überführt!“
„Das sind haltlose Anschuldigungen!“ Lysa wurde laut.
„Haltlose Anschuldigungen?!? Es passt alles zusammen! Ihr zwei-“ Eine schlanke Gestalt trat ins Dämmerlicht der Säule, Feeby unterbrach sich.
„Meine Damen. Contenance.“, sagte Mike ruhig. „Keinen Streit. Es gibt für alles sicherlich eine simple Erklärung.“
„Sie!“ Feeby zeigte wieder auf Lysa und mich, „Sie sind schuld! Ich hab sie!“ Mike hob beschwichtigend die Hände.
„Gardeleiterin Samunia. Ich bürge für Erik und seine Unschuld. Warum hat man die zwei gefasst?“ Feeby lockerte sich. Lysa stand immer noch geduckt da.
„Sie brachen in das Gebäude des Zirkels ein und stahlen diese zwei Bücher hier.“ Mike lächelte ein wenig.
„Nun, für den >Diebstahl

Kapitel 41



Where the air tastes like snow music Where grass smells like fresh-born Eden

-Nightwish, Song of Myself


>>Beraterin Cara Dan`velej ist die engste Vertraute Königin Ishin Yen´velas. Sie ist eine der Waldläuferinnen, die den Wald Malanas nicht verließen und in Fanuría leben. Sie empfängt die Gäste der Königin und ist speziell für die Betreuung der Zauberer und deren Begleiter in Fanuría zuständig. Sie verbindet eine enge Freundschaft zu Gardeleiterin Samunia. Caras Schwester Zephyria Dan´velej ist die Wegbegleiterin Yeldrish Yen´velas, der jüngeren Tochter der Königin. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 4, C-Do



In einem Hinterzimmer der örtlichen Taverne, zu später Stunde noch belebt, hatten wir uns zusammen gesetzt. Lysa wirkte wie ein gehetztes Tier, während Mike langsam auf und ab ging.
„Lysa, eine Sache möchte ich wissen.“, sagte er schließlich. Lysa sah zu Boden.
„Warum ich die Bannsiegel des Seelenturms gelöst habe?“
„Gut, dass du weißt, worauf ich aus bin.“ Lysa schwieg.
„Lysa, Bitte. Wir wissen, dass du das warst. Wir haben theoretisch genug Beweise, dich ewig wegzusperren. Red mit uns!“ Was? Wie?
„Dann sag mir wenigstens, ob das dein privater Kleinkrieg ist, in den du ihn reinziehst, oder eine Sache des Ordens.“ Kleinkrieg? Reinziehen? Mich? Halloooo? Lysa sah beiseite.
„Es ist meine Sache. Der Orden hat damit nichts zu tun. Denke ich.“ Was war hier eigentlich-
„Hohe Klerikerin“, meldete Ishin sich zu Wort, „mit Auftreten Drachenzunge Eriks wurdest du unaufmerksamer. Ich konnte deine Spuren bis zu unserem Hüter des Waldes zurückverfolgen. Du hast ihm den Wortlaut der Prophezeiung übermittelt? Ist das ursprünglich eine Sache der Hochelfen? Lysarya, bitte, rede.“ Lysa sah auf, ihr Blick huschte zu mir.
„Ich rede. Aber erst müssen sie gehen.“ Bitte? Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich werde nirgendwo hin gehen, bevor ich nicht erfahren habe, worum es hier geht.“ Lysas Faust knallte auf den Tisch.
„Um DICH geht es, du Trottel!“, rief sie. Ich schrak zusammen.
„Erik, Valentin, geht bitte. Ich erzähl euch nachher, worum es geht.“, sagte Mike leise. Widerwillig stand ich auf, Valle zog mich mit vor die Tür.
Wo ich erst einmal lauthals fluchte.
„Ich versteh das nicht! Es geht um UNS-“
„Um DICH“, fiel Valle mir ins Wort. Irritiert hielt ich inne.
„Es geht um dich. Nicht um uns. Das wollte ich damit sagen.“
„Nein. Um uns. Leider hängst du da auch mit drin.“ Ich drehte mich um, begann, auf und ab zu laufen. „Ich kapier das trotzdem nicht! Warum werden wir jedes Mal ausgesperrt, wenn es Informationen gibt? Was nutzt das?“
„Gute Frage. Kann ich dir aber auch nicht sagen. Und hör auf hier rum zu rennen, du machst mich nervös.“
„Entschuldige.“ Ich setzte mich zu ihm auf die Treppe. „Und nun?“
„Warten. Ich hoffe, dass wir wenigstens das Buch bekommen. Das könnte uns helfen. Wenn wir nichts gesagt bekommen, suchen wir eben selber.“ Ich nickte müde.
„Gute Idee.“ Ich lehnte den Kopf gegen die Wand. N bisschen Schlaf würde nicht schaden…
Die Tür schwang auf, Lysa rannte heraus. Valle und ich donnerten gegeneinander, als wir aufsprangen.
„Aua, Mist.“ Er rieb sich den Kopf, ich mir die schmerzende Schulter. Ishin erschien im Türrahmen.
„Sinarél? Ich möchte dich sprechen.“ Sie ging an uns vorbei, nach draußen. Valle folgte ihr.
„Und du kommst her.“, meinte Mike. Ich betrat den Raum. Auf dem Tisch lagen die beiden Bücher, meines, und das >frisch Erworbene

Kapitel 42



All that great heart lying still and slowly dying All that great heart lying still on an angelwing

-Nightwish, Song of Myself


>>Mooraska ist eine Landschaft der Insel Lesestia, Nachbarinsel Nevestias. Mooraska ist dunkel und kalt, ähnlich >entstellt

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma- Oz



Das Buch erwies sich nicht gerade als hilfreich. Die meisten Seiten waren unbrauchbar, zerstört. Geschwärzt von Ruß, zerfallen, unrettbar verloren. Die wenigen Seiten, die lesbar waren, waren in einer komplett fremden Sprache verfasst, die hier niemand lesen konnte. Lany verzweifelte darüber, auch Yela und Königin Ishin hatten keine Ahnung, welche Sprache das war, und wie man sie übersetzte.
Ich saß wieder auf dem Brunnenrand in Randol. Valle war mit Yeldrish Yen´vela unterwegs, die beiden waren ein gutes Team, was das Zurücktreiben Untoter anging.
In meinem Magiebuch war ich mittlerweile zu den hinteren Kapiteln gekommen. Dort stand etwas über eine Gesellschaft von Magiern, die auf einer Nachbarinsel Monteniques lebten. Auf keiner der Karten, die im Gildenhaus lagerten, war diese Insel verzeichnet. In einem Lexikon hatte ich zwar den Namen der Insel und des Gebietes gefunden, aber keine genauen Koordinaten. Von Lesestia war die Rede gewesen. Und Mooraska, wo eine geschlossene Gesellschaft von Magiern lebte, die Schattenpriester. Mein Magiebuch sprach von Schwarzmagiern, aber das war alles, was ich daraus erfuhr. Eine Darstellung war mir in die Hände gefallen. Laut dem Lexikon waren die Schattenpriester eine Mischung aus Menschen und Dämonen. Ihre Haut war blass, meist blau bis violett, ihre Augen rot. Die Hände ähnelten meist Klauen. Alle hatten schwarze Flügel.
Flügel.
Diese Gesellschaft weckte mein Interesse. Aber auch hier würde es sehr schwer werden, jemanden zu treffen. Auch die Schattenpriester lebten sehr zurückgezogen, zumal niemand wusste, wo ihre Insel lag. Also wieder nichts. Auf dem Markt herrschte Stille. Momentmal, Stille? Zur Mittagszeit? Auf Randols Markt? Das widerprach sich.
Ich sah von meinem Buch auf. Es herrschte immer noch geschäftiges Treiben. Aber es war bedeutend leiser geworden. Vor allem blickten die Menschen immer wieder verstohlen in eine bestimmte Richtung. Dort hatte sich der Platz geleert. Zwei Gestalten standen dort im Halbdunkel. Sie trugen schwarze Umhänge mit schwarzen Kapuzen.
Eine kleine Gruppe Einwohner drängte sich dicht am Brunnen vorbei. Ein Mann löste sich aus der Gruppe, trat zu mir.
„Hoher Hüter, bestünde die Möglichkeit, dass Ihr… eventuell…“ Er deutete verstohlen zu den zwei Gestalten hinüber. „Könntet Ihr sie bitten, zu gehen?“ Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Und warum?“
„Wo sie auftauchen, geschieht ein Unglück. Bitte, hoher Hüter, schickt sie fort!“ Aha. Also, Abergläubisch waren die Menschen Randols sicher nicht. Kein bisschen. Ich klappte mein Buch zu, stand auf, nickte dem Mann zu und ging langsam in die Richtung der zwei Gestalten. Ich spürte die Blicke des gesamten Platzes auf mir. Unsicher blieb ich etwa zwei Meter von den Gestalten entfernt stehen.
Eine bewegte den Kopf, zwei stechend rote Augen blitzten mich an. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Umhänge nicht glatt über die Rücken der Gestalten fielen. Das ging nun doch schneller und einfacher als ich gedacht hatte.
„Du willst uns vertreiben, Weißmagier?“, erklang eine zischelnde Stimme.
„So verlangen es die Bürger von mir. Dennoch liegt es mir fern, den Herren Aufenthaltsvorschriften zu machen. Ich hätte vielmehr die Frage, ob die Möglichkeit bestünde, sich für einen kurzen Zeitraum aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, wahlweise in eine Gaststätte, sodass ich den Herren eventuell ein paar Fragen stellen könnte? Oder darf ich anderweitig behilflich sein?“ Klang grad überhaupt nicht nach mir, aber besser erst mal überfreundlich. Ich wollte schließlich was von ihnen. Die Gestalten sahen sich kurz an, dann ergriff der Linke, der gerade schon zu mir gesprochen hatte, wieder das Wort.
„Wir gehen auf deine Bitte ein, Weißmagier. Allerdings noch nicht jetzt. Wir werden zu eurem Gildenhaus kommen. Heute Abend.“ Super.

„Du hast WAS?!“, fragte Yela laut. „Du bist wahnsinnig! Schattenpriester? In der Gilde?“
Es war dunkel, die erhellten Fenster des Gildenhauses gaben wenig Licht. Yela saß auf einer Seitentreppe aus Stein, sah mich mit großen Augen an. Valle saß gemütlich links neben ihr (mein Links) auf einem Baumstumpf, ich stand. So gesehen bildeten wir ein super Dreieck.
„Und was ist daran schlimm?“, fragte Valle. „Ich meine, so schlecht können sie ja nicht sein, wenn sie Montenique betreten dürfen.“ Yela sah ihn schief an.
„Schon, aber… Sie sind nicht sehr beliebt.“
„Und das soll ein Hindernis sein?“, fragte ich skeptisch. „Nach dem, was ich erfahren hab, sind die Schattenpriester eine alte Gesellschaft von Gelehrten. Vielleicht können sie die Sprache in dem Buch entziffern.“ Yela sah mich nachdenklich an. Dann grinste sie.
„Du bist gut, Erik. Hinterhältig fast. Richtig gut.“ Bitte?
„Ähm..“
„Na, komm. Gib´s zu. Du hast die obligatorische Nachrichtensperre, vom Mike höchstpersönlich auferlegt. Die einzigen, die Mike NICHT befehligen kann, sind die Priester. So hab ich dich gar nicht eingeschätzt!“
„So war das ursprünglich nicht gedacht. Eigentlich.“
„Jetzt tu nicht so. Klasse Idee!“ Valle und ich sahen uns an, grinsten beide. Da unterstellte mir Yela mehr, als ich geplant hatte.
„Sag mal, was ist eigentlich dein Talent?“, fragte Yela unvermittelt.
„Talent?“, echote ich. Was sollte denn die Frage.
„Na, Mike zum Beispiel ist ein super Pianist. Und kann nebenbei bemerkt sehr gut zeichnen. Lany ist ein Zeichner, Perry und Sirius eher Musiker. Reg schraubt gerne Sachen zusammen. Jeder Hüter hat ein kreatives Talent. Was ist deins?“ Kreatives Talent?
„Er nimmt auf, wie er beim Spielen alles falsch macht, quatscht dazu super blödes Zeug und stellt die Videos dann ins Internet.“, meine Valle trocken. Yela sah ihn an, zog eine Schnute.
„Ich mein das Ernst, Valentin.“
„Ich auch.“ Ich musste lachen. Mein bester Freund und eine Waldelfe stritten sich über den Ernst von Let´s-Play-Videos. Einfach schön.
„Ich hätte ja eher auf Radiomoderator getippt. Bei der Stimme.“, meinte Yela.
„Danke sehr.“ Sie lachte.
„Wenn ich mal bei euch aufschlage müsst ihr mir mal zeigen, was ihr da macht.“
„Liebend gern.“ Valle setzte sich anders hin.
„Und zum Griechen müssen wir dich mitnehmen.“
„Zum Griechen? Wie multikulturell.“
„Ein Restaurant, Yela.“
„Erik, du bist gemein. Jetzt hab ich Hunger auf Oliven.“ Wir lachten.
„Was tuschelt und lacht ihr denn zu später Stunde hier draußen?“ Wir fuhren alle drei zusammen, ich wirbelte herum. Lany stand da, sein schwarzes Pferd am Halfter.
„Die beiden planen ein Attentat auf mich!“, sagte Yela gespielt entsetzt.
„Ach so?“
„Ja! Wenn ich die zwei Mal besuche. Und Erik ist fies.“
„Warum das denn?“
„Oliven.“ Sie sah geknickt drein.
„Huch, wie gemein.“ Lany lächelte. Er führte sein Pferd an uns vorbei Richtung Stallungen.
„Achja, Erik? Zwei Schattenpriester fragten nach dir. Pfiffiger Schachzug.“
„Du nicht auch noch.“, seufzte ich.
„Weißt du, ich bilde seit dreitausend Jahren Hüter aus. In dieser Zeit ist niemand auf die Idee gekommen, während der Nachrichtensperre die Schattenpriester zu befragen. Gewieft.“ Er bog um die Ecke, verschwand im Dunkeln.
„Warum unterstellen mir eigentlich alle Absicht?“
„Weil es so aussieht.“ Yela lachte wieder. „Er ist wohl stolz auf dich, obwohl er mit deiner Ausbildung nichts am Hut hat. Herzlichen Glückwunsch.“
„Meinst du, sie können mir genau das erzählen, was alle anderen mir verschweigen wollen?“ Sie hielt inne, sah mich an.
„Nicht alles, jedenfalls.“
„Heißt?“
„Sie können dir – euch“, sie sah kurz zu Valle, „das sagen, was ich euch auch sagen könnte. Die genauen Informationen haben auch sie nicht.“
„Und was kannst du uns sagen?“, fragte Valle langsam. Hoffentlich biss sie an. Yela sah zwischen uns hin und her, sah traurig aus.
„Ich, also… Mike könnte mich dafür häuten, das wisst ihr hoffentlich.“ Sie seufzte. „Aber ich mag euch. Darum sag ich´s euch. Ihr zwei – ich geh jetzt einfach mal davon aus, dass euch ein Mentalband verbindet- ihr zwei habt eine Aufgabe. An sich ist das die des Hüters, aber…“
„Und was für eine?“, fiel ich ihr ins Wort.
„Das weiß ich nicht. Ich denke, es hängt mit unseren gegenwärtigen Problemen zusammen, aber ich weiß nicht genau, was du tun musst.“
„Und woher weißt du, dass er- dass WIR hier was zu erledigen haben?“, fragte Valle.
„Weil es so ist. Jeder Hüter hat eine Aufgabe. Jeder Hüter muss sie erfüllen, wobei nur der letzte Hüter das kann. Quasi der, der als letztes seine Macht erhält. Der, der quasi… na, der letzte halt. Das ist eine Sache, die Lany besser erklären kann.“
„Nur der letzte Hüter kann diese Aufgabe erfüllen? Angenommen, Erik wäre nicht der letzte. Was dann?“, fragte Valle, offenbar alarmiert. Auch ich war nicht sehr glücklich über Yelas Worte. Yela atmete tief durch.
„Im Bestfall – für euch natürlich- kommt ihr unbeschadet davon. Das Ego angekratzt, die Gesamtsituation keinen Deut besser, aber ihr seid heil.“
„Und im Schlimmstfall?“, bohrte ich nach.
„Personenschaden. Also ein Erik und ein Valle weniger.“
„Und wie hoch stehen die Chancen, dass ich diese Aufgabe erfüllen kann?“ Yela dachte nach.
„Naja. In Anbetracht der Tatsache, dass du der erste Hüter bist, der diese verschiedenen Fähigkeiten hat… Damit der erste deiner Art, sozusagen… Kleiner gleich Null.“
Oha.
„Aber meiner bescheidenen Meinung nach… ich würde sagen, ihr schafft das.“
„Und wie kommst du zu der Annahme?“ Sie sah mich gequält an.
„Ich kann das nicht begründen. Ich glaub´s einfach.“ Prima. So gesehen war mein Ableben an sich beschlossene Sache.
„Was ist wenn-“
„Erik, bitte. Verzettel dich nicht. Es ist einfach so. Mach dir bitte nicht weiter Gedanken darüber. Jetzt weißt du übrigens, warum du das eigentlich nicht erfahren solltest. Tut mir leid.“ Sie sah zu Boden.
Nein, eigentlich wär es wohl besser gewesen, hätte ich das nicht gewusst.
Und nun?

Kapitel 43



I see a slow, simple youngster by a busy street, with a begging bowl in his shaking hand.
Trying to smile but hurting infinitely. Nobody notices. I do, but walk by.

-Nightwish, Song of Myself


>>Jeder Hochmagier ist einem bestimmten Tier zugeordnet, zu dessen Art er eine besondere Beziehung pflegt. Admiral Atlan beispielsweise hat eine besondere Bindung zu Pferden. Das magische Amulett eines vollwertigen Hüters hat die Form des jeweiligen Tieres. Meistens kann der Hüter mit den Tieren kommunizieren oder gar in deren Geist schauen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 21, Ta-Va



Es regnete. Passend zu meiner Stimmung. Es war mittlerweile stockfinster, ich war allein. Yela und Valle waren ins Haus gegangen, hatten mich allein gelassen. War auch besser so, ich musste nachdenken. Die anfänglich so gute Stimmung des Abends war verflogen, eine Art dunkler Schleier hatte sich über uns gelegt. Zu allem Überfluss schmerzte meine Schulter schonwieder. Und die zwei Schattenpriester waren auch noch nicht aufgetaucht. Bilanz: sehr schlechter Abend.
Der Regen war stärker geworden, passte sich meiner Stimmung optimal an. Yelas Worte kreisten immer wieder durch meinen Kopf. >Im Schlimmstfall Personenschaden. < Hatte ich überhaupt eine Chance? Egal, wie ich mich beweisen musste- würde ich das schaffen? Konnte ich überhaupt noch meinen Kopf aus der Schlinge ziehen?
„Ihr solltet weniger nachdenken, Weißmagier. Es gibt Dinge, die unabänderlich sind. Auch Eure Zukunft. Doch vor dieser solltet Ihr keine Angst haben.“ Ich sah auf. In einen tropfnassen Umhang gehüllt stand eine der Gestalten von heute Mittag vor mir. Die roten Augen leuchteten. Ich richtete mich auf.
„Keine Angst? Wenn die Zukunft mein Scheitern voraussieht?“
„So ist es doch Eure Zukunft, Weißmagier. Ihr könnt euch selbiger nicht entziehen. Also akzeptiert sie.“ Seine Stimme zischte. Er wirkte an sich wenig Vertrauenserweckend, dennoch war er mir irgendwie sympathisch.
„Akzeptieren ist nur gar nicht so leicht.“
„Ganze Gesellschaften basieren auf Akzeptanz. Dennoch fällt es vielen schwer, diese auch auf sich selbst zu beziehen. Ihr hattet Fragen, Weißmagier?“
„Ja, einige, wenn Ihr bereit seid, diese zu beantworten.“
„Ich werde nach der Frage selbst entscheiden, ob sie es wert ist, beantwortet zu werden.“
„Wo ist eigentlich Ihr Begleiter?“
„Dakhras verblieb in Obhut der Equilibrium. Mehr müsst Ihr nicht wissen, Weißmagier.“
„Und wie ist Euer Name?“
„Namen sind nur Schall und Rauch. Aber wenn Ihr ihn hören mögt, Weißmagier. Mein Name ist Dillios.“ Ich neigte den Kopf.
„Ich bin Erik. Würdet Ihr mir eventuell in das Innere des Hauses folgen? Ich möchte Euch etwas zeigen.“ Er neigte den Kopf, ich führte ihn herein. An den Besprechungsraum grenzte ein kleines Seitenzimmer, eingerichtet mit einem kahlen Tisch und mehreren Stühlen. Dorthin führte ich meinen Gast. Das Buch hatte ich dort bereits hingelegt. Er zog seinen Umhang von den Schultern, schwarzes Haar kam zum Vorschein. Und schwarze Flügel, eng an den Rücken angelegt. Federn.
„Euch dürstet nach dem Wissen einer alten Elfenschrift? So muss ich Euch enttäuschen, ich vermag die alte Sprache der Elfen nicht zu lesen. Wenige unserer Gelehrten können das noch. Zu lange liegt die Verbannung zurück, zu schwer wiegt das Verbrechen, begangen am eigenen Bruder. Doch kann ich Euch erzählen, was ihr Wissen wollt.“ Der erste Rückschlag, verbunden mit einem Freifahrtsschein.
„>Verbrechen?

Kapitel 44



The nightingale is still locked in the cage the deep breath I took still poisons my lungs
An old oak sheltering me from the blue sun bathing on its dead frozen leaves

-Nightwish, Song of Myself


>>Monteniques Völkergemisch ist sehr bunt. Als erstes wählten Elfen die Insel als ihre Heimat, sie lebten auf dem fruchtbaren nördlichen Teil. Als erste Menschenrasse trafen einige Schiffe der Maya ein, deren Besatzung sich im Südwesten ansiedelte. Eine versprengte Flotte Römer tat es ihnen im Südosten nach. Sie lebten friedlich mit den Wald- und Hochelfen zusammen. Erst als weitere Menschen eintrafen und den Norden besiedelten, kam es zu Streit und Krieg. Landstriche veränderten sich, die Elfen zogen auf Nachbarinseln. Erst die Macht der Hüter, welche eine demokratische Instanz schufen, beendete diese Kriege. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 22, Va-Wa



„Wie kam es zur Veränderung dieser Landstriche? Wenn das früher alles urbares, grünes Land war… Warum liegt dann jetzt das ewige Eis über Lakin? Warum ist Dratan eine Wüste? Warum ist Strayanas Regen giftig? Warum Merak so düster?“ Die ganze Nacht hatte der Schattenpriester erzählt, im Morgengrauen waren wir bei Monteniques Geschichte angekommen. Seiner Erzählung nach war zunächst alles friedlich und grün gewesen, doch nun hatte sich vieles grundlegend verändert.
Der Regen hatte nachgelassen, wir hatten das Gildenhaus verlassen, spazierten nun am Waldesrand entlang. Ich löcherte ihn mit Fragen. Zum >Du

Kapitel 45



Black Wings I spread wide open

-ASP, Sing Child




>>Die Waffen der Manamanipulierer zeigen eine bunte Vielfalt an Juwelen, die darin eingesetzt sind. Jedes Juwel wird einem Element zugeordnet, wodurch sie besondere Fähigkeiten besitzen. Wassersteine haben Heilkräfte, Windsteine sind von Unterstützungsmagie beseelt, Erdsteine können mächtige Schilde errichten, Feuersteine beinhalten starke Offensivmagie. In die Waffen eingesetzt wird ihre Magie ohne großes Zutun des Trägers gelenkt. Nutzt man den Stein selbst, so kostet die Verwendung hohe Konzentration. Außerdem muss der Stein, anders als die Waffenjuwelen, nach jeder Benutzung erneut aufgeladen werden. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 11, In-Ku



Ich hatte meinen Weg allein fortgesetzt, saß nun auf einem Stein, die Säule der Hauptmagie im Blick. Mir schwirrte der Kopf. Aufgaben, Ziele, Elfen, Drachen, Schattenpriester, Mana. Wirklich ordnen konnte ich meine Gedanken nicht. Dazu Lysa… Warum hatte sie mir nicht erzählt, dass sie Ordensleiterin war? Dass sie immer noch im Auftrag des Ordens arbeitete? Noch dazu war sie mir in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen.
Die Bannkreise der Säule, gut sichtbare magische Zeichen, rotierten langsam um das blau-weiß leuchtende Zentrum.
>wird Eure Gemeinschaft Verluste erleiden…< Die Worte Dillios´ wollten mir einfach nicht aus dem Kopf gehen… Und, wenn wir gingen? Ich verwarf den Gedanken sofort. Egal, wie es ausgehen würde, die Elfen zählten auf mich. Ich konnte sie nicht einfach im Stich lassen.
Und Valle würde ohne mich nicht gehen. Mal abgesehen davon, dass ich auch davon nicht begeistert gewesen wäre. Blieb zu hoffen, dass Yela recht behalten würde…
Starker Wind kam auf, zerrte an den Ästen der Bäume.
Flap! Flap! Das Geräusch von Flügelschlagen erklang. Ein großer Vogel musste das sein… Ein Schatten legte sich über die Wiese, das Geräusch wurde lauter. Ich sah auf und zuckte sofort zusammen. Ein riesiger, rot-goldener Blitz flog über mich hinweg. Eine riesige, ledrige Schwinge berührte den oberen Bannkreis, das Wesen kippte darüber hinweg, legte die Flügel an. Vier krallenbesetzte Klauen gruben sich vor mir in den Boden, der schuppige Hals bog sich, es raschelte, ein großer Kopf hing dicht vor mir. Zwei durchdringende, hellblaue Augen fixierten mich. Ein langer, rotgeschuppter Schweif peitschte hin und her.
„Hallo.“, erklang eine laute, durchdringende Stimme. Wieder bewegte das Wesen sich, setzte sich auf die Hinterklauen, streckte die roten Lederschwingen, schüttelte den Kopf. Dann legte es die Vorderklauen überkreuz, ließ sich darauf nieder. Die goldenen, dicken Schuppen an Halsunterseite und Bauch knisterten leise.
„Jetzt mach den Mund zu. Noch nie einen Drachen gesehen?“ Der Drache schüttelte den Kopf wieder. „Offensichtlich hast du nicht.“ Er grinste (Konnten Drachen grinsen?), entblößte dabei zwei Reihen spitzer Zähne (Ja, dieser Drache konnte grinsen.).
„Trotz Informationssperre solltest du schon von mir gehört haben. Denke ich. Ansonsten sollte ich Lany doch einen Besuch abstatten, eine Berühmtheit wie ich darf doch nicht untergehen.“ Unverkennbar Ironie.
„Hat´s dir die Sprache verschlagen? Oder hast du deine Zunge verschluckt, als ich gelandet bin? Tut mir leid, aber erschütterungsfrei landen funktioniert mit diesem Gewicht nicht.“ Er stellte sich wieder auf, saß auf den Hinterklauen, stützte sich auf die Vorderklauen, legte den Schweif um sich. „Also?“
Da hatte es mir tatsächlich die Sprache verschlagen. Ist auch verständlich, schließlich war da ein etwa 30 Meter großer Drache vor mir gelandet. Einfach so.
„Bist du immer so gesprächig?“ Er schnaufte laut, kleine Rauchwölkchen stiegen aus seiner Nase auf. „Das immer alle Hüter solche Macken haben müssen. Und das nur, weil sie einem Drachen begegnen. Tu nicht so, ich weiß, dass dir gerade tausend Fragen im Kopf rumschwirren, richtig?“ Ich nickte. „Siehste.“ Wieder bog er den Hals, sein Kopf schwebte wieder dicht vor meinem. „Angefangen, mit der Frage, wer ich bin? Keine Idee?“ Ich schluckte. Doch, schon… „Spuck´s schon aus, ich will nicht ewig deine Gedanken lesen.“
„I- ich…“ Wieder schnaubte der Drache. „Du bist Arthoslor… oder?“
„Richtig. Gut erkannt, Junge. Und jetzt mach dir nicht vor Ehrfurcht in die Hose, ich bin lieb.“ Die Augen des Drachen blitzten auf. „Los, stell mir Fragen.“ Fragen hatte ich wirklich tausende, konnte die aber gerade nicht formulieren.
„Wie wär es mit der Standard-Frage?“ Wieder kräuselten sich kleine Rauchwölkchen aus seiner Nase.
„Was wollen die Dunkelelfen?“ Von allen möglichen Fragen war mir diese als erstes formuliert durch den Kopf geschossen. Der Drache hob den Kopf.
„Nanu, gar nicht die >Warum gerade ich

Kapitel 46



Remember me as I drift away convert with the voices far away.
Remember me as I walk away, to live is to die

-55 Escape, Angels and Demons


>>Der Hochelf Lukamaru Na´Avanan ist der höchste Magier der Hochelfen. Zusammen mit seiner Frau Lysarya Ma´Savena regelt er die magischen Belange der Hochelfen. Ebenso wie seine Frau ist er ein mächtiger Kleriker. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 13, La-Lu



Wassermassen rauschten die Felswand hinab, sammelten sich am Fuß des Berges und flossen gemächlich den Fluss entlang in einen See. Ein Regenbogen spannte sich über den Wasserfall, Arthoslor hatte sein Maul ins kristallklare Wasser gesteckt und trank in großen Zügen. Ich sah mir in der Zeit die Umgebung an. Der Fels überragte die Ebene um etwa hundert Meter. Die Wände waren scharfkantig und schroff, hier und da wuchs ein wenig Moos. Keinerlei Bäume, wenige, vereinzelt stehende Büsche, vornehmlich am Wasserlauf. Und hinter dem unbändig rauschenden Wasser war eine Höhle. Eine Höhle, in der jemand auf mich wartete.
„Er ist eigentlich recht nett. Zumindest, wenn man weiß, wie man mit ihm umgehen muss. Los, Marsch, durch.“ Arthoslor schnaubte. Ich nickte langsam, trat zu der Felswand.
„Ich warte hier. Aber rechne nicht damit, dass ich eingreifen werde. Ich bin nur dein Taxi.“
„Du kommst nicht mit?“
„Ach was, du kommst schon allein mit ihm klar. Aber pass auf den Hund auf, ja?“
„Hund?“
Der Drache lachte nur. Ich trat an den Fels heran. Eventuell gab es eine Möglichkeit, trocken in die Höhle hinter dem Wasserfall zu kommen. Und, siehe da, ein schmaler Spalt klaffte zwischen Wasser und Felswand. Vorsichtig schlüpfte ich hindurch, spürte dennoch feine Tropfen auf meinen Armen und im Gesicht. Die Höhle, die ich betrat, war relativ hell. Blaue und grüne Kristallformationen bedeckten Wände, Decke und Fußboden, von ihnen ging mattes Dämmerlicht aus. Vermutlich waren sie einmal verzaubert worden. Kies knirschte unter meinen Füßen als ich tiefer in die Höhle hineinging. Eine große Kaverne öffnete sich vor mir, anscheinend gab es nur diesen einen Eingang. Das Gestein war feucht, ich hörte Tropfen von Wasser zu Boden plitschen. Aber nirgendwo war eine Person zu sehen. Ich blieb stehen, drehte mich um meine eigene Achse. Die Kristalle funkelten still vor sich hin, die ganze Höhle glitzerte. Es war einfach wunderschön hier. Plötzlich hielt ich alarmiert inne, lauschte. Da war etwas gewesen, Schritte auf dem knisternden Kies. Ein Wolf jaulte auf, ich fuhr herum, blickte in zwei violette, glitzernde Augen. Vorsichtig trat ich einige Schritte zurück. Da das Wesen keine Anstalten machte, mich anzugreifen, betrachtete ich es genauer. Es hatte langes, glattes Fell, Bauch, Hals und Kinn waren weiß. Kopf, Pfoten und Rücken schimmerten grün-blau, einige goldene Federn hingen in dem perlenbesetzten Fell. Lange, spitze Zähne reckten sich mir bedrohlich entgegen, das Wesen knurrte. Goldene Reife klirrten an den Pfoten, an dem blau-goldenen Halstuch hingen Glöckchen, die bei jeder Bewegung des Wolfs klingelten. Diese Details verliehen dem Tier eine Art orientalischen Stil, wären die scharfen Zähne und Klauen nicht gewesen, es hätte beinahe niedlich ausgesehen.
„Enkidu, wer ist das?“, erklang eine dunkle Stimme. Ich fuhr zusammen, durch den Hall der Höhle klang es, als würde der Sprecher sehr nah bei mir stehen, und zwar auf jeder Seite. Suchend blickte ich mich um.
„Wer wagt es, den größten Schwertkämpfer der Welt aus seiner Konzentration zu reißen? Zeige dich, Sterblicher! Zeige dich und stelle dich dem Kampf mit mir!“
Im Dämmerlicht der regte sich etwas. Nein, jemand. Eine riesige Gestalt erhob sich hinter einem Fels. Sie war mindestens drei Meter groß, eher vier. Klingen blitzen, Glöckchen klangen, als die Gestalt auf mich zutrat. Plötzlich glühten die Kristalle auf, ich erhaschte einen ungetrübten Blick auf die Gestalt.
Sie war wirklich riesig. Ein Mann, dunkelhäutig, ein roter Umhang mit goldenen Verzierungen wehte um seine Schultern, ein weißer Federschmuck zierte seinen Kopf. Ein roter Streifen zog sich von der Stirn über den Nasenrücken bis zum Kinn, weiß umrandet. Aber das alles war nicht das beeindruckende an dem Mann.
Er hatte sechs Arme. Sechs Arme mit sechs Händen. Und in jeder Hand trug er ein Schwert.
„Du störst also meine Meditation, du Wurm?“, donnerte er. „Das war nicht klug! Kämpfe mit dem Schwertmeister Monteniques! Kämpfe mit Gilgamesch!“ Ich schluckte.
„Fass, Enkidu!“ Der Wolf sprang los, knurrte. Ich riss den rechten Arm zum Schutz hoch. Bitte nicht beißen. Der Wolf bremste vor mir ab, sah mich an. Seine kühle Nase berührte meine linke Hand. Langsam ließ ich den rechten Arm sinken. Anscheinend stand ich heute nicht auf der Speisekarte des Wolfes. Der Wolf erhob sich auf die Hinterläufe, legte die Vorderpfoten auf meine Schultern und leckte über mein Gesicht.
„Hey, lass das, das kitzelt!“ Der Wolf ließ von mir ab, setzte sich neben mir nieder und sah sein Herrchen herausfordernd an. Dieser brummte tief. Dann ruckte der linke obere Arm nach vorn, eine Schwertspitze zeigte auf mich.
„Kämpfe!“, donnerte er wieder. Und rannte auf mich zu. Ich sprang zur Seite, rollte mich ab und stöhnte auf. Verdammte Schulter! Ich zog meinen Dolch, sah auf. Im hellen Licht der Kristalle sah ich den Schwertkämpfer auf mich zu kommen. Ich sprang auf, duckte mich unter einer herab sausenden Klinge weg. Ich kam halb um den Hünen rum, blockte eine weitere Klinge mit dem Dolch ab. Wieder fuhr ein stechender Schmerz durch meine verletzte Schulter. Ich rannte zur gegenüberliegenden Höhlenseite. Das laute Lachen meines Gegners dröhnte in meinen Ohren. Ich stolperte, fiel der Länge nach hin. Er rammte ein Schwert dicht neben meinem Kopf in den Boden. Ich rollte auf den Rücken, sah ihn über mir stehen. Er drückte die Spitze eines Schwertes schmerzhaft an die Kehle. Ich spürte, wie warmes Blut meinen Hals herablief. Der Schwertmeister lachte laut auf.
„Und du willst der mächtigste Hüter sein? Du Sterblicher kannst nicht einmal mich besiegen!“ Er nahm die Klinge von meinem Hals. Er trat beiseite, ich setzte mich auf.
„Und du willst das Dunkle vertreiben…“, sagte er leise. Ich wischte das Blut von meinem Hals.
„Was verlangst du? Eins meiner Schwerter? Meine Schwertkünste? Oder gar den Stein?“ Mühsam kam ich auf die Beine.
„Eigentlich hat Arthoslor mich hierher gebracht. Er hat was von Waffen geredet… Und davon, dass ich Euch kennenlernen sollte.“ Ich verneigte mich tief vor ihm. Wieder donnerte das Lachen des Mannes durch die Höhle.
„Das Ordensschwert soll ich dir also geben, sterblicher Hüter.“ Er knurrte. „Niemals werde ich es dir geben! Du kannst mich nicht im Kampf schlagen!“
„Du wirst alles tun, was er verlangt, Gilgamesch!“, grollte Arthoslors Stimme durch die Höhle. Der Schwertmeister fuhr herum.
„Nichts dergleichen werde ich tun! Ich werde mich nicht dem Willen eines Grünschnabels unterwerfen!“
„Du wirst dich in seinen Dienst stellen, Schwertmeister! Gib ihm die Steine!“ Ich hob die Hände.
„Halt, halt, halt. Worum geht es hier eigentlich gerade? Hab ich auch ein Wörtchen mit zu sprechen?“ Enkidu, der Wolf, legte sich vor mir nieder. Er fiepte leise. Anscheinend behagte ihm die Auseinandersetzung nicht.
„Arthoslor, wenn er mir dieses Schwert nicht geben will, dann soll er das auch nicht tun.“ Gilgameschs Augen blitzten mich an. „Wenn er es wünscht, werde ich ihn im Duell besiegen. Später, wenn ich soweit bin.“ Der Hund sah auf, sein Herrchen entspannte sich ein wenig. Arthoslor schwieg.
„In Ordnung so?“, fragte ich leise.

Kapitel 47



This alliance will never be broken!

-Grailknights, Alliance


>>Gilgamesch war nach sumerischer Überlieferung König der sumerischen Stadt Uruk; zu einem Drittel menschlich und zu zwei Dritteln göttlich. Sein Name bedeutet Der Vorfahr war ein Held beziehungsweise Der Nachkomme ist ein Held. Das Epos erzählt, abhängig von der jeweiligen Fassung, von seinen Heldentaten mit dem von der Göttin Aruru erschaffenen menschenähnlichen Wesen Enkidu (das oft als Freund, teilweise aber auch nur als Diener in den Texten erscheint), thematisiert aber vor allem seine Suche nach Unsterblichkeit.<<

-Wikipedia, die freie Enzyklopädie



Zwar hatte Valle versucht, mich auszuhorchen, was das Gespräch mit Dillios und meine Abwesenheit tags darauf anging, aber ich hatte ihn nur bruchstückhaft informiert. Er musste nicht zu viel wissen, es reichte, wenn ich Bescheid wusste. Was überwiegend nicht der Fall war.
Inzwischen – drei Tage später- hatte ich den Grund für Lysas Reservation mir gegenüber kennengelernt: Lukamaru Na´Avanan. Er war ihr Mann, ein mächtiger Kleriker der Hochelfen. An sich war er nett. Trotzdem mochte ich ihn nicht wirklich, vermutlich wegen Lysa.
„Also, blocken kannst du super. Aber wie wär´s mal mit einem Angriff?“, fragte Lukamaru. Sein schlankes, silbernes Schwert glänzte in der Sonne.
„Glaubst du, ich kündige an, wann ich meine Taktik ändere?“, gab ich zurück. Er lachte. Sein schulterlanges, rotblondes Haar wehte im Wind.
„Du solltest eventuell lieber beim Zaubern bleiben. Steht dir besser.“
„Und du solltest eventuell weniger Reden und mehr Aufpassen.“ Er wich dem Schwung der Stahlklinge in meiner Hand galant aus. Aus der Drehung heraus hieb er zweimal schnell zu. Mein Schwert klirrte zu Boden, die Spitze seines Schwertes berührte meine Nase.
„Wie war das mit dem Aufpassen?“, fragte er spöttisch. Ich drückte die Klinge beiseite.
„Zufall.“, murmelte ich. Er lachte.
„Warum auch immer du die Kunst des Schwertkampfes erlernen willst, du brauchst noch sehr viel Übung. Ich empfehle dir immer noch, es sein zu lassen und lieber bei Zaubern zu bleiben. Da sollte deine Stärke liegen.“ Ich hob mein Schwert auf.
„Vielleicht. Aber ich hab´s wem versprochen.“ Lukamaru hob eine Augenbraue.
„Soso. Naja, wenn du meinst. Wie sieht´s aus, Hochmagier. Suchst du nach Beschwörungen?“ Sofort wurde ich hellhörig.
„Beschwörungen? Wie meinst du das?“ Er seufzte.
„Du weißt wirklich nicht viel. Ihr Hochmagier könnt Dämonen an euch binden, beschwören und kämpfen lassen. Aber so, wie du gerade gefragt hast, hast du wohl noch nicht gesucht.“ Ich schüttelte den Kopf.
„Offensichtlich nicht.“
„Solltest du aber mal. Und eventuell solltest du auch über einen Kleriker als Begleitung nachdenken. Der Waldläufer kann das nicht alles allein übernehmen. Zudem kann er nicht mal richtig zaubern…“
„Danke, aber ich bin sehr zufrieden.“, sagte ich kühl. Unter den Hochelfen war Valle nicht sehr beliebt, eben weil er nur über die magischen Edelsteine zaubern konnte. Aber das, meiner Meinung nach, recht gut. Zudem war er ein guter Schütze, konnte Spuren lesen und erkannte selbst die kleinsten Fitzelchen Mana, die mir meist verborgen blieben. Aber ein Stück weit musste ich Lukamaru recht geben – ein Kleriker konnte nicht schaden.
„Oh!“, machte der Kleriker. Ich sah auf. „Der Schwertdämon Höchstselbst gibt sich die Ehre…?“ Ich folgte seinem Blick. Am Rande des Sandplatzes war eine Gestalt zwischen den Bäumen zu sehen. Ein Raunen ging durch die Gildenmitglieder, die auf dem Sandplatz zum Training versammelt waren. Die Gestalt trat aus dem Schatten der Bäume ins helle Morgenlicht. Ich erkannte die Gestalt. Rotgewandet, sechs Arme… Gilgamesch, der Schwertmeister. Er sah sich kurz um, kam dann zielstrebig auf Lukamaru und mich zu. Der Hochelf hob warnend sein Schwert.
„Zurück, Dämon!“, sagte er leise, bedrohlich. Der Schwertmeister ignorierte ihn, sah mich an.
„Ich will mit dir reden, sterblicher Hüter.“ Ich nickte, naja, verneigte mich mehr. Er drehte wortlos um und ging Richtung Wald zurück.
„Reden?“ Lukamaru spie das Wort förmlich aus.
„Und wer war das jetzt?“ Valentin hatte sich unbemerkt genähert, Lukamaru und ich zuckten zusammen. „Tschuldigung“, murmelte Valle.
„Der Schwertmeister Zarastrias. Nichts weiter als ein Dämon… Dein Freund hier könnte ihn beherrschen, wenn er wöllte.“, beantwortete Lukamaru die Frage.
„Und was will er jetzt von Erik?“
„Gute Frage.“
„Nett, dass ihr über mich redet, als wäre ich nicht da.“ Valle grinste. „Ich wird einfach mit ihm reden. Wird wohl wichtig sein.“
„Sei vorsichtig, ja?“
„Deine Vorsicht rührt mich regelrecht.“
„Du bist doof.“ Ich warf Valle einen vielsagenden Blick zu, dann ging ich hinüber zum Wald. Enkidu der Wolf erwartete mich bereits. Er sprang an mir hoch, legte, wie drei Tage zuvor, die Pfoten auf meine Schultern und leckte über meine Wange.
„Ist ja gut. Nächstes Mal bring ich dir ein Leckerli mit. Versprochen. Bringst du mich zu deinem Herrchen?“ Der Wolf bellte zustimmend, ließ von mir ab und stromerte in den Wald. Ich folgte ihm, musste mich dabei immer wieder durch Büsche schlagen, unter denen der Wolf einfach verschwand. Oft stand er wartend auf dem Tierpfad, vergewisserte sich, dass ich ihm folgte. Zehn Minuten und etliche Kratzer später öffnete sich eine kleine Lichtung vor mir, ein Bach sprudelte über die Steine. Der Schwertmeister stand neben einem flachen Fels, das mittlere Armpaar hinterm Rücken verschränkt, das obere vor der Brust. Die unteren zwei Hände hielten irgendetwas, ich erkannte nicht, was. Enkidu sprang auf den Fels, drehte sich ein paar Mal um sich selbst und legte sich dann hin. Fehlte nur noch, dass er anfing zu schnurren wie eine Katze. Ich neigte den Kopf.
„Schwertmeister. Du wolltest mich sprechen?“
„Du willst also dein Wort halten und ihm ehrlichen Kampf gegen mich siegen? Keine Zauberertricks?“
„Warum sollte ich tricksen? Ich habe dir mein Wort gegeben, also stehe ich dazu.“
„Und wer gibt mir die Garantie für die Ehrlichkeit deiner Worte?“ Gute Frage.
„Ich kann dir nur mein Wort geben.“
„Das Wort eines Zauberers zählt nichts!“, brauste er auf. Er fuhr herum, plötzlich zwei Schwerter in den Händen. Eine Klinge fuhr knapp an meinem Gesicht vorbei. Ich bewegte mich nicht.
„Was zählt dann für dich?“, fragte ich stattdessen. Irgendwie benahm ich mich gerade mutiger, als ich war. Hoffentlich merkte er das nicht. Er machte ein abfälliges Geräusch und wandte mir wieder den Rücken zu. Die Schwerter verschwanden wieder.
„Du benimmst dich nicht wie ein normaler Zauberer. Du bist weniger… hinterhältig.“
„Hinterhältig?“, echote ich. „Wie meinst du das?“ Er schnaubte.
„Jeder andere Zauberer hätte sich das Schwert mit magischer Gewalt geholt. Und womöglich noch die Steine.“
„Steine?“
„Die Beschwörungssteine.“ Er schwieg.
„Gilgamesch… Verzeih die blöde Frage. Aber was sind bitte Beschwörungssteine?“ Er drehte sich um, sah mich fragend an.
„Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“
„Wenn du so fragst… anscheinend nicht.“ Er blinzelte ungläubig. Offensichtlich war ihm so viel Unwissenheit noch nie untergekommen.
„Jeder magische Geist – ihr benutzt den Begriff >Dämon

Kapitel 48



It had already become day as he opened the big wooden door and stepped out of the shadows

-Haggard, Origin



>> Königin Yen´vela unterhält in Fanuría ein eigenes Gestüt, in dem nur edelste Rassepferde gezüchtet werden. Man munkelt, dass in ihren Adern das Blut der Sonnenpferde Mascudar, Black Shadow und Black Fire fließen soll, was die ungeheure Schnelligkeit der Tiere erklären würde. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 8, Gi-He




“Erik? Steh auf, komm schon! Ich will dir was zeigen! Raus aus den Federn!“ Valles laute Stimme und rhythmisches Klopfen an der Zimmertür rissen mich aus meinen Träumen. Brummig drehte ich mich auf die Seite.
„Nun komm schon!“ Schritte, heftiges Rütteln an meiner Schulter.
„Was gibt’s denn so dringend?“, murmelte ich schlaftrunken.
„Wenn du aufstehst und mitkommst, zeig ich´s dir.“ Damit huschte er hinaus.
Was für ein Deal. Warmes Bett gegen Information.
Ich setzte mich müde auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Tagsüber die Lektionen in Magie, die Lany mir erteilte, dazu die Arbeit für die Gilde. Abends dann das Training mit Schwertmeister Gilgamesch, danach meine nächtlichen Selbststudien in den Büchern des Archives der Anxifer.
Langsam stand ich auf. Ein Blick aus dem Fenster genügte mir, um festzustellen, dass es ziemlich regnerisch war, so, wie in den letzten Tagen. Der Himmel war trüb und grau, Regentropfen klopften gegen mein kleines Fenster, auf dessen Sims ich es mir gerne mit einem Buch gemütlich machte.
Ich warf mir den blauen Gildenumhang der Anxifer über, den ich mittlerweile als Gildenmitglied besaß, und ging hinaus auf den kühlen Steinkorridor des Gildenhauses.
Valle wartete in der großen, zur Gebäudefront hin verglasten Eingangshalle. Er trug die braune Lederrüstung, die er während seiner Waldläuferausbildung erhalten hatte und starrte in den Regen. Er sah ziemlich nachdenklich aus… Weswegen wohl? Mir fiel auf, dass wir in letzter Zeit wenig miteinander zu tun gehabt hatten. Zeit, das mal nachzuholen.
„Na, was gibt’s denn so wichtiges?“ Ich beugte mich über das Geländer der Empore, die an der Wand gegenüber der Glasfront verlief. Von der Empore aus erreichte man über breite Treppen zu beiden Seiten der Halle den verglasten Boden, unter der Empore führten Türen in verschiedene, wichtige Räume. Hier oben, in der ersten Etage, waren die ersten Privaträume der Gildenmitglieder, das setzte sich in der zweiten Etage fort. Valle sah zu mir hoch und grinste.
„Komm mit, dann zeig ich´s dir!“ Ich gähnte lautstark.
„Wohin denn? Bei dem Mistwetter?“
„Ist überdacht, keine Sorge. Dich wird schon kein Wassertropfen treffen, mein Lieber.“
„Gut so.“ Ich flitzte die Treppe hinab und rutschte auf dem spiegelglatten Boden der Halle aus. Warum auch Glas, meine Güte? Klar, das Gildenlogo der Anxifer, das stilisierte, silberne Kreuz auf rot-schwarzem Grund, war unter dem Glas zu sehen. Aber konnte das nicht einfach als Mosaik dargestellt werden? Musste es denn GLAS sein?
„Also, mich wundert´s, dass hier nicht öfter Leute hinfallen.“
„Mich auch.“ Zähneknirschend mühte ich mich wieder auf die Beine. Meine Schulter schmerzte wieder.
„Nun komm.“ Er lächelte breit.
„Ich muss ja, eher lässt du nicht locker.“
„Gut erkannt.“ Er führte mich durch die teilweise sehr verwinkelten Gänge des Gildenhauses und erzählte dabei groß und breit, wie toll er die Waldelfen fand und wie dankbar er ihnen war. Wofür, bekam ich nicht aus ihm heraus.
Als er eine schwere Holztür öffnete, erkannte ich, wo wir waren. Der Geruch von Heu und Pferd schlug mir entgegen. Wiehern und Hufgeklapper war zu hören. Er hatte mich in den Stall geführt.
„Sie sind nun schon ein paar Tage hier. Ich hätte sie dir gern eher gezeigt, aber du warst immer so beschäftigt.“ Er klang beinahe etwas gekränkt, andererseits auch ziemlich begeistert. Er brachte mich zu einer geräumigen Pferdebox im hinteren Teil des Stalls. Ein großes, weißes Pferd mit weiß-goldener Mähne stand darin und schnaubte laut.
„Das ist Vergil. Ishin hat ihn mir geschenkt.“ Das Pferd rieb seine Nase an Valles Hand.
„Das ist DEIN Pferd?“ Er nickte.
„Ja. Soll ich dir deins zeigen?“
„MEINS? Wie bitte?“ Toll. Ich und Pferde. Zwar waren es wirklich schöne und edle Tiere, dennoch pflegte ich ein gespaltenes Verhältnis zu ihnen. Sie waren größer als ich, das wollte mir nicht so recht gefallen.
Ein paar Boxen weiter blieb Valle stehen. Ein brauner Pferdekopf sah mir entgegen, als ich mich neben Valle stellte. Das Tier war braun, mit einem Schwarzen Schweif und schwarzer Mähne. Das Pferd schnaubte und reckte mir seine Nase entgegen. Vorsichtig hob ich eine Hand und berührte sie. Die Haut war angenehm warm. Ich trat näher heran und strich mit der anderen Hand über seinen Hals. Es schnaubte.
„Siehst du? Er beißt nicht.“ Valle lachte leise. „Er heißt übrigens Cassini.“ Der Hengst neigte den Kopf, lehnte sich gegen meine Schulter.
„Er ist toll.“, sagte ich. Gerade ich, na klar. Diese Insel veränderte mich wirklich. „Und er gehört mir?“
„Wenn ich´s dir doch sage! Ein Geschenk von Königin Ishin. Sie sagte, Cassini und Vergil wären die besten Pferde in ihrem Stall. Lust auf einen kleinen Ausritt?“
„Bei dem Wetter?“
„Klar, warum auch nicht?“

Das weiße Pferd und der Waldläufer, ein Bild für die Götter. Zugegebenermaßen passten sie gut zusammen. Sie flogen regelrecht über die Ebene.
Cassini wiederrum war einfach ein Traum. Er reagierte auf kleinste Bewegungen und war schnell und wendig. Ich strich dem Hengst über den Hals und wartete auf Valle, der unbedingt noch einmal über den Waldpfad wollte. Vergil und ihm schien das Springen enorm Spaß zu machen. Ishin hatte mit den Tieren eine gute Wahl getroffen, zumal ich mit einem Pferd mobiler war, und nicht auf die Portale angewiesen war.
„Was grübelst du schonwieder?“ Ich schrak zusammen. Valle war, trotz Pferd, lautlos näher gekommen.
„Dein Pferd kann sich genauso gut anschleichen wie du.“
„Waldläufer halt.“
„Fala ist auch eine Waldläuferin und kann sich nicht anschleichen.“
„Fala ist… Fala.“
„Jetzt erzähl mal. Wie geht´s dir?“
„Also, ich kann mich absolut nicht beschweren. Die Leute hier sind klasse, diese ganze Waldläufersache ist einfach spitze und noch dazu ist hier immer etwas los!“
„Du hast deinen Spaß, was?“
„Klar. Irgendwie kommt´s mir so vor, als hätte ich nie was anders als Anschleichen oder Bogenschießen gemacht.“
„Dann hat sich´s wohl gelohnt, dass du mich hinterrücks überfallen hast und mitgekommen bist.“
„Auf jeden Fall. Außerdem kann ich mich hier mit dieser Aurenseherei nützlich machen.“
„Hast du das schon immer gesehen?“ Er nickte langsam.
„Schon seltsam. Ich meine, die meisten Leute haben keine Aura, oder eine sehr schwache. Dann gibt’s Leute wie dich, die sind… naja… eine Art Partybeleuchtung.“ Er lachte.
„Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen. Ich meine, ich sehe nur Mana, und das auch nur, wenn´s in Massen auftritt.“
„Wobei es einen ziemlich angenehmen Farbton hat.“ Wir mussten beide lachen.
„Kannst du das eigentlich ausblenden?“
„Die Auren? Mittlerweile schon. Hat Yel mir beigebracht.“
„Yela?“
„Nein, Yeldrish. Ihre kleine Schwester. Du erinnerst dich.“
„Ah, die Prinzessin. Ihr verbringt viel Zeit zusammen, oder?“
„Ja, warum auch nicht?“
„Reißt du da etwa eine Frau auf, mein lieber Valentin?“
„Als würdest du dir bei Lysa keine Chancen ausrechnen, mein lieber Erik.“ Autsch, das saß.
„Naja. Chancen sind übertrieben. Schließlich ist sie verheiratet.“
„Das ist ein Grund, aber kein Hindernis.“
„Wie bitte?“
„Nichts.“
„Kommt da gerade der Draufgänger in dir durch?“
„Was hältst du von einem Themawechsel?“ Ich seufzte ergeben.
„Einverstanden.“
„Erzähl. Wer war der sechsarmige Typ von letztens?“
Ich erzählte ihm von Schwertmeister Gilgamesch und meiner Ausbildung, im Gegenzug erzählte er mir von seiner. Es war ganz interessant zu erfahren, was er neben Bogenschießen und Anschleichen noch so lernte. Heilkunde, Verwenden von Magiesteinen, Spurenlesen…
„Du könntest also einfach durch den Wald gehen, ein Kraut pflücken und daraus ein Heilmittel mixen?“
„Oder ein Gift, wenn dir das lieber wär.“
„Sollte ich Angst vor dir haben?“
„Nicht, falls du mir keinen Grund gibst.“
„Warne mich bitte vor, falls du mir was in den Drink schütten willst.“
„Dann sei lieb zu mir, dann schütte ich dir nichts in den Drink.“
„Das ist Erpressung!“
„Wenn du meinst.“ Wieder lachten wir. Schön, wenn man sich mit sinnfreien Dialogen ablenken konnte.
„Erik, sag mal…“
„Ja?“
„Dieser Dunkelelf…“ Ach, bitte nicht. Ich hatte es gerade verdrängt.
„Was ist mit dem?“
„Meinst du, wir können ihn besiegen?“
„Selbst, wenn ich darauf bestehe, dass du nicht mitkommst, überfällst du mich wieder und kommst trotzdem mit?“
„Richtig. Ich helfe dir.“
„Wir schaffen den schon.“
„Hoffentlich.“
„Valle, positiv denken.“

Abends ließ ich mich erschöpft auf mein Bett fallen. Zwar war es heute recht ruhig gewesen, aber ich war trotzdem komplett müde. Das Training mit Lukamaru und Yilduna war anstrengend, außerdem war ich klatschnass. Fast zwei Stunden hatte ich auf der Lichtung gewartet, aber Schwertmeister Gilgamesch und der Wolf Enkidu hatten sich nicht sehen lassen. Frustriert und durchnässt war ich zurück zur Gilde gegangen. Und jetzt lag ich hier todmüde auf meinem Bett und hatte keine Lust auf nichts.
Mein müder Blick fiel auf ein Buch aus dem Archiv der Gilde, das auf meinen Tisch lag. Lustlos blätterte ich durch das Buch, fand aber nichts Interessantes. Ich hatte gehofft, darin etwas über das Ordensschwert zu finden, was aber ergebnislos blieb. Geschafft legte ich das Buch beiseite. Zeit, zum Schlafen.

Kapitel 49



Take what you cannot take and hide what you cannot hide then silence me forevermore

-Disillusion, Avalanche



>> Die Stille Ebene ist ein weites Gebiet südlich des Waldes von Juno. Die Landschaft ist absolut unberührt und nur von wogendem Gras bewachsen. Einst kämpfte hier der Drache Arthoslor gegen den mächtigen Dämonenkönig Zodiak und bannte ihn mithilfe starker Siegel. Die Ebene ist und bleibt unbewohnt, oftmals treiben noch Manaschwaden umher. <<


-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 20, St- Ta



“Erik? Warte mal eben!” Auf der linken Treppe der Eingangshalle blieb ich stehen und drehte mich um.
„Was gibt’s denn?“ Lany blieb neben mir stehen. Zwar lächelte er, sah aber dennoch ziemlich ernst aus.
„Offensichtlich nutzen Banditen in Merak die allgemeine Unruhe und überfallen kleinere Dörfer. Ich würd ja selbst gehen, aber, du weißt ja… die Regierung… Ich wäre dir jedenfalls sehr verbunden, wenn du eventuell in der Gegend etwas… Präsenz zeigen würdest. Das sollte normalerweise reichen, um die Banditen einzuschüchtern.“
„Rumstehen und nichts tun also?“, fragte ich skeptisch.
„Eher… Informationen einholen. Also, wenn du natürlich nicht anderweitig beschäftigt bist.“
„Klingt stark nach Gildenauftrag. Kann ich ja schlecht unerledigt lassen.“
„Und wenn du gerade in der Gegend bist… du könntest mir nicht zufällig etwas Erde für meine Kleine mitbringen?“ Er deutete verstohlen auf seine Topfpalme.
„Kann ich machen.“ Dieser Mann und seine Blume. Da sag mir noch einer, ich wär nicht richtig im Kopf.

Cassini liebte es, zu laufen. Kaum hatten wir Thenodyas Stadtmauern verlassen, war er los geprescht. Vermutlich wäre er am liebsten die gesamte Strecke vom Gildenhaus bis hierher gelaufen, aber, der Schnelligkeit halber, hatten wir ein Portal durchquert, und nun ritten wir quer durch die dunklen Wälder Meraks. Hier wimmelte es geradezu von Räubern und Wegelagerern, die einem ungescholtenen Wanderer wie mir ans Leder wollten. Oder an den Geldbeutel, je nach dem. Zudem hausten hier Kreaturen, die wohl mittlerweile auch nicht mehr so friedlich waren wie früher. Ich wusste zum Beispiel von einem großen Drachen, der hier leben sollte. Auch dem wollte ich besser nicht begegnen.
Im Unterholz raschelte es, ein kleiner, brauner Hase mit glänzendem Fell hoppelte über den Weg.
Gut, so schlimm schienen die Wesen hier gar nicht zu sein. Ich rutschte von Cassinis Rücken, meinen Dolch in der Hand. Sicherheitshalber. Ich sah mich um.
Nichts, außer dem kleinen Hasen. Ich hockte mich hin, streckte eine Hand aus. Eventuell kam der putzige, kleine Kerl näher. Das Tierchen hoppelte zu mir, blieb genau vor meinen Füßen sitzen. Es hatte zwei buschige, braune Ohren, eine rosa Nase und rote Augen. Das Fell glänzte, als wäre Silber- und Goldstaub darin. In der Ferne jaulte ein Wolf. Vorsichtig berührte ich den Hasen an den Ohren, sie waren weich und fellig. Die Nase des Hasen zuckte, dann flitzte er weg. Ich betrachtete meine Finger. Der Staub aus dem Fell des Hasen klebte an ihnen. Seltsam.
Cassini schnaubte laut, legte seine Nase auf meine Schulter. Ich zog mich auf seinen Rücken, er schnaubte wieder und trabte langsam los. Ich ließ ihn laufen, legte nicht viel Wert auf eine Begegnung mit irgendwelchen Banditen. Womöglich reichte meine bloße Anwesenheit wirklich. Hoffentlich.
Wieder jaulte ein Wolf, näher, als zuvor. Cassini setzte zum Sprung über einen großen Stein an, der uns im Weg lag. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie etwas Buntes auf uns zu raste. Cassini scheute, warf sich herum und bremste scharf. Wieder jaulte ein Wolf, direkt vor uns. Cassini bäumte sich auf und warf mich ab.
Der Boden war verflucht hart. Ich hörte Bellen und Wiehern, Cassini tänzelte mit angelegten Ohren vor mir. Es sah so aus, als wolle er mich beschützen. Aus meiner Sitzposition erkannte ich vor ihm ein vierbeiniges, felliges Wesen. Grüne Pfoten, weißer Bauch, scharfe Zähne, Federn und Perlen im Fell, violette Augen blickten mich an. Enkidu, der Wolf.
Er schüttelte sich, sodass die Glöckchen an seinem Halstuch klingelten. Langsam stand ich auf und ging zu ihm hin, streichelte ihn.
„Was machst du denn hier, Enkidu?“, fragte ich leise, ohne eine Antwort zu erwarten. Der Wolf leckte meine Hand ab, lief um mich herum und sprang dann bellend an mir hoch.
„Was hast du denn?“ Er lief ein Stück von mir weg, drehte sich wieder zu mir um.
„Du willst, dass ich mitkomme?“ Der Wolf bellte.
„Na dann.“ Wieder schwang ich mich auf Cassinis Rücken, das Pferd trabte los und folgte Enkidu. Selbiger führte uns tiefer in den Wald. Dort versperrten uns schließlich mehrere umgestürzte Baumstämme den Weg. Enkidu sprang hinauf.
„Siehst so aus, als müsste ich ohne dich weiter, Kumpel.“, sagte ich leise und strich über Cassinis Hals. Enkidu bellte.
„Ja, ich komm ja schon.“ Mühsam kletterte ich an den morschen Stämmen hoch, trieb mir dabei Splitter ein. Oben, im obersten Stamm, steckte ein Schwert. Überrascht sah ich mich um, schließlich erkannte ich die Klinge… Unten, vor den Stämmen lag ein weiteres Schwert, ich machte Blutspritzer im dunklen Gras aus. Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken. Keine zwei Meter vor mir machte ich ein wohl bekanntes Katana aus, das im Boden steckte. Die Masamune. Ein Stück daneben…
„Oha.“ War ich nicht wortgewandt? Ich sprang von den Stämmen, ignorierte den Schmerz in Rücken und Schulter. Warum bekam eigentlich immer ich alles ab? Ich lief zu der Gestalt, die im Gras lag.
„Schwertmeister?“ Enkidu jaulte leise, ich drückte entschlossen das Schwert beiseite, das Gilgamesch mir zitternd entgegen hielt.
„Lass den Unsinn. Was ist passiert?“
„Was… tust du hier?“ Seine Stimme zitterte ebenfalls. Ich kramte in meiner Tasche nach einem Heilungsjuwel.
„Dein Hund hat mich geholt. Still halten.“ Ich wollte ihm den Stein auf die Stirn legen, er wischte ihn weg.
„Lass das, sonst kann ich dir nicht helfen.“
„Deine Magie… kann mir nicht helfen.“
„Sagst du.“
„Du bist noch zu schwach, kleiner Magier.“ Er nahm meine rechte Hand, legte etwas Glattes, Rundes hinein. Einen Stein, kühl, oval und durchsichtig. In seinem Inneren erkannte ich eine weiß-rosa Kirschblüte.
„Aber…“
„Nimm ihn! Tu damit, was du willst.“
„Ich werde bestimmt nicht…“
„Keine Widerrede!“ Enkidu knurrte bedrohlich.
„Das ist dein Seelenstein!“
„Gut erkannt. Geh.“
„Aber…“
„Nun geh schon!“ Enkidu schnappte nach mir.
„Ist ja gut, ich bin schon weg.“ Widerwillig stand ich auf.

Kapitel 50



And I know I may end up failing, too.

-Linkin Park, Numb



>> Der Jad`Varashem ist mehr ein Mythos der Elfen, als dass seine Existenz tatsächlich bewiesen ist. Die Elfen rechnen fest damit, dass es einen Hüter der Drachen geben wird, der mächtiger als alle anderen Hüter ist und seine Kraft aus der Macht der Drachen selbst bezieht. Bisher ist in der langen Geschichte der Magie allerdings kein solcher Hüter aufgetreten, und die Chance, dass das noch passiert, ist sehr gering. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 11, In-Ku



Die düstere, stürmische Nacht wurde immer wieder von Blitzen erhellt. Donner grollte, Regen schlug ans Fenster und der Sturm pfiff um das Gildenhaus. Nur wenige Fenster warfen schmale Lichtstreifen auf den Sandplatz von dem Haus. Der ohrenbetäubende Donnerschlag einen Blitzes, der in der Nähe eingeschlagen war, hatte die meisten Gildenleute aus ihren Betten aufgeschreckt, das leise Gemurmel der Stimmen war allerdings schnell abgeebbt. Die meisten saßen jetzt in den Gemeinschaftsräumen. Im Gegenzug zur Stille im Haus brauste der Sturm umso lauter. Wieder krachte es laut, sekundenlang war der Himmel taghell. Vermutlich war der Blitz in der Spitze der Kathedrale des nahen Randol eingeschlagen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, eine Kerze anzuzünden, befand die Dunkelheit aber für besser geeignet, um nachzudenken. Außerdem kamen die Blitze, die immer wieder den Himmel durchzuckten, besser zur Geltung.
Ich musste nachdenken, darum schon zog ich die Einsamkeit vor. Was war da nur passiert? Und warum hatte Gilgamesch, der vorher Wert darauf gelegt hatte, seine Steine zu behalten, mir nun doch seinen Seelenstein gegeben? Warum entschied eigentlich jeder über meinen Kopf hinweg?
Es klopfte, ein schmaler Streifen flackernden Kerzenlichts fiel in mein kleines Zimmer, Schritte ertönten, ein Schatten huschte herein und verschmolz fast mit der dunklen Umgebung.
„Willst du nicht mit nach unten kommen?“, fragte Valle leise. Er hatte gemerkt, dass meine Laune nicht so gut war. Ich hörte, wie er gähnte.
„Nein, ich bleib hier.“
„Okay, wie du meinst… Aber mach nicht zu lange, du hast etwas Schlaf nötig.“ Wieder fiel ein schmaler Lichtstreifen in den Raum, lautlos schlüpfte Valle hinaus. Das Licht eines Blitzes zuckte über den Himmel.
Magiegeister, Dämonen… Ich wurde einfach nicht schlau daraus. Im immer wieder aufblitzenden Licht betrachtete ich den Stein. Er war etwa acht Zentimeter im Durchmesser, glatt und oval. Die im Stein eingeschlossene Kirschblüte schimmerte rosa-weiß. Der Seelenstein des Schwertmeisters… Dabei hatte er mir gegenüber immer betont, dass er frei von Verpflichtungen gegenüber Magiern sein wollte. Dennoch hatte er mir den Stein gegeben… Noch dazu, stand mir frei damit zu tun, was ich wollte. Er hatte mich nicht darum gebeten, das Siegel nicht zu brechen… Er vertraute mir. Und ich würde ihn nicht enttäuschen.
Wieder klopfte es, wieder fiel Licht in den Raum.
„Da will dich jemand sprechen, Erik.“, hörte ich Lanys Stimme. Ich blinzelte.
„Wer?“
„Hat er nicht gesagt. Aber er sagte, ihr würdet euch kennen. Er wartet unten in der Halle.“
„Bin schon unterwegs.“ Die Tür klappte zu. Nicht mal nachts hatte ich meine Ruhe. Ich verließ meinen Fensterplatz, steckte den Seelenstein des Schwertmeisters ein und betrat den Korridor. Dieser war von flackerndem Kerzenschein erhellt. Langsam ging ich in Richtung Haupthalle. Sie lag dunkel und verlassen vor mir, einzig am Fuß einer Treppe regte sich etwas. Der spiegelglatte Glasboden war nass, überall lag Matsch verteilt. Langsam stieg ich die zweiundzwanzig Treppenstufen hinab, die Gestalt am Fuß der Treppe regte sich nicht. Erst als ich neben ihr stand, sah sie auf. Eine Kapuze verdeckte ihr Gesicht, sie war in ein rotes Gewand gehüllt. Langsam stand die Gestalt auf, sie war etwa zwei Meter groß.
„So folgst du meiner Bitte, Sterblicher?“, fragte eine mir mittlerweile sehr vertraute Stimme.
„Schwertmeister?“, fragte ich perplex. Das passte nicht ganz… da fehlten vier Arme. Gedämpftes Lachen.
„Dich kann man wirklich nicht täuschen, sterblicher Hüter.“ Seine Stimme troff geradezu vor Ironie. „Wo können wir ungestört reden?“ Bei jeder seiner Bewegungen klirrte es leise. Ich bedeutete ihm, mir zu folgen und führte ihn hinauf in mein kleines Zimmer. Dort zündete ich schnell ein paar Kerzen an, die die Dunkelheit zumindest teilweise vertrieben. Gilgamesch zog seinen tropfnassen Umhang von den Schultern, zum Vorschein kam ein stattlicher, junger Mann mit dunkler Haut und schwarzen Haaren. Wache, nussbraune Augen beobachteten jede meiner Bewegungen.
Seltsam… Ich wurde das dumpfe Gefühl nicht los, ihn zu kennen…
„Überrascht?“ Er zog eine Augenbrauche hoch und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei es wieder leise klirrte. Er trug ein rotes, weit geschnittenes Gewand, das von einem Gürtel und mehreren Spangen zusammen gehalten wurde. An dem mit Perlen und Edelsteinen verzierten Gürtel hing sein Katana, die blauschwarz schimmernde Masamune. Das einzige, was mir bestätigte, dass die Person vor mit Gilgamesch war.
„Verwirrt.“, antwortete ich schließlich. „So kenne ich dich gar nicht.“ Er lachte dunkel.
„So kennt mich niemand.“
„Interessant zu wissen, dass du auch eine menschliche Gestalt annehmen kannst…“
„Meinst du wirklich, Magiegeister hätten nie gelebt? So sah ich aus, bevor ich zu dem Schwertgeist Gilgamesch wurde, den du kennst. Aber… ich nutze dieses Aussehen sehr selten. Eigentlich nur, wenn ich mich unerkannt unter die Leute mischen will. Und das passiert selten.“
„Also haben alle Magiegeister früher als Menschen gelebt?“ Er nickte.
„Aber ich bin nicht hier, um darüber zu plaudern. Vielmehr will ich etwas von dir wissen.“ Er sah sich kurz um, ging dann zu meinem Bett und ließ sich darauf nieder.
„Und was willst du wissen?“, fragte ich, wobei ich schon ahnte, was.
„Warum du das Siegel nicht brichst.“ Er griff zu einem Buch, dass auf meinen Bett lag, und blätterte darin herum.
„Warum sollte ich das tun? Ich habe nicht vor, irgendeinen Geist zu versklaven, am allerwenigsten dich.“
„Mit dieser Haltung machst du dir nicht unbedingt Freunde.“ Er legte das Buch beiseite und spielte gedankenverloren an einem seiner Ringe herum.
„Und wem sollte das nicht gefallen?“
„Den Hochelfen beispielsweise.“, sagte er schneidend. „Zu denen du anscheinend sehr viel Kontakt hast.“
„Kontakt ist übertrieben. Was sollte überhaupt deren Problem sein?“
„Eine Freundschaft mit einem Magiegeist, was es für sie zweifelsfrei ist, wenn du mich nicht unterwirfst, verstößt gegen ihre Regeln.“
„Und warum sollten sie sich an meinen Angelegenheiten stören…?“ Gilgamesch seufzte.
„So unfähig du auch gerade bist, wirst du doch irgendwann einmal zum Hüter. Und dann… dann ist ihre Welt auch deine Welt.“
Ihre Welt meine Welt? Erinnerung keimte in meinem Kopf auf, Erinnerung an Dunkelheit und Licht, an Traum… und Wahrheit? Das Bild eines Lichtkegels inmitten tiefster Schwärze tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ich begriff… Darum dieses Gefühl der Vertrautheit. Ich kannte ihn! Der >Meister

Kapitel 51



Our garden bears a morbid seed to grow nursed with tears and boredom, uncounted broken hopes

-Disillusion, Too Many Broken Cease Fires



>> Die Währung auf Zarastria wird von allen Bewohnern genutzt. Es handelt sich dabei um Kupfer-, Silber- und Goldmünzen verschiedener Wertstellung, die in den Münzprägereien zu Randol und Rossotorres hergestellt werden. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 7, Ga-Gi



Nach diesen Worten war Gilgamesch gegangen und hatte mich ratlos zurückgelassen. Den Rest der Nacht hatte ich grübelnd wach gesessen, und nun saßen Valle und ich auf dem Rand des Brunnens auf Randols Markt und ich erzählte ihm von der gestrigen Begegnung. Auch ihn stimmte das alles ziemlich nachdenklich. Sein Misstrauen gegenüber den Hochelfen war geweckt, ebenso wie meines.
„Alles klar bei dir?“ Er schreckte auf.
„Ja, klar. Ich frag mich nur, wie´s jetzt weiter gehen soll. Ich meine, eigentlich läuft uns die Zeit davon…“
„Ich weiß… Hey, ist das Enkidu?“
„Wer?“ Irritiert sah Valle sich um.
„Der Wolf da. Siehst du?“ Ich deutete auf den weiß-grünen Wolf, der zwischen den Marktständen erschienen war. Interessanterweise erregte er keinerlei Aufsehen unter den Menschen.
„Der ist ziemlich bunt, findest du nicht auch?“
„Ein bunter Hund. Passt doch.“ Ich pfiff nach dem Wolf. Er sah zu uns herüber und trottete los. Galant sprang er neben mir auf den Brunnenrand und legte seinen Kopf auf meine Beine. Ich kraulte ihn an den Ohren.
„Und das ist der Hund von Gilgamesch?“
„So sieht´s aus. Wahrscheinlich ist er auch hier.“
„Er sollte eigentlich auffallen, oder?“ Ich sah mich um. Und, tatsächlich, an einem Obststand machte ich eine große, rotgewandete Gestalt aus.
„Da drüben.“ Ich stieß Valle an und deutete mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. Enkidu bellte und Gilgamesch drehte sich zu uns um. Er deutete eine Verbeugung an, dann winkte er uns heran. Ich nickte und stand auf. Valle und Enkidu folgten mir.
„Wie war das? Du bist nicht oft so unterwegs?“, begrüßte ich ihn. Er verneigte sich nach Elfenart.
„Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen.“, sagte er geheimnisvoll. Er nickte Valle zu, dann wandte er sich wieder dem Marktstand zu.
„Sag, Erik… Du hast nicht zufällig ein wenig Kleingeld dabei? Ich könnte einen Apfel vertragen. Ist schon `ne Weile her…“
„Öhm. Valle? Du hast nicht zufällig etwas Kleingeld dabei?“ Valle grinste.
„Ich wusste es.“ Dennoch kramte er in seiner Tasche nach ein paar Münzen.
„Dein Freund ist mir sehr sympathisch, Hüter. Er hat das Geld passend.“
„Ja, ich mag ihn auch.“ Valle boxte mir in die Seite.
„Das will ich dir auch geraten haben.“
„Gibt´s `nen Grund für dein plötzliches Erscheinen?“
„Ich wollte mich mal umsehen. Muss ich mich dafür bei euch anmelden?“
„Nein, das nicht… Aber, weißt du… wir hätten da ein paar Fragen an dich.“ Valle räusperte sich.
„Wir?“
„Ja, wir. Kommt mit.“
„Jawohl, mein Lord.“ Valle grinste, Gilgamesch hob skeptisch eine Augenbraue.

Wir hatten uns einen kleinen Tisch in einer der abgelegeneren Tavernen der Stadt ausgesucht. Sie war klein, heruntergekommen und wurde meist von zwielichtigen Gestalten aufgesucht… Perfekt für uns. „Zum Pfähler“ hieß das Schmuckstück, und mir erschloss sich recht schnell, warum. Es war dunkel, stickig und dreckig, und der Wandschmuck erweckte den Verdacht, als wären hier wirklich Leute gepfählt worden.
„Woher kennst du solche Spelunken, Erik?“, fragte Valle gedämpft und sah sich verstohlen um. „Hier kriegt man ja das kalte Grausen.“
„Dann pass auf, dass sich dir nicht zufällig eine kalte Hand in den Nacken legt.“ Valle blinzelte mich irritiert an, Gilgamesch erhob passenderweise eine Hand und legte sie auf Valles Schulter. Dieser zuckte zusammen.
„Lass den Unsinn!“
„Dein Freund gefällt mir wirklich, Erik.“
„Ja, und du hast gleich einen Dolch in der Brust. Nimm die Hand da weg.“
„Sei mal nicht so gereizt, ist doch nur Spaß!“
„Hey, bitte.“ Ich hob beschwichtigend beide Hände. „Streitet euch nicht, ja?“
„Sag ihm das!“, murmelte Valle. Gilgamesch sah sich inzwischen vorsichtig um.
„Ich war lange nicht mehr unter Menschen, vor allem nicht in solch finsteren Etablissements.“
„Eventuell solltest du dich öfter unter die Leute mischen.“ Sein Blick huschte zu mir.
„Leider sind die meisten Menschen feinfühlig genug, einen Magiegeist zu erkennen. Ebenjene Menschen haben aber auch die bedauerliche Angewohnheit, sofort >Dämon!

Kapitel 52



I hope you don't fear neither do I bring me my sword and kiss me goodbye


-Haggard, La Terra Santa



>> Der Behemoth ist ein starkes, mysthisches Wesen, dass die Tore Lakins immer wieder in unregelmäßigen Abständen heimsucht. Niemand kann ihn töten, niemand seinen Blutdurst stillen. Man kann ihn nur für einige Zeit verjagen, doch wird er stets wieder auftauchen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 3, At-Bu



Sofort waren wir aufgebrochen. Da ich mittlerweile selbst recht zielgenaue Portale öffnen konnte, hatten wir nur einen Durchgang gebraucht, um Lakin zu erreichen. Besser so, Valle vertrug Portalreisen einfach nicht richtig.
Lakin lag in der üblichen Eiseskälte still und verlassen da. Es schneite leicht, als wir ankamen. Neben dem vereisten Brunnen stand ein zweites Portal offen, Lysa stand davor.
Die Stadtwache war damit beschäftigt, das große Holztor zu schließen. Yela rannte los, zog mich und Valle am Arm mit. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lysa sich uns anschloss, neben ihr lief mit wallender weißblonder Haarmähne Lukamaru. Wir liefen durch das halb geschlossene Tor.
Wo uns ein riesiges Wesen erwartete.
Vier riesige Pranken wirbelten den Schnee auf und zerfurchten das Eis des gefrorenen Sees. Zwei riesige, gedrehte Hörner zierten den übergroßen Schädel. Dazu ein kräftiges Gebiss mit spitzen, langen, gelben Zähnen, die vermutlich sogar Stein zermahlen konnten. Das Wesen war weiß, dunkle Narben warfen Schatten auf die glatte Haut, zotteliges Fell bedeckte Klauen, Hals und Bauch.
Yela blieb überrascht stehen. „Der Behemoth!“, rief sie.
„Tretet zurück! Ich erledige das!“ Lukamaru stürmte vor, in der rechten Hand sein Silberschwert, in der linken Hand einen langen, kunstvoll geschnitzten Klerikerstab.
„Das schafft er nicht allein!“, murmelte Lysa neben mir, sah mich dabei hilfesuchend an. Ich wägte meine Chancen ab. Einerseits war ich wohl nicht in der Lage, ihn mit meiner Magie zu besiegen. Andererseits… der Seelenstein des Schwertmeisters kam mir in den Sinn. Wenn ich es wirklich nicht allein schaffte…
„Ihr bleibt hier!“ Entschlossen lief ich Lukamaru nach, suchte nach einer Strategie. Der Elf baute sich vor dem Wesen auf und hob seinen Stab-

Ich stehe keine drei Meter von dem Elf entfernt, meinen Dolch in der rechten Hand. Ein Dolch, lächerlich angesichts dieses riesenhaften Ungeheuers. Lukamaru spricht eine Art Zauber, der wirkungslos verpufft. Das Wesen hebt eine Vorderpranke. Ich springe geistesgegenwärtig vor, werfe mich gegen Lukamaru, er stolpert und taumelt aus dem Bereich der herabsausenden Klaue. Ich knicke auf die Knie, habe aber genug Schwung, um ebenfalls rechtzeitig weg zu kommen. Ich höre einen spitzen Schrei. Der starke Luftzug wirbelt mich zu Boden, ich sehe nur den weißen Schnee um mich herum. Ein schwarzer Schatten taucht im endlosen Weiß auf, ich hechte beiseite. Zu langsam. Schmerz fährt durch meinen linken Arm, schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen. Ich höre das Aufjaulen eines Wolfes nah bei mir. Lukamaru rennt an mir vorbei, lockt das Wesen von mir weg. Ein blau-grün-bunter Schemen springt neben mich, bellt. Etwas Blitzendes fällt aus seinem Maul, der Schemen verschwindet aus meinem getrübten Sichtfeld. Ich taste nach dem Gegenstand, fühle kalten Stahl. Ein Schwert. Mein Blick klärt sich langsam, ich erkenne die Waffe. Eines von Gilgameschs Schwerten. Anscheinend ist der Schwertmeister in der Nähe, zumindest weiß er Bescheid. Blinzelnd stelle ich fest, dass Lukamaru Hilfe braucht, das Wesen hat ihm den Weg abgeschnitten. Mühsam hebe ich das Schwert auf, es ist ziemlich schwer, mein Arm schmerzt höllisch. Der linke Hinterlauf des Wesens ist für mich erreichbar, ich hebe das Schwert und stoße zu. Rotes Blut spritzt aus der Wunde, das Wesen brüllt ohrenbetäubend. Ich zerre das Schwert aus der Wunde, renne keuchend vor den wirbelnden Klauen des Wesens davon. Blut tropft in den Schnee, ich weiß nicht genau, ob es meins ist, oder das des Monsters. Beim Hakenschlagen sehe ich, wie Lukamaru wieder seinen Stab hebt. In meiner rechten Hand spüre ich plötzlich ein Gewicht, den Dolch habe bereits fallen gelassen. Wie beschwört man überhaupt? Egal, ich hebe den Arm.
Die Zeit scheint still zu stehen.
Das Wesen hält inne, rosa Kirschblüten stehen in der Luft und rieseln ganz langsam auf den blutroten Schnee. Wieder das vertraute Wolfsjaulen, Enkidu erscheint zwischen mir und dem Wesen. Meine Kräfte verlassen mich, ein Arm fängt mich auf. Ich sehe auf, erblicke das Gesicht des Schwertmeisters. Gilgamesch stellt mich wieder auf die Beine, in jeder seiner sechs Hände trägt er ein Schwert. Mühselig deute ich eine Verbeugung an, unsere Blicke treffen sich.
„Schwertmeister, leih mir deine Klinge. Bitte.“, bringe ich hervor. Er nickt langsam. Dann hebt er seine Masamune, fixiert das Monster.
Das Riesenwesen hebt eine Klaue über Lukamaru, der am Boden kniet, offenbar verletzt. Er ist zu weit weg, ich kann ihm nicht helfen. Nur der Schwertmeister ist dazu in der Lage. Der Elf sieht auf, wartet gefasst auf sein Schicksal.
„Gilgamesch, bitte…“ Gespenstisch langsam senkt sich die Klaue auf den Elf herab. Wieder höre ich einen Schrei, Lysa, denke ich. Ich kann nicht wegsehen, als die Pranke zu Boden sinkt, genau da, wo der Elf sitzt. Blut spritzt. Das Wesen brüllt, Enkidu jault lauter. Das Wesen wendet sich mir zu. Endlich reagiert der Schwertmeister, gleichzeitig wird mir schwarz vor Augen, ich kippe in den Schnee. Mit einem lauten Zischen fährt die Masamune in den Körper des Wesens. War es das etwa wirklich…?
„ERIK!“ Yelas schriller Schrei bringt mich zu Besinnung. Ich schaffe es, mich auf den Rücken zu wälzen. Überall rot…
„Halt!“, donnert die Stimme des Schwertmeisters über die bedrückend Stille Schneelandschaft.
„Lass MICH wenigstens durch!“ Ich erkenne Valles aufgebrachte Stimme, kurz darauf knirscht der Schnee neben mir. Ich spüre Valles Atem neben mir.
„Ruhig liegen bleiben.“ Dann lauter: „Lysa!“
„Nein!“, widerspricht der Magiegeist laut.
„Verdammt, ER STIRBT!“
„Du WAGST ES NICHT, IHN AUCH STERBEN ZU LASSEN, DÄMON!“, kreischt Lysa viel zu laut.
„Valle…“, krächze ich. Dann erlösende Ohnmacht.

Kapitel 53



Outside the dream world, life can be harsh, even cruel, but it is life.

-Auron, Final Fantasy X



>> Die Masamune ist die Hauptwaffe der Schwerterdämons Gilgamesch. Es handelt sich dabei um ein langes Katana aus unbekanntem Material, welches schwarz-grau schimmert und äußerst hart ist. Unter den Zwergenschmieden hält sich das Gerücht, dass die Masamune ein starker Magiebrecher ist, allerdings ließ sich das bisher nicht beweisen. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma-Oz



Mein Arm brannte wie Feuer. Der Behemoth hatte meinen linken Arm erwischt und von der Schulter bis zum Ellenbogen aufgerissen. Ich konnte froh sein, dass der Arm überhaupt noch dran war. Yela und Valle hatten das Schlimmste geheilt, während Lysa von Schwertmeister Gilgamesch zurück gehalten worden war. Trotzdem war mein Arm dick verbunden und hing in einer Schlinge. Und tat bei jeder Bewegung weh. Valle rechts neben mir musterte mich besorgt. Ich nickte schwach.
„Geht schon.“, flüsterte ich lautlos.
Lukamarus Beerdigung. Oder vielmehr die Beisetzung dessen, was von ihm übrig war. Sie war recht… Schmucklos. Lysa trug ein schwarzes Kleid, sah tieftraurig aus. Ganz wollte mir die Situation nicht in den Kopf. Valle und ich standen etwas abseits, mehr stille Beobachter als Gäste.
Auf einmal war alles so kompliziert. Zuallererst musste ich aus Gilgamesch herausbekommen, was seine Rolle in diesem Laientheater war.
Bunte Schlieren tanzten vor meinen Augen. Lange stehen war wohl doch noch nicht so gut… Ich lehnte mich vorsichtig gegen einen Baumstamm, atmete tief durch.
Als sich mein Blick wieder klärte, stand Lysa vor mir. Sie war reichlich zerzaust, ihre Augen gerötet. Die Gesellschaft hatte sich zerstreut, Valle stand etwas abseits von uns.
„Warum?“, fragte sie leise.
„Lysa, es tut mir so leid… Ich-“
„Es tut dir LEID?!?“, brauste sie auf. „DEIN NUTZLOSER DÄMON IST SCHULD! Du hast ihn nicht im Griff! UND ES TUT DIR LEID?“
„Lysa…“
„Er hätte auch deinen Tod in Kauf genommen! Nur weil sein dummer Stolz-“
„LYSARYA!“ Jetzt hatte ich die Nase gestrichen voll.
„Was?“, fauchte sie.
„Ich vertraue ihm, okay? Das ist alles nur-“
„DU VERTRAUST IHM? Einem Dämon? Bist du übergeschnappt?“
„Wenn das eine das andere bedingt, ja.“
Mit zornfunkelnden Augen fuhr sie herum und rauschte ab. Im Wald knackte ein Ast, ich sah einen roten Schatten zwischen den Bäumen verschwinden.
„Ich glaube, sie ist sauer.“, sagte Valle leise.
„Ein wenig.“ Ich blickte in den Wald.

Valle ließ sich schnell abschütteln. Zwar machte er sich Sorgen, verstand aber, warum ich allein sein wollte. Also war ich allein in den Wald gestiefelt, folgte dem roten Schatten. Schon wenige Minuten, nachdem ich den Wald betreten hatte, hörte ich verdächtige Geräusche, eine Art Hacken. Kurz darauf betrat ich eine kleine Lichtung. Auf einem kleinen Stein hockte Enkidu, fiepste jämmerlich mit angelegten Ohren. Gilgamesch in Gestalt des sechsarmigen Magiegeists hieb auf einen Baum ein, immer und immer wieder.
„Schwertmeister?“ Hack- Hack- Hack. „Gilgamesch?“ Er hielt kurz inne.
„Wie sieht meine Bestrafung aus?“
„Warum sollte ich dich bestrafen?“
„Und einen kurzen Moment gab ich mich der Illusion hin, du wärst anders.“ Achtlos warf er einen kleinen Gegenstand ins Gras, der bis vor meine Füße kullerte. Ein ovaler Stein, blau, eine Kirschblüte war darin zu sehen.
„Dein Geisterstein?“ Die Stille wurde nur von dem rhythmischen Hacken unterbrochen. „Was soll das?“
„Tu es. Aber sei gnädig. Töte mich, wenn du mich nicht mehr brauchst.“ Ich blieb still stehen. Fast fünf Minuten dauerte die Stille.
„Worauf wartest du?“, knurrte Gilgamesch schließlich.
„Darauf, dass du endlich den Baum in Frieden lässt und ich mit dir reden kann.“ Er hielt inne.
„Was gibt es denn noch zu bereden?“
„Ich würde gerne einen Grund hören.“ Er lachte bitter.
„Einen Grund? Wozu? Damit dein Gewissen beruhigt ist? Weil ich mich rechtfertigen durfte?“
„Wie kommst du überhaupt auf diese absolut IDIOTISCHE Idee, ich würde dich bestrafen?“ Er fuhr herum, sein Katana zitterte an meinem Hals. Die Klinge war silbern, also war das nicht die Masamune. Ich hielt seinem Blick stand.
„Weil das Wort der Klerikerin dein Wort ist.“
„Ach, ist es das?“
„Natürlich hat der Gedanke, dich auf der Stelle zu töten, etwas Verlockendes… Schon allein, weil ich der Versklavung entgehen würde…“
„Bitte, nur zu. Tu dir keinen Zwang an.“ Die Klinge ritzte leicht meine Haut auf.
„Du bist dumm.“
„Was ist eigentlich dein Problem mit mir?“ Er ließ das Katana sinken.
„Warum sollte dich das interessieren?“ Ein einzelner Blutstropfen lief meinen Hals entlang.
„Sag´s mir. Bitte.“ Er fuhr herum, brüllte auf. Ein Schwerthieb spaltete den Stamm in zwei Hälften. Ein weiterer Aufschrei, Holz splitterte.
„Du-“ Splittern. „bist“ Holzteile flogen. „wie“ So gesehen konnte der Baum sich nicht wehren. „er!“
Die Klinge steckte im Baum, der Griff ruhte in seiner Hand. Ich musste ein Lachen unterdrücken.
„Passiert dir das öfter?“
„Was?“
„Das mit dem Schwert.“ Er ließ die Arme sinken.
„Manchmal.“ Schweigen. Er betrachtete fast ungläubig den Schwertgriff.
„Ich bin wie wer?“ Wieder schweigen.
„Gilgamesch, bitte.“
„Willst du die Siegel brechen?“
„Nein.“
„Ich habe mich deinem Befehl widersetzt.“
„Ich habe dir nicht befohlen, Lukamaru zu retten, ich habe dich darum gebeten. Es stand dir frei, zu entscheiden. Und ich kann dich verstehen… Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, warum du Lysa nicht zu mir gelassen hast. Ich hätte sterben können…“
„Der Sinarél und die Waldläuferin konnten dich zuverlässig heilen.“
„Was, wenn nicht?“
„Der Sinarél ist vertrauenswürdig. Die Hochelfe nicht.“
„Warum schützt du mich?“ Er sah mich skeptisch an. „Einerseits willst du mich beschützen, andererseits stehst du hier und hältst mir ein Schwert an den Hals.“ Er drehte sich weg.
„Ich kann dich nicht einschätzen.“
„Inwiefern?“
„Ich weiß nicht, wie dein nächster Schritt aussieht. Einerseits… bist du unberechenbar, andererseits…“ Schweigen.
„Wie wer, Gilgamesch?“
„Darf ich die Gestalt wechseln?“
„Der erste sinnvolle Satz von dir, den ich heute höre. Ich bitte doch sehr darum.“ Enkidu quietschte leise und legte sich flach auf den Stein.
„Tut´s sehr weh?“, fragte Gilgamesch leise und mitfühlend. Die vertraute Gestalt des zwei Meter großen Königs von Uruk hatte den Platz des Schwertergeistes eingenommen.
„Es geht schon. Ist noch alles dran.“
„Du hast dich gut geschlagen. Für das erste Mal.“ Ich setzte mich auf den Boden, schwer, wenn man nur einen Arm benutzen kann. Er setzte sich mir im Schneidersitz gegenüber.
„Also willst du dir wieder meine Geschichte anhören?“ Ich hob den Stein auf, hielt ihn meinem Gegenüber hin. Er nahm ihn, wog ihn nachdenklich in der Hand.
„Ich würde nicht fragen, oder?“ Schweigen war die Antwort.
„Mit wem vergleichst du mich ständig, hm?“
„Der erste Magier, dem ich begegnet bin.“ Er sah mich nicht an, ließ den Stein in die linke Hand fallen. „Er… war ein Elf. Sein Charakter war deinem nicht unähnlich. Ich traf ihn kurz nachdem ich zum Magiegeist wurde. Er… er rettete mich damals vor den Elfen, dabei war er selbst einer. Zum Dank… Wir redeten miteinander, freundeten uns an. Weißt du, was er sagte? Dass es Sklaverei wäre, einen Magiegeist zu beherrschen. Dass er das nie wagen würde. Er hat haargenau das Gleiche gesagt, wie du.“ Er hielt inne. Enkidu kam herangetrottet und legte sich vor seinem Herrn zu Boden. Gilgamesch kraulte ihn bedächtig. „Ich habe ihm vertraut. Warum auch nicht? Er war ein hoher Magier, zwar kein Hüter… Außerdem war er nett zu mir. So wie du.“
„Klingt eigentlich gar nicht schlecht.“
„Als schließlich ein Kommando der Elfen mich doch erwischte… Und die Steine haben wollte… Sie bekamen sie nicht, aber verletzten mich im Kampf und ließen mich zurück. So, wie neulich… Enkidu holte den Magier zu Hilfe, so, wie dich vor ein paar Tagen. Er sagte mir, ich solle ihm den Seelenstein geben, damit ich seine Magie mit ihm teile… Er sagte, dann würde sich mein Zustand bessern. Also gab ich ihm den Stein. Schließlich hatte er versprochen, die Siegel nicht zu brechen…“ Er brach ab.
„Aber dennoch brach er das Siegel.“, stellte ich betroffen fest.
„Ja. Und er nahm sich auch den Geisterstein und brach dessen Siegel. Er hinterging mich. Er brach sein Wort. Weißt du, was er gesagt hat? Dass Dämonen böse sind. Man dürfe ihnen nicht trauen. Man müsse sie beherrschen.“
„Verlogener Idiot.“
„Wenn du das sagst.“ Er sah in den wolkenlosen Himmel. „Was tust du nun?“ Ich schwieg lange. Erst, als er mich ansah, riss er mich aus meinen Gedanken.
„Du sagtest, du würdest nicht oft so unterwegs sein.“, stellte ich fest.
„Meinst du diese Erscheinungsform? Ich konnte nicht. Ohne einen Magier, der den Seelenstein unversehrt besitzt, habe ich nicht die Kraft, meine Gestalt zu ändern.“
„Dabei bist du gerne… menschlich, oder?“
„Ich bin gerne unter Menschen. Das ist bloß nicht leicht, wenn man sechs Arme hat. Man fällt unweigerlich auf.“
„Das glaube ich dir.“
„Also?“
„Ich möchte weiter mit dir arbeiten. Frei und ungezwungen. Aber den Seelenstein möchte ich behalten.“ Er nickte.
„Ich bitte darum.“
Er lächelte zufrieden, ich seufzte leise. So war das also…

Kapitel 54



You are a fading dream, but one that has been touched by reality. Run, dream. Run on into the daylight. And walk into reality.

-Yojinbo, Final Fantasy X



>> Mondstaub ist ein höchst seltenes Material, welches zur Herstellung extrem starker Magiewaffen benötigt wird. Das Material ist so selten, weil es nur in den Fellen der Sternenhasen Meraks zu finden ist, welche wiederum sehr scheu sind. Zwergenschmiede fertigten unter der Zuhilfenahme von Mondstaub bereits namhafte Klingen wie das Ordensschwert der Kleriker oder Schattenbinder, ein starkes, mit Schwarzmagie verhaftetes Schwert, welches sich momentan in den Händen des Schwerterdämons befindet. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma-Oz



Lysa ignorierte mich tagelang. Sie redete kein Wort mit mir und ging mir aus dem Weg.
„Erik? Bist du noch da?“ Yela, Valle und ich saßen wie immer auf der Seitentreppe des Gildenhauses.
„Ja, natürlich.“
„Dann antworte mir!“ Yela stupste mich an.
„Was hast du noch mal gefragt?“ Yela lachte.
„Ob´s dir besser geht.“
„Ja, klar. Bin soweit wieder heil, Arm ist benutzbar. Tut nur noch etwas weh.“ Valle hustete. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Danke auch.
„Was bedrückt dich? Lukamaru? Lysa?“
„Beides.“
„Der Dämon?“
„Magiegeist.“
„Wie bitte?“
„Magiegeist, Yela. Nicht Dämon, okay?“
„Mir gefällt das nicht.“
„Was?“
„Dass du dich mit ihm anfreundest.“
„Und warum nicht? Was ist so falsch daran?“
„Leute, bitte, Themawechsel.“ Eins musste man Valle lassen, er konnte Gespräche mit Bravour retten.


Ich saß in meinem kleinen Zimmer auf dem Fenstersims und sah nach draußen. Es war Nacht, der Himmel war wolkenverhangen und düster. Es regnete stark. Die Hitze, die in den letzten Tagen über Juno gelegen hatte, entlud sich Abend für Abend in starken Gewittern. Auch in dieser Nacht fanden meine Gedanken keine klare Ordnung.
„Na, alles in Ordnung?“ Ich erschrak so sehr, dass ich vom Fensterbrett rutschte und genau auf den linken Arm fiel. Schwarz-bunte Schlieren tanzten vor meinen Augen. Schwer atmend wartete ich, dass der Schmerz abklang. „Das war nicht beabsichtigt.“ Wassertropfen fielen auf mein Gesicht, ich stützte mich auf die Hände und setzte mich auf.
„Du bist klatschnass.“
„Es regnet, Professor. Natürlich bin ich nass.“ Ich lehnte mich gegen die Wand, betrachtete den Schwertmeister genau. Er kniete mir gegenüber, in menschlicher Gestalt. Sein rotes Gewand war durchnässt, ebenso sein Umhang. Sein schwarzes Haar fiel ihm nass in die Augen, welche mich skeptisch betrachteten.
„Akrobatik ist nicht gerade deine Stärke.“
„Warum eigentlich immer links?“
„In Anbetracht der Tatsache, dass du Rechtshänder bist, solltest du dich nicht beschweren.“
„Du tropfst alles voll.“
„Wie ich bereits erwähnte, regnet es.“ Langsam stand ich auf und setzte mich wieder ins Fenster. Der Schwertmeister sah sich kurz um und setzte sich dann auf mein Bett.
„Hey, ich wollte darin schlafen, nicht schwimmen lernen.“
„Oh, tut mir leid.“ Er ließ sich nach hinten fallen.
„Du bist gemein. Was willst du?“
„Deine Gesellschaft genießen, wenn ich darf.“
„Du bist doch nicht nur auf einen freundlichen Plausch vorbei gekommen?“ Er zog seinen tropfnassen Umhang von den Schultern und warf ihn achtlos auf mein Bett.
„Ob du es glaubst, oder nicht, der Grund ist wirklich nur ein freundlicher Plausch.“
„Sag, was willst du wissen?“ Er sah sich um.
„Eigentlich, ob du weißt, was du mit dem Mondstaub machen sollst.“
„Das frage ich mich auch. Warum hast du mir das gegeben? Und wo kommt dieser Staub her?“ Er ließ sich wieder rücklings auf mein Bett fallen.
„Der Staub stammt aus dem Fell kleiner Hasen, die in Merak leben. Eventuell bist du ihnen bereits begegnet.“ Ich erinnerte mich an die kurze Begegnung mit dem braunen Hasen, kurz bevor Enkidu mich zu Gilgamesch geführt hatte. „Dieser Staub kann für diffizile Handwerkskunst verwendet werden. Deinen Fragen entnehme ich, dass du noch nicht weißt, was du daraus herstellen willst.“ Herstellen? Ich?
„Muss ich drüber nachdenken.“ Kurze Stille, aber keine bedrückende. Eher gemeinsames Schweigen.
„Erik?“, unterbrach der Schwertmeister schließlich die Stille. „Wie sehen deine nächsten Schritte aus?“
„Meine nächsten Schritte?“
„Was planst du? Wie willst du gegen Immatriél vorgehen?“
„Immatriél? So heißt der Dunkelelf?“ Keine Regung. „Ich weiß nicht genau, wie ich vorgehen will… Ich weiß nur, dass ich bald etwas tun sollte. Die Gesamtsituation wird schlimmer.“ Schweigen. Langes Schweigen.
„Lust auf ein Training?“
„Jetzt? Im strömenden Regen?“
„Schärft die Sinne.“ Täuschte ich mich, oder wirkte er traurig? „Außerdem könnte dein Arm etwas Übung vertragen.“ Wieder Stille. Plötzlich zuckte der Schwertmeister hoch, saß kerzengerade da und blickte zur Tür. Es klopfte.
„Woher…?“
„Du musst lernen, deine Sinne zu schärfen. Mach auf.“ Langsamer als nötig durchquerte ich den kleinen Raum und öffnete zaghaft die Tür. Wer wollte denn um diese Uhrzeit noch etwas von mir?
„Hey Erik. Kann ich reinkommen?“
„Lysa! Ähm, also…“ Ein kurzer Blick über die Schulter verriet mir, dass Gilgamesch sich seinen Umhang wieder übergeworfen hatte. Die Kapuze verdeckte sein Gesicht, er lehnte am Tisch.
„Stör ich etwa?“
„Keineswegs. Ich hab nur gerade noch anderen Besuch, wenn dich das nicht stören sollte.“ Sie trat ein, ihr Blick fiel auf die rotgewandete Gestalt.
„Oh, dein Freund von neulich. Störe ich wirklich nicht?“ Ich verneinte. „Naja. Also, eigentlich… Ich wollte mich entschuldigen, wegen neulich. Ich war ungerecht zu dir. Du hast schließlich dein Möglichstes getan.“
„Bei mir musst du dich nicht entschuldigen.“ Sie seufzte.
„Trotzdem. Ich meine, wenn du den Dämon nicht bindest, bist du nicht für sein Verhalten verantwortlich.“
„Also willst du ihm die Schuld geben?“
„Wem denn sonst?“
„Ich für meinen Teil kann nachvollziehen, warum er Lukamaru sterben ließ.“
„Du nimmst den Dämon in Schutz?“ Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Gilgamesch mich mit einer Handbewegung zum Schweigen bringen wollte. Lysa wandte ihm den Rücken zu und sah die Geste nicht.
„Er kann sich schlecht selbst verteidigen, wenn alle gegen ihn stehen, nur, weil er ein Magiegeist ist.“
„Als bräuchten Dämonen-“
„Schluss.“, knurrte der Schwertmeister. „Diese ewige Diskussion führt zu nichts.“ Lysa fuhr herum.
„Kenne ich dich?“ Gilgamesch schwieg.
„Gut möglich.“, sagte ich an seiner statt.
„Jetzt nimm doch mal diese Kapuze ab! Hilf einer Dame auf die Sprünge.“ Langsam folgte er der Aufforderung, sein Blick traf meinen. Er sah wirklich nicht sehr glücklich aus. Lysa wich erschrocken zurück.
„Du?“ Der Schwertmeister nickte langsam.
„Offensichtlich.“
„Aber… Ich dachte, du wärst tot! Warum hast du dich nicht gemeldet? Und warum kennt ihr zwei euch überhaupt?“ Lysa sprang zu ihm, umarmte ihn kurz und knuffte mich an. „Jetzt sagt schon!“
„Arthoslor hat uns vorgestellt.“, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Ich überließ die Wahrheit Gilgamesch, es war seine Entscheidung, ob er ihr alles erzählte.
„Der Drache also? Den kennst du auch? Wahnsinn.“ Der Magiegeist suchte hilflos meinen Blick. Lysa ihrerseits wirbelte wieder herum. „Siehst du, was ich dich schon immer fragen wollte…“ Lysa, bitte, nein. BITTE. „Wie heißt du eigentlich?“ Oh, Schicksal. Ich verfluche dich.
„Namen tun nichts zur Sache.“
„Hey! Seit Ewigkeiten wollte ich dich das fragen! Und jetzt weichst du aus!“ Er seufzte tief, aber antwortete nicht. Lysa drehte sich zu mir um.
„Erik…?“
„Also…“ Der Schwertmeister nickte bedächtig.
„Das ist… Gilgamesch.“ Ich wusste, dass sie den Namen kannte. Der Schwertmeister war bekannt, hier auf Zarastria. Lysa fuhr wieder herum.
„Das… Das ist nicht wahr!“
„Doch.“, sagte ich leise.
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, ungläubig.
„Ich sollte dir danken, Klerikerin.“, ergriff Gilgamesch schließlich das Wort. „Dein Einsatz hat mich damals vor dem sicheren Tod bewahrt.“ Lysa ließ sich kraftlos auf mein Bett fallen.
„Gerettet? Zu welchem Preis?“ Sie legte die Hände über die Augen. „Wegen mir bist du zum Dämon geworden.“
„Magiegeist.“
„Erik, HALT DIE KLAPPE!“
„Ich danke dennoch. Ohne deinen Einsatz wäre mir ein Treffen mit dem Jad`Varashem verwehrt geblieben.“ Lysas Blick wanderte zwischen mir und dem Schwertmeister hin und her, in ihren Augen glitzerten Tränen.
„Jad`Varashem… Warum hast du nichts gesagt?“
„Wenn du jedesmal so auf ihn losgegangen bist wie neulich-“
„DU SOLLST STILL SEIN!“ Eingeschnappt schwieg ich.
„Ich hatte nicht die Möglichkeit, dir in dieser Form gegenüberzutreten.“
„Und warum kannst du das jetzt?“
„Wegen ihm. Er besitzt meinen Seelenstein, ohne das Siegel zu brechen. Damit gibt er mir die Kraft, meine Gestalt zu ändern. Er ist der Erste, der mir diese Freiheit gewährt.“ Lysa sah zu mir.
„Aber… warum dieses Vertrauen?“ Ich schwieg, schließlich hatte sie mir den Mund verboten. TZ!
„Warum nicht?“
„Aber… ich meine… Schließlich bist du ein… Dämon.“ Ich seufzte leise. Magiegeist, meine Güte, ist das so schwer?
„Er ist mir gegenüber unbefangen.“
„Hey. Ich bin noch da.“ Gilgamesch deutete eine Verbeugung an.
„Verzeih, hoher Hüter. Ist mir entfallen.“ Er grinste schelmisch. Danke sehr.

Kapitel 55



Boys and girls of every age wouldn't you like to see something strange?

-Marilyn Manson, This is Halloween




>> Das Ordensschwert der Kleriker ist ein absolutes Einzelstück. Es ist aus Mondstaub und dem seltenen Nethril-Stahl gefertigt, einer magischen Legierung, die nur von Zwergen geschaffen werden kann. Außerdem wurde starke Weißmagie in die Klinge eingearbeitet, sodass sie zu einem mächtigen Magiebrecher wurde, zudem kann ein geübter Magier mithilfe des Schwertes enorm mächtige Angriffszauber entfesseln. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 14, Ma-Oz



Der Regen war stärker geworden, allerdings zog auch langsam die Morgendämmerung herauf. Gilgamesch hatte auf ein Training bestanden, er meinte, ich musste langsam lernen, mich auf wechselnde Umgebungen und Witterungsverhältnisse einzustellen, wenn ich ein guter Schwertkämpfer werden wollte. Lysarya war uns unbeirrt gefolgt. Und nun standen wir uns auf dem gottverlassenen Sandplatz vor dem Gildenhaus gegenüber.
„Mensch gegen Mensch. Gleiche Armzahl. Heute bin ich sogar mal fair zu dir.“
„Deine Güte ehrt dich, Schwertmeister.“ Das blanke, silberne Schwert, dass Enkidu mir während des Kampfes gegen Behemoth gebracht hatte, lag schwer in meiner Hand.
„Glaube ja nicht, dass ich dir das Ordensschwert kampflos überlasse. Aber erst einmal möchte ich sehen, wie weit du dich wieder erholt hast.“
„Wie überaus freundlich von dir.“ Der kühle Stahl gab mir ein gewisses Gefühl der Sicherheit, starke Magie ging von ihm aus.
„Ist übrigens ein starker Magiebrecher.“
„Dann lauf besser nicht rein.“ Er lachte laut, das vertraute Lachen des Magiegeists. Es erinnerte entfernt an Donnergrollen. Er hob seine Masamune, sah mich an.
„Los, komm!“
Wenige Augenblicke später saß ich verdutzt und entwaffnet auf dem Boden. Die Masamune zitterte dicht vor meinem Hals.
„Sinne schärfen! Konzentration!“ Er schob mir mein Schwert zu, ging ein paar Schritte zurück und hob seine Waffe. „Komm!“
Keine zehn Sekunden später die gleiche Situation. Hoffnungslos überrumpelt lag ich im nassen Sand. Toll.
„Weiter!“, brummte Gilgamesch.
Weitere sechs Duelle verliefen ähnlich. Mit zwei bis drei gezielten Schlägen entwaffnete mich der Schwertmeister jedesmal. Jedes Mal schob er mir mein Schwert wieder zu. Meine Schulter schmerzte, und ich war nass von Regen und Schweiß. Noch dazu hatte meine Stimmung den Nullpunkt erreicht.
„Steh auf!“ Mühsam stand ich auf, hob mein Schwert auf.
„Jetzt lass ihn doch. Er ist müde.“ Lysa hatte sich alles still angesehen, doch nun meldete sie sich zu Wort.
„Ein Feind nimmt darauf keine Rücksicht!“ Ich beschloss, mal mein Repertoire aufzufahren. Langsam hob ich eine Hand. Der Schwertmeister trat vor, hob sein Katana- und spaltete die Eiskugel, die ich heraufbeschworen hatte einfach mittendurch. Im nächsten Moment saß ich auch schon waffenlos auf dem nassen, kalten Boden.
„Nutze Magie nur, wenn du sie beherrschst!“ Die Masamune war eiskalt, berührte meinen Hals. „Wie willst du einen Feind besiegen, wenn du dich auf deine schwache Magie verlässt?“ Ich spürte, wie das Katana in meine Haut ritzte, er drückte fester zu. „Was, wenn deine Magie dich verlässt? Was dann, hm?“ Blut lief über meinen Hals.
„Wie groß ist die Chance? Warum sollte ich meine Magie verlieren?“
„Du kennst deine Feinde nicht! Du weißt nicht, wozu der Elf fähig ist!“ Der Schmerz am Hals überlagerte das Ziehen in der Schulter.
„Und? Wozu bist du fähig? Was tust du jetzt?“ In seinen haselnussbraunen Augen funkelte Zorn.
„Was denkst du? Dass ich dir den Kopf abschlage? Könnte ich. Was habe ich davon?“
„Was genau willst du eigentlich von mir?!“ Langsam ließ er sein Katana sinken, der schmerzhafte Druck ließ nach.
„Ich will, dass du überlebst. Das ist alles.“
„Warum?“
„Weil du der erste Magier bist, dem ich vertrauen kann. Außerdem hast du einen solchen Tod nicht verdient.“

Kapitel 56



Promise me , when you see, a white rose you'll think of me

-Blackmore´s Night ,Ghost of a Rose




>> Die Admiralsstadt Rossotorres liegt weit im Osten Monteniques am Rande der Wüste Dratans. Die Stadt stellt ein bedeutendes politisches und kaufmännisches Zentrum dar. Errichtet wurde die Stadt aus dem typischen roten Sandstein unter Kommando von Admiral Atlan. Rossotorres ist weithin bekannt für seine übermäßigen Turmbauten und die riesige Kathedrale im gotischen Stil. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 16, Ra-Ru



Ich war, gelinde gesagt, todmüde. Die letzten Tage und Nächte war ich einfach nicht zur Ruhe gekommen. Jetzt freute ich mich einfach nur noch auf meine weiches, gemütliches Bett und ein paar Stunden Schlaf. Laut gähnend öffnete ich die Tür zu meinem kleinen Zimmer.
„Müde?“ Ich war zu geschafft, um mich zu erschrecken. Auf dem Fenstersims saß Gilgamesch, rotgewandet wie immer. Sein stahlschwarzes Katana hing wie üblich in seinem Gürtel, vor ihm auf dem Boden lag schlafend der Wolf Enkidu.
„Ein bisschen.“, murmelte ich und schlurfte Richtung Bett.
„Ein bisschen sehr, oder?“ Er strich sich sein schwarzes Haar aus der Stirn und musterte mich besorgt.
„Warum bist du hier?“
„Warum nicht?“
„Wieder einer deiner… Freundschaftsbesuche?“
„Wenn du es so nennen willst, hoher Hüter.“
„Tut mir leid, aber ich bin wirklich hundemüde.“ Er nickte.
„Sehe ich. Hör zu, eine Sache, dann bin ich weg, in Ordnung?“
„Kann nichts Gutes sein, wenn du so anfängst.“
„Ist es auch nicht. Der Elf hat Kenntnis von unserem… Bündnis erlangt. Er ist hinter dir her. Du tust gut daran, wachsam zu sein.“
„Woher auch immer du deine Informationen nimmst. Was soll ich deiner Meinung nach tun?“
„Aufpassen. Nicht allein unterwegs sein.“ Er rutschte von seinem Fensterplatz. „Ich werde in deiner Nähe bleiben. Mir trug sich zu, dass Sinarél Valentin momentan in Fanuría ist, also werde ich auf dich aufpassen.“
„Klingt ja fast so, als wäre das etwas Persönliches für dich?“ Er nickte wieder.
„Ist es auch…“ Er blickte aus dem Fenster. „Nimm es als Vertrauensbeweis. Ich werde dich beschützen.“

Als ich später, nach etwa drei Stunden unruhigem Schlafs, in das graue Tageslicht trat, erwartete mich Gilgamesch bereits. Er saß auf dem Zaun, der den Sandplatz umgab. Enkidu bellte fröhlich, als ich zu ihnen ging, während auf dem Sandplatz gähnende Leere herrschte. Alle Vöglein ausgeflogen.
„Und? Was machen wir jetzt?“ Ich lehnte mich gegen den Zaun und gähnte laut.
„Tu, was du immer tust. Lass dich nicht von mir stören, ich bin dein Schatten. Mehr nicht.“
„Meinst du nicht, das wäre etwas unhöflich?“ Er sah mich skeptisch aus dem Augenwinkel an.
„Da stellt sich mir die Frage, ob ich höfliches Entgegenkommen verdiene.“ Ich schlug mit dem Handrücken gegen seine Schulter, er zuckte zusammen.
„Red keinen Unsinn. Also? Ich bin für heute freigestellt. Wie sieht´s aus? Was machen wir?“
„Interessant, wie schnell Menschen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln.“
„Ist das etwa falsch?“ Er sah Richtung Wald.
„Nein… Es ist nur recht… ungewohnt. Mir wurde selten Menschlichkeit entgegen gebracht.“
„Dann wird´s Zeit.“

Es war bereits dunkel, als wir zum Gildenhaus zurückkehrten. Die drückende Hitze des Tages war gewichen, meine gute Laune blieb. Trotz, dass Gilgamesch Bedenken anmeldete, hatte ich es mir nicht nehmen lassen, die Admiralsstadt Rossotorres zu besichtigen. Sie lag in der Wüste Dratans und war vor allem eines: groß! Die Gebäude der Stadt waren aus rotem Sandstein gebaut, überall ragten Türme in den Himmel. Der Marktplatz machte dem Randols alle Ehre, ähnlich groß dimensioniert und ähnlich dicht bevölkert. Die Menschen in Rossotorres waren allesamt freundlich, offen und weniger auf dieses gesellschaftliche Ansehen beschränkt. Wo mir in Randol absoluter Respekt entgegenschlug, brachten die Einwohner von Rossotorres nur Freundlichkeit entgegen.
„Im Gildenhaus solltest du sicher sein.“ Wir standen in der Eingangshalle, die nur schlecht beleuchtet war.
„Du willst gehen?“ Der Schwertmeister nickte.
„Nichts da. Komm mit rein, die Leute hier beißen nicht.“
„Du weißt, wie die meisten Menschen und Elfen auf mich reagieren würden.“
„Jetzt komm schon.“
„Ich halte das für keine gute Idee.“
„Na, ihr zwei. Auch eingetrudelt?“ Lysa kam aus einer Seitentür und lächelte, soweit ich das im Halbdunkel erkennen konnte. Gilgamesch verneigte sich.
„Hohe Klerikerin. Darf ich den Hüter in deine Obhut geben?“ Ich stutzte.
„Natürlich darfst du. Willst du schon weg?“
„Ich erwarte dich im Morgengrauen auf der Araheé-Brücke. Es ist Zeit, um das Schwert zu kämpfen.“ Mit wehendem Umhang verließ er das Gildenhaus.
„Kämpfen? JETZT? Was fällt ihm ein…?“
„Lysa, ich schaff das schon.“
„So hat das neulich auch ausgesehen. Da hat er dich jedesmal besiegt.“
„Wird er jetzt nicht.“ Ich griff nach ihrer Hand.
„Ach, Erik. Pass auf dich auf, ja?“
„Kommst du mit? Ich find die Brücke doch alleine nie.“


Kapitel 57



Enough expository banter. It's time we fight like men. And ladies. And ladies who dress like men.


-Gilgamesh, Final Fantasy V



>> Die Araheé-Brücke ist die größte Brücke Strayanas. Sie führt über eine breite Schlucht und ist mit 45 Metern Höhe auch die höchste Brücke Monteniques. Sie ist die einzige Steinbrücke unter den unzähligen Holzüberführungen Strayanas und bietet mit dem Wasserfall im Hintergrund ein einzigartiges Panorama. <<

-Auszug aus der Enzyclopädia Terrania, Band 2, Al-At



Lysa und ich hatten den Rest des Abends zusammen verbracht. Sie hatte mir etwas über die Geschichte der Hochelfen erzählt, leider nur das, was ich bereits von Dillios erfahren hatte. Sie hatte mich recht zeitig verlassen, damit ich mich ein wenig ausruhen konnte.
Nun standen wir im ewigen Regen Strayanas auf einer der unzähligen Brücken… nur, dass die Araheé-Brücke die einzige Steinbrücke war. Inmitten der grünen Hügel tat sich eine Schlucht auf, in der das rauschende Wasser einen Flusses gurgelte. Keine zehn Meter von der Brücke entfernt donnerte das Wasser rauschend eine Felswand hinab, die sprühende Gischt mischte sich mit dem giftgrünen Regen und legte einen dünnen Feuchtigkeitsfilm auf die Steine der Brücke. Gilgamesch hatte Geschmack bewiesen, was den Ort unseres Duells anging. Sollten jemals die Wolken Strayanas aufbrechen, genau hier über der Brücke würde sich ein Regenbogen aufspannen, eben wegen diesem Wasserfall.
Cassini schnaubte unruhig, ihm gefiel die Gegend wohl nicht so sehr wie mir. Lysa stand bei unseren Pferden und warf immer wieder nervöse Blicke in alle Richtungen. Sicherheitshalber hatte sie ihren Klerikerstab mitgenommen, falls jemand ernsthaft verletzt würde. Dazu trug sie eine blaue Stoffrüstung. Mein Umhang wehte im leichten Wind, ich atmete tief durch und lauschte. Konzentrieren, Sinne schärfen.
„Da!“, zischte Lysa. Auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke war ein bunter Schemen aufgetaucht- Enkidu. Der Wolf jaulte auf und aus dem Halbschatten der Bäume trat die markante Gestalt des Schwertgeistes, in jeder der sechs Hände funkelte ein Schwert. Ich beobachtete jeden seiner Schritte, legte mir eine Taktik zurecht. In dieser Gestalt war er recht langsam, so konnte ich ihn womöglich schlagen. Keine zehn Meter von mir entfernt blieb er stehen, und hob seine Masamune. Trotz des lauten Rauschens des Wassers verstand ich ihn, seine Stimme war lauter.
„Zeig, dass ich meine Zeit nicht an dir verschwendet habe, sterblicher Hüter!“ Ich zog langsam meine Klinge. Ob meine Taktik aufging?
Regen troff von meinem Schwert. Ich musste schneller sein als er, sehr viel schneller. Es stand sechs Schwerter gegen eines, Kampferfahrung gegen Findigkeit. Enkidu sprang jaulend an mir vorbei, vermutlich trollte er sich zu Lysa. Gut so, immerhin war es damit ein halbwegs faires Eins-gegen-Eins Duell. Der Schwertmeister bewegte sich nicht, wartete auf meinen ersten Schritt. Ich wartete ebenfalls, beobachtete, dachte. Magie schloss ich aus, es war ein Kampfduell, außerdem wusste ich nicht, über welche Magie der Schwertmeister verfügte.
Blitzschnell schoss der Magiegeist auf mich zu, ich sprang nach hinten, die Schwerter zerschnitten die Luft vor mir. Ich nutzte den Schwung meiner Bewegung, drehte mich und hechtete vor, an der rechten Seite des Magiegeists vorbei. Er reagierte zu langsam, ich schaffte es, ihm mit der flachen Seite des Ordensschwertes eines seiner Schwerter aus einer Hand zu schlagen. Klirrend fiel die Klinge zu Boden, ich spurtete ein Stück beiseite. Fünf gegen eins. Fairer? Etwas, eventuell. Wieder standen wir uns gegenüber, hatten die Seiten getauscht. Gilgamesch kreuzte zwei seiner Schwerter.
„Nun komm schon her, wenn du dich traust!“, donnerte seine Stimme über die Brücke, lauter als der Wasserfall. Die Steine waren rutschig, ich dachte nach. Eventuell ließ sich da etwas machen…? Aber, solange der Magiegeist diese Erscheinungsform beibehielt, war ich schneller als er. Geduckt sprang ich vor, rutschte aber auf dem nassen Stein weg. Na prima. Eines seiner Schwerter erwischte meine Hand in dem Versuch, mich zu entwaffnen, ich drehte den Arm und seine Klinge fiel zu Boden und rutschte ein Stück weg. Einem weiteren Hieb von ihm konnte ich gerade so ausweichen, hechtete beiseite. Über meinen Handrücken lief Blut.
„Lassen wir das.“, brummte der Schwertmeister dicht neben mir. Er stieß seine Masamune zwischen die Steine vor ihm. Ach, Mist. Nicht ernsthaft, oder? Der menschliche Gilgamesch, der König eines antiken Reiches, nahm die Klinge wieder auf. Wohin auch immer die anderen Schwerter verschwunden waren.
„Eins gegen eins.“ Er stand seitlich, der Griff des Schwertes ruhte in seinen dunklen Händen, die Spitze der Klinge berührte den Boden. Er sprintete los. Vorbei mit meinem Vorteil. Er war besser. Ich riss mein Schwert hoch, blockte seinen ersten Hieb ab. Aus der Bewegung heraus drehte er sich, wandte mir den Rücken zu und stieß die Klinge hinter sich. Interessanter Kampfstil. Ich wich dem Schlag aus, rutschte wieder auf den glatten Steinen aus. Sein Katana erwischte mich wieder an der Hand, erschrocken stolperte ich. Die niedrige Brüstung der Brücke kam mir bedenklich näher, Gilgamesch nutzte seine Chance und schlug mit der flachen Seite des Katana gegen mein Bein. Ich verlor endgültig das Gleichgewicht, verlor mein Schwert und stolperte über die Brüstung. Lysas Aufschrei gellte über die Brücke, im gleichen Moment fühlte ich mich gepackt und hochgezogen.
Keuchend lag ich auf dem Bauch, der rote Stoff von Gilgameschs mittlerweile nassem Gewand füllte mein Blickfeld aus.
„Das hatte ich mir anders vorgestellt.“, sagte er.
„Erik! Geht´s dir gut?“
„Es ist noch alles an ihm dran, hohe Klerikerin.“
„Er ist ganz blass.“
„Er ist von einer Brücke gefallen. Natürlich ist er blass.“
„Leute…“
„Verzeih, hoher Hüter, du bist natürlich auch noch da.“ Ich setzte mich auf, Lysa nahm meine verletzte Hand unter die Lupe. Der Magiegeist kratzte sich nachdenklich am Kinn.
„So gesehen habe ich gewonnen. Du hast dein Schwert fallen gelassen.“, stellte er fest. Ich nickte.
„Also dein Schwert.“ Er hob abwehrend eine Hand, das schummrige Licht fing sich in einem seiner Ringe.
„Nein, es soll dir gehören. Du brauchst es nötiger. Sofern die Ordensleiterin einverstanden ist, natürlich.“
„Ich bin einverstanden.“
„Und warum? Ich habe verloren.“ Er stand auf, trat ein paar Schritte zur Seite. Auf einmal wirkte er wieder so nachdenklich.
„Sentimentalität? Ich weiß nicht genau. Nimm es, du wirst es brauchen.“ Er verneigte sich nach elfischer Art und hob seine Masamune auf. Er musste sie fallen gelassen haben, als er mich wieder auf die Brücke gezogen hatte. Gedankenverloren strich er mit der Hand über die Klinge. „Ich kann dir nichts mehr beibringen. Bleibt zu hoffen, dass du schnell und findig genug bist, wenn es darauf ankommt.“ Das Schwert ritzte seine dunkle Haut auf. „Bleib wachsam, Hüter Erik. Lass dich nicht erwischen.“

Auftakt



Auftakt: Prolog in der Finsternis



We never had a choice, this world is too much noise

-Rise Against, Savio

r


Gilgameschs düstere Ansage hing drohend wie eine Gewitterwolke über mir. Nach unserem kleinen Duell hatte er sich tagelang nicht blicken lassen, allerdings war Valle aus Fanuría zurückgekehrt. Offensichtlich hatte der Schwertmeister ihn zurückbeordert.
Sicherheitshalber waren wir nur noch zusammen unterwegs. Hinter jedem Busch erwarteten wir einen Hinterhalt, zumindest meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Valle brachte es immerhin noch fertig, manchmal zu lächeln. Ein einziges Mal hatte ich versucht, Gilgamesch mit seinem Seelenstein zu rufen, aber er war der Beschwörung nicht gefolgt. Das machte mir noch größere Sorgen.
Valle und ich waren nach Merak aufgebrochen. Noch immer trieben Banditen hier ihr Unwesen, ein kleines Dörfchen hatte unsere Hilfe ersucht. Also waren wir in das Dörfchen gereist, wo nun seit Stunden trügerische Ruhe herrschte. In einem kleinen Zimmer in der örtlichen Taverne legten wir uns auf die Lauer. Wir redeten nicht, was gab es auch zu sagen? Wir wussten beide, dass das Ende nahte. Und mir war immer noch nicht klar, wie ich den Dunkelelf besiegen sollte…
Spät abends ließ ein spitzer Schrei uns zusammenfahren. Unser Zeichen? Valle nickte, griff nach seinem Bogen und stürzte zur Tür, ich folgte ihm. Unten drückten wir uns gegen die raue Steinwand der Taverne und lauschten. Wieder ein Schrei, hinter dem Haus. Ich warf einen vorsichtigen Blick um die Hausecke und erkannte mehrere dunkel gekleidete Gestalten, die allesamt Schwerter trugen. Punkt für uns, wir hatten einen Fernkämpfer. Ich gab Valle ein Zeichen, lautlos schlich er an mir vorbei. Er legte an, spannte seinen Bogen und zielte um die Hausecke herum. Singend schoss der Pfeil durch die Luft ich hörte einen unterdrückten Ruf, einen Aufschrei, einen dumpfen Schlag. Valle rutschte zurück.
„Bereit?“
„Muss ja.“
„Dann los.“ Er spannte den Bogen, sprang hinter dem Haus hervor, der Pfeil sirrte. Ich folgte Valle mit erhobenem Schwert. Valles Pfeile trafen immer, ich wehrte alle Hiebe ab, die ihm golten. Ich zählte zehn Gegner, und sie ließen sich nicht einfach besiegen. Irgendetwas stimmte nicht.
Als endlich einer unsrer Gegner fiel, natürlich nicht, ohne mich vorher zu verletzen, rutschte dessen Kapuze zurück. Dunkle Haut, spitze Ohren. Ein…
„Dunkelelf!“, zischte Valle hinter mir. Ein weiterer Schwerthieb traf mich genauso hart wie die Erkenntnis. Sie kamen, uns zu holen. Valles Aufschrei riss mich aus meinen Gedanken, ich fuhr herum, sah, wie er getroffen zusammen sank. Sein Bogen lag zersplittert neben ihm. Ich duckte mich, wich dem nächsten Hieb aus. Ein weiterer Aufschrei, alle hielten inne, selbst die Elfen.
Blitzen. Eine schwarze Klinge. Ein Elf brach gurgelnd zusammen. Wieder blitzte die Klinge, diesmal erkannte ich den roten Schatten, der sie führte. Gilgamesch… Die Elfen lösten sich aus ihrer Starre. Ich wirbelte herum, sah gerade noch, wie zwei Dunkelelfen Valle packten, er war bewusstlos. Ich spürte eine Klinge am Hals.
„Keine Bewegung. Hol ihn dir, wenn du dich traust.“, zischte mir jemand zu.
„Du wagst es-“
„Schweig, Dämon! Keine Bewegung, oder wir töten beide!“ Der Schwertmeister ließ langsam die Masamune sinken. Hilflos mussten wir zusehen, wie die Elfen mit Valle durch ein Portal verschwanden. Gilgamesch, in menschlicher Gestalt, fiel auf die Knie.
„Erik… ich… Es tut mir leid… Ich war zu langsam…“

Erster Akt



Erster Akt: Dunkelheit im Herzen



Gott weiß ich will kein Engel sein

-Rammstein, Engel



„Sie haben Valle, verdammt!“
„Erik, ich weiß doch. Aber es ist zu gefährlich für dich!“
„Ich werde nicht zulassen, dass ihm etwas passiert!“
„Das will ich auch nicht, aber du wirst nicht allein gehen!“
„Ich werde ihn da raus holen. Zur Not ohne euch!“
„Nichts dergleichen wirst du tun! Und wenn ich dich festketten muss, du bleibst!“
„Lany, er ist mein Freund!“
„Er ist auch mein Freund! Genau wie du! Und darum will ich, dass du bleibst! Mike ist unterwegs, warte, bis er hier ist.“
„Und wann soll das sein? Wie lange soll ich ihn da lassen? Wer weiß, was sie mit ihm anstellen!“
„Wer weiß, was sie mit DIR anstellen werden!“
„Ich gehe mit ihm.“ Lany und ich hielten inne, sahen beide perplex zu Gilgamesch. Der Schwertmeister hatte für die Dauer der Diskussion wie ein Häufchen Elend an der Wand gelehnt, schien nun aber wieder an Selbstvertrauen gewonnen zu haben. Stolz wie immer stand er zwischen uns, glich einem Fels in der schweren Meeresbrandung. Seine Hand ruhte auf dem Griff der Masamune.
„Schwertmeister. Du weißt, wie ich dazu stehe.“, sagte Lany leise.
„Natürlich weiß ich das, Großmeister Atlan. Aber ich werde Erik helfen, weil ich seine Meinung teile. Mit Verlaub, wir können nicht auf den Seelenhüter warten. Ihr wisst das, Hüter.“ Atlan nickte langsam.
„Du musst das nicht machen, Gilgamesch.“, sagte ich leise. Die haselnussbraunen Augen des Schwertmeisters fixierten mich.
„Doch. Als Dank für dein Vertrauen.“
„Dann ist es beschlossen.“

Zweiter Akt



Zweiter Akt: Durch den Himmel!



Across the sky I will come for you, if you ask me to

-Emilie Autumn, Prologue: Across the Sky



“Erik? Warte bitte.”
Mooraska. Das dunkle, kalte Mooraska. Gilgamesch hatte mich hergebracht, er wusste, wo die Elfen lebten. Wir hockten in den Ruinen einer alten Stadt, alles war verfallen und zerstört. Ein einziges Gebäude stand noch, reichlich windschief, aber geeignet, um darin zu leben. Da wollten wir hin. Eine Kirche, ironischerweise…
„Was?“, flüsterte ich leise und ungehalten. Wir brauchten einen Plan, eine Taktik…
„Die letzten Informationen. Besser, du erfährst alles jetzt von mir, als dass du dann überrascht bist.“
„Wir haben keine Zeit…“
„Hör mir zu, bitte.“ Widerwillig nickte ich, behielt das Gebäude im Blick. Die Mauer, hinter der ich mich versteckte, war rußgeschwärzt. „Der Anführer ist der Dreh- und Angelpunkt. Fällt er, ist der Schlange der Kopf abgeschlagen.“
„Das heißt, ich muss nur ihn töten?“
„Ja. Denke ich jedenfalls… Sein Name ist Immatriél Ma`Savena. Er ist Lysaryas Bruder, unterschätz ihn nicht!“
„Lysas Bruder?“
„Ja.“ Oha. „Besser, du erfährst das jetzt.“
„Warum kommst du mit?“
„Zu deinem Schutz. Ich kann dich nicht allein zu ihm lassen.“
„Danke, Gilgamesch.“ Lysas Bruder also… darum ihr ganzes Theater zu Beginn dieser ganzen Geschichte… Das war es also. Ich lugte über die Mauer. Nichts, Stille.
„Hier, nimm.“ In der ausgestreckten, dunklen Hand des Schwertmeisters lag ein schmaler, goldener Armreif. „Ein Geschenk.“
„Das ist dein Armreif, was soll ich damit?“
„Er ist magisch verstärkt. Er besitzt einige Eigenschaften, die dir behilflich sein können. Nimm ihn, bitte. Und pass darauf auf.“ Vorsichtig nahm ich den Reif und schob ihn über meine linke Hand.
„Er bedeutet dir viel, oder?“
„Ich bekam ihn geschenkt, damals, als ich noch König war, und kein Magiegeist. Wehe, du verlierst ihn!“ Das klang so… endgültig. Als wolle er den Reif nicht zurück haben wollen…
Ich spürte kalten Stahl an meinem Hals, Gilgamesch zischte etwas. Ich erkannte, dass das Schwert, das auf ihn gerichtet war, blau flirrte. Ein Magiebrecher.
„Mitkommen!“, forderte eine schneidend kalte Stimme uns auf.

Dritter Akt



Dritter Akt: Sakura, Sakura, der Frühlingshimmel, soweit das Auge reicht.



Who wants to live forever? Who dares to love forever?

-Queen, Who wants to live forever




Das Erste, was ich sah, war Valentin, der wie tot am Boden lag. Eine Blutlache hatte sich um ihn herum ausgebreitet, er war leichenblass.
„Dein Freund gefällt mir nicht.“, hörte ich eine kühle, vor Ironie triefende Stimme. Ein großer Mann stand schräg neben Valle, wandte uns den Rücken zu. Sein Haar war lang und weiß. Ich wurde zu Boden gedrückt, Gilgamesch fluchte leise.
„Er hat jedwede Folter über sich ergehen lassen, ohne einen Ton zu sagen. Es hat gar keinen Spaß gemacht, ihn zu quälen.“ Ich spürte Zorn in mir aufwallen. Egal, was er getan hatte, er würde büßen.
„Mit dir macht das bestimmt mehr Spaß, Hüter. Mal abgesehen davon, dass du mir etwas geben kannst, das ich haben will.“ Ich sprang auf, schlug einem meiner Wächter das Schwert aus der Hand, drei andere stürzten sich auf mich.
„Halt, halt. Lasst ihn.“ Die Wachen ließen mich los, Gilgamesch erhob sich langsam. Der Dunkelelf drehte sich um, ich blickte in kalte, schwarze Augen. „Wie ich sehe, wirst du von diesem nutzlosen Dämon begleitet. Und deiner Aura nach beherrschst du deine Magie noch nicht. Schade, ich erwartete einen würdigen Gegner.“
„Als verstündest du etwas von Würde!“, fauchte der Schwertmeister.
„Schweig, Dämon!“, ereiferte der Elf sich. Ich trat einen Schritt vor.
„Was willst du?“
„Macht. Deine Macht. Deine Magie.“
„Dazu musst du erst an mir vorbei!“, rief Gilgamesch und trat vor mich.
„Oho. Hat da etwa jemand schlechte Laune? Wie ich sehe, hast du ihn dazu gebracht, deinen Stein zu nehmen ohne das Siegel zu brechen. Eine jämmerliche Fehlentscheidung, Hüter. Dämonen gehören gebannt.“ Ich sah ein Silberschwert aufblitzen, einen roten Schatten, Funken. Der Schwerthieb, der mir gegolten hatte, abgewehrt von Gilgamesch. Die Wachen raunten. Die Masamune polterte zu Boden, ich sah, wie der rechte Ärmel von Gilgameschs rotem Gewand sich dunkler färbte. Blutrot.
„Du wagst es, dich mir in den Weg zu stellen, wertloser Dämon?“, schrie der Elf schrill.
„Offensichtlich.“, erwiderte Gilgamesch trocken. Der Immatriél hob sein Schwert, die Klinge glänzte.
„Dafür wirst du büßen!“
„Nein!“, schrie ich und sprang vor. Zu langsam. Das Schwert versank in der Brust des Schwertgeists. Ein Magiebrecher… Tödlich für den Magiegeist. Der Elf zog die Klinge lachend seitlich aus dem Körper des Schwertmeisters. Blut spritzte, Gilgamesch fiel zu Boden.
Ich taumelte zurück.
„Hupps.“ Der Dunkelelf betrachtete sein Schwert. „Ich wusste nicht, dass Dämonen bluten können.“ Wütend schrie ich auf, zog mein Schwert. Ich legte die Kraft meiner Verzweiflung in den Hieb, der Elf blockte mühelos.
„Was denn?“ Er lachte. „Bist du sauer, weil ich deinen kleinen Freund getötet habe? Du weißt zu wenig. Er ist nicht tot, aber ich sorge dafür. Jetzt.“ Er hatte plötzlich einen blauen Stein in der Hand. Er war trüb, aber ich erkannte eine Kirschblüte darin. Gilgameschs Geisterstein! Woher hatte er ihn? Er musste dem Schwertmeister den Stein abgenommen haben…
„Du wagst es nicht!“, zischte ich. Er ließ den Stein fallen. Er zerbarst am Boden in tausende kleine Splitter. Einsam lag die schlaffe Kirschblüte darin.
„Oh. Entschuldigung. Muss mir aus der Hand gerutscht sein.“ Ich ließ das Ordensschwert fallen. Unfassbar… „Du gibst auf?“
„Nein.“, knurrte ich und hob eine Hand. Ich wirkte den erstbesten Zauber, der mir in den Sinn kam. Naja, das heißt, ich versuchte es. Denn es passierte- Nichts.
„Ich sagte dir, dass du deine Magie nicht beherrschst. Du kannst hier nicht Zaubern, ein Bannfeld liegt um diesem Gebäude. Also, gibst du auf?“ Die Stimme des Elfen war voller Arroganz. Ich hob die stahlschwarze Masamune auf, die vor mir lag.
„Was willst du mit diesem Gurkenhobel? Doch nicht etwa kämpfen? Verletz dich nicht.“, verspottete der Elf mich. Ich sah, wie Valle hinter ihm sich regte… Und traute meinen Augen nicht. Valle lebte! Mühsam kam er auf die Knie, Blut lief über seine Wange, ein langer Schnitt zog sich quer über sein linkes Auge. Ich musste Immatriél ablenken, sofort.
„Komm.“ Ich hob die Masamune, sie war ziemlich schwer für so ein wendiges Schwert. „Ein ehrliches Duell. Der Gewinner richtet über den Verlierer.“ Was nahm ich mir da gerade heraus? Naja, ich war sowieso so gut wie tot, also. Wenn Valle seine Chance nutzte, konnte er immerhin abhauen…
„Soso. Na gut, wie du willst. Du wirst nicht siegen.“ Valle rutschte lautlos an den Elf heran… Nein, hau ab, verflixt noch mal! Ein Schwertstreich, ich sprang beiseite, rutschte im Blut aus. Ich fing mich ab, spürte einen Schlag an der Schulter. Kraftlos hob ich den Schwertarm, täuschte an und… Was? Der Elf stolperte über Valle und ließ vor Schreck sein Schwert fallen. Ich hechtete zu ihm und riss ihn am Kragen hoch. Absolute Stille. Ich drückte ihn mit der Masamune am Hals an die Wand. Niemand regte sich.
Das war es.
Der Moment, der über Leben und Tod entschied.
Ich zögerte.
Retter oder Mörder?
Konnte ich mit einem Mord leben?
Oder konnte ich gar mit dem Versagen leben? Konnte ich vor die Elfen und Menschen treten und ihnen sagen, dass ich versagt hatte?
>Fällt er, ist der Schlange der Kopf abgeschlagen.

Letzter Akt



Letzter Akt: Andenken an große Krieger



What happened in days long past? In your eyes, as turn your gaze away from me.

-Ayaka, Why




“Geht´s dir wirklich besser, Erik?“ Ich sah verwirrt auf, blickte in Valles besorgtes Gesicht. Eine dicke Schicht grün-weißer Salbe bedeckte seine linke Gesichtshälfte. Der Schnitt, der sich quer über sein Auge zog, würde eine Narbe hinterlassen, so viel stand fest.
Mike war eingetroffen, kurz, nachdem Gilgamesch verweht war. Er hatte Valle notdürftig geflickt, und mich… naja. Am liebsten hätte er mich wohl zur Schnecke gemacht, aber er realisierte recht schnell, was passiert sein musste, als er die Masamune vor mir liegen sah.
Valle hatte überlebt, ich hatte überlebt. Gilgamesch nicht. So hatte Dillios Recht behalten… Ein Begleiter ist zu Tode gekommen.
„Erik?“
„Besser als dir, würd ich sagen.“
„Hey, der Arzt ist gut. Ich bin fast wie neu!“ Er deutete auf sein Gesicht. „Bis auf das da, eben.“ Er versuchte zu lächeln, verzog aber nur das Gesicht.
„Wird ne Narbe geben.“
„Hat bestimmt was Verwegenes.“
„Bestimmt.“, seufzte ich.
„Hey, hör mal. Du hast die Insel gerettet! Du wirst hoher Hüter! Etwas mehr Elan, bitte.“
„Tut mir leid.“, murmelte ich. Valle schwieg eine Weile betroffen.
„Was willst du nun mit seinem Stein machen?“, fragte er schließlich.
„Behalten.“
„Und Enkidu?“
„Er bleibt hier, in der Gilde. Lysa wird sich um ihn kümmern.“
„Du willst wirklich schon heim?“
„Was hält mich hier?“
„Lysa. Zum Beispiel.“
„Sie hat genug damit zu tun, die Hochelfen zu ordnen. So, wie es aussieht, wird sie die neue Leiterin des Magierordens. Damit hat sie dann die beiden wichtigsten Positionen bei den Elfen inne. Willst du bleiben?“
„Ich lass dich nicht allein gehen.“ Autsch. > Ich gehe mit ihm.

Epilog



Heldengeschichte



Mit starren Augen schauend
in die Ferne des Lebens
entgegen neuer Hoffnungen
voll großer Erwartungen

Dies war die Handlung eines Helden
Ein Held jener Wünsche und Träume besaß
entflohen einer schicksalhaften Vergangenheit
um das Gute auszubauen

Seine Fäuste zum helfen geballt
sich dem Bösen entgegen zu stellen
Mit seinem unglaublichem Lächeln
so voller Güte und Zuversicht

Jeden in seinen Bann ziehend
dies war seine Eigenschaft
Leben tut er nur noch in all jenen Herzen,
welche er einst für sich gewann...

by ~FlashD-Lauer


Impressum

Texte: By Yelava Yen´vela, Flashi und den erwähnten Bands
Bildmaterialien: by NichtExistenz
Lektorat: by NichtExistenz und Sayaruka Enshiru
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An Andy, Kai und die ganzen verrückten Nudeln in meinem Leben :>

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