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Der Staub auf dem Spiegel

Victor Herrlich

 

 

 

 

 

Gedichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für den 17. Karmapa Thrinley Thaye Dorje

 

 

 

 

 

„Das Frühlicht löst die Ungeheuer auf“

 

Paul Eluard

I

 

In der Frühe

 

 

Die Stundenrose

Nacht

entblättert sich

 

zerfällt

auf den Körpern

noch schlafender Frauen

 

Blütenasche

Aschenblüte

 

zerstäubt

in fahlem Licht

 

 

 

 

 

Taufeucht

 

 

Wenn die Nacht warm

taufeucht und reif ist

fällt sie

ein blutdunkler

Pfirsich

in deinen Schoß

 

Ein metallisch

kalter Mondstrahl

schneidet ihn

in zwei Hälften

 

Ich sehe

sein innerstes Fruchtfleisch

 

glänzen

 

 

 

 

Behutsam

 

 

Die Sonne

 

wie sanft

wie behutsam

als wisse sie

um die Bilder

das Geträumte

in den Augen

des angstsüchtigen Wilds

tritt sie

aus dem geräuschvoller werdenden

Unterholz

dieser Nacht

 

Es zittert

ein weißes Herz

in der Luft

 

die waidwunde Frühe

 

 

Morgens

 

 

Jetzt schneit es

 

Ich sehe zu

wie es schneit

 

Wir sollten dem Tag

einen Namen geben

der so vor Stille sanft ist

 

 

 

Für Julia Jentsch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Abend

 

 

Eine brennende Feder

legt sich die Nacht

auf die Stadt

 

glimmt auf

über dem grünen Fluss

 

erlischt

 

Ich bin so müde

meiner Sucht

nach Begriffen und Bildern

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Sommer

 

 

Unter Tage

im Grubendunkel

der Sprache

 

staublind

die Lungen verengt

sandigen Munds

 

Wie lange schon

 

Etwas vom Schwimmbadblau

deiner Kindheit

greift dir jählings

ans Herz

 

 

 

 

 

 

 

Frage

 

 

Wer wird mich

jemals herausbrechen

aus mir selbst

aus meinem

Sprachgezwungensein

eine Muschel

festgetrocknet auf dem Rücken

des dunklen

heißen Gesteins

um mich heimzuschenken

dem Meer dem Meer dem Meer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach den Proben

 

 

Aufgeladen mit Gedankenstößen

und mit Sätzen

die in meinem Innern

weitersurren

wie zu straff gespannte Seile

wende ich mich

des Sprachgezwungenseins

so müde

dem Abend zu

 

Wie leer und groß

noch undurchschritten

seine Räume sind

 

Mein schwacher Widerhall

in ihnen

 

zertrümmert mich

 

 

 

Randbemerkungen

 

 

Schnee

der auf dem schwarzen Wasser

der Regentonne erlischt

 

Worte

ausgeschwiegen

die Stille benetzend

 

Der Schatten eines kleinen Vogels

schnellhin

über den Fenstern

 

Ein Kind

das weint

 

Eine Zeile

schwach erinnert

aus einem Gedicht

 

Zwei Menschen

die sich zusammentun

um ein wenig Hitze

miteinander zu erzeugen

 

Der Staub

auf dem Spiegel

 

Ein Klopfgeräusch

 

Der Geruch von Mandarinenschalen

an den Fingerspitzen

 

Die Zeit ist eine schlafende Frau

deren Augenlider

transparent sind

II

 

Damals

 

 

Sommertoll

wir beide

zu Fuß damals

kreuz und quer durch die Stadt

 

Vom Wärmegewitter

überrascht

klatschnass bis auf die Haut

war uns doch egal

zu Fuß damals

kreuz und quer durch die Stadt

 

Biertaumelnden Herzens

am Abend

 

Sprücheklopfer

Habenichtse

 

gingen wir junigrün

hinter den Ohren

auf Tschinderrassakrachbumbumm

beglückt auf Mädchen aus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 An der Isar

 

 

Vom steinigen Ufer aus

den von Glanz und Hitze

gespannten Himmel

mit einem Blick

durchmessen zu wollen

und dabei so namenlos

so sommererdgeruchstrunken

in Bann gezogen zu werden

von der Gestalt einer Frau

die mit nichts als

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 07.02.2020
ISBN: 978-3-7487-2869-6

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist dem 17.Karmapa Thrinlay Taye Dorje gewidmet

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