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Bloß nicht Jesper!

 

 

 

 

 

Chris – Erste Tage



Mein Loft liegt in der Innenstadt von Heidelberg. Ich musste nicht lange danach suchen. Der Makler hatte mir ein paar Wohnungen gezeigt und ich nahm diese wegen der riesigen Dachterrasse, die dazu gehört. Ein Loft und eine Dachterrasse! - Was will man in meinem Alter mehr?

Ich werde hier eine gute Zeit haben! Das ist ein fester Vorsatz.

Eine gute Zeit hatte ich schließlich schon annähernd in New York. An meinen besten Freund habe ich fast gar nicht mehr gedacht und wenn doch, gab es in New York immer etwas oder manchmal auch jemanden, um sich abzulenken. Nicht, dass ich wirklich der Typ bin, der diese kurzen Bekanntschaften so richtig genießen kann. Den ein oder anderen One-Night-Stand hatte ich dennoch. New York besitzt eine ausgeprägte Partyszene, und ich will nicht mehr ganz so sehr ich selbst sein, also warum sollte ich es nicht mit einem Fremden versuchen? Ich mache alles, was mir hilft, mich zu ändern. Denn dass es so nicht mehr weitergehen kann, ist klar. Jared muss raus aus meinem Kopf!

Mein Smartphone blinkt und ich sehe die Nachricht von ihm.

Jared! Mein Ex! Mein bester Freund! Der Typ, der seinen Freund mit mir betrogen hat und diese Nacht mit mir als den größten Fehler seines Lebens sieht, meldet sich bei mir.

Unwillig sehe ich auf mein Display.

Natürlich muss er mir jetzt schreiben!

Mein bester Freund und der einzige Junge, in den ich je wirklich verliebt war, wünscht mir 'Alles Gute zum Einzug'.

Natascha muss ihm davon erzählt haben. Sie kümmert sich um jeden in unserem Freundeskreis. Ob man es nun will oder nicht! Und egal, was man getan hat.

Ich hätte nicht mit Jared schlafen dürfen! Ich wusste doch, dass es ihm mit Ben ernst war. Man konnte es sehen, auch wenn die beiden noch nicht lange als Paar auftraten. Es war mir nur in dieser Nacht egal, als sich seine Arme um mich schlossen und er dieses besondere Interesse an mir zeigte.

Erbärmlich!

Die Nachricht starrt mich mitleidig an. Ich bedanke mich und frage, wie es ihm und Ben geht.

Vielleicht sollte ich nicht nach Ben fragen? Eigentlich habe ich kein Recht dazu und mal ehrlich, auch wenn ich ihn mag, will ich nicht hören, wie happy sie sind.

 

Gut.

 

Das ist alles, was zurückkommt. Eigentlich will ich mein Smartphone weglegen, doch stattdessen tippen meine Finger ganz automatisch weiter. Ich kann den Kontakt zu Jared irgendwie nicht kappen.

 

Das freut mich.

Ich bin froh, dass ihr wieder in Ordnung seid.

Versau es nicht wieder, du Idiot :-)

LG Chris

 

Ich kann nicht leugnen, ihn wie verrückt zu vermissen, sobald er mir wieder in den Sinn kommt. Ein paar Mal schaue ich auf das Display, bevor tatsächlich eine Antwort von ihm da ist.

 

Tue ich nicht!

Ben ist gerade noch dabei, sich in London einzuleben.

Das mit seiner Mutter packt er nicht gut,

aber es geht ihr schon besser.

Ich weiß, wir sehen uns erstmal nicht,

aber der Winterurlaub steht noch oder?

 

Mein Daumen trommelt auf die Smartphone-Oberfläche. Winterurlaub? Er ist gebucht, aber bis jetzt habe ich das ordentlich verdrängt. Ich hätte nie gedacht, dass Ben noch dahin will, obwohl ich und Jared ... Ich denke lieber nicht daran!

 

Ich werde da sein.

 

Ich lese die Worte und bezweifle, dass ein Wiedersehen mit Jared und Ben so einfach wird. Ben muss mich hassen und ich habe keine Ahnung, was ich für Jared empfinde, wenn wir wieder zusammen rumhängen. Zu wissen, dass es auf keinen Fall ein Happy End für mich und Jared geben wird und sich auch dementsprechend zu verhalten, sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. 

Ich lege mein Smartphone auf die Kommode neben meiner Wohnungstür. Auf weitere Nachrichten kann ich erst einmal verzichten. Nach all den Wochen sollte das alles längst hinter mir liegen. Ich sollte mein Medizinstudium und die Möglichkeiten in dieser Stadt im Kopf haben. Mein Blick streift umher und sucht nach etwas, mit dem ich mich ablenken kann.

Noch ist mein Loft eher spärlich eingerichtet und die Möbel, die ich bis jetzt habe, stehen noch nicht alle am richtigen Platz. Ich bin froh, dass es noch etwas zu tun gibt, also ziehe ich mein Hemd aus, rücke mein weißes T-Shirt gerade und packe ordentlich an. Der große Esstisch steht bald gegenüber der Küchenzeile frei im Raum. Zwei große, hohe Kerzenständer stelle ich dekorativ auf den schweren Holztisch. Die Stühle ordne ich drumherum an. Auch die Position des Schreibtisches gefällt mir noch nicht so ganz, also überlege ich, wo er besser aussehen würde. Ich schiebe ihn an das große Fenster und räume meine Bücher aus den Kartons, um sie daneben zu stapeln. In nächster Zeit muss ich mir ein paar Regale besorgen und eine Couch fehlt auch noch.

*

Ich bin verschwitzt, aber mit meiner Arbeit zufrieden, als es überraschend klingelt. Noch erwarte ich niemanden. Als ich die Tür öffne, stehen Natascha und Pauline vor meiner Tür. Mit ihnen habe ich nun wirklich nicht gerechnet und im ersten Moment kriege ich den Mund nicht auf. Sie studieren doch nicht hier! Natascha hat noch einiges zur Auswahl, aber Heidelberg ist nicht dabei.

"Na, freust du dich, uns zu sehen?", flötet ihre Elfengestalt.

 "Ah!", kreischt Pauline hingegen und fällt mir um den Hals. Sie ist so stürmisch, dass ich kaum noch Luft kriege.

"Ihr Zwei seid doch irre. Ich bin total verschwitzt, Pauline."

Sie lacht schrill und drückt sich noch enger an mich. "Ich kenn dich schon ewig. Denkst du echt, so ein wenig Schweiß schreckt mich ab?"

"Komm, das ist doch eklig", sage ich und schiebe sie ein Stück weg.

"Du Spießer", tadelt sie mich und gibt mir einen Klaps.

"Kommt rein, setzt euch und gebt mir Zeit, mir ein neues Shirt anzuziehen und mich frisch zu machen!" Ich trete zur Seite und lasse die beiden unverhofften Besucher rein.

Natascha küsst mich sanft auf die Wange. "Du siehst gut aus", flüstert sie und geht an mir vorbei zum Esstisch.  

Ich gehe zu meinem Schrank, ziehe mir ein Shirt raus und verschwinde im Bad. Gewaschen und mit neuem Oberteil komme ich zurück. Pauline macht gerade Musik an und singt 'Verschwende dich nicht' von Madsen mit. Dazu tanzt sie wild in einem blauen flatternden Sommerkleid. Dass sie nicht mehr trinkt, macht Pauline nun wirklich nicht weniger verrückt. Ich hole die Flasche Cola aus dem Kühlschrank und suche nach Gläsern, die ich offenbar noch nicht habe, also nehme ich drei Kaffeebecher und setze mich zu ihnen.

"Und seid ihr jetzt etwa nur wegen mir nach Heidelberg gekommen?", frage ich und bin nicht ganz sicher, welche Antwort ich von ihnen hören möchte.

Natascha wirft mir einen traurigen Blick zu. "Natürlich sind wir wegen dir hier! Du brauchst jetzt doch bestimmt jemanden."

Was soll das heißen?  Ich presse die Lippen aufeinander und verschränke die Arme. "Mir geht es hier bestens."

Pauline lacht. "Nach der Sache mit Jared ist das Verleugnung. Glaub mir! In der Therapie quatschen wir ständig darüber und über diesen ganzen 'Stelle dich deinem Problem' - Kram. Also öffne dich uns!"

Ich lockere mich und grinse süffisant. "Ich habe gar kein Problem."

Natascha rollt mit den Augen. "An deiner Stelle wäre ich fertig. Das mit dir und Jared ging schließlich lange."

Ich reibe mir übers Gesicht. "Es ging für mich lange, nicht für ihn!"

"Ich weiß, aber für dich ist das doch mies."

Ja, es ist mies, dennoch brauche ich Natascha und Pauline nicht als Händchenhalterinnen.

"Tja, jetzt bin ich in einer neuen Stadt, er ist mit seinem Freund in London und ich kann hier eine ganze Menge Spaß haben und mich auf mein Studium konzentrieren. Ich werde Arzt und später wahrscheinlich in unserem Pharmazieunternehmen arbeiten. Alles ist bestens."

"Wenn du das sagst!", meint Pauline altklug und schenkt sich Cola ein.

"Sollte nicht zumindest eine von euch studieren? War es nicht zuletzt Berlin?", frage ich die beiden.

Natascha lächelt sanft. "Mein Studium fängt wie deins erst in drei Tagen an und im Gegensatz zu dir habe ich meine Wohnung schon eingerichtet."

"Hey, ich bin hier so gut wie fertig." Ich grinse und Pauline drückt mich plötzlich und überschwänglich und ich lasse es über mich ergehen.

"Und es sieht super aus. Ich werde dir einen Traumfänger machen. Einen bunten! Dieses Loft braucht eindeutig mehr Farbe", kreischt sie überdreht.

"Nicht jeder steht so auf knallbunt wie du."

Pauline zuckt verträumt mit den Schultern. "Die Welt wäre lustiger, wenn es so wäre."

"Ach und was machst du in dieser bunten Welt?"

"Ich werde Schauspielerin. In den nächsten Wochen kann ich mich an der Schauspielschule in Berlin bewerben und natürlich werden die mein unglaubliches Talent erkennen."

"Ok, verstehe. Ich hoffe, du redest noch mit uns, wenn du ein großer Star bist."

"Hey, ich lasse doch meine Freunde nicht hängen. Außerdem könnt ihr in meine Filme investieren oder du überzeugst deinen Vater davon, dass ich das perfekte Gesicht für euren Hustensaft bin."

Wir alle müssen lachen und ich bin froh, dass immerhin ein paar meiner Freunde hier sind.

"Solche Entscheidungen trifft noch immer meine Großmutter und für die bist du zu unkonventionell."

"Ich bin stolz darauf unkonventionell zu sein!", verkündet Pauline triumphierend und Natascha und wir lachen noch etwas lauter.

"Wie dem auch sei! Ich dachte, wo wir schon einmal im schönen Heidelberg sind, zeigst du uns die Stadt", meint Natascha und schlägt ihre Wimpern nieder.

"Und die Clubs!", ergänzt Pauline eilig.

Gemeinsam stehen wir auf und machen uns daran, den Plan in die Tat umzusetzen. Ich stelle die Cola zurück in den Kühlschrank und trotz meiner noch mangelnden Ortskenntnis ziehen wir los.

*

Zunächst sehen wir uns draußen in der Altstadt um. Heidelberg ist geschmückt mit rotweißen, alten Häuschen und kleinen Gassen aus Kopfsteinpflaster. Ich mag es, obwohl es eher wie ein Dorf wirkt. Überall sind Cafés und Restaurants und überall tummeln sich Menschen. Mir fällt der Emo-Typ auf, der mich ansieht. Er hat schöne Augen unter dem lächerlich langen Pony. Ich nicke ihm zu und lasse mich von Pauline in den nächsten Laden schleppen. Es ist einer dieser Modeschmuckläden und sie kauft ihn leer. Bunte Ketten und Ohrringe, kitschige Broschen - alles landet in ihren Fundus.

Schließlich ist es Natascha, die genug vom Shopping hat und uns ins Heidelberger Schloss lotst. Ich bin nicht gerade der größte Fan dieser ganzen Schlossbesichtigungen. Alte Mauern und gepflegte Gärten sind einfach nicht meine Welt und was mich angeht, ist die Monarchie tot und nur noch Deko. Warum ich mich damit beschäftigen soll, ist mir also nicht ganz klar. Deshalb schleiche ich hinter den Mädels her, oder zumindest versuche ich das.

Natascha lässt sich zurückfallen und gräbt sich unter meinen Arm.

"Sei nicht so schlecht drauf!"

"Ich bin überhaupt nicht schlecht drauf!", beschwere ich mich und lache.

Sie streicht fast mütterlich über meinen Rücken. Glaubt sie wirklich, ich würde die Sache mit Jared so schlecht handlen? Ich bin so gut wie über ihn hinweg und bald wird er wieder einfach nur mein Kumpel sein.

 "Vielleicht langweilt er sich auch einfach", grinst Pauline.

Natascha wirft den Kopf zurück und seufzt theatralisch. "Ok, ich wollte euch ja nur mal ein klein wenig Kultur näherbringen. Also dann suchen wir uns ein Restaurant und danach einen Club oder eine Studentenbar."

 



Jesper – Ich bin für dich da!



Ihre Haare sind, seit ich denken kann, lang und dunkelbraun gewesen. Ihre Augen waren immer von einem dichten Wimpernkranz umrahmt und wirkten nachdenklich. Sie war immer wunderschön. Meine Schwester ist immer schon beeindruckend und der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen. Jetzt liegt sie da mit diesen Schläuchen und ohne Haare, Wimpern oder Augenbrauen. Sie sieht so anders aus, aber noch immer wie meine Schwester. Ich habe keine Ahnung, was sie da in sie hineinpumpen. Ich weiß nur, dass es nicht wirkt. Mir ist schlecht, aber ich halte die Mundwinkel oben für den Fall, dass sie aufwacht und mich sieht.

"Liebling, wir sollten gehen und deiner Schwester etwas Ruhe gönnen", sagt meine Mutter mit diesem einstudierten Lächeln, das jeder in unserer Familie beherrscht. Manchmal kotzt es mich an!

Ich gebe meiner Schwester einen zarten Kuss auf ihre eisige Stirn und gehe leise mit meiner Mutter hinaus. Mein aufbauendes Lächeln bleibt im Krankenhauszimmer zurück, als ich meiner Schwester den Rücken zuwende und mich im kargen Flur an die weiße Wand lehne. Ich lasse die Schultern sacken und fühle mich, als könnte ich heulen. Ja, ich fühle mich wie ein Fünfjähriger, der einfach nur losheulen will, weil er erkennen muss, dass die Welt ein gemeiner, dunkler Ort ist und die Menschen um ihn herum versuchen, ihn zu verlassen. Nein, er erkennt, dass sie ihn verlassen werden. Früher oder später.

"Nicht hier, Jesper!", erhebt sich warnend die Stimme meiner Mutter und ich sehe ihren Blick der Missachtung dafür, dass ich mir einen Moment der Schwäche erlaube.

Meine Familie legt mehr Wert auf Etikette als die regierende Königsfamilie. Meine Tante Margrethe, die derzeitige Königin von Dänemark, Färöer und Grönlands, ist viel ungezwungener. Meine Mutter findet das schrecklich. Jemand von Adel hat sich nicht so zu benehmen. Es geht darum, immer ein Vorbild zu sein. Ich bin ihr daher nicht gerade der perfekte Sohn, aber sie liebt mich dennoch.

Ihre blasse Haut scheint im Licht des Krankenhausflures und sie fordert, dass ich mich aufrichte und eine sanfte Ruhe ausstrahle. Die Presse wartet seit Tagen unten. Jeder will wissen, wie es meiner Schwester nach ihrem Zusammenbruch geht. Ich hasse diese Meute. Ich hasste sie schon, als ich noch jünger war und ich befürchtete, auf all den Bildern könnte jemand etwas sehen, dass niemand von mir sehen soll.

Meine Mutter streicht im Aufzug liebevoll über meinen Oberarm, so wie sie es schon immer getan hat, wenn ich etwas tun musste, dass ich nicht tun wollte. Mich vor der Presse zu zeigen, war lange Zeit eines dieser Dinge. Heute habe ich sie weitgehend im Griff. Allerdings kann ich sie nicht von meiner Schwester fernhalten und das fühlt sich falsch an. Ich sollte Emma vor dieser gemeinen, dunklen Welt beschützen können.

Alle Augen sind auf uns gerichtet, als wir ins Foyer treten und sofort begleiten uns Bodyguards zu unseren Wagen. Blitzlichter schnellen uns entgegen, als wir das Krankenhaus endgültig verlassen.

"Wie geht es Emma?", schreit uns eines der Blitzlichter entgegen.

Erstaunlicherweise schweigt meine Mutter. Also springe ich ein. Ich lächele noch etwas breiter.

"Meine Schwester wird bald wieder auf den Beinen sein. Aber ich danke Ihnen für ihre Anteilnahme und Sorge."

Als die Wagentür zufällt, bin ich dankbar für die verdunkelten Scheiben. Die Blitzlichter erreichen uns nicht länger.

 "Wann kommt Vater zurück?" Ich spüre die Wut auf ihn nach oben steigen. Er ist nach Emmas Zusammenbruch einfach geflohen. Er stellt sich solchen Dingen niemals.

"Er musste diese Reise machen. Sie ist bereits lange festgelegt und wird vielen Menschen helfen", beruhigt meine Mutter mich, doch ich will mich nicht beruhigen.  

"Wie wäre es, wenn er zuerst seiner Familie hilft?", frage ich und lächle eisig.

Wieder sieht sie mich so an, dass ich nicht sagen kann, ob ihre Gefühlswelt echt oder gespielt ist. "Wir haben Verpflichtungen und du solltest das mittlerweile gelernt haben. Du bist zu alt, um länger wie ein Kind zu denken."

Da ist ja ihr übliches Totschlagargument.

Wir fahren auf unseren Landsitz und die Entfernung zum Krankenhaus gefällt mir nicht. Ich hätte mir lieber ein Hotelzimmer in direkter Nähe genommen. Hier gibt es allerdings keine Presse vor der Tür und unsere Angestellten regeln alles Notwendige. Ich gehe hinauf, lockere meine schmale, schwarze Krawatte und lasse mich aufs Bett fallen.

Am Abend stehe ich wieder auf. Ich dusche mich. Ich ziehe mich an. Ich trage mein Lächeln.

"Du siehst sehr gut aus." Die Stimme meiner Mutter ist jetzt vollkommen weich und ihre Hand streicht über meine Krawatte. 

 "Danke dir", erwidere ich höflich und küsse ihre Wange.

Sie trägt ein langes, schwarzes Abendkleid und ein Diamantencollier. Ich könnte darauf verzichten, aber wir gehen zu einer Veranstaltung des Königshauses. Mary, Frederiks Frau, hat alles arrangiert. Es ist eine Veranstaltung, die die dänische Kulturlandschaft unterstützen soll. Statt bei Emma im Krankenhaus befinde ich mich also den Abend über in einem Museum und bin von seltsamen Skulpturen umgeben.

"Hey Jesper!", begrüßt mich Frederik ganz unformell und umarmt mich. Er ist für mich fast wie ein Bruder und dass er der Kronprinz ist, war mir schon immer egal. Er ist nur ein guter Freund.

"Frederik. Schön dich zu sehen", erwidere ich und drücke ihn. Er ist immerhin Familie, auch wenn wir beide nicht gerade verwandt aussehen. Mein spanischer Vater lässt mich nicht gerade blass und typisch dänisch wirken. Ich habe tiefschwarze, glatte Haare, eine leicht braune Haut und nur die blaugrünen Augen habe ich von meiner Mutter abbekommen.

"Wie ging es Emma heute?", fragt Frederik besorgt.

"Sie packt das!", erwidere ich leicht hin, ohne einen Gedanken an dieses Krankenhauszimmer zuzulassen.

"Gut, das freut mich zu hören", nickt er meine nichtssagende Antwort ab und lächelt. Er weiß sofort, dass Emma kein Thema ist, über das ich reden will. So bin ich nicht.

Mir fällt der Kellner auf, als er mir den Champagner entgegenhält und sofort schaue ich weg. Ich kenn diese Phasen und ich will sie ganz sicher nicht ausleben. Ich bin einfach nur gestresst und offenbar brauche ich jetzt gerade irgendjemanden. Also sehe ich mich nach etwas Geeigneterem um, während ich mich mit meinem Cousin unterhalte. Es gibt auch hübsche Kellnerinnen, aber ich will eine größere Herausforderung.

"Wer ist das?", frage ich interessiert und deute auf eine Frau in einem schönen, roten Valentino Kleid. Sie ist hübsch, gut geformt und sieht so aus wie meine Trophäe für heute Abend. Ihre Hüfte hat diesen gekonnten Schwung und ihr Gesicht ist edel und elegant geschminkt. Ich erkenne eine schöne Frau, wenn ich sie sehe. 

"Du bist unverbesserlich."

Ich werfe meinem Cousin einen alles sagenden Blick zu. "Entschuldige mich, ich habe da drüben etwas zu tun."

"Sie heißt Louise Charmo und ist Schauspielerin, doch zu deinem Pech ist sie mit jemandem hier."

"Mit wem?"

"Graf Henden."

Ich grinse breit. "Ich sehe besser aus als Henden und ich liebe Schauspielerinnen."

Frederik schüttelt den Kopf und sieht sofort zu seiner Frau, als sie sich uns nähert. Die beiden scheinen einander quasi zu spüren. Ich habe noch nie so auf irgendwen reagiert. So ticke ich einfach nicht. Ich ticke sowieso ganz generell falsch in solchen Dingen.

 "Mary, du siehst umwerfend aus!", begrüße ich sie und spüre, wie wir nicht länger unbemerkt sind. Alle sehen uns an. Auch meine Schauspielerin.

Sofort werfe ich ihr ein Lächeln zu. Das Lächeln, das sie mir zurückwirft, ist formvollendet. 

Während Mary und Frederik Hände schütteln, kümmere ich mich um Louise Charmo. Ich schlendere auf sie zu in meinem gut sitzenden Anzug.

"Lassen sie mich raten, sie lieben Kunst." Der Spruch ist lahm, aber sie ist interessiert, also lacht sie. Sie weiß eindeutig, wer ich bin und damit weiß sie auch eindeutig, was ich von ihr will. Ihr Name wird morgen früh in allen Boulevardblättern stehen.

"Ich liebe alles, was sinnlich ist", flötet sie mir zu und ich lächle in ihr hübsches Gesicht.

"Wie erfreulich, denn mir geht das genauso."

Es dauert nicht lange, bis wir beide wissen, dass keiner von uns die Nacht alleine verbringen wird.

"Verurteilen Sie mich nicht, aber ich würde jetzt gerne mit ihnen in ein wunderschönes Hotelzimmer fahren und etwas wahrhaft Sinnliches erleben", flüstere ich dicht an ihrer Wange und spüre, wie ihr Körper zu zittern beginnt. Mir gefällt, dass ich sie so erregt habe. Sie ist nervös und zerbrechlich und das nur wegen mir. Die Macht über sie sagt mir zu, doch ich muss mich anstrengen, um in Stimmung zu kommen.

Quer durch den Raum nicke ich Lauritz, meinem persönlichen Bodyguard und langjährigen Freund, zu und er kümmert sich darum, dass draußen ein Wagen auf mich und meine Trophäe wartet. So unhöflich es auch ist, gehen Louise und ich noch vor dem Essen und den Reden. Draußen wartet die Presse auf uns und ich ziehe Louise eng an mich. Ich posiere mit ihr. Ich flachse mit den Fotografen und schließlich steige ich mit ihr in eine Limousine. Sie schmiegt sich eng an mich. Ihr Parfüm ist unglaublich süß. Ihre geschminkten Lippen glänzen rubinrot.

"Unglaublich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein muss, so von der Presse verfolgt zu werden." Ihre Stimme klingt etwas neidisch. Sie liebt die Aufmerksamkeit und wahrscheinlich ist sie darum mit mir von der Party verschwunden.

"Bestimmt dauert es nicht mehr lange. Frederik erzählte mir, du wärst eine begabte Schauspielerin", schmeichle ich ihr und sie geht darauf ein.

Ihre Lippen küssen meine und ich kann nicht sagen, dass sich das schlecht anfühlt. Sie küsst besser, als erwartet. Ich bin zufrieden, als wir endlich im Hotelzimmer landen. Lauritz folgt uns unauffällig und wartet wie immer geduldig im Flur der Etage.

"Das hier ist das Verrückteste, das ich je getan habe. Sonst gehe ich nicht einfach so mit auf ein Hotelzimmer", kichert sie und wirkt unglaublich aufgeregt.

Meine Hände legen sich auf ihre geschwungene Hüfte und ziehen ihren Körper an meinen. "Ich freu mich, dass du es heute getan hast und ich werde dafür sorgen, dass du das nicht bereust", raune ich in ihr Ohr und küsse sie gekonnt.

Ich wische ihre Bedenken weg und schiebe sie ins Schlafzimmer. Ich habe keine Lust, zu warten. Meinen Orgasmus habe ich mir verdient und der attraktive Kellner spukt noch in meinem Kopf herum. Mein Körper braucht einen Fick. Sanft suche ich nach dem Reißverschluss ihres Kleides. Ich ziehe ihn langsam hinunter. Ich entblöße sie Stück für Stück. Wenn ich schon mit ihr schlafe, soll es gut für sie sein. Schließlich habe ich mir einen gewissen Ruf aufgebaut. Ich weiß, was Frauen wollen. Ich habe sie studiert. Meine Finger zittern kurz, als mir der hübsche Kellner wieder einfällt. Warum muss ich immer wieder solche Gedanken haben? Ich könnte einfach normal sein! Andere sind normal!

In Spitzenwäsche und Strapsen legt sie sich aufs Bett und sieht mich gespannt an. Ich ziehe mein Jackett und mein Hemd aus. Als ich zu ihr komme, küsse ich ihren Nacken. Ihr Körper streckt sich mir entgegen. Ich greife nach ihr. Kontrolliert fahre ich über ihre Beine und beginne ihr unter meinen Küssen den Rest an Stoff vom Körper zu entfernen. Ich habe Spaß daran, dass sie mich will. Mein Körper reagiert allerdings kaum auf sie. Ich bleibe kontrolliert, aber genau das gefällt den Frauen. Meine Fähigkeiten beeinflusst das auch nicht. Der BH wird von meinen Fingern geöffnet und meine Zunge widmet sich ihren harten Brustwarzen. Sie stöhnt laut und innig. Ich mache weiter. Ich weiß, dass ich alles richtigmache, doch als ich hart werde, denke ich nicht an sie oder ihre weiblichen Brüste. So etwas macht mich einfach nicht scharf. Trotzdem widme ich mich jedem Zentimeter ihres Körpers. Ich gleite in sie hinein und sie hat Spaß daran. Sie krallt sich in meinen Rücken und ich sorge für ihre Lustschreie. Ich stöhne, damit sie nicht enttäuscht ist. Als wir fertig sind, fühle ich mich trotzdem besser. Ich bin erleichtert. Meine Gedanken werden sich nun nicht mehr um die falschen Dinge drehen.

"Das war der Wahnsinn", sagt Louise und drückt sich strahlend in die Kissen.

"Du warst unglaublich", erwidere ich und küsse sie.

Eigentlich könnte ich jetzt gehen, aber aus Höflichkeit bleibe ich. Wir plaudern und sie drückt sich an mich. Ich finde sie ganz nett, aber ihr Körper ist zu hitzig und sie ist zu anhänglich.

*

Lauritz begrüßt mich mit einem Lächeln und einem Schulterklopfen, als ich am nächsten Morgen kurz vor Morgengrauen aus dem Zimmer komme. Louise schläft noch, so wie das gesamte Hotel. Ich habe ihr eine Notiz dagelassen. Die Suite gehört ihr, solange sie sie will und auf Wunsch wird sie ein Wagen abholen. Um meine Frauen kümmere ich mich immer gut!

Lauritz und ich steigen in den Fahrstuhl.

"Du hast vielleicht ein Glück!", sagt er ein wenig neidisch. Offenbar ist Louise sein Typ und ganz offenbar ist sie nicht meiner. Ich verdränge den letzten Gedanken. Ich hatte meinen Spaß mit ihr und ich habe etwas gefühlt.

"Ich bin eben ein Glückspilz."

"Ein adeliger Glückspilz!", fügt Lauritz trocken an.

"Mein Charme würde auch so wirken."

Er mustert mich skeptisch. "Ohne Titel, Geld und diesen Gentleman-Look wärst du wohl nicht so erfolgreich."

"Tja, dann ist es ja gut, dass ich das alles habe."

"Arroganter Mistkerl!", grunzt Lauritz und checkt die Eingangshalle, bevor ich aus dem Aufzug steige. Es ist lächerlich.

"Ich glaube nicht, dass mir hier besonders viel Gefahr droht."

Lauritz zuckt mit den Achseln. "Ich bin dein Bodyguard und würdest du diese ganzen Briefe an dich lesen, wärst du auch besorgt."

Ich schüttle den Kopf und gehe mit ihm durch die Lobby zu meiner Limousine. "Guten Morgen, George. Fahren sie mich zum Krankenhaus", sage ich und mein Fahrer fährt los.

"Könnte ich mit reinkommen?", fragt Lauritz vorsichtig. Ich weiß, dass er und meine Schwester sich immer gut verstanden haben, aber in letzter Zeit hat sich das geändert. Emma hat kaum noch ein Wort mit ihm gewechselt.

 "Ich denke nicht, dass ihr nach Besuch ist", erwidere ich diplomatisch.

"Ach, und du bist kein Besuch!?", motzt er.

"Ich bin ihr Bruder, das ist etwas anderes."

Glücklich stimmt Lauritz diese Antwort nicht. Er würde sie gern sehen.

"Wie schlecht geht es ihr?"

Ich lächle eisig. "Willst du bei der Presse abkassieren?"

Lauritz schnaubt. "Ich will wissen, wie es ihr geht."

"Mies", ist alles, was ich über die Lippen bringe.

"Sag ihr, dass ich nach ihr gefragt habe", meint er und beendet damit diese unangenehme Unterhaltung.

*

Es sind nur wenige Fotografen vor dem Gebäude. Während George im Wagen wartet, bringt mich Lauritz auf den Flur von Emmas Zimmer. Er zögert einen Moment und will weitergehen, bleibt dann aber doch pflichtbewusst stehen. In Emmas Zimmer riecht es nach Desinfektionsmittel und Schweiß.

"Ich bin mir sicher, es ist noch keine Besuchszeit", flüstert diese blasse, ausgelaugte Gestalt, die meine Schwester ist.

"Darf ich trotzdem reinkommen?"

Ihr Lächeln lässt mich nähertreten und ich setze mich neben sie ans Ende des Bettes. Meine Hand legt sich auf ihr Bein.

"Es gibt eine Studie in Deutschland. Sie denken, ich hätte dort die besten Chancen", erklärt sie ganz sachlich.

"Wir gehen also nach Deutschland?"

"Ich gehe nach Deutschland. Ihr müsst mir nicht beim Sterben zusehen."

Meine Lungen verkrampfen sich. Ich könnte niemals akzeptieren, dass der Krebs meine Schwester kleinkriegt. 

"Ich sehe dir beim Leben zu", sage ich ihr.

"Das hier ist kein Leben."

"Lauritz hat nach dir gefragt. Er würde dich gern besuchen."

Ihre Augen werden nur ein winziges Stück größer, aber als ihr Bruder sehe ich es.

"Was!?", frage ich nach.

"Lass ihn nicht hier rein. Ich will nicht, dass er mich so in Erinnerung behält", flüstert sie.

Sie ist heute Morgen ungewohnt klar. Normalerweise sind so lange Unterhaltungen kaum möglich.

"Was ist mit dir und Lauritz?"

"Nichts. Ich mag ihn. Er mich vielleicht auch. Keine Ahnung. Selbst wenn ich gesund wäre, wäre da nichts draus geworden."

"Das weißt du nicht!"

"Es spielt auch keine Rolle. Das Bisschen, was von mir noch übrig ist, kann Liebe gar nicht mehr empfinden. Diese neue Studie, diese neue Behandlung, wird so oder so meine Letzte sein. Ich bin zu müde, um weiterzumachen."

Ich lege mich zu ihr und halte sie. Es ist nicht das erste Mal, dass sie alle Hoffnung verliert.





Chris – Partynächte und Seminare



Pauline stürzt sich in die Menschenmenge und beginnt sofort zu tanzen. Natascha ist noch immer um meinen Arm geschlungen.

"Ist doch ganz nett hier", schreit sie durch die Musik in mein Ohr.

Ich grinse und nicke. Ich freue mich ehrlich, dass sie hergekommen sind. Ich wünschte irgendwie, alle wären hier und die Clique wiedervereint. Na ja, vielleicht nicht alle! Ich will nicht sehen, wie Jared an Ben rummacht. Dafür muss ich dann noch eine Lösung finden, denn die beiden sind Teil der Clique und Jared wird Ben wohl immer so ansehen und anfassen und ich werde immer sein bester Freund sein.

Ich seufze. "Wahrscheinlich sollte das auch genauso sein", murmele ich.

Nataschas Hand legt sich besorgt auf meine Schulter. Etwas erschrocken sehe ich sie an.

"Was ist denn?", ruft sie mir zu.

Mir wird klar, dass ich mit mir selbst gesprochen habe.

Toll, Selbstgespräche! Mal wieder!

Ich grinse schelmisch und beuge mich zu ihr runter. "Lass uns tanzen!", rufe ich und ziehe sie auf die Tanzfläche zu Pauline.

Sie hat ihren Arm um einen jungen Kerl geschlungen und tanzt wie high im Rhythmus der Musik, mit ihrem Blick in seine Augen versunken. Pauline scheint sich wahnsinnig gut zu amüsieren. Sie lacht und kichert und tanzt. Ich sehe Natascha fragend an und sie zuckt mit ihren hübschen Schultern. Dann setzt sie ein Grinsen auf und verhakt die Finger ihrer rechten Hand mit meiner und dreht sich unter unseren Armen an meinen Körper heran. Ich muss lachen, weil sie so ausgelassen ist und es tut richtig gut.

"Ich schau dir in die Augen, Kleiner!", sagt sie, küsst mich auf die Lippen und fuchtelt mit ihren Armen wild durch die Luft.

Sie spielen den Song 'Shout' und der ganze Club ist nicht mehr zu halten. Pauline und Natascha feiern heftig ab und zwingen mich einfach dazu mitzumachen. Als meine Arme wild durch die Luft fliegen und die Musik jede Zelle in Bewegung bringt, bin ich richtig happy. Es tut gut, sich so gehen zu lassen. Natascha fällt mir verschwitzt und mit roten Wangen um den Hals, als der Song vorbei ist. Zusammen tanzen wir weiter, während sich Pauline grinsend mit ihrem Tanzpartner in irgendeine dunkle Ecke verzieht. Zum ersten Mal schaue ich ihn mir richtig an. Er ist süß. Sein Körper ist hager, er trägt ein cooles Shirt, das durch seine schwarze Haut besonders gut zur Geltung kommt, und hat eine niedliche Stupsnase.

"Niedlich!", flüstere ich in Nataschas Ohr.

Leicht schüttelt sie den Kopf. "Also ich weiß ja nicht! Irgendein ruhiger, solider Typ wäre viel besser für sie. Sie braucht keinen Typen aus irgendeinem Club!"

Ich lache leise. "Ich glaube nicht, dass sie ihn gleich heiraten will."

"Pah. Du kennst sie doch! Sie denkt sofort, er ist der eine."

Ich ziehe Natascha enger an mich. "Ich wünschte, ihr würdet bei mir bleiben."

"Ja, diese Studienplätze in aller Welt sind totaler Mist. Cloud in Paris. Jared in London. Joline in New York. Nur Heidi, Pauline, du und ich sind noch übrig!"

"Ich bin mal gespannt, wie lange es Heidi und Cloud ohne einander aushalten."

"Ach, Cloud ist so ein beziehungsgestörter Idiot! Er wird sich nie zu einer Beziehung mit Heidi durchringen", faucht Natascha sauer.

"Oh! So kenne ich dich ja gar nicht!"

"Ach, die Verschwendung von Liebe regt mich einfach auf. Wenn ich so richtig verliebt wäre, würde ich alles dafür tun, dass es funktioniert."

"Ja, ich auch!", flüstere ich und küsse sie auf die Wange.

Sie schmiegt sich an meine Schulter und wir wiegen uns ein wenig mit der Musik. Als 'Blurred Lines' gespielt wird, hören unsere Gespräche auf und wir gehen wieder richtig mit. Wir tanzen durch die Nacht, bis unsere Füße wund und unsere Oberteile durchgeschwitzt sind und an uns kleben. Pauline haben wir verloren, als wir über das Pflaster in der Altstadt am frühen Morgen zu meiner Wohnung zurückgehen.

"Ich fasse es nicht, dass sie mit diesem Typen abgehauen ist!", schimpft Natascha.

"Pauline ist schon groß, weißt du?", necke ich sie.

"Haha! Wir haben niemanden für dich gefunden, das ist es, was mich richtig fertigmacht", seufzt sie und versucht, mich aufzuziehen.

 "Tja, Traumprinzen sind irgendwie nicht so leicht zu finden, das weißt du doch."

"Fiesling!", ruft sie, macht einen Satz und springt auf meinen Rücken.

Ich halte ihre Beine fest und trage sie ein Stück. Am Beginn meiner Straße setze ich sie ab.

"Das ist nicht nett", ruft sie, während ich vorangehe. Sie schlingert etwas, aber wir schaffen es zu meinem Loft und in mein Bett. Es ist irgendwie gut, zu wissen, dass sie da ist. Ich schlafe wesentlich besser als sonst. Weder ist sie irgendein fremder Kerl, noch bin ich allein. Es ist schön. 

*

 Natascha liegt auf meiner Brust und küsst mich auf die Wange, als ich aufwache.

"Oh, Baby! Du warst der Wahnsinn letzte Nacht!", säuselt sie kichernd.

Ich lache. "Ah, ich war der Wahnsinn?"

"Oh ja, du hast meine Welt erschüttert."

"Und war das, als du schnarchend neben mir lagst oder als du mich vollgesabbert hast?"

Natascha nickt mir mit warnendem Blick zu.

"Du hast ganz schön Mundgeruch!", faucht sie.

Ich lache böse auf. "Na, dann küss mich, Baby."

"Du bist schrecklich."

Ich schwinge mich in meinen Klamotten, die ich noch immer anhabe, aus dem Bett und gehe ins Bad. Natascha wälzt sich in meinem Bett.

"Lass mich nicht allein, Baby!", jammert sie gespielt. Ich fasse mir an die Brust, als hätte mir jemand einen Dolch ins Herz gerammt.

"Mein Herz blutet, aber meine Zahnbürste ruft mich."

Ich schlüpfe ins Bad und schließe die Tür. Die letzte Nacht sieht man mir schon ein wenig an. Meine Haare sind zerzaust und ich habe kleine Falten um die Augen, aber vom Alkoholkonsum merke ich zum Glück nichts.

Ich nehme meine Zahnbürste und putze mir den Pelz von der Zunge. Dann lasse ich meine Zähne weiß strahlen. Anschließend rasiere ich mich und gehe duschen. Mit neuem Körpergefühl und schon bald auch neuen Klamotten lasse ich mich schließlich wieder neben Natascha fallen. 

"Wenn du deinen Mundgeruch jetzt loswerden willst, dann würde ich solange das Frühstück zubereiten", sage ich meiner eingekuschelten, besten Freundin.

"Gute Idee! Kannst du mal bitte nachschauen, ob du eine Nachricht von Pauline hast?"

"Sie ist schon groß, Mom!", sage ich gedehnt.

Natascha rollt mit den Augen und streicht ihre Mähne zurück. "Kannst du nachsehen?", fragt sie so lieb, wie ich sie kenne.

"Klar. Warte kurz!", erwidere ich und nehme mein Smartphone von der Kommode. "Keine Nachricht."

"Ok!", meint Natascha etwas gedrückt.

"Wenn ich einen Typen aufgerissen hätte, wäre ich auch noch nicht hier!"

"Ja, ich weiß, dass ich sie bemuttere, aber trocken zu bleiben, ist nicht leicht für sie. Außerdem ist sie meine beste Freundin und einfach mit einem fremden Typen abgehauen. Ich darf mir Sorgen machen!", proklamiert sie.

"Ok, und jetzt geh duschen."

"Keine Befehle!" Sie schwingt sich aus dem Bett und schwebt ins Bad.

Ich raffe zusammen, was ich noch in der Wohnung habe und mache uns Haferschleim mit Zimt, Zucker und Obst. Schließlich klingelt es und ich nehme schon einmal eine Schale mit zum Tisch, bevor ich den Türöffner drücke.

Ich stehe oben und warte. Schließlich tanzt Pauline mit ihren High Heels in der Hand meine Steintreppe hinauf.

"Deine Nacht war wohl gut?"

"Oh, du würdest es nicht glauben. Nick ist so toll."

Ich grinse und lasse sie rein. "Ich habe Frühstück gemacht und Natascha duscht gerade."

"Super!", quietscht Pauline und schnappt sich die Schüssel vom Tisch.

 "Das war eigentlich meins", knurre ich ihr entgegen, aber natürlich meine ich es nicht ernst.

"Tja, das Leben ist hart."

"Und ungerecht!", ergänze ich.

"Pauline! Endlich!", ruft Natascha und hält sich gerade noch so zurück, ihr nicht direkt um den Hals zu fallen. Stattdessen schluckt sie ihre Erleichterung und das breite Lächeln runter und streicht ihr Haar cool zurück. Ich glaube, ich habe nie etwas Lustigeres gesehen.

"Und hattest du gestern Nacht deinen Spaß?", fragt sie schnippisch.

Pauline grinst. "Ja, allerdings! Er ist super süß. Ich komme auf jeden Fall öfter hierher und überdenke meine Berufswahl. Er meint, ich könnte ein Model sein! Er hat sogar ein paar Fotos von mir zur Probe gemacht."

"Fotos? Was für Fotos waren das denn?", faucht Natascha und wird zornesrot.

Pauline schüttelt ihren wilden Kopf. "Oh, nicht solche Fotos! Er ist professionell. Klar? Außerdem bin ich nicht blöd. Du musst gar nicht immer so tun!"

Natascha seufzt. "Ja, schon gut. Ich übertreibe. Du kennst mich doch!"

Ich unterbreche die beiden und klatsche in die Hände. "Gut. Nachdem wir das jetzt geklärt haben, sollten wir frühstücken und euren letzten Tag hier richtig nutzen."

Wir setzen uns zusammen an den Tisch, essen und schlendern schließlich durch die Stadt. Am Nachmittag zocken wir 'Need For Speed' und albern rum. Dieser Nick schreibt Pauline ein paar Mal und ich habe sie lange nicht mehr so glücklich erlebt.

Schräg ist das schon!

Sie kennt ihn ja gerade einmal eine Nacht. Trotzdem bin ich ein klein wenig neidisch. Mir fehlt es, glücklich verliebt zu sein. Vielleicht habe ich mir bei Jared das von Anfang an nur vorgemacht, aber das Gefühl war großartig. Jetzt könnte ich allerdings auch ohne diese Gedanken an ihn leben.

Als Pauline und Natascha am Abend fahren, würde ich irgendwie gerne mit ins Auto steigen. Allein in dieser Stadt zu sein, wird sicherlich nicht so toll. Allein zur Uni zu gehen und nicht einen Menschen zu kennen wohl auch nicht.

*

Mein erstes Seminar startet dann auch früh und ich bin dankbar für den noch heißen Latte Macchiato in meiner Hand. Ich trage den typischen, langen, schwarzen Mantel aller Studenten und habe mich auch sonst für schlichte Sachen entschieden. Verschlafen setze ich mich an einen der hinteren Tische des noch fast leeren Seminarraums. Es ist ein Einführungsseminar, also sind hier alle Erstsemester. Der große, dürre Typ mit den gewellten Haaren, zwei Reihen vor mir, dreht sich um.

"Hey. Ich bin Heini. Also eigentlich Heinrich. Sag mal, es gab doch im Netz noch keine Literaturliste oder so? Ich bin nämlich noch sowas von nicht online. Meine neue Wohnung ist der totale Albtraum, aber das sind die Preise hier ja auch. Und wer bist du? Auch ein Erstsemester oder?"

Heini redet also gern und es ist schwer, zu antworten.

 "Nein, es gab noch keine Literaturliste. Ich bin Chris. Und ja, ich bin auch Erstsemester", antworte ich ihm und versuche, trotz meiner knappen Antwort, freundlich zu klingen.

"Super! Ich habe mir schon Sorgen gemacht", sagt er und noch vieles mehr. Die Frage nach dem Literaturverzeichnis beschäftigt dann auch noch viele.

Heini unterhält sich mit jedem von ihnen. Neben mich setzen sich zwei Jungs namens Luke und Anass. Luke trägt einen Schalke Schal und kommt aus Duisburg und Anass ist aus Bremen hierhergezogen, weil die Universität so einen guten Ruf hat. Beide wirken ganz nett, aber ich brauche noch etwas, bis ich wach genug bin, um Freundschaften zu schließen.

Gegen Mittag gehe ich dann aber doch mit Heini, Anass, Luke, Roland und Mark in die Mensa. Sie sind alle neu hergezogen und genauso verloren in dieser Stadt wie ich. Ich erzähle ihnen von meiner ersten Partytour mit Pauline und Natascha und schnell ist beschlossen, dass wir uns heute Abend auf ein Bier treffen und eine der Kneipen hier ausprobieren.

In der Nachmittagsvorlesung sitzen wir bereits alle zusammen und Heini unterhält uns alle. Die Professorin unserer Anatomievorlesung bringt ein Skelett mit und eine perfekte PowerPoint Präsentation.

"Unser Körper ist ein architektonisches Meisterwerk und sie sollten den menschlichen Körper mit Respekt behandeln", beginnt sie und ist mir gleich sympathisch.

Ich schreibe einiges mit, aber die Präsentation finden wir im Internet. Die Vorlesung ist schnell vorüber und schon am ersten Tag gefällt mir mein Studium gut. Natascha schickt mir ein Foto von sich und ihrem ersten Büchereinkauf für die Uni und auch Heidi, Cloud, Joline und Jared melden sich. Nur Pauline ist mal wieder zu verpeilt und schreibt erst gegen Abend, als ich mit den Jungs in der Herbstkälte vor der Kneipe warte.

Drinnen ist es dann total warm und urige Gemütlichkeit hüllt uns ein.

"Geben sie jedem von uns ein Pils, damit wir anstoßen können", bestellt Anass bei der taffen, jungen Kellnerin mit dem strengen Pferdeschwanz.

"Kriegt ihr!", nickt sie und huscht davon.

"Sie ist süß, oder?", meint Luke.

 "Ich rate mal und sage, du hast gerade keine Freundin", stichelt Mark.

"Nein, ich bin ein einsamer Wolf. Und du?", fragt er zurück.

"Mein Freund hat sich für ein Backpacker-Jahr entschieden und damit war unsere Beziehung vorbei. Er wollte die Freiheit, sich austoben zu können."

"Klingt scheiße!", meint Roland. "Meine Freundin und ich versuchen es mit einer Fernbeziehung. Ich bin mal gespannt, wie das läuft."

 "So begeistert klingt das aber auch nicht."

Anass trommelt in schnellem Takt auf den Holztisch. "Hey, hey Leute! Wir brauchen ein aufbauenderes Gesprächsthema. Wir sind jung, schlau und unsere Zukunft wartet auf uns!"

Wir alle lachen, stoßen an und haben einen tollen, ersten Abend.





Chris – Erste Eindrücke



Die Jungs und ich gehen von nun an oft weg. Heute Abend habe ich sie zu mir eingeladen. Wir wollen uns Eishockey angucken und Pizza bestellen. Meine Kisten sind ausgepackt und mittlerweile kann man mit einem Blick auf meinem Schreibtisch erkennen, dass ich studiere. Ich habe einen Kasten Bier geholt und räume zwölf Flaschen in den Kühlschrank.

Mark kommt viel zu früh.

"Ich bin heute wohl überpünktlich", sagt er schüchtern lächelnd und noch etwas unentschlossen, ob er wirklich seine Jacke schon ausziehen soll.

Ich schenke ihm ein freundliches Lächeln. "Häng die Jacke einfach an die Garderobe hinter dir und setz dich auf die Couch. Ich habe Bier im Kühlschrank und bestimmt auch irgendetwas anderes."

Mark schält sich aus seiner Jacke. Ich hole zwei Bier und wir setzen uns.

"Ehrlich gesagt, habe ich es zuhause nicht mehr ausgehalten. Mein Mitbewohner hat eine neue Freundin und die beiden sind unerträglich."

"Du hast also keine Ruhe mehr zum Studieren?"

"Ich habe keine Ruhe mehr für irgendetwas. Der Neid auf die beiden Turteltauben zerfrisst mich noch."

Ich lache. "Neid?"

"Ja. Mein Ex mag ja nicht der Richtige gewesen sein, aber ich bin gern fest liiert. Als Single tauge ich ehrlich gesagt nicht viel. Was ist mit dir?"

Die Art, wie er mich ansieht, hat etwas Sehnsuchtsvolles. Er hat ein liebes, weiches Gesicht und eine kleine, süße Nase. 

"Du weißt, dass ich schwul bin?", vermute ich und sein Lächeln wird ein kleines Stückchen breiter.

"Ein Freund meines Mitbewohners kennt dich aus der Schule. Michael Schenk heißt er."

"Der Name sagt mir nichts, aber ok."

"Wenn es an der Uni ein Geheimnis sein soll, dann sag ich nichts."

Ich lache. "Bitte. Ich habe nicht vor, so zu tun, als wäre ich jemand anderes. Frauen haben mich noch nie interessiert und was deine Frage angeht, bis auf ein paar Versuche bin ich eigentlich immer Single. Allerdings ist das nicht unbedingt immer freiwillig."

Diese hübschen Augen fangen meinen Blick auf. "Verstehe!"

"Den Richtigen zu finden, ist nicht so leicht", meine ich und ärgere mich, dass der Richtige mich nicht will.

"Wer weiß!?", sagt er mit diesem Unterton in der Stimme und ich beginne, mich zu fragen, wann die anderen endlich hier auftauchen. Ganz sicher fange ich nicht noch einmal etwas mit jemandem aus meinem Freundeskreis an, schon gar nicht, wenn wir so ziemlich alle Vorlesungen zusammenhaben. Am Ende wäre ich nur da, wo ich mit Jared schon einmal war und da will ich ganz sicher nicht mehr hin.

"Tja, ich lass es da ruhig angehen. Im Moment zählt mein Studium", erkläre ich entschlossen und schließe damit jegliches zwischen uns beiden aus. Mark sieht aus, als hätte er einen kalten Eimer Wasser über den Kopf gegossen bekommen. Es ist zwischen uns jetzt irgendwie beklommen und ich suche händeringend nach irgendeinem Thema. 

Gott! Bestimmt ist es ihm schwergefallen, überhaupt auf dieses Thema anzuspielen und mal etwas vorzufühlen. Mark wirkt nicht gerade wie ein Aufreißer und die Trennung von seinem Freund hat sicherlich sein Ego getroffen. 

"Ich bin mir sicher, jemand wie du wird ziemlich schnell jemanden finden. Du bist einfach so ein typischer Beziehungstyp."

Er seufzt ganz leise. "Und du nicht?"

"Nein. Im Moment geht es auch ohne."

"Und du denkst wohl, bei mir geht das nicht, oder was?", faucht er wütend.

"Doch. Sicher."

"Ach so!", eingeschnappt sitzt er da und ich traue mich nicht, auch nur noch ein Wort zu sagen. Er würde es ja doch in den falschen Hals kriegen. Ich meine, wenn ich nicht noch immer an Jared knabbern würde und er nicht in meinem Freundeskreis wäre, wäre er wahrscheinlich ein Typ, mit dem ich es versuchen würde. Ich mag seine Witze und die Art, wie er lacht. Er ist sanft und trotzdem ehrgeizig.

"Tut mir leid. Ich verhalte mich etwas irre", flüstert er.

"Nein. Ich habe ja auch irgendwie nicht die richtigen Worte gefunden."

"Tja, ich habe lange niemanden mehr aufgerissen und vielleicht hätte ich es nicht gleich bei jemandem wie dir versuchen sollen."

Zuerst wundert es mich einfach nur, dass er so offen ist, aber dann stört mich etwas.

"Jemanden wie mir?", hake ich skeptisch nach. Was soll das heißen? Jemandem, der solche Probleme hat! Jemandem, der kalt wie ein Fisch ist?

Mark knackt nervös mit den Fingern. Er tut das oft, wenn er angespannt ist.

"Na, ich meine jemanden, der so wahnsinnig gut aussieht wie du und der wahrscheinlich von so ziemlich jedem Typen angemacht wird und das Flirten sicherlich draufhat. Na ja, der es wesentlich besser draufhat als ich."

"Wow, das war nett", flüstere ich und lehne mich leicht vor.

Mark grinst verlegen. "Ist ja auch wahr, dass du der Wahnsinn bist."

Ich schaue in sein Gesicht und bin versucht, ihn zu küssen, einfach, weil er so ein lieber Kerl ist und weil er es verdient hat.

Das Klingeln der anderen an der Tür hält mich letztendlich davon ab. Unsicherer, als es für mich normal ist, stehe ich auf und gehe, von Mark nicht aus den Augen gelassen, die paar Meter.

Roland fällt mir um den Hals und hängt mir einen Eishockey Schal der Kölner Haie um. "Damit du weißt, wen du anfeuern musst", grinst er.

"Danke. Ich hätte sonst keine Ahnung gehabt", spotte ich.

Wir hauen uns vor meinen Flatscreen und das Spiel der Kölner Haie gegen die Adler Mannheim wird angezählt. Das Bier wird geköpft und die bestellte Pizza verschlungen, während der Puck übers Eis rast. Die komische Situation mit Mark ist vergessen und der Kumpelabend ist voll in Ordnung. Mark scheint es auch so zu gehen. Er lacht mit Anass über irgendeinen Spruch von Luke und scheint, mich nicht weiter zu beachten. 

"Und? Bist du eigentlich reich oder hast du einen Kredit aufgenommen und überschuldest dich gerade wahllos?", fragt Roland mich und mustert meine Wohnung.

"Ja, das habe ich mich auch schon gefragt", stimmt Anass mit ein. Lukes Spruch scheint jetzt nicht mehr wichtig zu sein.

"Könnt ihr mal aufhören, mich alle so anzuglotzen?", beschwere ich mich.

"Klar, antworte einfach! Denn meine Bude sieht hiergegen aus wie Afghanistan nach einem Luftangriff."

"Nettes Bild! Und ja, meine Familie hat Geld."

"Aha! Also sitzen wir hier mit einem reichen Schnösel und du erzählst uns die ganze Zeit nichts. Dir ist schon klar, dass wir dir das übelnehmen."

"Nun kommt schon, es kann ja nicht jeder gleich seine ganze Lebensgeschichte erzählen. Ich bin nicht so mitteilsam wie Heini. Ehrlich gesagt, ist das wohl niemand."

"Ich bin offen. Das ist total wichtig in einer guten Beziehung. Man sollte ein offener Geist in diesem Universum sein", beschwert sich Heini und versucht, mir sein Verhalten näherzubringen. "Deine Verschlossenheit ist total ungesund und du gefährdest damit das Karma unserer Gruppe."

"Ach so", sage ich kopfschüttelnd und ernte tatsächlich vorwurfsvolle Blicke.

"Nein. Du schuldest uns Antworten!", beschließt Roland.

"Na, dann fragt doch einfach!", schlage ich vor.

"Du bist Single, richtig?", fragt Luke.

Ich schnaube. "Richtig!"

"Hattest du mal eine Beziehung?"

"Ja, ein Mal."

"Und wie war sie?"

"Was soll das denn für eine Frage sein?"

Roland mischt sich ein. "Ich habe auch alles über meine idiotische Ex, Denise, erzählt. Jetzt bist du dran."

"Fein. Ich war mal mit meinem besten Freund zusammen. Ich war verknallt und er eben nicht so richtig. Das lief nicht sonderlich lange und danach waren wir eigentlich nur noch Freunde."

"Hängst du noch an ihm?", platzt Mark heraus.

"Ja, aber ich arbeite daran!"

"Oh, ich dachte, du würdest auf Mädchen stehen!", meint Anass.

"Nein, eher nicht."

Anass wirkt plötzlich happy. "Na, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen."

Wir lachen.

"Klar, Anass. Sie werden dir in Scharen hinterherrennen."

Er nickt bestätigend. "Sage ich doch."

Es ist eigentlich ein ganz lustiges Verhör.

"Warum habt ihr Kohle? Warum studierst du? Und wie war dein letztes Mal?" Luke grinst breit, so als wäre er tierisch stolz auf seine Fragen. Gerade clever finde ich sie ehrlich gesagt nicht.

"Meine Eltern kommen aus vermögenden Familien und gründeten in ihren Dreißigern 'Healthy Pharmacy' mit und sind dadurch reich geworden. Ich bekomme wahrscheinlich mehr Taschengeld als ihr und für mich wurde vorgesorgt. Ich studiere, weil ich wie ihr Menschen helfen möchte und Medizin mich interessiert. Und mein letztes Mal war nichts Besonderes. Ich habe einen Mann in einem Club getroffen und wir hatten einen One-Night-Stand."

"Ist das echt so toll mit irgendeinem Typen nach Hause zu gehen, den du so gar nicht kennst und der dich auch sonst nicht interessiert?", fragt Mark zickig.

Ich reibe mir den Hinterkopf. "Na, es ist manchmal schon gut. Ist ja auch nicht so, dass jede Beziehung ein 100-prozentiger Treffer ist. Meine letzte war es jedenfalls nicht und nachdem was ich von deinem Ex weiß, geht es dir da doch ähnlich."

Shit! Seinen Ex zu erwähnen, ist ein Tiefschlag. Ich würde das mit Jared auch nicht aufs Butterbrot geschmiert haben wollen.

"Ja, ich bin auch für One-Night-Stands! Zumindest bis die Richtige kommt", meint Luke.

"Auf keinen Fall!", sagt Roland kopfschüttelnd.

 "War ja klar, dass du das sagst. Wer die perfekte Freundin hat, darf hier überhaupt nicht mitreden", meint Luke.

"Ok, sind wir durch?", frage ich und werde dafür aufgezogen, aber es kommen tatsächlich keine Fragen oder Anmerkungen mehr zu meinem Liebesleben.









Jesper – Neue Therapien

Die Krankheit meiner Schwester frisst jeden Tag an ihr und an meiner Hoffnung. Ich kann ihren zerfallenen Körper langsam nicht mehr ertragen und ich sehe ihr an, dass sie aufgegeben hat. Deutschland scheint sie eher als ihre letzte Station zu betrachten und mir dreht sich der Magen um. Wir fliegen zwar erst in ein paar Tagen, aber so kraftlos, wie sie wirkt, mache ich mir noch mehr Sorgen als sonst. Verzweiflung breitet sich in mir aus. Seit Tagen schlafe ich kaum noch und ich weiß nicht, wie ich sie retten kann. Mein Laptop ist ständig an. Auch heute, während ich in der Limousine sitze und mich eigentlich auf eine Rede für eine Krankenhauseinweihung vorbereiten müsste. Wer hat sich bitte ausgedacht, dass gerade ich ein Krankenhaus einweihe? Ich bin doch auch so schon ständig auf der Krebsstation.

"Und!? Hast du eine verdammte Wundertherapie gefunden?", knurrt Lauritz mich an. Seine Laune gilt sicherlich nicht mir.

"Nein, aber ich arbeite daran", knurre ich zurück und bemerke, dass mein Bodyguard auch nicht so aussieht, als wäre er heute in Bestform.

Sein Haar sitzt nicht so ordentlich wie sonst und seine Rasur hat er wohl auch vergessen. Ob es wegen Emma ist? Oder hat er andere Probleme?

"Großartig!", pampt er zurück und sieht mich an, als wollte er mir die Kehle zudrücken und mir den Kopf zu Brei prügeln.

"Du bist mein Bodyguard. Könntest du heute einfach deinen Job machen? Ich würde mich hier nämlich gern weiter informieren. Die Studie an der Emma teilnehmen wird, würde ich mir gerne näher ansehen."

Ich finde ein paar vielversprechende Einträge über eine Handvoll neuer Forschungsprojekte. Ich markiere die Adressen und klappe den Laptop zu. Schließlich schließe ich die Augen und gönne mir noch fünf Minuten Ruhe.

"Wach auf, damit ich meinen Job machen kann!", ruft mir Lauritz zu und klingt so, als wäre er kurz davor, die Geduld mit mir zu verlieren. Aber so klang er schon zuvor. Mein Kumpel ist eben durch und durch Profi.

Wir steigen aus und die Presse wartet. Natürlich lächle ich und natürlich schüttle ich gut gelaunt einige Hände. Das ist es, was ich immer tue. Ich bin jetzt hier als Mitglied des Königshauses und ich bin jetzt hier, um Hoffnung für die Zukunft zu verbreiten. Als Angehöriger des Adels muss ich zeigen, dass wir immer für das Volk einstehen und uns um unser Land kümmern. Ein Krankenhaus einzuweihen, ist etwas Gutes und ich weigere mich, traurig zu sein. Emma wird wieder gesund werden, und zwar dank so einem Krankenhaus wie diesem.

"Ich bin froh, heute hier sein zu dürfen!", sage ich, als ich den Leiter des Krankenhauses begrüße und mich der Presse und dem anwesenden Krankenhauspersonal zuwende.

Meine Rede halte ich vor dem Krankenhaus und erst am Ende zerschneide ich das rote Band und gehe in das neue Klinikgebäude hinein. Im Inneren riecht es nach Linoleum. Das Licht ist hell und Kinderbilder hängen an den weißen Wänden. Sie haben sich Mühe gegeben, diesen Ort nicht ganz so furchteinflößend wirken zu lassen, doch es ist immer noch ein Krankenhaus und ich halte es in diesen Dingern einfach nicht mehr aus. Emma hat seit zwei Jahren fast nichts anderes mehr gesehen. Fast nie darf sie seitdem raus. Fast immer zertrümmert die Krankheit etwas Neues. Ihre anfänglichen Fortschritte verschwinden wieder, werden weggewischt und ihr Körper zerfällt. Ich hasse den Ausdruck in ihren Augen, wenn sie mal wieder an dem Punkt ist zu erkennen, dass auch diese Therapie nicht wirkt. Deutschland macht mir darum Angst.

"Wir sind wirklich sehr stolz auf unsere Kinderchirurgie. Bitte kommen sie!", sagt der Direktor und führt mich weiter. Wir betreten die Tribüne eines OPs. Durch eine Glasscheibe kann ich hinuntersehen. "Sehen sie, wir haben alles perfekt ausgestattet und vor allem unsere Gerätschaften sind auf dem allerneuesten Stand. Von hier oben aus können Kollegen oder Angehörige der Operation beiwohnen, ohne dass es zu Störungen oder Verschmutzungen kommen kann."

Ich nicke anerkennend und blicke interessiert auf die vielen Geräte, die ich nicht kenne. Innerlich fühle ich mich wie der nutzloseste Idiot aller Zeiten. Ich bin dankbar, als ich zum Abschluss das tun kann, was ich draufhabe. Dieses Mal stehe ich vor allem vor Handykameras. Ich halte eine Schwester im Arm und ihre Freundin macht ein Foto von uns.









Ben – Hochzeitspläne

Ich habe meine Mutter sofort angerufen und obwohl ich ihr eigentlich nur sagen wollte, dass ich am nächsten Wochenende tolle Neuigkeiten für sie mitbringe, ist es mir doch rausgerutscht. Ich musste ihr einfach erzählen, dass Jared und ich heiraten. Noch immer bin ich auf Wolke 7, nervös und die Schmetterlinge in meinen Bauch fliegen wild durcheinander, wenn ich daran denke.

Die ganze Woche zieht sich für mich wie Kaugummi, weil ich es Mom endlich persönlich erzählen will. Ich weiß, sie wird alles wissen wollen und sofort jeden, den sie kennt, einladen.

Noch schlimmer ist nur, dass ich meinen mittlerweile doch guten Freunden Will und Ela nichts von Jareds Antrag erzählen kann, zumindest nicht, bis unsere Eltern alle informiert sind und ich es Ewok gesagt habe. Erst danach stehen Will und Ela auf der Liste. Nur leider erwischen sie mich ständig dabei, wie ich etwas verträumt vor mich hinlächle.

Gott, ich bin im Moment so ein kitschiger Typ!

Jared macht so etwas bestimmt nicht. Er denkt wahrscheinlich auch nicht über unsere Gelübde oder die Gästeliste nach. Obwohl!? Bei seinem Antrag hat er sich echt ein Bein ausgerissen. Noch romantischer hätte dieser Tag nicht sein können und noch nie hat er meinen Körper so zum Kribbeln gebracht.

Ich liebe ihn so sehr dafür!

Wenn wir heiraten, will ich, dass es wirklich etwas bedeutet und alle wichtigen Menschen dabei sind. Jeder, der uns wichtig ist, muss einfach da sein.

*

Als es endlich Freitag ist, bin ich total erleichtert und ich freue mich wahnsinnig auf meine Mutter und selbst auf das Essen bei Jareds Eltern. Immerhin mögen die Finks mich. Ich denke, sie werden sich wirklich für uns freuen.

"Hey, Kuschelbär!", begrüßt mich Jared und lehnt sich in den Türrahmen des Schlafzimmers, statt zu mir zu kommen. Genüsslich sehe ich ihn an.

"Willst du da jetzt ewig stehen bleiben?", frage ich grinsend.

Er zieht die Augenbrauen hoch. "Ich genieße die Aussicht."

Sein Blick wandert über die dicke Bettdecke und wieder hinauf zu meinen Augen.

"Komm her und küss mich gefälligst!", befehle ich ihm und genieße es, dass er artig ist. Die Art, wie er auf mich zu kommt, gefällt mir. Jared ist einfach so wunderschön. Seine Bewegungen sind formvollendet und sein starker Körper setzt sich so sanft aufs Bett, dass es mir durch und durch geht. Seine Hände schieben sich unter die Decke und um meine Mitte. Er drückt sich eng an mich, während sich seine Lippen auf meine brennen.

Ein leises, wehmütiges Seufzen entfährt seinen perfekten Lippen. "Wir sollten losfahren und es hinter uns bringen."

Ich verstehe nicht ganz, warum er es so sehr hasst, Zeit mit seinen Eltern zu verbringen. Sie können wirklich nett sein und auch wenn seine Mutter nicht die perfekte Mutter ist und er von seinem Vater wirklich einigen Druck bekommt, lieben ihn beide doch. Man merkt das einfach.

"Das klingt ja nett." Meine Hand streicht über seine dunklen Haare.

Jared schüttelt den Kopf. "Meine Eltern sind nicht immer begeistert von meinen Plänen. Und mein Vater kann manchmal extrem sein, wenn er meint, er ist im Recht. Falls er etwas Dämliches sagt, dann ignoriere es einfach. Seine Meinung interessiert niemanden!"

"Ich glaube, er mag mich", beruhige ich ihn und stoße ihn mit der Hüfte an.

Seine Hand fährt über meinen Rücken. "Ja, aber bei Familienangelegenheiten ist er schräg."

Klar, mit der Familie Fink kann ich nicht mithalten. Wenn man die Sache finanziell sieht, dann heiratet der reiche Industriesohn einen Jungen aus der Unterschicht. Ich liege nicht nur optisch weit unter Jared. Mein Geldbeutel tut es auch. Außerdem kennen mich Magaretha und Johann noch in meiner leicht depressiven Phase.

Nachdenklich fange ich an, auf meiner Lippe herumzukauen. "Ich bin also nicht gut genug für dich?"

Das Knurren von ihm erschreckt mich fast. "Unsinn! Falls er mit so etwas kommt, gehen wir!"

"Du denkst, so etwas kommt?" Meine Stimme klingt viel zu ängstlich. Warum kann ich nicht mal taff sein? Mir ist nie alles egal.

Jared reibt sich über die dichten dunklen Haare. "Lass uns einfach fahren. Ich regle das schon, wenn sie irgendetwas Falsches sagen."

Oh Gott! Bei ihm klingt das jetzt schon wie eine Kriegserklärung! Und ich will wirklich nicht, dass unsere Hochzeit zu einem Familienstreit führt. Das würde doch wirklich alles ruinieren.

"Falls sie etwas sagen, lass mich lieber reden. Ich regle das bestimmt rationaler."

Genervt knackt Jareds Kiefer.

"Na, gut", brummt er und steht auf. Er will jetzt wirklich los und hetzt mich, mich endlich fertigzumachen. Ich beeile mich dann schließlich auch. Seine Pranke greift nach meiner Tasche und nimmt sie wortlos mit zum Wagen. Ich lege meine Hand auf seinen Oberschenkel, nachdem ich endlich alle meine restlichen Sachen geholt habe und mir sicher bin, dass alles einbruchssicher ist.

"Du musst sie schon ein wenig höher rutschen lassen", meint Jared mit diesem Grinsen.

Ich schnaube belustigt. "Nein! Das hier ist nur eine 'Mach-Dir-Keine-Sorgen-Berührung' und nichts anderes."

"Toll!" Jared startet den Wagen und fädelt sich in den Verkehr ein.

"Wir wären sicherlich schneller gewesen, wenn wir uns fürs Fliegen entschieden hätten."

"Pah. So viel schneller ist es nicht! Außerdem lass ich mein Baby nicht schon wieder allein in der Garage einrosten."

"Oh! Ganz ruhig! Es ist nur ein Auto!", ziehe ich ihn auf und tätschle sein Bein.

"Immer noch höher, Bennybär! Sonst hat es keinen Effekt!"

"Denk einfach mal nicht nur an Sex."

Er sieht mich entsetzt an. "Ich denke schon die ganze Woche an nichts anderes. Ehrlich, ich glaube, mit diesem Heiratsantrag ist es noch schlimmer geworden."

"Es ist schlimmer geworden?", lache ich.

"Ja, viel schlimmer!"

Als wir die alten Gebäude hinter uns lassen und um uns nur noch kleine Häuser und später grüne Wiesen sind, werde ich langsam müde.

"Was, mein Dicker?", fragt Jared und streichelt sanft meinen Bauch.

"Ich bin nur müde. Ela und ich haben gestern den ganzen Nachmittag gepaukt. Will hat sich ausgeklinkt. Er spielt jetzt in einer Band."

"Das ist bestimmt cooler als Wirtschaftsjura."

"Nichts ist cooler als Wirtschaftsjura. Merk dir das!"

Jared lacht. "Na klar!"

"Ich finde es gut, aber so langsam sind die Semesterabschlussprüfungen in Sicht! Du solltest dich auch langsam reinknien. Ich heirate schließlich einen zukünftigen Firmenchef."

Ich sehe, wie Jareds Kiefer knackt und ich bin mir einen Moment lang todsicher, dass es falsch war, das zu sagen. Denkt er, es geht mir um sein Geld? Doch dann grinst er, geht auf meine Spinnereien ein und ich fühle mich wieder gut.

"Ja, tust du! Ich werde dich als Star-Anwalt der Firma dann sicherlich oft ins Büro rufen müssen."

"Ach!? Und was machen wir dann in deinem riesigen Angeber-Büro?"

"Ich glaube, man könnte es sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nennen."

Seine Hand an meinem Bauch wandert wieder, aber so sehr ich das auch mag, greife ich nach ihr und umschließe sie mit meiner.

"Konzentrier dich auf die Straße!", ermahne ich ihn sanft und lege seine Hand ans Lenkrad zurück.

Die Fahrt nach Hause kommt mir unendlich lang vor und als wir endlich die Stadt erreichen, sind wir beide total erschlagen.

"Ich hoffe, meine Eltern lassen uns gleich ins Bett gehen und haben nicht noch ein nettes Beisammensitzen geplant.

"Ja, aber wenn sie es geplant haben, sind wir höflich!"

"Wenn sie es geplant haben, werde ich einschlafen", warnt mich Jared und ich sehe die dunklen Schatten, die sich unter seinen Augen gebildet haben.

"Ich wimmle sie ab und du bringst die Koffer rauf! Du bist schließlich die ganze Zeit gefahren."

Jared schaut eine Sekunde zu mir. "Ich steh echt auf dich!"

Mein Mund verzieht sich zu einem Lächeln. "Weiß ich doch!"

Tatsächlich funktioniert mein Plan recht gut. Jared geht nach kurzen Umarmungen unsere Koffer auspacken und ich plaudere kurz unten mit seinen erfreuten Eltern. Sie verstehen natürlich, dass wir von der Fahrt erschlagen sind. Außerdem muss Jareds Mutter sowieso noch zu einer Ausstellung. Seinen Dad zieht es hingegen in sein Büro.

Oben sehe ich diesen muskulösen Typen in seinem Bett liegen und wie ein Baby schlafen. Die Koffer liegen offen auf dem Boden vor seinem Schrank. Ich ziehe mir den Pulli über den Kopf, knöpfe meine Hose endlich auf, die ich froh bin, nach der Fahrt endlich loszuwerden und streife die Socken ab, bevor ich ins Bett hineinkrieche. Jared wacht durch die Bewegung der Matratze auf und dreht sich so, dass ich mich an ihn schmiegen und meinen Kopf auf seiner Schulter ablegen kann. Seine starke Hand streichelt meinen Rücken sanft.

"Nacht, Lämmchen", raunt er erledigt.

"Gute Nacht", flüstere ich gegen seine starke Brust, die der sicherste Ort auf Erden ist.

*

Wir kommen eine halbe Stunde zu spät zu meiner Mutter, weil Jared nicht in die Gänge gekommen ist. Müde ist er unerträglich und nur schwer voranzutreiben.

"Ben! Ich freu mich so!", quietscht Mom, als sie mich sieht und drückt mir auch schon die Luft ab. Ich drücke sie auch und fühle mich sofort wie immer, wenn ich nach Hause komme. Alles hier ist mir absolut vertraut und gibt mir ein Gefühl von Sicherheit, das sich nicht ersetzen lässt. Ich lag falsch, als ich unbedingt ein großes Haus für uns haben wollte. Wirklich wichtig war das nie. Ganz aufgegeben habe ich dieses Vorhaben dennoch nicht.

Diese Wohnung ist jetzt eigentlich Moms Zuhause, aber mein Zimmer ist noch immer unberührt und alles liegt noch so da, wie bei meinem letzten Besuch hier. Mom hat den Tisch gedeckt und Puddingteilchen und Torte in der Mitte platziert.

"Setzt euch schon! Ich habe auch Sekt gekauft. Alkoholischen für euch und die Kinderversion für mich. Noch brauche ich ja die Tabletten", lächelt sie und ihre Augen strahlen mich mit einem kleinen Stich Scham an. Sie glaubt mir wohl nicht ganz, dass ich wahnsinnig stolz bin, dass sie aus diesem Tief herausgekommen ist. So schlecht wie es ihr ging, war es aus der Depression ein langer Weg, aber jetzt geht es ihr an fast allen Tagen gut und sie sagt mir ehrlich, wenn es nicht so ist.

"Ich bin froh, dass es dir gut geht."

Ihre Hand legt sich auf meinen Unterarm. "Ja. Mir geht es sehr gut."

Ihre Wangen sind rosa. Sie sieht richtig gut aus und hat sich für Jared und mich extra rausgeputzt. Ich bin da wirklich schon ein wenig underdressed.

"Also, trinken wir auf eure Verlobung, eine traumhafte Hochzeit und die wahre Liebe!", sagt sie und füllt das letzte Glas.

Wir stoßen an und danach wird der Kaffee eingegossen. Mom will noch einmal alles wissen und Jared wird ungewöhnlich rot, als er es ihr erzählen muss. Ich genieße derweilen seinen Anblick und den süßen, köstlichen Kuchen.

Als wir gehen, bin ich glücklich und total voll. Im Auto sehe ich auf die Uhr. Wir haben noch etwas Zeit.

"Fahr am Friedhof vorbei! Ja!?"

Jared mustert mich von der Seite und nickt. "Dann besuchen wir mal deinen Großvater."

*

Niemand außer uns scheint auf dem Friedhof zu sein und ich bin ganz glücklich darüber. Sein Grab zu besuchen, macht mich immer noch traurig. Wenn ich in London bin, kann ich einfach verdrängen, dass er nicht mehr da ist, doch, wenn ich vor seinem Grabstein stehe und seinen Namen und die Lebensdaten lese, ist sein Tod real. Ich kann ihn dann nicht mehr verdrängen. Es ist nicht so, dass ich den Tod für etwas Schlimmes halte, aber der Verlust tut weh.

"Alles ok?", fragt Jared und schiebt vorsichtig seine Arme von hinten um mich.

Ich lehne mich an ihn und antworte nicht. Eine Weile stehen wir also nur still vor dem Grab. Eine Vase mit frischen Blumen steht darauf und ich weiß sofort, dass sie von Mom kommt.

"Kannst du mir eine Minute mit ihm allein geben?", frage ich mit angespannter Stimme.

Er nickt unwillig und wartet ein paar Meter weiter auf mich. Ich trete

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 26.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6288-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen L. Und für alle Fans von Drama und Liebe!

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