von
Amber Jackson
Foulspiel
***
Version 2018
„Fuck! Geh mir aus dem Weg, Brillenschlange!“
Ich stocke. Nein! Eigentlich friere ich ein. So etwas passiert, wenn jemand auf mich zustürmt, mich umrennt und mich dann auch noch anbrüllt.
„Was ist? Bist du taub oder einfach zu blöd zum Gehen?“
Mit großen Augen glotze ich den Mann vor mir an und während seine Worte durch meine Ohren hämmern, versuche ich, ein paar einfache Silben zusammenzufügen.
Leider klappt das nicht wirklich gut.
Es ist schon wieder wie in der Schule. Tim, unser Klassenraudi, stand mit seinen Freunden vor mir und ich kriegte keinen Ton raus. Jetzt ist es nur wesentlich schlimmer, weil mich gerade einer meiner Helden anschreit. Jean Claude Chénier beherrscht den Ball auf dem Rasen wie kaum jemand sonst und offensichtlich hasst er mich, weil ich gerade genau in ihn hineingelaufen bin. Mein erster Tag im neuen Job könnte kaum schlimmer beginnen.
„Du bist echt zum Gehen zu blöd! Richtig?“, knurrt er und stampft an mir vorbei.
Ich schlucke schwer. Meine runtergerutschte Brille schiebe ich hoch. Es gibt keinen Grund, warum es nicht besser werden sollte. Die haben mich schließlich engagiert, weil ich sie überzeugen konnte. Ich bin der richtige Mathematiker für die Spielanalysen – so viele mit dieser Spezialisierung gibt es ja auch nicht.
Nico Dura kommt in die Umkleidekabine und ich nicke ihm zu. Meine Hoffnung, dass es besser wird, verfliegt, als ich den Gesichtsausdruck des neuen Cheftrainers vom Verein Paris Le Lion erkenne. Er wirkt nicht sonderlich glücklich. Sein langes, schmales Gesicht ist knallrot und er schnaubt tief, bevor er ein paar Schritte auf mich zu macht.
„Sie sind also hier! Immerhin etwas das funktioniert“, grollt es aus ihm und ich schlucke noch einmal und fühle mich, als bräuchte ich Möhre, mein Lieblingskuscheltier in meinen Armen.
Ok, ich bin ein erwachsener Mann, aber ich fühle mich gerade überhaupt nicht so – und ich hasse neue Dinge.
Nach Paris zu gehen und plötzlich für den Fußballclub zu arbeiten, von dem ich schon seit ich klein war, Fan bin, ist vielleicht keine gute Idee gewesen.
„Tja, meinen Starspieler haben sie ja schon kennengelernt. Er ist ein Arschloch – aber er kann mit dem Ball umgehen wie kein anderer der Jungs. Das sehen sie doch auch so? Oder sagt ihre Mathematik da etwas Anderes?“
Ich wirke ein wenig wie ein Reh im Scheinwerferlicht. „Nein! Nein, er ist großartig! Also ich meine, auch in den Statistiken liegt er vorne. Er lohnt sich für den Club.“
Nico Dura lacht. Offenbar wirke ich gerade ziemlich komisch. „Ok. Also ich bin Nico und du bist Bernard, richtig?“, fragt er voll neuer Energie und ich nicke. „Ich stelle dir heute Nachmittag die anderen Trainer vor, aber die Zahlen gehen an mich. Wir beide sehen sie uns an, bevor etwas durchsickert. Wir überlegen uns dann weitere Schritte und Strategien, um das Beste aus deinen Spielanalysen rauszuholen. Noch hatten wir ja keinen eigenen Mathematiker im Team. Also sehen wir, wie es läuft – und Bernard, keine Panik – es geht hier nur um deinen Job.“ Mit einem viel zu kräftigen Schlag auf die Schulter, der wohl freundschaftlich gemeint sein soll, lässt er mich in der Umkleide stehen.
Ich habe keine Ahnung, was genau ich jetzt tun soll. Jedenfalls nicht hierbleiben. Die Umkleide der Fußballspieler riecht nicht besser als anderswo.
Ich schlendere also durch das Stadion und hole mir schließlich in der Kantine einen Kaffee. Die Dame an der Theke ist freundlich und auch wenn ich mich noch nicht wirklich entspannen kann, fühle ich mich mit dem heißen Becher Kaffee in der Hand schon besser. Erst, als einer der wenigen besetzten Stühle ohne Vorwarnung zurückgeschoben wird und ich meinen Kaffee über die muskulöse Brust von Jean Claude Chénier schütte, ist mein innerer Frieden dahin.
Wie zum Teufel konnte mir das passieren?
„Verflucht! Verarschst du mich?“, schreit dieser große, muskulöse Fußballgott mich sofort an und ich habe wirklich einen Moment Angst, dass er mir eine reinhauen will. Er wirkt, wie kurz vor der Explosion.
„Ich … ich … Entschuldigung! Ich mache es weg!“, stammele ich und wische mit einem der Taschentücher aus meinem Anzug über sein nasses, vom Kaffee warmes Shirt. Meine Hände sind ganz hastig auf seinem Oberkörper unterwegs, doch der Stoff wird nicht trocken.
Mist!
Als ich nach oben in diese stahlharten Augen sehe, stocke ich. Irgendetwas stimmt nicht! Einen Moment fallen unsere Blicke in etwas Tiefes, etwas Bedeutsames. Alles um uns ist still und es kribbelt bei mir seltsam. Oh Mann! Einen meiner Tagträume kann ich jetzt nicht gebrauchen. Klar, ich habe sein Poster jahrelang über meinem Bett gehabt und war sowas von verliebt in ihn. In meiner Fantasie war er perfekt und hätte mich nie angeschrien. Nein! Wir haben andere Sachen gemacht! Natürlich bete ich ihn ein wenig an. Auch jetzt noch!
„Fass mich nicht an!“, faucht er und ich glaube zu bemerken, wie er leicht vor Wut zittert.
„Ich versuche hier nur, alles wieder in Ordnung zu bringen“, rechtfertige ich mich unbeholfen und wahrscheinlich mal wieder mit hochrotem Kopf.
Ehrlich ich verstehe nicht, wie sich ein Kerl wie er über so ein Missgeschick so aufregen kann. Er hat schließlich alles und trotzdem wirkt er wie der unentspannteste Kerl auf diesem Planeten.
„Lass es einfach! Wer zum Teufel bist du überhaupt?“, knurrt er.
„Bernard! Ich … ich bin der neue Mathematiker. Also ich bin zuständig für die Statistiken, Spielanalysen und so.“
Jean schaut mich abfällig an. „Wir spielen hier Fußball. Motorische Nieten wie dich braucht man da nicht. Niemand braucht dich hier! Und renn mich besser nicht noch einmal um oder tatsch mich an. Man könnte ja denken, du bist `ne scheiß Schwuchtel!“
Oh! So einer ist er also. Ich knülle die Tücher in meiner Hand und verschränke die Arme. Mein Idol kann mich mal! Gerade jetzt bereue ich jede einzelne Sekunde, in der ich als einsamer, nerdiger Teenager für ihn geschwärmt habe. Wie konnte ich mich nur für so einen Idioten begeistern.
Sicher er war schon immer als Hoffnung des französischen Fußballs angepriesen, sah auch früher schon gut aus und er spielte schon damals wie ein junger Gott. Nur menschlich enttäuscht er offenbar vollkommen und dass macht ihn zum unattraktivsten Kerl aller Zeiten. Von dieser Minute an, himmle ich ihn ganz sicher nicht länger an!
„Bin ich!“, erwidere ich und versuche, ihn niederzustarren, nur dass ich einen Kopf kleiner und nicht muskulös bin. Es wirkt wohl nicht ganz so, wie beabsichtig, aber er wirkt immerhin ein wenig geschockt.
„Was bist du?“, platzt es aus diesem Klotz heraus.
„Homosexuell“, erkläre ich ruhig und frage mich, was jetzt wohl kommt. Jeans Stielaugen fallen ihm fast aus dem Kopf und die Art, wie er mich ansieht, gefällt mir nicht.
Muss ich damit rechnen, dass er mir doch eine verpasst?
„Verarsch mich nicht! Schwuchteln haben im Fußball nichts zu suchen!“
Damit ist dieses manierlose Wesen verschwunden und ich hole mir einen neuen Kaffee.
Am Nachmittag lerne ich endlich die anderen Trainer kennen, den Pressesprecher, den Clubmanager und sogar Avery Alain die Eigentümerin des Clubs. Es dauert nicht lange, bis ich mich doch ein wenig einlebe und ich schaffe es auch, nicht mehr auf Jean Claude Chénier zu treffen. Das funktioniert allerdings nur solange, bis ich ein paar Tage später den Angriff analysieren soll. Ausgerechnet Nico gibt mir die klare Anweisung, mir vor allem Chéniers Schüsse anzusehen.
*
Schon am Morgen ist mir im Wagen auf dem Weg zur Arbeit schlecht. Alle Daten zu sammeln würde Wochen dauern und das mit ihm. In meinem Anzug watschle ich über den Rasen und nicke Jean zu. Louis, der Co-Trainer, ein kleiner Mann mit einem immerzu strahlenden Lächeln, ist auch da und reicht mir die Hand.
„Also, bauen wir die Geräte auf und legen los!“, sagt er und hilft mir, während Jean sich aufwärmt und mir immer wieder mörderische Blicke zuwirft, die mich fast vergessen lassen, wie ich alles einstellen muss.
„Ok … dann müsste ich jetzt ein paar Schüsse aufs Tor sehen“, rufe ich ihm zu und er kommt näher.
„Sonst sieht jemand wie du so etwas wohl nicht! Also schön die Brille hochschieben“, knurrt er und hämmert seinen Fuß auf den Ball. Uns allen bleibt die Spucke weg, weil der Schuss einfach perfekt ist.
„Wenn ich so etwas jeden Tag von dir sehen würde, wäre der Professor hier überflüssig“, grinst Louis und sieht mich an.
„Ich bin kein Professor“, korrigiere ich, doch Louis winkt ab.
„Ich brauche ihn hier definitiv nicht.“ Jean wirbelt einen weiteren Ball hoch, fängt ihn auf der Fußoberseite und wiegt ihn hin und her.
Louis tippt an sein Cap und bringt seinen Spieler auf Kurs. „Warten wir es ab! Komm mach noch ein paar Schüsse, damit er seine Daten hat.“
Er donnert ein paar weitere Male den Ball ins Tor und er sieht gut dabei aus. Viel zu gut! Dennoch hasse ich diesen Klotz immer noch und ich bin ja auch nur hier, um meine Arbeit zu machen.
*
Mit meinen Daten ziehe ich mich schließlich gegen Mittag zurück und stelle die ersten Berechnungen an. Dann versuche ich, meine Ergebnisse anwendbar zu machen, und gehe damit zu Nico. Die Buchstaben 'T-R-A-I-N-E-R' sind in glänzendem Messing an seine Tür geschlagen und er dreht sich zu mir, als hätte er nur auf mich gewartet. Nico sieht sowieso immer so aus, als wäre er ganz hungrig auf die Arbeit. Irgendwie motiviert mich das tatsächlich einen guten Job zu machen, ganz gleich wie es sonst so läuft.
Außerdem habe ich mit diesem Fußballclub schon mitgefiebert, als ich noch ein Stöpsel war und mein Papa mich immer auf seinen Schoß setzen musste, damit ich im Stadion überhaupt etwas sah. Ich will, dass sie Siege einfahren und Jean Claude Chénier wird schon noch sehen, wie viel Spielanalysen bringen können.
„Jean spielt zu oft auf der linken Innenseite und sucht zu häufig dieselbe Ecke im Tor. Da verlieren wir Chancen!“, platze ich heraus und eröffne damit ein Gespräch über die Angriffsspieler und neue Trainingsziele für sie.
Nico ist ein ziemlich guter Trainer und Vorgesetzter und ich mag ihn. Er macht es einem leicht und er hört auf mich.
„Gut. Trainieren wir und sehen beim Spiel in zwei Wochen, was die ganzen Formeln in deinem Büro bringen.“
Die Ankündigung macht mich mehr als nervös. Zwei Wochen klingen nicht besonders lang, aber ich glaube an meine Zahlen und an die Mannschaft. Mein Vater hätte mich um diesen Job hier beneidet. Das Gefühl des Verlustes kommt wieder in mir hoch, aber ich glaube wirklich daran, dass es für Menschen wie ihn einen besseren Ort gibt.
Mit ein wenig Magengrummeln mache ich mich also am nächsten Tag daran, mit dem Co-Trainer bessere Spielzüge zu erarbeiten und das Training des Angriffs nach meinen Ergebnissen zu verfeinern. Mit Louis alles zu besprechen, ist wirklich entspannt und er nimmt meine Ideen ernst. Jean und auch andere Spieler hingegen sind nicht so von meiner Arbeit überzeugt. Sie sehen mich als nörgelnden Kritiker, der keine Ahnung hat. Ich wünschte, ich könnte meine Annahmen ihnen selbstbewusster verkaufen, doch ich bin viel zu aufgeregt und überzeuge sie daher nicht wirklich von meinem Können.
Da Louis aber hinter mir steht, haben sie keine Wahl und selbst Jean ordnet sich den neuen Spielzügen und Trainingsmethoden unter.
In meinem Büro muss ich zweimal hinschauen, als ich Jean sehe. Er steht einfach in meiner Tür und ich kann mich nicht länger auf die Software und die Zahlen, die sie ausspuckt, konzentrieren.
„Was machst du hier?“, frage
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2018
ISBN: 978-3-7438-6550-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Raubeine und Tagträumer!