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Kapitel 1

 

Jared

 

Tanz einfach!

 

 

Nataschas Lippen sind zuckerwatteweich und ihr Parfüm riecht so ähnlich. Zu süß für meinen Geschmack, aber ich sehe es ihr nach. Ich ziehe sie fester an mich. Meine Zunge umkreist ihre. Ihre Hüfte reibt sich an meiner, während wir knutschend am Rand der Tanzfläche stehen, und die Dance Music und die grünen Laserstrahlen über uns hinwegfliegen. Ich bin high.

Die Pillen von unserem Versorger knallen gerade so richtig rein. Ich ziehe Natascha noch enger heran. Ihre Brüste pressen sich gegen mich und heben sich auf Grund ihres schnellen Atems empor. Unsere Körper schwingen in einem Rhythmus und ich bin kurz am überlegen, sie gleich jetzt mit nach Hause zunehmen, aber die Musik ist zu gut und wer weiß, was der Abend mir sonst noch bringt?

Trotzdem schmeckt Natascha wie ein Versprechen. Sie ist etwas Gutes. Sie ist rein und sexy zugleich. Das einzige Problem ist, dass sie nicht zu 100 Prozent mein Typ ist. Dennoch werde ich mich amüsieren.

Diese Nacht gehört mir!

Chris taucht neben ihr auf und drückt sich eng an uns. Auffordernd sehen seine großen Rehaugen mich an. Ich löse meinen Mund kurz von Nataschas und küsse ihn, bevor ich zu ihrem Mund zurückkehre. Dann lasse ich ihr Raum und ziehe ihn näher, um ihn richtig zu küssen. Er schmeckt nach Wodka. Sein Mund lechzt geradezu nach mir und ich genieße es.

Als ich mich von ihm löse, wenden sich Natascha und Chris einander zu. Seine hübschen Lippen streifen ihren Zuckermund und ihre Hände umspielen seinen zarten Nacken. Ich betrachte die beiden ausgiebig, bevor ich wieder im Geschehen bin. Ihr Kuss hat mich angemacht und ich halte das Bild in meinen Gedanken fest. Chris` Zunge gleitet an meinem Hals entlang, während ich mich Natascha widme. Ihr weicher Mund gefällt mir und ich steh drauf, wie sie sich fallen lässt und das hier einfach nur genießt. So mag ich sie am liebsten.

Das hier könnte ein guter Abend werden.

Doch dann rennt unsere Pauline mit ihrem Tablett voller Shots in uns rein und fällt zu Boden. Die kleinen Gläser zerspringen, so wie die erotische Atmosphäre, die hier gerade noch vorherrschte. Pauline sitzt vor dem Tablett in ihrem Hippiekleid und mit einem Gesichtsausdruck betrunkener Verwirrung. Chris und ich lachen lautlos. Wir hatten schon immer denselben Humor und dieses Chaos hier ist so typisch Pauline. Sie weiß einfach nie, wann sie genug hat.

Hey, es ist keine richtige Party, wenn Pauline nicht im Alkoholrausch am Boden liegt.

Der PA oder Pauline-Absturz ist mittlerweile ein geflügeltes Wort in unserer Clique.

Mit einem kreischenden Kichern versucht sie aufzustehen, aber sie ist so zu, dass sie immer wieder zu Boden geht. Natascha hat längst von mir abgelassen und hilft ihr.

Jetzt ist sie wieder da! Die verantwortungsvolle, fürsorgliche Natascha, die sich um uns alle kümmert - und ich dachte schon, die hätte sie heute Abend mal zuhause gelassen!

Chris und ich sind noch nicht soweit herbeizueilen, wobei, plötzlich kniet Chris an ihrer Seite.

Verräter! Mal ehrlich, wenn Pauline sich zu haut, sollte das nicht meine Nacht versauen. Schon gar nicht meinen Dreier. Aber natürlich macht Natascha jetzt einen auf Mutter Teresa statt auf süße Sexbombe.

 "Jetzt helft mir doch mal!", motzt Natascha uns an, was Chris nun wirklich nicht verdient hat.

Ich vielleicht schon!?

"Ok, ok!", sage ich und beschließe, mir hier nicht den Abend verderben zu lassen. Ich ziehe Pauline schwungvoll hoch. Sie kreischt und lacht und ich lache auch.

"Ein bisschen zu viel, was?", frage ich gespielt tadelnd.

Sie muss sich an meinen Schultern festhalten, um nicht umzufallen.

"Die schönen Shots!", jammert sie und schaut auf die Pfütze und den muskulösen Kellner, der versucht, den Boden sauber zu halten. Würden wir hier nicht jedes Wochenende den VIP-Bereich buchen, wären wir den ein oder anderen Abend bestimmt schon rausgeflogen.

Pauline gluckst und berührt meine Wange, um meine Aufmerksamkeit zu kriegen, die einen Augenblick lang am gutgebauten Kellner hängt.

"Ich brauch Nachschub", lallt sie lachend.

"Na, an unserem Tisch gibt´s Champagner", sage ich und hebe sie hoch.

Sie beißt sich auf die roten Lippen, als könnte sie es kaum noch erwarten. Pauline liebt Champagner.

An unserem Tisch warten Joline, Cloud und Heidi.

"Pauline muss von Herrn Fink getragen werden. Na, das ist ja eine Überraschung!", begrüßt uns Cloud und lehnt sich mit überheblichem Gesichtsausdruck zurück. Selbst heute Abend ist er im Anzug hier.

Sein Schnösel-Style geht ihm halt über alles.

Ich setze Pauline neben Heidi und Natascha und bestelle mir ein Bier. Wir stoßen an und der Abend nimmt seinen gewohnten Gang.

Wir tanzen, feiern und nehmen mit nach Hause, wen wir wollen. Und ja der Abend hat noch mehr gebracht. Und ja, ich kriege meinen Dreier.

Manchmal läuft alles perfekt.

Kapitel 2

 

 

Ben

 

Mein Leben

 

 

"Dies sind die Gründe für die Entstehung der Stellvertreterkriege im Kalten Krieg", murmle ich, notiere den Satz und versuche, die Informationen über den Koreakrieg und über Vietnam in eine ordentliche Analyse zu packen. Eigentlich kann ich ganz gut strukturieren, aber heute muss ich mich zusammenreißen.

Ja, es ist eine Extraarbeit!

Ein Referat mit schriftlicher Ausarbeitung, um das ich gebeten habe. Ganz klassisch kann man mich als Streber bezeichnen, aber ich weiß, dass nur gute Noten mich weiterbringen. Ich möchte einen guten Job und vor allem möchte ich später die Möglichkeit haben, meiner Mom etwas zurückzugeben und mich anständig um sie und Großvater zu kümmern.

Meine Mutter hat ein besseres Leben verdient. Ein Leben ohne Sorgen. Sie hat das beste Leben von allen verdient! Und ich will dafür sorgen, dass sie es kriegt.

Dazu muss ich allerdings eines der begehrten Stipendien der Law School in London abstauben. Wer dort studiert und mit guter Examensnote abschließt, kann sich seinen späteren Arbeitgeber quasi aussuchen.

Tja, die Privatuni meiner Träume nimmt nur leider nicht allzu viele Stipendiaten auf.

Eine gewisse Chance habe ich trotzdem. Ich habe bereits ein Stipendium für eine private Eliteschule, einen Einser-Schnitt und Empfehlungen meiner Lehrer. Mit einem guten Abi komme ich auf die Law School und kann von ihr profitieren.

Manager, Topanwälte, Firmenbosse! Ein Großteil kommt von dieser Privatuni und ja, sie fördern ihre Alma Mater und ihre Absolventen weiterhin. Mit einem guten Examen dort kämen wir raus aus unserer kleinen Wohnung und meine Mutter müsste später nicht mehr im Krankenhaus arbeiten, schon gar nicht für diese geringe Bezahlung. Sie leistet da soviel und hat selbst so wenig von ihrem Leben. Vor allem, weil sie sich auch noch immer um mich kümmern muss.

Ihr Mann, mein Erzeuger, hat es schließlich vorgezogen abzuhauen. Von Alimenten haben wir nie etwas gesehen. Ich weiß nichts mehr von ihm. Mom hat mir mal Fotos von ihm gegeben, weil sie dachte, ich wollte wissen, wer mein Vater ist, aber ich habe sie verbrannt. Nur eins hat sie an die Wand im Wohnzimmer gehängt und ich habe es nie abgenommen. Trotzdem habe ich nur einen Elternteil und ich bedaure das nicht.

*

Ich helfe ihr, als sie endlich mit den schweren, vollen Einkaufstüten nach Hause kommt.

"Na, wie war dein Tag?", fragt sie, während sie die Sachen in den Kühlschrank räumt.

Sie lächelt, aber sie sieht auch erschöpft aus.

"Gut. Mein Projekt in Physik war eine glatte Eins und Herr Bern würde mir auch ein Empfehlungsschreiben für London ausstellen, damit habe ich dann schon die Vorarbeit geleistet", grinse ich und lasse meine Hoffnungen steigen.

"Oh Ben, ich freu mich ja, dass du dir hohe Ziele steckst, aber findest du nicht, du solltest dich nicht so auf diese Privatuniversität versteifen? Du hockst jeden Tag in deinem Zimmer und lernst oder erledigst Zusatzaufgaben, Schatz. Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn du dir so einen Druck machst."

Es nervt mich, wenn sie so besorgt ist. Ich kann ziemlich gut mein Leben planen und ich bin mittlerweile alt genug, um die Dinge selbst zu regeln und auch mal ihr unter die Arme zu greifen.

Ich bin erwachsen!

"Wenn ich jetzt hart arbeite, zahlt sich das später aus", sage ich ihr und ich weiß, dass ich recht habe.

"Ich will nur nicht, dass du enttäuscht bist, wenn es nicht klappt. Es sind doch so viele Bewerber aus der ganzen Welt und du bist noch verbissener als sonst. Das ist nicht nötig. Ich bin so oder so stolz auf dich und andere Unis würden dich sofort nehmen", meint sie, aber ich schüttel den Kopf.

"Ich bin nicht verbissen und ich kriege dieses Stipendium", antworte ich viel lauter als beabsichtigt. Vielleicht geht mir das Ganze doch zu nah!? Doch aufgeben, kommt einfach nicht in Frage!

Erst denke ich, dass wir jetzt gleich streiten, aber sie lächelt mich stattdessen sanftmütig an.

"Ich will ja nur, dass du weißt, dass ich dich lieb hab. Egal was kommt oder was du erreichst."

"Ich weiß, Mom", sage ich und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich im Moment immer so angespannt bin.

Sie grinst und ihre roten Pausbacken blasen sich auf. "Na schön! Also, was speisen wir heute? Spaghetti mit Tomatensoße?"

Ich nicke freudig. "Klingt toll."

Während sie kocht, stelle ich meinen Aufsatz fertig. Ich schreibe diese Aufsätze eigentlich gern, aber auf der Zielgeraden zum Abitur, mit all den Nachhilfestunden, die ich gebe und dem Englischkurs, den ich dreimal die Woche besuche, ist es gerade ziemlich viel. In letzter Zeit schlafe ich immer wieder über meinen Büchern ein. Auch meine Freunde sehe ich nur noch in der Schule oder im Treppenhaus.

Gott, nur noch ein paar Monate!

Kapitel 3

 

 

Jared

 

Zwei Männer in meinem Bett

 

 

Die Sonne scheint bereits ziemlich hell, als ich aufwache. Ich bin noch müde, aber die Party war es wert. Da es Mitten in der Woche ist, kann ich heute leider nicht mehr pünktlich zur Schule kommen und für die beiden Typen in meinem Bett mag das auch gelten.

Na ja, wenn ich sie mir so ansehe, gehen sie wahrscheinlich nicht mehr zur Schule. Nicht, dass sie mir zu alt wären. Ich würde sagen, beide sind in ihren Zwanzigern.

Mann! War ich echt so high, dass ich sie nach dem Sex nicht gleich rausschmeißen konnte?

Na, dann halt jetzt! Ich konnte noch nie nachvollziehen, warum man nach getanem Vergnügen nicht gleich getrennte Wege gehen sollte.

"Morgen", krächzt der schwarzhaarige Adonis neben mir. Er ist ziemlich hübsch und ich bin ganz stolz auf meine nächtlichen Eroberungen. Nicht das ich mich besonders anstrengen müsste, um solche Typen zu kriegen.

Die Hände des anderen - ich habe keine Ahnung, wie er heißt - wandern unangenehm meinen Rücken hinauf.

"Tut mir leid, Jungs, aber ich muss langsam mal los", sage ich leichthin und rutsche aus dem Bett.

Sie glotzen etwas irritiert auf meinen nackten Body. Offenbar wissen sie nicht ganz, wie so etwas bei mir läuft. Ich werfe ihnen mein Killerlächeln zu und zeige Nachsicht mit ihnen. Sie können ja nichts für ihre Unbedarftheit, außerdem haben sie ziemlich viel Spaß gebracht und wer weiß, vielleicht sieht man sich ja mal wieder.

Ich will ihnen noch für die nette Nacht danken, als es an meiner Tür klopft und mein Vater in mein Zimmer tritt. Eine Sekunde lang liegen Wut und Entsetzen in seinem Gesicht, aber in der nächsten Sekunde ist da nur dieselbe gleichgültige Enttäuschung wie immer.

Ach, wir haben so eine gute Vater-Sohn-Beziehung!

"Jared! Komm in mein Arbeitszimmer, sobald du hier aufgeräumt hast", schnaubt er und wirft mir einen Blick zu, der vor Verachtung nur so trieft.

Es ist mir egal!

Im Moment reißen wir uns sowieso gegenseitig den Kopf ab. Er wünscht sich eindeutig einen anderen Sohn und ich mir einen anderen Vater.

Wenige Minuten später gehe ich runter und in das Büro in unserer Villa. Das Büro in der Firma reicht meinem Vater natürlich nicht. Wie auch? Für seine Arbeit legt er alles auf Eis.

Das schließt mich und meine Mutter mit ein!

Innerhalb von Sekunden stehe ich also in dem miefigen, riesigen Zimmer meines Vaters und warte darauf, dass er mir mal wieder sagt, wie sehr ich ihn enttäusche, wie ich mir mein Leben versaue und so weiter und sofort…

Er hat ja immer nur gearbeitet und sich immer mal alle paar Monate wieder dazu entschieden, Vater zu spielen. Neuerdings noch häufiger als sonst, da er Angst hat, ich könnte mir meine Karriere mit meinen Schulnoten versauen und mit Karriere meint er natürlich einen Platz im Familienunternehmen.

Mein Weg ist vorbestimmt! Ich habe da nichts zuzusagen.

"Jared! Du weißt sicher, wie wichtig mir und deiner Mutter deine beruflichen Perspektiven sind", sagt er mit tiefer Stimme. "Und dir ist sicher auch klar, dass ich dein Verhalten keinen Moment länger tolerieren werde. Darum wird sich nun einiges ändern. Du verpasst keine Schulstunden mehr, du gehst nicht mehr in diese Clubs oder treibst dich die ganze Nacht herum und wenn du Schule hast, gehst du den Abend davor nicht aus!"

Es ist eine verdammte Kette von Befehlen und ich denke gar nicht daran, mich auch nur an einen zu halten.

Was glaubt er, wer er ist!?

Jahrelang interessiere ich ihn nicht und jetzt will er mir mein Leben vorschreiben?

Mein Vater sieht mich ernst an. "Ich weiß, dass dir das nicht gefällt, aber ich erwarte ein anständiges Abitur von dir. Hast du also vor, meine Regeln zu brechen, sperre ich dir all deine finanziellen Mittel und dann kannst du dich auch von deinem Mercedes, deinem Smartphone und den Designersachen verabschieden."

Was bildet er sich ein!?

"Das ist nicht fair!", brülle ich und bin stinksauer.

Der Mercedes war ein Geschenk zum Achtzehnten und ich habe ein Recht auf mein Geld. Ich muss schließlich diese Familie ertragen. Allein dafür verdiene ich Schmerzensgeld.

Mein Vater ignoriert meinen Wutausbruch natürlich. Immer bleibt er ruhig. Woraufhin ich erst richtig loslege!

Er wartet, bis ich mich beruhigt habe, und streicht einfach nur seinen Anzug glatt. Ich hasse dieses Businessverhalten. Als ob ich einer seiner Geschäftspartner wäre, dem er gerade auf diese ruhige, überlegene Art zeigt, wo es lang geht.

"Dein Verhalten zeigt nur wieder, wie unreif du bist. Aber wie dem auch sei. Damit du dein Abitur tatsächlich schaffst, habe ich mir vom Direktor einen deiner Mitschüler als Nachhilfelehrer zuweisen lassen. Er wird dich sicherlich irgendwie durchs Abi bringen und vielleicht schneidest du dir dabei ja mal eine Scheibe von diesem Einser-Schüler ab. Der Direktor versicherte mir, er wird als Jahrgangsbester bestehen."

Ich verdrehe die Augen. Natürlich weiß ich, von wem er spricht.

Bitte, bitte, darf ich eine Zusatzaufgabe machen - nein, so werde ich sicher nicht!

"Ach, du denkst, dieser Streber Ben kann mir was beibringen?"

Es ist, als würde er mich mit seinem Blick niederringen.

"Du weißt also, von wem ich spreche. Na, wie schön. Jared, ich erwarte von dir dein bestes Benehmen und dass du dir Mühe gibst, verstehst du?"

Ich nicke widerwillig und kann mich endlich verdrücken. Die schweren Eichentüren fallen hinter mir zu und es ist, als könnte ich wieder normal atmen. Alle meine Muskeln fangen an, sich aus dieser Anspannung zu lösen.

Meine Laune ist düster. Ich schlendere in die Küche, nehme mir eine Coke und überlege, Laufen zu gehen.

Die Schule lasse ich heute ausfallen, doch ab morgen ist es damit vorbei, dann hab ich diesen Streber an der Backe und darf für meinen Dad bis zum Sommer nur noch Männchen machen.

Strahlende Aussichten! Ich könnte kotzen! 

*

Meine Beine brennen, als ich durch den Wald wetze. Ich jogge nicht nur, ich renne.

Ich hasse diese Vorschriften, meinen Vater, den Druck ja alles nach seinen Wünschen zu erledigen.

Ist er etwa glücklich? Soll mein Leben auch so werden? Nein! Und ich hätte es auch nicht drauf!

Mein Vater ist schlau wie ein Fuchs, weiß alles übers Geschäft und ist bereit, jeden Tag und jede Nacht im Büro zu sitzen. Ich habe keine Ahnung von Zahlen, will mein Leben genießen und halte es hinter einem Schreibtisch nicht aus. Der Sohn, der seine Firma, sein Imperium, weiterführt, bin ich nicht.

Der Weg geht um eine Biegung. Ich renne schneller. Ich sprinte die letzten Meter bis zu meinem Wagen. Vor dem Mercedes gehe ich auf und ab. Mein Puls geht allmählich runter. Meine Beine entspannen sich. Ich dehne mich und lehne mich gegen die Seitentür, dann rufe ich Chris an, um bei ihm abzuhängen. Ich quatsche ihm auf die Mailbox, dass ich später bei ihm vorbeikomme und erwarte automatisch, dass er sich die Zeit für mich nimmt. Chris hat immer Zeit für mich. Er ist immer da!

*

"Hey", begrüße ich ihn, als er die Tür öffnet.

Seine braunen Augen strahlen mich an und sein blondes Haar fällt ihm über die Stirn. Chris ist ganz süß, wenn man auf den etwas hageren Typ steht. Er könnte ein paar mehr Muskeln haben für meinen Geschmack.

"Hey, Jared", sagt er und bittet mich rein.

Das große Haus seiner Familie wirkt trotz allem gemütlich und ich bin gern hier. Schon als Kind habe ich lieber bei ihm abgehangen als Zuhause.

"Du warst also mal wieder nicht in der Schule!? Wegen diesen beiden Kerlen für die du uns stehen gelassen hast?", fragt er mit diesem verletzten Unterton.

Mann! Sein Ego soll sich mal einkriegen.

Ich grinse ihn dreist an. "Ja, genau. Glaub mir, die haben sich gelohnt. Bester Dreier meines Lebens!"

"Schön für dich!", sagt er und wir gehen rauf. "Und? Bist du hier um zu quatschen oder um andere Dinge zu tun?"

Mein Grinsen wird breiter. "Na, ich bräuchte eine kleine Aufmunterung, also wäre ich eindeutig für die anderen Dinge."

"Warum brauchst du eine Aufmunterung?"

"Sag ich dir, wenn wir fertig sind! Und jetzt gehen wir in dein Zimmer und du ziehst dich aus", befehle ich ihm und natürlich gibt es keinen Widerstand.

Eigentlich sind wir nicht mehr zusammen, aber ich wüsste nicht, warum wir auf die guten Dinge verzichten sollten. Wir haben doch an der einen Sache beide immer Spaß gehabt.

 

Kapitel 4

 

 

Ben

 

Mein Nachhilfeschüler

 

 

Es ist ein trüber Nachmittag, auf den ich verzichten könnte. Ich hole mir einen Schokoriegel und mache mich auf den Weg zu meinem neuen Nachhilfeschüler. Er ist der reichste und mit Sicherheit arroganteste Junge hier auf der Elisabeth von Eidweg Privatschule und am liebsten hätte ich abgelehnt, aber ich kann es mir nicht leisten. Sein Vater hat mir tatsächlich 70 Euro pro Stunde geboten, wenn ich seinen Sohn anständig durchs Abi bringe. Dafür muss ich aber zu ihm nach Hause kommen und kann mich nicht in den Nachhilferäumen der Schule mit ihm treffen. Ich weiß auch nicht, ob das wirklich besser wäre.

Und vielleicht ist er außerhalb der Schule kein arroganter Vollidiot?

Eigentlich kenne ich Jared Fink ja nicht. Nur aus der Schule und da ist immer seine Clique aus superreichen Spaßvögeln um ihn herum. Sie sind alle nicht mein Fall, weil sie immer so drauf sind, als ginge sie nichts etwas an. Schon gar nicht die Schule.

Gott, ich frage mich, wie Nachhilfeunterricht mit einem wie Jared laufen soll.

Immerhin kann ich mich an seinen Vater wenden, wenn es nicht funktioniert. Er hat sogar darum gebeten. Allerdings heißt das wohl auch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht funktioniert, sehr groß ist.

Die Sorgen, die er sich wegen Jared macht, sind wohl auch nicht ganz unbegründet, zumindest wenn man dem Schulhoffunk glauben darf. Der gutaussehende, reiche Junge ist auf dem besten Weg durchs Abi zu rauschen.

Sein Vater will sicher sein, dass sein Sprössling auch richtig lernt. Ich kann das verstehen, aber vor allem brauche ich eben das Geld und ich habe ganz exklusiv nur noch einen Schüler - das ist weniger Stress und mehr Verdienst. Außerdem sind wir in derselben Stufe, also lerne ich für mein Abi gleich mit.

Jared zu ertragen, wird trotzdem eine Herausforderung.

Ich steige in den Bus und fahre bis zur Ludwigstraße, von hier aus ist es nicht mehr allzu weit bis zu den riesigen Villen der Stadt. Ich habe keine Ahnung, wie oft unsere Wohnung in eines dieser Häuser passen würde. Weiße Mauern und große Metalltore mit Sicherheitskameras starren mir den ganzen Weg über entgegen. Noch deutlicher kann man gar nicht sagen, dass hier nur gewisse Leute erwünscht sind und Menschen mit der Einkommensklasse meiner Familie hier nichts zu suchen haben.

Egal! Dass wir nicht aus derselben sozialen Schicht stammen, wusste ich vorher.

Ich muss vorne am Tor klingeln und in eine Kamera grinsen, dann darf ich das Grundstück betreten und schließlich begrüßt mich der Butler an der Tür. Bei reichen Leuten ist alles sehr viel anders.

Nicht, dass ich reiche Freunde hätte.

Na ja, vielleicht Geromé und Lisa, aber wir begrenzen unsere Gespräche auf die Schule und Unterrichtsthemen. Trotzdem sind sie immer nett und freundlich und haben so gar nichts von Jared und seiner Angeberclique.

„Herr Gerowski?“, fragt der Butler mich und ich nicke.

„Gut! Der junge Herr Fink erwartet sie schon. Folgen sie mir doch bitte“, fordert er mich freundlich auf.

Er wirkt nett, aber dennoch empfinde ich meine erste Begegnung mit einem Butler als ziemlich bizarr. Ich werde durch einen langen Flur geführt und ende schließlich in einer übergroßen Designerküche mit riesigem Esszimmer. Mein Nachhilfeschüler lehnt lässig gegen den Küchentresen, trinkt etwas und funkelt mich mit diesen dunkeln Augen wütend an.

Super! In der Schule weiß er nicht einmal, wer ich bin und jetzt bin ich gleich zu seinem nächsten Erzfeind aufgestiegen. Wenn das kein Sprung auf der Karriereleiter ist!

„Na, da ist ja mein ganz persönlicher Streber“, sagt er und setzt sich in Bewegung. Seine Bewegungen sind unglaublich geschmeidig und seine Präsenz erfüllt den ganzen Raum. Natürlich weiß er das auch! Er macht keinen Hehl daraus, für wie viel besser er sich hält.

Am liebsten würde ich wieder gehen - aber vielleicht wird es ja noch!

Ich räuspere mich. „Ich bin Ben Gerowski und wenn du mich nicht deinen persönlichen Streber nennen könntest, wäre ich dir dankbar“, sage ich sarkastisch und lächle ihn an, um Frieden zu signalisieren.

Er zieht die Augenbrauen hoch und mustert mich ablehnend. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich den Bauch einziehen sollte und meine Klamotten heute Morgen die falsche Wahl waren. Ich passe nicht in diese Villa oder in seine Gegenwart. Er muss es gar nicht aussprechen, um es mir zu signalisieren.

"Jared", grummelt er unfreundlich und lässt den Kiefer knacken.

Unbehaglich unter seinen Blicken steuer ich auf den großen Esstisch zu, versuche mein Unbehagen zu verdrängen und lege meinen Rucksack ab.

"Gut, wollen wir starten?", frage ich vorsichtig in seine Richtung.

Er fährt sich durch die dichten, dunkeln Haare. "Nein, eigentlich nicht. Im Gegensatz zu dir habe ich nämlich ein Leben außerhalb der Schule, Bennybär."

Genervt von seinem Verhalten ziehe ich den Reißverschluss auf und überprüfe, ob alle Bücher da sind.

"Ach, genau! Ich bin ja nur hier, um dir den Tag zu versauen", knurre ich zurück.

Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte!

Zuhause wartet jede Menge Arbeit auf mich. Ich weiß eh schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht und das hier sollte es eigentlich einfacher machen und jetzt denkt er, ich bin die Plage, die ihn heimsucht.

Jared schmunzelt und erwidert überlegen: "Offensichtlich!"

Ich seufze. "Ja, aber da ich schon mal hier bin und dein Vater darauf besteht, könnten wir ja einen Blick in die Bücher werfen."

"Mein Alter zahlt gut, was?", fragt er so gereizt, dass ich mir nicht sicher bin, wie ich reagieren soll.

Ich rutsche unruhig auf dem Stuhl hin und her.

Wie kann sich ein Blick nur so in einen hineinfressen? Keine Ahnung - aber seiner kann es!

"Ja" ist meine knappe, verspätete Antwort auf die Frage nach der Bezahlung.

"Na, dann will ich ihn doch nicht noch mehr enttäuschen und von jetzt an brav und fleißig sein", spuckt er mir hasserfüllt entgegen.

Mit knirschenden Zähnen und breiten, bedrohlichen Schultern kommt er zu mir herüber an den Tisch. Ich kann seinen Abscheu gegen mich geradezu spüren.

Wie ich ihm etwas beibringen soll, weiß ich nicht im Geringsten!

Ganz dicht vor mir bleibt er stehen.

"Also dann, legen wir los!", flüstert er, so dass mir heiß wird, und schiebt sich einen Stuhl heran.

Ich stocke einen Moment. Schließlich durchwühlen meine Hände doch meinen Rucksack und ich hole die Bücher heraus, aber dass ich auf ihn reagiere, hat er bemerkt.

"Ok, also vielleicht fangen wir mit deinem Lieblingsabifach an und wiederholen erstmal den Stoff, den du verstanden hast!?", schlage ich vor, um ihm den Einstieg leichter zu machen.

Seine Augen bohren sich in meine. Es wird richtig unangenehm und ich weiche seinem Blick verlegen aus. Aber es ist nicht nur der Blick. Er ist es!

Sein Körper, sein Geruch und diese Hitze.

Gott, er ist unglaublich ... intensiv.

Als ich wieder zu ihm schaue, grinst er allwissend.

"Stehst du auf Typen?", fragt er herausfordernd.

Entnervt reibe ich mir übers Gesicht, um meine Gedanken wieder klar zu kriegen.

"Im Moment stehe ich darauf, mein Abi möglichst gut zu bestehen und das solltest du auch. Lieblingsfach?"

"Sport, aber da kannst du mir sicher nicht helfen", spottet er und blickt auf meine weiche Körpermitte.

Gott, ich stehe auf diese Sportfreaks, die ihren Körper für ein Gottesgeschenk halten!

Ich rolle genervt mit den Augen. "Jared, ich habe keine Ahnung, was da mit deinem Vater abgeht, aber ich versuche hier nur, meinen Job zu machen und dir mit deinem Abschluss zu helfen. Die meisten Schüler sind mir für meine Hilfe dankbar. Wäre es wirklich so schlimm, gut durchs Abi zu kommen?"

Nachdenklich blickt er auf die Bücher vor uns und lässt seinen Kiefer erneut knacken.

"Ich kann keines der Fächer ausstehen, sowie Schule im Allgemeinen", antwortet er und beginnt gelangweilt mit dem Bleistift auf dem Tisch herumzukritzeln.

"Biologie?", frage ich, um wieder zum Schulstoff zu kommen.

Er grinst.

"Bio, hm? Und worauf stehst du da?", fragt er und lehnt sich frech zurück.

"Auf Genetik. Fangen wir auf Seite 204 an", erwidere ich neutral.

"Oder auch nicht!", meint er und dreht sich weg. 

Ich schlage das Buch wieder zu. "So hat das keinen Sinn. Ich sag deinem Vater, dass ich es zeitlich nicht schaffe, ok? Zufrieden? Vielleicht kriege ich meine alten Nachhilfeschüler wieder?"

Ich ziehe gerade meinen Rucksack zu, als tatsächlich eine ehrliche Reaktion von ihm kommt.

"Das geht nicht! Mein Vater wird ausflippen und mir den nächsten Idioten aufs Auge drücken. Also wäre es nett, wenn du bleiben würdest."

Ich halte inne.

Toll, also bevor der nächste Idiot kommt, bin ich gut genug? Jared bittet wohl nicht allzu oft um etwas.

Gut, kann er das jedenfalls nicht.

"Hm, arbeitest du mit?", frage ich skeptisch und muss mich zusammenreißen, ihn nicht anzustarren.

Die großen, breiten Schultern zucken unmerklich. "Ich werd´s versuchen. Schule ist nicht mein Ding, ok?"

Er versucht, möglichst cool zu sein, aber dass er sich jetzt nicht wohlfühlt, kann ich sehen. Es wäre falsch darauf herumzureiten und das Geld seines Vaters ist ein wirklich guter Grund, das hier durchzuziehen.

Ich nicke schließlich. "Ok. Also Genetik?"

Er nickt flüchtig zurück. "Warum nicht! Ist wahrscheinlich genauso langweilig wie alles andere."

Ich versuche, ihm den Aufbau der DNA zu erklären und dann nähern wir uns den Proteinketten, aber Jared hat sichtlich Mühe den Stoff zu verstehen.

"Das war`s!", meint er und lässt seinen Stift fallen.

Ich überblättere die folgenden Seiten.

"Vielleicht brauchen wir ein paar Minuten Pause!", sage ich und schlage mein Buch zu. Eigentlich haben die letzten Minuten gut funktioniert. Er hat sich wirklich bemüht und statt dämlicher Sprüche hat er mir zugehört.

"Und was denkst du, schreib ich ne 6 oder ne 5 minus?", grinst er.

"Wie wäre es mit einer sauberen 2? Dein Dad bezahlt mich schließlich für ein ordentliches Abitur", antworte ich mit etwas Sarkasmus in der Stimme und einem weichen Grinsen.

Dass er nichts von seinem Vater hören will, ist mir schließlich klar, aber der Spruch erntet ein Lächeln. - Und was für ein Lächeln! Daran, dass Jared schön ist, ist nun wirklich nicht zu rütteln. Er ist atemberaubend, auch wenn er zu 90 Prozent ein Idiot ist.

Jared schiebt den Stuhl zurück, schlendert in die Küche und holt sich eine Cola aus dem Kühlschrank.

"Auch?", fragt er und stellt sie für mich auf den Küchentresen, noch bevor ich antworte.

Ich gehe zu ihm, öffne die Dose und nehme ein paar Schlucke. Irgendwie rechne ich mit einem seiner Kommentare, aber er benimmt sich erstaunlich normal.

"Gehst du am Samstag zu Laras Party?", fragt er und wieder sind da seine Augen, die ich nicht so lange ansehen sollte.

"Nein", gebe ich von mir und schaue eisern auf die glänzende Tresenplatte.

"Weil Streber nicht auf Partys gehen und du für dein Einser-Abi lernen musst? Damit du brav als Jahrgangsbester die Schule verlässt?", fragt er und so, wie er es sagt, klingt es gemein.

"Ja, so ähnlich", knurre ich tonlos zurück.

Es stört mich aus irgendeinem Grund, dass er mich so sieht.

Na ja, er hat ja recht.

Mein Einser-Abitur ist gerade das Wichtigste für mich! Es entscheidet, wie mein Leben in Zukunft läuft.

Kapitel 5

 

 

Jared

 

Warum nicht!

 

 

Irgendetwas stimmt eindeutig nicht mit mir! Dieser Ben schafft mich noch!

Es ist unser achter Nachhilfetermin und ja, ich hasse ihn nicht mehr so sehr wie noch am ersten Tag - aber begeistern kann mich Bio immer noch nicht. Er hingegen...

Ben grinst mich aufmunternd an, redet auf mich ein und erklärt mir diesen ganzen Bio-Kram, wenn er nicht so süß dabei wäre und diese Grübchen hätte, wäre ich trotzdem längst abgehauen und würde mit meinem Wagen durch die Stadt cruisen.

Irgendwann bestehe ich allerdings doch auf meine Pause!

Mein Kopf raucht! Und meine Laune wird bedrohlich schlecht!

Mein Buch wird zu geschlagen und ich erhebe mich. Als ich mich strecke, kann ich spüren, wie er mich mustert. Ich muss grinsen, als ich es merke.

Er steht eindeutig auf mich. Natürlich tut er das!

Mal ehrlich, jemand wie er könnte so jemanden wie mich normalerweise wohl kaum kriegen, aber in letzter Zeit zieht er mich an. Sofort guckt er weg, als er merkt, dass ich ihn ertappt habe. Seine Wangen sind knallrot. Er sieht damit so extrem niedlich aus, doch jetzt versucht er alles, um sich hinter seinen Büchern zu verstecken.

Ben ist so ein typischer Streber und hockt weiter da, auch wenn ich streike und er eindeutig auf mich steht.

Wir könnten andere Dinge tun!

Ich muster ihn. Es ist nur fair! Er hat mich ja auch abgecheckt. Jetzt werfe ich halt mal einen Blick auf ihn. Eigentlich tue ich das ständig.

Am Anfang wollte ich ihn nur aus dem Konzept bringen, aber das ist nicht mehr alles. Ich sehe ihn gern an. Nicht, dass er einen Wahnsinnsbody hätte - eher im Gegenteil - aber er zieht mich an wie niemand sonst.

Er geht mir nicht aus dem Kopf!

Selbst seine kleinen Speckröllchen unterm Sweatshirt bekommen Niedlichkeitspunkte. Ich wette, er fühlt sich kuschelig an. Generell wirkt er mehr wie der Typ, mit dem man im Bett liegt, kuschelt und einfach nur so quatscht. Manchmal mache ich das mit Chris. Na ja, ohne das Kuscheln. 

Ich hol mir was zum Trinken und atme erstmal durch. Ben mag mich attraktiv finden, aber ich schätze, Superhirne stehen eher auf andere Superhirne. Außerdem kann ich es nicht leiden, wenn ich mir Sachen erklären lassen muss. Mit Ben wäre das bestimmt immer der Fall. Er hat mehr im Kopf als ich. Mit ihm komme ich mir auch so schon ziemlich dumm vor.

Aber egal! Als ob er so perfekt wäre.

Er trägt echt lächerlich miese Klamotten und diese blonden Strubbelhaare lassen sein Gesicht noch runder wirken. Mein Blick bleibt an den Grübchen in der Nähe seines Mundes hängen. So, wie er dasitzt, wirkt er vollkommen ruhig. Ich glaube, ich kann gar nicht so still dasitzen.

Ich würde ihn gern küssen.

Zischend öffne ich die Cola. Ich trinke etwas, während ich ihn beobachte. Mit ihm hier jeden Nachmittag abzuhängen, lässt mich nicht kalt. Es macht mich höchstens verrückt. Wahrscheinlich macht er mich nur an, weil ich hier mit ihm zusammengepfercht bin. Normalerweise würde ich ein Pummelchen wie ihn nicht beachten. Im Club würde ich ihn nicht mal sehen. Er wäre einfach ein völlig uninteressanter Typ mit Speckröllchen, doch jetzt ist er irgendwie mehr geworden - keine Ahnung, wann das passiert ist!

 Also was soll`s? Ich nehme eine zweite, kleine Cola heraus und stelle sie vor ihm auf den Tisch.

"Hier! Falls du Durst kriegst", sage ich und lehne mich dicht neben ihn an den Stuhl.

Sein Blick klebt kurz an meinen Augen. Erst seltsam sanft und dann ernst.

Ich muss grinsen, als er nervös wird. Nicht, dass mich das überraschen würde. Ich hatte noch nie Probleme damit, bei Leuten gut anzukommen. Nur sonst, schaue ich nicht solange zurück und überlege, was sie wohl an mir mögen.

Ob es nur an meinen Muskeln liegt? Mein Body ist der Wahnsinn und das weiß ich auch.

"Wir sollten weitermachen", sagt er und ich bin mir sicher, er ist ein klein wenig rot geworden.

Vielleicht finden wir, ja doch noch was Lustiges zu tun? Mir würde da zumindest einiges einfallen.

"Ich hab ein paar ziemlich coole Filme oben. Wir könnten uns einen anschauen?", schlage ich vor, so als hätte er gar nichts gesagt.

Offenbar findet er meinen Vorschlag ok, denn er beißt sich grübelnd auf die Unterlippe.

Ziemlich süß, denke ich, und wieder ist da der Gedanke, meine Lippen auf seine zu drücken. Gegen ein klein wenig Spaß kann schließlich keiner etwas haben.

"Jared", sagt er fast gequält. "Wir müssen echt weitermachen. Du kannst dich davor nicht drücken. Solange ist es bis zum Abi nicht mehr und im Vor-Abi brauchst du passable Noten, sonst wirst du nicht zugelassen oder musst bei einer zu hohen Abweichung in die Nachprüfung."

Seine Worte klingen mahnend und darauf kann ich gar nicht. Meine schlechte Laune ist sofort wieder da. Er hält mich offenbar für einen ziemlichen Idioten.

"Kannst du mal aufhören, so zu tun, als wäre ich dein Sorgenkind!? Ich entscheide selbst, was ich tun will und was nicht und ich habe gerade beschlossen, dass ich heute keine Lust mehr aufs Lernen habe", sage ich und lasse ihn einfach dasitzen.

Meine Schritte sind ziemlich energisch und ich brauche nicht lange, bis ich oben auf meinem Zimmer bin und mich auf mein Bett werfe. Ich lasse den Film laufen, der schon im DVD-Player liegt. Als ich bereits denke, ich bin ihn und vielleicht bald auch meinen Mercedes los, klopft es kurz und dann kommt Ben hinein. Er steht ein wenig verloren da. Das Rot auf seinen Wangen ist wieder da und lässt ihn niedlich aussehen.

"Komm schon her!", sage ich und rutsche ein Stück.

Er zögert, dann räuspert er sich. "Dein Vater bezahlt mich nicht, um mit dir fernzusehen, Jared", antwortet er sanft.

Ich mustere ihn und finde es lustig, wie unangenehm ihm das ist.

"Ein Deal!", schlage ich vor. "Wir gucken uns einen Film an und danach darfst du mich mit Bio oder jedem anderen Fach quälen."

Ich freu mich, als er sich zu mir aufs Bett setzt. Sein Körper ist stocksteif.

Ich habe gewonnen.

Normalerweise würde ich mich jetzt zu ihm drehen und wir würden endlich zur Sache kommen. Ich habe keine Ahnung, warum ich nicht loslege. Ruhig liege ich da und warte darauf, dass er sich entspannt. Heute rühre ich ihn nicht an. Es fühlt sich einfach nicht so an, als würde das funktionieren. Ob er nun auch Interesse an mir hat oder nicht. Aber ... Ben ist mehr ... als nur der Streber, der mir Nachhilfe gibt.

 

Kapitel 6

 

 

Ben

 

Oh, Gott!

 

 

Normalerweise ist es mir egal, aber heute könnte ich wegen meinen Klamotten aus der Haut fahren.

Es geht einfach nicht!

So will ich nicht bei Jared aufschlagen. Alles was ich anzuziehen habe, sind meine weiten, blauen Jeans und meinen Schlabberpulli. Meine besseren Sachen sind in der Wäsche oder ich pass nicht mehr hinein. Wenn ich viel Stress habe, nehme ich immer ein wenig zu und im Moment eben ein wenig mehr.

Ich schaue in den Spiegel und bin genervt von meinem Aussehen. Eigentlich bin ich nicht so. Äußerlichkeiten sind mir sonst nicht wichtig. Nicht bei mir und nicht bei anderen. Außerdem mag ich mich. Heute allerdings weniger.

Ich weiß nicht, ob mich jemand anders auch so mag. Von Jareds Sixpack ist mein Bauch weit entfernt und dieser Pulli bringt das so richtig zur Geltung.

Ich hasse gerade einfach alles an mir! Das ist so dumm!

Ha, er hat sich bestimmt noch nie so gefühlt! Er mit seinem perfekten Körper und diesen blitzenden, dunkeln Augen, die jedem sagen, dass er nicht gut genug ist, um in Jared Finks Gegenwart zu atmen. Er mit diesen perfekten Lippen. Sie müssen sich wie Feuer anfühlen.

Gott, ich denke einfach viel zu oft über ihn nach.

Das muss aufhören!

Als ob ihm jemand wie ich gefallen könnte! Ich bezweifle doch stark, dass er auf pummelige Streber steht, die von seinem Vater bezahlt werden, um mit ihm zu pauken und sich nicht die teuren Klamotten und die richtigen Clubs leisten können.

Unsere Leben haben so gar nichts miteinander zu tun.

Er ist verwöhnt und arrogant und ihm liegt mehr an seinem Spaß, als an sonst irgendetwas. Er kann sich das ja auch leisten. Es warten schon ein Treuhandfond und natürlich der Platz im Unternehmen seines Dads auf ihn.

Vielleicht ist eher die Frage, ob ich ihn wollen sollte? Und 'Nein' sollte ich nicht.

Es ist sein gutes Aussehen, aber sonst ist da nichts an ihm. Ich fühle mich nur rein körperlich zu ihm hingezogen! Ich bin nicht in ihn verliebt und ich werde ihm nicht mein Herz geben!

*

Wie in den letzten Tagen bringt mich der Butler in die Küche und lässt mich allein mit Jared zurück. Erstaunlicherweise begrüßt er mich mit einem Lächeln und mir wird ziemlich schnell bewusst, dass mein Herz ein paar Takte schneller schlägt.

Mist! Ich bin so was von dämlich.

Sich in Jared Fink zu verknallen, ist das Schlimmste, das mir überhaupt passieren kann.

Ich kenne seinen Ruf.

"Gutaussehende, arrogante, reiche, männliche Hure" ist wohl die Normalbezeichnung für ihn und dann gibt es da noch ganz andere Bezeichnungen für ihn, die einige seiner Ex-Freundinnen und Ex-Freunde für ihn haben. Mal abgesehen davon, dass ich es bestimmt nicht in die Liga der festen Freunde schaffen würde, würde er mein Herz so oder so auseinandernehmen und ich weiß nicht, ob ich es wieder zusammensetzen könnte. Für mich sollte jetzt nur das Abi und dann die Law School zählen.

Ich kann das! Ich finde ihn absolut nicht attraktiv! Und ein Waschbrettbauch wie seiner eignet sich nicht zum Knuddeln.  

Langsam gehe ich zu ihm und bemühe mich, ruhig zu bleiben. Mein verdammtes Herz will in seiner Nähe einfach nicht aufhören zu pochen.

"Na, bereit für die Nachhilfe?", frage ich viel zu fröhlich.

Er muss mich für einen totalen Idioten halten.

Toll, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen, dass er mich anflirtet.

Manchmal wäre ich gerne jemand ganz, ganz anderer.

Er zwinkert mir zu. "Klar. Ich erkenne langsam die guten Seiten an dieser ganzen Paukerei. Der Pulli steht dir übrigens."

"Was!?", frage ich irritiert und sehe an mir hinunter auf den ausgeleierten, verwaschenen Stoff.

"Na, du siehst ganz süß in diesem Pulli aus. Gefällt mir irgendwie", grinst er und seine Augen wandern über mich, so dass alles pocht und kribbelt.

Ich halte die Luft an, bevor ich mich an den Tisch flüchte.

"Wir sollten anfangen. Es ist ja kaum noch Zeit", krächze ich, weil ich die Kontrolle über meinen Mund nur äußerst schwer behalte.

Wie kann man nur so unsicher sein?

Jared macht mich zu jemand ganz anderem. Ich hasse das. Es fühlt sich einfach furchtbar an.

 

Kapitel 7

 

 

Jared

 

Zuckerküsse

 

 

Drei Wochen sind vergangen und ich habe meine Zulassung fürs Abitur. Ich küsse Natascha im Speisesaal, als ich die guten Nachrichten erfahre. Sie kennt mich gut genug, um das nicht zu ernst zu nehmen. Chris` Lächeln bekommt hingegen einen Knacks. Wahrscheinlich hat er heute so eine Laune. Mein bester Freund ist manchmal ebenso. Natascha kichert, nachdem ich von ihr ablasse.

"Was ist denn in dich gefahren?", fragt sie gut gelaunt.

Ich stütze mich auf ihre Oberschenkel und beuge mich zu ihrem Ohr. "Oh, die Schule musste nur gerade einsehen, dass ich ein weit unterschätzter Schüler bin."

"Ach, bist du das?", fragt Cloud skeptisch unter seiner Sonnenbrille.

"Abi-Zulassung mit Bravour bestanden", antworte ich triumphierend und blecke meine Zähne.

"Ok, dann sind wir wohl alle gut durchgekommen. Wir sollten heute Abend feiern!", meint Chris und grinst verschmitzt in die Runde. 

"Auf jeden Fall! Aber leider, meine Freunde, muss ich euch jetzt erstmal verlassen. Kommt heute zu mir! Wir trinken was und fahren ins 'Hagers'. Ich kümmer mich um den Tisch."

Mit gottgleicher Eleganz springe ich auf und schlendere Richtung Ausgang.

Die folgenden Tage gibt es keine Prüfungen und keine Schule mehr. Nur noch die Abi-Prüfungen und ich muss diesen Saftladen nie wiedersehen. All der Stress ist so gut wie vorbei!

Außerdem habe ich dank Ben tatsächlich keine Steine im Magen bei den Gedanken an die letzten Prüfungen.

 Ich kann es nicht abwarten, nach Hause zu kommen. Endlich hab ich mal Ruhe, zumindest bis Ben heute Nachmittag kommt. Wir lernen auch heute. Er hat darauf bestanden. Natürlich! Für ihn gibt es keine Pausen. Man könnte ihm ja sein Fleißsternchen wegnehmen. Ich sollte meinen alten Herrn um einen Bonus für ihn bitten.

Die 2.0 in der Bio-Klausur grenzt schließlich an ein Wunder und so wie ich Ben kennengelernt habe, braucht er dringend Geld für anständige Klamotten.

Meine Tasche landet auf dem Beifahrersitz und ich rase aus der Parklücke. Eigentlich will ich direkt nach Hause, aber dann seh ich Ben an der Bushaltestelle. Dafür das er wahrscheinlich mit ausschließlich Einsern zugelassen wurde, sieht er ganz schön fertig aus. Mein schwarzer Mercedes prescht über die Straße.

Ich halte direkt vor seinen Füßen. "Steig ein!"

Ohne zu lamentieren, öffnet er die Tür und setzt sich zu mir in den Wagen. Ich rieche sein Deo und sehe die blaue Tinte an seinen Fingern. Seine Klamotten sitzen mal wieder unmöglich, aber seine blauen Augen strahlen mich aus seinem Mondgesicht an. Ich drücke aufs Gas.

 "Danke fürs Mitnehmen!", sagt er höflich wie immer und sitzt steif da.

"Schon ok. Wollen wir gleich zu mir? Ich feier heute Abend meine Zulassung zum Abi und da könnte ich eher frei gebrauchen."

Ich weiß, dass ich das nur sage, weil ich ihn weiterhin um mich haben will.

Eigentlich geht es mir mit anderen nicht so. Keine Ahnung, warum es gerade bei Ben anders ist!? Es ist ja nicht so, als hätten wir unendlich viele Gemeinsamkeiten oder als ob er so unterhaltsam wäre.

"Die Punkte haben also gereicht!?", grinst er frech.

Ich lache. "Jepp! Ich bin auf dem Weg zum Genie! Und können wir direkt zu mir fahren?"

Ben überlegt kurz und nickt dann. "Ja, klar. Meine Mutter ist eh noch nicht zuhause."

"Was macht sie?", frage ich.

"Sie arbeitet im Krankenhaus. Sie mag den Job, aber langsam wird der ganz schön anstrengend und sie verkraftet es auch nie gut, wenn die Menschen, die ihr ans Herz gewachsen sind, sterben", meint er und klingt bedrückt. Er lehnt sich im Sitz zurück und hält seine weichen Lippen in die Höhe. Ich muss diese Lippen unbedingt mal küssen.

"Hm, kann ich verstehen", erwidere ich, weil mir nichts Besseres einfällt, und meine Gedanken noch an seinen Lippen hängen. Es klingt leider verdammt platt.

"Ja", erwidert er leise. 

Im zähen Mittagsverkehr kann mein Mercedes nur vorankriechen. Meine Hand streicht Bens Bein beim Schalten und er zieht es sofort weg.  Ich versuche, es zu wiederholen, aber Ben passt auf.

Zwischen uns ist etwas!

Ich kann es nicht beschreiben, aber hier in diesem Wagen, so dicht beieinander, spüre ich es wie nie zuvor. Schließlich erreichen wir die Villa. Das automatische Tor öffnet sich und ich fahre in die Garage bis auf die Plattform am Ende. Immerhin kann ich ihn jetzt beeindrucken.

"Warte", sage ich Ben, als er schon aussteigen will.

Die Plattform dreht sich und hebt den Wagen an. Im Auto werden wir in die erste Etage hochgefahren und schließlich steht mein Mercedes sicher im Obergeschoß zwischen unseren Familienwagen.

"Ok, wir haben nicht einmal ne Garage und bei euch gibt es die mit Aufzug. Nett!", sagt er und zwinkert mir zu, was mich sprachlos macht. Manchmal ist er dieser selbstbewusste, witzige, vorlaute Kerl, auf den ich echt stehe und manchmal dieser schüchterne, pummelige Streber, bei dem ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll.

Ben steigt aus und ich tue es ihm gleich. Schnell stehe ich neben ihm.

"Tja, es ist manchmal eben besser, reich zu sein", sage ich und präsentiere ihm die anderen Wagen. Die zwei Oldtimer meines Vaters, den Lamborghini meiner Mutter, unseren Geländewagen und die geschäftstauglichen Wagen, die meinen Vater zur Firma bringen. Ben staunt nicht schlecht und ich werfe ihm ein eindeutiges Lächeln zu.

"Und da habe ich mich gefragt, warum dich alle für so arrogant halten", kontert er.

 Ich grinse verschmitzt zurück. "Du verbringst deinen Tag also damit, über mich nachzudenken?"

Ben schnaubt verächtlich. "Ja, ununterbrochen. Du weißt ja nicht, wie hart das ist."

"Ok, dann geb ich dir jetzt mal was für die nächsten Tage zum Nachdenken", sage ich und ziehe mein Shirt aus,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5904-3

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