1
Zolei
Der Wind zerstörte meine Frisur, und zwar komplett. Die Stunde heute Morgen im Bad hätte ich mir sparen können. Ich kämpfte mich Schritt für Schritt voran und hoffte, dass sich die Schule bald in ihrem monotonen grau vor mir erheben würde. Wie weit war ich wohl schon von zu Hause weg? Es gibt einfach Tage, an denen man das Bett nicht verlassen sollte, heute war genau so einer. Wieder riss eine Windböe meine Haare in die Höhe und lies sie in voller Unordnung auf meine Kopf zurück fallen. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen. Ich hätte auf meine Mutter hören sollen – wie so oft – und eine Jacke anziehen sollen. Endlich kam ein großer Betonriese in mein Sichtfeld, eine architektonische Meisterleistung (Ironie!). Aber heute war es mir tatsächlich egal, schließlich war es der einzige Weg, dem Sturm zu entkommen. Ich musste beinahe mit meinem ganzen Gewicht an der Tür zerren, um sie einen kleinen Spalt aufzubekommen. Ich zwängte mich hindurch und das Tor knallte hinter mir zu. Geschafft! Ich ließ meine Tasche zu Boden gleiten, um beide Hände frei zu haben. Dann versuchte ich meine Haare zu irgendwas zu formen, was man Frisur nennen konnte. Als ich jetzt wieder etwas sehen konnte, fiel mir auf, dass die ganze Aula leer war. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn war. Seltsam, warum war keiner da? Irgendetwas hatte ich wohl verpasst. Ich hob meine Tasche auf, wobei mir schon wieder die Haare in das Gesicht fielen, und lief in die Mensa. Nein, auch hier war niemand. Deprimiert ließ ich mich auf einen Stuhl sinken, meine Tasche ließ ich auf dem Tisch vor mir liegen. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich zuckte zusammen, denn ein Hitzestoß durchzuckte meinen Körper. Ich drehte mich langsam um. Ich weiß nicht warum, aber ich rechnete mit dem Schlimmsten. Stattdessen blickte ich in hellblaue Augen, die einem wahnsinnig attraktiven Mann gehörten. „Wegen des schlechten Wetters findet heute kein Schulunterricht statt“, sagte er zu mir, wobei er mich sehr charmant anlächelte. „Oh..ehh..ähmm..ohh“, mehr brachte ich nicht hervor, ziemlich peinlich! „Oh entschuldige, wie unhöflich von mir. Ich bin Herr Storm, der neue Sport- und Mathelehrer“. Er sollte damit aufhören, mich so anzusehen, denn es machte mich sehr nervös. Ich würde wohl keinen Ton mehr rausbekommen, was nicht gerade einen guten Eindruck machte, dessen war ich mir sicher. „I..Ich..Ich..ähm..was ..was soll ich jetzt machen?“, stammelte ich so vor mich hin. „Ich habe hier Aufsichtspflicht. Jetzt wo du schon da bist, solltest du auch hier bleiben, bis der Sturm aufgehört hat, nicht, dass dir noch etwas passiert. Wir können einen Film sehen. Verrätst du mir deinen Namen?“ Langsam konnte ich wieder klare Gedanken fassen, auch meine Stimme kam langsam zurück. „Ich heiße Zolei. Ähm, ja, dann schauen wir nen Film, vielleicht kommt ja noch jemand.“ Juhu, der erste verständliche Satz mit nur einem Ähm. Er legte seine Hand um meine Schulter und führte mich in eines der Klassenzimmer. Wegen seiner Geste blieb mir schon wieder die Sprache weg, wie sollte ich bloß die Zeit mit ihm alleine überleben?! Wenigstens würde er während des Films nicht mit mir sprechen wollen, hoffentlich. Im hinteren Teil des Raums befand sich ein schwarzes Sofa, was mich ziemlich verwunderte. Es war mir noch nie vorher aufgefallen. Vor diesem war bereits ein Beamer, an dem ein Laptop angeschlossen war, aufgestellt worden und warf sein Bild an die weiße Fläche hinter der Tafel. Herr Storm zog die Vorhänge zu, damit die Projektion besser zu sehen war. Ich schmiss mich aufs Sofa, wobei ich gleich noch meine Schuhe abstreifte. Oh, ich hatte den jungen Lehrer ganz vergessen, so sollte man sich in der Öffentlichkeit wohl doch nicht verhalten. Nun war es aber schon zu spät. Jener besagte Lehrer hatte mich wohl die ganze Zeit beobachtet, denn er grinste mich an. Die Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Er hingegen setzte sich neben mich und zog ebenfalls seine roten – hatte ich gerade erst gemerkt – Sneaker aus. Doch dann sprang er nochmals auf und zog zwei Stühle zu uns heran. „Es ist einfach viel gemütlicher, seine Füße darauf zu legen.“ Das nahm ich als Aufforderung war und tat ihm gleich. Er entsprach wohl dem Bild des „Anti-Lehrers“, er war weder verbittert noch irgendwie streng. Wir saßen sehr nahe nebeneinander, so nahe war ich wohl noch nie bei einem Lehrer. Es gab aber auch keinen einzigen, der so gut aussah. Ich war schon wieder am schmachten, ich starrte ihn sicherlich mehrere Minuten an. Der Film begann mit lauter Musik. Ich kannte den Film definitiv nicht, egal. Ich hatte ja etwas zu betrachten. „Hab ich irgendwas im Gesicht?“, fragte er mich mit seinem charmanten Lächeln. Er hatte mich erwischt, das war mir schon wieder unendlich peinlich. Um nicht zu sagen: das ist heut der Tag der Peinlichkeiten. Ich wendete meinen Blick nach unten und fing wieder an zu stottern: „En..Ent..Entschuldigung..“ Mehr konnte ich einfach nicht sagen. „ Es ist süß, wenn dir etwas peinlich ist.“ Ich konnte nicht glauben, dass er genau diesen Satz gerade gesagt hatte. „Ich bestehe darauf, dass du mich Kyron nennst.“ Definitiv ein sehr ungewöhnlicher Name, deshalb fragte ich: „Woher stammt dieser Name?“ „ Aus einer Sage meines Volkes. Und woher kommt Zolei? Auch eher selten, nicht wahr?“ antwortete er mir. Tatsächlich wusste ich nicht, woher mein Name stammte. Meine leibliche Mutter gab mir diesen Namen, aber sie lebt nicht mehr, schon lange nicht mehr. Meine Stiefmutter nenne ich auch Mama, denn ich lebe schon seit 16 Jahren bei ihr und ich liebe sie. Meine Augen füllten sich mit Tränen, ich sollte nicht daran denken. Herr Storm, ähm Kyron musste es gesehen haben, denn er griff nach meiner Hand. „Du musst es mir nicht erzählen.“ Seine Stimme wirkte sehr beruhigend auf mich. Er zog mich zu sich heran und legte meinen Kopf auf seinen Oberkörper. Langsam strich er mir über meine Haare, die wohl immer noch ein bisschen unordentlich waren. Die Situation wurde immer absurder: ich lag halb weinend in den Armen eines neuen Lehrers, der eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich ausübte, und das Ganze in der Schule. Ich versuchte mich aufzurichten, doch er hielt mich fest und flüsterte: „Bleib da, es ist alles in Ordnung. Ich sollte dir auch etwas erzählen.“ Ich ließ meinen Kopf auf seiner Brust ruhen und lauschte seiner Stimme. Sein Brustkorb hob und senkte sich, ich konnte genau seinen Herzschlag hören. Er kam mir sehr langsam vor, vielleicht war es aber auch nur Einbildung. „Hör zu, ich bin gar kein Lehrer“, er hatte kaum begonnen zu sprechen, da sprang ich auf. Wie kam er dann in die Schule? Wer war er? Ich ging langsam einige Schritte zurück. „Du musst nicht gleich Angst vor mir haben. Ich muss dir etwas sagen, bitte komm wieder her.“ Seine blauen Augen sahen mich so flehend an, ich konnte gar nicht anders. Ich setzte mich so weit weg wie möglich auf das schwarze Sofa und spürte auf einmal das kalte Leder durch meine Jeans, alles kam mir auf einmal unglaubliche kalt vor. „Gib mir deine Hand.“ Voller Vertrauen sah er in meine Richtung. Ich weiß nicht warum ich es tat, aber ich hob meinen Arm und streckte ihn meine Hand entgegen. Wegen meiner Dummheit könnte ich mich fast selber schlagen. Mit seiner Rechten fasste er danach und legte seine linke Hand darüber. Eine angenehme Wärme kroch meinen Arm empor, erfüllte schon nach wenigen Sekunden meinen ganzen Körper. Es fühlte sich so gut an, dass sich alle meine Muskeln entspannen konnten. Mein Blick glitt langsam zu unseren Händen. Sofort wollte ich erschrocken meine Hand zurückziehen, denn blaue leuchtende filigrane Linien überzogen sie. Er hielt sie allerdings so fest, dass ich keine Chance hatte. In meinen Gedanken schrie es: Lass deine Hand, wo sie ist. Aber es schienen nicht meine Gedanken zu sein. Dann prallten Bilder mit voller Wucht gegen mein inneres Auge. Doch ich konnte nichts Konkretes sehen, es war alles viel zu viel. Ich fühlte, wie mein Bewusstsein langsam schwand, ich wollte daran festhalten. Ich kämpfte dagegen an, aber das Feuer, das in mir brannte, war stärker. Ich gab nach.
Es wurde hell, gleisendes Licht brannte in meinen Augen. Hatte ich sie überhaupt offen? Ich glaube nicht. Ich versuchte es, es wurde dunkel. Lediglich zwei hellblaue Augen strahlten mich an, sie hatten die gleiche Farbe, wie das Licht gerade eben. „Zolei, Zolei. Du bist wieder bei mir.“ Sein wunderschönes Lächeln ließ meinen Mund ebenfalls zu einem verziehen. „Ich habe dich solange gesucht. Du musst mit mir mitkommen, dann werde ich dir auch alles erklären.“ „Was hast du mit mir gemacht? Ich will dass du es mir jetzt erklärst! Du Psychopath!“, schrie ich ihn an. Ich wollte sofort aufspringen, wenn er mich nicht festgehalten hätte. „Ich musste doch wissen, ob du die richtige bist. Und du bist es! Ich werde dich nicht mehr gehen lassen.“ Seine Worte wären wohl zu einem anderen Zeitpunkt sehr romantisch gewesen, in diesem Moment jagten sie mir einfach nur Angst ein. Sie schnürte meine Kehle zu, immer weiter. „A..A..Aber…Lass mich in Ruhe!“, ich konnte nur noch schreien. Er griff nach meiner Hand, sofort kamen wieder diese eigentümlichen Ranken zum Vorschein. Auch die Wärme strömte durch meinen ganzen Körper. Mein Herz wollte sich hingeben, doch mein Verstand befahl mir zu rennen. „Hör auf dein Herz. Es gibt Dinge, die kannst du noch nicht verstehen. Du musst mit mir kommen, nur so kann ich dich beschützen.“ „Wovor beschützen?“ Meine Sätze waren nur noch Aneinanderreihungen von Wörtern. „Erzähl!“ Er holte tief Luft und begann mit klarer Stimme zu sprechen: „ Die Welt besteht nicht immer nur aus dem Sichtbaren. Es gibt Dinge, die kann man nicht verstehen, nur fühlen. Ich habe eine Verbindung zwischen uns geschaffen, die niemand mehr zerstören kann, ich werde dich so auch immer finden können. Es ist ein alter Brauch meines Volkes. Jeder Mann sucht sich eine Frau, mit der er die Ewigkeit verbringen wird. Stirbt sie, bleibt er alleine oder stirbt ebenfalls. Und eine Ewigkeit kann verdammt lange sein. Ich suche nun schon seit 100 Jahren nach dir und jetzt habe ich dich gefunden. Aber es gibt Leute, die dir etwas Böses wollen, weil du mächtig bist. Mächtiger als ich es bin. Ich liebe dich. Du darfst mich jetzt nicht mehr verlassen. Mein Auto..Mein Auto. Ich habe es dort geparkt..Komm mit…bitte, komm…bitte.“ Seine letzten Worte wurden immer leiser und flehender. Ich verstand nichts davon, was er sagte. War er aus einer Psychiatrie geflohen? Ich musste kämpfen, nicht gleich laut los zu schreien. Als eine Träne über seine Wange floss, konnte ich nicht anders. Ich trat ganz nahe zu ihm und strich mit meiner freien Hand über sein Gesicht. „Ich versteh das nicht. Welches Volk? Kyron, wer bist du?“, flüsterte ich. „Vertrau mir“, sagte er. Dann zog er mich mit sich, ich konnte (und vielleicht wollte ich) mich nicht wehren. Kyron faszinierte mich so sehr. Er sagte, er würde mich lieben. Er kennt mich doch gar nicht. Er, er, er. Meine Gedanken kreisten, mein Kopf schien zu explodieren. Die Wärme, dessen Ursprung unsere beiden Hände waren, pulsierte durch meine Adern. Ich fühlte mich, als hätte ich Fieber. Kyron öffnete die Tür des Klassenzimmers und schob mich hindurch. Zu keinem Moment ließ er meine Hand los. Nachdem er ebenfalls durch die Türschwelle getreten war, legte er seinen anderen Arm um mich und führte mich zurück in die Aula. Von dort aus wendeten wir uns aber nicht dem Hauptausgang zu, sondern einem der zahlreichen Notausgängen. Ich drückte die Türklinke nach unten, da sagte Kyron: „Ich weiß nicht, was uns da draußen erwartet. Mein Auto steht direkt vor der Tür. Du setzt sich sofort hinein und schließt die Tür. Verstanden?“ Sein Tonfall wirkte auf einmal sehr harsch, so dass ich nur nickte. Als ich die Tür aufzog, schlug uns eine Windböe direkt entgegen. Nur mit Mühe konnte ich durch das Gewirr von Haaren ein schwarzes Auto, nicht aber das Fabrikat, erkennen, das musste es sein. Kyron stoß mich nachvorne und unsere Hände lösten sich. Der Verlust fühlte sich so schmerzhaft an, dass ich stehen bleiben wollte. Doch von hinten schrie er mir zu, ich solle mich sofort ins Auto setzten. Ich verstand seine Panik nicht, es war doch weit und breit nichts zu erkennen und der Sturm würde mir ja wohl nichts tun. Doch ich folgte seinen Anweisungen. Im Innenraum des Autos kam es mir so kalt vor, dass ich mir zum zweiten Mal wünschte, eine Jacke angezogen zu haben. Kaum eine Minute später saß Kyron neben mir und startete den Motor. Er sprach nichts. Seine Gesichtszüge wirkten so angespannt, dass ich mich nicht traute, etwas zu sagen. Mit 100 km/h raste er durch den verkehrsberuhigten Bereich, es machte mir wirklich Angst. Er machte mir wirklich Angst. Ich bohrte meine Fingernägel in die schwarzen Ledersitze. Dann verließen wir die Stadt, was jedoch nur dazu führte, dass Kyron noch schneller fuhr. Schon nach wenigen Minuten hatten wir die Auffahrt auf die Autobahn erreicht. Kein einziges Mal bremste er ab, ich hatte solche Angst und noch dazu wurde mir schlecht. Als wir auf der Autobahn waren, lehnte er sich etwas zurück und lockerte seinen Griff um das Lenkrad. Ich fürchtete mich vor ihm. Kyron war nicht mehr der nette und charmante Lehrer, der er noch in der Schule gewesen war. Er sah wild und unzähmbar aus. „Du hast Angst vor mir“. Er hatte wohl gespürt, was ich fühlte. Ich nickte mit dem Kopf. „Es…es… es tut mir leid. Aber…aber ich …will dich nicht verlieren. Wir müssen zu meinem Volk zurück, nur dort sind wir sicher.“ „Warum erklärst du mir nicht endlich, was los ist? Wohin fahren wir überhaupt?“ Ich wollte das endlich verstehen, ich wollte Kyron verstehen können. „Okay, wir werde noch viele Stunden fahren. Den Ort, an den wir fahren, nennen wir Leila – die Nacht. Er liegt in Scha`im, wahrscheinlich hast du noch nicht davon gehört. Aber nun zu dem, was du wirklich wissen willst, aber es ist wirklich eine lange Geschichte…“ Das alles hörte sich wirklich sehr verrückt an und ich hoffte in dem Moment einfach nur, dass Kyron kein Verrückter war, der mich gerade entführte. Wie so war ich nur so naiv gewesen und in das Auto gestiegen? Ich hätte einfach rennen sollen.
2
Kyron
Die Worte kamen nur sehr schwer über meine Lippen, aber ich musste weiter erzählen, hoffentlich würde sie mir glauben: „ Mein Volk kennen die meisten normalen Menschen nicht, denn wir leben im Verborgenen und zeigen uns nicht so oft. Es gibt nur einen Grund: wenn wir eine starke Verbindung zu einem Menschen spüren und sie zu uns holen wollen, so wie ich es gerade bei dir mache. Aber wieder zurück zu meinem Volk: ich hoffe, du erschrickst nicht. Wir sind…wir sind…“ Ich musste noch einmal tief Luft holen, hoffentlich verstand Zolei es, hoffentlich. „Wir sind Vampire.“ Jetzt hatte ich es gesagt, doch sie wirkte gefasst. Sie blickte mir tief in die Augen und nickte. Sie hatte es sicherlich noch nicht richtig begriffen, sonst würde sie hysterisch schreien, wie alle es taten. „In Leila haben wir unsere eigene Burg, fernab von jeder Zivilisation. Nun ja, ich bin der Sohn des Königs, er heißt bei uns aber nicht König. Ist ja auch egal, auf jeden Fall ist mein Vater schon 2000 Jahre alt, ein stolzes Alter und deshalb führt er unser Volk an. Er wird bald dein Schwiegervater sein, ich hoffe du magst ihn.“ Ich kam vom eigentlichen Thema ab, ich sollte ihr erzählen, wie unser Volk erst entstanden ist. „Entschuldige, ich bin vom Thema abgekommen. Mein Vater ist zugleich der Urvater aller Vampire. Er kann sich allerdings nicht mehr erinnern, wie es dazu kam, dass er zum Vampir geworden ist. Als er die Veränderung in sich wahrnahm, suchte er sich eine Frau, meine Mutter Lorae. Die normalen Menschen duldeten sie nicht unter sich, denn wie du sicherlich weißt, brauchen wir Blut. Keine Sorge, wir töten die Menschen nicht. Zusammen zogen sie sich in ein bis dahin unbekanntes Gebirge zurück und bauten in mehreren Jahrzehnten die Burg, sie steht bis heute genau an dieser Stelle. Meine Eltern bekamen zwei Kinder: mich und meinen jüngeren Bruder Pal. Außerdem schenkten sie etwa 1000 anderen Menschen ein neues Leben, ein Leben als Vampir. Wir sterben nicht, durch gar nichts. Als Vampir musst du dich dazu entscheiden, nicht mehr leben zu wollen, das ist der einzige Weg. Ich suche seit 100 Jahren nach meiner Braut, mein Vater hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Er wird sich freuen, die kennen zu lernen.“ Ich riskierte wieder einen Blick zu ihr, sie wirkte immer noch gefasst. Als ich nach ihrer Hand greifen wollte, zog sie sie allerdings weg. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als weiter zu reden: „ Jeder Vampir kann sich eine Frau erwählen und diese selbst zum Vampir machen, du hast ja gesehen wie es funktioniert. Bei uns ist das Band allerdings noch stärker, weil ich ein leiblicher Sohn des Königs bin. Wenn du merkst, dass du durstig wirst, dann sag es mir.“
Ihr Gesicht war beinahe unnatürlich bleich geworden, Leila brauchte wohl doch länger, um diesen Zündsatz zu verkraften. Ich starrte durch die Windschutzscheibe, Nebel zog auf und hüllte die Autobahn ein. Das Grau schien die Straße zu verschlingen, was mich in Besorgnis versetzte. Ich drückte noch mehr auf das Gaspedal, um der ganzen Situation zu entkommen, natürlich konnte das nicht funktionieren. Mir wurde sehr warm, was im Allgemeinen für Vampire eher kontraproduktiv ist, deshalb drehte ich den Regler der Klimaanlage noch weiter runter.
Zolei
Was sollte ich nur tun? Ich saß hier in einem Auto mit einem Mann, der behauptete Vampir zu sein, wer würde so eine verrückte Geschichte glauben? Antwort: Niemand! Das einzige Problem war, dass man aus einem Auto, welches 200 km/h fuhr, definitiv nicht flüchten konnte. Ich musste mir irgendeinen Plan zurecht legen, um zu entkommen, wer weiß, was er mit mir vor hatte. Die einzige Frage, die blieb war, weshalb diese komischen blauen Linien an meiner Hand leuchteten. Wie hatte er das hinbekommen? Es musste irgendeinen Trick geben. Er hatte die Klimaanlage auf 16 Grad gedreht, wunderbar, wie hielt er das aus, ohne zu frieren. Meine Zehen wurden immer kälter. Es war so unangenehm, wie die eisige Luft direkt an meine Beine geblasen wurde. Er merkte es nicht einmal! Kyron blickte starr durch die Windschutzscheibe. Wieder mal bestätigte sich, dass ich heut Morgen einfach nicht mein kuschelig warmes Bett hätte verlassen sollen. Ich zog meine Beine an meinen Körper, sodass ich meine Füße auf den Sitz stellte. „Oh, dir ist kalt“, wahnsinnig, er hatte es bemerkt. Ich nickte mit dem Kopf, ich würde vorerst nichts mehr sagen. Wieso fühlte ich mich so zu ihm hingezogen, obwohl er mich gerade entführte? Seine Augen waren so anziehend, blickte man in sie, glaubte man darin zu versinken. Sie waren wie der hellblaue Himmel, aber sie konnten auch wie eisiges Wasser aussehen, das zweite jagte mir einen Schauer über den Rücken. Seine kurzen schwarzen Haare gefielen mir ebenfalls besonders gut, seine ganze Statur war atemberaubend. Jeder Muskel war durchtrainiert. Stopp! Ich durfte ihn nicht so anschmachten, er entführte mich gerade. Auch wenn ich mir so jemanden immer anders vorgestellt hatte, durfte ich mich nicht täuschen lassen. Gedankenverloren biss ich mir auf meine Lippen, fast hätte ich laut aufgeschrien. „Du glaubst mir nicht, das kann ich verstehen“. Kyrons Stimme hörte sich verletzlich an, es kränkte ihn, dass ich ihm nicht glaubte. Ich überlegte, dann antwortete ich: „Du musst mich auch verstehen. Du entführst mich gerade und erzählst mir solche Sachen, die total absurd sind. Wie soll ich dir da denn glauben? Du hast mich gleich von Anfang an belogen. Bitte bring mich einfach zurück.“ Beim letzten Satz sammelte sich Wasser in meinen Augen. Ich wollte jetzt nicht weinen, aber ich konnte einfach nicht anders. Die ganze Situation schien so aussichtslos. „Das…Das geht nicht. Sie werden dich nicht leben lassen, außerdem gehörst du jetzt zu uns. Du bist ein Vampir, du musst bei mir bleiben, sonst überlebst du das nicht!“ Seine Stimme klang jetzt wieder fest. Ich sollte ein Vampir sein? Klar, und morgen ist Weihnachten. Kyron hatte wohl wirklich eine lebhafte Fantasie, was die ganze Lage nur noch verschlimmerte. Er sagte vorhin, dass Vampire nie sterben würden. Ich zog eine kleine Nagelschere aus meiner Hosentasche, ich hatte sie immer bei mir, man weiß ja nie, und zog sie über meine Handinnenfläche. Sie brach ab. Komisch, so alt war die Schere noch gar nicht gewesen. Meine Tasche, welche ich mir kurz vor der Flucht aus der Schule noch umgehängt hatte, lag zu meinen Füßen. Ich zog sie auf meinen Schoß und holte meine Papierschere heraus. Ich positionierte die Handtasche so, dass Kyron meine Hand nicht sehen konnte und versuchte ebenfalls mit der Schere in meine Handfläche zu schneiden. Wieder brach sie ab. Ich verstand gar nichts mehr. Wieso brachen sie alle ab? „Du wirst dich mit nichts schneiden können. Das einzige, was deine Haut durchdringen kann, sind meine Zähne“. Die Stimme erregte Entsetzen in mir. Sagte er wohl wirklich die Wahrheit? Nein, nein, das konnte nicht sein. Bestimmt war das alles nur ein blöder Zufall. Ich hatte die Schere ja schon seit meiner Grundschulzeit. Ich musste jetzt einfach wissen, was los war. Okay, welche Geschichten gab es über Vampire? Sie haben Reißzähne, also musste ich auch welche haben. Mit meiner Zunge strich ich über meine obere Zahnreihe, waren meine Eckzähne größer geworden? Ich wusste es nicht. Was wusste ich noch? Nichts mehr. „Bald wird dir die Kälte gefallen, denn sie ist für uns wohltuend. Die Sonne wird dich nicht stören, sie ist nur einfach nicht so angenehm. Ach und deine Reißzähne kommen erst zum Vorschein, wenn du das erste Mal Blut getrunken hast“. Wieder lauter Antworten, die ich nicht hören wollte. ICH BIN KEIN VAMPIR. Es konnte einfach nicht sein. Niemals. Mein Magen zog sich zusammen und knurrte laut. Oh, ich hatte schon seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen, es war schon 15 Uhr, um 6.30 Uhr hatte ich gefrühstückt. Ich wühlte in meiner Tasche und zog meine rosa Brotzeitbox heraus. Darin befand sich ein Wurstbrot, welches aber irgendwie überhaupt nicht appetitlich aussah. Egal, ich hatte Hunger, also biss ich hinein. Ich kaute, aber es schmeckte so ekelerregend. Ich zwang mich, das kleine Stück hinunter zu schlucken. „Es schmeckt dir nicht? Das ist ein Zeichen dafür, dass du dich verwandelst. Mach das Handschuhfach auf“. Ich legte die Box wieder in meine Tasche und tat, was er mir gesagt hatte. Wie gelähmt starrte ich in das Fach. Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade sah. Mehrere Blutkonserven lagen da. „Trink davon“, hörte ich weit entfernt. Ich streckte meine Hand danach und konnte das kühle Plastik der Verpackung spüren. Es fühlte sich so gut, so richtig an. Wie konnte das sein? Es war Blut! Es war doch ekelhaft, Blut! Blut…Blut, irgendwie gut…ich wollte es sofort haben. Ich packte zu und zog es langsam zu mir heran. Wie würde es schmecken? Ich war wie hypnotisiert. Am oberen Ende der Konserve befand sich ein Drehverschluss. Ich fuhr mit meinem Finger darüber, dann drehte ich langsam. Etwas Betörendes stieg mir in die Nase, es roch so gut. Ich hob die Blutkonserve zu meinem Mund und nahm einen Schluck. Es brannte in meinem Mund und zog sich meine ganze Kehle herab. Es tat weh, aber es war faszinierend. Der Schmerz riss mich aus meiner Hypnose. Sofort drehte ich den Verschluss zu, legte die Packung zurück und schloss das Handschuhfach. Ich konnte nicht glauben, was ich gerade eben getan hatte. Ich hatte Blut getrunken und es hatte gut geschmeckt. Ich zog meine Beine wieder an und vergrub meinen Kopf darin. Meine Haare fielen über meine Knie. Die Tränen liefen mir jetzt ohne Hemmungen über meine Wangen. Das alles hier war ein Albtraum, der nicht enden wollte. Langsam glaube ich wirklich daran, mich in einen Vampir zu verwandeln. Nein das konnte einfach nicht sein, das war nur Blödsinn, reine Hirngespinste. So etwas gab es doch gar nicht. Ich weinte. Einfach weiter, immer weiter. Irgendwann muss Kyron auf einen kleinen Parkplatz gefahren sein, denn er strich mir die Haare zurück, was er hoffentlich nicht getan hätte, wenn er gefahren wäre. „Ich weiß, dass es schwierig für dich ist, aber ich bin doch bei dir. Du musst keine Angst haben, nicht vor mir und auch nicht vor dir selbst. Deine Faszination für Blut ist ganz normal, das hat jeder. Hör zu: Ich liebe dich, ich bin für dich da. Bitte vertrau mir!“ Seine Worte klangen so sanft, dass meine Tränen tatsächlich weniger wurden. Mit einer Gewissheit, von der ich nicht wusste, woher sie kam, traf mich die Wahrheit, die ich die ganze Zeit verdrängen wollte. Alles, was er gesagt hatte war wahr, es gab keinen Rückweg mehr. „Aber, aber…ich versteh das einfach alles nicht…und was ist mit meiner Mutter? Sie wird mich schrecklich vermissen. Das, das muss doch alles ein Traum sein“, stammelte ich. „ Glaub mir, wir haben dafür gesorgt, dass alles in Ordnung ist. Du brauchst dir keine Sorgen um dein altes Leben machen.“ Er reichte mir ein Taschentuch, mit dem ich alle meine Tränen trocknen konnte. Ich musste jetzt einfach stark sein. Ich atmete tief durch. „Okay, dann lass uns weiter fahren.“ „Stopp, erst will ich einen Kuss.“ Als er das zu mir sagte, blickte ich ihn wohl sehr verstört an. Er konnte das doch jetzt gerade nicht wirklich gesagt haben. Sein Gespür für Romantik war definitiv nicht das Beste. „Träum weiter, ich kenn dich nicht mal wirklich“, antwortete ich. „Nagut, dann eben wann anders!“, schelmisch grinste er mich dabei an. Er hatte es tatsächlich geschafft, mich zum Lachen zu bringen. Er schnallte sich wieder an und startete den Wagen. Wiedermal raste er mit überhöhter Geschwindigkeit los, wechselte von der Beschleunigungspur auf die normale Fahrbahn der Autobahn. Auf einem der Schilder konnte ich lesen, dass es nicht mehr lange bis Hamburg war. Ich schätzte, dass wir dorthin fahren würden, denn er hatte vorhin etwas von einem Schiff erwähnt. Wir kamen an einen Hafen und Kyron beförderte den Wagen in eine Parklücke ohne dabei zu bremsen, so kam es zumindest mir vor. „Steig aus“, sagte er zu mir, er wirkte irgendwie auf einmal sehr unfreundlich. Seine Worte duldeten keinen Widerspruch, dessen war ich mir bewusst, also tat ich, was er mir gesagt hatte. Aus Wut knallte ich dir Tür richtig zu, worauf Kyron mir einen deutlich wütenden Blick zu warf. Männer und Autos…Er eilte auf meine Seite und legte seine Hand um meine Hüfte, denn so konnte er mich leichter mit sich ziehen. Seine Berührung führte dazu, dass sich die Härchen in meinem Nacken aufstellten.
Wir liefen direkt auf ein riesiges Schiff zu, welches sehr modern wirkte (soweit ich das beurteilen kann, ich kenne mich damit definitiv nicht aus). Über einen schmalen Steg konnte es erreicht werden. Automatisch öffnete sich eine große Tür und schwang nach innen auf. Plötzlich fühlte ich mich in ein früheres Jahrhundert zurück versetzt. Im Empfangsbereich – nannte man das bei Schiffen auch so? – eilte eine Frau, wohl Mitte 20 in einem edel wirkenden Kostüm, auf uns zu und begrüßte uns überschwänglich, wobei eher Kyron als mich. Ihr betörendes Parfüm stieg mir in die Nase und war der Grund dafür, dass es mir schwindlig wurde. Zum Glück hatte Kyron seinen Arm immer noch um meine Taille gelegt, das hinderte mich daran, um zu fallen. „Schön Sie an Bord begrüßen zu dürfen. Folgen Sie mir bitte zu ihrer Kabine“, säuselte sie in seine Richtung, mich hingegen bedachte sich mit wütenden Blicken. Was hatte ich ihr den getan, blöde Kuh! Kyron wollte wohl nichts von ihr wissen… Ich sah wohl genauso unverhohlen zurück. Unterdessen hatte sie uns zu einem gläsernen Fahrstuhl geführt (wohl die einzige offensichtliche Technik hier). Die Türen glitten auseinander. Zielstrebig stöckelte die Empfangsdame hinein und drückte den goldenen Knopf, auf welchem eine schwarze Drei prangte. Der Fahrstuhl setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, bei dem ich schon wieder fast umkippte. Unter mir wurde die Eingangshalle immer kleiner, das Muster auf dem Teppichboden konnte man von hier – wohl etwa das 2. Stockwerk – nur noch erahnen. Dabei kamen wir den Kronleuchtern mit ihren leuchtenden Kerzen immer näher, das Licht brach sich wunderschön in den Kristallen. Mit einem zweiten Ruck kündigte der Fahrstuhl an, dass wir an unserem Bestimmungsort angekommen waren. Voller Selbstbewusstsein schritt die „Blöde Kuh“ uns voraus zu einer großen Doppeltür. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und stoß die zwei Türen nach innen auf. Ein leises „Wow“ kam mir über die Lippen, als mich der erste Anblick total überwältigte. Der Boden war von einem grünen Teppich mit zartgelben Linien bedeckt. Direkt vor uns befand sich ein riesig großes Himmelbett, das ebenfalls in dem gleichen Farbton wie der Bodenbelag gehalten war. An den Wänden befanden sich rechts und links Einbauschränke und zwei Türen, von welchen ich allerdings nicht wusste, wohin sie führen. Die Front hinter dem Bett war komplett verglast und lies einen atemberaubenden Blick auf das offene Meer zu. Kyron nickte der „Schnepfe“ zu, sodass sei endlich das Zimmer verlies. Ich hörte die Türen ins Schloss fallen und schritt auf die verglaste Wand zu. Es hatte mir tatsächlich vor lauter Schönheit die Sprache verschlagen. Er war hinter mich getreten und legte beide Arme um mich, so konnte ich seine Wärme spüren. Ich fühlte mich richtig geborgen und konnte für diesen Moment die ganze Aufregung des Tages vergessen. Meine Augen füllten sich mit Tränen, weil ich einfach nicht wusste, was in den kommenden Wochen auf mich zu kam, alles war so neu. „Ich werde dich nie wieder los lassen“, flüsterte er mir sanft ins Ohr. Ich lies mich noch weiter in seine Arme fallen, weil ich mir so hoffte, dass er es ernst meinte. Ich drehte mich zu ihm um, blickte in seine unglaublichen Augen. Kyron strich mir mit seinen Fingern über die Wange und lächelte mich an. „Lass uns zum Abendessen gehen. Du siehst aus, als bräuchtest du dringend eine Stärkung“, bei seinem Grinsen konnte ich gar nicht anders als zu nicken. Er griff nach meiner Hand und zog mich noch näher zu sich heran, dann legte er seine Hand um meine Hüfte und wir liefen zu der großen Doppeltür. Auf dem Flur angelangt liefen wir zum Aufzug, der uns in das 2. Stockwerk zum Restaurant bringen sollte.
In einem großen Saal standen etliche Tischgruppen mit Stühlen. Auch hier war alles in dem Stil der anderen Zimmer eingerichtet: ein luxuriös wirkender Teppich war über den ganzen Boden verlegt und die Einrichtung wirkte barock. Als uns die gläsernen Türen zum Salon aufgehalten wurden, verstummten alle Gespräche. Die Schamesröte stieg mir ins Gesicht, Kyron hingegen war die Coolness schlecht hin. Wahrscheinlich hatte er sich schon an solche Auftritte gewöhnt. Ein Mann im Anzug schritt auf uns zu und bat uns, ihm zu folgen. Er führte uns zu einem Tisch am Kopf des Raumes auf einem Podest. Ich fühlte mich wie auf dem Präsentierteller, super! Wenige Minuten nachdem wir uns gesetzt hatten, wurde uns ein Krug mit zwei Gläsern auf den Tisch gestellt. Kyron schenkte erst mir, dann sich ein, während er mich unverschämt angrinste. Eine rote Flüssigkeit ergoss sich in mein Glas, was es war konnte ich mir schon denken. Anscheinend waren alle Passagiere hier Vampire und tranken bzw. aßen dasselbe. Eine gute Frage, heißt das jetzt essen oder trinken? Ich werde mich wohl für trinken entscheiden, das hört sich meiner Meinung nicht so brutal animalisch an. Ich nippte an meinem Glas, was sofort dazu führte, dass sich ein wunderbar angenehmes Gefühl in mir ausbreitete. Meine schweren Glieder erschienen auf einmal so leicht zu sein und trieben mir ein leichtes Lächeln ins Gesicht. Kyron sagte: „ Du wirst dich schon noch daran gewöhnen. Auch daran, dass die Leute dich alle anstarren. Immerhin bist du bald so etwas wie eine Prinzessin. Wenn du möchtest, kannst du auch auf unser Zimmer gehen, ich muss allerdings noch ein paar wichtige Vampire begrüßen.“ Obwohl wir gerade erst angekommen waren – ich hatte gerade mal ein Glas voller Blut getrunken- war ich froh darum, mich in das Zimmer zurückziehen zu können. Ich nickte ihm zu und stand auf. Jetzt stand mir nur noch der Spießrutenlauf durch den ganzen Saal bevor, hoffentlich falle ich nicht hin. Zum Glück verlies ich das Restaurant ohne peinlichen Zwischenfall, lief dann geradewegs zum Aufzug und befand mich auch schon vor unserem Zimmer. Kyron hatte mir vorhin noch den Schlüssel für das Zimmer gegeben, mit welchem ich jetzt die schweren Türen öffnete. Als ich in das Zimmer eintrat sah ich, dass eine Frau in Dessous auf unserem Bett lag. Es war ja nicht schwer zu erraten, dass es die Tussi vom Empfang war. Ich knallte die Türen hinter mir zu und sagte so beherrscht wie ich es in diesem Moment noch konnte: „Sie verschwinden jetzt sofort aus unserem Zimmer. Und falls es Sie interessiert, Kyron interessiert sich nicht im Geringsten für sie.“ Entsetzt raffte sie ihre Kleider vom Körper zusammen, sie hatte wohl nicht mit mir gerechnet. Ihre Blicke sprachen Bände, am liebsten hätte sie mich sofort in der Luft zerrissen. „Es wird dir noch leidtun, dass du so mit mir gesprochen hast. Kyron wird merken, dass ich die richtige für ihn bin“, zischte sie in meine Richtung. Schritt für Schritt kam sie auf mich zu, es wirkte auf mich sehr bedrohlich. Plötzlich wurden die Türen aufgeschmissen und Kyron stand wutentbrannt im Rahmen. „Monica, du verlässt jetzt sofort dieses Zimmer. Ich will dich nie wieder hier sehen, sei froh, dass du deinen Job behalten kannst. Wenn du ihr irgendetwas antust, wirst du das nicht überleben.“ Er war so zornig, dass selbst ich Angst vor ihm bekam. Monica lies von mir ab, zum Glück. Mit gesenktem Kopf rannte sie an Kyron vorbei aus dem Zimmer, was mich wunderte, da sie kaum Klamotten am Leib hatte. Sofort schloss Kyron die Türen. Sicherheitshalber schloss er von Innen ab, lies sogar den Schlüssel stecken. Dann lief er sofort auf mich zu und nahm mich in den Arm. „Ich hätte dich nicht alleine lassen dürfen, es ist so gefährlich hier für dich. Bitte verzeih mir, bitte“, flehte er mich an. „Nein, ist schon okay, du konntest das ja nicht wissen“, mehr fiel mir in diesem Moment nicht ein. Er drückte mich noch fester an sich. Kyron legte seine Hand unter mein Kinn, sodass ich ihm direkt in die Augen sehen musste. Ich hatte mich schon wieder in seinen Augen verloren, als er sie schloss, war es wie ein Verlust für mich. Doch dann legte er seine Lippen auf meine, was mich in eine völlig andere Welt katapultierte. Alles um mich herum löste sich auf, es gab nur noch ihn und mich, ihn und mich…Als er seine Lippen wieder von meinen löste, grinste er mich wieder schelmisch an. „Lass uns jetzt schlafen gehen“. Nur wiederwillig löste ich mich von ihm und lief in Richtung Bett. „Oh, da fällt mir ein, ich habe ja nicht einmal einen Schlafanzug oder ähnliches dabei“, viel mir siedend heiß ein. „Du kannst doch auch einfach in Unterwäsche schlafen, oder stört dich das etwa?“, fragte er mich total unschuldig, wobei ihn seine Augen verrieten. Da ich ja keine weiteren Klamotten dabei hatte, blieb mir wohl nichts anderes übrig. Mit einem Seufzen zog ich mir das T-Shirt über den Kopf. Danach zog ich meine Jeans aus und hüpfte so schnell wie möglich ins Bett. Ich zog mir die Decke bis zum Kinn hoch. Kyron hingegen legte gerade eben ehr einen Striptease hin. Sein T-Shirt landete auf dem Boden, sein Sixpack sah schon sehr verlockend aus. Mit seinem üblichen Grinsen ließ er mich nicht aus den Augen. Dann öffnete er den Reißverschluss seiner Jeans, lies sie langsam nach unten gleiten. Jetzt stand er nur noch in Boxershorts vor mir, wow, das war ein Anblick. Mit einem enthusiastischen Sprung landete er direkt neben mir im Bett, während ich bereits die Decke wieder etwas tiefer geschoben hatte, weil es einfach viel zu warm war. Kyron kroch zu mir her und zog mich zu sich heran. Das Ganze war mir sehr unangenehm, schließlich kannte ich ihn erst seit einigen Stunden – auch wenn ich nicht leugnen wollte, dass sich bereits etwas wie Gefühle entwickelt hatten - .
Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, war es pechschwarz im Zimmer, obwohl doch eigentlich der Mond durch die Fenster hätte scheinen müssen. Ich richtete mich auf und tastete nach der kleinen vergoldeten Lampe auf dem Nachttischkästchen. Allerdings war ich so orientierungslos, das ich gar nichts fand. Auf einmal spürte ich eine kalte Hand auf meinem Oberschenkel, die dazu führte, dass ich eine Gänsehaut bekam. „Hey, es ist alles gut. Leg dich wieder hin, ich pass auf dich auf“, flüsterte mir Kyron zu. Weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen, tat ich das Geheißene. Er zog mich näher zu sich heran, sodass ich seinen Körper, der genauso kalt war wie seine Hand, spüren konnte. Sein Atem ging sehr langsam, sein Herz schlug ebenso. Zärtlich legte er seinen Arm um mich, was mich indes frösteln ließ. „Dir ist kalt…und ich bin schuld. Naja, du weißt ja sicherlich, dass das bei Vampiren ganz normal ist und irgendwann wird es auch bei dir so sein. Aber es wird wohl noch ein paar Jahre dauern..hmm..es gäbe da noch eine andere Möglichkeit…“, er brach ab. Seine ganzen Worte hatten so zerbrechlich gewirkt, sehr zaghaft, aber jetzt wollte ich wissen, was er mit der anderen Möglichkeit gemeint hatte: „Welche andere Möglichkeit gibt es denn noch? Wirklich, du kannst es mir erzählen.“ Kyron zögerte noch einige Minuten, in denen ich es nicht wagte, etwas zu sagen, doch dann begann er: „Wir haben ja bereits eine Verbindung durch unsere Hände, welche ich aktivieren kann, dadurch kann ich deine Gedanken nun ja nicht lesen, aber besser raten. Allerdings gibt es eben noch eine zweite Verbindung, die ein Vampir und ein Zukünftiger miteinander schließen können: Wenn du mich dein Blut trinken lassen würdest, dann…dann hätten wir eine ganz andere Ebene erreicht. Und ich würde dir nicht mehr so kalt vorkommen.“ Das war wieder einmal eine Sache, die mich total verwirrte. Auf der anderen Seite dachte ich mir, dass ich nichts (mehr) zu verlieren hatte, also was sollte schon geschehen? Unweigerlich nickte ich, auch wenn er das wegen der allumfassenden Dunkelheit nicht sehen konnte. Er hatte wohl eine Ahnung, denn er legte seine Hand an meinen Hals und näherte sich mit seinem Gesicht, ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren.
„Entspann dich“
„Das sagst du so einfach“, quietschte ich. Aber ich versuchte es. Keine Sekunde später spürte ich ein Brennen, aber es tat nicht weh, es erfüllte mich ganz mit einer unglaublichen Wärme. Alles um mich herum schien auf einmal hell erleuchtet zu sein, ich konnte jedes Detail genau sehen: den grünen Boden, das Himmelbett, die Fensterfront. Dann wurde es wieder dunkler, wobei ich immer noch besser sehen konnte als vorher. Wortlos legte er sich wieder neben mich und sein Körper fühlte sich jetzt warm an, wunderbar warm. Ich schmiegte mich noch enger an ihn, denn ich wollte noch mehr von dieser Geborgenheit, die er für mich ausstrahlte. Kyron wusste wohl was ich dachte und lies seine Hand über meinen Bauch kreisen. Danach schlief ich wohl ein.
Warme Sonnenstrahlen berührten mein Gesicht, was mich meine Augen mit einem Hochgefühl aufschlagen ließ. Der Sonnenaufgang war atemberaubend. Obwohl es gerade einmal etwa 6 Uhr sein dürfte, fühlte ich mich topfit. Mit einem großen Satz hüpfte ich aus dem Bett, zog mir schnell Kyrons T-Shirt an, welches mir gerade so über meinen Allerwertesten reichte, und stellte mich vor das mittlere Fenster. Es würde heut ein herrlicher Tag werden, da war ich mir sicher. Plötzlich wurde ich von hinten zu jemandem – es konnte ja nur Kyron sein – herangezogen, während er mir gleichzeitig eine Tasse mit etwas Warmen in die Hand drückte. War das warmes Blut?! Allein beim Gedanken daran musste ich schon in Richtung Badezimmer sehen. „Keine Sorge, das ist tatsächlich ganz normaler Tee. Dadurch, dass du noch kein richtiger Vampir bist, verträgst du auch so etwas noch. Du bekommst nur kein Sättigungsgefühl“, sagte er, wobei er sich ein Lachen kaum verkneifen konnte. Unsanft schubste ich ihn beiseite und stemmte meine freie Hand in die Hüfte: „Du findest das also lustig? Hast du ein Glück, dass ich gerade einen verdammt heißen Tee halten muss, sonst könntest du was erleben.“ Jetzt brach Kyron in ein lautes Lachen aus, sodass er sich sogar die eine Hand auf den Bauch legte. Schneller als ich es für möglich gehalten hatte, stand er direkt vor mir, was mich erschrecken ließ. Im letzten Moment griff er nach der vollen Teetasse, um sie auf den Beistelltisch neben dem Bett zu stellen. Dann küsste er mich so leidenschaftlich, dass wieder einmal die ganze Umgebung verschwamm. „Ich liebe dich so sehr. Alles an dir!“, sagte er liebevoll, nachdem er sich von mir gelöst hatte. Mit einem Klaps auf den Po fügte er seinen Ausführungen noch hinzu: „Und jetzt solltest du dir was anständiges anziehen, denn dann zeige ich dir mal das Schiff. Hier gibt es auch eine Einkaufspassage, da können wir dir dann alles Nötige kaufen, damit du nicht mehr halbnackt im Bett mit fremden Männern schlafen musst.“ Immer noch mit seinem T-Shirt bekleidet verschwand ich ins Bad und putzte mir mit der noch frisch verpackten Zahnbürste die Zähne. Als ich wieder in das Hauptzimmer kam, war Kyron bereits fertig angezogen. Ich muss sagen, er gefiel mir so außerordentlich gut: er hatte eine grau-melierte Leinen-Hose und ein schwarzes Hemd an, welches wunderbar mit seinen schwarzen Haaren harmonierte. Sein Blick sagte mir, dass ich mal einen Zahn zulegen sollte. Keine fünf Minuten war ich nun auch endlich fertig und hakte mich bei ihm ein. In der 4. Etage gab es tatsächlich allerhand Geschäfte, die alles anboten, was man so brauchen konnte. Kaum zu glauben, dass ich mich gerade tatsächlich auf einem Schiff befand. Gleich rechts neben dem Aufzug befand sich eine kleine Boutique, die von außen sehr interessante Kleidungsstücke anbot. Kyron hinter mir her ziehend, schritt ich auf den Laden zu. Die Tür öffnete sich automatisch. Im Inneren befanden sich mehrere Tische und Regale, auf welchen sorgfältig gefaltete Shirts lagen. An den Wänden baumelten unzählige andere Klamotten, die hauptsächlich in den Farben rot, schwarz und grün gehalten waren. Mit einem Aufschrei purer Freude stürzte ich mich auf die angebotene Ware. Nach einer Stunde in ein und demselben Laden, hatte Kyron keine Nerven mehr dazu, noch weiter zu bleiben. Er wies die nette Verkäuferin an, alles, was mir bis jetzt gefallen hatte, einzupacken. Freudestrahlend schritt ich aus dem Laden, er folgte mir nur vollbepackt. Im Zimmer sagte er zu mir: „Jetzt bin ich mir sicher, dass du eine Frau bist. Das war ja grausam! Aber so wie du über beide Ohren strahlst, bist du richtig glücklich. Frauen! Keiner kann sie verstehen…“ „Du hast es ja überlebt, außerdem willst du doch auch, dass ich glücklich bin? Und als Frau muss man halt auch einfach auf sein Äußeres achten“, konterte ich. „ Du hast natürlich Recht. In ein paar Stunden werden wir unseren Zielhafen erreichen, dort wartet dann schon ein Auto auf uns. Wobei, wenn ich mir deine Beute ansehe, hätte ich wohl eher einen Bus bestellen sollen“, lenkte er ein. Plötzlich stockte mir der Atem. Kyron stand mit dem Rücken zum Fenster, ich hingegen konnte umso besser sehen, was sich gerade draußen abspielte. Als er meinen verängstigten Blick erkannte, drehte er sich direkt um. „Scheiße“, hörte ich ihn wie in Trance sagen. Ohne weitere Worte rannte er zu mir, hob mich hoch und rannte aus dem Zimmer. So angespannt hatte ich ihn nur bei unserer „Flucht“ aus der Schule gesehen. Vom Geländer des 3. Stocks sprang er in die Eingangshalle ohne dabei auch nur nachzudenken. Ich hingegen schrie aus Angst vor dem Aufprall. Kyron landete wie eine Feder auf dem Boden und rannte sofort weiter. Ich wusste nicht genau, wohin er lief, jedoch eilten noch weitere Männer in die gleiche Richtung. Im Rumpf des Schiffes angelangt, setzte er mich ab und sammelte alle Anwesenden um sich. „Hp`zeta hat uns gefunden. Ihr wisst genauso wie ich, was sie wollen, aber wir werden es ihnen nicht geben. Zolei wird bei mir bleiben, ich werde sie beschützen. Ihr zieht sofort eure Rüstung an und dann kämpft!“, schrie er mit seiner gewaltigen Stimme, die keinen Widerspruch duldete, über die Menge hinweg. Sofort zogen die Angesprochenen Truhen zu sich heran, die hier unten gelagert waren. Durch ihren Handabdruck öffneten sich diese und gaben alt wirkende Rüstungen zum Vorschein. Sie wirkten wie ein weiteres Relikt aus vergangenen Zeiten.
3
Zolei
Im Moment verstand ich gar nichts mehr. Ich saß hier unten im Maschinenraum des Traumschiffes zusammen mit Kyron, während sich irgendwelche andere Passagiere mittelalterliche Rüstungen anzogen. Kaum war der erste dieser Ritter fertig, zog er noch ein riesiges, sicherlich auch schweres, Schwert aus der Truhe und rannte dann in die Richtung, aus der wir gekommen waren. In weniger als 10 Minuten war es hier unten wieder menschenleer – bis auf Kyron und mich. „Was soll das hier? Ich verstehe gar nichts mehr!“, fragte ich ihn beinahe hysterisch. „ Ich hatte dir doch erzählt, dass jemand hinter dir her ist. Ich dachte allerdings, wir hätten sie schon auf der Autobahn abgehängt, aber sie haben uns wieder aufgespürt. Aber du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Ich wusste ja schon, dass sie dich suchen würden, also habe ich die 100 besten Krieger meines Volkes mit auf das Schiff genommen. Sie haben keine Chance“, antwortete er mir ruhig. „Wie kannst du dir da so sicher sein? Und wer sind SIE denn überhaupt? Muss ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen?!“, ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Kyron legte seine Hand auf meine Schulter und sagte zu mir: „ Die Hp`zeta sind ein Volk, das etwa 200 km von uns entfernt ihr Territorium hat. Besonders gefährlich ist, dass sie so etwas wie ein Ableger unseres Stammes sind, allerdings ist das Blut schon sehr weit verdünnt. Trotzdem sind sie noch so schnell wie wir. Wenn sie dich in ihre Hände bekommen würden, dann wäre das der Untergang der Vampire…Das darf einfach nicht passieren.“ Während er sehr gelassen angefangen hatte zu sprechen, zeichneten sich jetzt seine Knöchel weiß ab, da er seine Finger in meine Schulter gebohrt hatte. „Aua, du tust mir weh! Ich glaube dir ja, ist okay“, jetzt war ich es, die auf ihn beruhigend einwirkte. Langsam lockerte er seinen Griff, sodass der Schmerz nachließ. Zärtlich strich er mir eine Strähne meines Haares hinter mein Ohr. „Du musst mich verstehen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas angetan würde. Ich liebe dich viel zu sehr…“, flüsterte er mir zu. In diesem Moment kamen in mir wieder die Gedanken des Zweifels auf. Wie konnte es sein, dass jemand behauptete mich zu lieben, obwohl wir uns noch nicht einmal eine Woche kannten. Sollte man so etwas nicht eher nach frühestens einem Jahr sagen? Andererseits hatte auch ich ein Gefühl, das ich noch nie vorher hatte. Wenn ich in seine Augen sah, glaubte ich, in unendlich kaltes blaues Wasser zu fallen. Wenn er mich in seine Arme nahm, fühlte ich mich so geborgen. Konnte man das Liebe nennen? Ich kann es nicht genau sagen, denn ich hatte bis jetzt noch keinen festen Freund, von dem ich sagen würde, dass ich ihn geliebt hätte. Plötzlich kam einer der Vampir-Ritter in den Maschinenraum gerannt. „Sie können wieder nach oben kommen, wir haben sie besiegt“, brachte er hervor, danach schnappte der Krieger heftig nach Luft. Kyron schloss mich in seine Arme und drückte fest zu. Danach fasste er mich an der Hand und führte mich wieder in den oberen Teil des Schiffes.
Nach einer Woche ereignisloser Fahrt – ausgenommen waren nur ein paar Stürme und weitere Shoppingtouren -, erreichten wir einen Hafen, von dem ich allerdings nicht wusste, wo er auf einer Karte zu finden wäre. Nachdem ich wieder festen Untergrund unter mir hatte, sah ich Kyron, der mit unzähligen Taschen zu mir herüber balancierte. Es hatte wirklich viele wunderschöne Klamotten und andere Dinge in der Einkaufsstraße des Schiffs gegeben. Kyrons Aktion sah wirklich gefährlich aus, ich bekam tatsächlich Angst um meine Schätze! Bei mir angelangt legte er erst einmal alles vor mir ab. Schwitzend sagte er zu mir: „Huch…das ist alles ganz schön schwer! Siehst du den Parkplatz da drüben? Da wartet ein Auto auf uns, ich hab den Schlüssel bereits bei mir, ich hab nur ein paar Bedenken, ob alles darein passt.“ Schuldig grinste ich ihn an und schlenderte schnell zu dem kleinen silbernen Sportwagen, der mir sehr gut gefiel. Kyron hatte den Schlüssel aus der Hosentasche gezogen. Nachdem wir beschlossen hatten, gut die Hälfte des Eingekauften später abholen zu lassen, machten wir es uns im Inneren bequem. Als Kyron meinen Blick sah, fragte er mich: „Willst du fahren?“ „Darf ich wirklich? Ja! Ich durfte noch nie mit so einem Auto fahren!“, sprudelte es aus mir heraus. Sofort riss ich die Beifahrertür auf und rannte auf die andere Seite des Gefährtes. Als ich Platz genommen hatte, merkte ich, dass das Auto keine Getriebeschaltung hatte, was mir sehr entgegen kam. In meinen Fahrstunden hatte ich es gefühlte hundertmal geschafft, dass ich mitten in der Kreuzung stehen blieb und dann natürlich noch der Scheibenwischer anging. Ich drehte den Schlüssel um und verließ den Parkplatz. Die Beschleunigung war atemberaubend, ich genoss es. Immer wieder gab mir das im Auto integrierte Navi an, in welche Richtung ich fahren musste. „Wir werden verfolgt“, hörte ich auf einmal Kyron sagen. „Wie? Was? Und was soll ich jetzt tun?“, fragte ich ihn panisch. Für eine rasante Flucht konnte ich nun wirklich noch nicht gut genug fahren, ich hatte gerade einmal ein halbes Jahr meinen Führerschein! Angsterfüllt klammerte ich mich am Lenkrad fest und hoffte, dass Kyron eine Lösung parat hätte. „Gib einfach Gas!“, war das Einzige, was er sagte. Na toll, super Plan! Das konnte so gar nicht gut gehen. Da mir aber nichts übrig blieb, tat ich, was er gesagt hatte. Im Rückspiegel konnte ich einen schwarzen Audi erkennen, der uns gefährlich nahe kam. Sofort beschleunigte ich weiter, so dass ich bereits bei 250 km/h auf dem Tacho hatte. Ehrlich gesagt war ich noch nie so schnell gefahren! Das Auto meiner Eltern machte bei 150 km/h schlapp. Ich atmete ganz tief durch und redete mir ein, dass das alles gar kein Problem für mich sei. Doch dann sah ich wieder in den Rückspiegel und die Angst kam erneut in mir auf. Ich raste in einem Höllentempo auf einer breit ausgebauten Straße mit einem ebenso schnell fahrenden Verfolger. Ich hatte mir das Ende meines Lebens wirklich wesentlich friedlicher vorgestellt, das konnte doch nicht alles sein! „Okay, du musst jetzt ganz ruhig bleiben. Ich werde sofort Verstärkung rufen, bis diese kommt, musst du es schaffen. Ich kann versuchen, mithilfe meiner mentalen Kräfte etwas zu bewirken. Allerdings werde ich dann nicht ansprechbar sein, ist das für dich okay?“, sagte er zu mir. Ich bekam nur die Hälfte mit, da ich so angespannt war. Bei dieser Geschwindigkeit durfte man sich schließlich auch keinen Fehler leisten. Ich starte nach vorne und nickte nur. Ich wollte einfach, dass dieser Alptraum endlich ein Ende nahm. Nachdem Kyron eine SMS getippt hatte, umgab ihn ein seltsamer blauer Schimmer, der mich beinahe von der Straße hätte abkommen lassen. Im letzten Moment schaffte ich es, das Auto wieder auf Kurs zu bringen. Dieser kleine Fehler hatte aber den schwarzen Audi hinter uns wieder näher kommen lassen. Wieder drückte ich das Gaspedal bis zum Anschlag durch, was das Auto nach vorne katapultierte. Ich konnte nicht glauben, was ich hier tat! Ich warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und sah, dass die Verfolger auf die Überhohlspur gewechselt hatten und wohl zum Angriff ansetzten. „Kyron, Kyron! Was soll ich tun?“, schrie ich hysterisch. Keine Antwort. Warum antwortete er nicht? Da fiel es mir ein, er hatte etwas erwähnt, dass er nicht mehr ansprechbar sein würde. Verdammt. Warum hatte ich bloß ja gesagt? Angst. Pure Angst erfüllte mich. Mein Magen zog sich zusammen. Gas geben. Der Audi war jetzt fast neben mir. Gas geben. Ich riskierte einen Blick. Ich erkannte einen komplett in schwarz gehüllten Mann, er trug eine Sonnenbrille. Warum fuhr dieses verdammte Auto nicht schneller?! Sollte ich ihn rammen? Nein. Bei 300 km/h war das wohl eher keine gute Idee. Ich sah das so. Mein Verfolger nicht. Als er auf gleicher Höhe war, zog er auf meine Spur. Ruckartig betätigte ich die Bremse, sodass es mich und Kyron mit voller Wucht nach vorne drückte. Zum Glück gingen die Airbags nicht auf, das hätte mir gerade noch gefehlt. Langsam legte sich die Furcht und ich konnte wieder klar denken. Der Ruck hatte mich wieder in die Realität geholt. So schnell wie ich auf die Bremse getreten war, hatte ich jetzt auch wieder meinen Fuß auf dem Gaspedal. Dieses Mal jedoch fuhr ich direkt hinter meine „Feinde“. Mit einem weiteren leichten Druck auf das Gas hatte ich den Audi von hinten gerammt. Dann wechselte ich auf die andere Spur und gab einfach nur noch Gas. Als ich das nächste Mal in den Rückspiegel blickte, war niemand mehr hinter uns. Konnte das sein? Wo war das Auto hingekommen? Doch dann überkam mich wieder die pure Angst, denn der Audi tauchte plötzlich vor uns auf. Wie hatte er denn das geschafft? Rechts neben mir flog ein Schild mit der Aufschrift Ausfahrt vorbei. Noch 1000m, ich musste es bis dahin schaffen, denn mein Verfolger konnte auf keinen Fall so schnell wenden und dort ebenfalls abfahren. Tief durchatmen befahl ich mir. Ich verkniff mir das Blinken, da es meine Strategie sofort offenbart hätte. Noch 300m. Das andere Auto kam uns bedenklich nahe, hoffentlich würde ich es schaffen. Gas geben. Gas geben. 100m. Jetzt war er fast direkt vor mir. Im letzten Moment wechselte ich auf den Abbremsstreifen. Wobei sich mein Abbremsen sehr beschränkte, da ich einfach viel zu schnell war. Wie in Trance schaffte ich es irgendwie, den Sportwagen die Ausfahrt unbeschadet hinunter fahren zu lassen. „Bitte biegen sie jetzt rechts ab“, säuselte das Navi. Ich war froh, nicht ganz alleine zu sein. Wenigstens dieses Gerät sprach mit mir. Vor lauter Erleichterung rannen mir einige Tränen die Wangen herunter. Ich hatte es geschafft, zu mindestens sah es danach aus, denn ich war völlig allein auf dieser Straße. Ich hatte mein Tempo wieder auf 150 km/h gesteigert. Wie schnell durfte man hier wohl wirklich fahren? Allerdings war es mir im Moment total egal, ob ich geblitzt wurde. Auf einmal legte mir jemand seine Hand auf die Schulter. Ich erschrak so sehr, dass ich beinahe das Lenkrad verriss. „Hey, hey ist ja gut! Bin nur ich. Du hast das echt gut gemacht. Ich konnte leider nichts machen, ich konnte das Auto nicht erreichen. Aber meine Krieger müssten inzwischen dort sein und sich um die Verfolger kümmern“, beteuerte Kyron sofort. „Hast du mir Angst gemacht. Mach das nie, nie wieder! Was wollten die denn von uns?“, sagte ich erleichtert, dass es „nur“ Kyron war. „Ach Süße, es ist alles wieder gut. Ich kann dir nicht genau sagen, wer es war. Allerdings sollten wir sicherheitshalber auf jeden Fall das Auto wechseln. Fahr bitte da vorne bei dem Schild links, da kenn ich jemanden“, wies er mich an. Nachdem ich abgebogen war, meinte er: „Jetzt bleib da einfach rechts am Straßenrand stehen.“ Ich war zwar ziemlich verwundert, dachte mir jedoch, dass er schon wüsste, was er tut. Beim Aussteigen wäre ich beinahe hingefallen, da sich meine Beine so weich wie Butter anfühlten. Die Verfolgungsjagd hatte mich ganz schön mitgenommen. Kyron war sofort an meiner Seite und stütze mich. „Ich fahre jetzt dann wohl doch lieber wieder selber!“, flüsterte er mir ins Ohr. Das war mir tatsächlich lieber so, denn ich hatte keine Lust auf noch so eine Aktion. Weil Kyron merkte wie erschöpft ich war, nahm er mich auf seinen Rücken und trug mich zu unserem vorläufigen Zielort. An einer Garage, die mitten im Wald stand, hielt er an und setzte mich auf einen Baumstamm. In seiner Hosentasche kramte er nach etwas. Nach einigen Minuten zog er ein kleines, blaues Kästchen hervor und betätigte einen gelben Knopf. Sofort öffnete sich das Garagentor mit einigen quietschenden Geräuschen, die sogar nicht in den friedlichen Wald passten. Kyron war in das kleine Gebäude geeilt und gleich darauf wurde ein Motor angelassen. Er fuhr mit einem Lamborghini aus der Garage, ich saß nur mit offenem Mund auf meinem Baumstamm. Ein leises „Wow“ kaum aus meinem Mund. Ich liebte schon jetzt das wunderschöne froschgrün, in welchem das Auto lackiert war. Perplex erhob ich mich und öffnete die Tür. Die Sitze waren mit einem schwarzen Leder bezogen, die Armaturen wirkten sehr edel. Was dieser Spaß wohl gekostet hatte? Ich war etwas verwundert darüber, dass wir nicht in die Richtung zurück fuhren, aus der wir gekommen waren. Dann musste ich an meine ganzen Einkaufstaschen in dem anderen Auto denken. „Mach dir deswegen keine Gedanken, das wird alles abgeholt werden. Ich finde es schon witzig, dass Frauen immer zuerst an so was denken. Wenn alles gut geht, sind wir in einer Stunde am Ziel. Schlaf doch einfach noch ein bisschen“, hatte er meine Sorgen erraten. Schlafen, das war eine wunderbare Idee. Ich kuschelte mich in den weichen Sitz. Ich glaube, dass ich in wenigen Minuten eingeschlafen war.
„Süße, aufwachen, wir sind da“, flüsterte eine Stimme, die sehr weit entfernt war, in mein Ohr. Ich wollte aber nicht. Ich wollte einfach nur noch weiter schlafen. Dann merkte ich, wie jemand den Gurt öffnete und mich hoch nahm. Also weiter schlafen. Ich wollte meine Augen auf keinen Fall öffnen. Meine Gedanken wurden wieder schwerer…und….
Ich griff nach der Decke und zog sie mir bis zum Hals hoch, es war kalt. Ich drehte mich auf die andere Seite. Langsam kam mein Geist wieder in Schwung. Ich schlug meine Augen auf und eine vollkommene Dunkelheit umgab mich. Mit einem Ruck richtete ich mich im Bett auf, in das man mich gelegt hatte. Mit meiner Hand tastet ich nach einer Lampe oder Ähnlichem. Nach längerem Tasten fühlte ich ein kühles Material unter meinen Fingern, dann einen Knopf. Als ich diesen betätigte, flackerte eine kleine Nachttischlampe auf. Im Schein der spärlichen Beleuchtung konnte ich Teile der Umgebung erkennen. Ich lag in einem Himmelbett, eingehüllt war ich in eine purpurfarbene Decke, die mit goldenen Fäden durchzogen war. Am Fußende stand eine kleine Kommode aus dunklem Holz. Der Nachttisch war im gleichen Stil wie dieses Möbelstück gehalten. Links neben dem Bett waren zwei große Fenster eingelassen, die wohl durch einen Vorhang verdunkelt wurden. Als ich dies erkannt hatte, warf ich die Decke zur Seite und tastete mich vorsichtig zum ersten Fenster vor. „Aua“, schrie ich auf. Ich hatte irgendwas am Boden übersehen und mir kräftig den großen Zeh angestoßen. Toll! Ich humpelte weiter. Mit einem Ruck zog ich den dicken Stoff beiseite. Sofort brannte helles Sonnenlicht in meinem Gesicht. Das tat genauso weh wie mein kleines Malheur gerade eben. Sofort ließ ich den Vorhang zurück fallen. Jetzt stand ich wieder im Halbdunkel. Da meine Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt waren, beschloss ich mich zur Tür, dich ich auf der anderen Seite vermutete, durch zu kämpfen. Na gut, dieser Ausdruck war wohl etwas übertrieben. Nach einer gefühlten halben Stunde hatte ich endlich den Türgriff gefunden. Mit einem lauten Knarzen schwang die Tür nach außen auf. Als ich einen Fuß in den Gang setzte, merkte ich, dass ich auf kaltem Steinboden stand. Meinem verletzten Zeh tat das allerdings sehr gut. Vorsichtig schloss ich die Zimmertür hinter mir und sah mich um. Ich stand am Ende eines Ganges, der komplett mit Steinen ausgekleidet war. In den Wänden waren Fenster eingebaut, deren Scheibe getönt war, sodass das grelle Tageslicht nicht eindringen konnte. Ich beschloss, einfach gerade aus zu laufen, um meine Umgebung genauer zu erkunden. Als ich mich noch einmal umdrehte entdeckte ich, dass meine Schuhe ordentlich neben die Tür gestellt worden waren. Da meine Füße drohten abzusterben, so kam es mir auf jeden Fall vor, schlupfte ich in meine Sneakers. Dann konnte es nun endlich losgehen. Nach 300 Metern machte der Gang eine Wende nach rechts. Dann gelangte man auf eine Galerie, von der man eine riesige Eingangshalle überblicken konnte. „Prinzessin? Kyron erwartet sie bereits. Bitte folgen sie mir“, sprach mich ein großer, gut gebauter Mann an. Er hatte Teile einer Rüstung an und an seiner Hüfte hing ein großes Schwert. Etwas eingeschüchtert nickte ich und folgte ihm. Nachdem wir durch einige Gänge gelaufen waren – ich hatte die Orientierung komplett verloren -, kamen wir an einen großen, zweitürigen Eingang. Der Krieger klopfte an.
4
Kyron
Trotz ihres pinken Flanellpyjamas sah sie wunderschön aus. Sie war einfach perfekt. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie zwar zu einem Zopf gebunden, doch der Schlaf hatte der Frisur den Rest gegeben. Überall hingen einzelne Haarsträhnen heraus. Durch den Schlafanzug hindurch zeichnete sich leicht ihr Körper ab. Sie war wirklich sehr dünn, trotzdem wirkte sie nicht mager und sicherlich hatte sie auch vor ihrer Zeit hier Sport getrieben. Wie intensiv würde sich zeigen, denn heute würde sie eine Einführung in den Schwertkampf erhalten. Schon seit mehreren Jahren schmiedete ich an einem besonderen Stück, das nur für meine Ehefrau bestimmt sein sollte, so war es auch Brauchtum bei meinem Volk. Hoffentlich wird es ihr gefallen! Als Zolei sich räusperte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich hatte sie vermutlich schon viel zu lange angestarrt. „Hey mein Schatz! Endlich bist du aufgewacht, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Hast du schon gefrühstückt?“, fragte ich sie komplett durcheinander, denn in Gedanken bewunderte ich noch ihre atemberaubende Schönheit. „Nein, ich war schon froh, dass ich den Weg aus dem dunklen Zimmer gefunden habe und dann gibt es hier noch so viele verschiedene Gänge. Ist das hier dein Zimmer?“, gab sie zurück. „Nein, nein. Der Raum, in dem du geschlafen hast, dort wohne ich und du natürlich jetzt mit mir. Komm mit, zunächst gehen wir dort hin, dass du dir etwas anziehen kannst und danach können wir was essen, damit du wieder etwas Farbe bekommst“, sagte ich. Eigentlich gefiel mir die Blässe, es passte wunderbar zu ihrem schwarzen Haar, dennoch sollte ihre Haut erst in mehreren Monaten so aussehen. Ohne noch weitere Fragen zu stellen, folgte Zolei mir aus dem Zimmer auf den Flur. Es wunderte mich gar nicht, dass sie sich hier nicht auskannte: alle Wände sahen gleich aus, überall war der gleiche Boden, alles bestand aus grob behauenen Steinen. Kurzum es handelte sich eben um eine Burg, die teilweise nach mittelalterlichem Vorbild erbaut worden war. In meiner Kindheit – was wirklich schon sehr lang her ist – hatte ich jeden Tag dazu genutzt, alle Wege zu erkunden und mir diese zu merken. Ich hatte zwei ganze Jahre gebraucht, um mich hier perfekt zu Recht zu finden, Zolei würde es nicht anders ergehen. Und sie hatte sicherlich auch keine Zeit, täglich durch die Gänge zu streifen, denn sie musste schnellst möglich mit Waffen umgehen können. Dann erst würde sich meine Sorge um sie etwas legen. An meinem Zimmer angekommen, betätigte ich einen kleinen Schalter, der kaum sichtbar in der Wand eingelassen war. Dadurch würde eine Deckenlampe angehen, die aber von der Intensität für uns ungefährlich ist. Im Inneren ging ich zu einer Tür, die an der rechten Wand war.
Zolei
Endlich sah ich jetzt den Raum bei Licht und konnte sofort erkennen, woran ich mir den Zeh gestoßen hatte. Es war ein kleiner Beistelltisch, der am unteren Ende des Bettes stand. Kyron war zu einer Tür gegangen, die ich ebenfalls vorher noch nicht bemerkt hatte. Während er mich heranwinkte, öffnete er diese. Wieder einmal konnte ich mir ein „Wow“ nicht verkneifen. Vor mir lag ein komplett gefüllter begehbarer Kleiderschrank. Welche Frau hatte sich dies nicht gewünscht?! „Ich habe ihn extra für dich bauen lassen, ich brauche so etwas schließlich nicht (Dabei grinste er). Such dir was aus. Es ist alles da, was wir auf dem Schiff gekauft haben. Wenn du durch die Tür da gleich links gehst, bist du im Bad. Ich warte draußen auf dich, aber bitte beeile dich!“, ermahnte er mich. Schnell kam er noch einen Schritt auf mich zu, den er von mir weg stand, und gab mir einen kurzen Kuss. Schmunzelnd schloss er die Tür hinter sich. Der Mann war einfach herrlich, es hätte mich gar nicht besser treffen können. Dass ich mich in einen Vampir verwandeln würde, hatte ich eigentlich schon wieder vergessen. Und wenn schon! Es gab doch eigentlich daran nur Positives, ich hatte noch nichts Schlechtes gefunden. Im direkt angrenzenden Bad entledigte ich mich meines Pyjamas. Wer hatte ihn mir überhaupt angezogen? Hoffentlich war es Kyron gewesen! Zum Glück befand sich hier eine Dusche, denn bei dem alten Gemäuer konnte man sich dessen nicht so sicher sein. Dort standen auch schon ein Shampoo und Duschgel bereit. Als ich das Wasser anstellte, kam es eiskalt und ich nahm das Lob, das ich vorhin geäußert hatte, sofort wieder zurück. Endlich fand ich den Regler für die Wassertemperatur, sofort wurde es angenehmer. Im Rekordtempo war ich mit der morgendlichen Reinigung fertig, denn ich wollte Kyron nicht zu lange warten lassen. Meinen Schlafanzug legte ich zusammen und nahm ihn mit in den Ankleideraum. Okay, was sollte ich anziehen? Ich wollte Kyron auf jeden Fall beeindrucken, aber es sollte trotzdem bequem sein. Ich entschied mich für eine grüne Röhrenjeans, die gewisse Körperpartien sehr gut zur Geltung brachte und einen Weinroten Kapuzenpullover, der zwar nicht sexy war, aber praktisch. Als ich die Tür öffnete, hatte er sich auf das Bett gelegt. Nachdem ich mich neben ihn gesetzt hatte, zog er mich zu sich heran und gab mir einen langen Kuss. „Hab ich dir eigentlich schon gesagt, dass du wunderhübsch bist?“, fragte er mich. „Es kam mir schon mal zu Ohren“, antwortete ich feixend. Er zwickte mich in die Stelle, die Hose besonders betonte – eben in meinen Po. „Du bist unmöglich. Komm mit, vielleicht kriegst du auch was zu essen!“, sagte er danach zu mir. Kyron sprang auf und rannte zu Tür, sodass ich mich rennen musste, um ihn nicht zu verlieren. Alleine würde ich niemals den Weg irgendwo hin finden, selbst wenn ich wüsste, wo wir unser Frühstück zu uns nehmen würden. Als ich aus der Tür trat, hatte Kyron dahinter gewartet und erschreckte mich jetzt gewaltig. Vor lauter Schreck schrie ich los, er hingegen lachte nur noch. Jetzt war ich ziemlich wütend, das hinderte ihn aber nicht daran, mich hoch zu nehmen. Ich konnte mich kaum bewegen und Kyron rannte in irgendeine Richtung. „Lass mich runter, ich kann selber laufen!“, maulte ich ihn an. „Aber sicherlich nicht so schnell wie ich und du weißt ja auch gar nicht, wohin wir gehen“, sagte er zu mir. Na toll, außerdem musste ich mich doch noch für die gemeine Aktion gerade eben revanchieren. Wahrscheinlich ahnte er derartiges. Nachdem wir einige Male abgebogen waren (ich hatte schon lange die Orientierung verloren), hielten wir von einer hölzernen Tür an, die mit vielen Mustern und kleineren Bildern verziert worden war. Ohne, dass wir irgendetwas getan hätten, schwang sie nach Innen auf. Mir bat sich wieder einmal ein unglaubliches Zimmer dar. In der Mitte stand ein langer, aus dunklem Holz gefertigter Tisch, an dem bestimmt 12 Leute Platz hatten. Ansonsten war der Raum unmöbliert, vielleicht ließ ihn gerade das so riesig wirken. Durch mehrere getönte Fenster kam Licht herein, das die ursprüngliche Farbe des Teppichbodens erahnen ließ. Wahrscheinlich war er rot, die Nuance konnte ich aber nicht erkennen. Kyron nahm am unteren Ende der Tafel Platz, danach sagte er: „Setzt dich doch, wo immer du möchtest.“ Natürlich nahm ich den Stuhl direkt neben ihm, sonst wäre ich mir ziemlich verloren vorgekommen. Aus einer anderen Tür kam eine Frau, ich denke, es war eine Angestellt, und stellte vor mir ein Tablett mit Brot, Toast, Müsli, Marmelade, Ei und Tee hin, Kyron hingegen nur ein Glas, mit einer roten Flüssigkeit. Ich wusste, was es war. Schweigend begann ich, die Himbeermarmelade auf eine Brotscheibe zu schmieren. Vorhin hatte ich gar nicht bemerkt, wie viel Hunger ich hatte, es wurde mir erst jetzt bewusst. Voller Vorfreude biss ich hinein, doch irgendwie schmeckte es nicht so, wie ich es in Erinnerung hatte. Vielleicht lag es am Brotaufstrich. „Ist das nicht Himbeermarmelade?“, fragte ich Kyron. „Doch, soweit ich weiß schon. Warum?“., antwortete er mir ziemlich karg. Hatte ich etwas falsch gemacht. „Hm, passt schon“, sagte ich kleinlaut. Es war nichts mehr von dem lustigen Kyron übrig, er machte mir Angst und das nicht auf die lustige Art. Ich aß mein Brot auf, obwohl es mir überhaupt nicht schmeckte, aber ich traute mich nicht, noch etwas zu sagen. Als ich den Tee probierte und auch dieser nicht schmeckte, schob ich das Tablett von mir weg. Immer noch schweigend schob mir Kyron sein Glas hin. War das jetzt eine Aufforderung, dass ich trinken sollte? Männer! Im einen Moment machten sie alles für einen und im nächsten sprachen sie kein Wort mehr. „Trink“, sagte er. Danke für das Gespräch. Ich nahm einen Schluck, es war Wahnsinn. Ich kann den Geschmack nicht beschreiben, aber es war genau das, was ich bei den anderen Speisen vermisst hatte. Sofort trank ich das Glas leer. Ich spürte, wie das Blut, das ich eben getrunken hatte, durch all meine Adern floss und mir ein warmes Gefühl gab. Als ich das Glas wieder auf den Tisch gestellt hatte, sah ich Kyron an. Ich fühlte mich unbesiegbar. Doch er schwieg einfach weiter, wollte sich wohl auf kein Wortduell mit mir einlassen. Aber ich ertrug die Stille einfach nicht mehr. „Was ist denn jetzt mit dir los? Warum bist du auf einmal so unnahbar?“, bombardierte ich ihn mit Fragen. Er sah mich an. Dann fing er an zu reden: „Ich muss jetzt gehen, dein Lehrer wird dich hier abholen.“ Kaum war er fertig, hatte er auch schon das Zimmer verlassen. Ja super! Ich war jetzt richtig sauer, das konnte er nicht einfach so mit mir machen, das würde er schon bald zu spüren bekommen. Und welcher Lehrer für was würde mich hier abholen? Sollte ich hier ganz normal zur Schule gehen, oder wie? Fragen über Fragen türmten sich in meinem Kopf auf und ich fand auf keine einzige eine Antwort.
Dann kam ein gut gebauter, jung wirkender Mann zur Tür herein. Er hatte graue lange Haare, was mich wirklich beeindruckte, denn ich hatte so etwas noch nie vorher gesehen. „Zolei, würden Sie mir bitte folgen?“, fragte er mich. Jetzt war ich nicht in der Stimmung zu reden, also nickte ich bloß. Wieder traten wir in das Labyrinth von Gängen ein, um in irgendeine Richtung zu gehen. Schließlich kamen wir in eine Art Umkleideraum, das vermutete ich zumindest. „Hier kannst du dich umziehen, deine Trainingsklamotten liegen in 205. Dann komm bitte zu mir in die Halle“, riss er mich aus seinen Gedanken. Er gab mir einen Schlüssel und eilte zur gegen überliegenden Tür hinaus. Trainingsklamotten? Okay, es ging hier also definitiv um Sport. Jetzt war nur noch die Frage, was für ein Sport. Die Klamotten würden mir vermutlich darüber Aufschluss geben. Nach wenigen Augenblicken hatte ich den richtigen Spint gefunden, sodass ich ihn aufschließen konnte. Ich konnte einen Berg von Kleidungsstücken erkennen. Langsam zog ich das erste Teil hervor. Vielleicht war es ein Brustpanzer, so wie bei alten Ritterrüstungen. Und wie sollte man so etwas anziehen? Ich legte alles sorgfältig vor mich auf den Boden und entschied mich dafür, erst das anzuziehen, von dem ich ungefähr wusste, wie es funktionierte. Also zunächst ein enge Korsage, die nicht sonderlich bequem war. Was hatte das denn mit Sport zu tun? Dabei ging es doch eher um die Optik, dachte ich. Als ich diese vorne geschnürt hatte und eine enge Lederhose angezogen hatte, betrachtete ich mich in dem Spiegel, der im Spint angebracht war. Ziemlich abgefahren, das Zeug, aber es sah auch unglaublich sexy aus. Das wollte ich nur eigentlich nicht unbedingt beim Sport…Dann zog ich die ledernen Stiefel an, an welchen silberne Platten angebracht worden waren. Von all dem anderen Zeug hatte ich keine Ahnung, wie man es verwenden oder anziehen sollten, also nahm ich es kurz entschlossen mit in die Halle, die mich wohl hinter der Tür, durch die der Typ verschwunden war, erwarten würde. Tatsächlich wartete er dort schon auf mich und musterte mich etwas komisch, als ich voll beladen durch die Tür stolperte. „Ähm, können Sie mir zeigen, wie man das anzieht…ich hatte so etwas noch nie an…“ Da war wieder meine Schüchternheit. Ich legte alles möglichst sanft auf den Boden, während er zu mir gekommen war. Er hob etwas auf, das aus mehreren Platten bestand und vier Lederriemen an der Rückseite hatte, und befestigte es an meinen Ober- und Unterschenkeln. Okay, die zwei waren also dafür gedacht. Danach nahm er das, was ich bereits als Brustpanzer erkannt hatte und zog es mir an. Aus dem Haufen zog er noch Handschuhe hervor, die ich vorher noch nicht gesehen hatte und forderte mich auf, diese anzulegen. Dann kamen Schützer für die Arme, die den Beinplatten ähnlich waren, eben nur in klein. Den Rest legte er zur Seite und sagte: „Für den Anfang sollte das genügen, jetzt fehlt nur noch das Schwert.“ Schwert? Das war also der Sport, um den es hier ging. Ich hatte so ein Ding noch nie gehalten, aber gut, er sollte es mir ja auch zeigen. Weil ich so in Gedanken versunken war, merkte ich anfangs gar nicht, dass er mir ein Schwert, das in einer Scheide steckte, entgegenhielt. Peinlich berührt griff ich dann danach. Etwas ängstlich zog ich es. Es sah toll aus: der Griff (nannte man das bei einem Schwert so?) war mit einem bläulichen Leder umwickelt und ganz am Ende befanden sich zwei Drachen, die sich um einen blauen Stein windeten. Huch, das ganze Teil war wirklich ziemlich schwer und das, obwohl ich es schon mit beiden Händen hielt. Dann fing mein Lehrer, der sich noch immer nicht namentlich bei mir vorgestellt hatte, mit seinem Unterricht an: „Du musst dich etwas schräg hinstellen, sodass du möglichst wenig Angriffsfläche gibst. Jetzt halte das Schwert mit einer Hand vor dich, ziele etwa auf die Kehle des Gegners. Die andere Hand legst du an deine Hüfte, die Finger zeigen nach unten. Genau (Juhu, ein Lob)! Das ist eine von drei möglichen Grundstellungen. Merk sie dir gut. Bei der zweiten hältst du das Schwert über deinem Kopf, so ist dieser besser geschützt, aber alles andere leichter zu erreichen ist. Außerdem hat es den Vorteil, dass du den Kopf deines Gegners schneller erreichst, wenn er dich angreift. Und zuletzt kannst du das Schwert auch auf seine Knie richten. Diese Stellung ist besonders dazu geeignet, wenn du den Gegner zum Angreifen herausfordern willst, aber sie ist somit auch besonders gefährlich und sollte nur nach langem Üben angewandt werden. Du wirst zunächst alle Übungen aus der ersten Position aus beginnen.“ Mein Arm brannte, als ich auch nur diese kurze Zeit mit dem Schwert ausgestreckt da stehen musste. Gleichzeitig versuchte ich alle Ratschläge zu beherzigen. Er setzte seine Belehrung fort: „Das Zentrum deiner Kraft ist dein Bauchnabel, dort muss alle Bewegung beginnen. Spannst du deinen Bauch an, hast du mehr Energie, gleichzeitig bist du auch stabiler. Außerdem kennzeichnet er deine Mitte, die du mit deinem Schwert niemals verlassen solltest, denn sonst hat dein Gegner einen Vorteil. Wir machen jetzt eine Übung: Ich schlage von oben auf deinen Kopf, du fängst mein Schwert auf und versuchst ebenfalls meinen Kopf zu treffen. Damit es aber nicht gleich zu Verletzungen kommt, werden wir das mit Holzschwertern üben.“ Dankbar steckte ich das Schwert zurück und nahm das „Bokken“, so sagte er mir, würde es heißen, entgegen. Dann begannen wir. Am Anfang hatte ich kleine Koordinationsprobleme, weil ich nicht genau wusste, wie ich mich bewegen musste. Doch nach einiger Zeit gelang es mir ganz gut. Wir machten die Übung sicherlich 50-mal, bis er endlich sagte, dass es für heute ausreichen würde. Dann zeigte er mir noch andere Dinge, dich ich zusammen mit ihm ausprobierte. Am Schluss hatten wir sicherlich zwei Stunden trainiert und der Schweiß lief mir in Strömen herab. „Sie haben sich für das erste Mal schon ganz gut geschlagen. Morgen werden wir einige Ausdauerübungen ohne Schwert machen, kommen Sie dazu bitte in Jogginghose und T-Shirt hierher“, sagte er und beendete damit das Training. Ich schleppte mich beinahe in die Umkleide. Während ich alles zurück in den Schrank stopfte, suchte ich mit meinen Augen nach einer Möglichkeit zu duschen. Ah, da war eine Tür, wenn ich alles verstaut hätte, würde ich sie ausprobieren. Tatsächlich befanden sich dahinter einige Duschkabinen, auch Handtücher lagen bereit. Das war sehr gut, denn schließlich hatte ich keines dabei.
Nachdem ich fertig geduscht und mich angezogen hatte, stellte sich mir das Problem, das ich nicht wusste, wie ich zurück in mein, ich meine natürlich unser, Zimmer finden sollte. Wie waren wir bloß hier hergekommen? Als ich einige Male abgebogen war, konnte ich sicher sein, dass ich mich verlaufen hatte. Toll. Was sollte ich bitte jetzt tun? Ich hatte die Verfolgungsjagd überstanden und scheiterte an ein paar Gängen. Ich wusste nicht einmal mehr, wie ich überhaupt hier her gekommen war. Ich zwang mich dazu, tief durchzuatmen. Und noch einmal. Damit konnte ich die Panik, die in mir aufkam, etwas zurück drängen. „Zolei?“ Wie vom Blitz getroffen, drehte ich mich langsam um. Wer konnte das sein? Wie sollte ich mich verteidigen? Doch dann erblickte ich zum Glück nur Kyron und wurde sofort an den Zorn erinnert, der sich noch immer nicht gelegt hatte. Sofort blickte ich ihn böse an, als er meine Hand nehmen wollte, zog ich sie ihm weg. Er konnte doch nicht glauben, dass jetzt alles wieder gut war. „Was ist denn mit dir los?“, fragte er mich fassungslos. Ich zuckte mit den Schultern. So einfach würde ich es ihm sicherlich nicht machen. Er sollte von alleine darauf kommen, dass er sich beim Frühstück wie ein Idiot verhalten hatte. Mit einem kleinen Schupps beförderte er mich in ein Zimmer, von welchem die Tür genau hinter mir gewesen war. Es war stockdunkel, man konnte nicht einmal seine eigene Hand erkennen. Dann spürte ich zwei Hände, die sich auf meine Schultern legten und mich gegen die kalte Wand drückten. Was hatte er denn jetzt vor? War es überhaupt Kyron? Aber wer sollte es andererseits denn sein… Die eine Hand glitt zu meinem Hals, sodass ich nur gerade aus schauen konnte. Dann küsste er mich. Doch ich drückte ihn weg, das konnte er einfach total vergessen. Küsse sind keine Entschuldigung, wahrscheinlich wusste er nicht einmal, was er falsch gemacht hatte. Sein Griff wurde fester. „Lass mich sofort los!“, zischte ich in die Dunkelheit. Keine Antwort. Als er mich ein zweites Mal küsste, reagierte ich einfach nicht. Er würde schon sehen, was er davon hatte. „Ich will dich“, flüsterte er mir ins Ohr. „Das kannst du aber so was von vergessen!“, war meine unfreundliche Antwort. Ich möchte einmal verstehen, was in Männerköpfen so abgeht. Wie konnte er jetzt auf so eine Idee kommen?! „Lass mich doch so gut machen, was ich getan habe. Dann wirst du nicht mehr sauer auf mich sein“, versuchte er mich umzustimmen. Männerphantasien. So geht das einfach nicht! „Bei Frauen funktioniert das mit Entschuldigungssex nicht!“, fauchte ich ihn böse an.
„Bist du dir da ganz sicher?“
„Ja! Lass mich jetzt endlich los!“
„Ich bin mir da nicht so sicher, lass es uns probieren“
„Wir werden hier gar nichts probieren!“
Bevor ich noch etwas erwidern konnte, hatte er mich erneut geküsst. Zugegeben gefiel es mir sehr, wie er mich gerade küsste, aber trotzdem hatte er alles Andere nicht verdient. Ich würde sicher nicht nachgeben. Selber Schuld, sonst hätte er eine Chance gehabt. „Ich krieg dich schon noch“, flüsterte er und schob mich wieder aus der Kammer. Draußen erlaubte ich Kyron dann doch meine Hand zunehmen und so führte er mich zu unserem Zimmer. Als ich drin war, zog er auf einmal ein kleines Geschenk aus seiner Hosentasche und reichte es mir. „Vielleicht ist dir das ja Entschuldigung genug“, sagte er mir grinsend. Normalerweise waren in so kleinen Verpackungen immer nur Schmuck, ohja, das wäre wirklich toll. Sofort riss ich das Papier weg. Mein Puls schlug höher, denn ich erkannte eine Ringschachtel. Als ich diese öffnete, lag der wunderschönste Ring, den ich je gesehen hatte, vor mir. Er erinnerte mich sehr an mein Schwert. In der Mitte befand sich der gleiche hellblaue Stein und auch hier rankten sich zwei filigrane Drachen darum. „Willst du meine Frau werden?“, fragte er mich vor mir kniend. Ich hätte nicht gedacht, dass er mir überhaupt noch danach fragen würde, denn für ihn schien das alles schon beschlossene Sache zu sein. Ich war wirklich erstaunt. Ich kannte Kyron erst wenige Tage, trotzdem hatte ich wirklich das Gefühl ihn zu lieben. „J...Ja…Ja!“, brachte ich stotternd hervor, aber so hatte er mich ja auch kennen gelernt. Er nahm den Ring aus der Schatulle und steckte ihn mir an. Er passte perfekt. Dann küsste er mich und dieses Mal ließ ich es auch zu. „Und wie sieht’s mit Dankeschönsex aus?“, fragte er mich spöttisch. Ich gab ihm einen leichten Klaps auf die Backe und sagte: Du bist echt so was von unmöglich!“ Wir brachen beide in Lachen aus. „Achja, jetzt wo du ja gesagt hast: Meine Mutter wird dich in etwa 15 Minuten hier abholen und ihr fahrt in die Stadt, um dein Brautkleid zu kaufen. Schade, dass ich nicht mit darf“, eröffnete er mir, nach dem er sich wieder beruhigt hatte. „Deine Mutter? Und das sagst du mir erst jetzt!“, brachte ich hysterisch hervor. „Keine Panik, meine Mutter ist echt total okay. Sie wird dir nicht den Kopf abreißen“, versuchte er mich zu beruhigen. Dabei hatte er mich schon wieder zu sich hergezogen und geküsst. Ich hoffte so sehr, dass er Recht haben würde. Bis es an der Tür klopfte, lagen wir noch eng umschlungen auf dem Bett, um zu kuscheln. Wie wenn wir bei etwas Verbotenem ertappt worden wären, sprangen wir auf und Kyron eilte zur Tür. „Mutter, komm rein. Darf ich dir Zolei vorstellen?“, sagte er mit einem Grinsen im Gesicht.
„Zolei, schön dich kennen zu lernen. Kyron hat schon immer so von dir geschwärmt. Es ist mir eine Ehre, dich in unserer Familie aufzunehmen und ich freue mich sehr, dass du dich für unseren Lausbengel entschieden hast“, richtete sie das Wort an mich, während sie Kyron liebevoll durch die Haare strich. Dass die beiden ein so gutes Verhältnis hatten, wunderte mich in Anbetracht der Tatsache, dass beide schon so lange zusammen lebten, wirklich. „Ich freue mich auch, endlich mal einen Teil von Kyrons Familie kennen zu lernen. Aber ich glaube, dass ich nicht genug Geld habe, um mir ein Braukleid leisten zu können“, musste ich zugeben. „Geld ist kein Problem, mach dir darüber einfach keine Sorgen. Außerdem gehörst du jetzt zu unserer Familie, deshalb gehört dir alles, was auch Kyron gehört“, versuchte sie, meine Sorgen zu zerstreuen. „Ach übrigens, du darfst mich gerne Cerea nennen, ist Zolei für dich auch okay?“, fragte sie mich höflich. „Äh, klar“, antwortete ich eher unbeholfen. Warum sollte sie mich nicht bei meinem Vornamen nennen dürfen?
5
Zolei
Das Brautkleid, das ich mit Kyrons Mutter Cerea ausgesucht hatte, sah einfach fantastisch aus, bei dem Preis jedoch wurde mir schwindlig. Zum Glück musste ich nicht selber dafür aufkommen, denn dann hätten wir wohl erst in 100 Jahren heiraten können. Als ich mich im Spiegel betrachtete, schien es, als würde ich jemand ganz anderen anblicken. War ich das überhaupt? Meine langen, schwarzen Haare waren ordentlich zu einem Zopf geflochten, meine Hautfarbe war noch blasser geworden, als sie es vorher gewesen war und meine Iris hatte ein helles Grün-Blau angenommen. Machte sich der Wandel so schnell bemerkbar? Und dann trug ich jetzt noch dieses Brautkleid, das mich wie eine Prinzessin wirken ließ. Die weißen Rockbahnen wurden durch einen Unterrock angehoben und waren an einer Korsage in der gleichen Farbe befestigt. Über den Rock war eine zweite Lage aus feiner Spitze genäht worden, die mit sehr edel wirkenden Steinchen verziert war. Mein Anblick faszinierte mich so sehr, dass ich gar nicht merkte, wie Cerea mehrere Male versuchte, Kontakt mit mir aufzunehmen. „Zolei? Ist alles gut bei dir?“, fragte sie erneut. „Äh…j…ja…ja, klar. Ich kann es nur einfach noch nicht fassen. Das alles wirkt so irreal auf mich. Eigentlich wollte ich in meinem Alter noch nicht heiraten, aber jetzt stehe ich doch kurz davor“, stotterte ich vor mich hin. Dieses kleine Problem war also durch den Wandel noch nicht behoben worden, schade! Cerea sah mich aufmunternd an – sie würde auch für mich eine Mutter werden – und sagte: „Ich weiß, dass das für dich nicht einfach ist, aber es ist dein Schicksal. Egal, was passiert, du kannst jederzeit zu mir kommen, wirklich. Warte, ich habe noch etwas ganz Besonderes für dich dabei…“ Aufgeregt kramte sie in ihrer riesigen Handtasche und zog zwei Kästchen in der Größe eines Schuhkartons hervor. Zuerst öffnete sie das blaue. Darin befand sich eine Kette mit blauen Steinen, die mich sofort an mein Schwert erinnerten. Die Kristalle waren eingefasst mit tausenden kleinen, weißen Perlen. Als Cerea mein Staunen sah, legte sie mir diese freudestrahlend um. Dann war das zweite Kästchen, welches weiß war, an der Reihe. Sie zog einen langen Schleier hervor und befestigte ihn an meinem Zopf. „Du siehst wunderschön aus! Die Kette hat mein Ehemann damals für unsere Hochzeit angefertigt, es macht mich sehr stolz, dass du sie jetzt tragen wirst, und den Schleier hat meine Mutter genäht, sie hat dazu 3 Jahre gebraucht, denn alle Steinchen und Stickereien sind per Hand gemacht worden“, flüsterte Cerea, denn zu mehr war sie im Moment nicht im Stande. Auch mich ließ dieser Augenblick nicht unberührt: meine Augen wurden feucht. Gerade so konnte ich die Tränen zurückhalten. Beinahe sprachlos brachte ich noch ein „Danke“ raus. Nachdem die Verkäuferin noch ein paar Änderungen abgesteckt hatte, sagte sie, dass wir das Kleid in einer Woche abholen könnten. „Das ist ja wunderbar, die Hochzeit soll nämlich nächste Woche Sonntag stattfinden. Ich werde es abholen lassen. Vielen Dank!“, ließ sie die Verkäuferin wissen. Doch in mir überschlugen sich die Gedanken. Nächsten Sonntag sollten wir schon heiraten? Heute war Freitag. Also in einer Woche und zwei Tagen war es so weit. Aber war ich schon so weit? Nervös knetete ich meine Finger. Kaum mehr als eine Woche. Cerea, die meine Bedenken wohl erkannte, nahm mich bei der Hand und sprach beruhigend auf mich ein: „Es wird der schönste Tag deines Lebens, glaube mir. Du wirst es sicherlich nicht bereuen. Schade, dass wir jetzt schon wieder zurück müssen, aber in der Burg können wir sicher bei einem Gläschen Blut noch ein bisschen quatschen.“ Ja, das Quatschen konnte ich wirklich sehr gut gebrauchen. Ich nickte stumm. Dann fuhren wir auch schon wieder zurück zur Burg, die von der ganzen Stadt aus sichtbar war. Am Tor erwartete uns bereits Kyron, der eine Tasche in seiner Hand trug. Er selbst hatte ganz ungewohnt eine Jogginghose und ein T-Shirt an, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Als ich aus dem Auto stieg, streckte er mir direkt die Tasche hin und meinte, ich solle mich schnell umziehen. Juhu, ich liebte seine Überfälle (Ironie!). „Und wo soll ich das bitte anziehen?“, fragte ich ihn sarkastisch. „Du kannst das doch hier schnell anziehen, das stört keinen. Schnell, beeil dich“, forderte er mich von einem Bein auf das andere hüpfend auf. „Ja, ja. Ist ja gut“, gab ich leicht genervt zurück. Was hatte er denn jetzt schon wieder vor? Es sah mir schon wieder schwer nach Sport aus, dabei hatte ich doch heute schon 2 Stunden intensiv trainiert und für morgen auch schon Pläne. In der Tasche waren eine grüne Jogginghose, ein weißes Shirt und ein Paar Laufschuhe. Wir würden also joggen gehen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich Joggen hasse? Es gibt nichts Schlimmeres! Voller Enthusiasmus stopfte Kyron alle ausgezogenen Kleidungsstücke in die Tasche und drückte sie seiner kopfschüttelnden Mutter in die Hand. Dann rannte er los…und ich hinter her. Schon nach fünf Minuten hatte ich Seitenstechen. Mein Puls raste nur so. Die Natur um mich herum konnte ich nicht genießen, obwohl es hier eigentlich sehr schön gewesen wäre. Auf einem Schotterweg joggten wir auf einen Wald zu. „Ich…Ich…kann…nicht…mehr!“, brachte ich hervor. „Ach komm schon, noch ein kleines bisschen“, feuerte er mich an. Er schnappte noch kein bisschen nach Luft, wie schaffte er das bloß? Ich hingegen fühlte mich so, als würde ich gleich ersticken. Als ich rechts neben mir einen großen Stein sah, ließ ich mich wie ein nasser Sack darauf fallen. „Na, an deiner Kondition müssen wir wohl noch arbeiten“, sagte er für meinen Geschmack etwas zu herablassend. Ich strafte ihn mit einem Blick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen musste. Er kniete sich vor mich und nahm meine Hand. Die blauen Linien begannen aufzuleuchten, da hallte es plötzlich in meinem Kopf: „Wir sind nicht alleine.“ Als ich Kyron in die Augen sah, wusste ich, dass dieser Gedanke von ihm gekommen sein muss. „Du solltest etwas trinken“, schrie er beinahe und betonte jedes Wort überdeutlich. Er war definitiv kein guter Schauspieler. Nachdem er seinen länglichen Rucksack vor sich auf den Boden gelegt hatte, öffnete er den Reißverschluss und ich konnte zwei Schwertgriffe erkennen. Warum in aller Welt trug er diese schweren Dinger mit sich rum? Aber wer weiß, wer uns hier verfolgte, also war es vielleicht gar nicht mal so schlecht. Mit einem Ruck warf er mir mein Schwert zu. Im nächsten Augenblick hatte er schon seines gezogen. Während er zielstrebig in eine Richtung lief, bedeutete er mir mit der Hand, ihm zu folgen. Plötzlich standen uns fünf bewaffnete Männer gegenüber. Vor lauter Angst hätte ich beinahe mein Schwert fallen gelassen. „Was wollt ihr?“, knurrte Kyron. Allein durch seine Stimmlage konnte ich erkennen, dass wir in Gefahr waren. „Das Mädchen natürlich. Aber das brauchen wir dir doch nicht zu erzählen. Gib sie uns lieber freiwillig, sonst wirst du heute sterben“, antwortete der Mittlere der Angreifer. „Niemals“, vernahm ich von Kyron. In diesem Moment war ich sehr dankbar, dass ich ihn an meiner Seite hatte. Aller Ärger über ihn war vergessen. Danach versuchte ich mich auf das zu konzentrieren, was mir heute Morgen beigebracht wurde. Seitlich hinstellen. Schwert mit einer Hand nach vorne strecken. Kehle des Gegners. Ich atmete tief durch. Mit einem lauten Aufschrei griff mich einer der vermummten Männer an. Von oben ließ er sein Schwert auf mich herabsausen. Erste Übung. Schwert aufnehmen. Selber schlagen. Krachend landete mein Schwert auf seinem Brustpanzer. Damit hatte er nicht gerechnet. In mir hatte sich etwas verändert. Selbstbewusst nahm ich die Grundposition ein und nickte ihm zu. Meine Finger umschlossen den Schwertgriff nur leicht, damit ich die nötige Flexibilität hatte. Im nächsten Moment versuchte er auf meine Kehle zu stoßen. Keine Chance. Ich nahm seinen Stoß mit meinem Schwert auf und lenkte ihn einfach ab. Der Widersacher hatte seine ganze Kraft in den Angriff gesteckt, sodass er jetzt seine innere Mitte verloren hatte. Mit einer Leichtigkeit holte ich aus und mein Schwert traf auf seinen Kopf auf. Doch anstatt leblos zu Boden zu fallen, wie ich es erwartet hätte, kam ein grelles Licht aus seinem Körper. Danach war er einfach weg, nichts erinnerte mehr an ihn. Völlig gebannt stand ich immer noch an der Stelle, als sich eine Hand um meine Taille legte und eine andere mir ein kurzes Messer an die Kehle hielt. Meine Überlegenheitsgefühle schwanden zusehends. Was sollte ich jetzt tun? Das hatten wir nicht geübt. Seine Hand brannte sich in meine Haut. Ich wurde wütend. Bis heute weiß ich nicht warum. Ich war einfach rasend vor Zorn. Er sollte sofort seine Hände wegnehmen. Ich schloss meine Augen. Immer schneller zog ich die Luft ein. Dann schrie ich. Es brach einfach aus mir heraus. Ich spürte, wie sich das Schwert mit meinem Körper verband. Es war nicht mehr länger nur ein Stück Metall. Es fühlte sich wie eine Verlängerung meines Arms an. Der Angreifer hatte seinen Griff gelockert. In diesem Moment schlug ich die Augen auf. Jetzt erkannte ich, was ihn so schockiert hatte. Die Drachen, die sich eigentlich am Ende meines Schwerts befanden, hatten sich gelöst und um meine Hand gelegt. Gleichzeitig begann der blaue Stein zu leuchten. Ich nutzte die Schwäche meines Gegners aus und rammte ihn das Schwert durch den Brustpanzer hindurch an die Stelle, wo ich sein Herz vermutete. Auch her zerbarst in gleisendes Licht. Langsam kam ich wieder zu mir. Das, was ich gerade getan hatte, geschah alles wie in Trance. Ich hatte die Kontrolle über meinen Körper verloren. Dann wurde es schwarz um mich.
Eine Flüssigkeit tropfte in meinen Mund. Explosion. Es rann meine Kehle hinab. Unbeschreiblich gutes Gefühl. Ich wollte mehr. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Dann legte sich etwas auf meinen Mund. Warme Haut. Es musste die Quelle sein. Zaghaft verbarg ich meine Zähne darin. Dann floss mehr in meinen Mund. Jetzt konnte ich meine Füße wieder spüren, meine Arme. Mein ganzer Körper wurde warm. Heiß. Mit einem Schlag riss ich meine Augen auf. Kyron. So eben biss ich gerade in seinen Hals. Vor Entsetzen hörte ich sofort auf. „Kleines, ich hatte solche Angst um dich“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich konnte noch nicht sprechen. Langsam fühlte ich um mich herum den trockenen Waldboden. Ich hatte das Gefühl, die Wärme davon aufzunehmen. Kyron hatte mich fest an sich gezogen und weinte. Ich hatte ihn noch nie so verletzlich erlebt. Mir war doch nichts passiert. Dann nahm er mich auf seine Arme und fing an zu laufen. Ich versuchte mich etwas an den Schulterriemen des Rucksacks, in dem sich jetzt auch wieder unsere Schwerter befanden, fest zu halten. „Das ist alles meine Schuld. Wären wir bloß nie hier her gekommen“, stammelte er vor sich hin. Ich wollte einfach nur noch schlafen. „Zolei, nein! Lass die Augen auf! Wir sind ja gleich da“, flehte er mich an. Aber es war so schwer. Und warum durfte ich nicht schlafen? Ich konnte ihn nicht fragen. Mein Mund fühlte sich so schwer an. Jedes Wort würde weh tun. Ich versuchte seinen Anweisungen Folge zu leisten. Zum Glück waren wir nicht sonderlich weit gekommen, so türmte sich schon nach wenigen Minuten die Burg vor uns auf. Cerea und ein Mann, den ich noch nicht kannte, rannten uns bereits entgegen. Aufgeregt schrien sich durcheinander: „Kyron, was ist passiert? Erzähl schon! Was ist passiert? Was ist mit ihr?“ Für mich fühlte sich alles an wie ein Traum. Vielleicht war es das ja auch gewesen. Ein Traum. Schlaf. Kyron hatte mich auf das rote Sofa im Eingangsbereich gelegt. Sofort war Cerea an mich heran getreten. „Zolei, gib mir deine Hand“, flehte sie mich an. Langsam versuchte ich es. Mein Arm fühlte sich an, als wäre er aus Blei. Mit aller Kraft schaffte ich es doch. Cerea nahm meine Hand in Empfang und legte sie in ihre. Wieder durchfloss mich ein Gefühl von Wärme, als würde ich Blut trinken. Doch dann lief ein eiskalter Schauer durch meinen Körper. Ich wurde beinahe hochgeschleudert, saß senkrecht auf dem Sofa. Kyron, der zuvor hinter seiner Mutter gestanden hatte, drückte mich sofort. Doch leider tat er dies zu heftig, dass ich nach Luft schnappen musste. „Kyron, lass das Mädchen noch atmen. Es ist ja wieder alles gut. Am besten du bringst sie jetzt in euer Zimmer“, bremste der Fremde Mann ihn. Demütig nickte er und trug mich dann durch das Gewirr von Gängen. Im Zimmer legte er mich sofort auf das Bett und deckte mich liebevoll zu. Dann drehte er sich zur Tür, um zu gehen. Ich wollte nicht, dass er geht und flüsterte, weil ich mehr noch nicht hervorbrachte: „Bitte bleib bei mir.“ Er drehte sich zu mir um und erst jetzt erkannte ich, dass wieder Tränen über seine Wangen liefen. Er brauchte sich doch dafür nicht zu schämen. Jetzt, genau in diesem Moment, war ich mir so sicher, dass ich den Richtigen heiraten würde. Nachdem er überlegt hatte, landeten seine Schuhe unachtsam in einer Ecke und er kroch unter die Decke zu mir. Die angenehme Dunkelheit hüllte alles in Schweigen, sodass sich keiner von uns beiden traute, etwas zu sagen. Wir lagen einfach nur eng umschlungen da und genossen die Gegenwart des Geliebten.
Als ich das nächste Mal aufwachte, lagen wir immer noch genauso, wie wir eingeschlafen waren, im Bett. Als Kyron bemerkte, dass ich aufgewacht war, begann er mit seinen Fingern über meinen Nacken zu streichen. Dann begann er mich dort zu küssen. Ein wunderbares Gefühl durchzog meinen ganzen Körper, doch als ich mich zu ihm umdrehen wollte, musste ich aufstöhnen. Jeder Muskel meines Körpers schmerzte höllisch. „Dreh dich auf deinen Bauch, ich kenn da etwas, was helfen wird“, flüsterte er mir ins Ohr, um die Stille nicht allzu sehr zu stören. Dann zog er mir das T-Shirt aus, um gleich danach eine kühlende Flüssigkeit auf meinen Rücken zu tröpfeln. Mit seinen großen Händen begann er mich zu massieren. Tat das gut. Ich konnte mich richtig gut entspannen. Dann zog er meine Jogginghose nach unten und begann auch meine Beine einzucremen. Jetzt lag ich nur noch in Unterwäsche vor ihm, aber es störte mich nicht. In einer Woche und einem Tag würden wir eh verheiratet sein. Das gleiche dachte er sich wohl auch, als sich seine Hände auf Wanderschaft begaben. Als ich mich dieses Mal zu ihm umdrehte, schmerzte mein Körper nicht mehr so sehr, die Massage hatte wirklich geholfen. Kyron legte seine Hand unter mein Kinn, dass ich ihn bei Licht direkt in die Augen geschaut hätte. Sanft küsste er mich. In diesem Kuss konnte ich alle Angst und Sorgen um mich spüren. Die Frage, was passiert war, ließ sich jetzt nur noch mit Mühe unterdrücken. Zum einen genoss ich die Zärtlichkeiten, die er mir entgegen brachte, aber ich wollte auch unbedingt wissen, warum er solche Angst um mich gehabt hatte. „Kyron“, flüsterte ich.
„Ja“
„Warum hattest du solche Angst um mich?“
„Ich wusste ja, dass du Kräfte hast, die keiner vor dir besaß, aber du kannst sie noch nicht kontrollieren“
„Ich verstehe das nicht“
„Mächtige Vampire können sich mit ihrem Schwert verbinden und Energie aus ihrer Umwelt ziehen, genau das hast du getan. Nur hast du es nicht absichtlich getan. Die Wut, die du gespürt hast – sogar ich habe sie gespürt – hast du deinem ersten Gegner genommen und gegen deinen zweiten Gegner eingesetzt. Die Drachen deines Schwertes haben beide verglühen lassen“
„Aber…Ich kann nicht glauben, dass ich das war“
„Es tut mir leid. Ich habe deinem Schwert gewissen Fähigkeiten gegeben, von denen ich dachte, dass du sie sicherlich noch nicht aktivieren könntest. Ich hatte mich getäuscht. Aber du darfst das erst wieder tun, wenn du weißt, was du tust. Du hättest daran sterben können“
„Warum hätte ich daran sterben können?“
„Weil es dich am Schluss zu viel Kraft gekostet hat, du konntest es sozusagen nicht einfach abstellen. Trajan, dein Lehrer, wird es dir noch beibringen, es war heute einfach zu früh. Für heute habe ich dich von allen Trainingseinheiten befreit, denn du bist noch zu schwach“
„Es tut mir leid, ich wollte das nicht“
„Ach Süße, du kannst doch nichts dafür. Ich bin schuld, ich hätte damit rechnen müssen. Sie wollen dich unbedingt“
„Ich will bei dir bleiben…für immer“
„Ich auch. Eigentlich hättest du mein Blut erst bei der Hochzeit trinken sollst, aber so wirst du schon jetzt eine besondere Bindung zu mir haben. Du wirst erahnen können, was ich denke, so geht es mir zumindest mit dir“
„Ich liebe dich und ich weiß, dass du das gleiche denkst. Es macht mich glücklich“
„Dann weißt du ja sicherlich auch, dass ich gerade vor Glück nur noch grinsen kann. Fühlst du dich dazu bereit, heute Abend meinen Vater und meinen Bruder kennen zu lernen?“
„Gerne“
Dann küsste ich ihn leidenschaftlich.
6
Zolei
Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass das heute Abend – nun ja, es war eher schon Nacht (24 Uhr) – ein kleines Familienessen sein sollte, aber als Kyron mir ein Abendkleid hinlegte, wusste ich, dass dem nicht so war. Er selbst hatte einen grau-melierten Anzug mit einem schwarzen Hemd, aber ohne Krawatte, an und sah einfach umwerfend aus. Eigentlich wäre ich viel lieber mit ihm auf unserem Zimmer geblieben, aber man sollte seine künftigen Schwiegereltern nicht warten lassen. Das hellblaue bodenlange Kleid harmonierte mit meiner Augenfarbe, was Kyron bei der Auswahl wohl auch beabsichtigt hatte. „Wunderschön, meine Kleine! Eigentlich würde ich lieber hier bleiben…Du weißt schon“, sagte er mir grinsend. Wir hatten eindeutig den gleichen Gedanken gehabt, aber das wollte ich auf keinen Fall zugeben, also antwortete ich: „Das kann ich mir gut vorstellen. Doch deine Familie ist schließlich wichtiger und ich will nicht gleich beim ersten Mal einen schlechten Eindruck hinterlassen.“ „Na gut, du hast mich überredet. Lass uns gehen“, war wiederum seine Antwort darauf. Langsam hatte ich das Gefühl, mich wenigstens annähernd etwas auszukennen. Als sich Kyron jetzt nach rechts wandte, war es für mich keine Überraschung. Ein kleiner Erfolg. Dann allerdings bogen wir nach etwa fünf Minuten in einen Gang ein, den ich vorher noch nie bemerkt hatte, was bei der immensen Anzahl derer auch kein Wunder war. Wieder einmal stand ich sprachlos vor einer mindestens 4 Meter hohen Tür, die mit wunderschönen Schnitzereien verziert worden waren. Ich konnte nicht anders und musste mit der Hand darüber streichen. Als meine Finger auf einer Figur zum Stehen kamen, spürte ich, wie ein elektrischer Schlag meinen Körper durchzuckte – als hätte ich an einen Weidezaun gelangt. Mein überraschtes und schmerzverzerrtes Gesicht war wohl ein Rätsel für Kyron, da er mit seinen Augen zu fragen schien, was denn los sei. Doch ich schüttelte nur den Kopf, vielleicht hatte ich mir das ja nur eingebildet. Wie sollte sonst so etwas geschehen? Sanft strich ich über meine Fingerkuppen. Fühlte sich irgendwie seltsam an. Als Kyron die Tür öffnete, versuchte ich möglichst glücklich zu schauen, allerdings merkte mir Kyrons Mutter wohl die Nervosität an.
Cerea kam sofort auf mich zu und nahm mich in den Arm, dabei flüsterte sie leise, dass nur ich es hören konnte: „Du brauchst keine Angst vor den anderen haben.“ Dankbar dafür legte ich meine Finger in ihre offene Hand. Die selbe Kälte, die ich auch am Tag vorher auf der Couch liegend gespürt hatte, durchzog mich jetzt. Es beruhigte mich, fühlte sich gut an. Dann löste ich mich von Cerea und stellte mich wieder neben Kyron, der mir sicherlich alle vorstellen wollte.
„Zolei, das ist mein Vater Aton“, sagte er, als sich uns ein gut gebauter, äußerlich 50-jähriger Mann näherte. Ich schüttelte ihm die Hand und begrüßte ihn: „Hallo, ich bin Zolei.“ „Schön, dass ich dich endlich mal kennen lernen darf, sowohl Kyron als auch meine Frau haben schon so von dir geschwärmt“, sagte er zu mir. Bei diesem überschwänglichen Lob begann sich mein Gesicht rot zu färben. Direkt neben Aton stellte sich ein Mann, der mich in seinem Aussehen sehr an Kyron erinnerte. „Darf ich mich vorstellen. Ich bin Telon, Kyrons Bruder“, warf dieser frech in die Runde. „Hey“, mehr wusste ich nicht zu sagen und streckte ihm meine Hand entgegen. Er griff danach, aber nur um mich ganz zu sich heran zu ziehen. „Ich darf doch wohl meine zukünftige Schwägerin umarmen, oder stört es dich?“, fragte er etwas leiser. Langsam schüttelte ich den Kopf. Dann ließ er mich wieder los und ich stellte mich neben Kyron. Dieser legte gleich besitzergreifend seinen Arm um meine Taille. Er hatte wohl nicht immer das beste Verhältnis zu seinem Bruder gehabt, zumindest hatte ich dieses Gefühl. Aus einer kleineren Tür am Ende des großen Raums kam eine Frau mit einem Tablett voller Gläser herein. Diese kurze Unterbrechung verschaffte mir Zeit, mich hier erst einmal umzusehen: Es war der erste Boden, der nicht mit einem Teppich bedeckt war, stattdessen war hier (bestimmt) sehr teurer roter Marmor verlegt worden. In der Mitte stand ein noch größerer Tisch, als der im Frühstücksraum. In der einen Ecke standen zwei rote Sofas, die wunderbar mit dem Boden harmonierten. Die verdunkelte Fensterfront wurde von einem schwer wirkenden ebenfalls roten Vorhang eingerahmt. Hinter mir tat sich die große Tür auf und ein ganzer Schwall von Vampiren trat laut redend ein. Cerea nahm sich ein Glas von der Bediensteten und erhob es. Sofort wurde es still. Ihr Gesicht strahlte in diesem Moment einfach nur Kälte und Disziplin aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass auch nur ein hier Anwesender es gewagt hätte, etwas zu sagen. Auch ich fühlte mich ganz klein, so kannte ich sie gar nicht. Dann begann sie mit einer kleinen Festrede: „Liebe Gäste, ich freue mich sehr Sie heute alle hier zu begrüßen. Es gibt einen Grund, weshalb wir uns hier versammelt haben. Ich darf stolz verkünden, wenn Sie es nicht schon mitbekommen haben, dass mein Sohn Kyron und Zolei am nächsten Sonntag heiraten werden. Dazu möchte ich Sie auch alle herzlich einladen. Und nun setzten Sie sich doch und lassen sie uns etwas trinken.“ Ich war froh darüber, dass sie keine fünf Minuten für ihre Ansprache brauchte und ihre liebevollen Züge zurückgekommen waren. Erst als sich Kyrons Eltern, sein Bruder und wir uns gesetzt hatten, folgte der ganze Rest. Die Familie hatte wohl einen besonderen Stellenwert. Stimmt, ich hatte wirklich fast vergessen, dass Kyrons Vater sozusagen der Urvater aller Vampire war. Zwei weitere Bedienstete stellten jeder Person ein Glas mit der roten Flüssigkeit hin. Nachdem man angestoßen hatte, wurde getrunken. Neben mir saß Kyron, gegenüber dessen Bruder und rechts von mir – am kurzen Tischende – seine Eltern. Neben Telon war ein Platz freigelassen worden. Würde noch jemand kommen?
Wir saßen kaum zehn Minuten um die große Tafel, als an der Tür geklopft wurde. Aton verdrehte die Augen (er schätze es wohl nicht, gestört zu werden) und rief mürrisch: „Was ist denn?!“ Sofort wurde die Tür aufgerissen und zwei Gestalten in Rüstung rannten auf das Oberhaupt zu. Dessen Augen weiteten sich, je mehr ihm ins Ohr geflüstert wurde. Als die Wachen das Speisezimmer verließen, flog sein Faust krachend auf den Tisch. „Kyron, Telon zieht euch um und versammelt eure Männer. Cerea, du nimmst Zolei mit. Alle andern machen sich zum Kampf bereit!“, schrie er kurz angebunden in die Runde und fügte hinzu: „SOFORT!“
Kaum war er fertig, rannten alle panisch aus dem Raum. Cerea griff nach meiner Hand und zog mich mit sich. Was war denn überhaupt los? Warum waren alle so panisch? „Cerea….Cerea…was..“, brachte ich gerade so hervor, denn ich war völlig außer Atem wegen des Spurts, den wir gerade hinlegten. „Jetzt nicht!“, schrie sie und rannte weiter. Nach einer gefühlten Ewigkeit stoß Cerea eine Tür vor uns auf. Nachdem ich eingetreten war und mich auf den Boden hatte fallen lassen, verriegelte sie die Tür. Sie legte ihre Hand auf das kalte Eisen der Tür (verwunderlich, dass es kein Holz gewesen war), murmelte etwas und die Pforte verschwand. Es musste an meinem Zustand legen, dass da keine Tür mehr war. Erschöpfungserscheinungen. So etwas gibt es nicht! Aber wer konnte das schon genau wissen? Vampire gab es ja eigentlich auch nicht, dachte ich jeden falls immer. Als ich eine kalte Hand auf meiner Stirn fühlte, wurde ich komplett aus meinen Gedanken gerissen. „Zolei, atme tief durch. Gut so. Wir müssen einen Informant in unseren Reihen gehabt haben, denn sonst konnte keiner wissen, dass wir heute die Verlobung bekannt geben und deshalb kaum Wachen postiert waren. Den werde ich finden“, sagte sie zu mir. „Aber was ist denn überhaupt los? Warum sind wir hier her gerannt?“, fragte ich, denn im Moment verstand ich noch gar nichts. Cerea holte sichtlich Luft und fing an zu erklären: „Kyron hat dir vielleicht schon erzählt, dass du besondere Kräfte in dir hast. Du hast ja schon einen Teil deiner Fähigkeiten kennen gelernt, als ihr im Wald überfallen wurdet. Deshalb sind wir auch sehr froh, dass du dich für Kyron entschieden hast und zu einer von uns geworden bist. Allerdings gibt es noch mehr nunja Personengruppen, die Interesse an dir haben und alles dafür tun würden, dich zu entführen. Aber hier sind wir ziemlich sicher, ich denke, sie werden uns nicht finden.“ Während sie dies sagte, knetete sie nervös ihre Finger, was nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit ihrer Worte beitrug. Ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Wer waren denn bitte diese „Personengruppen“? Der Gedanke jedoch, der mir am meisten Sorgen machte, war folgender: Woher konnte ich wissen, dass die Vampire nur das Beste für mich wollten und mich nicht benützen würden? In meinem Kopf wüteten die Gedanken, bis Cerea zu sprechen begann: „ Ich weiß, dass du Zweifel haben musst. Vielleicht sollte ich dir etwas über deine Abstammung erzählen, damit du das hier alles besser verstehen kannst. Schon seit Anbeginn der Zeit gab es Menschen, die im Einklang mit der Natur lebten. Sie können die Energie aufnehmen und für sich nutzen. Das bringt aber gleichzeitig auch eine große Verantwortung mit sich, deshalb ging man später dazu über nur die Besten einer jeden Familie auszubilden. In der heutigen Zeit kennt kaum jemand noch diese Fähigkeiten und ausgebildet werden sie auch nicht mehr, trotzdem besitzen sie noch einige. Zum Beispiel du und ich! Deshalb werde ich dich darin ausbilden. Soweit zu deiner Blutlinie deiner Mutter. Aus väterlicher Sicht bringst du aber auch besondere Fähigkeiten mit. Du wirst eine richtige Schwertkämpferin werden, wenn dein Lehrer mit dir fertig ist. Viele glauben, dass es dabei nur auf das richtige Training ankommt, aber dem ist nicht so. Du musst auch eine bestimmte Begabung mit bringen, um so gut zu werden. Da du jetzt ein Vampir bist, wirst du schneller, kräftiger und ausdauernder sein als alle anderen. Glaube mir, du wirst mächtig sein und deshalb wirst du auch die Königin aller Vampire werden, wenn ich mich zu Ruhe setze. Du musst nur hart an dir arbeiten und dir wird keiner etwas antun. Männer werden keine Chance gegen dich haben. Kein einziger! Nicht einmal dein Mann!“ Ihr Gesichtsausdruck machte mir Angst, denn er war immer verbissener geworden. Ihre Stimme schwoll während der Rede an und die letzten Worte schrie sie mir förmlich ins Gesicht.
Bis gerade eben war mir Cerea sehr sympathisch gewesen, jetzt hatte ich Angst vor ihr. Ich nickte nur in ihre Richtung und tat dann so, als würde ich mich in dem Raum umsehen. Tatsächlich gingen mir aber ganz andere Dinge durch den Kopf, es war wieder einmal alles so verwirrend. Ich sollte also besonders gut mit dem Schwert umgehen können. Davon hatte ich bis jetzt noch nichts gemerkt, insgesamt war Sport wohl eh nicht so meine Sache. In der Schule wurde ich immer als Letzte gewählt. Das heißt, dass das Training noch anstrengender werden würde. Wollte ich das überhaupt? Diese Frage schoss mir andauernd durch meine Gedanken…Wollte ich das überhaupt? Würde Kyron mich auch heiraten, wenn ich das Training verweigern würde? Wahrscheinlich nicht. Diese Antwort trieb mir in ihrer Klarheit die Tränen in die Augen, doch ich bemühte mich, nicht zu weinen. Ich atmete noch einmal tief durch und beschloss an etwas anderes zu denken. Okay, da wäre ja noch die Blutlinie meiner Mutter. Es gab also anscheinend eine Kraft, die aus der Natur bezogen werden konnte. Echt abgefahren, ob das überhaupt so stimmte?
Auf einmal durchzuckte mich ein stechender Schmerz und der Name „Kyron“ drang in mein Bewusstsein. Ihm musste etwas passiert sein, wie sonst sollte man das erklären können? Ich musste sofort zu ihm und ihm helfen. Kyron durfte nichts geschehen. „Cerea, du musst mich sofort hier raus lassen, irgendetwas ist mit Kyron. Mach schon!“, schrie ich sie an, doch Cerea machte keine Anstalten, die Tür erscheinen zu lassen. „Cerea! Nun mach schon!“, schrie ich immer wieder. Doch sie schüttelte nur eiskalt mit ihrem Kopf. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein? Es ging um ihren Sohn, der vielleicht gerade da draußen starb. Voller Entsetzen stütze ich mich mit meinen Händen an einer der Wände ab und begann hemmungslos zu weinen. Ich konnte nur noch an ihn denken. „Kyron, halte durch“, sendete ich ihm durch meine Gedanken und hoffte, er würde es spüren. Ich muss hier raus und zwar sofort, dessen war ich mir bewusst. Meine Verzweiflung wich und ich spürte nur noch Wut auf Cerea. Wie konnte eine Mutter so kalt sein? Ich ballte meine Hand zur Faust und drückte solange zu, bis sich die Fingerknöchel weiß abzeichneten. Eine Flamme loderte in mir und würde bald zu einem alles verzehrenden Brand werden. Cerea würde mich nicht daran hindern, meinem Verlobten zur Hilfe zu kommen. Ein Schrei, der meinen Zorn nach außen trug, tönte durch die Stille des Zimmers. Die Linien auf meinen Armen wurden sichtbar, obwohl Kyron gar nicht anwesend war, und breiteten sich bis zu meinem Hals aus. Jetzt konnte ich auch die Tür direkt vor mir erkennen und riss sie auf. Dann rannte ich, als würde es um mein eigenes Leben gehen. Kein einziges Mal sah ich mich nach Cerea um, denn ich hatte Wichtigeres zu tun. Intuitiv rannte ich durch das Gewirr der Gänge. Ich wusste genau wohin ich musste, aber im Nachhinein könnte ich niemanden sagen, wo ich genau war. Links tauchte jetzt der Trainingsraum mit dem Umkleiden und somit auch mit meinem Schwert auf. Nachdem ich den Spint geöffnet hatte, zog ich nur das kühle Eisen hervor, um die Rüstung anzuziehen war einfach zu wenig Zeit, aber mein Kleid musste ich gegen Hose und Shirt eintauschen.. Das Schwert lag schwer in meiner Hand, aber es gab mir Sicherheit. Außerdem schaffte es mein inneres Feuer zu ersticken und so wich der Wut die Ernsthaftigkeit, Kyron retten zu müssen. Ich konnte eine ungeahnte Kraft durch meine Adern fließen spüren. Keiner würde mich in diesem Moment aufhalten können, dessen war ich mir sicher. Sofort rannte ich wieder los, um in der Schlacht um die Burg mitzukämpfen. Als ich auf dem Platz vor der Burg stand, konnte ich einen wunderschönen Vollmond sehen, was unweigerlich dazu führte, dass ich Blutdurst verspürte. Wie in Zeitlupe schritt ich durch die noch wartenden Reihen, die man im Inneren hinter den Burgmauern hatte warten lassen. Kampfgeschrei drang von außen zu uns herein. Ich würde jetzt diese Armee anführen, um Kyron zu retten. Ich spürte alle Blicke der Krieger, vor welchen ich Barfuß stand, auf mir, denn ich gab wohl ein mystisches Bild. Die Linien, die jetzt die Form von Flammen hatten, loderten an allen sichtbaren Stellen. Mit dem Schwert gab ich den Soldaten das Zeichen, mir zu folgen. Nach kurzem Zögern rannten sie mir alle nach, obwohl sie es wohl nicht gewohnt waren, einer Frau zu gehorchen. Doch in der Schlacht waren wir alle gleich, es ging für jeden von uns ums Überleben. Auf mein Kommando wurde das schwere Burgtor geöffnet. Meine Kohorte drang durch die Öffnung nach außen, um ihren Brüdern zur Hilfe zu kommen. Ganz an der Spitze stand ich. Für einige Sekunden schienen die Kämpfe still zu stehen, so verwundert war jeder, mich hier zu sehen. Dann jedoch schlugen meine Männer mit voller Gewalt zu. Ich schloss kurz die Augen, atmete tief ein, um gleich darauf die ersten Gegner nieder zu strecken. Die Drachen, die am Heft des Schwerts angebracht waren, schlossen sich wieder einmal eng um meine Hand. Ich war eine Einheit mit meinem Schwert. Wieder schnitt die Klinge mit einer Leichtigkeit durch eine angreifende Gestalt. Im Mondlicht konnte ich eine entstellte Figur erkennen, mehr jedoch nicht. Was waren das für Kreaturen? Egal, dafür war jetzt keine Zeit. Ich konnte den Lufthauch spüren, als irgendjemand hinter mir sein Schwert zum Schlag erhob. Im letzten Moment konnte ich einen Schritt nach links machen. Er schlug daneben und sein Schwert bohrte sich tief in den Boden. Voller Angst rannte er davon, peinlich! Aber ich hatte keine Zeit ihm zu folgen. Nächsten Schlag parieren, angreifen. Ich spielte nur noch automatisch meine gelernten Bewegungen ab ohne dabei nachzudenken. Beim nächsten Gegner sollte es jedoch schwieriger werden. Wir standen uns gegenüber. Er starrte mich mit seinen eisblauen Augen an, dann verzog er seinen Mund zu einem Grinsen. Er war keiner, der sofort angriff. Er wollte mich „lesen“ – wollte vorher wissen, was ich tun würde. Die Welt schien wieder einmal in dieser Nacht still zu stehen. Ich würde nicht als erste angreifen. Mein Schwert zeigte direkt auf seine Kehle, aber würde ich schnell genug sein, denn seine Klinge schwebte bedrohlich über seinem Kopf. Es war zu gefährlich, denn ich hatte keine Rüstung an. Sein Handgelenk. Das würde mein Ziel sein. Ich musste doch als erstes angreifen, denn ich musste Kyron retten. Deshalb schoss ich nach vorne und versuchte sein Handgelenk zu erwischen, doch im selben Moment zog er sein Schwert nach unten. Ich konnte mich gerade im letzten Augenblick zur Seite drehen, doch jetzt hatte er seinen starken Arm um meinen Hals gelegt. Dann konnte ich etwas Seltsames spüren, denn mein blaues Feuer nahm von meinem Gegner besitz und bescherte ihn einen brennenden Schmerz. Mit einem lauten Schrei ließ er von mir ab, was meine Chance war, ihm einen Todesstoß zu geben. Es war knapp, zu knapp.
In einiger Entfernung sah ich Kyron legen. Sofort rannte ich los. Alle, die sich mir in den Weg stellten, starben eines schnellen Todes. Daneben schlagen lassen, selbst zu stechen. Noch 150 Meter, dann würde ich ihn erreicht haben. Schlag parieren, meine Drachenklinge auf den Gegner niedersausen lassen. Dann war ich endlich bei Kyron. Er hatte eine große, stark blutende Wunde an seinem rechten Bein und etliche kleinere Blessuren am ganzen Körper. Doch voller Verwunderung brachte er hervor: „Was machst du denn hier? Du solltest bei meiner Mutter in Sicherheit sein!“ Vorsichtig legte ich ihm meinen Finger auf dem Mund, damit er seine Kräfte nicht weiter verschwendete und setzte zu einer Antwort an: „ Ich habe gespürt, dass du meine Hilfe brauchst.“ Cerea hatte gesagt, dass ich meine Kraft aus der Natur ziehen könnte, also musste es hier draußen doch funktionieren. Ich musste Kyron heilen, denn tragen konnte ich ihn auf keinen Fall. Voller Verzweiflung legte ich meine Hände um die Wunde und schloss die Augen. Feuer! Wieder sah ich dieses heiße, alles vernichtende Feuer. Beim Ausatmen versuchte ich meine ganze Energie zu meinen Händen zu lenken, was Kyron mit einem Aufschrei quittierte. Entsetzt riss ich meine Augen wieder auf. Hatte ich ihm weh getan? Doch dann sah ich, dass sich die Wunde zu schließen begann. Erleichtert sah ich ihn an und gab ihm schnell einen Kuss. „Jetzt müssen wir unsere Männer unterstützen. Komm mit“, sagte ich zu ihm und riss ihn dabei auf die Füße.
Vorhin hatte ich nur am Rande der Schlacht gekämpft, jetzt stürzte ich mich mit Kyron mitten hinein. Als ihn seine Männer sahen, konnte man die neugewonnene Kraft richtig sehen.
Der Erste stürmte auf mich zu. Kehle. Er war nicht in der Mitte. Er musste sofort spüren, was das bedeutete. Der Nächste. Bein. Seinen ersten Schlag parierte ich. Er holte das zweite Mal aus, ich drehte mich weg. Daneben. Mit einem Stich in sein Bein war auch er kampfunfähig. Der Schweiß stand auf meiner Stirn und lief über mein Gesicht. Jemand kam von hinten. Ich drehte mich um. Ließ mich auf die Knie fallen. Kampfunfähig. Alles ging so schnell. Dann wurde ein Horn geblasen. Was hatte das zu bedeuten? Ich wollte wieder zu einem Schlag ausholen. Doch mein Gegner rannte davon. Schon wieder so einer. Als ich nach rechts und links blickte, rannten alle feindlichen Soldaten in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Wir hatten gewonnen. WIR HATTEN GEWONNEN! Voller Freude gaben meine Knie nach und ich saß auf der kalten Erde. Mein Gesicht gen Himmel schrie ich meine Erleichterung heraus. Kyron hatte seine Hand auf meine Schulter gelegt. Alle Soldaten hatten sich uns zugewandt und streckten ihre Schwerter in die Höhe. Wir hatten gewonnen. Mit letzter Kraft erhob ich mich. „Danke“, schrie ich den tapferen Kämpfern entgegen. Wir hatten gewonnen. Kyron und ich liefen voraus in die Burg. Nun war die Zeit der anderen Frauen gekommen, die die Verwundeten versorgen und die toten Feinde verbrennen mussten. Bei Vampiren blieb nach dem endgültigen Tod keine Leiche zurück. Sie gingen zurück zu ihrer Mutter Natur. Es gab nichts Besseres für Vampire, als die kühle Erde um sich zu spüren und den Vollmond über sich zu haben. Auch heute hatte uns die Natur ihre Kraft geliehen, besonders mir. Als Kyron und ich beim Joggen angegriffen wurden, hatte sie mir schon geholfen, aber ich hatte es nicht kontrollieren können. Dieses Mal war es anders. Ich hatte gewusst, dass ich in eine Schlacht ziehen würde und deshalb konnte ich meinen Zorn verdrängen. Ich hatte ein anderes Gefühl dabei, ich kann es einfach nicht beschreiben. Es war unglaublich! Die Burgtore, die während des Kampfs geschlossen waren, schwangen auf, damit wir ins Innere gelangen konnten. Jubelnd wurden wir von dem Rest der hier lebenden Bevölkerung empfangen. Wir hatten es tatsächlich geschafft! Ich konnte diesen Satz noch gar nicht glauben. In einer der hinteren Reihen konnte ich Cerea erkennen, die sich sofort einen Weg zu uns bahnte. An ihrem Blick konnte ich nicht erkennen, ob sich mir am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte oder froh war, dass wir beide gesund zurückgekehrt waren. Mit einem Nicken gab sie uns zu verstehen, ihr zu folgen.
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Zolei
Als ich beim Laufen an mir herunter sah, wusste ich, dass ich dringend eine heiße Dusche benötigte. Überall klebte Dreck und Blut an mir und auch ich hatte kleinere Wunden davon getragen. Aber wenn die Königin aller Vampire uns zu sich ruft, konnte man sich nicht widersetzen. Kyron und ich kamen in einen kleineren Raum, in dem bereits zehn Personen warteten – ich kannte nur Kyrons Vater. Die meisten sahen genauso schlimm aus wie wir. Auf einem Tisch in der Mitte des Raums war ein 3D-Modell der Landschaft aufgebaut worden. Aton begann zu sprechen: „Die Lage ist ernst. Wir konnten gerade ebenso den Feind besiegen. Außerdem müssen wir rund 100 Vampire beklagen, das sind eindeutig zu viele! Wir werden neue Allianzen schmieden müssen, damit wir einen Rachefeldzug planen können und wir werden alle verfügbaren Streitkräfte hier um die Burg versammeln.“ Dann wandte er sich dem Model zu und erklärte, dass die H’pzeta, die uns angegriffen hatten, von Westen her über das Nefergebirge gekommen waren. Von Norden her gab es kein anderes Volk mehr, denn die Vampirburg lag hier nur wenige Kilometer von der Küste entfernt. Im Süden gab es Wölfe (was auch immer damit meinte, Werwölfe?!) und vom Osten ein Volk, dessen Namen ich nicht richtig verstanden hatte. Ich würde Kyron später noch genauer deswegen fragen. „Ich werde einen Boten zu den Wölfen schicken, mit ihnen wäre eine Verbindung am erfolgversprechendsten. Die Menschen dürfen auf keinen Fall von unseren Machenschaften Wind bekommen, ansonsten versuchen sie wieder, alle Probleme mit einer Atombombe zu lösen. Als sie das schon einmal probiert hatten, war danach die komplette Natur kaputt“, betonte Aton. Die Menschen hatten eine Atombombe in diese Gegend abgeworfen?! Bis vor einigen Tagen wusste ich nicht einmal, dass es das Ganze hier überhaupt gab. Aber in der Regierung musste wohl jemand davon gewusst haben. Immerhin beruhigend, dass die Bombe wohl nur die Natur, nicht aber die verschiedenen Völker zerstört hatte. Ich meldete mich zu Wort: „ Aber die Menschen haben doch auch andere moderne Waffen, warum können sie uns nicht helfen?“ Auf diese Frage erntete ich nur einige belustigte Lacher, doch Aton versuchte es mir zu erklären: „ Diese Waffen sind wirkungslos und unehrenhaft. Wir kämpfen Mann gegen Mann! Außerdem kannst du alle hier lebenden Wesen nur durch ein Schwert aus einer bestimmten Silberlegierung töten, es gibt keinen anderen Weg, doch die Menschen haben das noch nicht begriffen.“ Konnte das wirklich so stimmen, oder wollten es die Vampire einfach nur so glauben? Naja, ich musste es nicht unbedingt selbst herausfinden. „ Wir brauchen mehr Jungvampire, damit wir eine größere Armee aufbauen können. Wir müssen mindestens noch 5 weitere Kohorten aufstellen können und ich würde mich nicht unbedingt auf die Wölfe verlassen“, sagte ein großgewachsener, blutbeschmierter Hüne, der direkt neben Aton stand. Ein anderer pflichtete ihm bei: „Du hast Recht, wir brauchen mehr Leute, sie sollten am besten schon im Nah- und Schwertkampf ausgebildet sein. Aton, lass uns 400 Vampire ausschicken, damit das erledigt wird.“ Sie wollten wirklich in kürzester Zeit 2000 neue Vampire schaffen. Wo sollte man denn so viele Menschen herbekommen, die das auch wollen würde. Man würde sie wahrscheinlich nicht fragen, ob das für sie in Ordnung wäre…zumindest brannte sich dieser Gedanke in mein Gehirn. Aton schien nachzudenken, dann antwortete er: „Ja, schickt eure besten Männer aus. Leise und schnell müssen sie sein. Die Flugzeuge stehen in Port Prean bereit.“ Damit war die Versammlung beendet und Kyron zog mich mit sich. In einiger Entfernung sagte er: Dusch dich, in einer halben Stunde werden wir aufbrechen.“ „Mo…Mo…Moment mal“, brachte ich stotternd hervor. „Heißt das, dass wir da auch mitgehen? Ist das nicht gefährlich und ich hab das doch noch nie gemacht!“, versuchte ich ihn zu überzeugen. „Du hast auf dem Schlachtfeld gezeigt, was du kannst. Wir brauchen gute Leute, du bist gut. Du wirst mitkommen und jetzt beeil dich“, waren seine letzten Worte, die keinen Widerspruch duldeten. Mit einem tiefen Seufzer ergab ich mich meinem Schicksal, was hätte ich auch sonst tun sollen? Im Zimmer nahm ich gleich die Tür zum Bad. Während ich mich meiner Klamotten entledigte, merkte ich, dass jeder noch so kleine Muskel schmerzte. Wie eine Wohltat prasselte dann das heiße Nass auf meine Schultern und lief an meinem Körper entlang. Die ganze Last fiel von mir ab und verschwand im Abfluss wie das dreckige Wasser. Zum ersten Mal konnte ich wieder einen klaren Gedanken fassen. Die nächsten Wochen würden anstrengend werden und wenig Zeit für Kyron und mich übrig lassen. Auch die Hochzeit würde wohl auf später verschoben werden, was ich nicht unbedingt schlecht fand. Es war wohl sogar das einzig Gute an der Sache. Mit einem unbeschreiblich frischem Gefühl und voller neuem Elan, drehte ich das Wasser ab und begann mich mit dem blutroten Handtuch, dass ich mir über die durchsichtige Duschkabine gelegt hatte, abzutrocknen. „Hunger“, schrie meine Magengegend. Wenn ich mich jetzt beeilen würde, hätte ich hoffentlich Zeit, noch einen Happen zu mir zu nehmen, bzw. eher einen Schluck. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich komplett vergessen hatte, frische Klamotten mit in das Badezimmer zu nehmen. Somit musste ich mir das Handtuch umwickeln und in das Hauptzimmer laufen. Von Kyron war aber nichts zu sehen, also schnappte ich mir die Flasche mit der roten Flüssigkeit, die auf meiner Nachtkonsole stand und begab mich in meinen begehbaren Kleiderschrank. Was zog man wohl zu so einem Anlass an? In meinem Lieblingsfilm, in dem es zufällig über Vampire ging, hatte die Protagonistin immer enge Leder- oder Latexklamotten an. Machte auf jeden Fall eine gute Figur und so etwas Ähnliches hatte ich ja auch während des Trainings angehabt. Aber würde ich dergleichen in meinem Schrank finden? Vielleicht hatte Kyron ja was für mich eingekauft. Ich öffnete Schublade für Schublade und konnte tatsächlich in einer der letzten eine schwarz glänzende Hose finden. Es dauerte seine Zeit, bis ich in dieses Teil reinkam, dafür saß sie aber auch wie eine zweite Haut. Ich war regelrecht begeistert von diesem Material, was auch immer es genau war. In der Kiste direkt unter der mit den Hosen, fand ich noch ein Shirt aus dem gleichen, schwarzen Material. Auch er saß wie angegossen, einfach perfekt. Jetzt fehlte nur noch ein Korsett, wo würde ich davon eines finden? Auf einem Kleiderbügel gegenüber fand ich das Gesuchte, welches mit drei Schnallen geschlossen werden konnte. Fertig! Kyron würde bestimmt gefallen, was er sehen würde. Glücklich wie ein kleines Kind kam ich wieder in das Zimmer und hoffte, dass Kyron schon wieder da sein würde. Tatsächlich stand auch er fertig geduscht und angezogen am Bett, auf welchem er verschiedene Rüstungsteile ausgebreitet hatte. Er drehte sich zu mir um und sagte: „ Ja, da hab ich das richtige ausgesucht. Zieh diese Stiefel an, wir haben nur noch zehn Minuten. Eine Tasche habe ich für dich schon gepackt, ach und schnall dein Schwert um, reinigen kannst du es dann im Auto.“ Wortlos packte ich mir das Schwarze Schuhwerk, welches ziemlich abgefahren aussah. Vorne waren drei silberne, rautenförmige Platten angebracht worden, die noch einmal extra mit Schnallen festgestellt werden konnten. Der Rest des Schuhs bestand aus dickem Leder, hatte tiefes Profil (somit auch einen etwa 5 cm hohen Plateauabsatz) und konnte mit einem Reißverschluss geschlossen worden. Mit meiner rechten Hand griff ich nach dem Schwert, mit der linken nach dem dazu gehörenden Gurt, an dem schon die Scheide befestigt war. Das Schwert war wirklich ziemlich dreckig und musste dringend sauber gemacht werden, ich würde es sofort im Auto machen. Doch zunächst musste es wieder in seine Scheide und ich war fertig zur Abreise. Kyron warf mir einen Seesack zu und verließ bereits eilig das Zimmer. Ich hatte Probleme ihm mit diesen neuen und nicht eingelaufenen Schuhen zu folgen. Beherzt griff ich nach seiner Hand, damit ich ihn etwas bremsen konnte. Kyron grinste mir frech zu und zog mich dann doch eher mit sich.
8
Auf dem Innenplatz der Burg wartete bereits eine Kohorte auf uns und folgte uns zum Tor. Außerhalb warteten mehrere Lastwagen, in welche sich sofort die Soldaten setzten. Daneben stand noch ein kleineres Fahrzeug, welches ziemlich robust aussah, welches für Kyron und mich gedacht war. Nachdem ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, fuhr Kyron mit quietschenden Reifen an und raste die enge Straße hinunter. Wir ließen das Dorf hinter uns und bogen auf eine Autobahn Richtung Port Prean ab, die Kolosse waren immer direkt hinter uns. In 120 km würden wir unser Ziel erreicht haben, das war also genug Zeit, um mein Schwert von dem Gestank des Gemetzels zu befreien. Kyron, der schon wieder geahnt hatte, was ich dachte, sagte: „Ich hab alles in deine Tasche.“ Ich griff nach dem Sack und zog ganz oben eine schwarze Schatulle heraus. Darin befand sich ein weiches Tuch und ein in Öl getränkter Lappen, der extra in einem Plastikbeutel verpackt war. Ich nahm zuerst das weiche Tuch und machte es mit Wasser, das ich aus einer Wasserflasche aus meinem Gepäck hatte, nass. Sorgfältig begann ich das Blut von der Klinge zu waschen, immer drauf bedacht, mich nicht selbst zu verletzen. Langsam kam das glänzende Silber, das sich unter der Dreckkruste versteckt hatte, zum Vorschein. Es war wunderschön, nein, nicht es...MEIN Schwert war wunderschön. Als es komplett sauber war, betrachtete ich mein Gesicht, welches sich spiegelte. Ohne Frage, ich hatte mich verändert, aber es gefiel mir, was ich da sah. Mein schwarzes Haar war zu einem strengen Zopf zusammen gebunden, meine Wangenknochen waren deutlich zu sehen und meine Haut hatte eine wunderschöne Blässe, doch am meisten vielen mir meine Augen auf. Wäre ich ein Mann, hätte ich mich in mein Spiegelbild verliebt. Das klang ziemlich eingebildet, aber so empfand ich es. Dann nahm ich den Lappen mit Öl und rieb mein Schwert ein und steckte es dann zurück in die Scheide. Dann ließ ich mich in meinen Sitz zurück fallen und schlief auf der Stelle ein.
Zolei, mea puella. Te amo, mea puella.
Diese Worte waren in meinem Kopf, als ich wieder aufwachte. Es war definitiv in lateinischer Sprache. Mein Kind. Ich liebe dich, mein Kind. Was hatte das zu bedeuten?
Es würde eine interessante Reise werden, dessen war ich mir bewusst.
Die Worte, die diese wunderschöne Frau gerade in meinem Traum gesagt hatte, konnte ich einfach nicht aus dem Kopf bekommen. Die sanfte Stimme flüsterte sie mir immer wieder zu. „Mein Kind“. Was hatte das denn zu bedeuten? Ich schloss die Augen, um mir die Frau noch einmal vorzustellen. Ihre langen, grauen (sie war geschätzt gerade 25 Jahre alt) Haare waren zu einem kunstvollen Zopf geflochten und reichten ihr bis zur Hüfte. Immer wieder glitzerten einzelne eingearbeitete Perlen im Licht, welches von allen Seiten auf sie zu scheinen schien. Auf ihrer Stirn trug sie ein fein gliedriges Diadem, das den Schwung ihrer Augenbrauen nachahmte. In der Mitte befand sich ein Stein, der wie ein echter Wassertropfen aussah. Ein mütterliches Lächeln umspielte ihre Züge. Sie war unbegreiflich schön. Auch das Kleid, welches sie trug, war ein Traum, obwohl es schlicht gehalten war und ihren perfekten Körper nachzeichnete. Blütenweiß.
Grob wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen, als Kyron den Wagen mit einem Ruck zum Stehen brachte. Als ich meine Augen öffnete, konnte ich kaum glauben, was ich sah. 4 große Flugzeuge, die allerdings nichts mit gewöhnlichen Passagierfliegern zu tun hatten, warteten auf uns. Ein riesiges Areal war mit silbernem Stacheldraht eingezäunt worden, vermutlich waren es die Startbahnen. Zu meiner Rechten war ein großer Gebäudekomplex gebaut worden, der mich optisch sehr an den Betonklotz der Schule erinnerte. Ich konnte es nicht fassen, wie das Volk der Vampire so etwas hatte aufbauen können ohne, dass die meisten Menschen überhaupt von ihrer Existenz wussten. Auch die Größe beeindruckte mich, doch nach dem Kampf um die Burg erschien mir nichts mehr unmöglich. Wie hatte es man geschafft in so kurzer Zeit 200 Männer zu mobilisieren? Andererseits war es auch verwunderlich, dass der Feind sich mit etwa ebenso vielen Männern hatte anschleichen können. Diese Sicherheitslücke musste unbedingt geschlossen werden.
Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich mir Taktiken und Strategien für den bevorstehenden Krieg ausdachte. Das war ziemlich absurd. Was tat ich hier eigentlich überhaupt?! Bevor Kyron mich zu einem Vampir gemacht hatte, wollte ich noch nicht einmal eine Fliege töten und in der zurückliegenden Nacht hatte ich mehrere Männer in die Unterwelt verbannt. In was hatte ich mich bloß verwandelt? Doch mir blieb keine Wahl, denn der Kampf war nur wegen mir entbrannt, also musste ich auch die schützen, die wegen mir in Gefahr geraten waren. Ich musste stark sein und meine Männer anführen, nur so konnten wir auch weiterhin siegen.
„Zolei? Komm, wir nehmen gleich das erste Flugzeug. Beeil dich bitte“, gab mir Kyron zu verstehen und ich hüpfte aus dem großen Auto. Selbstsicher lief ich auf die vorderste Maschine zu und gelangte über die angebaute Treppe ins Innere. Nichts erinnerte mehr an den Luxus, den ich von dem Schiff gewohnt war. An beiden Seiten waren Sitzbanken angebracht, darüber konnte man sein Gepäck verstauen und vor jedem Platz lagen irgendwelche Päckchen, von denen ich allerdings nicht wusste, wofür sie waren. Kyron war mir nachgekommen und schnappte sich meine Hand. „Setzt dich hier mit her. Während des Flugs werden wir diese Fallschirme anlegen und auf hoher See landen. Das hat den Vorteil, dass dort keine Polizei zuständig ist“, erklärte er mir sachlich. Ich hingegen verstand nur Fallschirm und Landen. Wir würden aus diesem Flugzeug springen? Auf keinen Fall war mein erster Gedanke. Der zweite, der mir kam, war nicht weniger beunruhigend. Worauf sollten wir denn auf hoher See landen? Das Wasser würde dort so kalt sein, dass man es vielleicht höchstens eine halbe Stunde aushalten würde, aber so schnell konnte doch keiner schwimmen. Meine Bedenken teilte ich ihm umgehend mit: „ Man kann doch nicht einfach mitten im Meer landen, so gut kann ich gar nicht schwimmen! Das kannst du nicht machen. Außerdem werde ich auch nicht aus diesem Flugzeug springen.“ So, mein Standpunkt hatte ich deutlich gemacht, Kyron hingegen musste sich ein lautes Lachen verkneifen. „Springen wirst du müssen. Aber das mit dem Landen hast du falsch verstanden. Dort wartet ein riesiges Kreuzfahrtschiff, welches praktisch uns gehört“, erläuterte er mir grinsend. Ich wusste nicht, ob diese Tatsache mich beruhigen oder noch mehr Angst machen sollte. Letzteres traf nämlich eher zu. Der Druck auf meinen Ohren riss mich aus meinen Gedanken und war ein sicheres Zeichen dafür, dass wir gerade starteten. Hoffentlich würden wir lange fliegen. Ich wollte da definitiv nicht raus springen. Nach 15 Minuten legte mir Kyron die Gurte mit dem Fallschirm an, was dazu führte, dass ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Meine Finger waren so kalt, dass man sich nicht sicher sein konnte, ob sie überhaupt noch zu meinem Körper gehörten. Meine Habseligkeiten, die ich dabei hatte, wurden in eine große Holzkiste gesteckt, die ebenfalls mit einem Fallschirm versehen war. Aber wer würde denn hier an der Reißleine ziehen? Da war mein Schwert drin! Inzwischen kam mir das alles eher wie ein schlechter Scherz vor. Zu viele Fakten, die für das Scheitern unseres Auftrags standen und das bereits am Anfang. Beruhigend legte mir Kyron seine Hand auf die Schulter, doch es half mir nicht wirklich. Die Klappe, die in den Boden eingebaut war, öffnete sich automatisch und ich konnte mich gerade so noch festhalten. Kyron hingegen lief direkt auf die Öffnung zu und zog mich mit sich. Ich wollte da nicht raus. Egal, was die anderen dachten. Auf keinen Fall da raus. Alles Kopfschütteln der Welt half nicht. Im selben Moment wurde ich schon von meinem Verlobten in die Tiefe gezogen. Ein lauter Schrei löste sich aus meiner Kehle. Im freien Fall fielen wir auf das offene Wasser zu. Immer näher.
2
Fester Boden unter meinen Füßen. Selbige gaben auf der Stelle nach. Überlebt. „Zolei? Alles klar bei dir?“, wurde ich von Kyron wach gerüttelt. „J…Ja…ich…ähm…alles klar“, stammelte ich so vor mich hin, denn zu mehr war ich nicht im Stande. „Siehst du, war doch gar nicht so schlimm. Nimm die Gurte ab und lass dann einfach alles hier liegen, ich schau mal nach den anderen“, setzte er noch hinzu. Hatte er eine Ahnung! Es war schlimm gewesen, zu mindestens das Springen an sich und das Landen auch. Die ganze Zeit hatte ich Angst in das Meer zu fallen und von dem Schirm nach unten gezogen zu werden. Ich atmete erst mal tief durch, immerhin hatte ich es ja geschafft. Mit zittrigen Fingern fummelte ich an den Verschlüssen herum, um mich von der jetzt unnötigen Last zu befreien. Es dauerte wohl gut 5 Minuten bis ich damit endlich Erfolg hatte.
Mein Schwert! Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf. Wo war es? Mit meinen Augen begann ich meine Umgebung abzusuchen. Um mich herum waren die anderen Männer dabei ihre Schirme zusammen zu falten. Ansonsten sah es hier sehr luxuriös aus, denn es handelte sich um ein riesiges Sonnendeck mit Schwimmbecken. Gut, dass ich dort nicht gelandet war. Ganz am Rande meines Blickfeldes konnte ich die Truhe mit all den Sachen erkennen und atmete zum zweiten Mal auf. Mit wackeligen Schritten lief ich darauf zu und begann diese zu öffnen. Sorgfältig legte ich das Gepäck der anderen vor die Kiste, um mein eigenes zu finden. Da war es auch schon. Das Heft mit den Drachen blitzte mir entgegen und gab mir ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit. Als ich das Gewicht meines wertvollsten Besitzes spürte, kam gleichzeitig auch die Empfindung von Sicherheit zurück. Ich zog es ein Stückchen aus der Scheide und mein Spiegelbild blitze mir von der sauberen Klinge entgegen. Ich konnte meine Augen nicht von meiner Spiegelung nehmen, denn ich musste wieder einmal feststellen, wie sehr ich mich verändert hatte. Würden meine damaligen Freunde mich überhaupt wieder erkennen? Meine Haut war wesentlich blasser, als sie es eh schon immer gewesen war und die Farbe der Iris hatte sich auch komplett gewandelt. Ich wäre wohl eine wunderbare Schauspielerin für einen Vampirfilm. Doch auch dieser Gedanke konnte mein Traurigkeit, die mich auf einmal getroffen hatte, nicht vertreiben. Keiner würde mich mehr kennen. Vielleicht meine Mutter? Meine Augen füllten sich langsam mit Flüssigkeit. Ich konnte hier doch jetzt nicht weinen. Als sich die erste Träne von meinem Kinn löste und auf den kleinen Teil des Schwertes, der offen lag, aufprallte, merkte ich erschrocken, dass ich bereits weinte. Die Träne floss langsam nach unten und verschmolz auf einmal mit dem Schwert. In diesem Moment traute ich meinen Augen einfach nicht, das konnte so nicht passieren. Mit meinem Zeigefinger strich ich über die Oberfläche und musste tatsächlich feststellen, dass dort kein Anzeichen von Nässe zu spüren war. Wie konnte das sein? Als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter lag, zuckte ich zusammen. „Zolei, ich bin es“, sagte Kyron und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. In dem Moment ließ ich mich einfach nur nach hinten fallen und konnte die angenehme Kälte seines Körpers spüren. „Das Schwert ist etwas Besonderes. Es fühlt, was du fühlst. Es gehört zu dir. Lass dich einfach darauf ein und wundere dich nicht“, erklärte er mir das Geschehene, auch wenn ich es noch immer nicht glauben wollte. Entschlossen zog Kyron mich auf die Beine und führte mich hinter sich her unter Deck. Alles hier war prächtig ausgestattet und nicht wie man erwartet hätte ein Militärschiff. Nach nur wenigen Minuten öffnete Kyron eine Tür und wir standen in einem etwa 15 m² großen Raum, der trotz seiner Funktionalität wunderschön aussah. Die kühlen Blautöne wirkten sehr beruhigend auf mich. Das Bett, welches beinahe die ganze Kabine ausfüllte, lockte mich auch unbeschreibliche Weiße an und entlockte mir ein lautes Gähnen. Kyron hatte von hinten seine Hände um mich gelegt und drückte mich fest an sich. Sanft flüsterte er mir ins Ohr: „Du solltest etwas schlafen, du wirst noch viel Kraft brauchen. Leg dich hin.“ Dankbar für seine Worte fiel ich wie ein Stein komplett bekleidet in das weiche Bett und schlief innerhalb weniger Minuten ein.
„Zolei! Ich habe dich so sehr vermisst, mein Kind!“, kam aus ihrem Mund. Es war wieder die Frau, die mich in der letzten Zeit in meinen Träumen verfolgte. Ich war so bezaubert von ihrer Schönheit, dass ich kaum ein Wort herausbrachte. „Wer…was…ähm“, stotterte ich vor mich hin. Langsam erhob sie sich aus einer Art Thron, der mir erst jetzt auffiel, denn vorher war ich völlig in ihrem Bann. Vorsichtig griff sie nach meiner rechten Hand. Ich starrte ihr in die Augen und es kam mir so vor, als würde ich in einen Spiegel sehen. Es war die gleiche Irisfarbe, die gleiche Form. Auf einmal spürte ich eine unbeschreibliche Wärme ausgehend von meiner rechten Hand durch meinen Körper pulsieren. Ich musste mich dazu zwingen, auf meinen Arm zu sehen. Goldene Ornamente flossen von ihren feingliedrigen Fingern in meine und wuchsen langsam den Arm hinauf bis zu meine Hals. „Wie…ich…“, stammelte ich.
„Zolei! Zolei! Wach sofort auf!“, hörte ich eine Stimme brüllen. Ich wollte nicht aus diesem Traum erwachen. Nirgends hatte ich so eine Sicherheit und Erfülltheit bis jetzt fühlen können. Nun begann jemand an meiner Schulter zu rütteln. Ich wusste, dass ich nun nicht wieder zu dieser geheimnisvollen Frau gelangen würde und schlug langsam die Augen auf. Kyron stand mit sorgenvollem Gesicht vor mir. „Muss ich schon wieder aufstehen?“, fragte ich ihn schläfrig. „Schnell steh auf, mach schon“, herrschte er mich an. Mit einem Seufzen wand ich mich aus der Wärme des Bettes. Kyron zerrte mich vor den Spiegel und ich konnte bereits jetzt erkennen, was ihn so aufgebracht hatte. Meine rechte Hand war überzogen von zarten, goldenen Ornamenten, die darauf unter meinem Pullover verschwanden und erst wieder an der einen Seite meines Hals auftauchten und kurz vor meinem Gesicht endeten. Fasziniert strich ich mit der linken Hand über das goldene Geflecht. „Zolei, ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich dachte, unser Bund wäre stark. Aber dieser hier ist so stark, dass er für immer sichtbar sein wird. Was hast du getan?“, flüsterte Kyron bedächtig. „Ich hatte einen Traum…da ist das passiert…aber…ich…aber“, brachte ich hervor. Ich konnte es noch immer nicht glauben, geschweige denn es irgendjemand erklären. „Komm mit, ich hab eine Idee. Aber zieh dir lieber erstmal was über, damit es nicht gleich jeder sieht“, sagte Kyron jetzt wieder etwas selbstsicherer und reichte mir einen schwarzen Mantel. Völlig in Gedanken folgte ich ihm.
Mein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Wie konnte das alles geschehen? Ich hatte die Frau doch nicht einmal wirklich berührt und jetzt hatte ich diese komischen Ornamente. Voller Verwirrung zog ich den Ärmel des Mantels ein kleines Stück hoch, um mich zu vergewissern, dass ich gerade nicht träumte. Nein, das Gold glänzte mir noch immer entgegen. Wir mussten wohl gut zehn Minuten durch das Schiff gelaufen sein, als wir an eine große Doppeltür kamen, die ohne eine weitere Berührung nach Innen aufschwang. Mit dem Rücken zu uns stand eine schlanke Frau, deren graue Haare kunstvoll geflochten waren, an der Fensterfront und ließ ihren Blick über das Meer wandern. Kyron zog mich in den nur spärlich eingerichteten Raum und der Eingang verschloss sich von selbst. Langsam drehte sich die Frau zu uns um, sah uns einfach nur an. Keiner wagte es etwas zu sagen. Mit selbstsicheren Schritten kam sie direkt auf mich zu und sah mir tief in die Augen. Ich hatte noch nie eine Person solche Autorität ausstrahlen gesehen. Mit ihren feingliedrigen Fingern zog sie mir den Mantel von den Schultern und konnte somit den Grund unseres Besuchs sehen, der ihr wohl aber schon bekannt gewesen sein muss. Ihre weichen Fingerkuppen fuhren die einzelnen Linien nach, was mir eine kalten Schauer über den Rücken jagte. „Komm mit", flüsterte sie mir ins Ohr. Wie in Trance folgte ich ihr zu einer kleineren Tür an der rechten Wand des Raums, wohingegen sich Kyron nicht von der Stelle wagte. So gelangten wir in einen kleineren Raum, der komplett abgedunkelt war.
„Entschuldige, im Alter nimmt die Lichtempfindlichkeit zu und ich fürchte, ich habe dir einiges zu erzählen. Aber zu nächst einmal solltest du mir genau schildern, wie es dazu kam", sagte sie zu mir. Nachdem ich den Traum wiederholt hatte, atmete sie hörbar ein und begann ein weiteres Mal zu sprechen: „Ich wusste von Anfang an, dass du etwas besonderes bist. Aber damit hätte nicht einmal ich gerechnet. Ich habe solche Ornamente noch nie gesehen, aber es gibt alte Aufzeichnungen. Bis jetzt hielt ich sie für einen Mythos, aber jetzt..." Sie stockte in der Erzählung, fuhr schließlich aber doch fort: „Es soll zum Anbeginn der Zeit eine Göttin Namens Thet gegeben haben, die so eine Zeichnung hatte. Thet war, obgleich sie wunderschön war, die Gefürchtetste der Unsterblichen, denn sie war jedem im Schwertkampf überlegen. Dass du ebenfalls ein Talent dafür hast, haben wir ja bereits bemerkt. Irgendwann - hier werden die Dokumente ungenau - verliebte sie sich in einen Vampir, der sie schließlich verwandelte. Kaum hatten sie ihren Bund geschlossen, war sie für immer mit den goldenen Ornamenten gezeichnet, er hingegen wundersamer Weiße nicht. Nun gibt es noch genau eine Quelle, die besagt, dass Thet sich schwor dieses Geschenk an ihre weiblichen Nachkommen weiter zu geben. Ich hatte es allerdings nie für möglich gehalten, dass es tatsächlich passieren würde, denn sie nahm sich das Leben, nachdem ihr Geliebter bei einer Hinterlist ermordet wurde." Das alles hörte sich für mich doch eher nach einer Legende an, als dass es tatsächlich wahr sein konnte. Wie sollte ich denn bitte von einer Göttin abstammen, die schon seit Jahrhunderten tot war? Und selbst wenn...Nein, das konnte nicht stimmen! „Du birgst wahnsinnige Kräfte in dir - ist dir das bewusst? Du wirst wahrlich die Königin der Vampire werden, Kyron ist gegen dich ein Witz", fügte sie hinzu. Kyron. An ihn hatte ich noch gar nicht gedacht. Wie ging es ihm gerade mit dieser Situation? Immerhin wurde für uns geplant, dass wir heiraten und das Volk der Vampire führen sollten. Aber inzwischen war ich mir nicht sicher, ob ich das tatsächlich so wollte. Am liebsten wäre ich in mein altes, halbwegs unkompliziertes Leben zurück gekehrt und hätte das Ganze hinter mir gelassen. Ich war noch nicht einmal erwachsen und sollte solch ein Aufgab übernehmen. Wie sollte ich das bewerkstelligen?
„Schließe die Augen und versuche mit ihr zu reden. Sie wird dir erklären, was du tun musst. Ich bin mir sicher", riss mich mein Gegenüber aus meinen verworrenen Gedanken.
Binnen weniger Sekunden gelangte ich wieder zu ihr. Sie lächelte mich an und jeder ihrer Gesichtszüge schien Wärme auszustrahlen. Langsam machte ich einen Schritt auf sie zu und schaffte es das erste Mal etwas zu sagen: „ Thet?" „Ja, mein Kind. Ich musste solange auf dich warten und bin so froh, dass ich dich gefunden habe", antwortete sie mir. „Aber wie...?", brachte ich schon wieder nur stotternd hervor. Thet legte ihre rechte Hand unter mein Kinn und hob es ein Stückchen an. Ich blickt ihr direkt in die Augen und vergaß alles um mich herum. Die Welt um mich herum löste sich in ihre Einzelteile auf. „Ich werde es versuchen zu erklären. Es stimmt, dass ich mich damals aus tiefster Verzweifelung umgebracht habe, aber meine Seele ist unsterblich. Und natürlich bist du kein leibliches Kind von mir, aber ich habe dich zu meinem Nachfahren erwählt. Ich spüre einfach, dass du die richtige bist, um mein Werk fort zu führen. Durch unseren Bund bist du jetzt für immer mein Kind, ich werde dich wie eine richtige Mutter lieben", hauchte sie mir entgegen und küsste mich sanft auf die Stirn, die durch die Berührung zu brennen schien. Dann fuhr sie fort: „Du musst hart trainieren, jeden Tag, um die Beste zu werden, denn das ist deine Aufgabe. Dein Volk braucht eine starke Anführerin um die Wirren der Zeit zu überleben, das ist dein Aufgabe."
Texte: Yarriv
Bildmaterialien: Yarriv
Tag der Veröffentlichung: 07.10.2012
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