Dick eingemummelt schippte Rick den Schnee von seiner Auffahrt weg. Auch wenn er kein Auto hatte, so sollte es doch ordentlich aussehen. Wobei die Straße noch nicht einmal geräumt war. Das würde vermutlich noch dauern, da der fünfundzwanzigste Dezember war. An diesem Tag würde garantiert keiner um sechs Uhr morgens aufstehen.
Die Hälfte der Auffahrt hatte er schon fertig, als sich eine zweite Person zu ihm gesellte und half. Rick konnte sich denken, wer das war. Allerdings befand er, dass sie sich richtig begrüßen konnten, wenn sie wieder im warmen waren. Tatsächlich schafften sie es zu zweit ziemlich flott, alles vom Schnee zu befreien. Bibbernd eilten sie sofort ins warme, schälten sich aus den vielen Schichten an Kleidung und schmissen diese auf einen Haufen zusammen. Ohne zu sprechen, einigten sie sich darauf, sich später darum zu kümmern und sich zuerst was heißes zu trinken zu machen.
Für Shane machte Rick eine Tasse Kaffee, für sich selber Pfefferminztee. Gemeinsam rollten sie sich in eine warme Decke auf dem Sofa, wärmten sich die Finger an den heißen Tassen, welche sie allerdings vorsichtshalber in Handtücher gewickelt hatten.
Rick saß zwischen Shanes Beinen und lehnte mit dem Rücken an Shanes Oberkörper. Ruhe herrschte zwischen ihnen. Sie schmusten einfach nur miteinander, ohne große Worte zu verlieren. Das mochte Rick so an Shane. Er musste die Stille nicht füllen.
Türklingeln störte ihre Zweisamkeit, in der sie nur an ihren Tassen nippten und die Nähe zueinander genossen.
„Wetten, dass sind meine liebenswerten Nachbarinnen, die jemanden zum Schnee schippen brauchen? Wir sollten auf keinen Fall die Tür öffnen.“ Zustimmend brummte Shane, schlang seinen Arm sogar noch fester um Ricks Bauch. Aus dem einzelnen Klingeln wurde ein Sturmklingeln. Genervt verdrehte Rick die Augen, bewegte sich allerdings nicht.
„Die können ihre blöde Einfahrt selber freiräumen. Ich habe eindeutig besseres zu tun“, knurrte Shane genervt.
„Erst versuchen sie mich zu verkuppeln und dann stören sie mich dauernd. Können die mir nicht einfach die Zeit mit dir gönnen. Schließlich war ich monatelang weg und hab dich nicht sehen dürfen.“
Endlich hörte der Türklingelterror auf. Dafür klopfte jemand ans Fenster. Rick war froh, dass er die Vorhänge noch nicht aufgemacht hatte.
„Was hältst du davon, wenn wir nach oben ins Schlafzimmer gehen. Da können sie wenigstens nicht ans Fenster klopfen und auch die Türklingel hört man nicht so deutlich“, flüsterte Rick leise. Der Vorschlag wurde sofort angenommen. Zusammen mit ihren Tassen schlichen sie aus dem Raum und die Treppe hinauf. Tatsächlich hörte man in seinem Schlafzimmer nichts. Sie stellten die Tassen auf den Nachttisch. Zuerst setzte Shane sich auf das weiche, ungemachte Bett. Sie trugen beide nur noch Boxershorts, sodass Rick dessen Körper bewundern konnte. Frech setzte er sich auf den Schoss des Mannes, beugte sich nach vorne und legte seine Lippen auf die von Shane. Ganz sacht und trotzdem neugierig.
Arme schlangen sich um seinen Körper, Finger strichen sanft über seine Wirbelsäule. Sie gingen nicht weiter, nur eine unschuldige Berührung ihrer Münder. Für mehr hatten sie viel Zeit. Nach monatelangen Warten konnten sie geduldig sein. Ihr ganzes Kennenlernen dauerte an, sie hatten die Zeit. Lieber zu langsam, als zu schnell.
„Verdammt. Eigentlich kenne ich dich keine drei Tage und trotzdem möchte ich dich nicht mehr verlieren. Die Zeit ohne dich war die Hölle und ich habe es bereut, dass wir keine Handynummern getauscht haben. So oft war ich kurz davor, meine Schwester deswegen zu fragen. Doch ich habe mir jedes Mal gesagt, dass wir Zeit haben und du mir nicht wegrennst. Ab jetzt wird alles besser, denn die Verträge sind unterschrieben und endlich läuft es so, wie ich möchte.“ Überrascht brachte Rick etwas Abstand zwischen ihre Lippen. Die Worte zeigten ihm, wie ernst Shane es wirklich meinte. Und sie spiegelten seine eigenen Gefühle wieder.
„Mir ging es genauso. Die dummen Kommentare deiner Schwester und ihrer Freundinnen wollte ich mir nicht antun. Sie wären so grausam gewesen und hätten mich jeden Tag gefragt, wie es bei uns läuft. Ganz ehrlich: so gern ich dich und die Frauen mag, dass tu ich mir dann doch nicht an.“ Leise lachte Shane, nickte gleichzeitig zustimmend.
„Ich kann es dir nicht übelnehmen. Die Weiber sind eine echte Katastrophe, wenn sie irgendwo in ihrem Umfeld eine frische Liebe riechen. Wir sollten die nächsten Tage das Haus nicht verlassen. Hast du genug Lebensmittel da oder müssen wir noch welche kaufen?“ Statt zu antworten, beugte Rick sich wieder nach vorne und küsste Shane erneut. Er hatte mehr als genug Lebensmittel, sodass sie sogar problemlos zu zweit bis ins neue Jahr versorgt waren. Für eine ruhige Zeit mit Shane würde er sogar die Auffahrt vernachlässigen.
Da es allmählich kühl wurde, erhob Rick sich und krabbelte in die Mitte des Bettes, zerrte die Decke über sich. Einladend klopfte er neben sich. Er wollte jetzt einfach nur noch eine Runde kuscheln und die Welt da draußen aussperren. Zu zweit war das viel besser als alleine. Shane nahm die Einladung an und legte sich hinter ihn, schloss seine Arme um Rick. Ihre Körper berührten sich von Kopf bis zu den Füßen, so als wären sie perfekt aufeinander abgestimmt worden.
„Denk dran, dass wir nachher noch die nassen Sachen aufhängen müssen. Sonst müffeln die.“ Rick hatte es zwar nicht eilig damit, doch er wollte es wenigstens erwähnen. Für was gab es schließlich eine Waschmaschine? Klamotten für Shane fanden sich sicher im Kleiderschrank seines Vaters. Auch wenn der Mann nie da war, so hatte er trotzdem noch Kleidung hier. Vermutlich die, welche nicht mehr passte. Darüber konnten sie später nachdenken. Den Kopf drehend, forderte Rick einen weiteren Kuss ein, während draußen die Schneeflocken vom Himmel fielen und alles mit einer weißen Schicht bedeckten. Dieses Mal musste Shane nicht gleich wieder verschwinden, sie konnten zusammenbleiben.
Texte: Josephine Wenig
Bildmaterialien: Pixabay.com (rihaj)
Cover: Josephine Wenig
Tag der Veröffentlichung: 08.09.2018
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