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Herbststurm

Die Blätter der Bäume verfärbten sich allmählich und fielen auf den Boden. Mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen rechte Rick alle Blätter auf einen großen Haufen. Seinen Pool hatte er schon komplett abgedeckt und auch das Haus soweit fertig gemacht, damit die Herbststürme keinen Schaden anrichten konnten. Auf einmal gesellte Shane sich zu ihm. Rick hatte ihn seit dem Sommer nicht mehr gesehen.

 

Gemeinsam schafften sie es sehr schnell, das Laub in große Säcke zu stopfen, sodass der Garten für den Moment ordentlich aussah. Kein einziges Wort war zwischen ihnen gefallen. Keine Begrüßung, nichts.

 

Mit einem lauten Knall kündigte sich ein Unwetter an. Somit konnte Rick morgen wieder von vorne anfangen mit dem Laub. Dieses Mal lud er Shane bis ins Haus ein, nicht nur auf die Veranda. In der Küche machte er für sie beide je eine heiße Schokolade. Mit der machten sie es sich auf der Couch bequem, hüllten sich gemeinsam in eine große, flauschige, rot-schwarz-karierte Decke.

Still nippten sie an ihren Tassen. Wirklich trinken konnten sie nicht, da die Schokolade noch zu heiß war. Gemütlich kuschelte Rick sich an Shane. Um sie herum herrschte ein dämmriges Licht, da die Fensterläden geschlossen waren. Wind rüttelte an ihnen, wurde von Minute zu Minute stärker. Dazu kam noch Starkregen. Sie waren gerade noch rechtzeitig nach drinnen geflüchtet.

 

„Rick, wann kommen eigentlich deine Eltern nach Hause? Ich habe keine Lust, auf ihrer Couch erwischt zu werden, wie ich mit ihrem Sohn kuschel.“

„Nicht so schnell. Die haben sich seit Jahren nicht mehr blicken lassen und werden es hoffentlich auch nicht mehr so schnell. Sag aber bitte nichts dem Jugendamt. Schließlich bin ich siebzehn und in einem Jahr volljährig.“ Mit Welpenblick sah Rick nach oben zu Shane, in der Hoffnung, den Mann zu erweichen. Statt Vorwürfe zu machen, lachte der nur.

„Kein Problem. Solange es für dich keins ist, dass ich morgen zu einer länger andauernden Geschäftsreise muss.“ Schulterzuckend kuschelte Rick sich wieder zurecht. Sie würden sich wiedersehen, selbst wenn es wieder seine Zeit dauern würde. Bis dahin konnten sie einfach die Gesellschaft des Anderen genießen.

 

„Du bist niedlich“, flüsterte Shane leise in sein Ohr, hauchte einen sanften Kuss darauf.

„Und du der perfekte Kuschelbär. Würdest du deinen Pullover ausziehen?“ In derselben Lautstärke antwortete Rick darauf. Gerade noch so konnte Rick ein leises Quietschen unterdrücken, dass ihm entkommen wollte, als dieser sich bewegte und tatsächlich sein Oberteil abstreifte. Direkt danach half Shane ihm, sein eigenes loszuwerden. Das ganze Kunststück gelang ihnen, ohne etwas von der heißen Schokolade zu verschütten.

 

Geräuschvoll schlürfte Rick etwas von seinem heißen Getränk. Der Körper hinter ihm fühlte sich fantastisch an.

„Wie lange bleibst du weg?“ Obwohl Rick das Gefühl hatte, dass der Sturm seine Worte schluckte, sprach er nicht lauter. Es könnte diesen perfekten Moment zerstören.

„Dezember. Den genauen Tag kann ich dir noch nicht sagen, da ein paar Termine noch nicht feststehen.“ Bedauern klang aus den Worten Shanes heraus. So als ob es ihm nicht passte, dass er so lange wegmusste. Dabei war auch so viel Zeit zwischen ihrer letzten und der jetzigen Begegnung verstrichen. Rick wusste nicht warum, aber er war sich sehr sicher, dass Shane niemand anderen in der Zeit gehabt hatte.

„Darum habe ich dich auch nicht eher besuchen können. Eine international agierende Firma neu aufzubauen ist ziemlich zeitaufwendig und erfordert viele Reisen. Die morgige ist hoffentlich die letzte. Danach war ich in fast jedem Land der Erde.“ Ein wenig Neid fühlte Rick schon, er wollte auch gerne verreisen. Aber das konnte er immer noch machen, wenn er volljährig und mit der Ausbildung fertig war. Immer konnte er sich nicht auf das Geld seiner Eltern verlassen. Schließlich könnten diese ihm die finanzielle Unterstützung entziehen, sobald er achtzehn war.

 

Finger verwoben sich in seinen Haaren, kraulten über seine Kopfhaut. Shane wusste ganz genau, welcher Druck perfekt war. Geschickt fing Rick eine der Hände ein, zog sie nach vorne und verschränkte ihre Finger auf seinem Bauch. So ließ es sich definitiv eine Weile aushalten. Auch wenn draußen die Welt unterzugehen schien.

 

Mit einem lauten Knall flogen die Sicherungen raus, während die Erde zu beben schien. Irgendwo hatte ein Blitz eingeschlagen und sie waren nun endgültig im Dunkeln. Rick war wirklich froh, dass er alle Fensterläden geschlossen und gesichert hatte. Er mochte sie mehr wie Jalousien und sie boten auch mehr Schutz bei Stürmen.

 

„Lauschig. Hier ist es auf jeden Fall sicherer, als bei meiner Schwester. Die haben ihr Haus nicht so gut gesichert.“ Sanft spielte Shane mit Ricks Fingern, stupste ihm in den Bauchnabel. Kichernd versuchte Rick seinen sowieso schon flachen Bauch einzuziehen.

„Du musst mehr essen. Viel fehlt nicht mehr und man kann Rippen zählen“, kritisierte Shane sacht.

„Das ist der Nachteil am alleine leben. Ich mag Fertigzeug nicht so gerne und für einen kochen ist auch doof. Darum gibt es meistens Obst und Brot. Bei Süßigkeiten achte ich sehr darauf, nur in geringen Mengen zu essen.“ Shane murmelte irgendwas in seinen Bart, was Rick nicht verstand. Nachfragen wollte er aber auch nicht. Lieber drehte er seinen Kopf etwas und kuschelte seine Wange an die Brust von Shane. Das Brusthaar kitzelte ihm in der Nase und er musste niesen.

 

Ein Handyklingeln unterbrach ihre Zweisamkeit. Gleichzeitig vibrierte die Hose von Shane. Statt es zu ignorieren, holte Shane sein Handy raus und ging ran. Rick ignorierte das Gespräch, obwohl er wusste, dass es vermutlich der Abschied von ihnen darstellte. Bis zum nächsten Treffen im Dezember. Tatsächlich schob Shane ihn weg, als er fertig mit telefonieren war.

„Leider muss ich schon los. Bei den Mädels drüben ist ein Fenster zu Bruch gegangen und sie brauchen dringend Hilfe. Wir sehen uns im Winter.“ Sanft strich Shane ihm noch einmal über die Wange und verließ dann das Haus.

Impressum

Texte: Josephine Wenig
Bildmaterialien: pixabay.com
Cover: Josephine Wenig
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2018

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