Sie schloss die Wohnungstür auf. Ihre Katzen maunzten ihr entgegen. Die Tür schnappte ins Schloss. Sie lehnte sich kurz seufzend dagegen. Auf dem Weg in die Küche ließ sie die Handtasche auf den Boden fallen. In der Küche auf dem Küchentisch stapelten sich etliche ungeöffnete Briefe. Ein buntes Stillleben aus einer halben vertrockneten Apfeltasche, einer Packung Baldrian, einer Teetasse, deren Inhalt langsam aber sicher ins Grünliche überging, kam ihr da entgegen. Sie gab den Katzen Futter.
,,Essen. Gute Idee'', dachte sie. Im Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Also doch Pizzaservice.. Auf dem Weg zum Bad sah sie, dass ihr Anrufbeantworter blinkte. ,,Erst mal Essen'', dachte sie. Im Wohnzimmer zog sie ihre Schuhe aus und legte sich auf die Couch. Sofort überkam sie diese bleierne Müdigkeit. Das Telefon klingelte. ,,Ich danke hiermit dem Erfinder des Anrufbeantworters!'' Es war ihr Freund. ,,Hi Lara, ich bin's. Vergiss nicht, wir sind heut abend bei Steffie und Thomas zum Essen eingeladen. Also, bis um 8, ich hol Dich ab!'' Zu der bleiernen Müdigkeit kam jetzt noch ein Anflug von Unwillen und Panik. Es klingelte an der Tür und sie nahm die Pizza Margherita und den Italienischen Salat entgegen. Es war jetzt 18:00. Der Countdown bis zum Essen bei Steffie und Thomas lief. Sie könnte noch absagen, aber aus welchem Grund? Sie könnte sagen, sie sei krank oder sie müsse zu einer Freundin, der es schlecht ging. ,,Ich kann nicht'', dachte sie. Das war eigentlich alles. Das war der Grund und die Erklärung zugleich. Sie fühlte sich allein und hilflos und wollte doch niemanden bei sich haben. Sie wollte einfach ihre Ruhe haben und nichts müssen. Sie wollte keine Freundin von ... sein und sie wollte auch keine Angestellte bei ... sein. Sie wollte einfach nur sein. Die Pizza Margherita war latschig und das Dressing des Italienischen Salates war zu sauer. Aber sie war ja noch zum Essen eingeladen...Es war jetzt 18:30. Um noch einmal zu schlafen war die Zeit zu kurz. Auf dem Weg zum Bad fiel ihr die Nagelfeile zu Boden. Sie hielt kurz inne und ließ sie liegen. ,,Steffie und Thomas!'' dachte sie, ,,Dieses elende Vorzeigepärchen mit seinen dummen Vorzeigegören!'' Während sie versuchte etwas Freundlichkeit in ihr Gesicht zu schminken, klingelte wieder das Telefon: ,,Ich bin's nochmal. Wo steckst Du eigentlich? Karen und Michael kommen auch noch. Also bring den Thriller mit, den sie uns geliehen haben.'' ,,Dir geliehen haben'', dachte sie, ,,Ich hasse Thriller.'' Karen und Michael waren eigentlich nett, man konnte nichts gegen sie sagen -- aber irgendwie auch nichts für sie...
Nach dem dritten Kleiderwechsel beließ sie es bei der schwarzen Cordhose und dem engen schwarzen Oberteil. Schlicht und ergreifend. Außerdem war schwarz eine gute Farbe, denn sie schützte den Menschen, der sie trug. Das ist sehr wichtig, wenn man gerade nicht kann. Auf dem Weg zum Wohnzimmer, sah sie ihre Nagelfeile auf dem Boden liegen. Sie hielt kurz inne, überlegte, ob sie sie aufheben sollte und lief weiter zur Couch. Im Fernsehen lief gerade eins dieser vielen Lifestyle - Magazine. Heute: Wohnen im Toskana - Stil. Sie dachte an Ihre Küche im Beys - Stil und zappte weiter. Neben der Couch stand noch eine geöffnete Flasche Wein. Sie überlegte kurz, ob sie schon etwas ,,vorglühen'' sollte, aber dann befürchtete sie, als erste beschwipst zu sein, was sicherlich wieder ein Drama für Daniel wäre. ,,Frauen, die saufen find ich Scheiße'', hatte er sich nach dem letzten Abendessen echoffiert. Anschließend hatte er sich rumgedreht und war ins Bad gegangen, um zu kotzen.
Es war jetzt 19:45. Es klingelte an der Tür. ,,Ich komme runter!'' sagte sie durch den Türsprecher. Noch einmal schaute sie in den Spiegel. ,,Ohne zu lächeln, wird das heut nix mit dem Gesicht'', dachte sie und für einen kurzen Moment wurde ihr schwindlig. ,,Ich werde langsam verrückt!'' dachte sie und lächelte gequält in den Spiegel.
Vor der Haustür wartete Daniel schon in seinem Wagen. ,,Na Schatz, wie geht's Dir?'' fragte er sie. Böse Frage, nächste Frage. Sie dachte daran, ein Veto einzulegen und die Frage zu tauschen, aber leider war das hier kein Spiel -- und zu gewinnen gab es erstmal auch nichts. Mit einem beiläufigen ,,Ganz gut'' war er dann auch schon zufrieden. Während der Fahrt schaute sie aus dem Fenster und als sie so auf der Autobahn fuhren und die Lichter an ihr vorbeihuschten, legte sich wieder dieser düstere Schleier auf sie. Für einen kurzen Moment wünschte sie sich, es würde ein LKW in sie reinrauschen und sie plattwalzen. Eine halbe Stunde später saßen sie schon in trauter Runde beisammen. Alle waren fröhlich und unterhielten sich angeregt und sie war sehr froh, dass sie schwarz trug. Der Dornfelder schmeckte mal wieder viel zu gut und irgendwie war sie dann doch die erste, die angetrunken war. ,,Du bist so still heute. Wie geht's Dir denn?'' fragte Steffie sie freundlich. Wäre es ein Film gewesen, hätte sie jetzt um- oder ausgeschalten. ,,Ja soweit...'' sagte sie. Während Steffie ihr begeistert erzählte, welche Errungenschaften sie im Elternbeirat gemacht hatte, hörte sie mit dem anderen Ohr wie Karen von ihren neuen Projekten in ihrer Eventagentur berichtete. Daniel klebte an Karens aufgespritzten Lippen. ,,Ach, Lara, hättest Du nicht mal Lust einen Artikel über meine Eventagentur in deinem kleinen Lokalblatt zu schreiben?'' sagte sie plötzlich zu ihr. ,,Nee, lass mal, ich denke das Leben is schon Event genug, da brauch man nich noch ne Agentur für!'' Sie überlegte kurz, ob sie das jetzt wirklich laut gesagt hatte, doch die betretenen Gesichter bestätigten ihre Befürchtung. Der Dornfelder zeigte wohl schon seine Wirkung. Sie entschuldigte sich kurz und rettete sich aufs Klo. Da saß sie eine Zeit lang, während sie das Gefühl hatte, ihr ganzes Leben würde über ihr zusammenbrechen. Am liebsten wäre sie einfach sitzen geblieben. Sie war schon auf dem Weg zurück ins Esszimmer, als sie auf einmal kehrt machte, ihre Jacke schnappte und die Wohnung verließ. Wie in Trance lief sie durch die laue Sommernacht zum nächsten Taxistand.
Es war jetzt 22:00 Uhr und sie war endlich wieder in ihrer Wohnung. Auf dem Weg ins Wohnzimmer sah sie die Nagelfeile auf dem Boden liegen. Sie hielt kurz inne, schaute auf den Boden und lief vorbei, um sich auf ihre Couch zu legen. Ein dumpfer Schmerz machte sich breit in ihr, doch sie war unfähig zu weinen. Da klingelte das Telefon. Es war Daniel. ,,Sag mal, was war denn los mit Dir, das war ja mal total peinlich. Wo steckst Du überhaupt? Ich fahr später noch bei Dir vorbei.'' Bloß nicht! dachte sie. Sie schenkte sich den Rest Dornfelder aus der Flasche neben der Couch ein und genoß das flauschige Gefühl, daß er ihr gab. ,,Eventagentur! Schwachsinn!'' Sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie jetzt einfach auf ihrer Couch liegen bliebe und nie mehr aufstehen würde. Vielleicht würde sie ja dann einfach einschlafen irgendwann und nie mehr aufwachen.
Als es klingelte war es 23:00 Uhr. Es war Daniel. Da stand er nun vor ihr und ihr fiel nichts ein, was sie ihm hätte sagen können. ,,Ich konnte nicht'' hörte sie sich sagen. ,,Wie, Du konntest nicht? Was willst Du eigentlich? Du hast 'nen tollen Job, 'ne tolle Wohnung, bist jung, siehst gut aus, hast Freunde und du hast mich?'' Sie stand nur vor ihm und war wie gelähmt, während sie das Gefühl hatte, tausend Lichtjahre von der Welt entfernt zu sein. Es war 23:15 als er ratlos und genervt ihre Wohnung verließ.
Die nächsten Tage und Wochen vergingen wie ein schwammiger, vernebelter Traum, während der Tee auf ihrem Küchentisch irgendwann
mehr Leben entwickelte als sie selbst und während sie immer wieder an der Nagelfeile vorbeilief, ohne sie aufzuheben...
,,Lieber Daniel,
es ist lange her, dass Du von mir gehört hast. Die letzten Monate waren sehr schwierig für mich, aber auch für Dich. Ich weiß, dass Du denkst, ich hätte Dich nicht mehr sehen wollen, hätte Schluss machen wollen. Du hattest nicht verstanden, was mit mir los war. Du dachtest, ich mache einfach nichts mehr, lasse mich hängen und geb mir nicht genug Mühe. ,,Was willst Du eigentlich?'' hast Du gesagt. ,,Du hast 'nen tollen Job, 'ne tolle Wohnung, bist jung, siehst gut aus, hast Freunde und du hast mich?'' Das war das letzte Mal, das wir uns gesehen haben, es war das letzte Mal, dass ich mit Dir sprach, denn danach fehlten mir endgültig die Worte. Sie fehlten lange und kommen jetzt erst wieder nach und nach zurück. Mir geht es wieder besser und immer wieder gut. Die Nagelfeile habe ich irgendwann aufgehoben, in meine Tasche gepackt und mitgenommen. Erst mit in die Klinik und jetzt liegt sie hier auf meinem Nachttisch. Es ist 22:30 und meine Haut ist von der Hitze ganz klebrig. Durch die Straßen weht der Scirocco. Ich liebe diesen Wüstenwind, auch wenn man manchmal kaum atmen kann, so heiß ist die Luft. Palermo schläft um diese Uhrzeit noch lange nicht. Sag Steffie und Thomas keinen Gruß von mir -- ich mag sie immer noch nicht. All das hatte nichts mit Dir zu tun, nur mit mir. Ich konnte einfach nicht mehr. Versuch nicht, mich zu finden. Ich wünsch Dir alles Gute und noch ein schönes Leben.
Alles Liebe,
Lara
PS: Anbei sende ich Dir eine kleine Kurzgeschichte, die sich mit unserem letzten Tag beschäftigt. Vielleicht hilft sie Dir, zu verstehen:
>>Der letzte Tag
Sie machte die Wohnungstür auf. Ihre Katzen maunzten ihr entgegen. Die Tür schnappte ins Schloss. Sie lehnte sich kurz seufzend dagegen. Auf dem Weg in die Küche ließ sie die Handtasche auf den Boden fallen...
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2009
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