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Someone's Bad Date

Duane Barry lag immer noch im Koma. So wie es aussah, würde es noch eine ganze Weile dauern bis er wieder daraus erwachte.

So blieb ich allein mit einer Menge Fragen und keinerlei Antworten. Hatte Duane Barry die Wahrheit gesagt? War er wirklich von Außerirdischen entführt worden? Oder waren seine Schilderungen lediglich die Hirngespinste eines kranken Geistes? Ich hatte das Gefühl, der Wahrheit so nahe zu sein wie nie zuvor. Wenn ich Duane Barry's Rätsel lösen konnte, würde ich vielleicht etwas über das Schicksal meiner Schwester erfahren. Nach über zwanzig Jahren.

"Alles in Ordnung, Mulder?" Meinem Partner Alex Krycek mußte wohl der geistesabwesende Ausdruck in meinen Augen aufgefallen sein. Mir wurde klar, daß ich schon seit mindestens zehn Minuten auf ein und dieselbe Seite von Duane Barry's Akte starrte, ohne etwas davon gelesen zu haben. Ich kannte ohnehin das meiste davon auswendig, den Hergang seines Unfalls, seine diversen psychischen Krankheiten, et cetera, et cetera. Gespickt mit einem Haufen medizinischer Fachausdrücke, die Scully mir heute mehrere Stunden lang geduldig übersetzt und erklärt hatte. Was mich wirklich interessierte, stand nicht darin. Keinerlei Schilderungen über seine Entführungen, und seine Kontakte zu den Aliens. Diese Informationen waren einfach nicht verfügbar. Dennoch mußte es sie geben, ich war sicher, daß Duane Barry seine Erfahrungen schon einer ganzen Reihe von Psychatern erzählt hatte. Es mußte Aufzeichnungen davon geben. Aber ich hatte keinerlei Befugnis sie einzusehen. Nach FBI Richtlinien war der Fall abgeschlossen, nachdem es uns gelungen war, die Geiselnahme zu beenden und wir unsere Aussagen bei der Polizei gemacht hatten. Eigentlich hatte ich keinerlei offizielle Gründe, die Sache noch weiter zu verfolgen. Nur noch persönliche.

"Nein, eigentlich ist gar nichts in Ordnung," antwortete ich auf Krycek's Frage.

"Mir ist soeben klar geworden, daß ich wieder einmal meine Karriere riskiere, weil ich meine Nase in Angelegenheiten stecke, die mich nichts angehen. Und noch schlimmer, ich ziehe sowohl dich als auch Scully mit hinein."

"Mach dir um mich nur keine Sorgen. Ich glaube auch, daß mehr hinter dieser Sache steckt.

Außerdem sind wir Partner und ich würde dich nie im Stich lassen!" Er wurde rot und sah schnell zur Seite, damit ich seine Verlegenheit nicht bemerkte. Aber schon vor einiger Zeit war mir klar geworden, daß seine Gefühle für mich inzwischen über eine harmlose Schwärmerei hinausgingen.

Was mich seit Neuestem verwirrte war, daß ich mir über meine eigenen Gefühle nicht mehr so ganz im klaren war. Er hatte etwas an sich, das mich faszinierte. Vielleicht waren es seine funkelnd grünen Augen, oder die Tatsache, daß wir beide denselben Theorien glaubten. Vielleicht war es auch etwas völlig anderes. Vielleicht hatte ich es auch nur satt, daß sich mein ganzes Privatleben daheim auf meiner Couch abspielte.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht genau sagen, wie die Dinge sich entwickeln würden. Was Beziehungen angeht, habe ich ein Talent ins Fettnäpfchen zu treten. Ich bin Dauersingle und gerate, wennschon - dennschon immer an die falschen Leute. Trotzdem hatte ich vor zwei Wochen den Sprung ins kalte Wasser gewagt und ihn gebeten mit mir auszugehen.

Mit dem Ergebnis, daß er vor Schreck gegen den Tisch stieß und einen ganzen Stapel Akten auf den Boden beförderte. Er stotterte noch ein bißchen herum, als wir die Akten aufsammelten, bevor er endlich ein ‘ja‘ herausbrachte.

Bisher mußten wir unsere Verabredung aber schon zweimal verschieben, weil immer etwas dazwischen kam. Aber Geiselnehmer fragen normalerweise nicht nach solchen Sachen. Und Aliens sicher auch nicht.

Heute abend würde nichts dazwischen kommen, das hatte ich mir fest vorgenommen. Ich würde mich einmal dazu aufraffen, den ganzen anderen Kram hinten anzustellen. Heute abend würde mich nicht einmal eine außerirdische Invasion davon abhalten, mit Alex Krycek beim Chinesen zu sitzen und Peking Ente zu essen.

"Ich bin sicher, Scully macht es auch nichts aus, dir zu helfen," fügte Krycek hinzu, der offensichtlich in Gedanken noch bei meiner Bemerkung war. "Schließlich seid ihr doch Freunde, oder?"

Die Antwort auf diese Frage blieb mir erspart, weil in diesem Moment mein Handy klingelte. Zum Glück, denn die Beziehung zwischen mir und Scully kann man nun wirklich nicht in einem Satz beschreiben, dafür ist sie um einiges zu komplex.

"Agent Mulder? Hier spricht Agent Kazdin, ich bin bei Duane Barry im Krankenhaus. Würde es Ihnen etwas ausmachen, schnell herzukommen, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen."

Schnell herkommen? Das Jefferson Memorial Hospital lag drüben in Virginia, dazu brauchte ich beinahe eine Stunde mit dem Auto. Nun, wenn der Verkehr mitspielte, konnte ich es schaffen in zwei Stunden wieder hier zu sein. Dann würden wir nicht viel später weggehen als geplant.

"Ich werde mich beeilen," versprach ich Alex.


* * *

"Es freut mich, daß Sie kommen konnten." Agent Lucy Kazdin stand im Gang vor Duane Barry's Zimmer. Sie war ein hohes Tier beim FBI, ein Negotiations Commander und somit für Verhandlungen mit Geiselnehmern zuständig. Sie hatte schon viele Geiselnahmen erfolgreich beendet, darunter auch den Fall Duane Barry.

"Ich muß zugeben, Ihr Anruf hat mich sehr überrascht." Ich war etwas verlegen, denn ich hatte keine Ahnung, was sie von mir wollte. Unsere Zusammenarbeit im Fall Duane Barry war sehr ... man könnte sagen ... konfliktreich gewesen.

"Nun, ja, eigentlich hatte ich noch keine Gelegenheit, Ihnen zu danken. Schließlich sind Sie dort reingegangen und haben die Sache in Ordnung gebracht. Wenn auch mit etwas ungewöhnlichen Methoden."

Alles andere hätte ich erwartet, nur das nicht. Sie hatte mich herumgescheucht wie einen kleinen Schuljungen und als ich ihr sagte, dass ich an die Existenz von Außerirdischen glaube, hat sie mich angesehen, als ob sie mich im nächsten Moment zum Mond schießen wolle.

"Ich hätte eher geglaubt, Sie haben mich angerufen um mir eine Standpauke zu halten", antwortete ich ehrlich und ein bißchen verlegen.

Sie lächelte mich an. Jetzt war sie verlegen.

Ich erkundigte mich nach Duane Barry's Zustand. Er schwebte nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr, allerdings würde es sicher noch ein paar Tage dauern, bis er ansprechbar war.

Also würde ich mich weiterhin gedulden müssen.

Wir warfen einen Blick in sein Zimmer, er war an Maschinen angeschlossen und bewegte sich nicht. Nur ein rythmisches Fiepen war zu hören, es begleitete die Anzeige seines Herzschlags auf dem Oszillographen.

"Sein Unfall damals war schon eine schreckliche Angelegenheit," sagte Kazdin leise. "Ich habe einen Blick auf seine Akte geworfen. Er hat sich mit seiner eigenen Waffe verletzt, als er einen Drogendealer stellen wollte. Danach war er nicht mehr derselbe. Er hat alles verloren."

"Unsere geistige Gesundheit hängt an einem dünnen Faden." Ich sah gedankenverloren auf Duane Barry's reglose Gestalt. Was immer diesem Mann zugestoßen sein mochte, es war etwas Schreckliches gewesen.

Wir wandten uns zum Gehen. Hier gab es nichts, was ich ausrichten konnte, ich mußte abwarten bis sich Barry's Zustand besserte.

Ich würde zum Büro zurückkehren, wo Alex auf mich wartete. Eigentlich war ich froh darüber, daß ich jetzt nicht nach Hause fahren, mich auf die Couch werfen und die Nacht durchgrübeln würde. Es mußte einfach noch andere Dinge im Leben geben, als sich den Kopf über die Rätsel des Universums zu zerbrechen.

"Agent Mulder," sagte Kazdin und der Tonfall ihrer Stimme ließ mich aufhorchen. Es gibt da noch einen anderen Grund, weshalb ich Sie hergebeten habe."

Sie überlegte einen Moment, offensichtlich wußte sie nicht, wie sie es ausdrücken sollte.

"Nun ja, die Ärzte haben beim Röntgen etwas Merkwürdiges entdeckt. Ich glaube nicht, dass es von Bedeutung ist, aber ich dachte doch, daß es Sie interessieren würde."


* * *

Ich fischte mein Handy irgendwie aus der Tasche, als ich durch die Gänge des FBI Headquarters wetzte.

"Alex, hör zu, es ist etwas Wichtiges passiert! Nein, ich bin schon zurück aus dem Krankenhaus. Kannst Du noch ein bißchen auf mich warten, ich muß noch zu Scully?

Es dauert wirklich nicht lange, ich erklär Dir alles später, in Ruhe. Ja, in spätestens einer halben Stunde bin ich da! Bis dann!"

Ich ließ ihn schon wieder warten. Ich würde ein schlechtes Gewissen bekommen, das wußte ich, aber im Augenblick war mein Kopf noch zu voll von den Dingen die Kazdin mir erzählt hatte. Es war einfach unglaublich!

Dies könnte der Beweis sein, den ich seit langem suchte, die Antwort auf alle meine Fragen.

Oder zumindest ein erster Schritt.


* * *


Scully schien da wieder einmal ganz anderer Meinung zu sein. Sie saß mir in ihrem Büro gegenüber und beäugte abwechselnd mich und das winzige Metallstück in ihrer Hand.

Sie hatte diesen zweifelnden Gesichtsausdruck, den sie immer aufsetzt, wenn ich mit meinen Theorien anfange. Obwohl ich noch kein einziges Wort gesagt hatte, schienen bei ihr schon die Alarmglocken zu schrillen.

"Wahrscheinlich ist es ein Überbleibsel von einer Schußverletzung, oder einer Explosion. Wie du weißt, hat Barry in Vietnam gedient."

"Scully, es war in seinem Bauch, genau so wie er es mir erzählt hat. Alle Implantate waren genau an den Stellen, die er beschrieben hat. Und da sind noch die Löcher in seinen Zähnen, sie stammen von keinem Zahnarzt. Die heutige Zahnmedizin verfügt über keinerlei Apparate, um solche Löcher zu bohren. Ein Zahnarzt hat es Agent Kazdin bestätigt." Ich hatte mich richtig in Fahrt geredet, aber eisiges Schweigen war die einzige Antwort, die ich bekam.

Schließlich fragte sie vorsichtig: "Implantate? Du glaubst, daß es Implantate sind?"

Natürlich waren es Implantate. Von Außerirdischen! Wie konnte Scully nur daran zweifeln?

Es war doch alles so offensichtlich!

"Wenn es welche sind, dann hat Duane Barry jedenfalls die Wahrheit gesagt," entgegnete ich in leicht trotzigem Tonfall. Wie schaffte Scully es nur, mich immer wieder auf die Palme zu bringen?

"Oder etwas, das er für die Wahrheit hält!" Sie ließ einfach nicht locker.

Wir sahen uns an und wieder einmal war ich derjenige, der die Augen zuerst abwandte. Allein durch ihre kühle Art läßt sie die Theorien in meinem Kopf zerplatzen. Es machte mich wütend. Vor allem, weil ich tief drinnen wußte, daß sie recht hatte. Ich hatte keine Beweise. Im Grunde genommen hatte ich gar nichts, aber es machte mich trotzdem wütend.

"Hör zu," sagte sie, in einem Tonfall, als ob sie zu einem kleinen Jungen sprechen würde.

"Wir bringen das runter zu unseren Schußwaffenexperten, die haben das in Nullkommanichts analysiert."

Das reichte! "Ich hab‘ leider keine Zeit mehr, ich hab‘ eine Verabredung!" erklärte ich, bevor ich aus dem Zimmer stapfte. Filmreifer Abgang!

"Mulder!" Obwohl ich ihr den Rücken zuwandte, wußte ich, daß ein belustigtes Lächeln um ihre Lippen spielte. "Ich ruf‘ dich an, sobald ich etwas Neues weiß. Und viel Spaß!"


* * *


Sie würde mir niemals glauben. Sie würde mich niemals verstehen. Egal, wie aussagekräftig die Beweise waren, sie würde immer eine andere Erklärung dafür finden. Nun gut, ich hatte keine Beweise. Aber wenn ich welche hätte, würde es keinen Unterschied für sie machen!

Es herrschte immer noch munterer Betrieb in den meisten Büros, Überstunden sind beim FBI an der Tagesordnung. Krycek saß an meinem Schreibtisch, und war so in eine Akte vertieft, daß er mich gar nicht kommen hörte.

Er sprang auf, als ich ihn begrüßte und warf beinahe den Stuhl um. Verlegen senkte er den Blick unter den langen Wimpern. Solche Wimpern gehören verboten! Und solche Augen sowieso!

Da noch andere Leute im Raum waren, verschoben wir die ausführlichere Begrüßung auf später. "Es tut mir leid, daß du warten mußtest," sagte ich zu Alex,"aber es ist wirklich etwas Merkwürdiges vorgefallen."

"Das macht nichts, ich hatte eh‘ noch zu tun. Außerdem warte ich gern auf dich." Das überraschte mich. Wenn ich auf jemanden warten muß, mache ich mir sofort Sorgen und mir gehen tausend Sachen durch den Kopf, was passiert sein könnte.

"Schieß endlich los, Mulder, ich platze vor Neugier! Hat es etwas mit Duane Barry zu tun? Gibt es Beweise für seine Entführungen?"

Ich warf noch einen Blick auf meinen Schreibtisch, um sicherzugehen, daß ich nichts vergessen hatte, dann gingen wir in die Garage zu unseren Autos. Auf dem Weg dorthin erzählte ich Alex, was ich von Lucy Kazdin erfahren hatte.

Seine grünen Augen funkelten vor Aufregung. "Was, wenn es wirklich Implantate sind? Das könnte der Beweis dafür sein, daß außerirdisches Leben existiert!"

"Scully denkt, es kommt von Explosionen, oder Schußverletzungen. Sie läßt das Metallstück daraufhin untersuchen."

"Das ist doch lächerlich! Sie sollte lieber feststellen, ob darauf Daten gespeichert sind."

Ich traute meinen Ohren nicht. Alex dachte wirklich dasselbe wie ich! Ob es so etwas wie Gedankenübertragung zwischen uns gab? Schon öfters hatte er einen Satz beendet, den ich angefangen hatte. Ganz anders als Scully, die mir mit jedem Satz widersprach. Vielleicht war ich endlich jemandem begegnet, der wirklich auf meiner Wellenlänge war.

Ich öffnete die Tür zur Tiefgarage, und drehte mich zu Alex um. "Scully wird mich jedenfalls anrufen, sobald sie etwas Neues weiß."

"Gut, vielleicht findet sie ja etwas heraus, das uns weiterhilft." Es klang nicht sehr überzeugt. Ihm war ebenso klar wie mir, daß Scully an der falschen Stelle suchte. Trotzdem, das Handy hatte ich ja für alle Fälle dabei.

Ich fragte mich, wie Scully reagieren würde, wenn sie wüßte, mit wem ich heute abend ein Date hatte. Abgesehen davon, daß sie Krycek nicht besonders mochte, würde sie mir nur vorwerfen, daß ich mich wieder Hals über Kopf in etwas stürzte, was mir nichts als Schwierigkeiten machen würde. So, wie sie es immer tat. Für sie bestand die Welt nur aus Zahlen und Fakten, und ich glaubte nicht, daß das Wort "Seelenverwandtschaft" einen Platz in ihrem Vokabular hatte.

Sie konnte mich einfach nicht verstehen.

Mir wurde klar, daß ich noch immer gedankenverloren in der Tür stand. Krycek ging an mir vorbei in die Garage und blieb nur einen Schritt entfernt vor mir stehen. Er sah mich an, und lächelte dieses unwiderstehliche Lächeln und sofort spürte ich wie meine Knie weich wurden.

Ich konnte nicht sagen, wer sich von uns beiden zuerst bewegt hatte, aber plötzlich hielten wir einander fest und die Wärme seines Atems liebkoste mein Gesicht. Als sein seidiges dunkles Haar über meine Wange strich, schloß ich die Augen und atmete seinen Geruch ein. Beinahe schon konnte ich seine Lippen auf den meinen fühlen, doch ein lautes Scheppern zerstörte den romantischen Moment.

Erschrocken ließ Alex mich los. "Mulder, ich bin so ein Idiot! Was hab‘ ich jetzt wieder geschrottet?"

Wir stießen beinahe mit den Köpfen zusammen, als wir uns beide gleichzeitig bückten, um mein Handy aufzuheben. Es mußte irgendwie aus meiner Jackentasche gerutscht sein, als er mich umarmte. Der Kontakt mit dem Steinboden der Garage schien dem Gerät jedenfalls nicht gutgetan zu haben, die Anzeige war dunkel. Ich würde es in die Reparatur geben müssen. So ein Mist, warum mußte das gerade jetzt passieren? Scully hatte jetzt keine Möglichkeit mehr, mich heute Abend zu erreichen.

"Nicht so schlimm," sagte ich. "Es ist nicht deine Schuld." Alex konnte schließlich nichts dafür, daß er manchmal etwas ungeschickt war.

Aber ich kann meine Gefühle nur schwer verbergen und er merkte sofort, daß ich verstimmt war. Ich wollte weitergehen, aber er legte seine Hand auf meinen Arm. "Hör mir bitte zu," sagte er, und seine Stimme zitterte ein bißchen, "ich weiß, wie wichtig das alles für dich ist. Wenn du lieber an einem anderen Tag weggehen möchtest, es macht mir nichts aus, wenn wir es nochmal verschieben." Bei den letzten Worten hatte er auf den Boden gestarrt, jetzt hob er die Wimpern, und sah mich an wie ein scheues Reh. "Es macht mir wirklich nichts aus!"

Verdammt nochmal, da war es wieder, mein altbekanntes Problem! Ich war so von meinen Ideen besessen, dass ich Schwierigkeiten hatte, Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen.

Deswegen, nur deswegen, lief es jedesmal schief. Ich wollte nicht, daß es schiefging! Nicht jetzt, wo ich jemanden wie ihn getroffen hatte. Ich wollte es nicht zerstören, bevor es überhaupt begonnen hatte.

Ich sah in diese wunderbaren Augen, so hoffnungsvoll, so verletzlich! Und ich wußte, was immer Scully über diesen Chip herausfand, es konnte bis später warten.

"Alex!" Ich legte meine Hand auf die seine. "Hat dir schon mal jemand gesagt, daß du ein schlechter Lügner bist?"


* * *


‘Du bist so von deinen Ideen besessen, daß du keine Rücksicht, auf die Gefühle anderer nehmen kannst!'

Der Satz ging mir immer noch im Kopf herum, als ich die Speisekarte beim Chinesen studierte und überlegte ob ich jetzt noch eine Honigbanane wollte, oder ob ich schon satt war.

Irgend jemand hatte das zu mir gesagt. Vielleicht Diana, als sie mit mir Schluß machte? Nein, es war jemand anderes gewesen. Die Frau, die mir immer dann die unangenehmsten Wahrheiten an den Kopf knallte, wenn ich sie am wenigsten hören wollte.

Scully!

Ich wollte jetzt nicht an sie denken, deshalb versuchte ich mich abzulenken, indem ich die bunten Abbildungen der chinesischen Tierkreiszeichen auf der Karte betrachtete. Ich stellte fest, daß ich ein Büffel war. Sehr schmeichelhaft. Ein Jahr später und ich wäre ein Tiger geworden. Zum Glück gab es keine Füchse. Das hätte mir gerade noch gefehlt!

"Du bist jetzt zweiundzwanzig, stimmt's?" Ich suchte nach Kryceks Sternzeichen und mußte grinsen, als ich es gefunden hatte. "Du bist eine Ratte, Alex!"

"Vertragen sich Ratten mit Büffeln?" Alex grinste zurück.

"Sorry, aber chinesische Astrologie ist nicht mein Spezialgebiet. Für so etwas ist die Schwester von Scully zuständig. Laut Scully kennt sie die Tierkreiszeichen sämtlicher Kulturen vorwärts und rückwärts im Schlaf. Moment mal, woher weißt du...?"

"Dein Geburtsdatum? Das kannte ich schon, als ich noch auf der Akademie war. Du weißt ja, es wird dort viel geklatscht und deine Theorien gehören zu den Lieblingsthemen, auch wenn es nur wenige Leute gibt, die sich wirklich ernsthaft damit beschäftigen. Die meisten machen sich nur darüber lustig oder hoffen, daß die Arbeit beim FBI nicht nur aus langweiligem Bürokram besteht. Dabei ist es doch so offensichtlich, daß mehr dahinter steckt. Es gibt so viele Dinge, die wir mit unserem jetzigen Wissensstand einfach nicht erklären können. Wenn jemand das leugnen will, ist er blind! Es wäre einfach nur anmaßend zu behaupten, wir könnten alles verstehen und erklären und es dürfe da draußen nichts geben, was für unsere beschränkten Gehirne zu hoch ist. Genauso anmaßend wie zu behaupten, daß unser Planet der einzige im gesamten Universum sei, der Leben hervorgebracht hat!"

Als er geendet hatte, schwiegen wir beide für eine Weile. Wir hatten uns über den Tisch hinweg bei den Händen gefaßt und seine Worte hallten in mir nach, beinahe so, als ob sie in mir selbst erklungen wären. Er hatte mir aus der Seele gesprochen und etwas tief in mir berührt. Etwas, das ich erloschen glaubte, hatte wieder zu leuchten begonnen.

Wenn man einem ganz besonderem Menschen begegnet, hat dieser Moment einen Zauber, den man festhalten möchte, am liebsten für immer. Und ebenso natürlich den dazugehörigen Menschen.

Als ich zu sprechen begann, zitterte meine Stimme, aber ich behielt sie unter Kontrolle, und ich erzählte ihm Wort für Wort, Satz für Satz das schrecklichste Ereignis meines Lebens, das Ereignis, das mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Ich ließ nichts aus, nicht die Angst in ihren Augen, als sie über dem Boden schwebte, nicht ihre schrecklichen Schreie, die immer dünner und leiser wurden, als sie in dem grellen Licht verschwand. Gar nichts.

Er unterbrach mich kein einziges Mal, sondern hörte mir ruhig zu und ich wußte, er glaubte mir.

Ich fühlte den Schmerz, den die Erinnerung heraufbeschwor und doch war es als wäre mir eine Last von der Seele gewichen. In diesem Moment war ich mir sicherer denn je, daß ich eines Tages das Geheimnis aufdecken und sie wiederfinden würde.

"Ich glaube, du weißt jetzt, warum es mir so schwer fällt, jemandem zu vertrauen. Ich weiß nicht, wer für ihre Entführung verantwortlich ist, ich weiß nur, daß es um mich herum Menschen gibt, die versuchen, die Wahrheit vor mir zu verbergen. Und wenn ich doch jemandem vertrauen kann, habe ich Angst ihn zu verlieren. Scully ist bis heute die einzige Person gewesen, der ich rückhaltlos vertraut habe. Sie ist mehr als eine Freundin für mich!

Ich frage mich, ob es eine Art verdrehtes Schicksal ist, ich habe eine Schwester verloren und eine Schwester gefunden. Denn das ist sie für mich, eine Schwester! Und wenn wir uns auch den ganzen Tag nichts als streiten und uns Unverschämtheiten an den Kopf werfen, es wird nie, niemals etwas an der Tatsache ändern, daß ich sie liebe! Und daß ich schreckliche Angst habe, sie zu verlieren! Ich wüßte nicht, wie ich weiterleben könnte, sollte das je passieren."

Alex streichelte mir durchs Haar und zog meinen Kopf zu sich heran, bis sich unsere Stirnen berührten. Wieder schwiegen wir, aber ich fühlte die Geborgenheit seiner Gegenwart, und dazu brauchte es keine Worte.

Ich kramte meine Karte aus dem Geldbeutel, die Lust auf einen Nachtisch war mir gründlich vergangen. Eigentlich hatte ich mir den Abend anders vorgestellt, Alex sicher auch, es war eher ein Seelenstriptease als ein Date gewesen. Aber jetzt war es nicht mehr zu ändern.

Draußen war es ungewöhnlich kühl für einen Abend im August. Es regnete ein bißchen, winzige Tropfen wie eine Art Nebel. Ein Sprühregen.

Wir küßten uns zum Abschied, ein langer weicher Kuß, der irgendwie nach mehr schmeckte, aber es war nicht der richtige Zeitpunkt, das schien er ebenso zu wissen wie ich. Es machte nichts aus. Wir hatten soviel Zeit wie wir wollten. Irgendwo, tief in meinem Herzen hatte ich das unbestimmte Gefühl, daß unsere Begegnung kein Zufall war, daß es uns einfach bestimmt war, einander zu begegnen. Diesmal würde es gutgehen! Diesmal würde die Liebe mich nicht in Konflikte stürzen, und mich nicht zerstören! Diesmal würden wir Glück haben!

Als sich unsere Gesichter berührten, glaubte ich etwas Kaltes an seinen Wimpern zu spüren, waren es Tränen, oder nur Regentropfen?


* * *

Es war beinahe halb zwölf, als ich die Tür meines Appartments aufschloß. Ich ging sofort zum Anrufbeantworter, denn ich wußte, daß dort eine Nachricht auf mich wartete.

Als ich den vertrauten Klang von Scullys Stimme vernahm, hatte ich zum ersten Mal seit langem das Gefühl, daß in meinem Leben endlich wieder etwas richtig lief.

Jedenfalls so lange, bis ich im Hintergrund das Klirren hörte.

Und danach ihren Schrei.

Impressum

Texte: Die X-Files Charaktere gehören nicht mir, sondern dem allmächtigen Chris Carter. Die Geschichte spielt während der Episode "Duane Barry" in der zweiten Staffel und enthält einige Spoiler für diese. Allerdings nicht für das Ende, das müßt ihr euch selbst dazu denken.
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle Ratniks da draußen :-)

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